1 Einleitung

Musik und eigene musikalische Aktivitäten sind wesentliche Bestandteile des Heranwachsens von Kindern und Jugendlichen. Musik zu machen oder auch ein Instrument zu spielen wird zumeist als Freizeitaktivität verstanden, wozu allerdings sehr unterschiedliche Formen des Lernens, des (eigenen) expressiv-ästhetischen Selbstausdrucks oder auch der Vergemeinschaftung zählen. Musikalische Aktivitäten sind Formen des (Er)Lernens und von Bildung und stellen gleichzeitig einen Baustein des Hereinwachsens in die gesellschaftlichen Kultur(en) dar. Sie sind in vielen Fällen mit Lern- und Bildungsprozessen verbunden. Musikalische „Bildung“ stellt ihrerseits einen wichtigen Teil der kulturellen Bildung dar.

Die Kultusministerkonferenz der Länder hat 2007 in ihren Empfehlungen zur kulturellen Bildung die gesellschaftliche Relevanz von kultureller Bildung herausgestellt und gleichzeitig ihre hohe Bedeutung für die personale und soziale Entwicklung betont. „Kulturelle Bildung unterstützt die Persönlichkeitsentwicklung in vielfältiger Weise; sie vermittelt kognitive und nichtkognitive Kompetenzen; sie trägt zur emotionalen und sozialen Entwicklung und zur Integration in die Gemeinschaft bei“ (Ständiges Sekretariat der KMK 2007, S. 1). Auch wenn die empirische Absicherung dieser Wirkungen von kultureller Bildung womöglich noch aussteht, zeigt dieses – wie auch die Wahl des Themas zum Schwerpunktthema des nationalen Bildungsberichtes 2012 – die diesem Feld heute vermehrt zukommende Aufmerksamkeit.

Im Feld der kulturellen Bildung wird der Wert der musikalischen Aktivitäten und des Spielens eines Instruments vielfach unterstrichen. Dem Erlernen eines Instruments, mit seinen vielfältigen Ausprägungsformen hinsichtlich der Instrumente, Stile und Orte des Musizierens, wird eine zentrale Bedeutung in der musikalischen Sozialisation zugeschrieben. Auch in der Annahme, dass kulturelle Bildung und kulturelle Identitäten „nicht von alleine entstehen und erhalten bleiben“ (ebd.), wurden in den letzten Jahren Modellprojekte, wie „Jedem Kind ein Instrument“ (JeKi), gesellschaftlich gefördert, die Kinder über das Erlernen eines Instruments aktiv an die Musik heranführen und der vorhandenen schichtspezifischen Selektivität im Zugang zum Musizieren entgegenwirken möchten.

Anschließend an diese Überlegungen werden im folgenden Beitrag musikalische Eigenaktivitäten – und dabei insbesondere das Spielen eines Instruments – von Kindern und Jugendlichen untersucht. Zentrale Fragestellung ist dabei, wie und in welchen Kontexten sich heute musikalische Sozialisation vollzieht. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf einer differenzierten Analyse sozialer Unterschiede beim Musizieren und in der Teilhabe an musischen Angeboten.

2 Systematisierungen: Musikalische Sozialisation und musisch-kulturelle Bildung

2.1 Musik und musikalische Sozialisation im Kindes- und Jugendalter

Musik auf Instrumenten zu machen begleitet die Menschheitsgeschichte seit über 35.000 Jahren. Dabei haben sich Formen, Bedeutung und Akteure über die Zeit gewandelt (vgl. Wörner 1993, S. 2 f.). Heute kann das eigene Musikmachen – nicht nur für Kinder und Jugendliche – Vielfältiges bedeuten: Aktives Musizieren kann Zeitvertreib und Hobby sein, kann Gefühlen Ausdruck geben, ist gleichsam ein Spiel, beinhaltet Möglichkeiten eigenen expressiv-ästhetischen Ausdrucks, kann Form des Selbstausprobierens und der Selbstdarstellung wie auch Verarbeitungsmechanismus sein, Inhalte und Ausdruck verleihen (vgl. Schönherr 1998, S. 21). Betont wird auch, dass Jugendliche durch ihr rezeptives sowie aktives Umgehen mit Musik Entwicklungsaufgaben lösen (vgl. Müller 1999; Baacke 1998; Hoffmann und Schmidt 2008).

Mit Blick auf die musikalische Aktivität von Kindern und Jugendlichen unterscheidet Rösing (1995) zwischen musikalischer Entwicklung und musikalischer Sozialisation. Unter musikalischer Entwicklung wird die Aneignung von Merkmalen der Musikkultur durch ein Individuum verstanden, durch die das Individuum unter anderem lernt, selbst Musik zu machen.Footnote 1 Der Begriff der musikalischen Sozialisation betont die Rolle von Familie, Schule, außerschulischer Organisationen, der Peers und der Medien, die das musikalische Verhalten, den Erwerb musikalischer Kompetenzen sowie die entsprechenden Einstellungen und Präferenzen von Kindern und Jugendlichen prägen und unterstützen (vgl. Pape 1996, S. 26; Bruhn und Oerter 1998). Den Eltern kommt dabei eine zentrale Rolle zu (vgl. Gembris 2009).

Pierre Bourdieu hat mit seinen „feinen Unterschieden“ auf die Herkunfts- bzw. Schichtabhängigkeit von kulturellen Orientierungen und Aktivitäten hingewiesen (vgl. Bourdieu 1982). Das Habituskonzept bzw. die Konzeption des kulturellen Kapitals bezieht explizit (hoch)kulturelle Praxis und kulturelle Besitztümer mit ein, die als Ausdruck und Indiz sozialer Positionierung zu verstehen sind. Die familiäre bzw. elterliche Praxis und elterliche Unterstützung werden somit zu einem zentralen Faktor der musikalischen Sozialisation und daher auch bei der musikalischen Praxis des Spielens eines Instruments.

2.2 Musizieren als musisch-kulturelle Bildung

Aktives Musizieren wird im Folgenden als Teil musisch-kultureller Bildung begriffen. Mit einem Bildungsverständnis, dass Bildung als selbsttätigen Prozess versteht und dabei eine Subjekt- und Lebenslaufperspektive einnimmt (wie bspw. der nationale Bildungsbericht; vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012), geht auch ein erweitertes Verständnis von kultureller Bildung einher.Footnote 2 Kulturelle Bildung (oder auch musisch-kulturelle bzw. ästhetisch-kulturelle Bildung) bezeichnet nach Ermert (2009) „den Lern- und Auseinandersetzungsprozess des Menschen mit sich, seiner Umwelt und der Gesellschaft im Medium der Künste und ihrer Hervorbringungen“. Er beschreibt kulturelle Bildung als „die Fähigkeit zur erfolgreichen Teilhabe an kulturbezogener Kommunikation mit positiven Folgen für die gesellschaftliche Teilhabe“ und als integrales Element von Allgemeinbildung (vgl. Ermert 2009). Dieser Perspektive folgt der vorliegende Beitrag, in dem der Blick auf musikalische Aktivitäten in Kindheit und Jugend und die aktiven Auseinandersetzungs- und Lernprozesse in der musikalischen Aktivität gerichtet wird. Ausgegangen wird davon, dass musikalischen Aktivitäten Bildungsprozesse innewohnen und diese wesentliche Gelegenheitsstrukturen musisch-kultureller Bildung darstellen, und dass – nicht nur über organisierte Angebote – das aktive Musizieren eine Form des Lernens und des Auseinandersetzens mit Musik ist, auch wenn dieses vom zufälligen „Klimpern“ auf der Gitarre bis hin zum systematischen Klavierunterricht sehr unterschiedliche Formen und Intensitäten annehmen kann.

Von besonderem Interesse sind daher die regelmäßigen, anhaltenden und den Befragten wichtigen musikalischen Aktivitäten, was anknüpft an die Pädagogische Interessenstheorie (vgl. Prenzel et al. 1986; Krapp 2002), die die besondere Bedeutung von Interesse für Prozesse des Lernens betont (vgl. Schiefele 1986, S. 357). Interesse wird dabei als ein längerfristiger und überdauernder selbstintentionaler Person-Gegenstands-Bezug konzipiert.Footnote 3 Wesensmerkmal des Interesses ist nach Schiefele, „die Eigenart eines Gegenstandes zu verstehen, ihn sich zu erschließen und dabei selbst Bereicherung zu erfahren“ (Schiefele 1986, S. 158). Anhaltende Interessensbezüge lassen sich so als wiederholte und selbstveranlasste „Gegenstandsauseinandersetzung“ verstehen, die neben der Weiterentwicklung und dem Wissenserwerb mit dem Gegenstand selbst auch zur Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsbildung der Person beitragen (vgl. Prenzel et al. 1986, S. 168). Interesse wird dabei direkt mit dem Inhalt verknüpft. Krapp (2002, S. 412) bestimmt für solche auf Interesse bezogenen Aktivitäten vier Merkmale:

  • Kognitiver Aspekt: Ein Interesse verändert sich mit der erkennenden und erschließenden Beschäftigung. Interesse geht, so die Interessenstheorie, mit einer Zunahme und Differenzierung gegenstandsspezifischen Wissens und Könnens einher. Dabei hat das entwickelte Interesse ebenfalls die Tendenz, größer zu werden – vor dem Hintergrund dass man lernt, was man alles nicht kann oder weiß, und sich daran entwickelt.

  • Emotionaler Aspekt: Die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand bzw. der Aktivität löst positive Gefühle aus („emotionale Valenz“, auch Schiefele 1986, S. 158). Dieses positive Erleben wird in der Weiterentwicklung der Interessenstheorie vor allem mit dem Erleben von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit in Verbindung gebracht.

  • Wertbezogener Aspekt: Der Aktivität wird eine hohe Bedeutung im eigenen Wertesystem zugemessen (wertbezogene Valenz) und die Aktivität hat oder bekommt eine hohe Bedeutung für das eigene Selbst, die eigene Persönlichkeit.

  • Intrinsische Qualität: Schließlich ist eine auf das Interesse bezogene Aktivität intrinsisch motiviert: der Hauptgrund der Beschäftigung ergibt sich aus dem Gegenstand bzw. der Aktivität und ist weitgehend unabhängig von instrumentellen Anreizen (vgl. Schiefele 1988, S. 357).

Dieses Konzept des Interesses bildet eine Brücke im Verhältnis von musikalischer Aktivität und musisch-kultureller Bildung: So lösen vermutlich nicht alle musikalischen Aktivitäten Lernprozesse aus und möglicherweise kann auch ein extrinsisch motivierter Klavierunterricht über die Zeit durchaus zum Erwerb musikalischer Kompetenzen führen. Betont wird mit dem Interessensansatz jedoch, dass sich vor allem in denjenigen Aktivitäten, die für den Einzelnen subjektiv bedeutsam, also in „interessengeleiteten“ Aktivitäten, Bildungsprozesse mit Blick auf kulturelle und personale Bildung vollziehen. Wenn zum Beispiel das Spielen eines Instruments zu einem derartigen subjektiv bedeutsamen Gegenstandsbezug wird (im Sinne des Slogans „Mach es zu deinem Projekt“), dann sind in ihm die musikalisch-bildende Auseinandersetzung mit dem Instrument sowie personale Entwicklungsprozesse angelegt. Entsprechend sollten Kriterien wie Regelmäßigkeit, Dauer, Intensität und intrinsische Motivation eine bedeutsame und bildungswirksame musikalische Aktivität auszeichnen.

Angeknüpft wird mit diesem Blick auf Bildung und Lernen zudem an eine dem nationalen Bildungsbericht und dem 12. Kinder- und Jugendbericht zugrundeliegende Unterscheidung unterschiedlicher Orte und Modalitäten von Bildung (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012; BMFSFJ 2005). Mit der Differenzierung von Orten und Modalitäten formaler, non-formaler und informeller Bildung rücken unterschiedliche, pädagogisch intendierte und organisierte sowie selbstorganisierte und zufällige Bildungs- und Lernprozesse in den Blick. Auch musikalische Aktivitäten finden sowohl im Kontext der systematischen, zielgerichteten Vermittlung in Schule und außerschulischen Bereichen (Musikschulen, Musikvereine, Orchester, Privatlehrstunden) als auch selbstorganisiert im „stillen Kämmerlein“ oder im Probenraum statt. Insbesondere beim Musizieren sind organisierte Bildungsangebote oft eng verwoben mit oder sogar Vorausaussetzungen für selbstorganisierte Aktivitäten. Gleichzeitig gibt es gerade im Bereich Musik eine lange Tradition des familiären und selbstorganisierten Lernens, des „freien“ Erprobens und Erlernens von Instrumenten. Dies soll nicht die hohe Bedeutung organisierter musikalischer Vermittlung in und außerhalb von Schulen für die musisch-kulturelle Bildung schmälern, die explizit ein Augenmerk des vorliegenden Beitrages ist. Ein solches Verständnis erweitert die Perspektive auf die selbsttätigen und selbstorganisierten, nicht in jedem Fall zielgerichteten Lern- und Bildungsprozesse im Lebensverlauf.

3 Forschungsstand

Wesentliche Forschungsergebnisse zum aktiven Musizieren von Kindern und Jugendlichen lassen sich zusammenfassen:

a) Verbreitung des Spielens eines Instruments und soziale Selektivität: Mehrere Kindheits- und Jugendstudien geben einen Überblick über die Verbreitung einzelner kultureller Freizeitaktivitäten, darunter auch das Spielen eines Instruments. In der zweiten World-Vision-Studie 2010 gaben 19 % der 6- bis 11-jährigen Kinder an, „oft“ in der Freizeit Musik zu machen, wobei an dieser Stelle nicht näher nach Singen oder Spielen von Instrumenten differenziert wurde. Kinder aus oberen sozialen Schichten weisen dabei vielfältigere kulturelle Freizeitaktivitäten auf. 23 % der Kinder besuchen eine Musikschule oder -gruppe, darunter aber deutlich weniger Jungen (vgl. World Vision 2010, S. 97 ff.). Nach der KIM-Studie 2010 musizieren 19 % der 6- bis 13-Jährigen mindestens einmal pro Woche, doch gehört diese Aktivität nicht zu den 15 beliebtesten Freizeitaktivitäten (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund 2011b, S. 10). Das DJI-Kinderpanel weist dagegen in eine andere Richtung. Dort wird von rund einem Drittel der befragten 8- bis 13-Jährigen die Musikschule bzw. der Chor als beliebte Freizeitaktivität bezeichnet (vgl. Zerle 2008, S. 348). Im Alter von 12 bis 19 Jahren gibt etwa ein Viertel der Jugendlichen an, mindestens mehrmals in der Woche selbst Musik zu machen (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund 2011a, S. 7). Das 2. Jugendkulturbarometer zeigt, dass etwa 15 % der 14- bis 24-Jährigen das Spielen eines Musikinstruments als ein aktuelles Hobby, also als eine freiwillige Freizeitbeschäftigung, bezeichnen. Hier wurden allerdings große soziale Unterschiede sichtbar. Bei jungen Menschen mit niedrigem Schulbildungsniveau sind es nur 7 Prozent. Insbesondere in der Nutzung professioneller Kulturangebote von Musik- und Kunstschulen hat sich seit 2004 die Bildungsschere noch verschärft (vgl. Keuchel und Larue 2012, S. 105 f.). Die Zeitbudgetstudie 2001/02 zeigt, dass 10- bis 11-jährige Kinder im Durchschnitt 53 min pro Woche für Aktivitäten im Bereich der darstellenden Künste und des Musizierens aufwenden. Die Zeitinvestition reduziert sich bei den 12- bis 17-Jährigen auf durchschnittlich 46 min, was vermuten lässt, dass im Jugendalter andere Aktivitäten an Bedeutung gewinnen (vgl. Statistisches Bundesamt 2010, S. 186).

b) Orte und Kontexte des Musizierens: Mit Blick auf den Organisationsgrad musikalischer Aktivität gibt die Statistik des Verbands Deutscher Musikschulen einen Überblick über die Teilhabe von Kindern an Angeboten öffentlicher Musikschulen. Knapp 430.000 Musikschüler bzw. 43 % der Musikschüler an öffentlichen Musikschulen weisen ein Alter zwischen 10 und 18 Jahren auf. Zu den beliebtesten Instrumenten, die erlernt werden, gehört weiterhin das Klavier, gefolgt von der Gitarre, die in den letzten zehn Jahren an enormer Beliebtheit gewonnen hat, der Violine und der Blockflöte. Zugenommen haben in den letzten Jahren insbesondere die Schülerzahlen bei der frühkindlichen Musikerziehung und bei Kindern im Grundschulalter. Die musikalische Sozialisation durch Musikschulen scheint daher zuzunehmen und ihr Beginn scheint sich immer mehr in die frühe Kindheit zu verlagern (vgl. Verband Deutscher Musikschulen 2012). Auch kooperieren öffentliche Musikschulen immer häufiger mit Kindertageseinrichtungen und Schulen (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012, S. 176 ff.). Derartige Institutionenstatistiken geben allerdings keinen Aufschluss darüber, welche sozialen Gruppen diese Angebote nutzen. Diese Studien geben zudem punktuell Hinweise zur Nutzung kultureller Angebote von Musik- und Kunstschulen oder Vereinen, doch fehlt es bisher an einer systematischen Erfassung der Orte, an denen Kinder und Jugendliche musikalisch aktiv sind. Zum einen wird nicht erfasst, welche Aktivitäten im Privaten, selbstorganisierten Freizeitbereich stattfinden, der insbesondere für die musikalische Selbstsozialisation eine Bedeutung hat, bzw. bleibt es offen, welchen Organisationsgrad diese haben und in welchen Kontexten die erfassten Freizeitaktivitäten stattfinden. Zum anderen werden musikalische Aktivitäten in organisierten Kontexten außerhalb der Musikschulen, etwa in Jugendzentren, kirchlichen Gruppen oder in außerunterrichtlichen Angeboten der Schule, ebenso wenig systematisch berücksichtigt. Eine von den musikalischen Aktivitäten ausgehende Darstellung der Aktivitätskontexte ist daher ein wichtiges Anliegen dieses Beitrags.

c) Funktion von Musizieren: Einige kleinere qualitative und quantitative Studien geben vor dem Hintergrund des Ansatzes der musikalischen Selbstsozialisation Hinweise darauf, dass Jugendliche mit kulturellen Symbolsystemen umgehen, sich entsprechendes kulturelles Wissen aneignen und sich dadurch selbst sozialisieren sowie ihre Identität entwickeln (vgl. Müller et al. 2006; Rhein und Müller 2006; Calmbach und Rhein 2007). Auch in einer Studie zu musikalisch (hoch-)begabten und auf einem gewissen Professionalitätsniveau aktiven jungen Menschen, die der Jugendkultur der „Klassik-Jugend“ zuzuordnen sind, wird die Funktion aktiven Musizierens für den Selbstausdruck, die Identitätsfindung und Persönlichkeitsentfaltung betont. Daneben konnte aus den qualitativen Interviews die emotional-physische Funktion, die kommunikativ-soziale Funktion, die ästhetisch-intellektuelle Funktion sowie die zweckrationale, pragmatische Funktion des Musizierens identifiziert werden (vgl. Bastian 1998, S. 128 f.). Die Studie von Wahler, Tully und Preiß beschäftigte sich darüber hinaus mit der musikalischen Aktivität von 15- bis 18-jährigen Schülerinnen und Schülern und den dabei selbst wahrgenommenen Lerneffekten. Als häufigste Lerneffekte nannten die Jugendlichen die Entwicklung technischer Fähigkeiten im Umgang mit dem Instrument, Taktgefühl und musikalisches Gehör sowie die Fähigkeit, Noten lesen zu können (vgl. Wahler et al. 2004, S. 140 f.).

In der Bilanz der systematisierenden Überlegungen und vorliegenden Forschungsergebnisse ergeben sich für den vorliegenden Beitrag folgende Fragestellungen

  • Zum einen wird mit Blick auf die generellen musikalischen Aktivitäten untersucht, welche Kinder und Jugendlichen in ihrer musikalischen Sozialisation ein Instrument erlernen, welche Instrumente gespielt werden und in welchem Kontext dies stattfindet. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf herkunftsbedingte Unterschiede gelegt (5.1).

  • Zum anderen werden diejenigen Kinder und Jugendlichen betrachtet, die das Spielen eines Instruments als ihre wichtigste kulturelle Aktivität bezeichnen. Auf Basis der Interessenstheorie wird für diese wichtigste Aktivität eine besondere Bildungsbedeutung angenommen und analysiert, ob es herkunftsspezifische Unterschiede in Bezug auf die Motive des Musizierens, die Regelmäßigkeit der Ausübung, Kontexte und Zugangswege gibt (5.2).

4 Datengrundlage und verwendete Variablen

4.1 Stichprobe

Für die nachfolgenden Analysen werden die Daten der Studie „Medien, Kultur und Sport bei jungen Menschen“ (MediKuS) verwendet, die vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) und dem Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) durchgeführt wurde. Die MediKuS-Studie ist eine themenspezifische Zusatzbefragung des DJI-Surveys „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“ (AID:A) (vgl. Grgic/Züchner 2013). Die für den Survey AID:A gezogene deutschlandweite Zufallsstichprobe von 25.339 Personen im Alter zwischen 0 und 55 Jahren wurde in einem mehrstufigen Auswahlverfahren über die Ziehung von Einwohnermeldeamtadressen gewonnen. (vgl. Quellenberg 2012, S. 236 ff.). Zur Realisierung der MediKuS-Stichprobe wurden diejenigen Personen aus der AID:A-Stichprobe gezogen, die zum Stichtag 1.8.2011 das Alter von 9 bis 24 Jahren erreicht haben. Auf diese Weise konnten im Zeitraum Oktober 2011 bis Januar 2012 4.931 9- bis unter 25-jährige Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene telefonisch befragt werden (CATI), die bereits im Jahr 2009 an der Erhebung im Rahmen von AID:A teilgenommen haben. Dieser Beitrag beschränkt sich auf die Analyse der Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen 9 und 17 Jahren. 3.208 von 4.823 Personen dieser Altersgruppe aus der AID:A-Stichprobe konnten erneut interviewt werden und bilden damit die im vorliegenden Beitrag untersuchte Stichprobe.

Aufgrund der breiten Altersspanne in der MediKuS-Befragung wurden drei parallele Erhebungsinstrumente entwickelt, die eine altersspezifische Anpassung der Fragen beinhalteten (9−12 Jahre, 13−17 Jahre, 18−24 Jahre). Um valide Angaben zu Merkmalen des Haushaltes und der Eltern zu erheben, wurden bei unter 18-jährigen Zielpersonen zunächst die Eltern interviewt. Anschließend haben die Kinder selbst und zu ihren Interessen und Aktivitäten in den Bereichen Medien, Sport, Kunst und Musik Auskunft gegeben. Auf die erneute Erhebung von zeitkonstanten Merkmalen der Familie oder des Haushalts, wie z. B. des Geburtsorts des Kindes bzw. der Eltern, konnte verzichtet werden, da diese Informationen bereits aus der AID:A-Erhebung aus dem Jahr 2009 vorlagen. Informationen, bei denen innerhalb von zwei Jahren Veränderungen zu erwarten waren, wurden erneut erfasst.

4.2 Verwendete Variablen

Musikalische und künstlerische Aktivitäten/Instrument spielen:

Die musikalischen und künstlerischen Aktivitäten wurden über eine geschlossene Abfrage von bis zu 20 Items erfasst.Footnote 4 Die Frage fokussierte dabei die Erfassung regelmäßiger Aktivität und schloss alle Aktivitäten innerhalb des formalen Schulunterrichts bzw. der formalen Ausbildung aus.

Wichtigste musikalische bzw. künstlerische Aktivität:

Die Befragten, die mehr als einer Aktivität nachgehen, sollten aus der Liste ihrer musisch-künstlerischen Aktivitäten die wichtigste benennen. Zur wichtigsten Aktivität wurden anschließend vertiefende Fragen gestellt. Um auch bei Befragten mit einer einzigen Aktivität den subjektiven Stellenwert zu berücksichtigen, wurden für die nachfolgenden Analysen zur wichtigsten Aktivität diejenigen Befragten ausgeschlossen, die ihre einzige Aktivität seltener als wöchentlich ausüben sowie diejenigen monatlich Aktiven, die an anderer Stelle der Befragung angegeben hatten, dass die Kunst bzw. Musik für sie nur eine geringe subjektive Bedeutung hat (121 Fälle).

Organisierte und selbstorganisierte Aktivität:

In den nachfolgenden Analysen wurde danach unterschieden, ob das Spielen eines Instruments in einem organisierten schulischen Kontext, einem organisierten außerschulischen Kontext oder in einem selbst- bzw. nichtorganisierten Kontext stattfindet. Für die wichtigste Aktivität werden die spezifischen Orte dargestellt, an denen junge Menschen musikalisch aktiv sind (z. B. Schul-AG, Musikschule, Jugendzentrum).

Kulturelles Kapital:

Zur Erfassung herkunftsbedingter Unterschiede wurde auf das Konzept des kulturellen Kapitals von Bourdieu zurückgegriffen. Hierfür wurde ein Index gebildet, der die Angaben zum höchsten Schul- und Berufsabschluss der Eltern (institutionalisiertes Kulturkapital), zur kulturellen Eigenaktivität der Eltern (inkorporiertes Kulturkapital) sowie die Anzahl der Bücher im Haushalt (objektiviertes Kulturkapital) einschließt. Die beiden erstgenannten Kapitalarten gingen dabei mit doppelter Gewichtung in den Index ein. Jedes der drei Merkmale konnte einen Punktwert von 0, 1 oder 2 aufweisen. Höhere Punktewerte indizieren eine bessere Ausstattung mit kulturellem Kapital. Entsprechend der möglichen (summierten und gewichteten) Indexwerte von 0 bis 10 wurden folgende drei Gruppen differenziert: „Niedriges kulturelles Kapital“ (Werte von 0 bis 2 Punkte; 26,1 % der Stichprobe), „Mittleres kulturelles Kapital“ (Werte von 3–6; 51,1 % der Stichprobe) und „Hohes kulturelles Kapital“ (Werte von 7−10; 22,8 % der Stichprobe).

5 Ergebnisse

Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt in zwei Schritten. Zunächst wird analysiert, wie verbreitet das Musizieren in der Kindheit und Jugend ist und ob bzw. bezüglich welcher Merkmale von musikalischer Sozialisation es herkunftsspezifische Unterschiede beim Spielen eines Instruments zu beobachten gibt. Anschließend werden diejenigen Kinder und Jugendlichen, die ein Instrument spielen und dies als ihre wichtigste kulturelle Aktivität bezeichnen (n = 774), hinsichtlich der Rahmenbedingungen ihres Musizierens analysiert (Intensität, Motive, Kontext und Zugang). Auch hier dominiert eine ungleichheitsbezogene Perspektive.Footnote 5

5.1 Musizieren im Kindes- und Jugendalter

Die Ergebnisse der Studie MediKuS zeigen, dass das Spielen eines Instruments die im Kindes- und Jugendalter am häufigsten ausgeübte Form des eigenaktiven Musizierens und damit eine wichtige Gelegenheitsstruktur für musisch-kulturelle Bildung ist. 39 % der 9- bis 17-Jährigen geben an, regelmäßig ein Instrument zu spielen, während weit weniger Kinder und Jugendliche singen (22 %), Musik samplen (6 %) oder rappen/beatboxen (3 %) (vgl. auch Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012, S. 163 f.). Aufgrund der unterschiedlichen Frageformulierungen in der MediKuS-Studie sind die Ergebnisse nicht direkt mit denen anderer Studien vergleichbar (vgl. Abschn. 3a). Der hohe Anteil musizierender Kinder und Jugendlicher lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass nicht nur das Instrument spielen in der Freizeit, sondern auch das Musizieren in schulischen, außerunterrichtlichen Kontexten sowie in außerschulischen Angeboten berücksichtigt wurde. Dabei deutet der – wenn auch auf Querschnittsdaten beruhende – Vergleich verschiedener Altersgruppen darauf hin, dass das Instrument spielen insbesondere im Grundschulalter stark verbreitet ist und der Aktivitätsgrad im Jugendalter rückläufig ist, was auch mit der in der Zeitbudgetstudie beobachteten abnehmenden Zeitinvestition für das Musizieren und die darstellenden Künste bei den 12- bis 17-Jährigen einhergeht (vgl. Abschn. 3). Das Erlernen und eigenaktive Spielen eines Instruments scheint daher für einige Kinder und Jugendliche nur eine zeitlich begrenzte Phase in ihrer musikalischen Entwicklung darzustellen. Im Jugendalter gewinnt insbesondere auch die rezeptive Form des Musikhörens an Bedeutung (vgl. Shell Deutschland Holding 2010, S. 96 f.).

Jugendliche sind in beinahe allen Feldern kultureller Aktivitäten weniger aktiv als die jüngeren Befragten – mit Ausnahme bei den medialen, kreativen Aktivitäten, wie dem Drehen von Videos oder dem Erstellen von Bildern am Computer. Ab dem Jugendalter – einer Phase, in der Jugendliche stärker ihren eigenen Interessen nachgehen – differenzieren sich insbesondere die künstlerischen Interessen weiter aus, während musikalische Aktivität tendenziell abnimmt (vgl. auch Grgic et al; Grgic und Züchner 2013). Mädchen spielen dabei häufiger ein Instrument, vor allem bei den 9- bis 12-Jährigen, was auf geschlechtertypische musikalische Sozialisationsmuster hinweist (Mädchen: 51 %, Jungen: 37 %), die zudem die Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2012, S. 162 f.) bereits in der frühen Kindheit beobachtet hat.

Erwartungsgemäß sind soziale Unterschiede in der Verbreitung des Spielen eines Instruments zu beobachten: 61 % der 9- bis 17-Jährigen mit hohem kulturellen Kapital im Elternhaus, 37 % mit mittlerem kulturellen Kapital und nur 21 % derjenigen mit niedrigem kulturellen Kapital spielen regelmäßig ein Instrument. Insbesondere bei den 13- bis 17-Jährigen ist dieser Zusammenhang noch stärker (Abb. 1). Dies könnte darauf hinweisen, dass Kinder aus Elternhäusern mit wenigen kulturellen Ressourcen zum einen aufgrund eines anzunehmenden geringeren Stellenwerts von hochkulturellen Praxen im Elternhaus deutlich seltener ein Instrument erlernen und zum anderen das Musizieren häufiger aufgeben, wodurch sich die sozialen Unterschiede im Jugendalter noch vergrößern.

Abb. 1
figure 1

Anteil der 9- bis 17-Jährigen, die regelmäßig ein Instrument spielen, nach kulturellem Kapital im Elternhaus und Altersgruppen (Quelle: MediKuS 2011/12, n = 3.212, Angaben in %)

70 % der musizierenden Kinder und Jugendlichen spielen ein einziges Instrument, 25 % geben zwei Instrumente an und knapp 5 % mehr als drei. Zu den häufigsten Instrumenten, mit denen Kinder und Jugendliche Musik machen, zählt das Klavier (26 %), die Gitarre (25 %), die Blockflöte (12 %), das Schlagzeug (9 %) und das Keyboard (8 %). In der Wahl des Instruments spiegeln sich bekannte alters- und geschlechterspezifische Präferenzen, aber auch Einflüsse der sozialen Herkunft wieder. Während 36 % der 9- bis 17-Jährigen aus Elternhäusern mit vielen kulturellen Ressourcen Klavier spielen, sind es nur 8 % derjenigen mit wenig kulturellem Kapital (Tab. 1). Letztere Kinder und Jugendliche spielen häufiger Gitarre, Blockflöte oder Keyboard. Dies verweist auf den von Bourdieu beschriebenen Einfluss der Familie auf kulturelle Praxen, Geschmäcker und Stile. Die Ergebnisse verdeutlichen aber auch den Einfluss kultureller Besitztümer sowie den sich daraus ergebenden Gelegenheitsstrukturen für das Musizieren. Über 97 % der Kinder mit vielen kulturellen Ressourcen im Elternhaus haben ein Musikinstrument zu Hause – nahezu unabhängig davon, ob sie selbst ein Instrument spielen. Hingegen kommen nur 61 % der jungen Menschen mit wenig kulturellen Ressourcen bereits in der häuslichen Umgebung mit Musikinstrumenten in Kontakt. Hier kann das Anregungspotenzial außerfamilialer Umgebungen an Bedeutung gewinnen, um Kinder an Musikinstrumente heranzuführen. Gleichzeitig können bei diesen Familien die direkten Kosten und der Aufwand musischer Bildung höher sein, indem Musikinstrumente erst angeschafft werden müssen, was eine zusätzliche Barriere darstellen kann.

Tab. 1 Anteil der 9- bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen, die ein Instrument spielen, nach den häufigsten Musikinstrumenten und sozialer Herkunft

Mit Blick auf den Kontext, in dem Jugendliche Musik machen, zeigt sich die große Relevanz des Informellen sowie der außerschulischen Akteure. 79 % der musikalisch aktiven 13- bis 17-Jährigen musizieren in Musikschulen, -vereinen, kirchlichen Gruppen oder Jugendgruppen. Nur 16 % machen in außerunterrichtlichen Angeboten der Schule Musik. Gleichzeitig spielen Jugendliche ihr Instrument fast immer zusätzlich in einem selbstorganisierten Rahmen. Dennoch musizieren knapp 18 % der musikalisch aktiven 13- bis 17-Jährigen nicht in einem organisierten Rahmen, sondern ausschließlich im Privaten. Im Jugendalter verlagert sich das Musizieren zunehmend ins Informelle. Dies weist auf Selbstaneignungsprozesse unter Jugendlichen im Rahmen musikalischer Praxis in einem nicht pädagogisch begleiteten Rahmen hin. Zudem sind junge Männer und Jugendliche mit im Ausland geborenen Eltern deutlich häufiger ausschließlich selbstorganisiert aktiv, d. h. sie nutzen seltener schulische und außerschulische Musikangebote. Ein eigenständiger Effekt der sozialen Herkunft ist dagegen für das Kindheits- und Jugendalter nicht nachzuweisen. Dieser zeigt sich erst in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen. Spielen Jugendliche mit geringem kulturellem Kapital im Elternhaus ein Instrument, so musizieren sie gleichermaßen in einem organisierten Setting. Dies kann auch dadurch begründet sein, dass das Instrument spielen – im Gegensatz zum Singen – stärker einen pädagogisch begleiteten Kontext vorauszusetzt.

Unter der Perspektive herkunftsspezifischer Ungleichheiten in der musikalischen Entwicklung und Sozialisation von Kindern und Jugendlichen lässt sich zusammenfassend festhalten, dass das regelmäßige Spielen eines Instruments, das aufgrund der selbsttätigen Auseinandersetzung der Kinder und Jugendlichen mit Musik als eine Gelegenheit für musisch-kulturelle Bildung angesehen wird (vgl. Abschn. 2.1), deutlich seltener Teil der musikalischen Sozialisation von jungen Menschen aus Elternhäusern mit geringen kulturellen Ressourcen im Elternhaus ist. Bei musizierenden Kindern und Jugendlichen zeigen sich daneben Ungleichheiten in der Wahl des Musikinstruments. Erlernen Kinder und Jugendliche aus Elternhäusern mit wenig kulturellem Kapital ein Instrument, so verläuft ihre musikalische Sozialisation trotz der unterschiedlichen Instrumente, die sie spielen, in ähnlichen Kontexten.

5.2 Spielen eines Instruments als wichtigste kulturelle Aktivität

62 % der Kinder und Jugendlichen, die ein Instrument spielen, bezeichnen dies als ihre subjektiv wichtigste kulturelle Aktivität. Betrachtet man in einer multivariaten AnalyseFootnote 6 die Einflussfaktoren darauf, dass das Musizieren als wichtigste Aktivität angesehen wird, also dass ihm im Sinne von wertbezogener Valenz eine hohe Bedeutung im eigenen Wertsystem zugeschrieben wird (vgl. Abschn. 2), zeigen sich Effekte des Geschlechts sowie vielfältiger kultureller Aktivität. Wenn junge Menschen, die musizieren, in vielen kulturellen Feldern aktiv sind, nennen sie erwartungsgemäß seltener das Instrument spielen als besonders bedeutsame Aktivität. Zudem schreiben weniger Mädchen dem Musizieren eine besondere Bedeutung zu, da sie häufig vielfältig aktiv sind, und häufiger das Singen oder Tanzen als subjektiv wichtig empfinden. Kein Einfluss zeigt sich danach, ob das Musizieren in einem organisierten oder nicht organisierten Kontext stattfindet. Bemerkenswert ist, dass sich kein Effekt der sozialen Herkunft zeigt, die den Zugang zum Musizieren stark beeinflusst. Wenn Kinder und Jugendliche aus Elternhäusern mit niedrigem kulturellen Kapital in ihrer musikalischen Entwicklung ein Instrument erlernen, dann schätzen sie dies in gleichem Umfang als subjektiv bedeutsam ein wie junge Menschen aus Elternhäusern mit mehr kulturellem Kapital.

5.2.1 Motive für das Spielen eines Instruments (wichtigste Aktivität)

Bei der Betrachtung des Spielen eines Instruments als wichtigster kultureller Aktivität wird vor dem Hintergrund der Interessenstheorie davon ausgegangen, dass für die Aktivität eine in der Sache liegende intrinsische Motivation dominierend ist (vgl. Abschn. 2.2) und dass die Aktiven ihr Instrument vor allem aus Gründen spielen, die auf die Musik bezogen sind und weniger auf andere Faktoren. Dies zeigt sich auch in den Antworten zu den möglichen Motiven für das Instrument spielen (vgl. Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Grundsätzliche Zustimmung zu ausgewählten Motiven für das Spielen eines Instruments (wichtigste Aktivität). Dargestellt sind die summierten Antwortkategorien „Stimmt“ und „Stimmt zum Teil“ (Quelle: MediKuS 2011/12, n = 771, Angaben in % der musizierenden 9- bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen mit dem Instrument spielen als wichtigster kultureller Aktivität)

So lassen sich von mehr als zwei Dritteln der Befragten benannte Gründe, wie „Um Spaß zu haben“, „Um besser zu werden“, „Um etwas nach eigenen Ideen machen zu können“ – bei aller Unschärfe – auf das Musik machen und die Aktivität im engeren Sinne beziehen. Der mit dem Musizieren verbundene Spaß und das Bestreben der Instrumentenspieler, ihr individuelles Können zu verbessern – Motive, die von der überwiegenden Mehrheit der Kinder und Jugendlichen geäußert wurden – bestätigen die von Krapp (2002) genannten emotionalen und kognitiven Aspekte von interessensgeleitenden Aktivitäten und ihre intrinsische Qualität, die zur langfristigen Motivation führt, sich weiterhin mit dem Gegenstand zu beschäftigen. Herkunftsspezifische Unterschiede spielen an dieser Stelle keine Rolle. Eine größere Mehrheit der Kinder und Jugendlichen spielt das Instrument zudem, „um etwas zu erleben“. Fast die Hälfte der Befragten musiziert auch, um ihr Können anderen zu zeigen. Das Motiv, Freunde zu treffen, ist hingegen nur für etwa ein Viertel der Befragten ein wesentlicher Grund, regelmäßig Musik zu machen. Daneben finden sich mit Blick auf die Motive „Um etwas zu erleben“ und „Um Freunde zu treffen“ herkunftsspezifische Unterschiede. Beides wird insbesondere von Kindern und Jugendlichen mit geringerem kulturellen Kapital häufiger genannt.

Betrachtet man die Angaben aus dem Blickwinkel herkunftsspezifischer Unterschiede wäre somit festzuhalten, dass die Hauptmotive entsprechend der Interessenstheorie „im Gegenstand“ und seinen Möglichkeiten liegen und sich dann auch nicht schichtspezifisch unterscheiden, im Gegensatz zu eher extrinsischen Motiven, die aber insgesamt als weniger wichtig bezeichnet werden.

5.2.2 Regelmäßigkeit des Musizierens (wichtigste Aktivität)

Das Musizieren mit entsprechender Motivation impliziert eine gewisse Regelmäßigkeit, die sich auch in den Ergebnissen wiederspiegelt. Knapp 32 % derjenigen 9- bis 17-Jährigen, die dem Musikmachen eine subjektive Wichtigkeit zugeschrieben haben, spielen täglich ihr Instrument (vgl. Tab. 2). Zu derart regelmäßig musizierenden Kindern und Jugendlichen dürften insbesondere auch diejenigen gehören, die bereits in jungen Jahren im vor-professionellen Bereich Musik machen. Die Hälfte der Kinder und Jugendlichen gibt an, mehrmals die Woche zu musizieren. Im Durchschnitt machen die 13- bis 17-Jährigen Jugendlichen 4,4 h pro Woche mit ihrem Instrument Musik. Etwa 22 % musizieren mehr als 5 h in der Woche. Auch dies entspricht den dargestellten Annahmen, dass interessensgeleitete Aktivitäten zu anhaltenden, dauerhaften Beschäftigungen mit dem Gegenstand werden und besondere Bildungsgelegenheiten darstellen. Dabei lassen sich wie bei den Motiven keine signifikanten Unterschiede im Ausmaß des Musizierens von Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher sozialer Schichten erkennen. Die Regelmäßigkeit und Intensität des Musikmachens wird insbesondere von der Motivation, sich zu verbessern, beeinflusst, was die Bedeutung interessensgeleiteter Aktivität unterstreicht.

Tab. 2 Häufigkeit des Spielen eines Instruments (wichtigste Aktivität) bei 9- bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen (Quelle: MediKuS 2011/12, n = 772, Angaben in % der musizierenden Kinder und Jugendlichen mit dem Instrument spielen als wichtigster kultureller Aktivität)

5.2.3 Kontext des Musizierens (wichtigste Aktivität)

Betrachtet man nun das interessensgeleitete Musikmachen mit Blick auf die Orte der Aktivität zeigt sich auch hier, dass es von über 85 % der Kinder und Jugendlichen in einem außerschulischen Angebot und/oder im Privaten ausgeübt wird (vgl. Tab. 3). Unter den außerschulischen Anbietern haben insbesondere Musikschulen und -vereine sowie Privatlehrer den größten Stellenwert für die musikalische Sozialisation von Kindern und Jugendlichen. Dieser scheint im Jugendalter noch etwas größer zu sein als im Kindesalter. Das trifft auch auf Jugendzentren und kirchliche Gruppen zu, in denen etwa 11 % der Jugendlichen musizieren. Obwohl 89 % der Kinder und Jugendlichen auch selbstorganisiert musizieren, gibt es auch hier Unterschiede danach, mit wem im Privaten Musik gemacht wird. Während 76 % der 9- bis 12-Jährigen ihr Instrument auch alleine spielen, sind es im Jugendalter nur noch knapp 64 Prozent. Es ist dabei zu vermuten, dass das Musizieren alleine auch zu Übungszwecken und als Vorbereitung für organisierten Unterricht stattfindet.

Tab. 3 Orte des Instrument Spielens (wichtigste Aktivität) nach Altersgruppen(Quelle: MediKuS 2011/12, n = 773, Angaben in % der musizierenden 9- bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen mit dem Instrument spielen als wichtigster kultureller Aktivität; Mehrfachnennungen möglich)

Wie bei der musikalischen Aktivität insgesamt zeigen sich auch für das Spielen eines Instruments als wichtigster Aktivität keine Einflüsse des kulturellen Kapitals auf den Besuch verschiedener Orte (vgl. auch 5.1); wenn das Spielen eines Instruments die wichtigste Aktivität ist, unterscheiden sich die Kontexte nicht nach sozialer Herkunft der Kinder und Jugendlichen.

5.2.4 Zugang zum Instrument (wichtigste Aktivität)

Jede Aktivität hat ihren Anfangspunkt. Die Kinder und Jugendlichen ab 13 Jahren wurden gefragt, wann sie mit dem Spielen eines Instruments angefangen haben. Im Mittel betonen die älteren Befragten, dass sie das Instrument spielen mit 9 bis 10 Jahren begonnen haben, allerdings bei einem ersten Quartil von 3 bis 7 Jahren. Unbeachtet bleibt dabei, dass die Befragten vor der aktuellen Aktivität ein anderes Instrument gespielt haben können. Auf die Frage danach, wer oder was die Jugendlichen zum Erlernen eines Instruments geführt hat, wird am häufigsten die eigene Person bzw. die eigene Entscheidung genannt (vgl. Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Zugang zum Spielen eines Instruments (wichtigste Aktivität) bei 9- bis 17-jährigen Kindern und Jugendlichen (Quelle: MediKuS 2011/12, n = 772, Angaben in % der musizierenden Kinder und Jugendlichen mit dem Instrument spielen als wichtigster kultureller Aktivität)

Betrachtet man nun die Angaben derjenigen genauer, die einen externen Einfluss als maßgeblich bezeichnen, wird zunächst die starke Bedeutung der Eltern für den Beginn des Erlernens eines Instruments und damit auch für die musikalische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen deutlich: Über 30 % der 9- bis 12-Jährigen und über 35 % der 13- bis 17-Jährigen betont die Rolle der Eltern für den Beginn des Musizierens, wobei dies schichtspezifisch ungleich verteilt ist: Gerade Kinder aus Familien mit hohem kulturellen Kapital sind sehr viel häufiger über ihre Eltern zum Instrument gekommen. Freunde und Schule werden hier von insgesamt weniger als 10 % der Kinder und Jugendlichen als Zugangshilfe genannt. Im Kindesalter spielt aber für Kinder und Jugendliche aus Familien mit geringem und mittlerem kulturellen Kapital insbesondere die Schule als Impulsgeber eine größere Rolle. 30 % der Jugendlichen mit wenig kulturellen Ressourcen im Elternhaus nennen dagegen auch den Einfluss der Freunde.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass lediglich die Zugangswege von Kindern und Jugendlichen, die regelmäßig Musizieren und damit eine subjektive Bedeutung verbinden, nach ihrer sozialen Herkunft differieren. Das Erlernen eines Instruments als wichtige Erfahrung musikalischer Entwicklung und Sozialisation wird bei jungen Menschen aus oberen sozialen Schichten häufiger durch die Eltern initiiert. Keine wesentlichen Unterschiede lassen sich in den Motiven, der Regelmäßigkeit und Intensität sowie in den Kontexten des Musikmachens feststellen. Der überwiegend gespielte Musikstil hängt dagegen vor allem mit dem gewählten Instrument zusammen, darüber vermittelt zeigen sich auch schichtspezifische Unterschiede.

6 Fazit und Diskussion

Bilanziert man die Daten der MediKuS-Studie, so ist zunächst festzuhalten, dass diese Befunde bisherige Forschung zum Musizieren von Kindern und Jugendlichen bestätigen. Betont werden kann, dass viele Kinder und Jugendliche in Deutschland aktiv musizieren und dabei auch ein Instrument spielen, dass dies aber mit dem Alter deutlich abnimmt. Den außerschulischen Freizeit- und Bildungsangeboten kommt dabei eine besondere Rolle zu. Sie sind die wesentlichen Anbieter und Förderer des Spielens eines Instruments. Die MediKuS-Daten zeigen auch die starken schichtspezifischen Unterschiede bei der Frage, welche Kinder und Jugendlichen ein Instrument spielen. Zudem sind die Auswahl der Instrumente sowie der Zugang zu ihnen schichtspezifisch verteilt. Wenn allerdings ein Instrument gespielt wird und dies für Kinder und Jugendliche eine hohe Bedeutung hat, scheint die Herkunft kaum Unterschiede in der konkreten Praxis – mit Blick auf Motive, Intensität oder Regelmäßigkeit – auszumachen. Insbesondere die Motive und Musikstile werden in erster Linie dadurch beeinflusst, welches Instrument gespielt wird und hierfür wiederum ergeben sich herkunftsspezifische Unterschiede.

Für den Zugang zum Erlernen eines Instruments erweist sich für Kinder und Jugendliche aus Familien mit geringerem kulturellen Kapital die Schule als bedeutungsvoller. Offensichtlich kann Schule in gewissem Maße ausgleichend wirken und Interesse wecken – sei es im Musikunterricht oder auch in AGs oder in anderen Angeboten. In diesem Sinne lassen sich durchaus Möglichkeiten einer verstärkten und weniger schichtspezifischeren musikalischen Bildung durch entsprechende Projekte oder verstärkte Kooperation von Schulen mit Trägern außerschulischer musikalischer Bildung erwarten.