1 Einleitung

Kulturelle und künstlerische Bildung ist auf der Volksschulstufe in der Schweiz im Grundsatz unbestritten und gut verankert, sowohl was die allgemeine Zielsetzung wie auch was den Anteil an der gesamten Unterrichtszeit anbelangt. Gleichwohl kann der Fächerbereich Musik, Kunst und Gestaltung als weitgehend unbekanntes Feld in der schweizerischen Bildungslandschaft bezeichnet werden. Es gibt kaum offizielle Verlautbarungen dazu und auch von der Forschung wurde dieser Bereich bisher wenig beachtet. Die übergreifenden Reformen, die im Bildungswesen der Schweiz derzeit stattfinden (Harmonisierung der kantonalen Bildungssysteme, Kompetenzorientierung sowie stärkere Gewichtung von Bildungsergebnissen bei der Systemsteuerung) bleiben jedoch nicht ohne Einfluss auf den Fächerbereich Musik, Kunst und Gestaltung. Sie haben vielmehr grundlegende Diskussionen ausgelöst, in denen es nicht zuletzt um eine gemeinsame Basis der betreffenden Fächer und um ihre Positionierung im Gesamt der Volksschulbildung geht. Für die an Bildungsfragen interessierte Öffentlichkeit werden die erwähnten Grundsatzdiskussionen jedoch kaum sicht- und hörbar. Sie bleiben auf eine Fachwelt beschränkt, die sich daran gewöhnt zu haben scheint, dass sie außerhalb des Rampenlichts steht. Die Randstellung der „musischen“ Fächer wird denn auch immer wieder beklagt und deren Status als „Nebenfächer“ bedauert. Das Schlaglicht, das die Beteiligung an den PISA-Leistungmessungen und die Erarbeitung von Bildungsstandards auf die sprachlichen, mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächer warf, verstärkte in anderen Fächern und insbesondere im Kunstbereich das Gefühl, im Schatten zu stehen (vgl. Wanzenried 2004). Dies steht in einem gewissen Gegensatz zur eingangs erwähnten Verankerung des Bildungsbereichs Musik, Kunst und Gestaltung.

Solchen Widersprüchen nachzugehen und die kulturelle und künstlerische Bildung in der Volksschule einer breiteren Öffentlichkeit bekannter zu machen, bildeten den Anlass, diesem Bildungsbereich eine Trendanalyse zu widmen. Der im Herbst 2011 veröffentlichte Bericht geht auf curriculare Vorgaben, das Selbstverständnis der Fachbereiche, die zeitlichen Ressourcen der Fächer sowie die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Lehrpersonen ein. Im Bericht wird auch die international reichhaltige Forschung zu Transfereffekten der künstlerischen und kulturellen Bildung aufgegriffen. Forschungsarbeiten zu Effekten kultureller und künstlerischer Bildung auf sprachliche und mathematische Schulleistungen oder auf soziale Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern dienten in den vergangenen Jahrzehnten vielfach zur Begründung und als Argumentationshilfe für die Forderung nach Ausbau der kulturellen und künstlerischen Bildung. Die kritische Rezeption dieser Forschung (vgl. Rittelmeyer 2010; OECD 2011), welche die Ergebnisse relativiert und auf methodische Mängel hinweist, führt nun dazu, vermehrt den Eigenwert künstlerischer und kultureller Bildung zu betonen und das Augenmerk auf seine genuinen Bildungsleistungen zu richten (vgl. Bamford 2006; UNESCO 2010; OECD 2011). In diesem Sinne widmet sich der letzte Teil der Trendanalyse den Perspektiven der kulturellen und künstlerischen Bildung in der Volksschule der Schweiz. Die Analyse fusst auf der Durchsicht einschlägiger Dokumente (Konkordat, Lehrpläne, Stundentafeln, Lehrmittel, Fach- und Forschungsliteratur) sowie auf Gesprächen mit Fachpersonen.

Der vorliegende Beitrag basiert auf der erwähnten Trendanalyse (vgl. SKBF 2011). Er geht auf den Stellenwert des Bildungsbereichs Musik, Kunst und Gestaltung in den Rahmenvorgaben der obligatorischen Schule ein (Kap. 2), beschreibt die quantitative Bedeutung dieses Fächerbereichs im kantonalen und internationalen Vergleich (Kap. 3), umreisst die in den Lehrplänen formulierten Bildungsziele (Kap. 4), schildert in aller Kürze den Brückenschlag zwischen Kulturbetrieb und Schule durch Kulturvermittlung (Kap. 5), diskutiert Fragen der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen (Kap. 6) und wirft einen Blick auf die einschlägige Forschung in der Schweiz (Kap. 7). Zusammenfassend wird die Situation des Fächerbereichs in der Schweiz anhand einiger Forderungen dargestellt (Kap. 8), die von einem internationalen Experten-Panel in Berlin formuliert worden sind (vgl. Liebau 2010).

2 Stellenwert des Bildungsbereichs Musik, Kunst und Gestaltung

Im Sommer 2007 verabschiedete die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) eine Interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule (HarmoS-Konkordat). In diesem Konkordat, das eine strukturelle und inhaltliche Annäherung der kantonalen Bildungssysteme bezweckt, werden erstmals die übergeordneten Ziele der Volksschule auf nationaler Ebene festgelegt. Die Grundbildung wird eingeteilt in fünf Bereiche, deren einer die Bezeichnung „Musik, Kunst und Gestaltung“ trägt. Die andern sind „Sprachen“, „Mathematik und Naturwissenschaften“, „Sozial- und Geisteswissenschaften“ sowie „Bewegung und Gesundheit“. Für den Lernbereich Musik, Kunst und Gestaltung finden sich im Konkordat folgende Zielformulierungen: Angestrebt wird „eine auch praktische Grundbildung in verschiedenen künstlerischen und gestalterischen Bereichen, ausgerichtet auf die Förderung von Kreativität, manuellem Geschick und ästhetischem Sinn sowie auf die Vermittlung von Kenntnissen in Kunst und Kultur“ (HarmoS-Konkordat vom 14. Juni 2007, Art. 3, Ziff. 2d). Das Konkordat hält auch fest, dass die weitere Konkretisierung dieser allgemein formulierten Bildungsziele in Lehrplänen für die Sprachregionen zu erfolgen habe. Während die französischsprachigen Kantone bereits einen gemeinsamen Lehrplan (Plan d’études romand) vorlegen können, befinden sich die Lehrpläne für die deutschsprachigen Kantone und den italienischsprachigen Landesteil noch in der Erarbeitungsphase.

Im französischsprachigen Lehrplan werden die Bildungsziele des Bereichs Musik, Kunst und Gestaltung unter den Oberbegriff „Arts“ (Künste) gefasst und in knapper Form umschrieben. Es geht um das Entdecken, Wahrnehmen und Entwickeln künstlerischer Ausdrucksweisen und „Sprachen“. Dies soll mit Blick auf die eigene Identitätsbildung, die kulturelle Teilhabe und die Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe geschehen (vgl. CIIP 2010). Im Grundlagenbericht zum gemeinsam in Angriff genommenen „Lehrplan 21“ der deutschsprachigen Kantone wurde die Bezeichnung aus dem HarmoS-Konkordat übernommen. Es heisst dort: „Der Bildungsbereich Musik, Kunst und Gestaltung wird im ersten Zyklus in Gestalten und Musik und im zweiten und dritten Zyklus in bildnerisches Gestalten, textiles und technisches Gestalten sowie Musik aufgeteilt. Der Fachbereich wird auf die Förderung der Kreativität, der manuellen Fertigkeiten und der Ästhetik, auf Kenntnisse und Fähigkeiten in Kunst und Kultur sowie auf die Förderung des Technikverständnisses ausgerichtet“ (Geschäftsstelle der deutschsprachigen EDK-Regionen 2010, S. 18).

3 Verfügbare Unterrichtszeit für Musik, Kunst und Gestaltung

Um zu eruieren, wie viele zeitliche Ressourcen für die Umsetzung der oben dargestellten breiten Zielvorgaben verfügbar sind, wurden für die Trendanalyse die offiziellen Stundentafeln der Kantone beigezogen, wie sie vom Informationszentrum der Erziehungsdirektorenkonferenz zusammengestellt werden (vgl. EDK/IDES 2009). Diese Stundentafeln dienten insbesondere auch für die Berechnung der gesamten in der obligatorischen Schulzeit (Volksschule) eingesetzten Unterrichtszeit, zu der die Unterrichtszeit für Musik, Kunst und Gestaltung in Beziehung gesetzt wurde. Bei der Berechnung der Unterrichtszeit für diesen Fächerbereich ergaben sich einige Schwierigkeiten (z. B. fehlender genauer Ausweis der Unterrichtszeit für die betreffenden Fächer), die zum Ausschluss einiger Kantone aus den Berechnungen führten. Dies gilt insbesondere auch für die Darstellung der Unterrichtszeit nach Fächern. Für einen internationalen Vergleich wurde schliesslich auf eine europäische Studie über Kunst- und Kulturerziehung an den Schulen in Europa (vgl. EURYDICE 2009) zurückgegriffen.

3.1 Die Schweiz im Vergleich mit andern europäischen Ländern

Für den internationalen Vergleich konnte nur eine kleine Anzahl von Ländern, die sich an der europäischen Studie beteiligt hatten, berücksichtigt werden. Es handelt sich um jene Länder, in denen wie in der Schweiz die Bereiche Bildende Kunst, Handwerkliches Gestalten sowie Musik sowohl auf der Primarstufe (ISCED 1) wie auch auf der Sekundarstufe I (ISCED 2) verpflichtend unterrichtet werden bzw. verpflichtende Bestandteile des Lehrplans musischer Fächer sind. Weiter mussten für die Berechnungen eindeutige Angaben zur Anzahl Unterrichtsstunden in Musik, Kunst und Gestaltung sowie zum Stundentotal aller Fächer vorliegen. Trotz der Einschränkungen war ein Vergleich der Situation in der Schweiz mit jenen in den Nachbarländern (ausser Italien) möglich (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Vergleich des Pflichtanteils im Bildungsbereich Musik, Kunst und Gestalten in Prozent der gesamten obligatorischen Unterrichtszeit, ISCED Stufe 1 und 2 (in Klammern: Anzahl der obligatorischen Schuljahre)

Bei den im Vergleich aufgeführten Schweizer Angaben handelt es sich um einen Durchschnittswert. In einem ersten Schritt wurde ein Mittelwert aus den kantonalen Pflichtstundenzahlen für die Primarstufe berechnet. Für die Sekundarstufe I (ISCED 2) wurden Stundentafeln der Klassen mit Grundansprüchen und jener mit erweiterten Ansprüchen berücksichtigt und daraus ein Durchschnittswert ermittelt. In der gleichen Weise wurde mit den Angaben zu Deutschland und Österreich verfahren.

In der Schweiz ist die über die gesamte obligatorische Schulzeit von 9 Jahren berechnete Anzahl Pflichtstunden in Musik, Kunst und Gestaltung (1.374 h) im Vergleich mit anderen europäischen Ländern hoch. Der prozentuale Anteil der musischen Fächer an der Gesamtzahl der Unterrichtsstunden in der obligatorischen Schule liegt in der Schweiz mit 18 % in einem ähnlichen Bereich wie in Finnland (16 %), Estland (15 %) und Österreich (14,5 %). Betrachtet man jedoch die absoluten Stundenzahlen im Fächerbereich Musik, Kunst und Gestaltung, zeigen sich erhebliche Unterschiede zwischen diesen drei Ländern (Finnland 998 h, Estland 980 h, Österreich 998 h) und der Schweiz (1.374 h). Es gilt zu beachten, dass in Norwegen und Griechenland Theater ein obligatorisches musisches Fach ist. In den andern zum Vergleich aufgeführten Ländern ist der Theaterunterricht freiwillig oder Teil eines nicht-musischen Faches, meist des Sprachunterrichts, und in den angegebenen Stunden nicht enthalten.

Der Anteil der Pflichtstunden in Musik, Kunst und Gestaltung am Gesamt der obligatorischen Unterrichtszeit variiert in der Schweiz stark nach Kantonen. Es ist anzunehmen, dass solche internen Differenzen auch in andern – zumal den föderalistisch verfassten – europäischen Ländern zu beobachten sind. Weiter ist zu bedenken, dass das Pflichtangebot ergänzt wird durch Wahlangebote, die ebenfalls sehr unterschiedlich sein können.

3.2 Stundendotationen im kantonalen Vergleich

Auf der Primarschulstufe (1. bis 6. Klasse) beträgt der Anteil der Pflichtstunden in Musik, Kunst und Gestaltung an der gesamten obligatorischen Unterrichtszeit durchschnittlich 22 % mit erheblichen Abweichungen nach Kantonen (16 bis 27 %). Für die Berechnung der Unterrichtszeit für den genannten Bildungsbereich auf der Primarstufe wurden kantonale Unterschiede in der Anzahl Schulwochen pro Jahr wie in der Dauer der Lektionen berücksichtigt. Im Durchschnitt ergab sich ein Gesamt von rund 1.000 h Unterricht, den ein Kind im Laufe von sechs Primarschuljahren in den musischen Fächern besucht. Bei 40 Schulwochen pro Jahr und 45 min pro Lektion sind dies ca. 5,5 Lektionen pro Woche. Die Unterschiede zwischen den Kantonen sind sehr gross (800 bis 1.300 h).

Auch zwischen den einzelnen Fächern des Bildungsbereiches bestehen beträchtliche Unterschiede, je nach Kanton, wie die nachfolgende Abbildung zeigt, die ebenfalls die Situation auf der Primarstufe (1. bis 6. Klasse) abbildet (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Bildungsbereich Musik, Kunst und Gestaltung, 1.–6. Klasse, nach Fach (in Stunden)

Weist man die Unterrichtsstunden für den musischen Bildungsbereich nach Fach aus, zeigt sich, dass auf der Primarstufe für die einzelnen Fächer zwischen einer und drei Wochenlektionen zur Verfügung stehen. Dem Musikunterricht kommt dabei in etwas mehr als der Hälfte der Kantone die geringste Anzahl Stunden zu.

Die zeitliche Ausstattung des Bildungsbereichs Musik, Kunst und Gestaltung differiert auf der Sekundarstufe I (7. bis 9. Klasse) in den verschiedenen Kantonen noch stärker als auf der Primarstufe. Je nach Anforderungsprofil und unter Berücksichtigung der Wahlfachmöglichkeiten variieren die Stundendotationen massiv. Bei einem Mittelwert des Pflichtanteils von 340 h, was etwas weniger als 4 Lektionen pro Woche bedeutet, reicht die Spanne von 137 bis 540 Pflichtstunden, je nach Kanton.

Wo dies möglich war, wurde für die Trendanalyse abgeklärt, ob Schülerinnen und Schüler in den Sekundarstufenzügen mit Grundansprüchen („Real“) mehr oder weniger Unterricht in Musik, Kunst und Gestaltung erhalten als ihre Kolleginnen und Kollegen in Schulzügen mit höheren Anforderungsprofilen („Sek“ und „Progym“). 19 der 26 Kantone konnten für diese Berechnung berücksichtigt werden. Es zeigt sich, dass in den Kantonen, in denen unterschiedliche Dotationen bestehen, die Schülerinnen und Schüler im tieferen Anforderungsprofil mehr Unterrichtsstunden im Bereich Musik, Kunst und Gestaltung haben als jene in den höheren Anforderungsprofilen. Nur in einem Kanton und einem Kantonsteil geht die Differenz auf Kosten der Schülerinnen und Schüler im tieferen Anforderungsprofil und dies nur im Bereich der Zusatzstunden (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Bildungsbereich Musik, Kunst und Gestaltung, 7.–9. Klasse, nach Anspruchsniveau, in Stunden

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Bildungsbereich Musik, Kunst und Gestaltung in der Schweiz übers Ganze gesehen mit zeitlichen Ressourcen gut ausgestattet ist, wenn auch mit erheblichen kantonalen wie fachbezogenen Unterschieden. Über die gesamte Pflichtschulzeit beträgt der Anteil der Fächergruppe Musik, Kunst und Gestaltung 18 %. Damit entsprechen die zeitlichen Ressourcen im Schnitt ungefähr dem Stellenwert, der gemäss HarmoS-Konkordat diesem Bildungsbereich als einem unter insgesamt fünfen zukommen sollte.

4 Bildungsziele im Bereich Musik, Kunst und Gestaltung

Die im HarmoS-Konkordat gewählte und für die Trendanalyse wie für den vorliegenden Beitrag übernommene Bezeichnung fasst eine Vielzahl unterschiedlicher Fachbezeichnungen zusammen, die in den noch gültigen kantonalen Lehrplänen zu finden sind. Diese Bezeichnungen spiegeln in gewissem Sinne immer auch inhaltliche Aspekte und den Wandel im Fachverständnis wider. Während die Bezeichnung „Musik“ sich gegenüber dem früheren „Singen“ weitgehend durchgesetzt hat, ist die Bezeichnung „Kunst“ neu und wird die Entwicklung vom „Zeichnen“ über das heute gängige „Bildnerische Gestalten“ hinaus weiterführen. Die Bezeichnung „Gestaltung“ fasst zwei unterschiedliche und früher stark geschlechterstereotyp konnotierte (und auch geschlechtergetrennt unterrichtete) Fachwelten zusammen: die (textile) „Handarbeit“ und das (technische) „Werken“. In den meisten Kantonen sind die Fächer zusammengewachsen und figurieren unter Bezeichnungen wie „Werken“, „Werken und Gestalten“ oder „Technisches und textiles Gestalten“. Die inhaltlichen Auseinandersetzungen sind aber keineswegs abgeschlossen und im Zusammenhang mit der Ausarbeitung eines gemeinsamen Lehrplans für die deutschsprachigen Kantone standen statt „Kunst und Gestaltung“ auch Vorschläge wie „Bild und Kunst“ sowie „Design und Technik“ zur Diskussion (vgl. Interkantonale Projektgruppe Kunst und Design 2009).

4.1 Gemeinsame Zielformulierungen für die „Künste“ im Plan d’études romand

Im Plan d’études romand, dem gemeinsamen Lehrplan der französischsprachigen Kantone, war es möglich, einen einheitlichen Begriff (Arts) zu setzen und für die drei Fachbereiche (Musique, Arts visuels, Activités créatrices et manuelles) gemeinsame allgemeine Ziele zu formulieren. Dabei tritt ein Fachverständnis zu Tage, das dem nicht-sprachlichen Ausdruck, der sinnlich vermittelten Wahrnehmung und Erkenntnis sowie der Begegnung mit Kunst und Kulturen einen hohen Stellenwert zuerkennt, ohne die Ausbildung künstlerischer Fertigkeiten zu vernachlässigen.

Der Lehr-/Lernbereich „Künste“ ist für die gesamte Volksschulzeit in vier Zielbereiche eingeteilt, aus denen sich in Kombination mit den drei Zyklen der Volksschule (hier inklusive Vorschule) die nachfolgende Tabelle allgemeiner Ziele ergibt (Tab. 1).

Tab. 1 Allgemeine Ziele im Bildungsbereich „Künste“ des Plan d’études romand. (Quelle: CIIP 2010, S. 7 [eigene Übersetzung])

4.2 Lehrplananalysen

Im Zusammenhang mit den Harmonisierungsbestrebungen und der Erarbeitung sprachregionaler Lehrpläne entstand ein Bedarf an systematischen Informationen über die Inhalte kantonaler Lehrpläne. Die Erziehungsdirektorenkonferenz EDK ließ als Vorarbeit für die Entwicklung von Bildungsstandards Lehrplananalysen für die Fächer Schulsprache, Fremdsprachen, Mathematik und Naturwissenschaften erstellen. Aus eigener Initiative legte eine Forschungsgruppe der Pädagogischen Hochschule einen Lehrplanvergleich zum Bildnerischen sowie Technischen und Textilen Gestalten in den Deutschschweizer Lehrplänen vor (vgl. Fries et al. 2007). Als Grundlage für die Erarbeitung von Standards im Musikunterricht legte die Pädagogische Hochschule Zentralschweiz in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik einen Lehrplanvergleich vor (vgl. Huber 2008), welcher die Lehrpläne der ganzen Schweiz berücksichtigte.

4.2.1 Lehrplanvergleich Bildnerisches und Technisches Gestalten (Deutschschweiz)

Die Analyse macht deutlich, dass es im Kern darum geht, den Lernenden Erfahrungen zu ermöglichen, die an sich bedeutend sein sollen. Die Lehrpläne bringen in den musischen Fächern ein ebenso differenziertes wie umfassendes Bildungsverständnis zum Ausdruck. Der Eigentätigkeit der Lernenden kommt ein hoher Stellenwert zu, wobei Machen und Gemachtes, Kennenlernen und Erkenntnis gleichermaßen wichtig sind. Die Lernenden werden über das Gewahrwerden, Spüren und Tun zum Selbermachen, zum eigenen Ausdruck, zur Inszenierung, Bewertung und zum Herausbilden einer eigenen Haltung geführt. Im Ganzen werden in den Lehrplänen keine Vorgaben bezüglich ästhetischer Maßstäbe gesetzt; die Lernenden sollen vielmehr eigene Kriterien zur Bewertung entwickeln. Weder zielt der Unterricht auf eine künstlerische Ausbildung ab, noch sollen Ansprüchen des Erwerbslebens im Zentrum stehen. Gleichwohl aber sollen Kunst und künstlerisches Schaffen gegenwärtig und die Suche nach dem persönlichen Ausdruck möglich sein, und die handlungsleitende Haltung soll darauf ausgerichtet sein, etwas richtig und gut zu tun (ebd., S. 89 f.).

Zu den – hier nur sehr verkürzt dargestellten – vielfältigen Zielen im Bereich Gestaltung wird an anderer Stelle angemerkt, dass aus der Offenheit vieler Lehrpläne und der Diskrepanz zwischen den verfügbaren Unterrichtsstunden und der Vielzahl an Lernzielen ein großer Interpretationsspielraum resultiert, der an die Lehrpersonen hohe Anforderungen stellt (vgl. Gaus und Mätzler Binder 2005).

4.2.2 Lehrplanvergleich zum Musikunterricht

Die Analyse hält fest, wie oft Zielformulierungen in den Kategorien Rezeption, Transformation, Produktion, Reproduktion, Reflexion/Information und Fertigkeiten/Musiklehre in den Musiklehrplänen der Schweiz vorkommen. Dieser quantitative Zugang zeigt, dass Hören im Sinne von Wahrnehmungsdifferenzierung und Gehörbildung in allen Lehrplänen eine wichtige Rolle spielt. Im Bereich Transformation steht die Umsetzung in Bewegung im Vordergrund, wobei in den Lehrplänen der Primarstufe auch die grafische Umsetzung von Musik häufig genannt wird. Über die Schulstufen hinweg lässt sich bezüglich Produktion ein Trend vom Experimentieren über das Improvisieren zum Komponieren beobachten. Singen spielt auf allen Stufen im Bereich Reproduktion die zentrale Rolle. Insgesamt übersteigt der Anteil von Zielen der Kategorie Reproduktion jenen der Kategorie Produktion erheblich. Ziele im Bereich Reflexion/Information nehmen über die Schulstufen hinweg markant zu und die musikalischen Fertigkeiten haben von Anfang an einen hohen Stellenwert (vgl. Huber 2008, S. 18 f.).

4.3 Zusammenfassung zu den fachlichen und fachübergreifenden Zielen

Die Nennung des Bildungsbereichs Musik, Kunst und Gestaltung im HarmoS-Konkordat gibt diesem Gewicht und verschafft ihm eigenständige Geltung im gesamten Bildungsauftrag der Volksschule. Die explizite Bezeichnung der drei Sparten Musik, (bildende) Kunst und Gestaltung führt eine schweizerische Schultradition weiter, in der die Beschäftigung mit andern Sparten wie Literatur und Theater bzw. Tanz in die Sprachfächer bzw. in den Bereich Bewegung und Gesundheit (Sport) integriert wird oder aber im Rahmen fächerübergreifender Projekte stattfindet. Mit der Spartenbezeichnung ist eine eigene Positionierung und Konturierung der Fächer gefordert, und die im HarmoS-Konkordat angelegte Kompetenzorientierung hat im Bereich der musischen Fächer zu intensiven und noch nicht abgeschlossenen, grundlegenden Diskussionen über Fachausrichtung und Bildungsziele geführt. Während es bei der Lehrplanentwicklung in der französischsprachigen Schweiz möglich war, unter dem Oberbegriff „Künste“ gemeinsame Zielfelder für alle drei Sparten auszuarbeiten, zeichnet sich in der Deutschschweiz eine engere Kooperation der Bereiche Kunst und Design (Gestaltung) ab, ohne den Bereich der Musik einzubinden. Die übergeordneten Zielformulierungen im HarmoS-Konkordat wie auch die konkreteren Ziele in den regionalen und kantonalen Lehrplänen lassen sich wie folgt auf einen sehr allgemeinen Nenner bringen: Schülerinnen und Schüler sollen handelnd und in Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur ihre Wahrnehmungsfähigkeit ausbilden, ihre Ausdrucksmöglichkeiten differenzieren und ihre künstlerischen Fertigkeiten schulen, ihre Kreativität entwickeln und ihre Reflexions- und Urteilskraft schärfen. Betont wird im bereits vorliegenden Plan d’études romand wie auch in den Arbeitspapieren zum Deutschschweizer Lehrplan der fächerübergreifende Bezug zu andern Aspekten kultureller und künstlerischer Bildung zum Beispiel im Rahmen von Projekten. Unterstrichen wird auch, dass der Querschnittaufgabe interkultureller Bildung im Bereich der Künste Rechnung getragen werden muss. Schließlich wird der direkten Begegnung der Schülerinnen und Schüler mit Kunstschaffenden sowie Werken und Orten des künstlerischen und kulturellen Schaffens das Wort geredet.

5 Institutionelle Angebote und Initiativen der Kulturvermittlung

Bereits in den siebziger Jahren begannen Museen und andere Kulturinstitutionen in der Schweiz Angebote der Kulturvermittlung aufzubauen. Anlass war der damals konstatierte und bis heute feststellbare Umstand, dass der Zugang zu traditionellen Mitteln und Orten der Kulturverbreitung (Museum, Theater, Konzert) auf den Kreis höher gebildeter Menschen beschränkt bleibt (vgl. Glarner 2009). Kulturvermittlung will den Zugang zu professionellen künstlerischen Produktionen erleichtern und weil die Volksschule der Ort ist, wo junge Menschen unabhängig von Herkunft und sozialem Status beisammen sind, ist sie aus der Sicht der Kulturinstitutionen bevorzugte Ansprechpartnerin. Wie die Analysen der Lehrpläne bereits gezeigt haben, wird im Bereich der künstlerischen und kulturellen Bildung in der Volksschule vermehrt Wert gelegt auf Teilhabe am Kulturleben und auf die direkte Begegnung mit Kunstschaffenden und deren Werken. Die Kantone unterstützen den Brückenschlag zwischen Schule und Kultur finanziell und auch organisatorisch. Einzelne haben Fachstellen geschaffen und Internetplattformen eingerichtet, die den Lehrpersonen die Suche nach geeigneten Angeboten erleichtern. Seit dem Frühjahr 2011 übernimmt auch eine nationale Plattform, initiiert von der Schweizerischen UNESCO-Kommission und der Pädagogischen Hochschule Bern, diese Funktion. Weiterbildungsangebote stehen sowohl für Lehrpersonen (Kulturverantwortliche an Schulen) wie auch für Kunst- und Kulturschaffende („Teaching Artist“) zur Verfügung.

Eine besondere Stellung nehmen im Überschneidungsfeld von Schule und Freizeitgestaltung die Musikschulen ein. Sie sind auf der Ebene der Gemeinden organisiert oder decken das Einzugsgebiet mehrerer Gemeinden ab. Ihre Anzahl hat in der Schweiz seit 1960 stark zugenommen. Sie finanzieren sich aus Eltern-, Gemeinde- und Kantonsbeiträgen, können häufig die Räumlichkeiten der Schulen nutzen und arbeiten – vor allem im Bereich der musikalischen Früherziehung und Grundschule – mit den Kindergärten und Schulen zusammen.

Um die kulturelle und künstlerische Bildung zu unterstützen, sind in der Schweiz in letzter Zeit zwei Bewegungen entstanden. Zum einen handelt es sich um eine eidgenössische Volksinitiative („Jugend + Musik“), die eine Verbesserung der musikalischen Bildung fordert, und zum andern um ein Manifest („Arts & Education“), das von der Schweizerischen UNESCO-Kommission lanciert wurde und „einen qualitativen und quantitativen Sprung in der kulturellen und künstlerischen Bildung im Schweizer Bildungssystem“ bewirken soll (Schweizerische UNESCO-Kommission 2010, S. 2). Wie wirkungsvoll und tragfähig diese Offensiven sein werden, kann erst die Zukunft weisen.

6 Qualifikation der Lehrpersonen

Eine zentrale Ressource für die kulturelle und künstlerische Bildung in der Schule ist die Qualifikation der Lehrpersonen. Dies gilt umso mehr, als hoch differenzierte und umfassende Zielsetzungen im engen Rahmen der pro Fach knapp bemessenen Unterrichtszeit erfüllt werden sollten.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde die Ausbildung der Lehrpersonen in der Schweiz tertiarisiert und wird seither an pädagogischen Hochschulen und Universitäten angeboten. Für die Unterrichtsberechtigung an der Vorschul- und Primarstufe bedarf es eines Bachelor-Abschlusses, für jene auf der Sekundarstufe I eines Master-Abschlusses. Die spezifische Ausbildung variiert je nach Schulstufe.

In der Ausbildung zur Lehrperson für die Vorschulstufe müssen sich die Studierenden für alle Fächer qualifizieren (Sprache, Mathematik, Mensch und Umwelt, Werken und Gestalten, Bildnerisches Gestalten, Musik und Rhythmik [z. T. auch Theater], Bewegung und Sport, Ethik und Religionen). Dies gilt auch für die angehenden Lehrpersonen der Eingangsstufe (Vorschule und erste zwei Jahre der Primarstufe). Studierende, welche die Berechtigung für die gesamte achtjährige Vorschul- und Primarschuldauer erwerben wollen, spezialisieren sich im Laufe des Studiums für die ersten oder die zweiten vier Jahre und studieren in der Regel ebenfalls alle Fächer. In der Ausbildung, welche sich auf die Primarstufe beschränkt, müssen meist Sprachfächer, Mathematik sowie „Mensch und Umwelt“ zwingend studiert werden und darüber hinaus müssen weitere zwei bis drei Fächer aus dem restlichen Spektrum ausgewählt werden. Aufgrund der spezifischen Wahlvorgaben ist es an einigen pädagogischen Hochschulen möglich, eines oder mehrere der musischen Fächer abzuwählen.

In der Ausbildung zur Lehrperson auf der Sekundarstufe I muss je nach Institution eine unterschiedliche Anzahl von Fächern aus einem unterschiedlich breiten Spektrum gewählt werden; die musischen Fächer gehören dabei nur teilweise zum Spektrum aus dem etwas ausgewählt werden muss.

Um die durch Wahlmöglichkeiten verursachte Verengung der Lehrberechtigung zu kompensieren, bestehen an den pädagogischen Hochschulen Angebote für Zusatzausbildungen, die entweder schon während oder aber nach der Ausbildung absolviert werden können, und den Erwerb der Lehrberechtigung in weiteren Fächern erlaubt.

Die Wahlmöglichkeiten in der Ausbildung führen im Berufsfeld dazu, dass ein zunehmender Mangel an einschlägig qualifizierten Lehrpersonen für die Fächer im Bildungsbereich Musik, Kunst und Gestaltung vorausgesagt wird. Dazu trägt der Umstand bei, dass die Ausbildung in diesem Bereich fachlich hohe Anforderungen stellt und die Voraussetzungen der Studierenden zum Teil ungenügend sind (vgl. Jaccard 2011, S. 154), da der Anteil der musischen Fächer im Gymnasium nur 5–10 % betragen kann für jene Schülerinnen und Schüler, die keinen Schwerpunkt in diesem Bereich wählen, und die Fächer Technisches und Textiles Werken (Gestaltung) an den meisten Gymnasien gar nicht angeboten werden.

Für die Generalistinnen und Generalisten der Vorschul- und Primarstufe, die alle Fächer studieren müssen, ist der Ausbildungsumfang für die einzelnen musischen Fächer recht klein. Auch dies trägt dazu bei, dass im Berufsfeld Qualifikationsmängel befürchtet werden, die zu den anspruchsvollen Zielformulierungen im Bereich Musik, Kunst und Gestaltung im Widerspruch stehen (vgl. Peterhans 2010, Varenne 2010).

7 Bisherige und aktuelle Forschungserkenntnisse und -interessen

Auf der internationalen Ebene lag in der jüngeren Vergangenheit ein Forschungsschwerpunkt auf den Transfereffekten der kulturellen und künstlerischen Bildung, insbesondere des Musikunterrichts. Dem Unterricht in den musischen Fächern wurden Transfereffekte auf kognitive wie auch auf soziale und personale Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zugeschrieben. Belastbare Ergebnisse zu kausalen Zusammenhängen und längerfristigen Wirkungen gibt es allerdings nur wenige. Am ehesten nachweisen lassen sich Wirkungen auf Fähigkeiten, die nahe an den im Unterricht der musischen Fächer geförderten Kompetenzen liegen (z. B. Musikunterricht und phonologische Fähigkeiten oder Theaterunterricht und Perspektivenübernahme). Insgesamt mangelt es zu sehr an experimentellen Forschungsdesigns und Langzeitstudien, um solide Erkenntnisse über Transfereffekte ableiten und darauf basierend den Unterricht in Musik, Kunst und Gestaltung legitimieren zu können (vgl. OECD 2011).

Der gegenwärtige Trend geht nunmehr in die Richtung zu fragen, ob und wieweit die Bildungsziele in diesen Fächern erreicht werden. In der Schweiz finden derzeit im Rahmen des Harmonisierungsprozesses im Bildungswesen in allen Bereichen Zielklärungen statt. In den Fächern Schul- und Fremdsprachen, Mathematik und Naturwissenschaften wurden im Sommer 2011 „nationale Bildungsziele“ verabschiedet, die festlegen, welche Grundkompetenzen in diesen vier Fächern zu erreichen sind (vgl. EDK 2011). Dieser Prozess soll nun weitergeführt werden, vorab in den Bereichen Informations- und Kommunikationstechnologien, Bewegungserziehung, Musik und Bildnerisches Gestalten. Zentral in diesem Prozess ist wie angedeutet, dass ein Konsens über die grundlegenden Ziele der Fächer gefunden werden muss. Dieser Konsens hat hernach orientierende Wirkung für die Ausbildung, die Lehrplan- und Lehrmittelentwicklung und die Unterrichtspraxis. Erst aufgrund der entsprechenden Umsetzung in der Praxis kann die Wirksamkeit des Unterrichts mit Blick auf die Erreichung der Ziele sinnvoll erforscht werden.

Es ist also müßig über das Fehlen von Forschung zur Wirksamkeit des Unterrichts in den musischen Fächern in der Schweiz zu klagen. Sehr wohl festzuhalten ist aber, dass – abgesehen von Studien zum erweiterten Musikunterricht (vgl. Weber et al. 1993) – der Bildungsbereich Musik, Kunst und Gestaltung bisher kaum zum Gegenstand der schweizerischen Bildungsforschung wurde. Dies wird sich mit dem Forschungsauftrag, den die neu eingerichteten pädagogischen Hochschulen und die Hochschulen der Künste haben, ändern. Dort sind die Forschungsstrukturen aber noch im Aufbau und es liegen erst wenige Studien vor. Diese fokussieren in der Regel auf Unterrichtsprozesse, sind qualitativ orientiert und basieren meist auf kleinen Stichproben. Für die bereits erwähnte Wirkungsforschung wurden Vorarbeiten im Sinne von Lehrplananalysen (vgl. Fries et al. 2007; Huber 2008) vorgelegt, es wurde nach Fachmodellen in Lehrplänen und deren gängiger Umsetzung im Unterricht gefragt (vgl. Eichelberger und Rychner 2008; Giglio 2009) oder es wurden Aspekte zu Kompetenzmodellen untersucht (vgl. Diehl et al. 2010). Im Zusammenhang mit den in diesem Abschnitt erwähnten Zielklärungen sind auch Arbeiten zu erwähnen, die Vorschläge zu eben dieser Zielklärung beinhalten. So präsentierte Homberger (2007), gestützt auf einschlägige theoretische Literatur einen „Referenzrahmen für Gestaltung und Kunst“, der als Muster für alle Kunstsparten gedacht war, jedoch nur für den Bereich Gestalten und Kunst ausformuliert wurde. Interessant an dieser Arbeit ist, dass sie das Literacy-Konzept der PISA-Untersuchungen aufgreift und auf den Bereich der ästhetischen Bildung anwendet (vgl. Homberger 2008). Dieses Leitmotiv der „aesthetic literacy“ wurde auch von der Interkantonalen Projektgruppe Kunst und Design (2009) aufgenommen, die in der Lehrplandebatte eine wichtige Rolle spielt.

8 Fazit zur kulturellen und künstlerischen Bildung in der Schweiz

An einer international besetzten Expertentagung, die Ende 2009 auf Einladung der deutschen UNESCO-Kommission in Berlin stattfand, wurden eine Reihe von Forderungen gestellt (vgl. Liebau 2010), die im Rahmen der Schweizer Trendstudie als Raster dienten, um zur Situation in der Schweiz ein zusammenfassendes Fazit zu ziehen. Dieses wird im Folgenden gerafft und auf den Bereich der formalen Bildung der Volksschulstufe konzentriert wiedergegeben.

Forderung 1

Verpflichtende Integration der künstlerischen Bildung in verschiedenen Sparten in allen Schulen und als übergreifender Unterrichtsinhalt aller Fächer

In der Schweiz kommen in der Volksschule alle Kinder und Jugendlichen in den Genuss kultureller und künstlerischer Bildung. Der Unterricht in den entsprechenden Fächern ist in einem hohen Mass verpflichtend und wird durch Wahlpflicht- und Wahlangebote sowie durch fächerübergreifende Projekte ergänzt. Der ganze Bereich Musik, Kunst und Gestaltung ist gegenwärtig in den Stundentafeln durchschnittlich mit einem knappen Fünftel der verfügbaren Unterrichtszeit dotiert. Weitere Sparten der künstlerischen Bildung wie Theater oder Tanz sind in die Lernbereiche Sprachen bzw. Bewegung und Gesundheit integriert.

Forderung 2

Unterstützung professioneller Qualifizierung künftiger und gegenwärtiger Lehrpersonen, Kulturprofis, Kunstschaffender und ehrenamtlicher Akteurinnen und Akteure

Das Angebot professioneller Qualifizierung von Lehrpersonen für die Volksschulstufe ist gewährleistet. Diese ist für generalistisch ausgebildete Lehrpersonen der Primarstufe im Umfang beschränkt; für Fächergruppenlehrpersonen besteht die Möglichkeit, einen Teil des musischen Fächerspektrums abzuwählen. Vertiefungs- und Ergänzungsstudienangebote ermöglichen jedoch die Schließung von Qualifikationslücken. Für Kulturprofis, Kunstschaffende und ehrenamtlich Tätige, die sich der Kulturvermittlung an Schulen widmen möchten, bestehen ebenfalls Ausbildungsmöglichkeiten an pädagogischen oder Kunsthochschulen.

Forderung 3

Abbau von Ungleichheiten in den Bereichen der künstlerischen Bildung

[Diese Forderung wird auf zwei Arten interpretiert: einmal bezogen auf Ungleichheiten beim Zugang zu kultureller und künstlerischer Bildung (a), und dann bezogen auf die Gleichgewichtung der Sparten kultureller Bildung (b).]

(a) Während im Bereich Volksschule der Zugang zu kultureller und künstlerischer Bildung gesichert ist, gilt dies nicht im gleichen Masse für den außerschulischen Bereich. Es bestehen Indizien dafür, dass Kinder und Jugendliche aus privilegierten Familien eher Zugang zu kulturellen und künstlerischen Bildungsangeboten haben (Museums-, Konzert- und Theaterbesuche, privater Musik- oder Tanzunterricht). Nicht zuletzt deshalb soll die Zusammenarbeit zwischen Kunst- und Kulturinstitutionen und der Schule intensiviert werden. Die Angebote der Kulturvermittlung in der Schule, wo Kinder und Jugendliche aller Schichten zusammen sind, sollen motivieren und die kulturelle Teilhabe fördern.

(b) Eine Gleichgewichtung der Sparten ist in der Volksschule nicht gegeben, da in der Schweiz nur Musik, Bildnerisches Gestalten und Technisches/Textiles Gestalten als mehr oder weniger eigenständige Fächer in den Curricula verankert sind, Theater, Film, Tanz usw. jedoch in anderen Fächern integriert sind.

Forderung 4

Intensivierung der Forschung für die weitere Entwicklung der künstlerischen Bildung

Da die pädagogischen Hochschulen sowie die Hochschulen für Künste in der Schweiz erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts entstanden sind und damit erst seit kurzem einen Forschungsauftrag haben, steht die Forschung zur künstlerischen Bildung noch in ihren Anfängen. Fehlende Forschungserfahrung und -kapazität dürften ein Grund dafür sein, dass auch im Rahmen des Programms DO-RE (Do Research), das zwischen 2000 und 2008 speziell für die Förderung der Forschung an diesem neuen Hochschultypus installiert wurde, kaum Projekte zur kulturellen und künstlerischen Bildung unterstützt werden konnten.

Forderung 5

Stärkung kultureller Vielfalt und interkulturellen Dialogs in den Feldern der künstlerischen Bildung

Themen wie kulturelle Identität und interkulturelle Verständigung gewinnen im Bildungssystem der Schweiz an Gewicht. Sie gehören zu den für die Entwicklung des Deutschschweizer Lehrplans zu berücksichtigenden „überfachlichen Themen“ (vgl. Geschäftsstelle der deutschsprachigen EDK-Regionen 2010, S. 22). Im gemeinsamen Lehrplan der französischsprachigen Kantone, dem Plan d’études romand, schlägt sich diese Tendenz bereits in den allgemeinen Zielfeldern des Bildungsbereichs „Arts“ explizit nieder. Die durchgängige Zielperspektive der Begegnung mit verschiedenen Kunstbereichen soll unter Beachtung und Wertschätzung von Elementen des Kulturerbes und unter Berücksichtigung der kulturellen Diversität der Schülerinnen und Schüler umgesetzt werden (vgl. CIIP 2010, S. 19).

Forderung 6

Förderung von Vernetzung und Kooperation auf globaler, nationaler und lokaler Ebene durch garantierte Finanzierung und Strukturen in allen Bildungsbereichen (formal, nonformal und informell)

Ansätze zu Vernetzung und Kooperation zwischen Schulen und kulturellen Institutionen sowie Kunstschaffenden bestehen in den verschiedenen Programmen, Projekten und Plattformen der Kulturvermittlung in den Kantonen sowie in der neu eingerichteten nationalen Plattform. Intensivierte Partnerschaften zwischen Bildungs- und Kultureinrichtungen sowie eine verstärkte Anerkennung des „Kulturauftrags der Schule“ und des „Bildungsauftrags der Kultur“ stehen im Zentrum des Manifests „Arts & Education“ der Schweizerischen UNESCO-Kommission (2010).

Abschließend sei festgehalten, dass für die aktive kulturelle Teilhabe aller Menschen in der Schweiz, wie sie vermehrt eingefordert wird, eine basale kulturelle und künstlerische Bildung und Partizipation als Schlüsselerfahrung unabdingbar ist (vgl. Musikalische Bildung in der Schweiz 2005; Schweizerische Koalition für kulturelle Vielfalt 2009; Schweizerische UNESCO-Kommission 2010). Der Erwerb grundlegender Kompetenzen, die Begegnung mit Kunst und Kunstschaffenden sowie eine vielfältige interkulturelle Sensibilisierung sind somit die Voraussetzungen für eine kulturelle Teilhabe aller. Um dies im Rahmen der Volksschule gewährleisten zu können, sind genügend Unterrichtszeit und gut qualifiziertes Personal vonnöten. Beide Ressourcen könnten künftig vermehrt unter Druck geraten.

9 Diskussion und Forschungsdesiderata

Der schulische Fächerbereich Musik, Kunst und Gestaltung führt in der Schweiz ein Schattendasein, darüber können auch die medial gut repräsentierten, jedoch punktuell bleibenden Projekte der Kulturvermittlung nicht hinwegtäuschen. So findet sich beispielsweise keine einzige Publikation der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren EDK zu diesem Fächerbereich. Die fachlichen und fachdidaktischen Debatten dringen kaum über den engen Kreis der direkt Involvierten hinaus. Die Arbeit an der hier diskutierten Trendanalyse wurde darüber hinaus durch weitere Faktoren erschwert. Die föderalistischen Strukturen und die Unterschiede zwischen den Sprachregionen machen übergreifende Aussagen problematisch und Vergleiche schwierig, insbesondere jene im internationalen Rahmen. Aufgrund der föderalistischen Strukturen und der dadurch bedingten erheblichen Differenzen zwischen den Kantonen ist es nicht verwunderlich, dass in internationalen Bestandsaufnahmen (beispielsweise der OECD) Angaben unter anderem zur Unterrichtszeit aus der Schweiz regelmäßig fehlen. Doch nicht nur die Stundendotationen für die musischen Fächer variieren erheblich zwischen den Kantonen, auch die Fachinhalte und Bildungsziele divergieren. Diesbezüglich konnte sich der Trendbericht zwar auf bereits vorliegende Lehrplananalysen stützen, doch resultiert daraus ein Abstraktionsniveau, das von der Unterrichtsrealität sehr weit entfernt ist. Die Lehrplananalysen wurden vorgenommen, weil in der Schweiz derzeit auf sprachregionaler Ebene neue gemeinsame Lehrpläne erarbeitet werden. Der Zeitpunkt für die Erstellung eines Trendberichts war insofern etwas ungünstig, als die Arbeiten am Lehrplan für die deutschsprachigen Kantone noch nicht abgeschlossen sind.

Schon diese wenigen Bemerkungen aus einer Metaperspektive machen deutlich, wie dringlich eine vermehrte Beschäftigung mit dem Fächerbereich Musik, Kunst und Gestaltung seitens der Forschung ist. Dabei geht es um die bildungstheoretische Grundlegung der Fächer ebenso wie um fachliche und fachdidaktische Klärungen. Ebenso steht die Erforschung von Bildungsprozessen sowie deren Wirkungen und Wirksamkeit an. Auch in dieser Hinsicht allerdings kam die Trendanalyse gleichsam zu früh, denn die pädagogischen Hochschulen wie auch die Hochschulen für Kunst haben in der Schweiz erst in jüngster Zeit einen Forschungsauftrag erhalten. Den hier nun im Aufbau sich befindenden Forschungsteams obliegt es, den Fächerbereich Musik, Kunst und Gestaltung in den forschenden Blick zu nehmen und ihn auch für eine breitere interessierte Öffentlichkeit sichtbarer zu machen.