1 Sammelrezension zu

  1. 1.

    André Bresges/Bernadette Dilger/Thomas Hennemann/Johannes König/Heike Lindner/Andreas Rohde/Daniela Schmeinck (Hrsg.): Kompetenzen diskursiv. Terminologische, exemplarische und strukturelle Klärungen in der LehrerInnenbildung. Münster: Waxmann 2014. 249 S. ISBN: 978-3-8309-2970-3 Preis: 24,90 €.

  2. 2.

    Cordula Artelt/Sabine Weinert/Claus H. Carstensen (Hrsg.): Assessing competencies across the lifespan within the German National Educational Panel Study (NEPS). Journal for Educational Research Online, 2013 (2). Open Access, URL: http://www.j-e-r-o.com/index.php/jero/issue/view/24

Die folgende Rezension zweier von Anlage und Ausrichtung sehr unterschiedlicher Herausgeberwerke erlaubt einen schlaglichtartigen Einblick in die aktuelle Definition und Verwendung von Kompetenzen und Kompetenzmodellen in verschiedenen Feldern der Bildungsforschung. Das Herausgeberwerk „Kompetenzen diskursiv“ von Bresges et al. ist im Vorfeld einer Tagung an der Universität zu Köln entstanden, die sich mit Konzepten einer interdisziplinären kompetenzorientierten Lehrerbildung befasste. Der Begriff der Kompetenz als ein für viele Fächer gleichermaßen zentrales Konzept dient hierbei als Ausgangspunkt für eine Diskussion über verschiedene Aspekte der Lehrerbildung. Das im Journal for Educational Research Online 2013 erschienene Sonderheft „Assessing competencies across the lifespan within the German National Educational Panel Study (NEPS)“ beschreibt die Definition und Operationalisierung der im NEPS gemessenen Kompetenzen, insbesondere der Konstrukte, die über eine größere Altersspanne hinweg konsistent erfasst werden sollen. Das NEPS ist die aktuell umfangreichste empirische Studie der deutschen Bildungsforschung, insofern ist das in diesem Kontext vorzufindende Verständnis von Kompetenz und Kompetenzmodellen über das konkrete Projekt hinaus interessant. Im Weiteren werden zunächst beide Werke separat besprochen. Abschließend wird die Verwendung von Kompetenzmodellen über beide Werke hinweg betrachtet.

André Bresges, Bernadette Dilger, Thomas Hennemann, Johannes König, Heike Lindner, Andreas Rohde, Daniela Schmeinck (Hrsg.), Kompetenzen diskursiv. Terminologische, exemplarische und strukturelle Klärungen in der LehrerInnenbildung. Für die Lehrerbildung und die damit befasste Forschung spielen Kompetenzen und Kompetenzmodelle in zweifacher Weise eine große Rolle. Zum einen bezieht sich „Kompetenzorientierung“ auf die Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern, die als zu erreichende Lernergebnisse („Outcomes“) des Lehrerhandelns relevant sind. Modelle für (schul-) fachspezifische Kompetenzen sind daher zentral für die Inhalte der jeweiligen Fachdidaktiken. Zum anderen sind auch Modelle für Kompetenzen von Lehrpersonen ein inzwischen breit beforschtes Feld. Diese Modelle sind für die Lehrerbildung bedeutsam, da sie die Ziele beschreiben, die durch die Ausbildung an den Hochschulen erreicht werden sollen. „Kompetenzen diskursiv“ hat den Anspruch, verschiedene fachliche Perspektiven auf Kompetenzen und Kompetenzorientierung im Kontext der Lehrerbildung aufzuzeigen und hiermit zu einer „Intensivierung der Diskussion über die Kompetenzorientierung über die Disziplinären Grenzen hinweg“ (S. 14) beizutragen. Das Buch ist in sechs Abschnitten aufgebaut, von denen jeder eine andere fachliche Perspektive repräsentiert. Bis auf den ersten Abschnitt wird zudem einheitlich das Konzept verfolgt, dass auf ein längeres „Impuls“-Kapitel eine oder mehrere kurze Repliken folgen. Die Abschnitte unterscheiden sich untereinander deutlich, sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich ihrer Qualität. Aus diesem Grund ist es zweckmäßig, kurz separat auf die sechs Abschnitte und die darin enthaltenen Kapitel einzugehen.

Der mit dem Titel Bildungswissenschaften überschriebene Teil I besteht aus einem einzelnen Kapitel (König), das sich mit Kompetenzen in der Lehrerbildung beschäftigt. In diesem Kapitel wird sowohl der Kompetenzbegriff selbst kurz reflektiert als auch die oben genannte zweifache Sicht auf Kompetenzen in der Lehrerbildung – Schülerkompetenzen und Lehrerkompetenzen – thematisiert. Der Schwerpunkt des Kapitels liegt auf Lehrerkompetenzen. Zunächst werden aktuelle Studien und die dort verwendeten Kompetenzmodelle zusammengefasst, anschließend wird die Erfassung von Lehrerkompetenzen anhand von Beispielen aus der Teacher Education and Development Study (TEDS) veranschaulicht. Insgesamt gibt das Kapitel einen guten (wenngleich kleinen) Einblick in die Forschung, einschließlich einiger empirischer Befunde.

Teil II mit dem Titel Sonderpädagogik und Sachunterricht enthält einen Impuls (Schmeinck und Hennemann), in dem Kompetenzen in der Lehrerbildung aus Perspektive der beiden im Titel genannten Disziplinen betrachtet werden. Darauf folgen drei Repliken aus der Perspektive des Sachunterrichts (Kosack), der Grundschulpädagogik (Bergmann) und des sonderpädagogischen Förderschwerpunkts Geistige Entwicklung (Ziemen). Leider erweist sich die Zusammenfassung der beiden auch in sich „sehr aufgegliederten Disziplinen“ (S. 49) als unglücklich. Durch den an sich löblichen Versuch, jeden Aspekt aus Sicht der beiden sehr unterschiedlichen Disziplinen gleichermaßen zu behandeln, gibt das Kapitel zwar schlaglichtartige Einblicke in eine Vielzahl von Gegenstände und Kontexte der Lehrerbildung, die dort aktuell mit dem Begriff der Kompetenzorientierung verbunden sind. Eine durchgehende Struktur und eine übergeordnete Argumentation sind allerdings nur schwer auszumachen. Infolgedessen knüpfen die drei „Repliken“ kaum an den „Impuls“ an, sind aufgrund der spezifischen neuen Perspektiven dennoch für sich genommen nicht uninteressant.

Im Teil III zu Sprachen und künstlerischen Fächern wird im Impulskapitel (Rohde) die Kompetenzorientierung in Fremdsprachen behandelt, die Repliken sind aus Musikpädagogik (Niessen und Knigge) sowie Deutschdidaktik (Schindler). Der Abschnitt gehört zu den lesenswertesten des Buches; es wird deutlich, dass die Diskussion um Kompetenzen und Kompetenzmodelle im sprachlichen Bereich schon eine längere und fruchtbare Geschichte hat. In allen drei Kapiteln wird der Kompetenzbegriff aus Sicht der jeweiligen Fächer dargestellt, aber auch kritisch diskutiert. Es wird anschaulich, dass der Kompetenzbegriff häufig so weit ausgelegt wird, dass auch einfache Wissenskonstrukte wie Wortschatz darunter gefasst werden und zu vermuten (bzw. je nach Standpunkt zu befürchten oder zu hoffen) ist, dass die „Kompetenzorientierung“ de facto wenig echte Änderungen an der Unterrichtspraxis zur Folge hat. Thematisiert wird auch ein grundsätzliches, für viele Bereiche relevantes Dilemma: Kompetenzdefinitionen erfolgen häufig mit Bezug auf reale lebensweltliche Anforderungen (der gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen ist hierfür ein Beispiel), streng genommen ist eine Prüfung derartiger Kompetenzen im Kontext des Schulunterrichts jedoch gar nicht möglich.

Teil IV ist mit Mathematik und Naturwissenschaften überschrieben. Dieser Titel ist irreführend, da es im Impuls-Beitrag (Plöger und Scholl) und der Replik (Bresges und Hoffmann) nicht um mathematische oder naturwissenschaftliche (Schüler-) Kompetenzen und Kompetenzmodelle aus den jeweiligen Fachdidaktiken geht. Vielmehr wird in den Beiträgen ein Projekt zur „Analysekompetenz“ von Lehrkräften beschrieben und dessen Relevanz für die Praxis diskutiert. Das Projekt ist im Bereich Physikunterricht angesiedelt, für das Konstrukt – die Kompetenz von Lehrkräften, (fremden) Unterricht zu beurteilen – wäre der Gegenstandsbereich jedoch austauschbar. Für die Lehrerbildung ist das Konstrukt zweifelsohne interessant. Als Basis der empirischen Arbeiten wird zunächst ein mehrdimensionales Modell mit drei Teilkompetenzen formuliert und begründet. Mit Bezug auf diese Dimensionen werden spezifische Hypothesen bezüglich erwarteter Gruppenunterschiede (z. B. Experten vs. Novizen) formuliert. Etwas widersprüchlich hierzu erscheinen die durchgeführten Analysen, die durchweg auf einer eindimensionalen Auswertung des im Projekt entwickelten Tests basieren. In diesem Zusammenhang ist ein in der Replik thematisierter Befund aus der Physikdidaktik erwähnenswert, der sich auf zahlreiche andere Kompetenzdomänen übertragen lässt: ursprünglich formulierte, im Wesentlichen normativ gesetzte Kompetenzmodelle lassen sich nicht dadurch stützen, dass empirisch erfasste Leistungsdaten mehrdimensionale Strukturen aufweisen, die den Strukturen des Modells entsprechen. Dennoch hat die inhaltliche Differenzierung, die in den mehrdimensionalen Modellen vorgenommen wird, einen hohen (wahrgenommenen) Nutzen für Unterrichtspraktiker.

Unter dem Titel Geisteswissenschaften in Teil V findet sich ein Impuls aus der evangelischen Religionsdidaktik (Linder) sowie Repliken aus der Philosophie (Nisters) und katholischen Religionsdidaktik (Tautz). Im Impuls wird der Kompetenzbegriff als ein Rahmen zur Beschreibung von Bildungszielen anerkannt, es wird allerdings für die Religionsdidaktik das Bedürfnis formuliert, auch Aspekte einzubeziehen, die außerhalb des kognitiven Bereichs im engeren Sinn liegen, z. B. Empathiefähigkeit und religiöse Erfahrung. Anschließend wird ausführlich dargestellt, dass vier bereits existierende Modelle der Fachdidaktik Religion (Elementarisierungsdidaktik, performative Didaktik, Symboldidaktik, Theologisieren mit Kindern) bereits als kompetenzorientiert betrachtet werden können, da sich spezifische Schülerkompetenzen identifizieren lassen, die gefördert werden sollen. Insgesamt ist die religionsdidaktische Sicht auf „Kompetenzorientierung“ in einem erstaunlichen Ausmaß positiv – allerdings impliziert die dargelegte Kompatibilität der bestehenden Konzepte auch hier, dass Änderungen in der Unterrichtspraxis nicht zu erwarten (und aus Sicht der Autor(inn)en nicht nötig) sind. In der unterhaltsam geschriebenen Replik aus der Philosophie wird argumentiert, dass der Lernlehrplan Philosophie in NRW entgegen anderslautender expliziter Aussagen gar nicht kompetenzorientiert sei, wenn man den Kompetenzbegriff ernst nähme. Die Replik aus der katholischen Religionsdidaktik legt dar, dass es auch dort bereits Kompetenzmodelle gibt. Es wird jedoch eine größere Unsicherheit bezüglich der praktischen Umsetzung zum Ausdruck gebracht, u. a. wegen der Unschärfe des Kompetenzbegriffs selbst.

Der letzte thematische Abschnitt VI trägt den Titel Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften. Der Impuls befasst sich mit Kompetenzorientierung in der beruflichen Bildung (Dilger), die Repliken sind aus der Didaktik der Sozialwissenschaften (Weber) und der Geographiedidaktik (Wiktorin). Das Impulskapitel ist eines der schwerer lesbaren Teile des Herausgeberwerkes. Es wird deutlich, dass zumindest Teile der Berufsbildung stark dem normativen Kompetenzbegriff von Roth verhaftet sind, der mit neueren Definitionen sensu Weinert, die i. d. R. mit dem Begriff der Kompetenzorientierung verbunden werden, schwer vereinbar ist. Gegenstand des Kapitels sind vor allem normativ gesetzte Kompetenzmodelle in KMK-Standards und Curricula. Diese „Kompetenzmodelle“ liefern, wenngleich vermutlich ungewollt, anschauliche Beispiele dafür, wie weit derartige normative Setzungen von einer empirischen Zugänglichkeit entfernt sein können. „Dimensionen“ beziehen sich im Wesentlichen auf Zeilen und Spalten von Tabellen (z. B. „ein mehrdimensionales Kompetenzmodell, welches sich durch Hauptdimensionen (…) und drei querliegende Dimensionen (…) kennzeichnen lässt“, S. 204). Dies ist sicherlich nicht spezifisch für die berufliche Bildung, wird aber in diesem Beitrag auch dadurch besonders anschaulich, dass eine Gültigkeit der Modelle im Sinne angemessener Beschreibungen von interindividuellen Unterschieden in Kompetenzen gar nicht thematisiert wird. Neuere Forschung, etwa aus der 2011 gestarteten und kürzlich abgeschlossenen ASCOT-Initiative des BMBF, wird ebenfalls nicht erwähnt. Die beiden Repliken des Abschnitts nehmen keinen Bezug auf den Impuls. Die sozialwissenschaftliche Replik hat mit dem Impuls jedoch gemein, dass unter Kompetenzorientierung in der Praxis vor allem die Reflexion und Revision von gesetzten (und nicht von messbaren) Lernzielen verstanden wird. Die Perspektive der Geographiedidaktik fokussiert auf Schülerkompetenzen in der schulischen Bildung und ist daher anschlussfähiger an andere Abschnitte des Buches (etwa zur Sprachdidaktik) als zum Impuls im Abschnitt VI.

Zusammenfassend kann das Herausgeberwerk in der Hinsicht als gelungen betrachtet werden, als es eine große Vielfalt von – teils durchaus widersprüchlichen – Perspektiven auf die Begriffe Kompetenz und Kompetenzorientierung sehr anschaulich macht. So heterogen wie die Perspektiven auf Kompetenzen sind auch die praktischen Implikationen, die mit dem Begriff der Kompetenzorientierung verbunden sind. Auch diese Heterogenität wird sehr gut sichtbar, wenngleich vermutlich nicht immer gewollt. Zwischen Fächern (bzw. den sie repräsentierenden Autor(inn)en) bestehen auch grundsätzliche Unterschiede im Verständnis davon, was ein „Kompetenzmodell“ ausmacht, welche Funktion es hat (z. B. Setzung von Lernzielen oder Beschreibung empirisch beobachtbarer interindividueller Unterschiede) und wie es legitimiert wird (z. B. politisch-normativ oder durch eine empirische Bewährung). Wenngleich die Zusammenstellung der verschiedenen Perspektiven in einem Werk zweifelsohne einen interessanten Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem Kompetenzbegriff darstellt, fehlt eine Integration der gesammelten Vielfalt; Leserinnen und Leser werden mit der Heterogenität und den darin enthaltenen Widersprüchen etwas allein gelassen.

Cordula Artelt, Sabine Weinert, Claus H. Carstensen (Hrsg.), Assessing competencies across the lifespan within the German National Educational Panel Study (NEPS). Im Editorial (Artelt, Weinert und Carstensen) wird zunächst kurz die Anlage der Studie beschrieben; anschließend wird das allgemeine Verständnis von Kompetenz in NEPS erläutert. Die als „funktional-integrativ“ bezeichnete Perspektive entspricht dem Mainstream der quantitativ-empirischen Bildungsforschung im schulischen Bereich: Kompetenzen werden als erlernbare, kontextspezifische, kognitive Leistungsdispositionen verstanden (z. B. Klieme und Leutner 2006). Betont wird die Abgrenzung von allgemeinen, kontextübergreifenden kognitiven Fähigkeiten (z. B. fluider Intelligenz) sowie von spezifischem Sach- und prozeduralem Wissen. Schließlich wird noch auf die besondere Herausforderung eingegangen, Kompetenzen über eine größere Altersspanne hinweg zu erfassen. Es wird konstatiert, dass es aktuell kaum theoretische Modelle zur Kompetenzentwicklung gibt, und sich zudem relevante Kontexte und Anforderungen im Laufe eines Lebens verändern. Eine Lösung für diese Problematik wird (noch) nicht angeboten. Als grundsätzliche Strategie wird im NEPS jedoch angestrebt, die Funktionalität der Kompetenzen in alltäglichen Anforderungskontexten als leitend für die Konzeptualisierung der zu erfassenden Konstrukte in allen Altersgruppen zu nehmen. Dennoch bleibt auch hierbei die Frage offen, inwieweit als kontextspezifisch definierte Kompetenzkonstrukte über die Lebensspanne „dieselben“ bleiben (also invariant erfasst werden können), wenn die definierenden alltäglichen Kontexte deutlichen Veränderungen unterworfen sind.

Der Fokus der hier vorgenommenen Rezension liegt auf den Definitionen der Kompetenzkonstrukte, dem verwendeten Kompetenzbegriff und der Frage nach Kompetenzentwicklungsmodellen in NEPS. Im Folgenden wird daher genauer auf die Einzelbeiträge des Sonderheftes eingegangen, die sich mit Konstrukten befassen, die unter dem Kompetenzbegriff gefasst werden können – dies sind Lesekompetenz, mathematische Kompetenz, naturwissenschaftliche Kompetenz und Technologische und informationsbezogene Literacy. Nicht eingegangen wird hier auf interindividuelle Unterschiede in metakognitiven Prozessen, mit denen sich ein Beitrag von Händel et al. befasst, da die damit verbundenen Konstrukte als kontextübergreifende kognitiven Fähigkeiten verstanden werden. Ebenso wird hier nicht genauer auf die beiden letzten Beiträge eingegangen, die sich mit einzelnen technischen Fragen der Skalierung (Pohl und Carstensen) und der Diagnostik bei Förderschülern (Heydrich et al.) befassen. Spezifische empirische Analysen werden im Weiteren nur insofern thematisiert, als sie Implikationen für das Verständnis der gemessenen Konstrukte haben. Bezogen auf das Thema der Sammelrezension ist vorab anzumerken, dass in keinem der Beiträge „Kompetenzmodelle“ formuliert werden, es werden lediglich Rahmenkonzeptionen („Frameworks“) für die verschiedenen Bereiche beschrieben.

Der erste Artikel zur Erfassung von Sprachindikatoren (Berendes et al.) befasst sich mit der Auswahl der in NEPS erfassten Sprachindikatoren allgemein, nicht mit (Kompetenz-) Modellen für spezifische Konstrukte. Es wird zunächst unterschieden zwischen einer funktional-integrativen Perspektive auf Sprachkompetenzen und einer „komponenten-orientierten“ Perspektive. In ersterer Perspektive wird zwischen mündlichen und schriftlichen sowie rezeptiven und produktiven Kompetenzen unterschieden, in letzterer werden Komponenten sprachlicher Fähigkeiten aus einer entwicklungspsychologischen und linguistischen Perspektive (z. B. Phonologie, Syntax) betrachtet. Der Kompetenzbegriff wird hierbei nicht reflektiert, aber interessanterweise wird nur im Kontext der funktional-integrativen Perspektive von „Kompetenzen“ gesprochen. Tatsächlich lassen sich die als „Komponenten“ bezeichneten Konstrukte kaum als Kompetenz im Sinne einer der gängigen Definitionen betrachten, sondern stellen eher universelle Fähigkeiten oder spezifische Wissensbereiche dar. Ein großer Teil des Kapitels befasst sich mit Sprachentwicklung im Allgemeinen, insbesondere in den ersten Lebensjahren bis maximal zur Primarstufe. Die Begründung der für NEPS ausgewählten Indikatoren, die über die gesamte Lebensspanne verfolgt werden (Lese- und Hörverstehen) erfolgt ohne Anschluss an die zuvor dargestellte Sprachentwicklung weitgehend pragmatisch. Theoretisch abgeleitet wird hingegen, dass spezifische Komponenten zu bestimmten Zeitpunkten erfasst werden, zu denen sie für die Sprachentwicklung besonders bedeutsam sind. Ein weiterer großer Teil des Kapitels besteht aus einer knappen Beschreibung der einzelnen Messinstrumente, hierbei stehen weniger zugrundeliegende Modelle als das verwendete Stimulusmaterial in Fokus.

Im zweiten Beitrag des Sonderheftes (Gehrer et al.) wird die Rahmenkonzeption zur Messung von Lesekompetenz (reading competence) beschrieben sowie Resultate einer Pilotstudie berichtet. Einleitend wird kurz auf allgemeine Theorien des Leseverstehens eingegangen, diese Modelle kognitiver Prozesse haben für die Testentwicklung im Endeffekt jedoch wenig Bedeutung. Bedeutsam sind hingegen Klassifikationen von Textsorten. Hier wird ausführlicher beschrieben, welche Klassifikationen in anderen Large Scale Assessments verwendet wurden. Ähnlich ausführlich eingegangen wird auf Klassifikationen der kognitiven Anforderungen der Testfragen. Das anschließend vorgestellte NEPS-Framework für Lesekompetenz berücksichtigt zum einen fünf verschiedene Textsorten, die mit unterschiedlichen Funktionen verbunden sind (z. B. informierende Texte, literarische Texte). Zum anderen werden drei unterschiedliche kognitive Anforderung der Leseitems berücksichtigt (Informationen finden, Schlussfolgerungen ziehen, reflektieren und bewerten). Die Auswahl dieser Elemente wird im Wesentlichen pragmatisch begründet und stellt einen Kompromiss aus den Rahmenkonzeptionen anderer Studien (v. a. PISA und die Evaluation der Bildungsstandards) dar. Charakteristisch für Kompetenzmodelle ist, dass die Elemente des Frameworks sowohl von Seiten der Stimuli als auch von den durch sie gestellten Anforderungen abgeleitet werden. Es wird primär nicht auf Fähigkeiten von Personen, sondern auf Eigenschaften von Texten und Fragen zu diesen Texten referiert. Welche Implikationen für das erfasste Konstrukt mit dem Verzicht auf offene Antwortformate einhergehen, wird nicht thematisiert – dies ist überraschend, da die Bedeutung offener Formate für eine valide Leseverstehensdiagnostik kontrovers diskutiert wird. Unabhängig von der Struktur des Frameworks wird im NEPS die Erfassung von Lesekompetenz als eindimensionales Konstrukt angestrebt. Die Elemente des Frameworks dienen also nicht der Ableitung von Annahmen über die Dimensionalität der erfassten interindividuellen Unterschiede. Dennoch wird mit einem Vergleich konkurrierender Modelle empirisch untersucht, ob die aus dem Framework abgeleiteten Eigenschaften der Aufgaben sich in Mehrdimensionalität auf Personenseite niederschlagen. Hierbei zeigt sich, dass insbesondere die Textsorten mit separierbaren (Teil-) Kompetenzdimensionen einhergehen. Bei der Interpretation der Ergebnisse findet sich ein interessantes Beispiel dafür, dass es oft schwer fällt, Modelle bezogen auf Anforderungen und Kontexte von Modellen bezogen auf interindividuelle Unterschiede zu trennen. Die latenten Korrelationen im mehrdimensionalen Modell werden wie folgt interpretiert: „The strong relation between information texts and all other text types [gemeint sind die Korrelationen der individuellen Leistungen in Items zu diesen Texten!] apart from literary texts indicates that – greatly simplified – all text types used apart from literary texts can be conceived more generally as information or instruction texts“ (S. 73). Es wird also von einer Korrelation auf Personenebene (das erfolgreiche Bewältigen von Textsorte A geht häufig einher mit dem erfolgreichen Bewältigen von Textsorte B) auf Eigenschaften der Texte geschlossen (A und B sind sehr ähnliche Textsorten).

Der Beitrag von Neumann et al. beschreibt das Framework zur Messung von mathematischer Kompetenz (mathematical competence). Zunächst werden kurz die Konzeptionen in den PISA-Studien und den Bildungsstandards der KMK beschrieben, die sich recht ähnlich sind, da die PISA-Konzeption eine der Vorlagen bei der Entwicklung der deutschen Bildungsstandards war und sowohl PISA als auch die Bildungsstandards starke Gemeinsamkeiten mit den Standards des US-amerikanischen National Council of Teachers of Mathematics (NCTM) haben. Die für NEPS als Orientierung verwendeten Standards sind zum einen durch mathematische Inhalte und zum anderen durch mathematische Tätigkeiten und Lösungsprozesse strukturiert. Das Framework stellt einen pragmatischen, ebenfalls mit PISA und den Bildungsstandards kompatiblen Kompromiss dar, in dem vier Inhaltsbereiche und sechs kognitive Komponenten differenziert werden. Bei der Aufgabenentwicklung wird jedes Item eindeutig einem Inhaltsbereich zugeordnet, es sind jedoch i. d. R. mehrere für ein einzelnes Item relevant. Bei der Darstellung der Inhaltsbereiche (nicht jedoch der kognitive Komponenten) wird explizit darauf eingegangen, welche Anforderungen in welchen Abschnitten von Primarstufe bis zur Hochschule typischerweise beherrscht werden sollten, in dieser Hinsicht wird eine Grundlage für die Entwicklung von Tests für verschiedene Altersgruppen geschaffen. Auch für mathematische Kompetenzen ist das erklärte Ziel, ein eindimensionales Konstrukt zu erfassen. Zudem wird das Ziel formuliert, dass Tests für benachbarte Altersgruppen einen Vergleich der Kompetenzen auf derselben Skala erlauben sollen. Empirische Befunde zur Erreichbarkeit dieser Ziele gibt es noch nicht.

Auch das Framework für naturwissenschaftliche Kompetenz (scientific literacy), das im Beitrag von Hahn und Kollegen dargestellt wird, stellt einen pragmatischen Kompromiss aus den Rahmenkonzeptionen aus PISA und den Bildungsstandards sowie zusätzlich der American Association for the Advancement of Science (AAAS) dar. Differenziert wird grundsätzlich in naturwissenschaftliches Faktenwissen (knowledge of science) und Wissen über Naturwissenschaften (knowlegde about science). Ersterer Bereich wird in vier Bereiche differenziert (z. B. Materie, Systeme), letzterer in wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung (scientific enquiry) und Argumentation (scientific reasoning). Testaufgaben sind eindeutig entweder dem übergeordneten Bereich Faktenwissen oder Wissen über Naturwissenschaften zugeordnet. Zusätzlich werden als strukturgebende Dimension drei verschiedene Kontexte (Gesundheit, Umwelt, Technologie) berücksichtigt. Für keinen der Bereiche des Frameworks wird eine Altersdifferenzierung vorgenommen. Bei der Itementwicklung wird eine über Altersstufen hinweg möglichst ähnliche inhaltliche Zusammensetzung hinsichtlich der verschiedenen Framework-Elemente angestrebt. Auch naturwissenschaftliche Kompetenz soll als eindimensionales Konstrukt erfasst werden. Im Zuge der Testentwicklung wird empirisch untersucht, inwieweit Faktenwissen und Wissen über Naturwissenschaften zwei separierbare Dimensionen konstituieren, ein eindimensionales Modell erweist sich als angemessener.

Technologische und informationsbezogene Literacy (im Weiteren TIL) wird in NEPS nicht über die gesamte Lebensspanne erfasst. Die Testentwicklung, die zusammen mit dem zugehörigen Framework von Senkbeil et al. beschrieben wird, zielt jedoch auf mehrere Kohorten in der Sekundarstufe gleichzeitig ab, es soll eine Spanne von der fünften bis zur neunten Jahrgangsstufe abgedeckt werden. Auch TIL soll als eindimensionales Konstrukt erfasst werden; diese Dimension integriert Aspekte des Umgangs mit Technologie und des Umgangs mit digitalen Informationen. Konsistent mit der im Editorial skizzierten Strategie wird TIL bezogen auf alltägliche Anforderungen im Umgang mit Informationstechnologie definiert. Unter Rückgriff auf ein Framework des International ICT Literacy Panel werden sieben „Prozesskomponenten“ unterschieden, von denen sich vier auf Technologie und drei auf Information beziehen. Die Grenze zwischen „Technologie“ und „Information“ wird hierbei nicht definiert und bleibt unscharf, z. B. werden „abrufen“ (Access) und „verwalten“ (Manage) als Aspekte von „technological literacy“ bezeichnet, „integrieren“ (integrate) hingegen als Facette von „information literacy“. Neben den sieben Prozesskomponenten wird die Struktur der Testinhalte durch fünf Kategorien von Software-Anwendung (z. B. Textverarbeitung, E-Mail) strukturiert. Hieraus ergibt sich ein Framework mit 35 Kombinationen aus Prozesskomponente und Software, die bei der Entwicklung der ersten 170 Items allerdings sehr ungleich (null bis 15 Items) berücksichtigt wurden. Bezüglich einer Entwicklung von TIL wird angestrebt, die Kontextualisierung und den Schwierigkeitsgrad der Aufgaben den jeweiligen Alterskohorten anzupassen. Es wird allerdings nicht ausgeführt, wie diese Altersanpassungen konkret erfolgen. Die Dimensionalität von TIL wird durch den Vergleich eines eindimensionalen mit einem zweidimensionalen (Technologie und Information) Modell untersucht, ein eindimensionales Modell erweist sich als angemessener. Im Unterschied zu den in den anderen Beiträgen dargestellten Bereichen wird für TIL relativ viel Arbeit in die Untersuchung der Messäquivalenz über verschiedene Schülergruppen (z. B. Geschlechter, Bildungsgänge) hinweg investiert. Erstaunlicherweise wird dies nicht für Alterskohorten untersucht, was für recht viele Ankeritems prinzipiell möglich und angesichts der angestrebten Invarianz über diese Kohorten auch interessant wäre.

Zusammenfassend bieten die NEPS-Frameworks gegenüber den Konzepten anderer großer Studien wie insbesondere PISA oder die Evaluation der Bildungsstandards kaum neues. Für die großen Bereiche Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften haben sich Modelle (oder Assessment Frameworks) etabliert, die in der Testkonstruktion neuer Studien reproduziert werden. Einerseits haben derartige von vielen geteilte Konzepte den Vorteil, wissenschaftliche Arbeiten aneinander anschlussfähig zu machen. Andererseits haben Studien, denen die etablierten Modelle von Beginn an zugrunde gelegt werden, kaum Möglichkeiten, diese Modelle zu widerlegen und potenziell angemessenere Alternativmodelle zu unterstützen. Dennoch sind die Sonderheft-Beiträge zu den im NEPS erfassten Kompetenzen insofern interessant, als sie einige interessante Gemeinsamkeiten zeigen, die auch für viele Studien zur die Kompetenzmessung und -modellierung außerhalb des NEPS typisch sind. Charakteristisch ist etwa, dass die Systematik der Testinhalte immer zuerst auf die Stimulus- und Aufgabeninhalte referiert (z. B. Textformen, mathematische Ideen), und erst dann auf an Personen gestellte spezifische (kognitive) Anforderungen. Im Zusammenhang mit der Struktur der NEPS-Frameworks ist eine für „Kompetenzmodelle“ typische begriffliche Unschärfe zu beobachten. Es wird selten explizit ausgeführt, ob sich beschriebene Strukturen einer Kompetenzdomäne auf die Struktur von Aufgaben und Anforderungen beziehen oder (auch) auf die Struktur von interindividuellen Unterschieden in der Testleistung. Ungeachtet der schwachen theoretischen Bezüge zwischen Framework-Struktur und Struktur interindividueller Unterschiede werden häufig eindimensionale gegen ausgewählte mehrdimensionale Modelle getestet. Hierbei werden die Strukturen der mehrdimensionalen Modelle aus Charakteristika der Aufgabeninhalte abgeleitet, ohne dass thematisiert wird, inwiefern zum Lösen der unterschiedlichen Aufgaben auf Seiten der Personen unterschiedliche Fähigkeiten benötigt werden sollten. Diese Unschärfe führt soweit, dass von Zusammenhängen auf Personenebene auf Ähnlichkeiten zwischen Aufgabeninhalten geschlossen wird (s. o.).

Etwas enttäuschend sind die Sonderheft-Beiträge bezüglich der NEPS-spezifischen Thematik der Kompetenzentwicklung. Für den sprachlichen Bereich wird auf die allgemeine kindliche Sprachentwicklung referiert, für Mathematik auf Lernziele für bestimmte Jahrgangsstufen, für Naturwissenschaften und TIL finden sich gar keine Aussagen zu alterstypischen Kompetenzausprägungen. Doch auch in den beiden Bereichen, für die hierzu Aussagen gemacht werden, sind die relevanten Altersspannen erheblich kürzer als die „Lebensspanne“, die im NEPS beobachtet wird. Es werden keinerlei Annahmen darüber formuliert, ob, wie oder unter welchen Bedingungen sich z. B. Lesekompetenz nach Ende der Schulbildung weiter entwickeln sollte. Die im Editorial benannte Herausforderung der Messung von Kompetenzen über die Lebensspanne wird von den Beiträgen des Sonderheftes noch nicht angenommen. Fragen zur Invarianz oder Veränderung von Konstrukten über Altersstufen und zur Möglichkeit der Modellierung von Veränderungen bleiben daher in diesem allerdings auch noch recht frühen Stadium der Studie weitestgehend offen.

Bei der Beurteilung der Sonderheft-Beiträge ist zu berücksichtigen, dass sie aufgrund des Begutachtungsprozesses wahrscheinlich größtenteils einen Stand der Projektarbeit wiedergeben, der ein bis zwei Jahre vor dem Veröffentlichungsdatum 2013 liegt. Lesenswert ist das Sonderheft dennoch für diejenigen, die mit NEPS-Daten arbeiten wollen und sich über die den erfassten Konstrukten zugrundeliegenden Konzepte informieren wollen. Unabhängig vom NEPS enthalten die Beiträge bezogen auf Kompetenzmodelle und die Erfassung von Kompetenzen kaum Neues.

2 Resümee

Die Definition und Verwendung von Kompetenzmodellen stellen sich in den beiden in sehr verschiedenen Kontexten entstandenen Werken sehr unterschiedlich dar. Kompetenzen Diskursiv macht die widersprüchliche Vielfalt der damit verbundenen Begrifflichkeiten sehr anschaulich und lässt dabei viele Fragen offen. Der Blick über viele Fächer gleichzeitig lässt es zweifelhaft erscheinen, dass es eine gemeinsame Vorstellung davon gibt, was ein Kompetenzmodell im allgemeinen ausmacht. Die Beiträge zum NEPS sind homogen auf einer zumindest oberflächlich einheitlichen Linie, allerdings um den Preis, fast ausschließlich auf bereits etablierte Konzepte zurückzugreifen. Nichtsdestotrotz lässt sich in beiden Werken ein großes Thema identifizieren, dem in der Forschung und Diskussion zu Kompetenzmodellen mehr bewusste Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. „Kompetenzmodelle“ werden in den meisten Fällen zur Setzung von Lernzielen und/oder zur Konstruktion von mit Lernzielen kompatiblen Assessment-Frameworks formuliert. Offensichtlich fällt es hierbei leichter, die Struktur einer Kompetenzdomäne vom Lernstoff bzw. Testmaterial abzuleiten, als Bezug auf kognitive Prozesse und Ressourcen und damit verbundene interindividuelle Unterschiede zu nehmen. Die Elemente der Modelle oder Frameworks dienen also der Definition des Gegenstands und der Sicherstellung einer angemessenen inhaltlichen Repräsentation in Testaufgaben, nicht jedoch zur Ableitung von Annahmen über die Dimensionalität der erfassten interindividuellen Unterschiede. Dennoch werden Strukturen individueller Unterschiede häufig empirisch untersucht, ohne deutlich zu explizieren, welche Relevanz die Ergebnisse für die Gültigkeit des Kompetenzmodells haben. Im Falle normativ gesetzter Lernziele ist unklar, die Modelle überhaupt einer empirischen Falsifikation zugänglich sind. Das Ideal von Klieme und Leutner (2006) scheint in vielen Bereichen weiterhin ein Ideal zu bleiben.