Die Professionalisierung von Hochschullehrenden ist nach wie vor ein wichtiger Aspekt der Qualitätssicherung in der Lehre. Initiativen zur Verbesserung universitärer Lernarrangements streben oft an, das gängige „learning by doing“ beim Lehreinstieg systematisch zu begleiten und den Erwerb von Lehrkompetenzen zu fördern. Dennoch existieren wenige Studien, die hochschuldidaktische Trainingseffekte systematisch untersuchen. Hier fehlt es an Mixed-Method-Designs, die Vortestdaten berücksichtigen und zielgruppenspezifische Trainings (z. B. für Lehranfänger) untersuchen (vgl. Stes et al.2010a). Der vorliegende Beitrag betrachtet daher professionelles Lernen sowie Entwicklungen von Lehranfängern in Rahmen eines videobasierten Trainings. Dabei wird die Relation zwischen Vorstellungen und eigenem Lehrhandeln sowie die Entwicklung von professioneller Selbstwahrnehmung fokussiert. Abschließend wird untersucht, ob Lehrpersonen abstrakte pädagogische Konzepte auf ihre eigene Lehrsituation übertragen können und wie sie über ihre Lehrendenrolle reflektieren. Vor diesem Hintergrund kann die Studie Hinweise darauf geben, inwieweit ein Training den Erwerb handlungsrelevanter Lehrkompetenzen fördern kann.

1 Dimensionen professionellen Lernens von Lehrpersonen

Das Wissen und die Fähigkeiten, die Lehrende für effektives Lehren benötigen, sind vielfältig. In der Regel wird solches Wissen im Rahmen von professionellem Lernen erworben, welches die Summe aller Lernaktivitäten umfasst, durch die Lehrpersonen lehrrelevante Fähigkeiten erlangen. Professionelles Lernen wird im vorliegenden Beitrag aus der Perspektive von begleiteten Lernprozessen während eines hochschuldidaktischen Trainings betrachtet. Es werden vier Dimensionen professionellen Lernens abgegrenzt, welche sich als relevant herauskristallisiert haben (Feiman-Nemser2008). Diese umfassen den Erwerb von Handlungsroutinen, lehrbezogenen Vorstellungen, lehrbezogenem Wissen sowie einer lehrbezogenen Identität. Da Lehrhandeln eine Integration von Vorstellungen, Überzeugungen und Wissen voraussetzt (Desimone2009; Feiman-Nemser2008), sind die Dimensionen stark miteinander verwoben und nach konkreten, kontextbezogenen Aspekten organisiert (Darling-Hammond und Bransford2005; Hiebert et al.2002). Für lehrbezogene Überzeugungen ist von Belang, dass sie kohärent in das Lehrhandeln umgesetzt werden. Kohärentes Lehrhandeln stellt gerade für Lehranfänger mit ihren teilweise naiven, übergeneralisierten Vorstellungen von Lehren und Lernen einen wichtigen Schritt in ihrer professionellen Entwicklung dar (Johannes und Seidel2010). Selbst intensives pädagogisches Training für Lehranfänger zeigt oft nicht die gewünschten Veränderungen des Lehrhandelns oder des studentischen Lernverhaltens (Stes2008). Im vorliegenden Beitrag werden daher Vorstellungen über das eigene Lehrhandeln, die Anwendung pädagogischen Wissens sowie die lehrbezogene Identität als zentrale Bedingungen für kohärentes Lehrhandeln untersucht.

2 Vorstellungen in Relation zum eigenen Handeln

Die erste Herausforderung für Lehranfänger besteht darin, ihre anfänglich naiven Vorstellungen hin zu differenzierten und spezifischen Konzepten zu entwickeln (Hammerness et al.2002). Ein handlungsorientiertes Maß für lehrbezogene Vorstellungen sind Lehransätze, welche kontext- und situationsspezifische (Lindblom-Ylänne et al.2006) Strategien und Intentionen von Lehrenden (Braun und Hannover2008; Trigwell und Prosser2004) umfassen. Lehransätze sind von Idealvorstellungen über Lehre geprägt (Kember1997). Man unterscheidet in der Regel zwischen Studierendenfokussierung und Lehrendenfokussierung. Lehrendenfokussiertes Lehren verfolgt primär das Ziel, Inhalte zu vermitteln. Lernen wird dementsprechend als Aufnahme und Erwerb neuer Informationen verstanden. Studierendenfokussiertes Lehren konzentriert sich dagegen auf die Lernprozesse der Studierenden und verfolgt das Ziel, komplexe Konzeptänderungen zu ermöglichen. Diese Vorstellungen über Lehre müssen jedoch nicht notwendigerweise mit dem konkreten Handeln übereinstimmen (Seidel et al.2008). Insbesondere Lehranfänger haben häufig Probleme, ihre eigenen Vorstellungen praktisch umzusetzen (McLean und Bullard2000). Zudem werden Lehrende durch Studierende und Experten lehrendenfokussierter und weniger studierendenfokussiert wahrgenommen als sie in Selbstberichten angeben (Johannes et al.2011a). Lehrtrainings sollten daher die Kohärenz zwischen den Vorstellungen und dem Handeln fördern. Dies kann z. B. über Reflexionen von Vorstellungen erfolgen, die mit konkretem Handeln in Bezug gesetzt werden.

Die Messung von Lehrhandeln erfolgt oft durch Lehrendenbefragungen (Braun und Hannover2008; Coffey und Gibbs2002). Die selbstberichtete Dominanz von lehrendenorientierten Lehrformen deckt sich dabei mit Befunden aus systematischer Videobeobachtung (Seidel und Hoppert2011), muss jedoch nicht notwendigerweise das tatsächlichen Handeln abbilden (Kane et al.2002). Die Verknüpfung zwischen selbstberichteten Lehransätzen und systematischer Videoanalyse kann Aufschluss darüber geben, inwieweit lehrbezogene Vorstellungen von Lehranfängern tatsächlich mit dem beobachtbaren Handeln übereinstimmen.

Vor dem Hintergrund positiver Zusammenhänge zwischen Studierendenfokussierung und studentischem Lernen (Trigwell et al.1999) wird oft eine Förderung von Studierendenfokussierung angestrebt. Diese Entwicklung zeigt sich allerdings erst bei mehrjährigem Training und entsprechend hoher Trainingszeit (Postareff et al.2008a). Kürzere Trainings können dagegen kurzzeitig auch zu einer höheren Lehrendenfokussierung bei gleichzeitig hoher Studierendenfokussierung führen (Postareff et al.2008b). Einerseits zeigt diese inkompatible Ausprägung von Lehransätzen ein möglicherweise dysfunktionales Lehrprofil auf. Andererseits können solche Veränderungen eine längerfristige Entwicklung zu Studierendenfokussierung andeuten, je nachdem, wie Lehrende ihre lehrbezogene Selbstwirksamkeitserwartung wahrnehmen. Im Zusammenhang mit einer steigenden bzw. hohen lehrbezogenen Selbstwirksamkeitserwartung können inkompatible Lehransätze auf ein sich entwickelndes Lehrprofil hindeuten (Postareff et al.2008b). Dies zeigt sich, indem sich die Lehrperson durch eine höhere Selbstwirksamkeit und positive Emotionen langfristig von bisher praktizierten lehrendenfokussierten Strategien trennt und sich stärker an neu erworbenen studierendenfokussierten Strategien orientiert.

3 Anwendung pädagogischen Wissens

Neben den Vorstellungen von Lehrpersonen ist lehrbezogenes Wissen ein zweiter wichtiger Aspekt für kohärentes Lehrhandeln. Professionelles lehrbezogenes Wissen differenziert sich in Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und pädagogisches Wissen (Baumert und Kunter2006; Shulman1986). Anfänger in der Hochschullehre verfügen i. d. R. über eine gute fachliche Wissensbasis, welche eine Grundlage für fachdidaktisches Wissen bieten kann (Baumert und Kunter2006). Durch den „Learning by doing“-Ansatz sind aber wenig systematische pädagogische Wissensbestände vorhanden, die Lehrende auf ihre Lehrsituation anwenden können. Ein Training sollte daher auf den situierten Erwerb und die Anwendung pädagogischen Wissens zielen, bei dem Videoaufzeichnungen eine wichtige Rolle spielen können (Johannes et al.in press; Sherin und van Es2009). Professionelle Unterrichtwahrnehmung in videografierten Lehrsituationen umfasst die Fähigkeit, Lehr-Lern-Interaktionen vor dem Hintergrund lehrbezogenen Wissens reflektieren zu können (Sherin2007). Sherin (2007) unterscheidet einen selektiven Aufmerksamkeitsprozess (noticing) von wissensbasiertem Reflektieren (knowlege-based reasoning) von Beobachtungen.Noticing beschreibt, was eine Lehrperson wahrnimmt.Knowledge-based reasoning kann auf den Ebenen des wissensbasierten Beschreibens, Erklärens oder Integrierens stattfinden (van Es und Sherin2008). Durch Videoreflexionen werden Lehrende differenzierter in ihren Beschreibungen und beginnen, Beobachtungen zielgerichtet auf der Basis ihres Wissens zu erklären. Darüber hinaus sind sie in der Lage, spezifische Konsequenzen für Lehren und Lernen abzuleiten (Sherin und van Es2009; van Es und Sherin2008).

Professionelle Unterrichtswahrnehmung auf der Basis von pädagogischem Wissen ist eine fachübergreifende Fähigkeit (Blomberg et al.2011). Im untersuchten Training werden Lehrsituationen in bezug auf Methodeneinsatz, Zielorientierung und prozessorientierte Lernbegleitung reflektiert, die auf konkrete Lehrsituationen angewendet werden. Die Konzepte entstammen zu gleichen Teilen der Hochschul- und Unterrichtsforschung und eignen sich in adaptierter Form für den Hochschulkontext, da sie positive Zusammenhänge mit studentischem Lernen zeigen (Johannes et al. 2011). Variantenreiche didaktische Methoden fördern das Konzentrationsvermögen und den Lernzuwachs der Studierenden (Young et al.2009). Ebenso sind die Orientierung an den Lehrveranstaltungszielen und eine prozessorientierte Lernbegleitung wichtige Bedingungen für den Lernerfolg (Seidel et al.2006). In videobasierten Gruppen- und Einzelreflexionen wird für den Methodeneinsatz reflektiert, welche didaktischen Methoden zum Einsatz kommen und wie sich die Methodenwahl auf beobachtbare Aspekte von Motivation und Aufmerksamkeit der Studierenden auswirkt. Für Sequenzen aus Lehrveranstaltungseinstieg, Zusammenfassung, Aufgabeneinführung und Lehrveranstaltungsabschluss wird reflektiert, wie die Lehrveranstaltungsziele geklärt werden, welche Zeitperspektive sie haben und ob den Studierenden die Anforderungen klar sind. Prozessorientierte Lernbegleitung wird für Plenumsrunden und Gruppenarbeitsbegleitung thematisiert und betrachtet Fragetypen sowie lernunterstützende Maßnahmen in der Studierendenbegleitung. Bei der gemeinsamen Reflexion der drei Kriterien wird besonders darauf geachtet, dass Teilnehmer von einer Beschreibung der Situation ausgehen, auf deren Basis sie die Beobachtungen erklären und Integrationen (d. h. Konsequenzen für Lehren und Lernen) ableiten. Der Wahrnehmungsfokus für die eigene Unterrichtssituation nach dem Training, d. h. die professionelle Selbstwahrnehmung, stellt einen wichtigen Indikator für die Anwendung des pädagogischen Wissens dar. Darüber hinaus zeigt die Differenziertheit in Form von Beschreiben, Erklären und Integrieren an, inwieweit Lehranfänger in der Lage sind, ihre eigene Lehrsituation wissensbasiert zu reflektieren.

4 Entwicklung einer lehrbezogenen Identität

Zusätzlich zu Vorstellungen in bezug auf die Lehrgestaltung und der professionellen Selbstwahrnehmung wird die lehrbezogene Identität von Lehranfängern betrachtet. Die Entwicklung einer Lehridentität ist ein kontinuierlicher, aktiver, durch eine Interaktion zwischen Person und Kontext charakterisierter Prozess, der mit einer kohärenten oder inkohärenten Sub-Identitätsbildung einhergeht (Beijaard et al.2004) und durch Biografie, Kontextvariablen und Vorerfahrung geprägt wird (Flores und Day2006). Die Entwicklung einer professionellen Lehridentität beinhaltet, dass Lehranfänger in der Lage sind, Diskrepanzen zwischen Lehr-Ansprüchen und eigenen Lehrhandeln zu reflektieren und zu überwinden (Feiman-Nemser2008). Das Wissen über erfolgreiche Lehrgestaltung wird dabei auf die eigene Lehrsituation übertragen und konkrete Handlungsschritte abgeleitet (McAlpine et al.2006). Zudem umfasst Professionalisierung, dass die Lehridentität einen Realitätsbezug aufweist (Hong2010). Das bedeutet auch, dass sich Lehrende der Diskrepanzen zwischen Vorstellungen und Handeln bewusst sind und Konsequenzen der eigenen Rollenvorstellung für den studentischen Lernprozess ableiten. Durch die Diskrepanzwahrnehmung werden Lehranfänger dazu angeregt, ein realitätsbezogenes Bild der eigenen Rolle zu gewinnen, die sie im Lernprozess einnehmen und sich vorstellungskohärent entwickeln.

5 Forschungsfragen

Im Beitrag wird der Lernprozess von Lehranfängern der Hochschullehre betrachtet und der Erwerb von handlungsrelevanten Lehrkompetenzen untersucht. Mit Blick auf handlungsbezogene Vorstellungen, der Anwendung pädagogischen Wissens auf Lehrsituationen sowie der Entwicklung einer Lehridentität fokussieren wir drei Forschungsfragen:

  1. 1.

    Welche Relation besteht zwischen dem Lehrhandeln von Lehranfängern und ihren lehrbezogenen Vorstellungen? Wie verändern sich lehrbezogene Vorstellungen und Selbstwirksamkeitserwartung von trainierten Lehrpersonen im Verlauf des einjährigen Trainings?

  2. 2.

    Welche selektive Wahrnehmungsfähigkeit haben trainierte Lehranfänger in Hinblick auf ihre eigene videografierte Lehrveranstaltungssitzung? Wie differenziert können Lehranfänger ihre eigene Lehrsituation wissensbasiert reflektieren?

  3. 3.

    Inwieweit können trainierte Lehrende ihr Wissen über lernorientierte Lehrgestaltung handlungsbezogen auf ihre Lehrsituation anwenden? Inwieweit thematisieren trainierte Lehrende Diskrepanzen zwischen ihren Rollenvorstellungen und ihrem Handeln, wenn sie ihre eigene Rolle reflektieren?

6 Methode

6.1 Stichprobe

Die Stichprobe umfassteN = 14 Promovierende (7 Männer,M = 27,93 Jahre,SD = 2,09) der Friedrich-Schiller-Universität Jena, die das Training „Lehrqualifikation Basic“ bis zum Ende des Sommersemesters 2011 erfolgreich absolvierten (Tab. 1). Die Teilnehmer verfügten im Mittel über 1,64 Semester Lehrerfahrung (SD = 1,45) und stellen damit Lehranfänger dar.

Tab. 1 Stichprobenzusammensetzung: Beschäftigungsverhältnis und Wissenschaftsrichtung

Alle 14 Teilnehmer absolvierten das Training „Lehrqualifikation Basic“ vollständig. Auch nach umfassenden Nachfassaktionen bearbeiteten nicht alle Teilnehmer die Instrumente, für drei Teilnehmer musste aus organisatorischen Gründen (Universitätswechsel der Forschergruppe) auf eine Videoanalyse verzichtet werden. Von elf Teilnehmenden liegen Daten zur durchgeführten Lehrveranstaltung vor, die für neun Teilnehmer mit Selbstauskünften zur Lehrveranstaltung verknüpft werden konnten. Die Lehrenden betreuten Seminare (n = 7) und Übungen (n = 4) mit durchschnittlich 25,36 Studierenden (SD = 18,09).

6.2 Trainingsprogramm

Im Beitrag wird das Training „Lehrqualifikation Basic“ untersucht (vgl. Abb. 1), welches Lehranfänger über einen Zeitraum von zwei Semestern (30 Weiterbildungsstunden) beim Lehreinstieg begleitet (Johannes und Seidel2010). Das Programm umfasst drei Komponenten. Die erste Komponente ist eine workshopbasierte Erweiterung des Methodenrepertoires. Zweitens wurden alle Lehranfänger in einer Sitzung ihrer Lehrveranstaltung videografiert und erhielten dazu ein einstündiges individuelles Feedback. Aus den Videoaufzeichnungen des Semesters wurden für die dritte Komponente Videosequenzen ausgewählt, die in jeweils eintägigen Gruppenreflexionen analysiert wurden. Die Reflexionen wurden zum Trainingsbeginn in einer halbtägigen Einführungsveranstaltung mit Fremdmaterial vorbereitet.

Abb. 1
figure 1

Übersicht der Messzeitpunkte

6.3 Design

Alle Messungen fanden innerhalb des Trainings „Lehrqualifikation Basic“ statt (s. Abb. 1). Die Aufzeichnung der ausgewerteten Lehrveranstaltungssitzungen (MZP 2a und 2b) erfolgte durch zwei geschulte Personen nach standardisierten Richtlinien. Unmittelbar nach Veranstaltungsende schätzten die Teilnehmer ihren eigenen Lehransatz mithilfe eines Fragebogens bezogen auf die aufgezeichnete Veranstaltung (kontextualisiert) ein.

Die lehrbezogene Selbstwirksamkeitserwartung und der Lehransatz (hier in allgemeiner, planungsbezogener Itemformulierung) wurden zu Beginn und zum Ende des Trainings (MZP 1 und 4) mittels Fragebogen erfasst. Die allgemeine Messung des Lehransatzes (MZP 1) unterschied sich nicht signifikant von der kontextualisierten Erfassung (MZP 2a und 2b, Studierendenfokussierung:t(11) = 0,47,p = 0,651; Lehrendenfokussierung:t(11) = 0,77,p = 0,458).

Eine weitere Messung erfolgte nach der Einzelrückmeldung zu den Videoaufzeichnungen (MZP 3a und 3b). Nach dem Feedbackgespräch erhielten die Teilnehmer eine ca. zweiseitige Kurzrückmeldung und einen Einzelreflexionsbogen, den sie innerhalb einer Woche postalisch an das Projektteam zurücksendeten.

6.4 Instrumente

Videoanalysen.

Für die Beschreibung des Lehrhandelns wurde auf Videoanalysen von Seidel und Hoppert (2011) zurückgegriffen. Die Autorinnen entwickelten ein Kodiersystem zur Erfassung von Lehrmethoden unter Nutzung der Software Videograph (Rimmele2009). Die unabhängige Doppelkodierung erbrachte zufriedenstellende Beobachterübereinstimmungen (k ³ 0,84, prozentuale Übereinstimmung ³ 89 %). Für die vorliegende Fragestellung wird auf die Kodierung von Sprechanteilen, didaktischen Phasen und Arbeitsformen zurückgegriffen. In Anlehnung an Seidel und Hoppert (2011) sind ein hoher Sprechanteil der Lehrperson, ein Schwerpunkt auf der didaktischen Phase der Wissensvermittlung und lehrendenzentrierte Arbeitsformen (Plenumsarbeit, Referate) Indikatoren für eine Lehrendenfokussierung. Ein hoher Sprechanteil von Studierenden, ein Schwerpunkt auf der didaktischen Phase der Elaboration sowie studierendenzentrierte Arbeitsformen (Gruppenarbeit, Stationsarbeit oder mehrere Arbeitsformen gleichzeitig) dienten als Indikatoren für Studierendenfokussierung.

Lehrbezogene Vorstellungen und Selbstwirksamkeitserwartung.

Die Messung der lehrbezogenen Vorstellungen (Lehransätze) erfolgte mit einer Übersetzung des revidierten Approaches to Teaching Inventory (ATI-R, Trigwell et al.2005). Für die drei ATI-Messungen (Beispielitems s. Tab. 2) bezogen sich die Lehrpersonen auf den gleichen Lehrkontext. Neben der allgemeinen Messung des ATI-R wurde die lehrbezogene Selbstwirksamkeitserwartung im Prä-Post-Design erhoben. Alle internen Konsistenzen der verwendeten Skalen entsprechen im Wesentlichen den Kennwerten einer umfassenderen Stichprobe (Johannes et al.2011b).

Tab. 2 Verwendete Messinstrumente, Beispielitems und Skalenstatistiken

Videobasierte Einzelreflexion.

Für die videobasierte Einzelreflexion beantworteten die Lehrenden sieben offene Fragen in Satzform, welche inhaltsanalytisch ausgewertet wurden (Mayring2000). Alle gebildeten Kategorien wurden an Pilotierungsmaterial (184 Segmente) in einem zyklischen Prozess mit zwei Kodierern vorgetestet. Nach positiver Konkordanzprüfung kodierten zwei trainierte Personen das Untersuchungsmaterial unabhängig voneinander. Im Untersuchungsmaterial identifizierten zwei unabhängige Personen insgesamt 350 Segmente (97,79 % Übereinstimmung der Segmente). Eine segmentierte Sinneinheit war meist ein Satz, welche einer teilweise mehrstufigen disjunkten Kodierung unterzogen wurde.

Der erste Themenkomplex umfasste drei Fragen zur videobasierten Beschreibung, Erklärung und Integration der Videobeobachtungen und wurde zuerst nach der Reflexionsperspektive kodiert. Die Reflexionsperspektive gibt an, ob ein Segment die Lehrperson, die Studierenden oder das Setting thematisierte (k = 0,85). Für die Segmente der Reflexionsperspektive Lehrperson wurde zudem der Reflexionsfokus (k = 0,73) bestimmt, der angab, ob der Segmentinhalt Oberflächenmerkmale (z. B. Mimik, Gestik oder Sprechweise), Methodeneinsatz, Zielorientierung oder Lernbegleitung einbezog.

Zudem wurde die Reflexionsebene (k = 0,61) untersucht, welche in Anlehnung an die Frageformulierung die Aspekte Beschreiben, Erklären und Integrieren enthielt. Eine ergänzende Kategorie „Bewerten“ wurde vergeben, wenn eine Lehrperson eine eher spontane, globale positive oder negative Wertung der Situation vornahm, ohne dass diese erklärt oder eingeordnet wurde.

Der zweite Themenkomplex umfasste zwei handlungsbasierte Fragen, welche sich darauf bezogen, was die Lehrpersonen wieder durchführen bzw. ändern würden. Die Segmente wurden in Bezug auf den Reflexionsfokus (k = 0,69) kodiert. Zudem wurden die geplanten Veränderungen auf ihr Abstraktionsniveau (k = 0,68) untersucht. Dabei grenzen sich konkrete Handlungen von allgemeineren Fähigkeiten bzw. Haltungen, die eine Lehrperson anstrebt, ab.

Der Schwerpunkt im dritten Themenkomplexes (zwei Fragen) lag auf dem Rollenbild sowie allgemeinen Aussagen und wurden im Hinblick auf das genannte Thema (k = 0,75) kodiert.

6.5 Datenanalyse

Für die erste Forschungsfrage wurden die videobasierten Kodierungen für jede Lehrperson in Form von relativen Anteilen an der Lehreinheit aggregiert und mit dem selbstberichteten Lehransatz korreliert. Um die Entwicklungen von Lehrendenfokussierung, Studierendenfokussierung und lehrbezogener Selbstwirksamkeitserwartung für die zweite Teilfrage abzubilden, wurden t-Tests für abhängige Stichproben durchgeführt. Für die zweite und dritte Forschungsfrage erfolgte die Zusammenfassung der Kodierungen in Form von relativen Nennungsanteilen (mit Bezug auf die individuelle Segmentanzahl je Frage) und ein Vergleich mit mehrfaktoriellen messwiederholten Varianzanalysen. Ausnahme stellen die Angaben zur eigenen Rolle dar, welche in Form von Nennungshäufigkeiten deskriptiv ausgewertet wurden. Allgemein sind Varianzanalysen relativ robust gegenüber der Verletzung der Normalverteilungsannahme, welche bei geringer Stichprobengröße zu erwarten ist. Für messwiederholte Varianzanalysen wurde zudem die Greenhouse-Geisser-Anpassung als konservative Korrektur für Kovarianzinhomogenität (Bühner und Ziegler2009) vorgenommen. Alle Testverfahren berücksichtigen ein Signifikanzniveau von 5 %. Da es sich um eine explorative Studie handelt, werden Tendenzen unterhalb einer Signifikanzgrenze von 10 % ebenfalls aufgegriffen.

7 Ergebnisse

7.1 Handlungsbezogene Vorstellungen

Lehrhandeln in Relation zu lehrbezogenen Vorstellungen.

Für die erste Frage wurde untersucht, welche Schwerpunkte das videoanalytisch beobachtbare Lehrhandeln von Lehranfängern in Hinblick auf aktive Beteiligung, der didaktischen Phase sowie der Arbeitsform aufweist. Tabelle 3 zeigt, dass sich das Lehrhandeln der Lehranfänger durch lehrendenzentrierte Merkmale charakterisieren lässt. Dies umfasst einen hohen Sprechanteil der Lehrperson und eine Wissensvermittlung in knapp zwei Dritteln der Lehrveranstaltungszeit. Durch den überwiegenden Sprechanteil der Lehrperson ist davon auszugehen, dass sich die Plenumsarbeit bzw. Referate als lehrendenzentrierte Arbeitsformen zumindest zu einem großen Teil als klassischer Dozentenvortrag beschreiben lassen. Die Befunde machen deutlich, dass sich das Lehrhandeln von Lehranfängern durch eine hohe Lehrendenfokussierung charakterisieren lässt.

Tab. 3 Merkmale für lehrendenfokussiertes und studierendenfokussiertes Lehrhandeln in Relation zum selbstberichteten Lehransatz

Um zu prüfen, inwieweit das beobachtbare Lehrhandeln mit den handlungsbezogenen Vorstellungen zusammenhängt, wurden die videoanalytischen Beschreibungsmerkmale mit Selbstberichten für den Lehransatz korreliert (Tab. 3). Die Lehrenden schätzten sich im Mittel studierendenfokussierter (M = 4,53,SD = 0,61) als lehrendenfokussiert ein (M = 3,41,SD = 0,86;t(8) = 2,35,p = 0,047,d = 1,50). Für Lehrendenfokussierung zeigten sich keine systematischen Zusammenhänge zwischen Selbstbericht und beobachtbarem Lehrhandeln. Kontrastierend hing eine höhere Studierendenfokussierung mit weniger aktiver Beteiligung der Lehrperson sowie mit tendenziell mehr aktiver Studierendenbeteiligung zusammen. Analog dazu wiesen die Lehrveranstaltungen von Lehrpersonen, die sich studierendenfokussierter einschätzten, tendenziell weniger Anteile an Wissensvermittlung und mehr Elaborationsanteile auf. Darüber hinaus hing eine höhere selbstberichtete Studierendenfokussierung mit tendenziell weniger lehrendenzentrierten Arbeitsformen zusammen.

Entwicklungen von lehrbezogenen Vorstellungen und Selbstwirksamkeitserwartungen.

Die lehrbezogenen Vorstellungen wurden im Trainingsverlauf und in Kombination mit den lehrbezogenen Selbstwirksamkeitserwartungen betrachtet. Tabelle 4 zeigt, dass sich die Lehranfänger nach dem Training lehrendenfokussierter einschätzten als zum Trainingsbeginn. Im Gegensatz dazu blieben die Werte für Studierendenfokussierung konstant hoch. Der Anstieg der lehrbezogenen Selbstwirksamkeitserwartung weist darauf, dass die Lehranfänger sicherer in Bezug auf ihre Lehrkompetenzen werden. Das Niveau der lehrbezogenen Selbstwirksamkeitserwartung nach dem Training war im mittleren Bereich.

Tab. 4 Entwicklung von Lehransätzen und lehrbezogener Selbstwirksamkeitserwartung im Qualifikationsprogramm

7.2 Professionelle Selbstwahrnehmung

Selektive Wahrnehmungsfähigkeit.

Die Analyse der Reflexionsperspektive für die Videobeobachtungen ergab, dass die KategorienLehrperson (M = 0,68,SD = 0,22),Studierende (M = 0,14,SD = 0,14) undSetting (M = 06,SD = 0,09) unterschiedlich häufig vertreten waren (F(1,15, 11,57) = 33,84,p = 0,000,h 2 = 0,772). Einfache Kontraste mit Bezug auf die PerspektiveLehrperson zeigten ein deutliches Gewicht auf der Lehrperson im Vergleich zu Beobachtungen der Studierenden (F(1, 11) = 26,01,p = 0,000,h 2 = 0,722), aber auch zu Merkmalen des Settings (F(1, 11) = 51,41,p = 0,000,h 2 = 0,837).

Der Reflexionsfokus für Segmente aus der PerspektiveLehrperson (Tab. 5) ergab keine unterschiedliche Gewichtungen im ersten Fragekomplex (F(1,67, 16,69) = 1,59,p = 0,215,h 2 = 0,136). Das bedeutet, dass Lehrende vergleichbar häufig Oberflächenmerkmale und lernwirksame Merkmale der Lehrgestaltung wie Methodeneinsatz, Zielorientierung und Lernbegleitung nannten. Kontrastierend zu den Beobachtungsfragen zeigten sich im zweiten Fragekomplex signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen thematischen Aspekten (F(2,17, 23,83) = 6,77,p = 0,004,h 2 = 0,381). Einfache Kontraste mit Bezug auf Oberflächenmerkmale belegen, dass die Lehrenden häufiger Methodeneinsatz (F(1, 11) = 21,29,p = 0,001,h 2 = 0,659) und Lernbegleitung (F(1, 11) = 4,89,p = 0,049,h 2 = 0,308) fokussierten.

Tab. 5 Thematische Kodierungen für Videobeobachtungen und Handlungsbezüge (absolute Häufigkeiten)

Differenziertheit der Reflexionen.

Für die Beobachtungsfragen wurde zudem die Reflexionebene untersucht (Tab. 6). Eine 4 ´ 3 Varianzanalyse mit den messwiederholten FaktorenReflexionsebene (Bewerten, Beschreiben, Erklären, Integrieren) undFrage zeigte einen signifikanten Effekt der Reflexionsebene (F(1,54, 13,85) = 14,32,p = 0,001,h 2 = 0,614) aber keinen Effekt der Frage (F(1,21, 10,85 = 0,50,p = 0,530,h 2 = 0,052). Der Haupteffekt der Reflexionsebene wird durch eine Interaktion der beiden Faktoren moduliert (F(2,98, 26,79) = 6,15,p = 0,003,h 2 = 0,406). Bonferroni-korrigierte Vergleiche mit Bezug auf die jeweils angeregte Reflexionsebene zeigen, dass sich in der Beschreibungsfrage tendenziell mehr Beschreibungen als in der Erklärungs- und (t(9) = 3,26,p = 0,010,d = 1,63) Integrationsfrage (t(9) = 3,53,p = 0,006,d = 1,71) identifizieren ließen. Auch für die Erklärungen ist das Muster konsistent zu einer instruktionsgemäßen Beantwortung: Die Angaben zur Erklärungsfrage enthielten mehr Erklärungen als die der Beschreibungsfrage (t(9) = 3,29,p = 0,009,d = 1,49). Dafür sind Erklärungen nicht signifikant weniger in den Integrationsfragen vertreten (t(9) = 2,55,p = 0,031,d = 1,09). Die wenigen vorhandenen Integrationen wurden für Integrationsfrage angegeben.

Tab. 6 Reflexionsebenen der Aussagen für den ersten Fragekomplex, absolute Häufigkeiten

8 Lehrbezogene Identität

8.1 Übertragung auf die Lehrsituation

Für die dritte Forschungsfrage wurde der zweite Fragekomplex der Videoreflexion auf Handlungsbezüge untersucht. Es zeigte sich, dass die Lehrenden mehr Angaben zu Handlungsänderungen als zu wiederholbaren Handlungen machten (F(1,11) = 17,23,p = 0,002,h 2 = 0,610). Die Segmente wiesen häufiger einen direkten Handlungsbezug auf (Frage 4:M = 0,22,SD = 0,11; Frage 5:M = 0,51,SD = 0,19), als dass sie Nennungen von Fähigkeiten oder Haltungen waren (Frage 4:M = 0,06,SD = 0,09; Frage 5:M = 0,15;SD = 0,14;F(1,11) = 45,74,p = 0,000,h 2 = 0,806). Eine Interaktion zwischen der Frage und der Ausprägung der Handlungsbezüge zeigte an, dass das Übergewicht an Handlungen tendenziell größer für die Handlungsänderungen ist (F(1,11) = 3,41,p = 0,092,h 2 = 0,236).

8.2 Erkenntnisse über die eigene Rolle

Abschließend wurde die Reflexion der Erkenntnisse über die eigene Rolle (dritter Fragekomplex) analysiert (Tab. 7). Neben der eigenen Wirkung (z. B. „Frontalunterricht liegt mir, da ich immer viel zu erzählen habe, allerdings ist das nicht nur für die Studenten, sondern auch für mich selbst extrem anstrengend“) werden vor allem Aufgaben in der Lehrendenrolle thematisiert, wie z. B. Lernbegleitung, Strukturierung, Aktivierung oder Leitung. Darüber hinaus fanden sich reflexive Anteile, wobei die eigene Lerngeschichte, eine neu entdeckte Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbild sowie die Notwendigkeit zum Grenzen setzen genannt wurden (z. B. eigene Lerngeschichte: „Ich bin stark beeinflusst von meiner Lehrerfahrung im Studium, wo mich Lehrende beeindruckt haben, die eine Sitzung stark strukturiert und inhaltlichvollgepackt hatten“). Zudem wird die Balance zwischen Verantwortungsübernahme als Lehrperson (z. B. „Insgesamt hat mir die Analyse gezeigt, welche Verantwortung man als Dozent den Studierenden, sich selbst und dem Lehr-, Lernstoff gegenüber hat.) und einer geteilten Verantwortung mit den Studierenden thematisiert (z. B. „Eine sehr wichtige Erkenntnis ist, dass ich meinen Steuerungsanspruch abschwächen muss.“).

Tab. 7 Erkenntnisse über die eigene Rolle, absolute Häufigkeiten

9 Diskussion

Da sich das Lehrhandeln von Lehranfängern nach einem Training wahrscheinlich nicht unmittelbar ändert (Stes2008), betrachtet die vorliegende Studie Komponenten, die Lehranfänger für die Entwicklung lehrbezogener Handlungsroutinen benötigen. Die erste Forschungsfrage beleuchtet, wie handlungsbezogene Vorstellungen von Lehranfängern mit dem tatsächlichen Handeln zusammenhängen und wie sich diese im Trainingsverlauf verändern. In systematischen Videoanalysen hing studierenden- und lehrendenfokussiertes Handeln in einer Lehrveranstaltung kohärent mit Unterschieden in den Vorstellungen zur eigenen Studierendenfokussierung zusammen. Im Gegensatz dazu gab es keine systematischen Zusammenhänge zwischen der Vorstellung zur eigenen Lehrendenfokussierung und dem beobachteten Lehrhandeln. Diese Befunde machen deutlich, dass Lehrendenfokussierung, wie sie bisher in Form von Selbsteinschätzungen erhoben wurde, kein hinreichender Indikator für die Umsetzung lehrendenfokussierten Lehrhandelns ist. Neben messtheoretischen Grenzen der Skala Lehrendenfokussierung (Stes et al.2010b) scheinen auch konzeptuelle Unschärfen vorzuliegen (Johannes et al.2011a). Aufgrund der Tatsache, dass die vorliegende Studie nur Lehranfänger untersucht, bleibt allerdings offen, ob es sich um ein allgemeines Problem der Skala oder eine anfängerspezifische Inkohärenz zwischen Vorstellungen und Handlungen handelt. Letztendlich kann nur der Vergleich zwischen erfahrenen Lehrenden und Anfängern Aufschluss darüber geben, inwieweit die beobachtete Inkohärenz nur auf Lehranfänger zutrifft. Für die Skala Studierendenfokussierung sind soziale Erwünschtheitstendenzen nicht auszuschließen, da Lehrpersonen Studierendenfokussierung ggf. als erwünschtes Verhalten erkennen und dementsprechend antworten. Durch die Formulierung der Items im Prä- und Posttest aus der Planungsperspektive kann außerdem nicht ausgeschlossen werden, dass die Veränderung der Lehrendenfokussierung auf stärkere lehrendenfokussierte Verhaltensplanung hindeuten. Eine Einbindung eines retrospektiven Prätests, in dem Lehrende ihre Lehrendenfokussierung zum Posttestzeitpunkt retrospektiv für den Trainingsbeginn einschätzen (Hoogstraten1982; Moore und Tananis2009), könnte diese Interpretation prüfen. Ein solches Vorgehen erfordert allerdings einen weiteren Messzeitpunkt, um Selbstdarstellungstendenzen zu minimieren (Nimon et al.2011) und hätte die Bearbeitungsmotivation aufgrund einer vierten Bearbeitung des ATI-R evtl. reduziert.

Alternativ können die stärkeren lehrendenfokussierten Vorstellungen nach Trainingsende und die gleichbleibend hohe Studierendenfokussierung als positiv interpretiert werden. Die Daten geben erste Hinweise auf einen Response Shift im Sinne einer Redefinition der bestehenden Selbstwahrnehmung (Aiken und West1990; Skeff et al.1992), da diese nach dem Training engeren Bezug zum tatsächlichen Lehrhandeln hat. Weil die lehrbezogene Selbstwirksamkeit und die Zuversicht der Lehranfänger gestiegen ist, deuten die Befunde möglicherweise auf ein sich entwickelndes und kohärenteres Lehrprofil (Postareff et al.2008b).

Einen weiteren Blick auf das professionelle Lernen der Lehranfänger liefern die Befunde für die zweite Fragestellung. Für die professionelle Selbstwahrnehmung wurde untersucht, inwieweit Lehrende die eigene videografierte Lehrsituation differenziert reflektieren. Die Ergebnisse zeigen, dass die Lehranfänger noch stark die eigene Person wahrnehmen, aber sich bereits deutlich vor dem Hintergrund lernrelevanter Gestaltungsmerkmale von Lehre reflektieren und weniger Oberflächenmerkmale in den Blick nehmen. Das bedeutet, dass ihr Fokus nicht auf allgemeinen, selbstbezogenen Oberflächenmerkmalen haften bleibt, obwohl sie eine hohe persönliche Relevanz haben. Die Betrachtung der Differenziertheit macht deutlich, dass die untersuchten Lehranfänger erst am Anfang dieses Wahrnehmungsprozesses sind. Eine strukturierte Anleitung zur Differenzierung befähigt die Lehranfänger zwar, Beschreiben, Erklären und Integrieren zu trennen, allerdings ist wertfreies Beschreiben nicht immer möglich. Darüber hinaus gelingt es nur in wenigen Fällen, dass situative Erklärungen in Form einer komplexeren Integration abstrahiert werden. Da situative Intentionen für die eigene Lehrsituation leichter zugänglich sind als in fremdem Videomaterial, kann die Analyse der eigenes Lehrsituation stärker selbstbezogene Schemata aktivieren und damit den Aufmerksamkeitsfokus stärker auf lernrelevante Merkmale lenken (Seidel et al.2011). Die Analyse von gruppenbasierten Reflexionen könnte zeigen, inwieweit diese Entwicklung generalisierbar ist. Befunde aus der Unterrichtsforschung (Sherin und van Es2009; van Es und Sherin2008) deuten darauf hin, dass professionelle Wahrnehmung durch entsprechende videobasierte Trainings gefördert werden kann. Das trifft insbesondere auch auf Lehranfänger zu, die nicht das eigene Material reflektieren (Blomberg2011).

Für die dritte Forschungsfrage wurde die Entwicklung der lehrbezogenen Identität betrachtet. Die Befunde deuten darauf hin, dass Lehranfänger die Diskrepanz zwischen den eigenen Vorstellungen und dem Lehrhandeln systematisch identifizieren und konkrete Handlungsalternativen ableiten können. Mit den Handlungsalternativen, die sie entwickelt haben, kann dies eine Chance für eine längerfristige Änderung des Lehrhandelns sein.

Damit geben die Befunde erste Hinweise darauf, dass das beschriebene videobasierte Training Lehranfänger beim Erwerb von handlungsrelevantem Wissen unterstützen kann. Die Ergebnisse zeigen, dass Lehrende pädagogisches Wissen in einer angeleiteten Reflexion beschreibend und erklärend auf ihre eigene Lehrsituation anwenden können. Die beginnende professionelle Selbstwahrnehmung wird durch eine handlungsbezogene, konkrete Reflexion des Lehrhandelns begleitet. Video als Weiterbildungs- und Feedbackinstrument unterstützt Lehrende im professionellen Lernen, da Handlungsmuster und ihre Auswirkungen auf den Lehr-Lernprozess sichtbar werden. Eine weitere Untersuchung der videobasierten Trainingskomponenten ist in diesem Kontext wünschenswert.

Einschränkend ist für die vorliegenden Befunde zu berücksichtigen, dass nicht alle Teilnehmer alle Messinstrumente vollständig bearbeiteten, was eine sorgfältige Replikation der Ergebnisse nahelegt. Das Trainingskonzept ließ nicht zu, dass Prätestdaten für die professionelle Selbstwahrnehmung sowie die lehrbezogene Identität erhoben und mit einer Kontrollgruppe verglichen wurden. Dazu kommt, dass für die untersuchte Stichprobengröße mindestens mittlere Effekte vorliegen müssten, damit ein Ergebnis statistische Signifikanz aufweist. Dadurch könnten kleinere Effekte unterschätzt werden. Im vorliegenden Beitrag wurde daher versucht, die Entwicklung von Lehranfängern aus einer Mixed-Method-Perspektive zu untersuchen. Für die Teilnehmer kann von einer hohen Motivation und ein Mindestmaß an Problembewusstsein ausgegangen werden. Dies kann dazu führen, dass diese Probanden evtl. leichter in der Lage waren, die Trainingsinhalte auf ihre Lehrsituation zu übertragen. Allerdings scheinen sich die Trainingsteilnehmer mit Ausnahme von motivationalen Aspekten nicht wesentlich von Lehrenden zu unterscheiden, die kein Trainingsbedürfnis angeben (Fendler et al.2011). Nichtsdestotrotz würde eine Replikation unter Hinzunahme einer Kontrollgruppe unsere Interpretationen stützen.

Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass Lehrende gute Voraussetzungen für einen Lehreinstieg mit kohärenten Vorstellungen und Handlungsweisen haben. Allerdings sind kongruente lehrbezogene Vorstellungen, lehrbezogenes Wissen sowie eine reflektierte Lehridentität kein Garant für kohärentes Lehrhandeln. McAlpine und Weston (2000) nennen Unerfahrenheit, kein Wissen über Alternativen, mangelnde Fähigkeit zur Wahrnehmung situationaler Reize, Risikoscheu und Persönlichkeitsmerkmale als mögliche Hindernisse, die das Umsetzen von Reflexionen in die Praxis einschränken. Die Befunde zeigen, dass die untersuchten Lehranfänger zumindest ein Wissen über Alternativen, eine grundlegende professionelle Selbstwahrnehmung und höhere lehrbezogene Selbstwirksamkeitserwartungen entwickelt haben. Dennoch können institutionelle und kontextuelle Barrieren die Umsetzung in Handlungen negativ beeinflussen (Mälkki und Lindblom-Ylänne2012). Für eine differenziertere Betrachtung von Handlungseffekten wäre es daher hilfreich, Lehrhandeln längsschnittlich und mit Rückgriff auf videoanalytisch dokumentiertes Lehrhandeln zu erfassen. Darüber hinaus sollte eine Follow-up-Studie untersuchen, wie sich trainierte Lehranfänger längerfristig entwickeln. Da die vorliegenden Befunde darauf hindeuten, dass die Entwicklungen während des Trainings einen ersten Schritt in Richtung kohärenten Handelns sind, wäre ein systematisch begleitetes Nachfolgeangebot eine wertvolle Möglichkeit, den Professionalisierungsprozess von Hochschullehrenden vertiefter zu analysieren.