1 Einleitung und Fragestellung

Aufgrund zahlreicher empirischer Befunde zu sprachlich bedingten Leistungsdisparitäten, insbesondere in Mathematik (Stanat 2006; OECD 2007; Prediger et al. 2015) ist Sprachförderung zur Querschnittsaufgabe aller Fächer erklärt worden (MSWWF 1999; Ahrenholz und Oomen-Welke 2008). Gegenstand der Sprachförderung im Fach ist neben der Fachsprache vor allem die Bildungssprache, deren kommunikative und epistemische Funktion nicht nur für mehrsprachige, sondern auch für sprachlich schwache einsprachige Lernende zum Lernhindernis werden kann (Gogolin 2009; Feilke 2012; Morek und Heller 2012). Mit Konzepten des Scaffoldings (Gibbons 2002) und der Darstellungsvernetzung (Leisen 2010; Prediger und Wessel 2013) stehen Ansätze zur Verfügung, die sich zur Weiterentwicklung der sprachlichen und fachlichen Kompetenzen in integrierter Form theoretisch sowie für Unterrichtspraxis bewährt haben.

Ein Forschungsdefizit gibt es jedoch weiterhin in der empirischen Absicherung und theoretischen Ausdifferenzierung der fach- und sprachintegrierten Förderung (Bredel 2005; Darsow et al. 2012). Insbesondere gibt es wenig empirisch konsolidiertes Wissen darüber, welche Maßnahmen fach- und sprachintegrierter Förderung für welche Sprachhintergründe tatsächlich das fachliche Lernen stützen können: sind es eher die ganzheitlichen diskursiven Anregungen zur Kommunikation oder zusätzlich fokussiertere lexikalische Sprachangebote auf Wort- und Satzebene? Benötigt die Gruppe der sprachlich schwachen einsprachigen Lernenden andere Fördermaßnahmen als mehrsprachige Lernende? Inwiefern kann die Gruppe der sprachlich starken, aber mathematisch schwachen Lernenden ebenfalls von einer fach- und sprachintegrierten Förderung mathematisch profitieren? Im Artikel wird aus einem DFG-Projekt berichtet, das die differentiellen Bedarfe und Wirkungen bei ein- und mehrsprachigen Jugendlichen mit unterschiedlicher Sprachkompetenz am Beispiel des Umgangs mit Brüchen untersucht.

2 Stand der Forschung zur Sprachförderung im Mathematikunterricht

2.1 Bedeutung der Sprachkompetenz für die Mathematikleistung

Laut einschlägigen Studien der international vergleichenden Bildungsforschung haben mehrsprachige Lernende in Deutschland geringere Chancen, gute Schulerfolge zu erreichen, als einsprachige Lernende (z. B. Stanat 2006; OECD 2007, S. 120; Heinze et al. 2007; Bos et al. 2012, S. 91). Dabei erweist sich Sprachkompetenz im Deutschen als zentraler Faktor, der nachweislich einen noch stärkeren Zusammenhang zu den Mathematikleistungen aufweist als die Faktoren Mehrsprachigkeit, Migrationshintergrund oder der sozioökonomische Status SES. Dies gilt insbesondere für den Bereich des konzeptuellen Verständnisses von Mathematik, weniger für Rechenkalküle (Ufer et al. 2013; Prediger et al. 2015). Dieser Befund legt nahe, die Sprachkompetenz auch für einsprachige Lernende als einen Faktor für Mathematikleistung konsequenter in den Blick zu rücken. Die Notwendigkeit eines Forschungsfokus auf einsprachig sprachlich schwache Lernende gewinnt auch durch empirische Rekonstruktionen der Bedeutung von Sprachkompetenz für SES-bedingte Leistungsdisparitäten bei einsprachigen Lernenden weitere Relevanz (Walzebug 2014; Paetsch et al. 2015).

Die hohe Bedeutung der Sprachkompetenz wird vor allem auf die Rolle der „language of schooling“ (Schleppegrell 2004; Thürmann et al. 2010) zurückgeführt, die in Deutschland als Bildungssprache (Gogolin 2009) in verschiedenen Funktionen diskutiert wird (Feilke 2012; Morek und Heller 2012). Wenn auch nicht immer trennscharf abgrenzbar zur Alltags- und Fachsprache, tritt unterrichtliche Bildungssprache den Lernenden z. B. in Unterrichtsmaterialien und Aufgaben entgegen. Kennzeichnend für Bildungs- und Fachsprache ist die konzeptionelle Schriftlichkeit mit ihren spezifischen Diskurspraktiken (Morek und Heller 2012), aber auch sprachstrukturellen Merkmalen wie Satzkonstruktionen mit häufiger Verwendung von (komplexen) Nominalkonstruktionen und Komposita, Passivkonstruktionen und unpersönlichen Ausdrucksweisen sowie vermehrte Konzentration inhaltstragender Strukturwörter und trennbarer Verben (vgl. Redder und Weinert 2013 für Überblick zum aktuellen, durchaus kontroversen Bildungssprachendiskurs).

Für die Planung und Analyse mathematischer Lernprozesse hat sich eine trennscharfe Unterscheidung von Bildungs- und Fachsprache empirisch und unterrichtspraktisch als weniger bedeutsam herausgestellt als die Unterscheidung in bedeutungsbezogene und formalbezogene Sprachmittel (Wessel 2015; Prediger 2017): Als formalbezogen werden Sprachmittel bezeichnet, mit denen Kalküle und symbolische Darstellungen erläutert werden können, wie z. B. Zähler, Nenner, Bruchstrich, addieren. Als bedeutungsbezogen werden diejenigen Sprachmittel bezeichnet, die für die Sprachhandlung des Erklärens von Bedeutungen notwendig sind, wie z. B. Anteil vom Ganzen und zugehörige graphische Darstellungen. Sie entstammen teils aus der Bildungssprache, teils aus der Fachsprache früherer Jahrgänge.

2.2 Ansätze zur diskursiven und lexikalisch-diskursiven Förderung

Angesichts des wiederholten empirischen Befunds, dass Sprachkompetenz zur ursächlichen Hürde für Leistungserfolg werden kann, wird in den letzten Jahren zunehmend betont, dass jeder Fachunterricht einen Beitrag zur Aneignung der mündlichen und schriftlichen Sprache auf hohem, bildungssprachlichem Niveau leisten muss (z. B. für NRW in MSWWF 1999; für den Europarat Thürmann et al. 2010; allgemein Ahrenholz und Oomen-Welke 2008).

Dafür bieten sowohl sprachdidaktische Ansätze (Benholz und Lipkowski 2000; Gibbons 2002; Ahrenholz und Oomen-Welke 2008; Stephany et al. 2012) als auch sprachsensible fachdidaktische Ansätze (Pimm 1987; Gallin und Ruf 1990; MacGregor und Moore 1991; Leisen 2010) und Ansätze aus dem Bereich des fach- und sprachintegrierten Lernens in der Fremdsprache (CLIL) (Leisen 2003; Hallett 2012; u. v. m.) fruchtbare konzeptionelle Bezugspunkte, wenn auch noch weitgehend ohne empirisch-quantitative Absicherung.

Mathematikdidaktische Verstehensförderung.

Zentral für eine nicht am reinen Rechenkalkül, sondern konsequent am konzeptuellen Verständnis und am Fördern von Verstehensprozessen orientierte Fachdidaktik (Gallin und Ruf 1990; Prediger 2013) ist die Forcierung der Rückgriffe auf Alltagssprache als Schlüssel zum individuellen Verstehen (Gallin und Ruf 1990). Dazu dient das Schreiben von Texten, aber auch die Forcierung mündlicher Sprachproduktion (z. B. Maier und Schweiger 1999).

Diskursive Sprachförderung.

Der Ansatz der ganzheitlichen Diskursanregung ist sprachdidaktisch auf das Prinzip des Pushed Outputs zurückzuführen (vgl. Outputhypothese nach Swain 1985, 1995), nach dem Sprachlernprozesse durch Forcierung der mündlichen und schriftlichen Sprachproduktion angeregt werden können. Das Prinzip des Pushed Outputs wurde vom (zunächst nicht auf Fachlernen bezogenen) Zweitspracherwerb auf Physiklernen (bei Leisen 2010 mit der Metapher des reichhaltigen Sprachbads) und Mathematiklernen (Wessel 2015; für das Schreiben in Mathematik zum Beispiel bei Stephany et al. 2012) übertragen. Die Diskurspraktiken des Erklärens, Beschreibens, Argumentierens erweisen sich dabei als für Mathematiklernen besonders relevant (Prediger et al. 2016a), sie müssen deswegen immer wieder von der Lehrkraft angestoßen und lokal unterstützt werden (ibid; Prediger und Pöhler 2015a). Sowohl in der CLIL-Didaktik (Hallet 2012) als auch für sprachsensiblen Fachunterricht (Leisen 2010) hat sich darüber hinaus das Prinzip des konsequenten Vernetzens von (symbolischen, numerischen, verbalen und graphischen) Darstellungen und (alltagssprachlichen, bildungssprachlichen und fachsprachlichen) Registern als besonders fruchtbar herausgestellt, weil Lernende durch die Darstellungsvernetzung die Bedeutungen und Relationen fachlicher Begriffe konstruieren und die notwendigen bildungs- und fachsprachlichen Mittel in ihren Bezügen zu konzeptuellen Gesamtbedeutungen entwickeln können (Prediger et al. 2016a). Diese diskursiven Anregungen zu mehr Kommunikation passen hervorragend zu mathematikdidaktischen Prinzipien der Verstehensförderung.

Lexikalische Sprachförderung.

Über rein diskursive Anregungen hinaus wurden auch fokussierte Sprachfördermaßnahmen auf Wort- und Satzebene entwickelt, um die jeweils notwendigen bildungs- und fachsprachlichen Mittel lexikalisch zu erarbeiten. Dafür hat sich das Konzept des Mikro- und Makro-Scaffoldings (Gibbons 2002; Prediger und Pöhler 2015) bewährt, das die Sequenzierung von Alltagssprache zu Bildungs- und Fachsprache mit systematischer Wortschatzarbeit und der Konstruktion von Bedeutungen kombiniert. Zur lexikalischen Erarbeitung auf Wort- und Satzebene gehört neben zahlreichen Aufgabenformaten zur Identifizierung, Anwendung und Reflexion von Sprachmitteln (Leisen 2010) auch die längerfristige Anlage von Wortspeichern (ausgeweitet auf Sprachspeicher auf Satzebene in Wessel 2015). In Bezug auf die herausgearbeiteten grammatischen und pragmatischen Spezifika der Bildungs- und Fachsprache im Mathematikunterricht erscheint zudem eine gezielte Thematisierung all jener Sprachmittel notwendig, die für das Herstellen von Bezügen notwendig sind, denn gerade sie haben sich aufgrund des relationalen Charakters mathematischer Begriffe als fachspezifisch besonders bedeutsam herausgestellt (Jorgensen 2011; Beese und Gürsoy 2012; Prediger 2013).

Während die fokussierte lexikalische Förderung auf Wort- und Satzebene in den wissenschaftlichen Ansätzen stets als ergänzend zur diskursiven Förderung gedacht wird, hat sie sich in der Unterrichtspraxis zuweilen verselbständigt als rein lexikalische Förderung. Dies äußert sich als reines Vokabeltraining ohne diskursive Einbindung der mathematischen Bedeutungen (wie z. B. DfEE 2000; zur Kritik vgl. etwa Moschkovich 2015; Prediger et al. 2016b). Da sogar die Relevanz zusätzlicher fokussierter lexikalischer Förderung auf Wort- und Satzebene zuweilen in der Unterrichtspraxis bezweifelt wird, sollte diese in der vorliegenden Interventionsstudie auch quantitativ geprüft werden. Die oft kritisierte reine lexikalische Arbeit ohne diskursive Einbindung wurde dagegen nicht verfolgt, sondern nur im konsequenten Bezug auf die Diskursebene umgesetzt (Moschkovich 2013, S. 53). Als Alternative zur diskursiven Förderung wurde daher die kombiniert lexikalisch-diskursive Förderung untersucht.

2.3 Forschungslücke bzgl. differentieller Wirksamkeit von Förderansätzen

Auch wenn sich die zitierten Ansätze in der Zweitsprachdidaktik empirisch und praktisch bewährt haben, gibt es für ihre Integration in den Fachunterricht bisher relativ wenig empirische Befunde für Förderkonzepte, die den spezifischen Charakteristiken der Fächer gerecht werden (konstatiert bei Bredel 2005 und Darsow et al. 2012; Ausnahmen bilden Rösch und Stanat 2011 und Prediger und Wessel 2013). Insbesondere ist nicht bekannt, ob sich rein diskursive oder eher kombiniert lexikalisch-diskursive Förderansätze stärker bewähren, und inwiefern diese Frage für Lernendengruppen mit unterschiedlichem Sprachhintergrund verschieden zu beantworten wäre.

So ist bislang offen, inwiefern Lernende mit unterschiedlicher Sprachkompetenz von einer diskursiven oder lexikalisch-diskursiven fach- und sprachintegrierten Förderung in unterschiedlichem Maße profitieren, weil in nahezu allen Studien nur sprachlich schwache Lernende gefördert wurden. Die konzeptionelle und unterrichtspraktische Nähe von Ansätzen der diskursiven Sprachförderung zu Ansätzen für mathematikdidaktische Verstehensförderung (s. oben) legt jedoch die Vermutung nahe, dass auch sprachlich stärkere Lernende von diskursiven Förderungen für ihr mathematisches Verständnis profitieren können.

Bzgl. der zusätzlichen lexikalischen Förderung der themenbezogenen Sprachmittel hingegen könnte der Unterschied der Sprachkompetenzen wesentlich sein. Die Frage nach differentiellen Wirkungen ist insofern von hoher unterrichtspraktischer Relevanz, als ihre Klärung ermöglichen würde, fach- und sprachintegrierte Förderung nicht nur in spezifischen Fördergruppen, sondern auch für den Klassenunterricht bedarfsgerecht zu optimieren.

Angesichts der zunehmenden Aufmerksamkeit auf die Gruppe der sprachlich schwachen einsprachigen Schülerinnen und Schüler (vgl. Abschn. 2.1) müssen die bislang vor allem in der Zweitsprachdidaktik entwickelten und evaluierten Fördermaßnahmen auch auf ihre differentiellen Effekte für die einsprachigen Lernenden untersucht werden. Aufgrund der bisherigen Fokussierung auf mehrsprachige Lernende ist bislang nur wenig darüber bekannt, inwiefern sprachlich schwache einsprachige deutsche Lernende (in diesem Artikel kurz: einsprachige Lernende) eine andere Sprachförderung brauchen als sprachlich schwache mehrsprachige Lernende (dabei wird „sprachlich schwach“ hier nur auf die Deutschkenntnisse bezogen, auch wenn die Lernenden in ihrer Erstsprache stark sind).

Mangels einschlägiger Interventionsstudien wird hier zur Generierung von Hypothesen über mögliche differentielle Bedarfe und Wirkungen auf vergleichende Fehleranalysen von (nicht mathematikbezogenen) Lernendenaufsätzen zurückgegriffen: Sie geben Aufschluss über spezifische Problembereiche von mehrsprachigen Lernenden, die bei einsprachigen Lernenden weniger häufig aufzutauchen scheinen. Diese Unterschiede beziehen sich vor allem auf Grammatikfehler auf Satzebene (z. B. Fix 2002; Benholz und Lipkowski 2008), z. B. Genus und Proformen, Subjekt-Prädikatkongruenz, Präpositionen und trennbare Verben sowie Deklinationen. Diese Befunde sind insofern interessant, als gerade diese grammatischen Konstrukte auf Satzebene dazu dienen, Beziehungen herzustellen, und ihre Relevanz für Mathematik sowohl für Lernsituationen (Prediger 2013) als auch Prüfungssituationen (Prediger et al. 2015) nachgewiesen wurde. Für die Schreibkompetenzen auf Textebene bilanzieren sowohl Haberzettl (2015) in ihrem Vergleich als auch Schneider und Becker-Mrotzek (2013, S. 50 f.) in ihrem Forschungsüberblick zwar inkohärente Forschungsergebnisse bzgl. der Frage, ob die Schreibprozesse von ein- und mehrsprachigen Lernenden zuweilen unterschiedliche Unterstützung brauchen, die meisten vergleichenden Fehleranalysen rekonstruieren aber eher Parallelitäten der Schreibprozesse ein- und mehrsprachiger Lernender, deren Spezifika nur in unterschiedlicher Gewichtung auftauchen. Aptitude-Treatment-Interaction-Studien zum Zweitsprachlernen weisen darauf hin, dass schwächere Lernende nicht nur induktiv organisierte Lernangebote, sondern auch fokussierte Instruktionen im Detail brauchen (Roehr 2012). Stärkere dagegen scheinen von verschiedenen Zugängen gleichmäßig zu profitieren (ibid.).

Insgesamt ergeben sich somit trotz noch ungenügenden Forschungsstandes Plausibilitäten für die Hypothese, dass sich die Sprachförderung für ein- und mehrsprachige Lernende nicht grundlegend unterscheiden muss. Gerade auf Wort- und Satzebene könnten jedoch besondere Bedarfe der mehrsprachigen Lernenden liegen, während die Textebene weniger differentiell relevant zu sein scheint. Diese Vermutungen sind durch theoretische Hintergründe der Zweitspracherwerbsforschung (z. B. Cummins 2000; Roehr 2012) und Linguistik (Redder und Weinert 2013) plausibilisierbar, obwohl der Forschungsstand für sprachlich schwache Einsprachige relativ wenig im Hinblick auf Fachlernen hergibt (vgl. Walzebug 2014 für einen Literaturüberblick).

3 Forschungsdesign und Methoden

Ausgehend vom Stand der Forschung verfolgt die Interventionsstudie folgende Forschungsfrage:

Inwiefern verbessern die diskursive Förderung D und die lexikalisch-diskursive Förderung LD die verstehensbezogenen Mathematikleistungen beim Umgang mit Brüchen von mathematisch schwachen Lernenden mit unterschiedlichen Sprachhintergründen?

3.1 Überblick zum Forschungsdesign

Für die quantitative Untersuchung der Wirksamkeit der Interventionen dient ein quasi-experimentelles Prä-Post-Follow-up-Design, in dem die Leistungszuwächse im verstehensbezogenen Brüchetest als abhängige Variable untersucht werden. Als unabhängige Variable wird die Interventionsform variiert nach Kontrollgruppe K (Regelunterricht ohne Förderung), diskursiver Förderung D versus lexikalisch-diskursiver Förderung LD (vgl. Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Überblick zu Forschungsdesign und Instrumenten der Studie

Die Analyse der Wirksamkeit beider Interventionsformen bzgl. der Zuwächse in Mathematikleistung der mathematisch schwachen Lernenden erfolgt differentiell nach ihren Sprachhintergründen. Im Folgenden werden die Interventionsformen sowie die Instrumente und Stichprobe vorgestellt.

3.2 Zwei Interventionsformen zum Themenbereich Brüche verstehen, ordnen, erweitern

Zur Untersuchung der Forschungsfrage wurde das mathematische Themengebiet Anteile und Brüche exemplarisch ausgewählt, weil es insbesondere bzgl. des Aufbaus von Verstehen als eines der schwierigsten in der Mathematik der unteren Sekundarstufe zählt (Aksu 1997; Padberg 2002 u. v. a.), aber für die gesamte Sekundarstufe zentral ist. Gut elaboriert sind die Spezifizierung der notwendigen Verstehenselemente für Brüche und Anteile (Prediger 2008; Padberg 2002) sowie mögliche fachdidaktische Förderansätze (Lesh 1979; Streefland 1991; Cramer et al. 1997).

Die Kernform der rein deutschsprachigen Interventionen für das mathematische Thema „Brüche verstehen, ordnen, erweitern“ hat sich bereits empirisch im Rahmen einer Interventionsstudie als lernwirksam bewährt (Prediger und Wessel 2013; Wessel 2015). Sie wird in 5 × 90 min. im moderierten Kleingruppenunterricht von gezielt geschulten Mitarbeiterinnen des Forschungsteams durchgeführt, zusätzlich zum regulären Unterricht, den auch die Kontrollgruppe erhält. Für diese Interventionsstudie werden zwei Interventionsformen umgesetzt, für die Abb. 2 Beispiele liefert:

  • die diskursive Förderung D fördert den Aufbau des mathematisch konzeptuellen Verständnisses durch ganzheitliche Diskursanregungen im Sinne des Pushed Outputs und der Darstellungsvernetzung. Dazu werden Diskursanregungen in unterschiedlichen methodischen Settings und Aufgabenformaten gegeben, sowohl für schriftliche als auch mündliche Initiierung von Diskurspraktiken des Erklärens, Beschreibens und Begründens (siehe Abb. 2a).

  • die lexikalisch-diskursive Förderung LD enthält alle mathematik- und sprachdidaktischen Elemente der diskursiven Förderung D, sowie in den Materialien zusätzlich auch lexikalische Förderangebote der themenbezogenen bedeutungs- und formalbezogenen Mittel auf Wort- und Satzebene. Mit gezielter Sprachschatzarbeit im Sinne der Prinzipien des Makroscaffolding (Gibbons 2002) werden die Sprachmittel systematisch in die Fördermaterialien integriert. Zusätzlich werden durch entsprechende Arbeitsaufträge sowie durch die Förderlehrkraft Reflexionen der themenbezogenen Sprachmittel zum Herstellen von kontextgebundenen und abstrakteren Bezügen zwischen Teil, Anteil und Ganzem systematisch angeregt. Dies erfolgt jeweils beim gemeinsamen Ausfüllen und Besprechen der themenbezogenen „Speicherkiste“, in der wichtige Wörter und Satzbausteine gesichert werden. Damit wird das Ziel verfolgt, ausgehend vom individuellen Sprachrepertoire der Lernenden die formal- und bedeutungsbezogenen Sprachmittel im Sprachschatz zu verankern und einzuüben. Zusammengefasst werden können als leitende Prinzipien für die Materialentwicklung dieser Interventionsform folglich: Sprachgerüste für die Bearbeitung von Schreibaufträgen, Angebot und Sicherung themenspezifischer bedeutungsbezogener Sprachmittel, Reflexion gesammelter Sprachmittel, Übungsaufgaben mit Einbezug themenspezifischer bedeutungsbezogener Sprachmittel (exemplarische Umsetzung und Gegenüberstellung mit diskursiver Förderung siehe Abb. 2b).

Abb. 2a
figure 2

Aufgabenbeispiele (aus 1. und 2. Fördersitzung) für diskursive Förderung

Abb. 2b
figure 3

Aufgabenbeispiele (aus 1. und 2. Fördersitzung) für lexikalisch-diskursive Förderung

Diese Materialangebote sind insbesondere intendiert als zusätzliche lexikalische Lerngelegenheiten für sprachlich schwache Lernende, um ihnen eine Unterstützung für den parallelen Sprach- und Konzeptaufbau zu geben. Dadurch reduzierten sich die mathematischen Übungsgelegenheiten gegenüber der diskursiven Förderung minimal.

3.3 Methoden und Instrumente für abhängige Variable und Kontrollvariablen

Brüche-Test zur Erfassung der abhängigen Variablen Mathematikleistung.

Mathematikleistung wurde, operationalisiert als verstehensbezogene Leistungen im Themenfeld Brüche, zu drei Messzeitpunkten erhoben. Der Test wurde mit insgesamt N = 268 Lernenden pilotiert und standardisiert (Wessel 2015). Der adaptierte Test enthält 28 Items zu folgenden Inhalten (die mit * gekennzeichneten werden in der Intervention gefördert): *Finden und Zeichnen von Brüchen in Teil-Ganzes und relativer-Anteils-Vorstellung, Brüche anordnen am Zahlenstrahl, *Brüche vergleichen und Vergleich in Situation/Bildern erklären, *gleichwertige Brüche finden und Gleichwertigkeit in Situationen/Bildern erklären, echte Brüche subtrahieren, *relative Anteile in Situationen finden. Die drei Testversionen unterscheiden sich nur im Zahlenmaterial bei strukturell gleichen Aufgaben. Mit Cronbachs Alpha von 0,83 (28 Items, N = 1120) hat der Test eine gute interne Konsistenz.

Fragebogen zur Erhebung der Familienhintergründe und des sozioökonomischen Status.

Da Familienhintergründe und sozioökomische Hintergründe stets Auswirkungen auf die Mathematikleistungen haben (OECD 2007; Stubbe et al. 2012), wurden diese Variablen in der Stichprobenbildung berücksichtigt. Per Selbstauskunft durch die Lernenden wurden erhoben: Alter, Geschlecht, Mehrsprachigkeit (operationalisiert durch Angabe, mit mindestens einem Eltern- oder Großelternteil nicht Deutsch zu sprechen) und Migrationshintergrund (Geburtsland von Lernenden und Eltern, ggf. Alter bei Einwanderung). Für die Erhebung des sozioökonomischen Status wurde auf die oft genutzte, ökonomische Bücherskala mit Illustrationen zurückgegriffen, die gute Reliabilität hat (r = 0,80, vgl. Paulus 2009).

Kognitive Grundfähigkeiten.

Kognitive Grundfähigkeiten wurden mit der Teilskala fluide Intelligenz des Matrizen-Tests BEFKI 7 (adaptiert von Wilhelm et al. 2014) erfasst. In unserer Stichprobe (N = 1122) erreicht er ein Cronbachs Alpha von 0,76.

Sprachkompetenz Deutsch.

Zur Stichprobenbildung wurde die Sprachkompetenz in Deutsch mit einem C‑Test erhoben, der sich zur zeitökonomischen und standardisierten Erfassung eines komplexen Konstrukts von Sprachkompetenz ohne Reduktion auf einzelne sprachliche Teilfertigkeiten mit hinreichender Reliabilität bewährt hat (Grotjahn 1992). Der eingesetzte C‑Test (verkürzt von Daller 1999) bestand aus drei anspruchsvollen Texten. Er zeigt über die 60 Items hinweg eine gute interne Konsistenz (α = 0,77 bei der Stichprobengröße N = 1122). Als Score wurde die Gesamtzahl richtig bearbeiteter Lücken (in drei bearbeiteten Texten) verwendet, bei Erreichen bis 41 Punkten wurden die Lernenden als sprachlich schwach eingestuft, bei 42–60 Punkten als sprachlich stark.

3.4 Ausgangs- und Interventionsstichprobe

Die Ausgangsstichprobe bestand aus N = 1122 Siebtklässlerinnen und Siebtklässlern aus 54 Klassen von 12 nicht-gymnasialen Schulen im Ruhrgebiet, in denen wir viele Lernende mit Verstehensproblemen vermuteten. Ausgewählt für die Intervention wurden mathematisch schwache Lernende (Brüche-Test-Score unter 15 Punkten, einem curricular bestimmten Cut-Off für Verstehensprobleme) mit unterschiedlichen Sprachhintergründen. Tab. 1 zeigt die wichtigsten deskriptiven Daten der Ausgangsstichprobe sowie der leicht verzerrten Interventionsstichprobe. Die Verzerrung dient dem Ziel, mathematisch schwache Lernende mit unterschiedlichen Sprachhintergründen (ein- und mehrsprachig, sprachlich stark oder schwach) in etwa gleich großen Gruppen zu sampeln.

Tab. 1 Deskriptive Daten zur Ausgangs- und Interventionsstichprobe

Die F‑Tests zum Vergleich der Interventionsgruppen zeigen keine signifikanten Differenzen bzgl. Mathematikleistung (F [2, 340] = 0,78, p > 0,05), Sprachkompetenz (F [2, 340] = 1,06, p > 0,05) und kognitiver Grundfähigkeit (F [2, 340] = 0,16, p > 0,05). Die Interventionsgruppen sind auch vergleichbar bzgl. ihrer Verteilung von Alter, Mehrsprachigkeit und sozioökonomischen Hintergrund.

Für die differentiellen Analysen zur Wirksamkeit wurden die in Tab. 2 aufgeführten vier Teilstichproben E+, E−, M+, M− stratifiziert und vergleichbar gemacht, danach randomisiert auf die drei Interventionsgruppen verteilt.

Tab. 2 Deskriptive Daten zu den Teilstichproben in der Interventionsstichprobe

3.5 Quantitative Datenauswertung

Um die Effekte und Effektstärken beider Interventionsformen zu untersuchen, wurden auf Basis des Forschungsstands folgende Hypothesen geprüft:

  • Hypothese 1 [LD > K, D > K]: Lernende aller Sprachhintergründe erzielen in den Förderungen LD und D höhere Lernzuwächse in ihren verstehensbezogenen Mathematikleistungen als die Kontrollgruppe K (kurz: „profitieren mathematisch mehr“).

  • Hypothese 2 [LD/− > LD/+]: Sprachlich schwache Lernende profitieren mathematisch mehr von der lexikalisch-diskursiven Förderung als sprachlich starke.

  • Hypothese 3 [LD/− > D/−]: Sprachlich schwache Lernende profitieren von der lexikalisch-diskursiven Förderung mathematisch mehr als von der rein diskursiven.

  • Hypothese 4 [LD/M > LD/E]: Mehrsprachige profitieren von der lexikalisch-diskursiven Förderung mathematisch mehr als Einsprachige.

  • Hypothese 5 [LD/E + ≯D/E+]: Sprachlich starke Einsprachige profitieren mathematisch von der diskursiven Förderung genauso wie von der lexikalisch-diskursiven Förderung.

Bzgl. der Hypothesen interessieren nicht nur die Ablehnung entsprechender Nullhypothesen, sondern auch Ausdifferenzierungen und die jeweiligen Effektstärken der Leistungszuwächse.

Zur Überprüfung der Hypothesen und Erfassung der Effektstärken wurden Varianzanalysen mit Messwiederholung durchgeführt (ANOVA), mit der Mathematikleistung als jeweilig abhängige Variable sowie der Interventionsgruppenzugehörigkeit und Zeit als Interaktionsfaktoren. Die Intergruppen-Effektstärken werden durch partielle η2 in den Varianzanalysen erfasst, die Intragruppeneffekte von Vor- zu Nachtest bzw. von Vortest zu Follow-Up durch die Mittelwertdifferenzen jeder Gruppe in Bezug zur Standardabweichung.

4 Zur differentiellen Wirksamkeit

4.1 Effekte der Förderungen insgesamt

Ergebnisse zum Vergleich der Interventionsformen.

Tab. 3 zeigt den Vergleich der Interventionsformen für mathematisch schwache Lernende aller Sprachhintergründe: Die Mittelwertvergleiche in Vor- und Nachtest ergeben stärkere Zuwächse in den Gruppen der diskursiven und der lexikalisch-diskursiven Förderung gegenüber der Kontrollgruppe. Die jeweils hohen Effektstärken von dD = 1,05 bzw. dLD = 1,14 sowie der signifikante mittlere Interaktionseffekt von η2 = 0,12 bekräftigen diese im Vergleich zur Kontrollgruppe günstigere Entwicklung. Bei Berücksichtigung der Testwerte aus dem Follow Up-Test wird deutlich, dass auf lange Sicht die Mittelwertdifferenzen der geförderten Gruppen zur Kontrollgruppe kleiner werden. Zwar sind die Effektstärken mit dD = 1,21 und dLD = 1,03 für die Zuwächse in diskursiver und lexikalisch-diskursiver Förderung immer noch sehr hoch sowie der mittlere Interaktionseffekt von η2 = 0,07 auch hier signifikant, jedoch hat im Vergleich zum Brüche-Vortest auch die Kontrollgruppe einen Effekt von dKG = 0,81 zu verzeichnen (siehe Tab. 3). Die stärkeren Vergessenseffekte bei der lexikalisch-diskursiven Förderung zeigen sich durch geringere Effektstärke (dD = 1,21 bzw. dLD = 1,03).

Tab. 3 Verläufe der Mathematikleistungen in den drei Interventionsgruppen

Interpretation zur Hypothese 1.

Die Hypothese 1 [LD > K, D > K] (Lernende aller Sprachhintergründe erzielen in den Förderungen LD und D höhere Lernzuwächse in ihren verstehensbezogenen Mathematikleistungen als die Kontrollgruppe K) kann somit in Bezug auf die Nachhaltigkeit bestätigt und ausdifferenziert werden.

4.2 Differentielle Effekte für sprachlich starke und schwache Ein- und Mehrsprachige

Für die Hypothesen 2, 3, 4 und 5 werden Leistungszuwächse und Effektstärken in den verschiedenen Sprachgruppen (sprachlich stark und schwach bzw. ein- und mehrsprachig) verglichen. In Tab. 4 wird ein entsprechender deskriptiver Überblick über die Mittelwerte und Effektstärken in den verschiedenen Gruppen gegeben, in Tab. 4 alle Anova-Ergebnisse zu den verschiedenen Hypothesen.

Tab. 4 Differentielle Verläufe der Mathematikleistungen für verschiedene Sprachgruppen

Ergebnisse zum Vergleich der sprachlich Starken und Schwachen.

Anhand der Effektstärken von Vor- zu Nachtest mit dLD/+ = 1,16 und dLD/− = 1,21 zeigt sich eine parallele Leistungsentwicklung in den Gruppen LD/+ und LD/−. Auch für die Entwicklung von Vor- zu Follow-Up-Test sind die Effektstärken mit dLD/+ = 1,14 und dLD/− = 1,07 noch relativ vergleichbar (siehe Tab. 4). Die varianzanalytische Betrachtung des Interaktionseffekts liefert sowohl für den Vergleich von Vor- zu Nachtest als auch von Vor- zu Follow-Up-Test sehr kleine F‑Werte nahe 0. Zudem sind die entsprechenden Interaktionseffekte (Zeit × Interventionsgruppenzugehörigkeit) nicht signifikant (siehe Tab. 5).

Tab. 5 ANOVA-Ergebnisse für fünf Hypothesen

Interpretation zur Hypothese 2 [LD/− > LD/+] (Sprachlich schwache Lernende profitieren mathematisch mehr von der lexikalisch-diskursiven Förderung als sprachlich starke): H2 kann abgelehnt werden, denn sprachlich schwache und sprachlich starke Lernende profitieren von der lexikalisch-diskursiven Förderung im gleichen Maße.

Ergebnisse zum Vergleich der Förderungen für sprachlich Schwache.

Für die Gruppe der sprachlich Schwachen zeigt ein Vergleich der Effektstärken tendenziell höhere Leistungszuwächse bei der diskursiven im Vergleich zur lexikalisch-diskursiven Förderung, sowohl von Vor- zu Nachtest (dD/− = 1,36, dLD/− = 1,21) als auch von Vor- zu Follow-Up-Test (dD/− = 1,25, dLD/− = 1,07). Die entsprechenden Varianzanalysen liefern allerdings keinen signifikanten Unterschied, sowohl der Interaktionseffekt für Vor- zu Nachtest als auch für Vor- zu Follow-Up-Test ist nicht signifikant (siehe Tab. 5).

Interpretation zur Hypothese 3 [LD/− > D/−] (Sprachlich schwache Lernende profitieren von der lexikalisch-diskursiven Förderung mathematisch mehr als von der rein diskursiven): H3 wird abgelehnt, die sprachlich schwachen Lernenden profitieren mathematisch gleichermaßen in beiden Interventionsformen.

Ergebnisse zum Vergleich der ein- und mehrsprachigen Lernenden.

Für die einsprachigen und mehrsprachigen Lernenden der lexikalisch-diskursiven Förderung liefert ein Vergleich der Effektstärken von Vor- zu Nachtest mit dLD/E = 1,44 und dLD/M = 1,00, dass einsprachige Lernende in dieser Interventionsform mathematisch mehr profitieren. Diese Tendenz liefern auch die Effektstärken im Vergleich von Vor- zu Follow-Up-Test, wenn auch in beiden Gruppen mit etwas niedrigeren Werten von dLD/E = 1,34 und dLD/M = 0,90 (siehe Tab. 3). Die Ergebnisse der Varianzanalyse sind für die verglichenen Testzeitpunkte hingegen nicht einheitlich: Während der Interaktionseffekt für den Vergleich von Vor- zu Nachtest nicht signifikant ist, liefert der Vergleich von Vor- zu Follow-Up-Test mit p < 0,05 eine Signifikanz für den Interaktionseffekt (siehe Tab. 4).

Interpretation zur Hypothese 4 [LD/M > LD/E] (Mehrsprachige profitieren von der lexikalisch-diskursiven Förderung mathematisch mehr als Einsprachige): H4 muss auf Grundlage der statistischen Analysen abgelehnt und sogar umgedreht werden: nicht Mehrsprachige, sondern Einsprachige profitieren von der lexikalisch-diskursiven Förderung mathematisch langfristig signifikant mehr.

Ergebnisse zum Vergleich der Förderungen für einsprachig sprachlich Starke.

Die Gruppe E+ erreicht in der lexikalisch-diskursiven Förderung Leistungszuwächse mit sehr hohen Effektstärken von dLD/E+ = 1,41 von Vor- zu Nachtest bzw. dLD/E = 1,50 von Vor- zu Follow-Up-Test. Demgegenüber stehen zwar ebenfalls hohe Effektstärken von dD/E+ = 0,94 und dD/E+ = 1,10 in der diskursiven Förderung, im Vergleich zur lexikalisch-diskursiven Förderung sind diese Effektstärken jedoch deutlich geringer (siehe Tab. 3). Auf Grundlage der Varianzanalysen zeigen sich allerdings sowohl für den Vergleich von Vor- zu Nachtest als auch von Vor- zu Follow-Up-Test jeweils nicht signifikante Interaktionseffekte (siehe Tab. 4).

Interpretation zur Hypothese 5 [LD/E + ≯ D/E+] (Sprachlich starke Einsprachige profitieren mathematisch von der diskursiven Förderung genauso wie von der lexikalisch-diskursiven Förderung): H5 kann abgelehnt werden und muss sogar umgedreht werden: Einsprachig sprachlich Starke haben in der lexikalisch-diskursiven Förderung Leistungszuwächse mit tendenziell höheren Effektstärken als in der diskursiven Förderung, wenn auch die varianzanalytische Betrachtung keine signifikanten Unterschiede zeigt.

5 Diskussion

Ziel der Interventionsstudie war es aufzuklären, von welcher Art von fach- und sprachintegrierter Förderung welche Gruppe von Lernenden (E−, E+, M−, M+) bzgl. ihrer Mathematikleistung am meisten profitiert. Der Vergleich der diskursiven Förderung mit der mit lexikalisch-diskursiven Materialien war dabei orientiert an der Theorie und dem vorwiegend qualitativen Forschungsstand zur Sprachförderung im Fach, die sich bzgl. der Bedeutung der Diskursanregungen weitgehend einig sind, aber die Relevanz fokussierter lexikalischer Förderung auf Wort- und Satzebene unterschiedlich einschätzt (vgl. Moschkovich 2015 für Überblick). Da Sprachförderung im Fach bislang hauptsächlich mit Blick auf mehrsprachige Lernende untersucht wurde, gibt es zu den Bedarfen der einsprachigen sprachlich Schwachen und Starken bislang wenig Befunde.

Die Hypothese 1 [LD, D > K] konnte bestätigt und ausdifferenziert werden: Lernende aller Sprachhintergründe erzielen in den beiden Förderungen signifikant höhere Lernzuwächse in ihren Mathematikleistungen als die Kontrollgruppe ohne zusätzliche Förderung. Die lexikalisch-diskursive Förderung hat dabei die größere Effektstärke als die rein diskursive zwischen Vor- und Nachtest, doch diese Effekte drehen sich zum Follow-Up-Test um. Warum sich die diskursive Förderung als nachhaltiger zeigt und die Förderung auf Wort- und Satzebene noch nicht nachhaltig war, muss durch sich anschließende Detailanalysen weiter untersucht werden. Erste Analysen der Videos legen die zu überprüfende Vermutung nahe, dass der Fokus auf die Wort- und Satzebene zum Teil zum Bearbeiten von Oberflächenphänomenen geführt hat.

Die Hypothese 2 [LD/− > LD/+] wurde widerlegt: Ein- und mehrsprachige sprachlich Schwache profitieren nicht mehr von der lexikalisch-diskursiven Förderung als Starke, sondern haben sehr parallele Zuwächse, dies gilt auch für das parallele Vergessen im Follow-Up-Test. Dieses Ergebnis ist insofern interessant, als es einerseits zu den fehlenden Unterschieden in Schreibprodukten von sprachlich Starken und Schwachen passt und somit andererseits erste Indizien gibt, dass keine unterschiedlichen Förderformen für beide Gruppen notwendig sein könnten.

Die Hypothese 3 [LD/− > D/−] wurde ebenfalls widerlegt: Ein- und mehrsprachige sprachlich Schwache profitieren entgegen der Annahme von der diskursiven Förderung tendenziell mehr als von der lexikalisch-diskursiven, auch wenn der Unterschied nicht signifikant wird. Die Tatsache, dass gerade die sprachlich Schwachen von der diskursiven Förderung tendenziell mehr profitieren als die Starken, lässt sich ggf. als Indiz dafür interpretieren, dass die lexikalischen Angebote noch nicht adaptiv genug waren. Dies ist ebenfalls weiter zu prüfen.

Auch die Lernzuwächse der Ein- und Mehrsprachigen sind vergleichbar, daher kann Hypothese 4 [LD/M > LD/E] widerlegt werden. Eine Ausnahme bilden nur die sprachlich starken Einsprachigen: Für diese Gruppe muss Hypothese 5 [LD/E + ≯D/E+] widerlegt werden, denn wider Erwartung profitieren sie nicht von beiden Förderungen im gleichen Maße, sondern deutlich stärker von der lexikalisch-diskursiven Förderung.

Insgesamt zeigt sich somit kurzfristig die Förderung mit dem lexikalisch-diskursiven Material überlegen, mittelfristig zeigt sie allerdings die deutlich höheren Vergessenseffekte im Follow-Up-Test (außer bei den einsprachig sprachlich Starken).

Die übergreifende Frage des Artikels, inwieweit die mehrsprachigen Jugendlichen eine andere fach- und sprachintegrierte Förderung als einsprachige brauchen, kann vor dem Hintergrund der quantitativen Ergebnisse tendenziell eher mit NEIN beantwortet werden, denn die Verläufe sind für beide Interventionsformen jeweils sehr parallel, ebenso für die prinzipielle Unterscheidung von sprachlich Starken und Schwachen, wobei die starken Einsprachigen noch mehr und nachhaltiger lernen. Qualitative Detailanalysen der tatsächlich initiierten Lehr-Lernprozesse in den verschiedenen Interventionsformen sowie kontrastiv für Lernende der verschiedenen Sprachhintergründe stehen noch aus und werden auf Grundlage der Videodaten realisiert.

Insgesamt weist die Studie allerdings noch wichtige methodische Grenzen auf, denn einige gefundene tendenzielle Unterschiede könnten sich bei größeren Stichprobengrößen noch als signifikant herausstellen, dies sollte eine Folgestudie zeigen. Die rein monolingual deutsche Ausrichtung der Interventionen bildet eine weitere Grenze, da sie die familiensprachlichen Ressourcen der mehrsprachigen Lernenden nicht nutzt. Eine weitere Studie der gleichen Arbeitsgruppe untersucht daher derzeit, inwieweit die Nutzung mehrsprachiger Ressourcen das fachliche Lernen unterstützen kann (Schüler-Meyer et al. 2017, i. Dr.).

Vor allem aber müssen mögliche Hintergründe der fehlenden nachhaltigen Wirksamkeit der Förderung mit lexikalisch-diskursivem Material für sprachlich Schwache weiter untersucht werden, um die Follow-Up-Ergebnisse zu verstehen. Die noch andauernden qualitativen Videoanalysen deuten an, dass die Varianz in der tatsächlichen Ausgestaltung deutlich größer sein könnte als die durch das Material selbst initiierten Unterschiede in der impliziten und expliziten Sprachschatzarbeit. Diese Unterschiede und ihre Wirkungen gilt es in Anschlussstudien genauer zu untersuchen. Zudem gibt es Hinweise, dass ein Erklärungsansatz in nicht ausreichender Adaptivität der lexikalischen Lerngelegenheiten für diese Lernendengruppe liegen könnte, die ebenfalls genauer zu untersuchen ist. Andererseits könnte man allerdings auch vermuten, dass eine längerfristige Investition in die Wort- und Satzebene (nicht nur in 5 Sitzungen à 90 min.) vielleicht andere Ergebnisse bringen könnte.

Obwohl die differentiellen Wirksamkeiten also noch weiterer Detailanalysen bzgl. der tatsächlich implementierten sprachlichen Lerngelegenheiten bedürfen, ist die weitgehende Parallelität der Lernprozesse der verschiedenen Sprachgruppen aus Perspektive der Unterrichtspraxis höchst interessant, denn sie deuten bereits jetzt an, dass sprachsensibler Fachunterricht sich nicht für verschiedene Sprachhintergründe grundsätzlich unterscheiden muss. Gerade für sprachlich nicht ausgebildete Fachlehrkräfte könnte der Fokus auf die breite Anregung von Diskurspraktiken daher vorrangig sein. Dies ist mit gutem Fachunterricht in jeder Hinsicht gut zu vereinbaren, wenn auch nicht leichter umzusetzen als die lexikalische Förderung auf Wortebene. Auch einsprachig sprachlich Starke profitieren für ihr Mathematiklernen von den Sprachförderungen, auch dieses Argument sollte helfen, die Fachlehrerinnen und -lehrer von den neuen Chancen zu überzeugen.