1 Einleitung

Lange Zeit vernachlässigt, gewinnt das Thema Klassenmanagement (Schönbächler 2008; Ophardt und Thiel 2008) – oder Klassenführung (Baumert und Kunter 2006; Neuenschwander 2006; Helmke 2007; Seidel 2009; Haag und Streber 2012) – in der deutschsprachigen Unterrichtsforschung in den letzten Jahren zunehmend an Aufmerksamkeit. Einigkeit besteht darüber, dass zum Klassenmanagement oder zur Klassenführung nicht nur eine effiziente Bearbeitung von Störungen, sondern vor allem störungspräventive Maßnahmen und eine effiziente Steuerung des Unterrichtsflusses zählen (Baumert und Kunter 2006, S. 488). Als Kriterium für effizientes Klassenmanagement gilt die Maximierung der aktiven Lernzeit der Schülerinnen und Schüler (Helmke 2007). Aktive Lernzeit resultiert entsprechend den Opportunitäts-Nutzungsmodellen (Baumert und Kunter 2006) aus der Wechselwirkung zwischen Lehrer- und Schülerverhalten. Weil Schülerinnen und Schüler oft unterschiedliche Handlungsziele verfolgen, besteht eine besondere Steuerungsleistung von Lehrkräften darin, diese Handlungsziele mit Blick auf das Lernziel zu koordinieren.

Ein theoretisch gut begründetes und differenziertes Konzept des Klassenmanagements wurde bereits 1984, im Anschluss an die Studien Kounins (1970) von Walter Doyle entwickelt (vgl. auch Doyle 2006). Nach Doyle geht es beim Klassenmanagement darum, soziale Ordnung herzustellen und aufrechtzuerhalten. Ordnung wird dabei funktional definiert. Sie ist dann hergestellt, wenn „within acceptable limits the students are following the programme of action“ (Doyle 2006, S. 99). Alle Aktivitäten zur Herstellung sozialer Ordnung haben diesem Konzept zufolge immer eine nachgeordnete Funktion: they „need to support instructional systems“ (Brophy 2006, S. 40). Die besondere Herausforderung besteht demnach darin, die unterschiedlichen Handlungsimpulse der Schülerinnen und Schüler in einer konkreten Unterrichtssituation auf ein bestimmtes Handlungsprogramm auszurichten. Das Handlungsprogramm, das die geplanten Aktivitäten und deren Abfolge beschreibt, stellt die Agenda für den Verlauf des Unterrichts dar. Bei Novizen hat dieses Programm in der Regel einen höheren Explikationsgrad als bei Experten, die statt eines verschriftlichten Entwurfs oft nur eine mentale Agenda entwickeln (Leinhardt und Greeno 1986, S. 76). Ein Handlungsprogramm muss in der konkreten Unterrichtssituation implementiert werden. Zu diesem Zweck etablieren Lehrkräfte auf der Basis dieses Handlungsprogramms einen Handlungsvektor, der die lernbezogenen Interaktionen orientiert (Doyle 2006, S. 106). Sie tun dies etwa, indem sie eine Aufgabe erläutern oder einen Auftrag formulieren. Durch aufmerksamkeitssteuernde Hinweise stützen und stablisieren sie diesen Handlungsvektor. Ein Handlungsvektor ist durch zwei Merkmale charakterisiert: durch seine Richtung und durch seine Stärke, mit der er individuelle Handlungsimpulse für eine gewisse Zeit zu binden vermag. Handlungsvektoren sind prinzipiell labil und müssen durch Signale oder Prozeduren kontinuierlich stabilisiert werden. Etablierung und Stabilisierung von Handlungsvektoren vollziehen sich im Rahmen von Aktivitätsstrukturen (Berliner 1983), wie beispielsweise Lehrervorträgen oder Klassengesprächen.

Unterricht kann dem Ansatz Berliners (1983) folgend als Skript bezeichnet werden, das unterschiedliche Aktivitätsstrukturen in nicht beliebiger Weise kombiniert. Zwei Herausforderungen des Klassenmanagements treten in dieser Perspektive deutlich hervor: Zum einen hat soziale Ordnung in unterschiedlichen Aktivitätsstrukturen eine unterschiedliche Bedeutung, das heißt innerhalb jeder Aktivitätsstruktur müssen neue Handlungsvektoren etabliert und auch wieder beendet werden. Zum anderen liegt in den Übergängen von einer zur anderen Aktivitätsstruktur eine besondere Schwierigkeit, müssen hier doch Anschlüsse zwischen unterschiedlichen Handlungsvektoren sichergestellt werden.

Störungen werden von Walter Doyle als konkurrierende oder sekundäre Handlungsvektoren betrachtet, die den primären Handlungsvektor gefährden (vgl. zum Konzept des Klassenmanagements ausführlich: Ophardt und Thiel, im Druck).

Zahlreiche Befunde von Studien, die der sogenannten Prozess-Produkt-Forschung zuzurechnen sind, verweisen darauf, dass einzelne Merkmale des Klassenmanagements, wie Störungsprävention oder Regelklarheit, für den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler einen zentralen Stellenwert haben (Brophy und Good 1986; Wang et al. 1993; Klieme und Rakoczy 2008; Kunter et al. 2011; jüngst auch eine Metaanalyse von Oliver et al. 2011). Dies gilt auch für Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten (Lane et al. 2006). Ein komplementärer Ansatz zur klassischen Produkt-Prozess-Forschung wurde in den letzten 25 Jahren durch Vertreter der Expertenstudien in die Unterrichtsforschung eingeführt (etwa: Berliner 1994; Carter et al. 1987; Leinhardt und Greeno 1986; in der deutschsprachigen Unterrichtsforschung vor allem: Bromme 1992, 1997). Im Unterschied zur Prozess-Produkt-Forschung steht in Expertenstudien das Zusammenspiel von Lehreraktivitäten bei der Bewältigung komplexer Anforderungen des Unterrichtens und das „cognitive processing that underlies the instructional decisions made by classroom teachers“ (Palmer et al. 2005, S. 13) im Mittelpunkt. Die grundlegende Annahme der Expertenforschung lautet, „that experts think and behave qualitatively different as compared to novices“ (ebd.). Im Bereich des Klassenmanagements unterscheiden sich Novizen und Experten offensichtlich besonders deutlich voneinander (Doyle 2006; Gettinger und Kohler 2006; Westerman 1991; Carter et al. 1988; Peterson und Comeaux 1987). Das ist darauf zurückzuführen, dass Klassenmanagement im Vergleich zu fachlichen oder fachdidaktischen Kompetenzen eine geringere deklarative Wissensbasis besitzt. Es handelt es sich vielmehr um eine Kompetenz, die in hohem Maße situational, intuitiv und implizit (Leinhardt et al. 1995) ist und damit den „complex skills that are accomplished most naturally under instructional conditions that follow the apprenticeship model“ (Brophy 1988, S. 13) zugerechnet werden kann. Klassenmanagement beruht folglich in weiten Teilen auf „practical knowledge“ (Carter 1990): Wissen und Erfahrungen haben sich bei Experten zu einem umfangreichen Repertoire an Strategien und Techniken verdichtet. Für die Rekonstruktion effizienter Strategien und Techniken des Klassenmanagements ist deshalb eine differenzierte Analyse von Expertenhandeln im Klassenzimmer von besonderem Interesse.

2 Forschungsstand: Expertise im Klassenmanagement

Im Anschluss an die maßgeblichen Arbeiten Kounins (1970), der in mehreren Studien fünf grundlegende Merkmale effizienter Klassenmanager identifiziert hatte (monitoring, overlapping, smoothness, momentum, group focus), wurden zahlreiche Untersuchungen zu unterschiedlichen Aspekten des Klassenmanagements publiziert. Befunde zur Expertise im Klassenmanagement lassen sich nach sechs übergeordneten Gesichtspunkten sortieren:

  • Monitoring der Schüleraktivitäten: Anknüpfend an die Befunde von Kounin (1970) zum Stellenwert von Monitoring für Unterrichtsqualität, konnten einige Studien belegen, dass Experten ihre Aufmerksamkeit auf die typischen Elemente einer Situation konzentrieren, während Novizen besonders auffällige Merkmale fokussieren (Carter et al. 1988; Bromme 1997). Experten greifen auf gut organisierte kognitive Schemata (Peterson und Comeaux 1987) zurück, die es ihnen erlauben, in einer wahrgenommenen Situation eine Ordnung zu rekonstruieren. Diese allgemeinen Befunde zum Monitoring stehen im Einklang mit den Ergebnissen einer Experten-Novizen-Studie von Westerman (1991), die nachweist, dass: „expert teachers were aware of behavioural cues that told them when to change their approach“ (S. 297). Auch Emmer und Gerwels (2006, S. 419) ziehen aus unterschiedlichen Studien zum Klassenmanagement den Schluss, dass gute Klassenmanager besondere Monitoringkompetenzen besitzen, die es ihnen ermöglichen, Störungspotenziale frühzeitig zu identifizieren und entsprechend zu intervenieren. Novizen dagegen haben Emmer und Gerwels (2006, S. 416) zufolge eine „incomplete view of the complexity of classroom management“. Doyle weist in Übereinstimmung mit Emmer und Gerwels darauf hin, dass erfolgreiche Manager nicht nur eine weit überdurchschnittliche „situational awareness“ besitzen, sie demonstrieren ihre Allgegenwärtigkeit überdies durch „running commentary on events taking place in the room“ (Doyle 1984, S. 273).

  • Explikation klarer Verhaltenserwartungen: Emmer und Gerwels haben die vorliegenden Studien zur Kommunikation von Verhaltenserwartungen und Regeln gesichtet und ziehen den Schluss: Erfahrene Klassenmanager machen ihre Verhaltenserwartungen sehr deutlich, insbesondere was mögliche Störungsquellen wie Dazwischenrufen oder Zuspätkommen betrifft (Emmer und Gerwels 2006, S. 418). Im Unterschied dazu kommunizieren ineffektive Manager Verhaltenserwartungen für häufig auftretende störungsträchtige Situationen weniger klar und spezifizieren weder die Regeln für unterschiedliche Situationen noch setzen sie die Regelanwendung konsequent durch (Emmer und Gerwels 2006, S. 418).

  • Standardisierung von Handlungsabläufen (Prozeduren): Gute Manager übersetzen darüber hinaus Verhaltenserwartungen in ein Set von situationsspezifischen Prozeduren und Routinen. Diese Prozeduren haben die Funktion einer „behavioral >roadmap< to navigate classroom activities and academic tasks successfully“ (Emmer und Gerwels 2006, S. 419). Leinhardt et al. (1987, S. 135) bezeichnen diese Prozeduren als „small cooperative scripts of behavior“: Sie legen das Verhalten von Lehrkräften und Schülern für bestimmte, häufig wiederkehrende Situationen fest. Doyle (1975) konnte zeigen, dass Art und Umfang der implementierten Prozeduren in direktem Zusammenhang mit dem Auftreten von Disziplinproblemen stehen.

  • Verknüpfung von Aktivitätsstrukturen durch Übergänge: Ein wichtiger Aspekt des Klassenmanagements, der bereits von Kounin ausführlich beschrieben wurde, ist die Steuerung des Unterrichtsflusses. Doyle hat die Perspektive Kounins explizit auf das Problem der Verknüpfung von Aktivitätsstrukturen erweitert und gezeigt, dass erfolgreiche Klassenmanager Grenzen zwischen den einzelnen Aktivitäten und zwischen Übergängen klar und deutlich markieren (Doyle 1984, S. 275). Weniger erfolgreiche Lehrkräfte hingegen blenden Aktivitäten oft ineinander (Doyle 1984, S. 273), sodass die unterschiedlichen Aktivitätsstrukturen und Übergänge für Schülerinnen und Schüler nicht klar erkennbar sind. Eine unzureichende Abgrenzung sowie eine größere zeitliche Ausdehnung von Übergängen im Unterricht von Novizen werden auch durch andere Studien bestätigt (Arlin 1979; Leinhardt und Greeno 1986; Leinhardt 1989; Doyle 2006, S. 110). Weil Übergänge weder eine inhaltliche Ausrichtung noch eine klare, durch den Inhalt determinierte Struktur besitzen, stellt die Aufrechterhaltung von sozialer Ordnung hier eine besondere Herausforderung dar (Carter und Doyle 2006, S. 390). Bei Übergängen handelt es sich demnach um besonders störungsanfällige Aktivitätsstrukturen. Im Vergleich mit der restlichen Unterrichtszeit beobachtete Arlin (1979, S. 55) in Übergängen doppelt so häufig Fehlverhalten. Arlins Befunde sprechen auch dafür, dass das Zeitmanagement („time flow“) in Übergangssituationen von besonderer Relevanz für den gesamten Unterrichtsverlauf ist (ebd.).

  • Steuerung des Aktivitätsflusses: Vielfach bestätigt wurde in unterschiedlichen Studien auch, dass erfolgreiche Klassenmanager zur Steuerung des Aktivitätsflusses eine Vielzahl von verbalen und nonverbalen Hinweisen und Signalen nutzen (Kounin und Gump 1974; Kounin und Doyle 1975; Arlin 1979). Darüber hinaus zeigte Doyle, dass erfolgreiche Manager „protect activities by actively ushering them along, focusing public attention on work, and ignoring misbehavior that disrupts the rhythm and flow of events“ (Doyle 1984, S. 276). Im Einklang mit den Befunden von Kounin, Gump und Doyle attestiert Westerman (1991, S. 297) Experten, dass sie Stimme und Körpersprache zur Motivierung und Aufmerksamkeitssteuerung der Schülerinnen und Schüler gezielt nutzen. Den Studien Kounins (1970) verdanken wir den Begriff „flip-flop“, der verdeutlicht, dass der Aktivitätsfluss gelegentlich durch die Lehrperson selbst verzögert wird: „when a teacher terminates one activity, begins another, and then initiates a return to the previous“ (Arlin 1979, S. 43).

  • Umgang mit Störungen: Wird Unterricht gestört, muss die Lehrkraft entscheiden, ob sie interveniert. Erfahrene Klassenmanager vermeiden es, bei Interventionen in eine Interaktionsfalle zu geraten (Sutherland und Morgan 2003). Sie vermeiden außerdem öffentliche Konfrontationen mit Schülerinnen und Schülern anlässlich von Unterrichtsstörungen. Die Studie von Westerman legt offen, dass die von Novizen eingesetzten Zurechtweisungen oft wenig wirkungsvoll waren und häufig den Unterrichtsfluss unterbrachen: „Punitive actions can cause children to ‚tune out‘ for the remainder of the class period and can disrupt the learning of the other children as well“ (Westerman 1991, S. 297 f.).

3 Forschungsfrage

Im Anschluss an die Publikation der Studien von Jacob Kounin wurden zwar zahlreiche Untersuchungen durchgeführt, die sich mit Teilaspekten des Klassenmanagements befassen, eine umfassende Untersuchung des Zusammenspiels einzelner Maßnahmen und Interventionen wurde allerdings seit den Analysen von Doyle (1984) nicht mehr unternommen. Dies ist angesichts des hohen Stellenwerts von Klassenmanagement und des immer wieder angemeldeten Bedarfs an explorativen Fallstudien zum Unterrichtshandeln von Lehrkräften (Baumert und Kunter 2006, S. 481; Krauss et al. 2008, S. 242; Seidel 2009, S. 143) erstaunlich.

Der vorliegende BeitragFootnote 1 berichtet über eine sequenzanalytische Rekonstruktion von Strategien und Techniken des Klassenmanagements im Unterricht in Sekundarschulen in Berlin und Brandenburg. Wir haben uns bei der aufwändigen Analyse von Unterrichtssequenzen auf Übergenge zwischen Aktivitätsstrukturen (Berliner 1983) beschränkt, weil hier grundlegende Anforderungen des Klassenmanagements in kondensierter Form sichtbar werden (s. o.). Übergänge beanspruchen zwischen 15 % (Carter und Doyle 2006, S. 390) und 25 % (Berliner 1983, S. 11) der gesamten Unterrichtszeit. Im Anschluss an Arlin wird ein Übergang definiert „as a teacher initiated directive to students to end one activity and to start another“ (Arlin 1979, S. 42): Zum Beispiel zunächst Schließen der Hefte oder Wegräumen der Stifte, anschließend Ansage einer Aufgabe oder Aufforderung zur Präsentation von Ergebnissen. Übergänge treten häufig in Verbindung mit Einzel- oder Gruppenarbeit (seatwork) auf, die etwa 60 % der gesamten Unterrichtszeit ausmachen (vgl. Berliner 1983). Im Übergang von der weitgehend selbstregulierten Einzelarbeit zur Interaktion mit der gesamten Klasse verändern sich die „perceptual and accomplishment demands“ (Gump 1969, S. 29) für Lehrpersonen und Schüler fundamental.

In der diesem Beitrag zugrundeliegenden Experten-Novizen-Studie wurden Übergänge von einer Einzel- oder Gruppenarbeit in ein nachfolgendes Klassengespräch oder eine Schülerpräsentation (one way presentation) analysiert. Die übergeordnete Frage war, wie Lehrkräfte die grundlegenden Anforderungen eines Übergangs – die Beendigung eines Handlungsvektors sowie die Etablierung und Stabilisierung eines neuen Handlungsvektors – in Unterrichtssituationen mit hoher Störungsanfälligkeit bewältigen. Das besondere Interesse galt dabei den Strategien und Interventionen von Expertenlehrkräften.

4 Forschungsdesign und Methode

Wir folgen der Einschätzung Jere Brophys, dass es für die Untersuchung komplexer Strategien des Klassenmanagements nicht angemessen ist, „to use classical experimental methods to develop and test comprehensive management models […] Classroom events are only partly controllable (or even predictable) by teachers, so much of good management involves adapting effectively to emerging developments“ (Brophy 2006, S. 18). Unsere Studie haben wir aus diesem Grund als explorative Experten-Novizen-Studie angelegt. Das Design entspricht den klassischen Experten-Novizen-Studien (vgl. Palmer et al. 2005), die Expertenkompetenz im Kontrast zur Kompetenz von Novizen rekonstruieren. Als Experten werden Individuen bezeichnet, deren Leistungen in einer spezifischen Domäne deutlich über dem Durchschnitt liegen. Längere Erfahrung in der Ausübung einer spezifischen Tätigkeit ist eine Voraussetzung von Expertise (Simon und Chase 1973). Aus diesem Grund verspricht eine kontrastive Untersuchung von Experten- und Novizenhandeln bei der Bewältigung typischer komplexer Anforderungen einer bestimmten Domäne einen besonderen Ertrag.

Unsere Untersuchung beschränkte sich im Unterschied zu anderen Studien auf die Performanz von Lehrpersonen im Unterricht; Kognitionen und Beliefs waren nicht Gegenstand der Untersuchung. Das Datenmaterial stellen jeweils vier videographierte Unterrichtsstunden von elf Experten und sechs Novizen dar, die an besonders belasteten Sekundarschulen (Berlin) bzw. Oberschulen (Brandenburg) (vgl. zu besonderen Belastungsfaktoren Trautwein et al. 2007) in den Klassen 7–9 Mathematik oder Deutsch unterrichten. Der Rekrutierung von Experten (vgl. dazu auch Brophy 2006, S. 19) lagen drei Kriterien zugrunde, die Palmer et al. (2005) auf der Basis einer Metaanalyse von 27 Expertenstudien mit Lehrkräften für die Stichprobenziehung in Expertenstudien empfehlen: a) Berufserfahrung von mindestens fünf Jahren, b) Nominierung im Sinne der „social recognition“ – exzellente Reputation als Lehrkraft unter Kollegen und c) Leistung der Experten in der zu untersuchenden Domäne, hier also des Klassenmanagements. Entsprechend dieser Kriterien erfolgte die Nominierung der Experten durch die Schulleitungen. Als Novizen wurden Referendare rekrutiert, die im Rahmen des Vorbereitungsdienstes unterrichten.

Die Videographien wurden auf der Grundlage eines Kameraskripts (vgl. Prenzel et al. 2001) erstellt, das Positionen für eine schwenkbare, im hinteren Klassenraum platzierte Lehrerkamera sowie eine statische, links oder rechts von der Tafel platzierte Schülerkamera mit Weitwinkelobjektiv festlegte.

Was die Datenauswertung betrifft, führen wir unterschiedliche methodische Ansätze zusammen: Primär sind unsere Analysen geleitet von Ansätzen der Expertenforschung zur Performanz von Lehrkräften (Leinhardt und Greeno 1986; Leinhardt 1993; Bromme und Sebring 1994), die eine komparative Analyse von Experten- und Novizenhandeln in den Mittelpunkt stellen. Zur Orientierung der komparativen Analyse wurden die Handlungsanforderungen von Übergängen theoretisch rekonstruiert. Die Analyse der Unterrichtsvideographien folgte einem sequenzanalytischen Vorgehen, das sich sowohl aus interaktionstheoretischen Ansätzen der qualitativen Unterrichtsforschung (Mehan 1979; Griffin und Mehan 1979) und der Impression-Management-Theorie (Goffman 1969; Mummendey und Bolten 1985), als auch aus der für die Bild- und Videointerpretation weiterentwickelten Dokumentarischen Methode (Bohnsack 2009; Bohnsack et al. 2007) speist (s. u.).

Die Auswertung erfolgte in Anlehnung an das von Walter Doyle entwickelte Analyseverfahren in zwei Schritten (vgl. Doyle 1984). Sie wird im Folgenden genauer erläutert:

  1. a)

    Im ersten Schritt wurde für jede videographierte Unterrichtsstunde ein Aktivitätsstrukturverzeichnis, eine makroanalytische Segmentierung des Unterrichtsflusses als „behaviour stream“ (vgl. Doyle 1984, S. 267), erstellt. Diese Form der Segmentierungsanalyse bietet einen Überblick über die Gesamtordnung der ‚activity structures‘. Die Segmentierungsanalyse dient zudem der Einschränkung des Suchraums für vergleichende Detailanalysen, hier: der Identifikation von Übergängen.

  2. b)

    Auf der Basis der Segmentierungsanalyse erfolgte im zweiten Schritt eine kontrastive Detailanalyse der Übergänge. Zunächst wurden in einer abstrakten Vergleichsfolie (Tertium Comparationis) (vgl. Bohnsack et al. 2007) die objektiven Handlungsanforderungen dieser Aktivitätsstruktur theoretisch rekonstruiert (vgl. Bromme 1997, S. 182). Folgende forschungsleitenden Fragen orientierten die Entwicklung des Tertium Comparationis:

    • Wie wird der alte primäre Handlungsvektor (schülergesteuerte Einzelarbeit oder Gruppenarbeit) beendet?

    • Wie wird der neue primäre Handlungsvektor (Auftrag zur Ansage oder Präsentation der Ergebnisse) etabliert und stabilisiert?

    • Wie wird mit sekundären bzw. konkurrierenden Handlungsvektoren (Störungen) umgegangen?

An die Entwicklung eines Tertium Comparationis schloss sich die Sequenzanalyse an. Sie erfolgte in Anlehnung an die Dokumentarische Methode (vgl. Bohnsack 2009; Bohnsack et al. 2007) wiederum in zwei Schritten: der formulierenden und der reflektierenden Interpretation.

Für die formulierende Interpretation wurde ein eigenes Format der szenischen Beschreibung entwickelt (vgl. Tab. 1). Es setzt sich zusammen aus dem Transkript, einer Verschriftlichung dessen, was von den Interaktionspartnern wörtlich mitgeteilt wird, ausgewählten Stills aus Lehrer- und Schülerkameraperspektive und der eigentlichen szenischen Beschreibung. Ein Übergang wird dazu, orientiert am turntaking-System (vgl. Mehan 1979), in einzelne Subsequenzen unterteilt, die sich durch die Initiierung eines „turns“ durch die Lehrperson ergeben. Die szenische Beschreibung übersetzt das, was auf der vorikonographischen Ebene an Gebärden und operativen Handlungen zu sehen ist, nonsemantisch in einen Bildtext (vgl. Bohnsack 2009, S. 137 f.).

Bei der reflektierenden Interpretation erfolgte im Rückgriff auf das Tertium Comparationis ein systematischer Vergleich der Performanz von Experten und Novizen. Die individuellen Steuerungs- und Interaktionspraktiken der videographierten Experten und Novizen wurden entlang der im Tertium Comparationis fixierten Anforderungen rekonstruiert. Das Vorgehen folgte einer streng sequentiellen Analyse, indem das Steuerungsverhalten der Lehrperson Subsequenz für Subsequenz anhand des Bildtextes der formulierenden Interpretation sowie im stetigen Rückbezug auf die videographischen Originaldaten rekonstruiert wurde (vgl. Bohnsack 2009, S. 144). Diese Rekonstruktion erfolgte von Beginn an in einer kontrastiven Perspektive. Die Ergebnisse wurden in einer Komparationstabelle festgehalten. Begonnen wurde mit dem Vergleich einer Expertin und einer Novizin (siehe Komparationstabellenausschnitt, Tab. 2). Die Komparationstabelle wurde nach und nach um die anderen Experten und Novizen der Stichprobe erweitert. Mit jedem neuen Fall wurde das Tertium Comparationis sukzessive präzisiert und ggf. erweitert.

5 Ergebnisse

Es konnten keine jahrgangs- und fachspezifischen Unterschiede im Übergangsmanagement ermittelt werden: Deutsch- und Mathematiklehrpersonen in unterschiedlichen Klassenstufen unterscheiden sich nicht hinsichtlich der im Folgenden dargestellten Ergebnisse. Deutliche Unterschiede bestehen dagegen zwischen Experten und Novizen. Die Ergebnisse werden im Folgenden, bezogen auf die drei beschriebenen Anforderungen des Managements von Übergängen, dargestellt.

5.1 Beendigung des primären Handlungsvektors

Alle Experten in unserer Stichprobe kündigen die Beendigung der Einzelarbeit explizit und adressiert an alle Schülerinnen und Schüler an. Vor der Ankündigung verschaffen sie sich durch Herumgehen häufig einen Überblick über den Arbeitsstand. Dass sie über die konkreten Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler im Bilde sind, demonstrieren sie z. B., indem sie – für alle hörbar – die Aktivitäten einzelner Schülerinnen oder Schüler kommentieren:

L: „So, Laurent schreibt noch den letz(.)ten Satz oder das letzte Wort“.

Zur Ansage der Beendigung der Einzel- oder Gruppenarbeit begeben sich Experten immer an eine zentrale Stelle im Klassenraum (vor die Tafel oder vor die erste mittlere Sitzreihe) und fordern von dort aus laut und deutlich zur Beendigung der Einzel- bzw. Gruppenarbeit auf.

Experten planen offensichtlich ein Zeitfenster zur Beendigung des alten Handlungsvektors für die Schülerinnen und Schüler ein – in den meisten Fällen nimmt der Beendigungsprozess mehr Zeit in Anspruch als bei den Novizen. Auffällig ist auch, dass die Einzelarbeit in mehreren Subsequenzen beendet wird. Experten entschleunigen den Beendigungsprozess gewissermaßen. Sie zeigen oft demonstrativ Geduld, pausieren und setzen gestische und paraverbal unterstützte Wiederholungen der Anweisungen gezielt ein, wie beispielsweise:

L: „Alle Stifte liegen unten. Alle hör’n mir bitte zu (..)“.

Oder eine andere Expertin:

L: „Wir machen bitte einmal STOPP, da es gleich klingelt. Enes nach vorne umdrehen! Alles einmal fallen lassen, Stifte hinlegen, nach vorne gucken, freundlich lächeln!“

Die Experten in unserer Stichprobe demonstrieren unmittelbar vor und während der Beendigung des alten Handlungsprogramms zudem in auffälliger Weise den Wechsel von der beratenden zur moderierenden Rolle, indem sie die Beratung einzelner Schülerinnen und Schüler vollkommen zurückfahren und sich, wie beschrieben, an einer zentralen Position im Raum für die Gesamtklasse in Szene setzen. So ignoriert eine Expertin beispielsweise Schülerfragen, wie „Was soll ich jetzt machen?“ oder „Wieso hab ich das falsch?“ oder verschiebt Interaktionsangebote von Einzelschülern: „Nee, jetzt NICHT! Jetzt nicht“. Ähnlich agiert eine andere Expertin, die in der Beendigungsphase die Frage eines Schülers zur Einzelarbeit explizit auf das „gemeinsame Vergleichen“ im Anschluss verschiebt. Beide Expertinnen signalisieren den Schülerinnen und Schülern mimisch und gestisch, dass sie sie wahrgenommen haben, die Interaktionsaufforderung in der gegenwärtigen Situation aber zugunsten der Kommunikation mit der Gesamtklasse gezielt ignorieren.

Im Unterschied zu den Experten konnte bei den Novizen beobachtet werden, dass sie die geplante Bearbeitungszeit häufig ausdehnen, „noch 5 Minuten“ geben, und damit in Kauf nehmen, dass ein relevanter Teil der Schülerinnen und Schüler „in Leerlauf“ gerät. Im Unterschied zu Experten sind Novizen unmittelbar, bevor sie ein Signal zur Beendigung der Einzelarbeit geben, oft noch in die individuelle Beratung involviert und verlieren deshalb den Arbeitsstand in der Gesamtklasse aus dem Blick. Novizen geben, im Unterschied zur kontinuierlichen Signalsteuerung durch die Experten, nur ein, höchstens zwei Signale zur Beendigung der Einzelarbeit. Weil sie den Wechsel von der beratenden in die moderierende Rolle nicht eindeutig demonstrieren und die Aufmerksamkeit der gesamten Klasse nicht fokussieren, werden diese Signale aber meist gar nicht von allen Schülerinnen und Schülern wahrgenommen. An ihr Signal zur Beendigung schließen Novizen die Instruktion für die folgende Aktivitätsstruktur unmittelbar an. Novizen lassen den Schülerinnen und Schülern kein Zeitfenster für die Beendigung der Einzelarbeit. Auffällig ist auch das unruhige Herumwandern der Novizen. Sie nehmen häufig verschiedene Raumpositionen ein, bewegen sich unruhig, stehen bei Ansagen an die Schülerinnen und Schüler oft nicht frei, sondern lehnen sich an oder stützen sich ab. Im Gegensatz zu den klaren und differenzierten Beendigungsphasen der Experten fallen bei den Novizen die Beendigung des alten und die Etablierung des neuen Handlungsvektors – oder anders formuliert: der Sprechakt der Beendigung und der Sprechakt der Etablierung – immer zusammen. Bei keinem Novizen ist eine differenzierte Subsequenz des Beendens beobachtbar. Ein typisches Beispiel stellt die folgende Beendigungssequenz einer Novizin dar, die den Schülern zunächst noch fünf Minuten Zeit gegeben hatte, dann aber – vermutlich aufgrund der lautstarken Äußerungen einer Schülerin – die Beendigung vorzeitig abbricht und nach den Arbeitsergebnissen fragt:

L: (klingelt einmal leise mit einer Handglocke und blickt dann auf den Lehrertisch): „Also, Ihr seid mir etwas zu laut, ich hatte gesagt in fünf Minuten verGLEIchen wir!“

S9: Ohhh!

S11: Eins, zwei, drei … (unv.)

L: (leiser werdend): WER (.) ist jetzt schon fertig, sodass wir den TEXT (.) einmal hören können, von demjenigen?

S10: Ich bin gleich.

S12: Juti.

Die fehlende eindeutige Beendigung der Aktivitätsstruktur führt zu kumulierenden Verzögerungen und Unterbrechungen, die die Etablierung und Stabilisierung eines neuen Handlungsprogramms deutlich beeinträchtigen. Obwohl das neue Handlungsprogramm bereits eingeführt wurde, müssen immer wieder Maßnahmen zur Beendigung des alten Handlungsprogramms dazwischengeschoben werden.

5.2 Etablierung und Stabilisierung des neuen Handlungsvektors

Während die Experten für die Beendigung des alten Handlungsprogramms mehr Zeit aufwenden als die Novizen, erfolgt die Etablierung des neuen Handlungsvektors durch die Experten deutlich zügiger als durch die Novizen. Experten etablieren den neuen Handlungsvektor etwa in einer halben Minute, Novizen brauchen dazu dreimal so lange.

Alle videographierten Experten formulieren eindeutige Handlungsprogramme. Die Instruktion erfolgt in knappen Sätzen, klar und deutlich, unter Nutzung von Wiederholungen und Pausierungen, so etwa folgender Experte im Deutschunterricht im Anschluss an die Lektüre eines Texts in Einzelarbeit:

L: WILL sie informieren, WILL sie unterhalten oder will sie MAHNen? Was ist die Absicht der Autorin, der Frau Doktor da? WAS ist die Absicht? WAS? Was WILL sie?

Von allen videographierten Experten werden mehr oder weniger detailliert und explizit auch die Verhaltenserwartungen für die nicht aktiven Schülerrollen verbalisiert, teilweise auch visualisiert oder nonverbal modelliert. Die Expertin im folgenden Beispiel verdeutlicht in Vorbereitung einer Gruppenpräsentation relativ zeitintensiv durch Wiederholungen und Nachfragen die mit dem Handlungsprogramm verbundenen Verhaltenserwartungen:

L: Nochmal, was … was heißt des für die andern jetzt?

S: (mehrere): Zuhör’n.

L: Zuhör’n.

Noch auffälliger als im Beendigungsprozess ist das gezielte Ignorieren oder Übersprechen von Schülerbeiträgen oder -fragen in der Phase der Etablierung des neuen primären Handlungsvektors. Kein Experte hat in dieser Phase den primären Handlungsvektor aufgrund von unpassenden Schülerbeiträgen unterbrochen. Der Aktivitätsfluss wird vielmehr oft beschleunigt – z. B. durch die Steigerung der Sprechgeschwindigkeit, eine Artikulation im Staccato oder das Übersprechen von Schülerbeiträgen –, sodass der neue Handlungsvektor als nicht verhandelbar erscheint.

Durch den Einsatz verschiedener rhetorischer Strategien erzeugen einige Experten gezielt einen Spannungsbogen, der die Aufmerksamkeit der Klasse bindet. Ein Experte verstummt beispielsweise vor entscheidenden Aussagen und pausiert relativ lange. Ein anderer Experte fokussiert durch expressive Vokalisierungen, gezielte Stimmmodulation und besonders leises Sprechen die Aufmerksamkeit auf seine Instruktion. Außerdem nutzen einige der beobachteten Experten diese Phase des Übergangs, um ein positives, wertschätzendes Feedback für die geleistete Schülerarbeit zu geben und ein Interesse an den Ergebnissen zu demonstrieren, so beispielsweise:

L: „Das sieht alles so SPANNEND aus, was hier viele geschrieben haben (..). Es wäre doch mal intereSSANT (.), sich so n paar Sachen ANzuhören“.

Oder eine andere Expertin:

L: „So (.) ALSO, das habt ihr wirklich alle sehr schön gemacht. Die ERGEBnisse sind toll (.) geworden“.

Zur Stabilisierung des neuen Handlungsvektors und zur Überleitung in die nachfolgende Aktivitätsstruktur, in der die Ergebnisse der Einzel- oder Gruppenarbeit thematisiert werden, setzen Experten gezielt unterschiedliche Techniken der Gruppenmobilisierung ein, die den Aktivitätsfluss stärken. Sie senden etwa kontinuierlich verbale, paraverbale (z. B. „mhh“, „mmm“), vor allem aber nonverbale Signale aus, mit denen sie die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler in einer Art Standby-Modus halten. Besonders auffällig ist der Einsatz bekräftigender Signale im Anschluss an kooperierendes Schülerverhalten, der bei Novizen so gut wie gar nicht zu beobachten ist. Der gezielte Einsatz von Verstärkern hat bei den Experten ganz offensichtlich nicht allein die Funktion, Signalkontinuität in Sinne der Aufmerksamkeitssteuerung herzustellen, sondern dient in Verbindung mit der expliziten Wertschätzung von Schülerbeiträgen (s. o.) auch der Sicherung des Commitments der Schülerinnen und Schüler.

Auffällig ist, dass bei Experten unterschiedliche Strategien nahezu gleichzeitig oder in hoher zeitlicher Verdichtung zum Einsatz kommen. Eine entsprechende virtuose Nutzung von verbalen, paraverbalen und nonverbalen Signalen zeigt sich nicht nur in der Phase der Etablierung und Stabilisierung des Handlungsvektors, sondern auch in der Phase seiner Beendigung (s. o.).

Neben dem kontinuierlichen Einsatz von Signalen ist bei Experten ein „mobilisierendes“ Aufrufen störungsbereiter oder unbeteiligter Schülerinnen und Schüler zu beobachten. Zwar nutzen Experten auch die Kooperationsbereitschaft von Schülerinnen und Schülern, die sich melden, sie beschränken sich beim Aufrufen zur Präsentation aber nicht auf diese.

Im Unterschied zu den Experten rufen die videographierten Novizen unbeteiligte oder störungsbereite Schülerinnen und Schüler nie mobilisierend auf. Sie beschränken sich vielmehr auf das Aufrufen der Schülerinnen und Schüler, die Commitment signalisieren und limitieren dadurch nicht nur den Beschäftigungsradius der Klasse beträchtlich, sondern versäumen es auch, die Rechenschaft der anderen Schülerinnen und Schüler einzufordern und diese dadurch auf das Handlungsprogramm zu verpflichten.

Novizen demonstrieren außerdem weniger Präsenz als Experten und stellen weniger Kontakt zur Gesamtklasse her. Verglichen mit den Experten in der Stichprobe agieren die Novizen deutlich kontaktärmer im Blickverhalten sowie in der verbalen Kommunikation.

In einigen Fällen ist zu beobachten, dass die Novizen im Unterschied zu den Experten in besonderer Weise auf das Verhalten bestimmter Einzelschüler eingehen. Ihre Aufmerksamkeit wird entsprechend häufig in individuellen Interaktionen mit den Schülerinnen und Schülern absorbiert. Das geschieht in jedem der analysierten Fälle auf Kosten der Klarheit des Handlungsprogramms. Als Beispiel kann folgender Transskriptausschnitt aus dem Unterricht einer Novizin gelten:

L: ALso, jeder setzt sich jetzt HIN! (.) ARGun. Argun. (.) Argun.

S1: Au.

S2: Hallo.

S3: Ooohh! … (unv.)

S3: Bist du behindert oder was?

S1: (sehr laut): … (unv.)

L: So, Ezgi, setz dich jetzt hin. Annie, wehe! Setzt euch bitte jetzt noch mal kurz hin. Ich möchte was ansagen.

S1: Beide gehen … (unv.)

L: Sudanez!

S3: (unv.)

L: So! (.) Ich möchte noch was ansagen zu dieser Art und Weise …

L: (fast eine Minute später, nach weiterem Hin und Her zwischen Lehrperson und Schülerinnen und Schülern): So, jetzt kann ich endlich mal was ansagen.

Manchmal werden die Novizen von Einzelschülern mit Fragen zu einfachen Abläufen geradezu bombardiert oder durch individuelle Nachfragen von Tisch zu Tisch „getrieben“. Mit der Vernachlässigung der Gruppenaktivierung infolge einer häufigen Zuwendung zu Einzelschülern korrespondiert, dass ein relevanter Teil der Unterrichtsinteraktion tendenziell schülergesteuert erscheint.

Der neue Handlungsvektor wird von Novizen in dem für sie typischen hybriden Beendigungs-Etablierungs-Prozess nicht sicher etabliert. Er bleibt unklar und instabil. Keinem der videographierten Novizen gelingt es, ein sicheres Setting zu schaffen, in dem die gesamte Klasse der Lehrperson aufmerksam zuhört. Weil die Stabilisierung des neuen primären Handlungsvektors einen intensiven Einsatz von Erklärungen und Zurechtweisungen erfordert, muss der Aktivitätsfluss in der nachfolgenden Aktivitätsstruktur für die Nachsteuerung öfter unterbrochen werden.

5.3 Umgang mit konkurrierenden Handlungsvektoren

Obwohl alle videographierten Experten und Novizen an besonders belasteten Schulen unterrichten, treten in den analysierten Übergängen massive Störungen nur bei Novizen auf. Zwar entwickeln sich auch im Unterricht der videographierten Experten spontan sekundäre Handlungsvektoren, diese werden aber in allen beobachteten Fällen bereits im Ansatz erfolgreich unterbunden oder virtuos in den Unterrichtsablauf integriert. Die Experten wenden unterschiedliche indirekte und direkte Strategien zur Beendigung von sekundären Handlungsvektoren an: vom gezielten Ignorieren und Isolieren, über affilierende Blick- und Körperkontakte, das flüchtige Aufgreifen oder Kommentieren von Schülerbeiträgen oder das „mobilisierende“ Aufrufen bis hin zu Zurechtweisungen. Zurechtweisungen erfolgen beiläufig, kurz und knapp, meist wird lediglich der Name des Störers oder der Störerin genannt, manchmal wird die Verhaltenserwartung kurz expliziert. Auffällig ist, dass die Aufmerksamkeit nach der Intervention vom zurechtgewiesenen Schüler sofort abgezogen wird, entweder durch demonstrative Abwendung des Blicks oder des gesamten Körpers. Die videographierten Experten verbalisieren Fehlverhalten außerdem deutlich sparsamer als die Novizen und führen keine öffentlichen Verhandlungen darüber.

Viele Interventionsstrategien der Experten ergeben sich wie selbstverständlich aus der proaktiven und präventiven Prozesssteuerung. Oft werden, wie bereits beschrieben, genau die Schülerinnen und Schüler „mobilisierend“ aufgerufen, die während der Beendigung (potenziell) störendes Verhalten gezeigt und dadurch den Beendigungsprozess verzögert haben. Für die Interventionsstrategie des „mobilisierenden“ Aufrufens mit dem Ziel der Verpflichtung von störungsbereiten Schülerinnen und Schülern auf den neuen primären Handlungsvektor finden sich besonders viele Beispiele im Unterricht einer der Expertinnen. Sie ruft in allen analysierten Sequenzen entweder Schülerinnen und Schüler auf, die vorher unaufmerksam waren oder unmittelbar vorher, beim Beenden der Einzelarbeit, zurechtgewiesen wurden, wie in folgendem Beispiel:

L: „LUTZ, drehst du dich wieder um?“

S: (Lutz dreht sich nach vorn und hält mit L lächelnd Blickkontakt)

L: (kurz zurücklächelnd und in die Klasse blickend): „SO. Jetzt versuchen wir diese (.) WÖRTER miteinander zu vergleichen. Substantive des Anfangs, Lutz, liest du die bitte nochmal vor? (..)“.

Weil Experten während des „mobilisierenden“ Aufrufens immer Freundlichkeit oder Humor signalisieren, entsteht nie eine Situation des Vorführens unaufmerksamer Schülerinnen und Schüler.

Nicht in jedem Fall waren überhaupt Interventionen beobachtbar. Im Unterricht eines Experten kommen sekundäre Handlungsvektoren kaum vor. Lautes Miteinanderreden, Dazwischenrufen oder Kommentare ohne Meldungen waren nicht beobachtbar. Der Experte ist derjenige, der spricht und dem Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Infolge eines wenig präventiven Klassenmanagements entwickeln sich sekundäre Handlungsvektoren in den Übergängen der Novizen dagegen oft zu massiven Störungen und Konflikten. Einige Novizen lassen sich während der Etablierung des neuen Handlungsvektors in sekundäre Handlungsvektoren involvieren, beispielsweise durch öffentliche Verhandlungen mit Schülerinnen und Schülern über die richtige Wahrnehmung oder Interpretation einer Situation. Typisch ist folgendes Beispiel aus dem Unterricht einer Novizin:

L: Marcel?

S: Was?

L: Bist du fertig?

S: Ich schreibe noch.

L: Warum redest du dann, wenn du noch am Schreiben bist?

S: Ich hab’ gar nicht gesprochen.

L: Du weißt, heut’ ist gefährlich zu lügen, da ist ne Kamera, die kann des nachvollziehen.

S: (mehrere): Jo. Hey. (Lachen).

Weil Novizen Fehlverhalten zunächst oft nicht wahrnehmen oder in manchen Fällen mit einer Zurechtweisung sichtbar unentschieden warten, können sich sekundäre Handlungsvektoren gelegentlich so weit entwickeln, dass die Aufmerksamkeit der Gesamtklasse vom primären Handlungsvektor vollkommen abgezogen ist. Oft ist auch zu beobachten, dass Novizen die zurechtweisenden Interventionen entweder nicht zu Ende führen oder unangemessen direktiv und „überkontrollierend“ reagieren, das heißt, sie geben den Störern keine Gelegenheit, ihr Verhalten selbst zu regulieren.

Bei Zurechtweisungen machen Novizen auch häufig Objektfehler, was bedeutet, dass sie den Falschen treffen. Novizen weisen sehr viel häufiger zurecht als Experten. Ihre Zurechtweisungen dauern länger als die der Experten, enthalten selten Informationen über das erwartete Verhalten und werden häufig in einem verärgerten, manchmal wütenden oder beleidigten Ton formuliert.

6 Diskussion

Die Ergebnisse der komparativen Analysen der Performanz von Experten und Novizen bei der Steuerung von Übergängen lassen Schlüsse auf spezifische Expertenkompetenzen zu. Unsere Ergebnisse bestätigen, konkretisieren und erweitern den oben referierten Forschungsstand zur Expertise im Klassenmanagement.

Grundsätzlich scheinen Experten die wichtigsten Aspekte komplexer und dynamischer Situationen sehr schnell zu erfassen und Zeichen schwindender Aufmerksamkeit und Störungspotenziale sehr früh zu registrieren (vgl. Carter et al. 1987; Westerman 1991; Bromme 1997). Diese Interpretation führen wir auf die Beobachtung zurück, dass Experten im Unterschied zu Novizen sehr viel seltener Zeit- oder Objektfehler machen, das heißt, sie warten nicht zu lange mit einer Zurechtweisung und liegen bei der Verursacherzuschreibung von Störungen in der Regel richtig. Dies entspricht auch einem zentralen Befund von Kounin (1970).

Ein weiterer grundlegender Befund unserer Studie lautet: Im Unterricht von Experten verläuft die Interaktion grundsätzlich lehrergesteuert. Das heißt: Interaktionen werden von der Lehrperson – nicht von den Schülerinnen und Schülern – initiiert, intensiviert oder abgebrochen. Das bedeutet nicht, dass lernzielbezogene Interaktionsangebote der Schülerinnen und Schüler nicht aufgenommen würden, sie werden aber immer auf das Handlungsprogramm bezogen.

  • Experten beenden eine Aktivität zunächst eindeutig, um sich erst dann der neuen Aktivität zuzuwenden, während bei Novizen die Beendigung des alten und die Etablierung des neuen Handlungsvektors zusammenfallen. Der allgemeine Befund von Doyle, dass gute Klassenmanager hybride Aktivitäten (1984, S. 273) vermeiden, wird durch unsere Ergebnisse für die Aktivitätsstruktur der Übergänge konkretisiert.

  • Die Befunde zur kürzeren Dauer von Übergängen bei Experten (Leinhardt 1989) konnten in unserer Studie präzisiert werden: Für die Beendigung des alten Handlungsvektors nehmen sich Experten erwartungswidrig zunächst mehr Zeit als Novizen. Außerdem steuern sie den Beendigungsprozess kontinuierlich durch verbale und nonverbale Signale. Der erhöhte Zeitbedarf bei der Beendigung des alten Handlungsvektors wird bei der Etablierung des neuen Handlungsvektors überkompensiert: Hier benötigen Experten deutlich weniger Zeit als Novizen. Dieser Befund lässt vermuten, dass sich im Hinblick auf die Gesamtbilanz aktiver Lernzeit eine höhere Investition zeitlicher Ressourcen in nicht unmittelbar stoffbezogene Aktivitäten durchaus auszahlen kann.

  • Auch den hohen Stellenwert der Klarheit des Handlungsprogramms (Doyle 1984) für einen flüssigen Unterricht konnten wir bestätigen. Außerdem konnte gezeigt werden: Experten kommunizieren ihr Handlungsprogramm nicht nur sehr klar; sie explizieren auch die mit diesem Programm verbundenen Verhaltenserwartungen sowohl für die aktiven als auch für die passiven Schülerrollen.

  • Ein weiterer, nicht erwarteter Befund lautet: In der Phase der Etablierung eines neuen Handlungsvektors werden unpassende Schülerbeiträge oder -fragen von Experten häufig demonstrativ ignoriert oder übersprochen. Experten schützen dadurch aktiv den noch labilen primären Handlungsvektor.

  • Experten setzen Techniken der Selbstpräsentation oder des „impression management“ (vgl. zu Theorien des Impression Managements: Blumer 1969; Goffman 1969; Mummendey und Bolten 1985) während des gesamten Beendigungs- und Etablierungsprozesses strategisch und taktisch ein: Verbale, nonverbale (wie Gesten, Mimik) und paraverbale Signale (wie Stimmlage, Sprechgeschwindigkeit, Betonung) stehen im Dienst der Steuerung der Aufmerksamkeit und der Aktivierung der Schülerinnen und Schüler. Einen besonderen Stellenwert hat das Einnehmen eines sogenannten „instructional center“ (Mehan 1979, S. 27). In auffälligem Unterschied zu Novizen senden Experten außerdem kontinuierlich Kontaktsignale aus und beantworten die Signale der Schülerinnen und Schüler beiläufig, ohne sich involvieren zu lassen. Dies geschieht nonverbal sowie durch Interjektionen, wie „mmh“ oder „hmm“. Der kontinuierliche Einsatz solcher ‚back-channels‘ hat die Funktion einer Bestätigung der Wahrnehmung eines Verhaltens oder einer Äußerung des Gesprächspartners (Przyborski 2004, S. 71). ‚Back channel work‘, das zeigte bereits Mehan (1979, S. 88), ist eine metakommunikative Aktivität „which serves to establish, prolong, or discontinue communication“.

  • Zur Stabilisierung von Handlungsvektoren nutzen Experten unterschiedliche Techniken der Gruppenaktivierung. Rekonstruiert wurden in der vorliegenden Studie das Herumwandern im Klassenraum, das demonstrative Sichten des Arbeitsstands und – wie bereits von Doyle ausführlich beschrieben – „running commentary on classroom events“ (Doyle 2006, S. 109). Außerdem bekräftigen Experten gezielt und häufig erwartetes Verhalten und Commitment (vgl. Emmer et al. 2003, S. 150). Eine besondere Strategie der Aktivierung der Gesamtklasse besteht in der geschickten Kombination des Aufrufens Commitment signalisierender Schülerinnen und Schüler einerseits und der Durchsetzung von Rechenschaftspflicht durch „mobilisierendes“ Aufrufen von unaufmerksamen und störungsbereiten Schülerinnen und Schülern anderseits. Diese in unserer Studie rekonstruierte Strategie erweitert das von Kounin (1970) beschriebene Repertoire von Techniken der Gruppenaktivierung. Mobilisierendes Aufrufen unterscheidet sich übrigens deutlich von einem bloßstellenden Aufrufen.

  • Häufig konnte bei Experten ostentatives Ignorieren von Störungen mit dem Ziel der Abschirmung des primären Handlungsvektors beobachtet werden. Das entspricht dem Befund von Doyle, dass erfolgreiche Klassenmanager „ignore minor inappropriate behaviour and push on with activities” (Doyle 1984, S. 274). Entscheidend für ostentatives Ignorieren sind – so konnten wir zeigen – paraverbale und nonverbale Signale, die den Schülerinnen und Schülern verdeutlichen, dass ihr Verhalten zwar wahrgenommen wurde, aber nicht explizit adressiert werden wird.

  • Abgesehen davon, dass im Unterricht von Experten sehr viel seltener Störungen auftreten, unterscheiden sich Experten auch bei Störungsinterventionen ganz deutlich von Novizen. Grundsätzlich erfolgen Zurechtweisungen bei Experten sparsam und knapp. Fehlverhalten wird von Experten nie zum Anlass einer grundlegenden Auseinandersetzung vor Publikum genommen. Ihre Zurechtweisungen haben den Charakter regelbezogener korrektiver Interventionen, die nie affektgesteuert erscheinen.

  • Auffällig ist auch das bei Experten beobachtete zügige Abwenden von dem bzw. der störenden Schüler/in nach erfolgter Zurechtweisung. Mit diesem Verhalten vermeiden Experten nicht nur, sich in Debatten über die Richtigkeit der Ursachenzuschreibung oder die Rechtmäßigkeit der Zurechtweisung involvieren zu lassen, sie geben dem Schüler bzw. der Schülerin auch Zeit, das eigene Verhalten zu überdenken und selbst zu regulieren. Unsere Befunde zu Zurechtweisungen sprechen im Gegensatz zu den Schlussfolgerungen von Kounin (1970) dafür, dass die Art der Zurechtweisung durchaus einen wichtigen Stellenwert für ein flüssiges Klassenmanagement hat.

Die vorausgehende sukzessive Diskussion einzelner Aspekte erfolgreichen Klassenmanagements lässt allerdings den wesentlichen Aspekt der Expertenkompetenz, der in einer sequenzanalytischen Untersuchung ganz offensichtlich wird, nicht ausreichend hervortreten: Die beschriebenen Maßnahmen kommen oft gleichzeitig oder in hoher zeitlicher Verdichtung zum Einsatz: Sie werden von Experten virtuos orchestriert (vgl. zur Orchestrierung: Arlin 1979; Doyle 2006; Baumert und Kunter 2006). Overlapping, die gleichzeitige Bewältigung differenter Anforderungen (Kounin 1970), erscheint als Kernmerkmal der Expertenkompetenz. Im Mittelpunkt der Aktivitäten der Experten steht die Sicherung des Interaktionsflusses. Die Steuerung der Interaktion, inklusive der – seltenen – Zurechtweisungen, geschieht auf der Basis eines offensichtlich stabilen Arbeitsbündnisses, das durch Signale gegenseitiger Wertschätzung immer wieder bestätigt wird. Neben dem kontinuierlichen Gruppenfokus fällt ein Zeitmanagement auf, das Maßnahmen zur Entschleunigung und Maßnahmen zur Beschleunigung des Unterrichtsprozesses den Anforderungen der jeweiligen Phase (Beenden oder Etablieren), dem Arbeitsstand sowie der Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler entsprechend geschickt kombiniert. Maßgeblich für die Steuerungsaktivitäten der Lehrperson scheint ein stetiger Abgleich ihres Handlungsprogramms mit der aktuellen Situation im Klassenzimmer zu sein. Im Unterschied dazu konzentrieren sich Novizen auf einzelne Anforderungen; teilweise lassen sie sich durch Nachfragen einzelner Schülerinnen und Schüler oder Störungen absorbieren. Sie scheinen ihre Agenda in solchen Situationen zu vergessen und haben große Mühe, nach Unterbrechungen wieder an ihr geplantes Handlungsprogramm anzuschließen.

Was die Grenzen der Reichweite der in diesem Beitrag vorgestellten Studie betrifft, sind neben der Frage der Generalisierbarkeit der Befunde, die auf der Untersuchung einer schulform- und schulfachspezifisch selegierten Stichprobe beruhen, folgende Aspekte zu diskutieren.

Die Untersuchung beschränkte sich auf die Analyse einer einzelnen Aktivitätsstruktur. Zwar haben Übergänge für das Klassenmanagement einen zentralen Stellenwert (Arlin 1979), gleichwohl decken sie nur ein bestimmtes Anforderungsspektrum ab. Wie Experten andere Aktivitätsstrukturen steuern, die im Unterschied zum Übergang eine stärker stoffliche Ausrichtung haben, soll in Anschlussstudien untersucht werden.

Auch die Rekonstruktion erfolgreichen Klassenmanagements unter funktionalen Vorzeichen stellt eine Einschränkung der Perspektive dar. Zwar ermöglicht der Ansatz von Walter Doyle eine systematische sequenzanalytische Untersuchung der zur Beendigung, Etablierung und Stabilisierung von Handlungsvektoren eingesetzten Maßnahmen – von individuellen pädagogischen Zielen der Lehrkraft, die unter Umständen Umwege oder das Inkaufnehmen von Störungen erklären, wird aber vollkommen abstrahiert.

Eine weitere Grenze der hier vorgelegten Studie besteht in der Beschränkung der Analysen auf die Performanz von Lehrkräften. Zwar legen die Ergebnisse den Schluss auf spezifische kognitive Grundlagen nahe; welches Wissen und welche Beliefs das Handeln von Experten und Novizen tatsächlich leiten, kann aber im Rahmen der Videoanalyse nicht beantwortet werden.

Trotz dieser methodischen Beschränkungen zeigt die hier präsentierte Studie das Ertragspotenzial des Experten-Novizen-Designs für die Unterrichtsforschung. Dieses Design ermöglicht nicht nur die Rekonstruktion der Orchestrierung einzelner Maßnahmen und Techniken des Klassenmanagements, sondern auch die Identifikation funktionaler und dysfunktionaler Interventionen. Auf der Basis der differenzierten Beschreibung von Expertenkompetenz im Klassenmanagement lassen sich Trainingsprogramme für Lehrkräfte entwickeln, die nicht auf eine isolierte Vermittlung von Einzelmaßnahmen setzen, sondern im Sinne eines „comprehensive approach to classroom management“ (Jones 2006, S. 893) auf die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung von Kompetenzen der Situationsdiagnose und auf die praktische Erprobung von kohärenten Gesamtstrategien (Ophardt und Thiel, im Druck).