1 Einleitung

Die Entwicklung von professioneller Handlungskompetenz zukünftiger Lehrkräfte steht in der ersten Phase der Lehrerbildung vor zwei wesentlichen Herausforderungen: Erstens vor dem Problem der Theorie-Praxis-Verknüpfung und damit vor der Frage der Überführung theoretischen Wissens in Handlungswissen (Günther 1978) und zweitens vor der Schwierigkeit der Vermittlung unterrichtlicher Komplexität (Herzog 2002). Damit rückt die Art des Hochschullernens der Studierenden in den Fokus, die einen systematischen Aufbau von Handlungswissen fördern soll. Dieses Wissen sollte situiert und kontextualisiert erlernt werden (Lave und Wenger 1991), damit „träges Wissen“ (Renkl 1996) vermieden wird und es mit der späteren Komplexität unterrichtlichen Handelns vereinbar ist. Erste Erfahrungen mit konkreten Situationen aus realem Unterricht werden von den Studierenden vermutlich als fallbezogenes Wissen gespeichert (Shulman 1986; Gold et al. 2013). Empirische Studien deuten darauf hin, dass sich dieses Wissen durch fallbasiertes Lernen gezielt vermitteln lässt. Bislang ist allerdings unklar, wie fallbasierte Lernprozesse von Lehramtsstudierenden verlaufen, wie sie in verschiedenen inhaltlichen Domänen optimal gefördert werden können und welches Medium der Fallpräsentation sich dazu eignet. Diese Lücke möchte die hier vorgestellte Interventionsstudie schließen. Für die Studie wurde das Thema Classroom-Management gewählt, welches als wichtiger Bestandteil des pädagogisch-psychologischen Wissens gilt (Shulman 1986; Piwowar et al. 2013; Syring et al. 2013). Erste Studien zeigen, dass es bereits in der ersten Phase der Lehrerbildung möglich ist, ein gutes Classroom-Management zu erlernen und ebenso die Analysekompetenz zur Identifikation dafür relevanter Situationen (Sherin 2007; Gold et al. 2013).

2 Theoretischer und empirischer Hintergrund

2.1 Fallarbeitskonzepte in der Lehrerbildung

Die Arbeit mit Fällen als Ausschnitt aus authentischem Unterricht, der didaktisch u. a. durch Fokussierung aufbereitet ist (Syring et al. angenommen), ist mittlerweile an vielen Studienstandorten ein wichtiger Ausbildungsbestandteil (Reh und Schelle 2010). Sie zielt auf die Förderung von Analyse- bzw. Reflexionskompetenz der Studierenden, d. h. auf ihre Fähigkeit, Situationen wahrnehmen bzw. selektieren und theoriegeleitet analysieren zu können. Mit Unterrichtsvideos oder Texten ist ohne Handlungsdruck eine solche Analyse von Interaktionen im Klassenzimmer möglich (Krammer et al. 2008; van Es und Sherin 2008; Santagata und Guarino 2011). Die Arbeit mit Fällen erlaubt eine theoriebasierte Analyse komplexer Situationen (Kersting et al. 2010; Borko et al. 2011), sodass Fälle im Schnittpunkt von Theorie und Praxis liegen (Günther 1978). Sie dienen nicht nur der bloßen Illustration von Theorie, sondern werfen ebenso Probleme auf, die den Lernprozess leiten. Ein Fall an sich initiiert und fördert jedoch nicht das Lernen. Entscheidend für die Effektivität des Lernens ist u. a. die didaktische Einbettung des Falles in ein Seminar (Yadev et al. 2011). Dies geschieht zumeist in Form von problembasierter Fallarbeit (Zumbach 2006; Stürmer et al. 2013), die gekennzeichnet ist als intensive, meist länger dauernde Auseinandersetzung mit einem Fall (Syring et al. angenommen).

2.2 Video- vs. textbasierte Fälle

Fälle werden an Hochschulen und in der Weiterbildung im deutschen und angloamerikanischen Raum häufig in Form von Video- oder Textfällen präsentiert (Sherin 2007; Yadev et al. 2011). Sowohl Texte als auch Videos ermöglichen eine wiederholte Betrachtung des Geschehens und ein Vor- und Zurückgehen im Fall. Charakteristisch für Textfälle ist deren Sequentialität, die eine tiefere Analyse des Materials zulassen könnte als Videos. Ebenso fokussieren sie einen bestimmten Gegenstand und sind weniger komplex, was die Überforderung der Studierenden reduzieren könnte. Gerade für Novizen scheint dies hinsichtlich Classroom-Management angebracht, da durch die sequentielle Arbeit eine tiefere Durchdringung bei gleichzeitiger Komplexitätsentlastung möglich ist (Reh und Schelle 2010). Aufgrund der hohen Authentizität und der damit einhergehenden Komplexität könnten Videofälle Studierende überfordern. Da Videos komplexer und authentischer sind als Texte, erleichtern sie jedoch vermutlich den späteren Transfer zum Handeln im „echten“ Klassenzimmer. Beide Medien, Videos und Texte, eignen sich zur Förderung der Analysekompetenz; insbesondere zur videobasierten Fallarbeit liegen hierzu Forschungsbefunde vor (z. B. Sherin 2007; Seidel et al. 2007; Borko 2008; Sherin und van Es 2009; Tripp und Rich 2012). Diese Studien zeigten, dass die Analyse von eigenen und fremden Unterrichtsvideos die Analysekompetenz von Lehramtsstudierenden und unterrichtenden Lehrkräften steigert.

Weitere Forschungsbefunde deuten darauf hin, dass Studierende Videofälle für motivierender und realistischer halten als Textfälle und somit ein engagiertes Lernen ermöglichen (Yadev et al. 2011). Involviertheit und Interesse sind bei Video- gegenüber Textfällen ebenfalls höher (Koehler et al. 2005); ebenso ist die Akzeptanz für Videofälle größer (Yadev et al. 2011). Clark und Paivio (1991) zeigten, dass Bilder mehr emotionale Reaktionen als Wörter hervorrufen. Die bereits angeführte Studie von Koehler et al. (2005) weist ebenfalls auf eine höhere emotionale Beteiligung der Studierenden bei Videofällen hin. Zudem zeigen Studien, dass es nur geringe Unterschiede hinsichtlich kognitiver Prozesse beim Lernen mit Videos oder Texten gibt (Koeler et al. 2005; Yadev et al. 2011). Moreno und Valdez (2007) identifizierten einen leichten Vorteil von Videofällen hinsichtlich der Lerneffekte (v. a. Transferwissen).

Studien, die direkt systematisch verschiedene Fallmedien vergleichen, finden sich bis auf wenige Ausnahmen (Shulman 1992; Goeze et al. 2010; Könings et al. 2014), jedoch kaum (Blomberg et al. 2013). Ebenso fehlt es an empirischer Evidenz über die konkret ablaufenden Lernprozesse während der Fallarbeit (speziell bei Lehramtsstudierenden) und dem Einfluss auf kognitivee Belastung, Motivation und Emotionen. Moreno und Ortegano-Layne (2008) weisen zwar im Bezug auf die Arbeit mit Videofällen in der Medizinerausbildung darauf hin, dass emotionale Faktoren als Mediator beim Lernen die kognitiven Anstrengung beeinflussen, bislang fehlen aber noch Studien für andere Domänen und Lehramtsstudierende. Diese und die zuvor genannten Forschungslücken möchte diese Studie schließen.

2.3 Kognitive und motivational-emotionale Prozesse beim fallbasierten Lernen

Fallbasiertes Lernen kann als wissensgesteuerter Prozess betrachtet werden (Sherin 2007). Dieser Prozess und die Lernergebnisse werden, so die Annahme, beeinflusst durch die stark zusammenhängenden Konstrukte kognitive Belastungen (Sweller und Cooper 1985) und motivational-emotionale Prozesse beim Lernen (Pekrun 1992; Wigfield und Eccles 2000; Yadav et al. 2011; Kleinknecht und Schneider 2013).

2.3.1 Kognitive Belastung

Das Konzept der kognitiven Belastung geht auf die Cognitive load theory (Sweller und Cooper 1985) zurück, die beschreibt, wie und wodurch geistige Belastung oder Stress (Paas 1992; Marcus et al. 1996) entstehen können und wie diese zu mindern sind, um ein optimales Lernen zu ermöglichen. Dabei werden drei Arten von Belastungen unterschieden, die beim Lernen auftreten (Sweller 2007): Die intrinsische kognitive Belastung (intrinsic cognitive load) entsteht durch die Lernaufgabe bzw. Aufgabenstellung selbst und hängt von deren Schwierigkeit bzw. Komplexität ab. Sie kann von außen nicht beeinflusst werden, da diese Belastung durch die Interaktion zwischen Studierenden und Lernmaterial entsteht. Die externe kognitive Belastung (extraneous cognitive load) entsteht u. a. durch die Gestaltung der Lernumgebung, des Lernmaterials etc. Diese kann verändert werden, um die Belastung zu reduzieren. Die Auseinandersetzung mit dem Lernmaterial, das eigentliche Lernen, verursacht die lernbezogene kognitive Belastung (germane cognitive load). Alle drei Arten der Belastung addieren sich, wobei das Ziel der Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen sein sollte, v. a. die äußere kognitive Belastung durch ein optimales didaktisches Arrangement (Sweller et al. 1998) gering zu halten. Somit steht dem Lernenden viel Kapazität zur Verfügung, um sich auf das eigentliche Lernen zu konzentrieren. Dies ist besonders bei Novizen wichtig, da diese schon durch die Auseinandersetzung mit den Lernaufgaben selbst eine hohe intrinsische kognitive Belastung haben.

2.3.2 Motivationale und emotionale Prozesse

Motivation und Emotion sind eng miteinander verbunden. In der pädagogischen Psychologie werden Lernemotionen oft als Teilaspekt umfassender Motivationstheorien untersucht (Pintrich und Schunk 1996; Jerusalem und Pekrun 1999). Beispielsweise kann die Motivation durch aktuelle Emotionen beim Lernen beeinflusst werden.

Motivation und Immersion.

Motivation wird als Prozess beschrieben, der der Initiierung, Richtung und Aufrechterhaltung der kognitiven Aktivität dient und von Erwartungen und Wertzuschreibungen abhängt (Eccles et al. 1983; Wigfield und Eccles 2000). Rheinberg (2001) entwickelte für das Konzept der Motivation in Lernprozessen ein handlungstheoretisches Modell, welches auch in diesem Beitrag Anwendung findet. Demnach ist eine hohe Motivation gekennzeichnet durch ein hohes situationales Interesse, eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit, eine erfüllbare Herausforderung und eine geringe Misserfolgsbefürchtung. Bis zu einem gewissen Grad können zwischen den vier genannten Dimensionen Kompensationsmöglichkeiten angenommen werden (Rheinberg 2001).

Als einen weiteren Aspekt von Motivation wird Immersion betrachtet. Dieses Konzept stammt selbst aus dem Bereich des videobasierten Lernens (Seidel et al. 2011) und wird beschrieben als Maß an Engagement und Beteiligung bei der Fallarbeit (Kleinknecht und Schneider 2013). Immersion thematisiert, wie sehr die Studierenden in einen Fall bzw. die Arbeit mit diesem „eintaucht“, wie involiert sie demnach sind.

Lernemotionen.

Lernemotionen sind auf bestimmte Situationen bezogen und entstehen durch die Auseinandersetzung mit einem Gegenstand, der als Trigger fungiert, z. B. bei der Auseinandersetzung mit einer Handlung im Fall oder bei der Arbeit mit dem Fall in der Gruppe. Emotionen haben neben der affektiven Komponente (wie die/der Lernende sich fühlt) u. a. auch eine kognitive und eine motivationale Komponente, was den Aspekt der Emotionen beim Lernen besonders wichtig macht (für Emotionen beim fallbasierten Lernen vgl. Kleinknecht und Schneider 2013). Emotionen können nach ihrer Valenz (unangenehm, angenehm) und nach dem Grad der Energetisierung bzw. Erregung (aktivierend, deaktivierend) klassifiziert werden. Lern- und leistungsrelevante Emotionen sind dabei vor allem Freude, Ärger und Langeweile (Pekrun 1992; Möller und Köller 1996). Dem „circumplex-model“ (Barrett und Russell 1999) folgend, welches Emotionen in einem Koordinatensystem mit den Achsen „Valenz“ und „Erregung“ ordnet, sind aktivierende Emotionen Angst und Ärger (unangenehm, aber aktivierend) sowie Freude (angenehm und aktivierend). Langeweile, Scham und Schuld (unangenehm) sind dem Modell folgend nicht aktivierende Emotionen. Ein direkter Zusammenhang zwischen Emotionen und Lernertrag wird dabei nicht vermutet, jedoch ein Mediationseffekt.

3 Fragestellungen

Bisherige Studien zum fallbasierten Lernen in der Lehrerbildung und seinen Effekten auf Analysekompetenz sind selten (vorrangig Lernen mit Unterrichtsvideos, vgl. zusammenfassend Blomberg et al. 2013). Die wenigen vorliegenden Studien liefern bislang kaum einen systematischen Vergleich verschiedener Fallmedien. Es gibt daher wenig empirische Evidenz über den Einfluss dieser auf das Lernen im Lehramtsstudium. Ebenso liegen auch kaum Studien zum Effekt des Fallmediums auf kognitive Belastung und motivationale und emotionale Prozesse beim Lernen vor. Ziel der Studie war es, diese Forschungslücken insbesondere anhand von Daten zu kognitiven sowie motivationalen und emotionalen Prozessen während des Lernens zu schließen (Prozessdaten). Im Fokus standen dabei folgende drei Forschungsfragen:

  1. 1.

    Welche differentiellen Effekte hat das Fallmedium auf die wahrgenommene kognitive Belastung bei der Fallarbeit im Seminar und bei der Hausaufgabe und welche Veränderungen ergeben sich im Verlauf der Intervention?

  2. 2.

    Welche differentiellen Effekte hat das Fallmedium auf motivationale (Motivation, Immersion) und emotionale (Lernemotionen bezogen auf den Fall und das Seminar) Prozesse bei der Fallarbeit im Seminar und bei der Hausaufgabe und welche Veränderungen ergeben sich im Verlauf der Intervention?

  3. 3.

    Gibt es einen substantiellen Zusammenhang zwischen wahrgenommener kognitiver Belastung, motivationalen und emotionalen Prozessen beim Lernen mit Fällen?

4 Methode

4.1 Datenerhebung, Stichprobe und Design der Studie

Die Datenerhebung fand im Juni 2013 im Rahmen der gymnasialen Lehrerbildung an der Universität Tübingen statt. Die Studierenden besuchten in ihrem zweiten Semester ein parallel mehrfach angebotenes Seminar, in dem in zwei Sitzungen das Thema Classroom-Management behandelt wird. Die Intervention fand in diesen 21 Seminaren, veranstaltet von sechs verschiedenen Dozierenden, statt. Es gab elf Seminare in der Bedingung „Text“ und zehn Seminare in der Bedingung „Video“. Insgesamt nahmen N = 680 Lehramtsstudierende aller Fächer teil.

Damit verfügt die Studie über eine für dieses Forschungsfeld sehr große Stichprobe. Die Teilstichproben Text (nT = 333), Video (nV = 305) und Kontrollgruppe (nKG = 42) unterschieden sich hinsichtlich Alter (MW = 21.2; SD = 2.54), Geschlecht (66,3 % weiblich) und Vorerfahrung mit Videofällen (MW = 2.6 Std.; SD = 2.5) und Textfällen (MW = 1.3; SD = 2.1) nicht signifikant untereinander. Da die Studierenden sich freiwillig den Seminaren zuordneten, wurde post-hoc überprüft, ob es z. B. signifikante Unterschiede hinsichtlich der Fächerkombinationen zwischen den Seminaren gab. Auch dies war nicht der Fall. Um den Einfluss der Dozierenden auf die Ergebnisse zu minimieren, wurden diese über die zwei verschiedenen Interventionen ungefähr gleichmäßig verteilt. Ebenso übten die Dozierenden in mehreren Trainings die Interventionen intensiv ein (Ablauf, Rolle als Dozierender in Intervention, kritische Seminarstellen) und hatten während ihrer Sitzungen einen exakten Seminarentwurf mit Ablauf, möglichen Fragen und Umgang mit Studierenden, dem sie folgen sollten. Dies wurde in jeder Sitzung von einem Beobachter aus dem Forschungsteam in Form eines Treatment-Checks (Verlaufsstruktur des Seminars: niedriginferentes Rating; Übereinstimmung Seminarplanung mit -durchführung: hochinferentes Rating) überprüft. Aufgrund der ökologischen Validität (und damit zu lasten der Reliabilität) wurde bei der Hausaufgabe auf einen Standardisierung verzichtet.

Die hier dargestellte Erhebung ist Teil eines Twin-Projektes, wobei im zweiten Teilprojekt in einem Pre-Post-Test die Veränderung der Analysekompetenz hinsichtlich Classroom-Management erhoben wurde. Ergebnisse hierzu sind derzeit noch nicht veröffentlicht (Schneider et al. eingereicht).

4.2 Unabhängige Variable, Intervention und Kontrollgruppe

Unabhängige Variable (Video vs. Text).

Die für die Intervention benötigten vier Videofälle wurden aus einer größeren Videosammlung von authentischem Unterricht danach ausgewählt, inwiefern Classroom-Management in diesen sichtbar (oder eben nicht) wird. Die Videos wurden auf ca. fünf Minuten Länge gekürzt und mit Zusatzinformationen (Schulart, Klassenstufe, Thema der Stunde, Unterrichtsphase) und Untertitelungen angereichert. Um die Vergleichbarkeit zwischen den Video- und Textfällen zu gewährleisten, wurden die Videofälle zunächst transkribiert und um nonverbale Informationen (Mimik/Gestik der Lehrkraft und Schülerinnen und Schülern, Bewegungen, Informationen zur Gestaltung des Klassenzimmers etc.) angereichert. So entstanden in mehreren Entwicklungsschritten und Teamsitzungen (u. a. mit den späteren Dozierenden) vier Fälle in Form von Fließtexten (ca. 3500–4500 Zeichen). Der Vorteil der Videofälle besteht v. a. in der Darstellung der Komplexität unterrichtlichen Handelns. Hingegen kann die Sequentialität (und dadurch Entlastung) als Vorteil der Textfälle betrachtet werden (vgl. auch Kap. 2 .2 sowie Syring 2014).

Intervention.

Die Video- und Textfälle wurden parallel in je zwei Seminarsitzungen (à 90 min) zum Thema Classroom-Management eingesetzt. Inhaltlich wurden die beiden Sitzungen durch eine Hausaufgabe verbunden, in der es auch darum ging, kognitive Belastung und nicht-kognitive Prozesse bei der Fallarbeit zu erfassen. Im ersten Teil der ersten Sitzung wurden Definitionen und Merkmale verschiedener Autorinnen und Autoren zum Thema Classroom-Management gelehrt (Kounin 1976/2006; Evertson und Weinstein 2006; Mayr 2008) sowie aktuelle Forschungsbefunde thematisiert. Anschließend sollten die Studierenden in Kleingruppen eine Synopse aus den verschiedenen Merkmalen von Classroom-Management erstellen (Syring et al. 2013), um sich für die folgende Fallarbeit einen einprägsamen Überblick über diese Forschungsergebnisse zu verschaffen. Im zweiten Teil der ersten Sitzung erläuterten die Dozierenden zunächst die Schritte der Fallanalyse. Anschließend bearbeiteten die Studierenden im Plenum unter Anleitung des Dozierenden oder in Kleingruppen (anhand von Leitfragen) einen Unterrichtsfall in Form eines Textes oder Videos. Als Hausaufgabe analysierten die Studierenden einen weiteren Fall. In der zweiten Sitzung wurde diese Hausaufgabe zunächst besprochen und damit auch die Durchführung dieser kontrolliert; anschließend zwei weitere Fälle analysiert (zur ausführlichen Interventionsbeschreibung vgl. Syring 2014).

Kontrollgruppe.

Die Sitzungen der Kontrollgruppe liefen analog zu den Sitzungen der Interventionsgruppen ab. Anstatt der Fallarbeit setzten sich die Studierenden jedoch im Plenum oder in Kleingruppen (Entscheidung des Dozierenden) mit wissenschaftlichen Texten zum Thema Classroom-Management (s. o.) auseinander. Da die Kontrollgruppe ohne Fälle arbeitete, entfiel die Hausaufgabe zur Fallarbeit und damit der zweite Messzeitpunkt. Aus organisatorischen Gründen fand die Kontrollgruppe im vorausgehenden Semester bereits statt, was jedoch keinen Einfluss auf die Kennwerte der Merkmale der Stichprobe (s. o.) hatte.

4.3 Instrumente zur Messung der abhängigen Variablen

Die abhängigen Variablen wurden während der Fallarbeit, also direkt im Lernprozess, zu drei Messzeitpunkten erhoben: In der ersten Sitzung nach der Fallarbeit (B1), im Anschluss an die Hausaufgabe (B2) und in der zweiten Sitzung nach der Fallarbeit (B3). Direkt nach der Auseinandersetzung mit dem Fall wurden die Studierenden gebeten, einen kurzen, zweiseitigen Fragebogen auszufüllen. Dieses Vorgehen wurde gewählt, um den Lernprozess der Studierenden so nah wie möglich zu erfassen. Da das Forschungsinteresse auf Prozessvariablen lag, wurden diese ausschließlich während der Fallarbeit und nicht im Kontext eines Pre-Post oder Follow-Up-Tests erfasst. Die Skala zur Erfassung der Lernemotionen wurde zweimal eingesetzt: Einerseits sollten die Studierenden angeben, wie sie sich im Bezug auf den konkreten, vorliegenden Fall fühlen und andererseits, wie sie sich im Bezug auf die Arbeitsweise im Seminar mit dem Fall fühlen.

In der Kontrollgruppe wurde der Fragebogen jeweils nach der Besprechung der theoretischen Texte in beiden Sitzungen ausgefüllt; der Fragebogen zur Hausaufgabe (B2) entfiel, da hier keine Fallarbeit stattfand.

Die verwendeten Skalen stammen aus etablierten und faktorenanalytisch geprüften Instrumenten der Unterrichts- und teils auch der Lehrerbildungsforschung (vgl. Tab. 1 und 2); die angegebenen Cronbachs Alpha stammen aus der eigenen Erhebung. An den Stellen, an denen es uns aufgrund unzureichender Passung zur Stichprobe (Lehramtsstudierende) oder zum Untersuchungsgegenstand (Lernen mit Fällen) notwendig erschien, wurden die Skalen um eigene Items aus einer Pilotierungsstudie ergänzt (die genutzten Fragebögen sind einsehbar in Syring 2014).

Tab. 1 Verwendete Variablen im Begleitfragebogen
Tab. 2 Variablen und Itembeispiele

4.4 Analysen

Die Effekte des Fallmediums wurden mittels zweifaktorieller ANOVA (Faktoren Medium und Dozierender) für jeden der drei Messzeitpunkte berechnet (Nachtigall und Wirtz 2006). Der Faktor „Dozierender“ fungierte dabei als Kovariate zur Kontrolle; die Kennwerte hierzu werden später nicht berichtet. Wenn der Faktor „Medium“ einen signifikanten Effekt hatte, wurden post-hoc t-Tests gerechnet, um die Unterschiede zwischen den Gruppen auf Signifikanz zu prüfen (Dargestellt als a in den Tabellen).

Zur Feststellung der Veränderungen über die Zeit wurden t-Tests im Rahmen von Varianzanalysen mit Messwiederholung durchgeführt (Nachtigall und Wirtz 2006), da es sich um abhängige Daten handelte. Für diese Berechnungen wurde der Faktor Medium herangezogen. In den Ergebnissen werden die Veränderungen nur der Vollständigkeit halber berichtet, weitere Diskussionen hierzu werden an anderer Stelle geführt (Syring 2014).

Zur Überprüfung von Zusammenhängen zwischen den gemessenen Konstrukten und deren Richtung wurden Korrelationen nach Pearson berechnet (Nachtigall und Wirtz 2006).

5 Ergebnisse

5.1 Ergebnisse zur wahrgenommenen kognitiven Belastung

Die intrinsische kognitive Belastung (vgl. Kap. 2.3.1) lag jeweils leicht über dem theoretischen Mittel der Skala (vgl. Tab. 3) und unterschied sich zwischen den beiden Interventionsgruppen zu allen drei Zeitpunkten nicht (B1: F(1) = 0,24, p = 0,63; B2: F(1) = 0,95, p = 0,33,; B3: F(1) = 0,95, p = 0,33). Die externe kognitive Belastung, also diejenige, die durch die Lernumgebung und das Lernmaterial ausgelöst wird, unterschied sich zum Zeitpunkt der Hausaufgabe (B2) zwischen den beiden Gruppen hoch signifikant (F(1) = 15,19, p < 0,001, η 2 = 0,03); ansonsten ließen sich keine signifikanten Unterschiede finden (vgl. Tab. 3). Addiert man die intrinsische und externe kognitive Belastung, wie theoretisch vorgeschlagen (Sweller 1994), ergibt sich das gleiche Bild. Die gesamte wahrgenommene kognitive Belastung unterscheidet sich hier während der Hausaufgabe (B2) signifikant zwischen den Gruppen (F(1) = 9,76, p = 0,002, η 2 = 0,02), der Effekt ist jedoch sehr gering.

Tab. 3 Mittelwerte und SD (in Klammern) zur intrinsischen, externen und gesamten wahrgenommenen kognitiven Belastung zu allen drei Messzeitpunkten

Die Varianzanalyse mit Messwiederholung ergab in der Textgruppe, dass die gesamte wahrgenommene kognitive Belastung über beide Sitzungen hinweg (B1 zu B3) signifikant abnahm (T(313) = 10,32, p < 0,001, d = 0,36). In der videobasierten Gruppe nahm die gesamte kognitive Belastung zunächst hoch signifikant zu (T(272) = 3,96, p < 0,001, d = 0,15), dann jedoch auch wieder hoch signifikant ab (T(272) = 6,45 p < 0,001, d = 0,14). Für diese Gruppe ergab sich über das Seminar hinweg (B1 zu B3) eine signifikante Zunahme der gesamten kognitiven Belastung (T(372) = 7,73, p < 0,001, d < 0,01).

5.2 Ergebnisse zu motivationalen und emotionalen Prozessen

Motivation und Immersion.

Betrachtet man zunächst die Gesamtmotivation (vgl. Kap. 2.3.2), so unterscheidet sich diese in den Seminaren (B1 und B3) nicht signifikant zwischen der Text-, der Video- und der Kontrollgruppe. In allen Gruppen (bis auf Video bei der Hausaufgabe) lag sie deutlich über dem theoretischen Mittel der Skala (vgl. Tab. 4). Zum Zeitpunkt der Hausaufgabe unterscheidet sich die Gesamtmotivation hoch signifikant zwischen der Text- und Videogruppe (F(1) = 129,54, p < 0,001, η 2 = 0,22), der Effekt hat eine mittlerer Stärke. Die Motivation ist in der Textgruppe deutlich höher. In beiden Gruppen bleibt die Motivation über die Seminare hinweg konstant (B1 zu B3), sie nimmt jedoch in der Videogruppe zur Hausaufgabe hin zunächst signifikant ab (T(206) = 19,17, p < 0,001, d = 2,21) und anschließend wieder signifikant zu (T(201) = − 18,71, p < 0,001, d = 2,28).

Tab. 4 Mittelwerte und SD (in Klammern) der Gesamtmotivation, Teilaspekte von Motivation und Immersion zu allen drei Messzeitpunkten

Ein weiterer Blick auf die Teilaspekte der Motivation offenbart zum Teil große Unterschiede zwischen den Gruppen. Das Interesse unterscheidet sich nur bei der Hausaufgabe (B2) zwischen den Gruppen signifikant voneinander (F(1) = 10,52, p = 0,001, η 2 = 0,02). Die Erfolgswahrscheinlichkeit, also die Einschätzung der Studierenden, wie wahrscheinlich es ist, dass sie die Fallarbeit bewältigen werden, unterscheidet sich sowohl in der ersten Sitzung (B1) als auch bei der Hausaufgabe (B2) (hier sogar hoch) signifikant zwischen den Gruppen (B1: F(2) = 3,16, p = 0,04, η 2 = 0,01; B2: (F(1) = 347,84, p < 0,001, η 2 = 0,43). Auch in der zweiten Sitzung ist die Erfolgswahrscheinlichkeit in der Textgruppe höher, jedoch nicht mehr signifikant. Genau umgekehrt verhält es sich mit der Misserfolgsbefürchtung. Diese unterscheidet sich bei B1 signifikant (F(2) = 5,22, p = 0,01, η 2 = 0,02) und bei der Hausaufgabe hoch signifikant (F(1) = 241,46, p < 0,001, η 2 = 0,35) voneinander. Bei der Hausaufgabe liegen mittlere Effekte bezüglich der Erfolgswahrscheinlichkeit und Misserfolgsbefürchtung vor. Bezüglich der Herausforderung ließen sich keine signifikanten Unterschiede feststellen.

Die Immersion, also der Grad der Involviertheit und des Engagements, ist in der Videogruppe zu allen drei Messzeitpunkten höher als in der Textgruppe. Zum ersten Messzeitpunkt (B1) ist dieser Unterschied signifikant (F(1) = 3,81, p = 0,05, η 2 = 0,01). Trotz der signifikanten Abnahme der Immersion bei der Hausaufgabe (B2) in beiden Gruppen (Text: T(208) = 3,35, p = 0,001, d = 0,2; Video: T(207) = 5,55, p < 0,001, d = 0,46), nimmt diese insgesamt im Seminar in beiden Gruppen signifikant zu (Text: T(239) = − 2,24, p = 0,03, d = 0,16; Video: T(224) = − 2,04, p = 0,04, d = 0,17).

Lernemotion.

In allen drei Gruppen findet sich eine positive Grundstimmung (Valenz) (vgl. Tab. 5). In der ersten Sitzung (B1) unterscheidet sich diese signifikant zwischen den Gruppen (F(2) = 3,36, p = 0,04, η 2 = 0,01); sie ist in der Videogruppe am höchsten. In der zweiten Sitzung (B3) bleibt sie am positivsten in der Videogruppe, der Unterschied ist jedoch nur noch tendenziell signifikant (F(2) = 2,99, p = 0,051, η 2 = 0,01). Der Grad der Erregung, den diese Grundstimmung auslöst, ist in allen Gruppen zu allen Zeitpunkten gering und unterscheidet sich nicht signifikant. Auch hier lohnt ein vertiefender Blick auf die verschiedenen Lernemotionen, da diese zwischen den Gruppen unterschiedlich ausgeprägt sind. Zunächst sollen die Lernemotionen im Bezug auf den Fall dargestellt werden. Die Studierenden der Videogruppe empfinden signifikant mehr Freude im Gegensatz zu den anderen Gruppen in den beiden Sitzungen (B1: F(1) = 10,62, p = 0,001, η 2 = 0,02); B3: F(1) = 5,15, p = 0,02, η 2 = 0,01). Im Gegensatz dazu empfinden die Studierenden der Textgruppe signifikant mehr Ärger in beiden Sitzungen (B1: F(1) = 5,20, p = 0,02, η 2 = 0,01); B3: (F(1) = 3,94, p = 0,05, η 2 = 0,01). Hinsichtlich der Emotionen Angst, Scham und Schuld (alle gering ausgeprägt, vgl. Tab. 5) sowie Langeweile (mittlere Ausprägung, vgl. Tab. 5) fanden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen. Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Blick auf die Emotionen, die sich auf die Arbeitsweise imSeminar beziehen. Hinsichtlich der Freude lassen sich zunächst keine Unterschiede feststellen, erst in der zweiten Sitzung (B3) ist diese in der Videogruppe signifikant höher (F(2) = 3,95, p = 0,02, η 2 = 0,01). Signifikant mehr Ärger empfinden in beiden Sitzungen (B1 und B3) die Studierenden der Textgruppe gegenüber der Video- und Kontrollgruppe (B1: (F2) = 3,06, p = 0,05, η 2 = 0,01); B3: (F(2) = 3,87, p = 0,02, η 2 = 0,01). Bei der Betrachtung der Emotionen im Bezug auf das Seminar empfinden in der ersten Sitzung (B1) alle Studierenden zwar wenig Angst (vgl. Tab. 5), die Studierenden der Textgruppe jedoch signifikant mehr als ihre Mitstudierenden in den anderen Gruppen (F(2) = 4,17, p = 0,02, η 2 = 0,01). Auch hier finden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen im Bezug auf Langeweile, Scham und Schuld.

Tab. 5 Mittelwerte und SD (in Klammern) der Grundstimmung und Lernemotionen bezogen auf den Fall und das Seminar zu allen drei Messzeitpunkten

5.3 Zusammenhänge zwischen den erhobenen Konstrukten

Betrachtet man die Korrelationen nach Pearson zum ersten Messzeitpunkt (B1) exemplarisch für die anderen Messzeitpunkte, so besteht ein positiver Zusammenhang zwischen der Grundstimmung im Fallseminar (Valenz) und dem Grad der Erregung, der damit einhergeht (r = 0,16). Ebenso lässt sich ein positiver Zusammenhang zwischen dieser Grundstimmung und der Höhe der Immersion (r = 0,57) sowie der Höhe der Motivation (r = 0,51) feststellen. Ein negativer Zusammenhang ist dagegen zwischen der Grundstimmung und der externen (r = − 0,40) beziehungsweise der gesamten wahrgenommenen kognitiven Belastung (r = − 0,14) festzustellen. Zu beobachten ist, dass es keinen bzw. nur einen sehr schwachen negativen Zusammenhang zwischen der intrinsischen kognitiven Belastung und der Immersion (r = 0 ,08) bzw. Motivation (r = − 0,13) gibt. Sehr viel deutlicher fällt der negative Zusammenhang zwischen der externen kognitiven Belastung und der Immersion (r = − 0,32) bzw. Motivation (r = − 0,40) aus. Der Grad der Involviertheit und des Engagements (Immersion) und die Höhe der Motivation hängen ebenfalls positiv zusammen (r = 0,55).

6 Diskussion

Die Interventionsstudie untersuchte verschiedene Effekte fallbasierten Lernens mit Texten oder Videos auf die wahrgenommene kognitive Belastung der Studierenden sowie motivationale und emotionale Prozesse beim Lernen. Dabei konnten Unterschiede zwischen den Interventionsgruppen und Unterschiede beider Interventionsgruppen zur Kontrollgruppe gefunden werden. Zusätzlich ergaben sich Veränderungen innerhalb der Gruppen über die Zeit hinweg.

6.1 Kognitive Belastung, motivationale und emotionale Prozesse

Die ersten beiden Forschungsfragen behandeln die differentiellen Effekte des Fallmediums auf die wahrgenommene kognitive Belastung sowie motivationale und emotionale Prozesse beim Lernen mit Fällen im Seminar und bei der Hausaufgabe. Es ließen sich hierbei querschnittliche Unterschiede zwischen den Interventionsgruppen identifizieren.

Kognitive Belastung bei Videofällen höher.

Das Fallmedium hat einen Effekt auf die wahrgenommene kognitive Belastung (cognitive load) bei der Fallarbeit. Die intrinsische kognitive Belastung entsteht durch die Auseinandersetzung der Studierenden mit der Aufgabe, hier der Fallarbeit. Sie wurde in beiden Interventionsgruppen nicht signifikant unterschiedlich eingeschätzt. Die externe kognitive Belastung war zunächst in der Textgruppe höher. Vor allem während der Hausaufgabe stieg diese Art der kognitiven Belastung in der Videogruppe an und blieb auch während des zweiten Seminars (B3) im Vergleich zur Textgruppe höher. Dies wirkte sich auch auf die gesamte wahrgenommene kognitive Belastung aus. Die Arbeit mit Videofällen wird als kognitiv belastender empfunden, was sich durch die dargestellte Komplexität und die Parallelität der Handlungen im Video erklären lässt. Veränderungen der wahrgenommenen kognitiven Belastung ergaben sich über die zwei Seminarsitzungen hinweg. Dabei lässt sich feststellen, dass die Schwierigkeit der Fallarbeit, also die intrinsische kognitive Belastung konstant bleibt. Die externe kognitive Belastung nimmt in der Textgruppe deutlich ab, in der Videogruppe bleibt sie konstant bzw. erhöht sich sogar leicht. Als Interpretation bietet sich der Gewöhnungseffekt an das Lernen mit dem Medium Text an, der dazu führt, dass er weniger Belastung bei den Studierenden hervorruft, die dann, der Theorie folgend, für die Lösung der gestellten Aufgabe verwendet werden kann.

Motivation unterscheidet sich nicht.

Unerwarteter stellt sich das Bild bei der Motivation dar. Entgegen der theoretischen Annahmen und den empirischen Befunden von Koehler et al. (2005) und Yadev et al. (2011) unterschieden sich die beiden Interventionsgruppen hinsichtlich der Gesamtmotivation nicht. Sie wiesen zudem eine gleich hohe Motivation auf wie die Kontrollgruppe. Die Diskrepanz zwischen den Daten unserer Studie und denen der genannten Untersuchungen lässt sich mit der Definition des Motivationskonstrukts erklären. In anderen Studien wird Interesse häufig mit Motivation gleichgesetzt, für unsere Studie haben wir Interesse als einen Aspekt von Motivation operationalisiert. Betrachtet man die Ergebnisse zum Interesse in unserer Studie, lässt sich das Bild der o. g. Studien von Koehler et al. (2005) und Yadev et al. bestätigen, dass die Studierenden in der Videogruppe interessierter waren als in der Textgruppe. Nimmt man jedoch die Erfolgswahrscheinlichkeit, die Misserfolgsbefürchtung und die Herausforderung hinzu (Rheinberg 2006), so steigt die Motivation in allen untersuchten Gruppen gleich stark an; Unterschiede zwischen den Gruppen lassen sich nicht berichten. Das Absinken der Motivation bei der Hausaufgabe findet sich nur in der Videogruppe. Dies lässt sich mit der gesunkenen Erfolgswahrscheinlichkeit und der erhöhten Misserfolgsbefürchtung erklären. Ebenfalls könnte die gestiegene externe kognitive Belastung hier ihre Wirkung zeigen. Studierende scheinen zu Hause bei Videos mehr „Angst“ zu haben, etwas falsch zu machen oder zu übersehen. Dagegen scheint der Textfall nach nur einer Sitzung „bewältigbar“.

Immersion bei Videofällen höher und zunehmend.

Die Immersion, verstanden als Maß an Engagement und Beteiligung bei der Fallarbeit, nimmt über die Zeit in beiden Gruppen leicht zu, bleibt jedoch in der Video- immer höher als in der Textgruppe. Die Studierenden scheinen bei Videofällen stärker involviert zu sein als bei Textfällen, was auch zu einem leicht höheren Engagement in der Fallarbeit führt.

Freude bei Videos, Ärger bei Texten.

Die Grundstimmung in den videobasierten Fallseminaren war insgesamt am positivsten in allen Sitzungen. Dies deckt sich mit dem Befund, dass Studierende in dieser Gruppe sowohl im Bezug auf den Fall, als auch im Bezug auf die Arbeitsweise mit dem Fall mehr Freude empfinden als die Text- oder Kontrollgruppe. Im Gegensatz dazu empfindet die Textgruppe mehr Ärger bezüglich des Falls und die Arbeitsweise mit diesem. Dies könnte damit zusammenhängen, dass Videos als interessanter wahrgenommen werden, ein Hineinversetzen in die handelnden Personen eher möglich ist und man im wahrsten Sinne des Wortes „mehr sieht“. All dies würde zu mehr Freude beim Lernen mit Fällen führen. Textfälle sind eine Gattung von Text, sie unterscheiden sich zwar von wissenschaftlichen Texten in Sprache, Stil und formalem Aufbau, doch werden sie scheinbar dennoch als Texte wahrgenommen, die bei den Studierenden zu erhöhtem Ärger beim Lernen führten. Ebenso ließ sich beobachten, dass die Studierenden in der Textgruppe in der ersten Sitzung wenig, im Vergleich zu den anderen Studierenden jedoch mehr Angst beim Lernen empfunden haben. Dies könnte damit zusammenhängen, dass der Textfall und die analytische Arbeit an diesem als etwas Neues, Schwieriges und zunächst Beängstigendes empfunden wird; Videos als Medium in der Freizeit (z. B. Spielfilme über Schule) sind bekannt, vertraut, somit „leichter“ und lösen weniger Angst aus. Trotz dieser Unterschiede in der Valenz der Stimmungen und Lernemotionen lässt sich festhalten, dass die aufgetretenen Lernemotionen Freude (im Videoseminar) und Ärger (im Textseminar) beide aktivierend sind und somit positiv auf den Lernprozess wirken können (Barrett und Russell 1999).

Abschließend sollte die Frage geklärt werden, ob ein Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen kognitiven Belastung einerseits und motivationalen und emotionalen Prozessen anderseits beim Lernen mit Fällen besteht. Hierzu konnten Zusammenhänge, wie sie auch in der Lehr-Lernforschung zum Unterricht üblich sind (z. B. Pintrich und Schunk 1996), gefunden werden. Eine positive Grundstimmung hängt mit hoher Immersion und Motivation sowie niedriger kognitiver Belastung zusammen. Erstaunlicherweise ist kaum bzw. nur ein sehr geringer negativer Zusammenhang zwischen der konkreten Lernaufgabe (intrinsischen kognitiven Belastung), hier der Fallarbeit, und der Immersion und Motivation vorhanden. Entscheidender scheint der negative Zusammenhang zwischen Motivation und Immersion und der externen kognitiven Belastung, die durch das Lernsetting, also z. B. das Fallmedium aber auch andere Faktoren, bedingt wird. Dies kann als ein positives Zeichen interpretiert werden, denn die externe kognitive Belastung lässt sich durch die Dozierenden beeinflussen, zum Beispiel durch die Wahl des Fallmediums, womit sie dann auch die Motivation und Immersion der Studierenden beeinflussen können.

6.2 Empfehlungen für die Lehrerbildung

Durch den Einsatz von Unterrichtsfällen in Seminaren der ersten Phase der Lehrerbildung lässt sich die Motivation in Hochschulseminaren erhöhen. Fälle sollten daher öfter als bisher in der Lehrerbildung eingesetzt werden. Der Vorteil von Videofällen liegt dabei einerseits in ihrer höheren Immersion und andererseits in der verstärkten Freude, die sie beim Lernen mit ihnen auslösen. Dies könnte den Nachteil der höheren wahrgenommenen kognitiven Belastung ausgleichen. Der Vorteil von Textfällen liegt in ihrer schnellen „Bewältigbarkeit“, was zu geringerer kognitiver Belastung und einer höheren Erfolgswahrscheinlichkeit führt. Daher eignen sie sich auch gut für Hausaufgaben. Dieser Vorteil könnte möglicherweise jedoch nicht nachhaltig sein, da die Komplexitätsreduktion gegenüber den Videofällen durch die Studierenden als realitätsferner eingeschätzt werden könnte. Für Videofälle gilt, dass sie für Hausaufgaben ebenso eingesetzt werden können, ihre Analyse sollte allerdings intensiv vorher im Seminar besprochen werden. Ebenso sollten Dozierende darauf achten, dass der Ärger, der beim Lernen mit Textfällen entsteht, nicht zur Resignation bei den Studierenden führt, sondern aktivierend genutzt wird.

6.3 Grenzen der Studie, methodische Überlegungen und Ausblick

Die Aussagen der Studie sind begrenzt auf Studierende im zweiten Semester, also Novizen, sowie Studierende des gymnasialen Lehramtes. Andere Ergebnisse bei höheren Semestern, Lehrkräften im Referendariat (Beginnende) oder im Schuldienst (Experten) sind zu erwarten; lehramtsartenspezifische Unterschiede jedoch hinsichtlich der untersuchten Konstrukte nicht. Die Studie ist begrenzt auf das Thema Classroom-Management. Es bleibt unklar, ob die Ergebnisse ebenso für die Arbeit mit Fällen bei anderen pädagogisch-psychologischen Themen oder in den Fachwissenschaften und Fachdidaktiken gelten. Zukünftige Forschungsarbeiten könnten sich damit und mit der eher grundsätzlichen Frage, ob sich alle pädagogisch-psychologischen Themenfelder für die Fallarbeit eignen (z. B. das Thema Schulentwicklung), auseinandersetzen.

Zur Datenerhebung wurden in dieser Studie Fragebögen mit geschlossenen Items verwendet, die zeitnah latente Konstrukte wie Motivation und Lernemotionen erfassen konnten. Generell wäre zu überlegen, ob diese Form der Selbstauskunft ausreicht, um Aussagen über kognitive Belastung und die nicht-kognitiven Prozesse beim Lernen zu treffen oder ob andere Formen der Erhebung eingesetzt werden sollten. In einer Weiterentwicklung des Fragebogens sollte zukünftig auch die Lesefähigkeit bzw. -geschwindigkeit der Studierenden mit erhoben werden, da davon auszugehen ist, dass diese einen Einfluss auf die kognitive Belastung ebenso wie auf Motivation und Lernemotionen hat.

Die Ergebnisse zeigen die Effekte des Fallmediums auf den Lernprozess beim Lernen mit Fällen. Die Studierenden konnten sich dabei auf kognitiver Ebene in den Seminaren zum einen Wissen über das Thema Classroom-Management aneignen und zum anderen Analysekompetenz erwerben. Ob es ebenfalls Effekte des Fallmediums auf diesen Wissens- und Kompetenzaufbau gibt, wird derzeit in einem zweiten Teilprojekt zu dieser Studie untersucht. Anschließend wäre zu beleuchten, ob Moderationseffekte der dargestellten wahrgenommenen kognitive Belastung sowie der motivationalen und emotionalen Prozesse auf den Wissenszuwachs im Bereich Classroom-Management und den Aufbau der Analysekompetenz vorliegen ( Schneider et al. eingereicht).