1 Einleitung und Fragestellung

Bildungsaspirationen sind ein „cognitive orientational aspect of goal-directed behavior“ (Haller 1968, S. 484). Sie beinhalten eine starke motivationale Komponente zur Förderung bildungsrelevanten Verhaltens (Beal und Crockett 2010) und tragen entscheidend dazu bei soziale Ungleichheiten in Bildungsbeteiligung und -erfolg von Lernenden zu erklären (Maaz et al. 2009; Feliciano und Lanuza 2015). Von daher besteht in der Wissenschaft als auch der Politik ein großes Interesse an der Identifizierung der Determinanten von Aspirationen und ihres soziale Ungleichheiten erklärenden Beitrages (Gutman und Akerman 2008). Diese Studie greift das bestehende Interesse auf und fragt, warum Unterschiede nach der sozialen Herkunft in der Aspirationshöhe von Lernenden bestehen und welchen Beitrag ausgewählte Erklärungsfaktoren zu einer Reduktion dieser Ungleichheiten leisten.

Ein in der Bildungssoziologie prominenter Erklärungsansatz der Aspirationsformation von Lernenden ist das Wisconsin Modell des Statuserwerbs (WSC) (Sewell et al. 1969, 1970). Nach der Theorie sind die sozial differenzierten Aspirationen der Lernenden das Ergebnis ihrer schulischen Performanz sowie der Aspirationen und Erwartungen signifikanter Anderer, also von Personen welche einen besonderen Einfluss auf die Lernenden ausüben. Die im sozialen Umfeld bestehenden Aspirationen und Erwartungen werden zusammen mit den erbrachten schulischen Leistungen im Rahmen eines selbst-reflexiven Prozesses durch die Lernenden bewertet (Woelfel und Haller 1971). Im Ergebnis zeigen sich soziale Unterschiede in den Bildungsaspirationen. Diese bilden die motivationale Grundlage des Statuserwerbs.

Zahlreiche Beiträge aus den Vereinigten Staaten haben die theoretischen Annahmen des WSC überprüft und bestätigt (vgl. zum Forschungsstand z. B. Buchmann und Dalton 2002; Sewell et al. 2003). Die Übertragbarkeit dieser Studien auf andere institutionelle Bildungskontexte ist in den vergangenen Jahren jedoch zunehmend in Frage gestellt worden (Buchmann und Dalton 2002; Buchmann und Park 2009). Buchmann und Kollegen argumentieren, dass in stark stratifizierten Bildungssystemen, wie dem Deutschlands, soziale Einflussmechanismen für eine Erklärung sozial differenzierter Bildungsaspirationen unerheblich sind. Aufgrund der leistungsbasierten Selektion zu Beginn der Sekundarstufe entstehen ihrer Ansicht nach homogene Lernmilieus auf den verschiedenen Schulformen, die wenig Raum für interpersonelle Einflüsse bieten. Die Bildungsaspirationen der Lernenden sollten daher maßgeblich durch die in der Sekundarstufe besuchte Schulform geprägt sein und nicht durch die Erwartungen und Aspirationen im sozialen Umfeld der Lernenden. Ihre mit Daten der Trends in International Mathematics and Science Study (TIMSS) durchgeführten Analysen bekräftigen die Annahme. Die Befunde werden aber von den überwiegend auf geographisch begrenzten Stichproben beruhenden Studien anderer Autoren und Autorinnen in Deutschland nicht bestätigt. Dort finden sich regelmäßig Zusammenhänge zwischen Aspirationen und Erwartungen des sozialen Umfeldes und Bildungsaspirationen der Lernenden (Watermann und Maaz 2006; Schuchart 2010; Roth 2014, 2017; Salikutluk 2016). Die Forschungslage in Deutschland ist somit nicht eindeutig. Unklar bleibt in den genannten Arbeiten leider auch, welchen Beitrag einzelne Erklärungsfaktoren, wie die schulischen Leistungen oder die bei Eltern, Freunden und Lehrkräften bestehenden Aspirationen bzw. Erwartungen für eine Reduktion sozialer Ungleichheiten in den Bildungsaspirationen der Lernenden leisten. Diese Informationen wären interessant, da sich hieraus wissenschaftliche und bildungspolitische Implikationen für eine Reduktion bestehender sozialer Ungleichheiten im Sekundarschulbereich, wie bei der Wahl alternativer Bildungswege nach Beendigung der Sekundarschule ableiten lassen (Buchholz und Schier 2015).

Im Gegensatz zu den bisher in Deutschland durchgeführten Studien, nutzt dieser Beitrag explizit die im Sekundarschulbereich bestehende Stratifikation und die damit einhergehende Trichotomie der Schulabschlussalternativen in den statistischen Analysen. Hierzu wird ein konditionales logistisches Regressionsmodell verwendet (Greene 2012, S. 802 ff.). Dieses bietet für eine Überprüfung der theoretischen Annahmen des WSC in Deutschland drei entscheidende Vorteile gegenüber den überwiegend verwendeten binären logistischen Regressionsverfahren: Erstens erlaubt es eine adäquatere statistische Modellierung der drei in Deutschland verfügbaren Schulabschlüsse und der hiermit korrespondierenden Bildungsaspirationen der Lernenden (vgl. Schimpl-Neimanns 2000). Zweitens ermöglicht es die Betrachtung von alternativenspezifischen Merkmalen, insofern diese Variation innerhalb eines Individuums aufweisen. Das hier verwendete konditionale Logit ist demnach eine Regression mit fixen Effekten, bei der nicht Zeitpunkte, sondern Alternativen in Individuen genestet sind. Der Vorteil ist, dass für alle zwischen den Alternativen konstanten Merkmale kontrolliert wird, auch wenn diese nicht gemessen wurden. Der Datensatz des Nationalen Bildungspanels (NEPS) (Blossfeld und von Maurice 2011) hält alternativenspezifische Messungen der bei Eltern und Freunden bestehenden Erwartungen bzw. Aspirationen zur Verfügung. Insbesondere für diese beiden Personengruppen ist daher eine gewisse Annäherung an die von dem WSC prognostizierten kausalen Einflussmechanismen möglich. Drittens, lassen sich durch die Bildung von Interaktionstermen auch zwischen den Alternativen konstante, individuenspezifische Merkmale, wie die Schulnoten der Lernenden oder deren soziale Herkunft modellieren. Diese Eigenschaft des konditionalen Logits ermöglicht eine Beantwortung der Frage, welchen Beitrag einzelne Faktoren zu einer Reduktion der sozialen Ungleichheiten in den Bildungsaspirationen leisten. Zusammenfassend erweist sich das konditionale Logit als ein statistisches Auswertungsverfahren, welches aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften besonders gut dafür geeignet ist, den von dem WSC prognostizierten, selbst-reflexiven Prozess der Lernenden in Deutschland abzubilden.

Der Artikel ist folgendermaßen strukturiert: In dem folgenden zweiten Abschnitt wird zunächst das WSC und die dazugehörigen theoretischen Annahmen vorgestellt. Zusätzlich wird die empirische Literatur referiert, welche diese Annahmen überprüft. Das hierauf folgende dritte Kapitel informiert über die verwendeten Daten und Methoden, bevor in dem vierten Teil die Ergebnisse präsentiert und in Abschnitt fünf diskutiert werden.

2 Theoretischer Hintergrund und empirische Evidenz

2.1 Das Wisconsin Modell des Statuserwerbs (WSC)

Ansätze aus der Sozialpsychologie und Soziologie verweisen auf unterschiedliche Normen, Einstellungen und Werte in den sozialen Klassen für eine Erklärung sozialer Disparitäten in Bildungserfolg und Bildungsbeteiligung. Es wird davon ausgegangen, dass weniger privilegierte Klassen über ein ihnen nachteiliges Wertesystem und eine tendenziell eher pessimistische Einstellung zur sozialen Mobilität verfügen (Hyman 1966). Sewell und Kollegen integrieren diese Annahmen in das WSC (Sewell et al. 1969, 1970). Sie argumentieren, dass die Vermittlung sozial differenzierter Normen, Einstellungen und Werte auf die Lernenden maßgeblich durch gruppenspezifisch variierende Ansprüche und Erwartungen signifikanter Anderer erfolgt. Signifikante Andere, wie Eltern, Freunde, Mitlernende und Lehrende dienen als Referenzgruppe (Sewell et al. 1969, S. 84 ff.). Die Referenzgruppe und die durch diese an die Lernenden im Rahmen von Interaktion und Observation übermittelten Informationen sind weitestgehend durch die mit der sozialen Herkunft der Lernenden verbundenen Gelegenheitsstrukturen und Leistungen determiniert. In einem selbst-reflexiven Prozess evaluieren die Lernenden die Informationen in Verbindung mit der von ihnen erbrachten schulischen Leistung (Sewell et al. 1970) und bilden klassentypische Bildungsaspirationen heraus (Woelfel und Haller 1971). Diesen liegen motivationale Unterschiede zur Erlangung bestimmter Bildungszertifikate bzw. beruflicher Statuspositionen zugrunde (Stocké et al. 2011). In der Konsequenz mediieren die sozial differenzierten Aspirationen den Zusammenhang zwischen sozioökonomischen Status und Bildungs- als auch Berufswahlverhalten der Lernenden.

Referenzgruppeneinflüsse basieren auf einer normativen und komparativen Komponente. Normative Einflüsse gehen nach den Annahmen von Sewell und Kollegen sowohl von den Eltern und Lehrenden als auch den Mitlernenden und Freunden aus. Aufgrund des bestehenden Konformitätsdrucks und der Vermeidung kognitiver Dissonanz adaptieren die Lernenden die an sie gerichteten Bildungserwartungen von Eltern und Lehrenden und imitieren die Bildungsaspirationen von Gleichaltrigen. Die Bildungsaspirationen der Gleichaltrigen haben aber auch eine komparative Funktion, denn sie eröffnen den Lernenden kognitive Vergleichsmöglichkeiten mit ihnen ähnlichen Personen (Sewell et al. 1969, S. 87; Woelfel und Haller 1971).

Die beiden Ausgangsmodelle des WSC fassen die durch die Lernenden in ihrem im sozialen Umfeld wahrgenommenen Aspirationen und Erwartungen in einem Index zusammen (Sewell et al. 1969, 1970). Die Theorie erlaubt somit keine Hypothesen über den Erklärungsbeitrag einzelner signifikanter Anderer für die nach Leistung und sozialer Herkunft differenzierten Bildungsaspirationen. Unklar bleiben auch die im Rahmen der Einflussnahme anzunehmenden interpersonellen Mediationsprozesse. Von daher bietet sich ein Rückgriff auf bereits bekannte Kriterien und Mechanismen interpersoneller Einflüsse, wie Dauer, Intimität und Intensität einer Beziehung an (Granovetter 1973). Nach diesen Kriterien sollte der Einfluss von Eltern und Freunden aufgrund der größeren Dauer, Intimität und Intensität der Beziehung zunächst den von Mitlernenden und Lehrkräfte überwiegen. Das relative Gewicht von Eltern und Freunden für eine Reduktion der sozialen und leistungsbasierten Ungleichheiten bleibt jedoch unklar. Es kann gezeigt werden, dass bei Zielen mit langfristigen Auswirkungen, wie Bildungsaspirationen, den Eltern eine vergleichsweise höhere Kompetenz zugewiesen wird als den Freunden (Williams 1972; Kandel 1996). Da die Bildungserwartungen der Eltern auf der mit ihren Kindern geteilten sozialen Klassenposition und deren schulischer Performanz beruhen, sollten die elterlichen Erwartungen daher den größten Erklärungsbeitrag für die soziale als auch leistungsbasierte Differenzierung der Bildungsaspirationen der Lernenden leisten. Quantitativ geringer sollte der Beitrag der Aspirationen der Freunde ausfallen, denn leistungs- und herkunftsbasierte Merkmale sind nur ein Bestandteil homophiler Selektionsprozesse durch die Lernenden (Kandel 1986). Hinsichtlich der vermuteten interpersonellen Mediationsprozesse ist anzunehmen, dass Eltern die Aspirationen ihrer Kinder sowohl direkt mit ihren Erwartungen als auch indirekt über die Mitsprache bei der Wahl der Freunde beeinflussen (Kandel 1996). Demnach sollte sich ein Teil des Zusammenhanges zwischen elterlichen Erwartungen und kindlichen Aspirationen über die Aspirationen der Freunde vermitteln.

Die in der gegenwärtigen wissenschaftlichen Literatur vorgenommene Trennung in realistische und idealistische Bildungsaspirationen (Wells et al. 2011) wird in den beiden Ausgangsmodellen des WSC nicht aufgegriffen. Haller selbst weist jedoch auf die konzeptionellen Unterschiede hin: „Lewin wisely distinguished between what he called ‚real‘ and ‚ideal‘ aspirations, the former being what the person thought he might really be able to attain, and the latter what he hoped to attain if all went well“ (Haller 1968, S. 484). Angenommen wird, dass die in den idealistischen Aspirationen enthaltene motivationale Grundlage der Zielerreichung auch die realistischen Bildungsaspirationen beeinflusst (Paulus und Blossfeld 2007). Idealistische Bildungsaspirationen sind von daher bedeutender für eine Erklärung des zukünftigen Bildungserfolges. Da das WSC konzeptionell nicht zwischen beiden Aspirationsarten unterscheidet, lassen sich auch deren Determinanten nicht eindeutig aus der Theorie ableiten. Anzunehmen ist, dass die hier beschriebenen theoretischen Zusammenhänge auf beide Aspirationsarten zutreffen. Unterschiede sollten aber in der sozialen Einflussnahme durch die signifikanten Anderen bestehen. Es ist zu erwarten, dass die idealistischen Aspirationen der Lernenden maßgeblich durch die idealistischen Erwartungen und Aspirationen signifikanter Anderer geprägt werden. Da die realistischen Aspirationen den motivationalen Kern der idealistischen Aspirationen beinhalten, sollten sie sowohl von den realistischen als auch den idealistischen Aspirationen und Erwartungen der Bezugsgruppe beeinflusst sein (vgl. Stocké 2013).

2.2 Empirische Evidenz

Die folgenden drei Abschnitte fassen die empirische Evidenz zu den theoretischen Annahmen des WSC zusammen. Neben den für Deutschland aufgeführten Studien werden aufgrund der intensiven Forschungstätigkeit auch US-amerikanische Untersuchungen mitberücksichtigt.

2.2.1 Signifikante Andere als Determinante von Bildungsaspirationen

Die Bedeutung der im sozialen Umfeld der Lernenden bestehenden Erwartungen und Aspirationen als einer Determinante ihrer Bildungsaspirationen wird von verschiedenen Studien bestätigt. Mehrere Analysen in den Vereinigten Staaten zeigen mit regionalen (Sewell et al. 1969, 1970; Davies und Kandel 1981; Bozick et al. 2010) als auch nationalen (Cheng und Starks 2002; Wells et al. 2011; Feliciano und Lanuza 2015), auf Quer- und Längsschnitten beruhenden Daten, dass hohe Erwartungen und Aspirationen signifikanter Anderer vorteilhaft für die Bildungsaspirationen der Lernenden sind. Im Vergleich zu den Aspirationen der Freunde weisen die elterlichen Erwartungen eine stärkere Assoziation mit den Aspirationen ihrer Kinder auf (Davies und Kandel 1981; Wells et al. 2011). Auch in der Studie von Buchmann und Dalton (2002) stehen die durch die Lernenden subjektiv wahrgenommenen fachspezifischen Leistungserwartungen von Eltern und Freunden in einem signifikant positiven Verhältnis mit den Aspirationen der Lernenden. Allerdings zeigt sich dieses Ergebnis nur für Länder mit einem gering stratifizierten Bildungssystem, wie beispielsweise die Vereinigten Staaten. In Ländern mit stark stratifizierten Bildungssystemen, darunter Deutschland, lassen sich diese Zusammenhänge nicht bestätigen.

Die Untersuchungsergebnisse von Buchmann und Dalton (2002) stehen im Widerspruch zu den Resultaten anderer Studien, die jedoch mehrheitlich auf binären logistischen Regressionsanalysen und geographisch begrenzten deutschen Stichproben beruhen. Roth (2014) und Salikutluk (2016) untersuchen mit Querschnittsdaten einer Stichprobe von Lernenden aus Gesamt- und Realschulen der Bundesländer Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen Einflüsse der Bezugsgruppe auf die Bildungsaspirationen der Lernenden. Roth (2014) zeigt, dass die Abituraspiration des besten Freundes positiv mit der Abituraspiration der Lernenden in der Sekundarstufe assoziiert ist. Salikutluk (2016) belegt diesen Befund auch für die Bildungserwartung der Mutter. Die von Salikutluk (2016) gefundenen Zusammenhänge kann Roth (2017) auch mit Daten des Nationalen Bildungspanels, Startkohorte Klassenstufe neun, bestätigen. Weitere Belege für eine positive Assoziation zwischen den Erwartungen der signifikanten Anderen und den Bildungsaspirationen der Lernenden finden sich in Studien mit Lernenden der Hauptschule in Niedersachsen (Schuchart 2010) und der gymnasialen Oberstufe in Baden-Württemberg (Watermann und Maaz 2006).

2.2.2 Schulische Performanz als Determinante von Bildungsaspirationen

Vielfältig belegt ist die positive Assoziation zwischen schulischer Performanz und Aspirationen der Lernenden. Im US-Kontext zeigt sich dieser Zusammenhang für den Notendurchschnitt (Davies und Kandel 1981) und die Fachnoten in Mathematik und Englisch (Cheng und Starks 2002). In Deutschland für die Abiturnote (Watermann und Maaz 2006), den Notendurchschnitt (Schuchart 2010; Salikutluk 2016) und die Fachnoten in Deutsch sowie Mathematik (Roth 2014, 2017). Während Studien aus den Vereinigten Staaten eine partielle Mediation der Assoziation zwischen schulischer Performanz und Bildungsaspirationen durch die Erwartungen und Ansprüche signifikanter Anderer belegen (Sewell et al. 1970; Davies und Kandel 1981), steht dieser Befund für Deutschland bislang aus.

2.2.3 Soziale Herkunft als Determinante von Bildungsaspirationen

Buchmann und Dalton (2002) belegen für elf von zwölf untersuchten Ländern, darunter Deutschland und die Vereinigten Staaten, eine soziale Differenziertheit von Bildungsaspirationen. Zahlreiche der im US-Kontext durchgeführten Studien bekräftigen dieses Ergebnis (Sewell et al. 1970; Wells et al. 2011; Feliciano und Lanuza 2015). Darüber hinaus zeigen verschiedene Beiträge aus den Vereinigten Staaten, dass die Assoziation zwischen sozialer Herkunft und Bildungsaspirationen der Lernenden durch die schulische Performanz und die im sozialen Umfeld bestehenden Aspirationen und Erwartungen vermittelt wird (Sewell et al. 1970; Davies und Kandel 1981). Im Vergleich zu den Aspirationen der Freunde mediieren die elterlichen Erwartungen einen größeren Anteil des Zusammenhanges zwischen sozialer Herkunft und Bildungsaspirationen der Lernenden (Davies und Kandel 1981).

Auch in Deutschland bestätigt sich die positive Assoziation zwischen der auf unterschiedliche Weise operationalisierten sozialen Herkunft des Elternhauses und den Bildungsaspirationen der Lernenden (Watermann und Maaz 2006; Schuchart 2010; Roth 2014, 2017; Salikutluk 2016). Watermann und Maaz zeigen für Lernende des Allgemeinbildenden Gymnasiums, dass der Zusammenhang zwischen dem HISEI des Elternhauses und den Bildungsaspirationen der Lernenden, unter Kontrolle der schulischen Performanz, partiell durch den Einbezug weiterer erklärender Variablen, darunter die Erwartungen signifikanter Anderer, mediiert wird (Watermann und Maaz 2006). Salikutluk belegt, dass die positive Beziehung zwischen Bildungshintergrund der Eltern und Bildungsaspirationen der Lernenden partiell durch deren Notendurchschnitt und Testleistungen als auch durch die im sozialen Umfeld der Lernenden bestehenden Aspirationen und Erwartungen vermittelt wird (Salikutluk 2016). Durch den simultanen Einbezug weiterer erklärender Variablen bleibt die relative Höhe des mediierenden Beitrages der Erwartungen bzw. Aspirationen signifikanter Anderer bei Watermann und Maaz (2006) sowie Salikutluk (2016) aber unklar. Die Studie von Roth (2017) erlaubt ebenfalls keine Rückschlüsse auf den Mediationsbeitrag der WSC-Determinanten. Roth (2014) und Schuchart (2010) nehmen ebenfalls keine Mediationsanalyse vor. Von daher existieren in der deutschen Forschung bislang kaum Informationen darüber, ob und in welchem Umfang intervenierende Variablen des WSC, wie die akademische Performanz der Lernenden bzw. die in ihrem sozialen Umfeld bestehenden Aspirationen und Erwartungen zu einer Reduktion des Zusammenhanges zwischen sozialer Herkunft und Bildungsaspirationen der Lernenden führen.

2.3 Fragestellung und Hypothesen

Aus der in der Einleitung und dem Theorieteil dargestellten theoretischen Diskussion lassen sich die folgende Fragestellung: Welchen Beitrag leisten die von dem WSC prognostizierten Determinanten unter Kontrolle der Schulform zu einer Erklärung der sozial differenzierten idealistischen Bildungsaspirationen der Lernenden in der Sekundarstufe? und die dazugehörigen Hypothesen ableiten:

H1.

Unter Kontrolle der Schulform weisen Lernende nach ihrer sozialen Klassenposition differenzierbare Aspirationen auf. Je privilegierter die soziale Klassenposition ist, desto größer sind auch die Chancen der Lernenden auf höhere Bildungsaspirationen.

H2.

Aspirationen variieren mit der schulischen Performanz. Je vorteilhafter die Performanz der Lernenden ist, desto größer sind ihre Chancen auf höhere Bildungsaspirationen.

H3.

Die schulische Performanz variiert mit der sozialen Klassenposition. Der zwischen sozialer Klassenposition und Aspirationen bestehende Zusammenhang sollte partiell durch die schulische Performanz der Lernenden mediiert werden.

H4.

Die Aspirationen der Lernenden stehen in einem Zusammenhang mit den Aspirationen und Erwartungen des sozialen Umfeldes. Je höher diese Erwartungen und Aspirationen sind, desto vorteilhafter sind auch die Chancen der Lernenden auf höhere Aspirationen.

H5.

Die relative Bedeutung der Bezugspersonen für eine Mediation des Zusammenhanges zwischen sozialer Herkunft, schulischer Performanz und Bildungsaspirationen der Lernenden variiert. Den quantitativ größten Beitrag sollten die elterlichen Erwartungen, gefolgt von den Aspirationen der Freunde leisten.

H6.

Eltern beeinflussen die Aspirationen ihrer Kinder auch indirekt über eine Einflussnahme bei der Freundeswahl der Kinder. Ein Teil des Zusammenhanges zwischen Erwartungen der Eltern und Aspirationen der Kinder sollte daher durch die Aspirationen der Freunde mediiert werden.

H7.

Durch die Erwartungen und Aspirationen des sozialen Umfeldes kommt es zu einer vollständigen Mediation der Assoziation von sozialer Klassenposition und Bildungsaspirationen und zu einer partiellen Reduktion des Zusammenhanges von schulischer Performanz und Bildungsaspirationen.

3 Methode

3.1 Daten

Zur Überprüfung der Hypothesen wurden Daten der Startkohorte Klassenstufe 5 des Nationalen Bildungspanels (NEPS) verwendet (vgl. Blossfeld und von Maurice 2011).Footnote 1 Zielpersonen waren alle Lernenden der Klassenstufe 5, die eine staatlich anerkannte Schule mit überwiegend deutschsprachigem Unterrichtsangebot in Deutschland im Schuljahr 2010/2011 besucht haben. Die Ziehung der Stichprobe beruhte auf einem zufälligen, zweistufigen Ziehungsverfahren, bei dem zunächst Schulen und darauffolgend Klassen innerhalb dieser Schulen gezogen wurden. Die jährlichen schriftlichen Befragungen von Lernenden im schulischen Kontext und die computerunterstützen, telefonischen Befragungen einer elterlichen Bezugsperson fanden beginnend mit der Klassenstufe 5 im Jahr 2010 bis zur Klassenstufe 9 im Jahr 2014 statt. Zu Beginn der Klassenstufe 9 waren die Lernenden im Durchschnitt 14 Jahre alt. Informationen lagen von insgesamt 8317 Lernenden bzw. deren Eltern vor. Lernende an Förderschulen (N = 587) fanden keine Berücksichtigung, da bei dieser Gruppe keine Informationen über die Abschlussaspirationen vorlagen. Damit reduzierte sich die Stichprobe auf insgesamt 7730 Fälle. Weiterhin wurden nur Fälle berücksichtigt bei denen zum Zeitpunkt der Klassenstufe 8 Informationen von Eltern oder Lernenden vorhanden waren. Dies traf auf 6658 von 7730 Fällen zu. Um weitere, nicht gemessene Einflüsse auf die abhängige Variable im Zeitverlauf von der Klassenstufe 8 zur Klassenstufe 9 auszuschließen, wurden alle Lernenden, die in diesem Zeitverlauf einen Schulwechsel bzw. Klassenwechsel vollzogen haben von den Analysen ausgeschlossen (N = 219). Dies traf auch auf Fälle zu, bei denen keine Informationen über die in der Klassenstufe 8 und 9 besuchte Schulform vorlagen (N = 658). Weitere 885 Fälle konnten in den Analysen nicht berücksichtigt werden, da hier fehlende Werte bei der abhängigen Variablen vorlagen. Nach Beachtung dieser Limitationen standen 4896 Fälle für die statistische Auswertung zur Verfügung.

3.2 Abhängige Variable

Die idealistische Bildungsaspiration der LernendenFootnote 2 wurde in der Klassenstufe 9 ermittelt. Die Lernenden wurden gefragt, welchen Schulabschluss (kein Abschluss, Hauptschulabschluss, qualifizierender bzw. erweiterter Hauptschulabschluss, Mittlere Reife, Fachabitur oder Abitur) sie sich wünschen. Aus den Antwortoptionen wurden drei Kategorien gebildet „Hauptschulabschluss“ (kein Abschluss, einfacher, qualifizierender und erweiterter Hauptschulabschluss), „Mittlere Reife“ und „Abitur“ (Fachabitur und Abitur). Die Tab. 1 gibt einen detaillierten Überblick über die in den Analysen verwendeten Variablen.

Tab. 1 Maßzahlen der Variablen

3.3 Unabhängige Variablen

Die elterliche Klassenposition wurde über eine aus drei Kategorien bestehende Variante des EGP-Klassenschemas (vgl. Erikson et al. 1979) erfasst. Sie besteht aus der Dienstklasse (Klassen I und II), der gemischten Klasse (Klassen IIIa, IVabc und V) und der Arbeiterklasse (Klassen IIIb, VI, VIIa und VIIb) (Goldthorpe 2000, S. 209). In die Analysen geht nur der Elternteil mit der höchsten Klassenlage ein. Relevant für eine Eingruppierung ist der zuletzt ausgeübte Beruf dieses Elternteiles.

Die schulische Performanz wurde über den Notendurchschnitt und die Notenentwicklung der Lernenden abgebildet. Für den Notendurchschnitt wurden die durch die Lernenden in der Klassenstufe 8 selbstberichteten Zeugnisnoten in den Fächern Deutsch und Mathematik aus dem Vorjahr verwandt. Aus den Zeugnisnoten wurde ein Durchschnittswert errechnet und dieser von 0 „ungenügend“ bis 5 „sehr gut“ rekodiert. Die Notenentwicklung wurde über einen Differenzscore (t2 − t1) aus dem Notendurchschnitt der Zeugnisnoten der Klassenstufe 7 und 8 gebildet. Positive Werte weisen auf eine Notenverbesserung, negative auf eine Notenverschlechterung hin.

Die im Klassenkontext bestehenden Bildungserwartungen wurden über die von den Zielpersonen subjektiv wahrgenommenen Leistungserwartungen der Mitlernenden und die Leistungserwartungen der Lehrkraft im Fach Deutsch ermittelt. Die Lernenden wurden gefragt inwieweit die Aussagen „die meisten meiner Klassenkameradinnen und Klassenkameraden erwarten von mir, dass ich mich in der Schule sehr anstrenge“ bzw. „ich denke, meine Deutschlehrerin oder mein Deutschlehrer erwartet von mir, dass ich mich sehr anstrenge“ auf ihr Klassenumfeld zutrifft. Das Antwortformat beider Fragen reichte von 1 „trifft gar nicht zu“ bis 5 „trifft völlig zu.“

Ebenfalls von den Lernenden subjektiv wahrgenommen sind die Bildungsaspirationen der Freunde. Die Lernenden wurden hierzu gefragt, wie viele Personen aus ihrem Freundeskreis vorhaben einen Hauptschulabschluss, die Mittlere Reife bzw. das Abitur zu machen. Antwortoptionen bestanden in Form einer siebenstufigen Ratingskala (von 1 „keine“ bis 7 „alle“).Footnote 3

Die idealistischen Bildungserwartungen der Eltern für die Lernenden stammen von dem befragten Elternteil.Footnote 4 Der betreffende Elternteil wurde hierzu gefragt, welchen Schulabschluss (Hauptschulabschluss, Mittlere Reife oder Abitur) er bzw. sie sich für das Kind wünscht. Die Variable wurde analog zu der abhängigen Variablen kodiert.

Bei der besuchten Schulform der Lernenden wurde zwischen Gymnasium, Hauptschule, Realschule, Integrierter Gesamtschule und Schulen mit mehreren Bildungsgängen unterschieden (Baumert et al. 2006).

Als Kovariaten wurden der Migrationshintergrund und das Geschlecht der Lernenden verwendet.

Bis auf die Notenentwicklung wurden alle unabhängigen Variablen und die Kovariaten zum Zeitpunkt Klassenstufe 8 erhoben.

3.4 Statistisches Vorgehen und Umgang mit fehlenden Werten

Für die Analyse der sozial differenzierten Bildungsaspirationen von Lernenden wurden konditionale logistische Regressionsanalysen (Greene 2012, S. 802 ff.) herangezogen, um sowohl alternativenspezifische als auch individuenspezifische Erklärungsfaktoren zu erfassen. Für eine empirische Überprüfung der Fragestellung und der dazugehörigen Hypothesen wurden mehrere hierarchische Regressionsmodelle geschätzt. In Tab. 2 und 3 sind die Ergebnisse dieser konditionalen logistischen Regressionsanalysen der idealistischen Bildungsaspirationen der Lernenden auf die besuchte Schulform, höchste soziale Klassenzugehörigkeit der Eltern und die Determinanten des WSC abgebildet. Die dargestellten Regressionskoeffizienten beschreiben – unter Konstanthaltung aller übrigen Merkmale – die logarithmierten Chancen der Lernenden sich einen Hauptschulabschluss (HS) bzw. ein Abitur (Abi) anstatt eines Abschlusses der Mittleren Reife (MR) zu wünschen. In allen Modellen wird für das Geschlecht der Lernenden und den Migrationshintergrund kontrolliert. Da anzunehmen ist, dass sich die Lernenden innerhalb einer Schule ähnlicher sind als Lernende zwischen den Schulen, wurden in allen Modellen robuste Standardfehler auf der Basis von Schulclustern geschätzt.

Tab. 2 Regression der Bildungsaspirationen der Lernenden auf die Schulform und die Determinanten des WSC
Tab. 3 Regression der Bildungsaspirationen der Lernenden auf die Schulform und die Determinanten des WSC

Da eine Mediationsanalyse das zentrale Anliegen dieser Untersuchung ist, waren weitere statistische Korrekturverfahren notwendig, welche die Schätzung des ausschließlich auf die Mediation zurückgehenden Veränderungsanteil einer Variablen zwischen Modellen erlauben. Das hier verwandte Verfahren wurde von Karlson et al. (2012) entwickelt. Es korrigiert für die modellinhärente Reskalierung in logistischen Regressionsmodellen. Alle der hier beschriebenen Analysen wurden mit dem Statistikprogramm StataFootnote 5 durchgeführt.

Die aufgrund von Unit- und Item-Nonresponse bestehenden fehlenden Werte wurden mittels multipler Imputation geschätzt (Rubin 1987; Allison 2000). Im Rahmen dieses Verfahrens wurden die fehlenden Werte durch mehrere plausible Werte ersetzt und diese in den anschließenden Analysen miteinander kombiniert. Grundlage dieser Untersuchung sind 100 vervollständigte Datensätze. Für die Generierung dieser Datensätze wurden alle Analysevariablen und eine kleinere Anzahl an Hilfsvariablen verwendet. In den statistischen Auswertungen wurden nur Fälle berücksichtigt, bei denen die abhängige Variable keine fehlenden Werte aufwies (vgl. White et al. 2011).

4 Ergebnisse

Das erste Modell in Tab. 2 überprüft zunächst die Annahme einer sozialen Differenziertheit der idealistischen Bildungsaspirationen der Lernenden unter Berücksichtigung der jeweils besuchten Schulform (H1). Offensichtlich ist die vorteilhafte Lage von Lernenden an Gymnasien. Im Vergleich zu Lernenden der Hauptschule und Schulen mit mehreren Bildungsgängen weisen diese signifikant niedrigere logarithmierte Chancen auf, sich einen HS anstatt der MR zu wünschen. Zudem sind die logarithmierten Chancen auf den Schulabschlusswunsch Abi im Vergleich zu einer MR von Lernenden an Gymnasien signifikant höher als die von Lernenden aller übrigen Schulformen. Indikatoren für die soziale Klassenposition in Modell 1 (Tab. 2) weisen darauf hin, dass Klassenunterschiede nur für den Kontrast Abi versus MR bestehen. Im Vergleich zur Dienstklasse verfügen Lernende der Arbeiterklasse und der gemischten Klasse über signifikant niedrigere logarithmierte Chancen für den Abschlusswunsch Abi versus MR. Dieses Ergebnis bekräftigt die erste Hypothese.

In dem nächsten Modell 2 (Tab. 2) bestätigen sich auch die in Hypothese 2 prognostizierten positiven Zusammenhänge zwischen schulischer Performanz und Aspirationen der Lernenden. Liegt die Durchschnittsnote eine Notenstufe über dem Stichprobenmittel, beziehungsweise verbessern sich die Durchschnittsnoten im Verlauf von der Klassenstufe 7 zur Klassenstufe 8 um eine Noteneinheit (Notenentwicklung), dann weisen die Lernenden statistisch signifikant positive logarithmierte Chancen auf höhere Schulabschlussaspirationen auf. Die schulische Performanz vermittelt auch einen Teil der sozialen Herkunftsunterschiede in den Aspirationen (H3). Im Vergleich zur Dienstklasse reduziert sich der in Modell 1 (Tab. 2) für den Kontrast Abi versus MR gezeigte, signifikant negative Zusammenhang nach Modell 2 (Tab. 2) um −23,92 % für die Arbeiterklasse und −30,87 % für die gemischte Klasse. In Folge dieser Reduktion ist der zwischen gemischter Klasse und Dienstklasse bestehende Unterschied in den Bildungsaspirationen für ein Abitur versus MR nur noch marginal signifikant (p < 0,1).

Weiterhin wird vermutet, dass die Bildungsaspirationen der Lernenden positiv mit den Aspirationen und Erwartungen des sozialen Umfeldes assoziiert sind (H4) und dass die relative Bedeutung der sozialen Bezugspersonen für eine Mediation des Zusammenhanges zwischen sozialer Herkunft, schulischer Performanz und Bildungsaspirationen variiert. Die elterlichen Erwartungen, gefolgt von den Aspirationen der Freunde, sollten nach Hypothese 5 den größten Beitrag zur Mediation der in Modell 2 gefundenen Unterschiede nach der sozialen Klassenposition und schulischen Performanz leisten. Um diese Annahmen zu prüfen werden vier weitere Modelle vorgestellt. Modell 3 von Tab. 2 überprüft zunächst den Erklärungsbeitrag der Leistungserwartungen der Lehrkraft. Während die Leistungserwartungen der Lehrkraft für den Kontrast HS vs. MR insignifikant ist, zeigt sich für den Kontrast Abi vs. MR ein signifikant positiver Zusammenhang. Demnach weisen Lernende, welche die am Stichprobenmittel zentrierte Leistungserwartung ihrer Lehrkraft als überdurchschnittlich wahrnehmen, höhere logarithmierte Chancen auf den Schulabschlusswunsch Abi versus MR auf. Der Mediationsbeitrag dieser Variablen ist jedoch gering, wie an der entsprechenden Veränderung der Koeffizienten der Arbeiterklasse (−1,22 %), gemischten Klasse (−1,89 %), des Notendurchschnitts (−1,87 %) und der Notenentwicklung (−2,01 %) von Modell 2 nach Modell 3 von Tab. 2 abgelesen werden kann. Statistisch nicht bedeutsam sind die Leistungserwartungen der Mitlernenden (Modell 4, Tab. 2). Vernachlässigbar ist auch der gegen null tendierende Mediationsbeitrag dieser Variablen. Die Bildungsaspirationen der Lernenden stehen aber in einem signifikant positiven Zusammenhang mit den Aspirationen ihrer Freunde (Modell 5, Tab. 3). Steigt der Anteil von Freunden mit Abschlussaspirationen für eine der drei Alternativen um eine Einheit über das für die jeweilige Alternative bestehende Stichprobenmittel an, dann erhöhen sich unter Konstanthaltung der Werte für die anderen Alternativen auch die logarithmierten Chancen, dass die Lernenden diese Alternative präferieren. Der Mediationsbeitrag dieser Variable von Modell 2 (Tab. 2) nach Modell 5 (Tab. 3) beträgt −18,26 % für die Arbeiterklasse, −22,96 % für die gemischte Klasse, −6,92 % für den Notendurchschnitt und −1,68 % für die Notenentwicklung. In Modell 2 von Tab. 2 bestehende, signifikante Unterschiede zwischen gemischter Klasse und Dienstklasse sind in Modell 5 von Tab. 3 insignifikant. Statistisch bedeutsam erweist sich auch die Assoziation zwischen elterlicher Bildungserwartung und Bildungsaspiration der Kinder (Modell 6, Tab. 3). Bevorzugen Eltern einen spezifischen Abschluss für ihr Kind, steigen auch die logarithmierten Chancen, dass die Lernenden selbst sich diesen Schulabschluss wünschen. Der anhand der Veränderung der Koeffizienten von Modell 2 (Tab. 2) nach Modell 6 (Tab. 3) ermittelte Mediationsbeitrag der Variablen beträgt −36,71 % für die Arbeiterklasse, −12,58 % für die gemischte Klasse, −9,23 % für den Notendurchschnitt und −7,55 % für Notenentwicklung. Es zeigt sich zudem, dass der zwischen Arbeiterklasse und Dienstklasse bestehende Unterschied in dem Aspirationsniveau der Lernenden nur noch marginal signifikant und der zwischen gemischter Klasse und Dienstklasse insignifikant ist. Der durch die Eltern im Vergleich zu den Freunden erwartete größere Mediationsbeitrag kann daher, bis auf den zwischen gemischter Klasse und Dienstklasse bestehenden Unterschied, belegt werden.

Ob die Aspirationen der Freunde einen Teil des in Modell 6 (Tab. 3) bestätigten Zusammenhanges zwischen elterlicher Erwartung und Bildungsaspiration der Kinder vermitteln, wird in Modell 7 (Tab. 3) überprüft. Konform mit der Annahme von Hypothese 6 führen die Aspirationen der Freunde zu einer Verringerung des Koeffizienten der elterlichen Erwartung von Modell 6 nach Modell 7 (Tab. 3). Die Reduktion beträgt −28,80 %. Klassenunterschiede in den Bildungsaspirationen der Lernenden sind nun insignifikant. Demnach führen die schulische Performanz, die Erwartungen der Eltern und die Aspirationen der Freunde zu einer vollständigen Mediation der sozialen Herkunftsunterschiede in den Bildungsaspirationen. Dieses Ergebnis wird durch die simultane Betrachtung aller WSC-Determinanten in Modell 8 von Tab. 3 bekräftigt. Auch hier existiert keine statistisch bedeutsame Assoziation zwischen sozialer Klassenposition der Lernenden und ihren Bildungsaspirationen. Zudem zeigt sich, dass der in Modell 2 (Tab. 2) bestehende Zusammenhang zwischen beiden Indikatoren der schulischen Performanz und den Bildungsaspirationen der Lernenden in Modell 8 (Tab. 3) reduziert ist. Demzufolge wird Hypothese 7 bestätigt, in der eine vollständige Mediation der Klassenunterschiede und eine partielle Mediation des Zusammenhanges zwischen schulischer Performanz und Bildungsaspirationen der Lernenden angenommen wurde.

5 Zusammenfassung und Diskussion

Das Ziel dieser Studie ist eine Beantwortung der Frage, warum unter Kontrolle der Schulform soziale Klassenunterschiede in der Aspirationshöhe von Lernenden der Sekundarstufe bestehen und welchen Beitrag die schulische Performanz und die bei signifikanten Anderen bestehenden Aspirationen und Erwartungen zu einer Reduktion der bestehenden sozialen Unterschiede leisten. Die Bedeutung interpersonaler Einflüsse für eine Erklärung der Bildungsaspirationen von Lernenden ist für stark stratifizierte Bildungssysteme in den vergangenen Jahren vermehrt theoretisch als auch empirisch in Frage gestellt worden (Buchmann und Dalton 2002; Buchmann und Park 2009). Buchmann und Kollegen argumentieren, dass aufgrund der leistungsbasierten Selektion zu Beginn der Sekundarstufe homogene Lernmilieus auf den verschiedenen Schulformen entstehen, die wenig Raum für interpersonelle Einflüsse bieten. Die hier vorgelegten Ergebnisse lassen jedoch Zweifel an den theoretischen Annahmen von Buchmann und Kollegen aufkommen.

Die Befunde dieses Beitrages legen im Einklang mit den Prognosen des WSC vielmehr auch nahe, dass die sozialschichtspezifischen idealistischen Bildungsaspirationen von Lernenden der Sekundarstufe auf deren schulischer Performanz und den in ihrem sozialen Umfeld bestehenden Aspirationen und Erwartungen signifikanter Anderer beruhen. Bestehende soziale Ungleichheiten sind aber differenziert zu betrachten. Während sich bei dem Chancenverhältnis für einen Hauptschulabschluss (HS) versus einer Mittleren Reife (MR) keine sozialen Unterschiede in der Aspirationshöhe belegen lassen, bestehen diese für den Kontrast Abitur (Abi) versus MR. Dieser Befund ist neu und umso interessanter, da er auch die Ergebnisse von Studien zur Bildungsbeteiligung in der BRD wiederspiegelt. So kann beispielsweise Schimpl-Neimanns (2000) für die Bildungsbeteiligung in der BRD zwischen 1950 und 1989 zeigen, dass Ungleichheiten beim Besuch einer Hauptschule versus einer weiterführenden Schulen abgebaut werden konnten, aber zwischen Gymnasium und Realschule weiterhin bestehen.

Erwartungsgemäß kann auch die positive Assoziation zwischen schulischer Performanz (Notendurchschnitt sowie Notenentwicklung) und anspruchsvolleren Bildungsaspirationen der Lernenden belegt werden. Dieses Ergebnis bestätigt Befunde anderer Studien (Watermann und Maaz 2006; Schuchart 2010; Buchmann und Dalton 2002; Roth 2014, 2017; Salikutluk 2016). Auf Grundlage der genannten Beiträge sind aber nur bedingt Rückschlüsse auf den ungleichheitsreduzierenden Beitrag dieser beiden Variablen möglich. Die vorliegenden Analysen bekräftigen diesen und erlauben darüber hinaus auch eine exakte Quantifizierung der durch die schulische Performanz stattfindenden Reduktion in den Ungleichheiten.

Im Gegensatz zu den empirischen Analysen von Buchmann und Dalton (2002) zeigen sich unter Kontrolle der Schulform auch die vermuteten positiven Assoziationen zwischen der elterlichen Erwartung, den Aspirationen der Freunde und den Bildungsaspirationen der Lernenden. Nun sind aber nicht nur die Erwartungen der Eltern und die Aspirationen der Freunde bedeutend für eine Erklärung der Bildungsaspirationen der Lernenden, sondern auch die im Klassenkontext bestehenden, bislang wenig analysierten Leistungserwartungen der Lehrkräfte. Es zeigt sich, dass hohe Leistungserwartungen der Lehrkräfte in einem positiven Zusammenhang mit den Aspirationen der Lernenden für ein Abi vs. einer MR stehen. Die Leistungserwartungen der Mitlernenden scheinen widererwartend bedeutungslos zu sein.

Der unter Kontrolle der schulischen Performanz verbleibende Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungsaspirationen der Lernenden wird vollständig über die bei Eltern und Freunden bestehenden Aspirationen und Erwartungen vermittelt. Es kann darüber hinaus für Deutschland erstmals gezeigt werden, dass ein Teil der bestehenden Assoziation zwischen elterlichen Erwartungen und Bildungsaspirationen der Lernenden über die Aspirationen der Freunde mediiert wird. Dieses Ergebnis weist im Sinne von Kandel (1996) daraufhin, dass Eltern die Aspirationen ihrer Kinder nicht nur direkt sondern auch indirekt über eine Mitsprache bei der Wahl der Freunde beeinflussen. Die elterlichen Erwartungen mediieren hypothesenkonform den größten Anteil der für Lernende der Arbeiterklasse bestehenden Nachteile in den Bildungsaspirationen. Widererwartend zeigt sich für die gemischte Klasse ein anderes Bild. Deren ungünstigere Position gegenüber der Dienstklasse wird in einem stärkeren Umfang durch die Aspirationen der Freunde vermittelt. In diesem Zusammenhang sollte jedoch berücksichtigt werden, dass Unterschiede in den Bildungsaspirationen zwischen Lernenden der gemischten Klasse und der Dienstklasse sowohl durch die Erwartungen der Eltern als auch die Aspirationen der Freunde vollständig mediiert werden. Die Leistungserwartungen der Lehrkraft besitzen für die Erklärung sozialer Unterschiede in den Bildungsaspirationen der Lernenden hingegen eine nachgeordnete Rolle, die der Mitlernenden sind irrelevant.

Die bereits berichtete vollständige Mediation des Zusammenhanges zwischen sozialer Klassenposition (Arbeiterklasse (−44,42 %); gemischte Klasse (−29,87 %)) und Bildungsaspirationen bzw. die partielle Mediation der zwischen schulischer Performanz (Notendurchschnitt (−22,59 %); Notenentwicklung (−8,72 %)) und Bildungsaspirationen bestehenden Assoziation lässt sich erstmals in einer Studie in Deutschland ausschließlich auf die Erwartungen und Aspirationen des sozialen Umfeldes zurückführen. Weitaus beeindruckender ist jedoch, dass der zuvor beschriebene Mediationsbeitrag überwiegend auf die elterlichen Erwartungen zurückgeht. Dies spricht für die zentrale Rolle der elterlichen Bezugspersonen in dem Sozialisationsprozess der Lernenden und hebt gleichzeitig die Bedeutung der idealistischen Erwartungen der Eltern in dem Prozess intergenerationaler Statustransmission hervor. Der im Vergleich zu den Eltern geringere Mediationsbeitrag der Aspirationen der Freunde könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass Status- und Leistungskriterien nur in einem bedingten Umfang als Selektionsprinzip bei der Wahl der Freunde wirksam sind (Kandel 1986).

Die zur Verfügung stehende Datengrundlage ist mit ihrem bundesweiten Charakter und der detaillierten Erfassung der bei signifikanten Anderen bestehenden Erwartungen und Aspirationen nahezu ideal für die Überprüfung der in Theorie und Empirie bestehenden Annahmen der Formation idealistischer Bildungsaspirationen von Lernenden. Durch die zur Verfügung stehenden Daten war es erstmals auch methodisch möglich, den durch das WSC angenommenen, selbst-reflexiven Prozess der Lernenden detailliert zu beschreiben. Das gewählte methodische Vorgehen lieferte zahlreiche neue Erkenntnisse über die intergenerationalen und interpersonellen Prozesse der Formation idealistischer Bildungsaspirationen von Lernenden der Sekundarstufe in Deutschland. Die vorhandenen alternativenspezifischen Messungen ermöglichten zudem die Verwendung eines Verfahrens, welches erlaubt für alle zwischen den Alternativen konstanten Merkmale zu kontrollieren. Hierdurch konnte insbesondere für die bei Eltern und Freunden bestehenden Erwartungen und Aspirationen eine Annäherung an die von dem WSC erwarteten kausalen Einflussmechanismen erreicht werden. Trotz der hervorragenden Datengrundlage und der Verwendung alternativenspezifischer Messungen konnte aber auch hier nicht geklärt werden, ob es sich bei den durch die Lernenden subjektiv wahrgenommenen Leistungserwartungen der Lehrkräfte und Aspirationen der Freunde nicht auch partiell um Projektionen ihrer eigenen idealistischen Bildungsaspirationen handelt. Eine Klärung dieser Frage hätte eine direkte Befragung der Lehrkräfte und Mitlernenden erfordert (Davies und Kandel 1981). Ebenso ungeklärt ist die Frage, ob der zwischen signifikanten Anderen und Bildungsaspirationen der Lernenden bestehende Zusammenhang nicht auch das Ergebnis rekursiver Einflussprozesse sein könnte. Diese Frage kann jedoch nur mit anderen statistischen Auswertungsverfahren, wie bspw. einer Instrumentalvariablenschätzung beantwortet werden. Weiterhin bleibt ungeklärt, zu welchem Anteil die gefundene Assoziation zwischen Bildungsaspirationen der Lernenden und Aspirationen ihrer Freunde auf Selektions- und Sozialisationsprozessen beruht. Für Unterscheidung dieser beiden Prozesse sind nach Kandel (1996) Informationen über die Formation und Auflösung von Freundschaften und eine direkte Befragung der Freunde nötig. Diese Information stehen im NEPS jedoch nicht zur Verfügung.

Die theoretisch-methodischen Implikationen dieser Studie bestehen in ihren Ergebnissen. Zum einen wurde gezeigt, dass eine angemessene statistische Modellierung der institutionellen Besonderheiten des deutschen Bildungssystems nur durch ein Verfahren zu erreichen ist, welches die Trichotomie der Abschlussalternativen angemessen berücksichtigt. Zum anderen belegen die Ergebnisse dieser Studie – im Widerspruch zu den Annahmen von Buchmann und Kollegen – eine Anwendbarkeit der theoretischen Annahmen des WSC für das im Sekundarschulbereich stark stratifizierte deutsche Bildungssystem. Dieses Ergebnis ist umso relevanter, da die hier verwendeten statistischen Analysen weitaus eher eine kausale Interpretation der Assoziationen zwischen elterlichen Erwartungen, Aspirationen der Freunde und Bildungsaspirationen der Lernenden erlauben, als die überwiegend auf binären logistischen Regressionsanalysen basierenden Beiträge anderer Autoren und Autorinnen.

Die gewonnenen Erkenntnisse haben auch praktische Implikationen für eine Reduzierung sozialer Ungleichheiten in Bildungsbeteiligung und -erfolg in der Sekundarstufe. Sozialschichtspezifische Unterschiede in den idealistischen Aspirationen und den mit diesen verbundenen motivationalen Bestrebungen von Sekundarstufenlernenden, sollten sich durch die Manipulation von zwei Faktoren reduzieren lassen: Die schulische Performanz der Lernenden und die im sozialen Umfeld bestehenden Erwartungen und Aspirationen, insbesondere die idealistischen Bildungserwartungen ihrer Eltern. Für einen Ausgleich sozialer Unterschiede in der schulischen Performanz kommen zunächst präventive Förderprogramme in Betracht (Gutman und Akerman 2008). Solch ein Ausgleich hätte vermutlich den Vorteil, dass hierdurch sowohl sozialschichtspezifische Unterschiede in den idealistischen Aspirationen der Lernenden als auch in den idealistischen Erwartungen der Eltern reduziert werden würden (Stocké 2013). Denkbar wären auch Maßnahmen, die gezielt in das soziale Umfeld der Eltern und Lernenden eingreifen und so die sozialen Einflussprozesse verändern (Rivkin und Welch 2006). Diese Maßnahmen sind jedoch kostspielig und stellen darüber hinaus einen erheblichen Eingriff in das Leben der Personen dar.