Ausgangspunkt dieser Studie bildet eine Primärerfahrung des Alltags: Schülerinnen und Schüler, welche das Gymnasium abgebrochen haben, kennt fast jeder. Dabei handelt es sich um Jugendliche, welche entweder selbstinitiiert nach Abschluss der Probezeit und vor dem Abitur das Gymnasium verlassen oder zum Verlassen gezwungen werden und dabei nicht lediglich in eine andere Schule übertreten. Auch die Medien portraitieren gerne Jugendliche, die trotz guten intellektuellen Potenzials der Schule den Rücken zukehren und ihrem Leben eine neue Richtung geben wollen. Dass solche Dropouts später durchaus erfolgreich durch das Leben gehen können, belegen die Biografien eines Robert De Niro, Maurice Chevalier, Bill Gates, einer Ella Fitzgerald oder Julie Andrews. Erstaunlicherweise hat diese Thematik in der deutschsprachigen Forschung bislang wenig Beachtung gefunden. Während zum Schulabbruch generell inzwischen einige Publikationen auch für den deutschsprachigen Raum vorliegen (vgl. Drinck 1994; Riepl 2004; Stamm 2007), gibt es zu Schulabbrechern am Gymnasium fast keine aktuellen Publikationen (Stamm 2009). Zwar sind ein paar größere Untersuchungen aus den 1960er- und 70er-Jahren verfügbar (vgl. Peisert u. Dahrendorf 1967; Gerstein 1972), doch haben sie in der Folge nicht zur regelmäßigen statistischen Erfassung von Schulabbrüchen geführt. Auch das Schweizer Bildungsmonitoring thematisiert sie jetzt nicht (vgl. Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung 2010). Ihre Existenz wird sogar gelegentlich in Abrede gestellt. Für die Schweiz dürfte der Grund vor allem darin liegen, dass die Gymnasien bislang nicht meldepflichtig waren und erst einzelne Kantone begonnen haben, eine Bildungsstatistik zu führen, in der auch die Anzahl der Abbrüche in Gymnasien erfasst wird.

Weshalb ein Fokus auf Dropouts an Gymnasien? – Erstens interessiert, wie viele gymnasiale Schulabbrecher es überhaupt gibt. Während für den Bereich der obligatorischen Schule die verfügbaren Statistiken auf eine nicht gerade kleine Population von Dropouts hinweisen [Deutschland: ca. 7 bis 8 % (Statistisches Bundesamt 2006); Österreich: 5 % (Riepl 2004); Schweiz: 6 bis 9 %; (Eckmann-Saillant et al. 1994)], kann der Anteil der gymnasialen Dropouts nur auf der Basis älterer Studien eingeschätzt werden. Gemäß Schümer (1985) oder Dohn (1991) könnte er zwischen 9 % und 15 % betragen. Zweitens interessiert, ob sich der anhaltende Zustrom zu den Gymnasien in speziellen Abbruchmustern äußert, die angesichts des breiter werdenden Kompetenzspektrums bei gleichbleibenden Leistungsansprüchen auf Überforderung zurückgeführt werden könnten. Wäre dies der Fall, dann müsste es sich bei den Dropouts in erster Linie um Jugendliche mit Leistungsproblemen handeln, die aus Familien ohne akademische Bildungsabschlüsse stammen (vgl. Roeder et al. 1986). Möglich wäre aber auch, dass die Expansion der Gymnasien zu einer Abflachung der Leistungsansprüche führte, die sich in Abbruchmustern der Unterforderung manifestierte. Diese Ursache würde sich dann möglicherweise in relativ guten Noten, jedoch mangelnder Motivation und bildungsnahem Elternhaus artikulieren. Mehr über die Hintergründe dieses Phänomens zu wissen, hat somit nicht nur eine wissenschaftliche und bildungspolitische Bedeutung. Vorzeitige Schulabgänge sind auch für Dropouts selbst von großer Tragweite, weil sie mit vielen Konsequenzen verbunden sind.

Im Mittelpunkt der folgenden Betrachtungen steht eine Gruppe gymnasialer Schulabbrecher (‚Dropouts‘), die mit einer Gruppe von Schülerinnen und Schülern verglichen werden, welche am Gymnasium verblieben sind (‚Stabile‘). Zunächst wird der internationale Status quo der allgemeinen und der spezifisch auf gymnasiale Schulabbrecher fokussierten Dropoutforschung diskutiert. Im empirischen Teil werden sodann die differenzierten Analysen unserer Schweizer Dropoutstudie dargelegt. Schließlich werden die Befunde vor dem Hintergrund der Frage diskutiert, was getan werden könnte, um die Zahl der vorzeitigen Schulabgänge von Gymnasiasten zu senken.

1 Der Status quo der Dropout-Forschung

Die traditionelle Dropoutforschung legt die Entscheidung zum Schulabbruch in die Verantwortlichkeit des Individuums und geht davon aus, dass in erster Linie personelle Charakteristika dafür verantwortlich sind. Als starke Prädiktoren gelten insbesondere schlechte Schulleistungen, Klassenrepetition, niedrige kognitive Fähigkeiten, Schulwechsel sowie Schulabsentismus (vgl. Frazer 1992; Grisson u. Sheppard 1989; Roderick 1994; Rumberger u. Larson 1998). Allgemein besteht Konsens, dass Dropout ein eher männliches Phänomen darstellt. Jungen brechen gemäß Rumberger u. Lamb (2003) dreimal häufiger die Schule ab als Mädchen. Ferner gelten Familienfaktoren als wichtige Prädiktoren für vorzeitige Schulabgänge. Dazu gehören Scheidung der Eltern, Familienzerrüttung, Alkohol- und Drogenprobleme (vgl. Astone u. McLanahan 1991). Viele Studien zeigen auch Zusammenhänge zwischen Schulabbruch und Verhaltens- resp. Disziplinproblemen und erhöhter Straffälligkeit auf, sodass verschiedentlich davon ausgegangen wird, dass Schulabbruch bevorzugt mit sozialen Problemen einhergeht (vgl. Farrington 1980; Azzam 2007). Aussagekräftige Faktoren sind ferner häufige Wohnort- und Schulwechsel (Rumberger u. Larson 1998), Jobben neben der Schule (vgl. Rumberger u. Lamb 2003) und Teenagerschwangerschaften (vgl. Anderson 1993). Schließlich weist die einschlägige Forschung auf die große Bedeutung der sozialen Welt der Adoleszenten hin. Beachtung verdienen vor allem die Befunde von Ellenbogen u. Chamberland (1997) oder French u. Conrad (2001) sowie Cullingford u. Morrison (1997). Diese Studien weisen nach, dass vom Schulabbruch bedrohte Jugendliche häufiger ähnlich gesinnte Freunde haben als nicht gefährdete Jugendliche, zu den eher zurückgewiesenen, wenig populären Schülerinnen und Schülern gehören und infolgedessen auch kaum in soziale Netzwerke eingebunden sind (vgl. Stamm 2009).

Jüngeren Datums ist die interessante Forschungsperspektive, die nicht das Individuum, sondern die Institution Schule fokussiert und damit ein auch bildungspolitisch brisantes Verständnis von Schulabbruch zeichnet (vgl. Lee u. Burkam 2003). Diese Perspektive liefert Evidenz für die Vermutung, dass es bestimmte Schulbedingungen gibt, die in Kombination mit Schülermerkmalen zu vorzeitigem Schulabbruch führen können. Besonders gut untersucht ist der Zusammenhang zwischen Lehrer-Schüler-Beziehungen und Absentismus- resp. Dropout-Raten (vgl. Baker et al. 2001; Lee u. Burkam 2003). Alexander u. Entwistle (2001) verweisen in diesem Zusammenhang darauf, Schulabbruch nicht als ein von anderen Erfahrungen losgelöstes Einzelereignis zu betrachten, sondern als langjährigen, viele Faktoren umfassenden Abkoppelungsprozess (vgl. Finn 1989; Tinto 1993; Alexander et al. 1997). Solche Befunde haben auch für den deutschsprachigen Raum Gültigkeit. So konnte Holtappels (1995) in seiner Studie zur Ganztageserziehung die Problematik von Abkoppelungstendenzen und ihre Verbindung zu schulischen Beziehungsproblemen aufzeigen. Schulen scheinen somit über ihre Organisation, ihre Struktur und ihr Schulklima Dropout-Verhalten zu beeinflussen und Schüler zum allmählichen Aussteigen (‚fadeout‘) oder zum Verlassen der Schule (‚pushout‘) möglicherweise geradezu zu drängen. Von großem Interesse sind deshalb auch Studien wie die von Cordy (1993) zu Resilienzfaktoren, welche Dropout verhindern können. Dazu gehören Faktoren wie das fürsorgliche Verhalten Erwachsener (‚caring‘), eine unterstützende Peergroup, gezielte schulische Unterstützungsprogramme, ein motivierender, variantenreicher und auf die Lernstile und Lebenswelten der Jugendlichen ausgerichteter Unterricht sowie Partizipation in religiösen Gruppierungen (vgl. Edgar u. Johnson 1995).

2 Erkenntnisse zu gymnasialen Schulabbrechern

Hierzulande ist das Wissen zu gymnasialen Schulabbrechern bescheiden. Anders ist dies im anglo-amerikanischen Raum. Dort existiert ein breiter Forschungskorpus zum Dropout an High Schools, dessen Befunde zwar vielfach heterogener Natur sind, aber auch auf einige Gemeinsamkeiten verweisen, die mit Blick auf die hier verfolgte Fragestellung bemerkenswerte Hinweise liefern. Am eindeutigsten ist der Befund, dass die High Schools selbst wesentlich zu Entscheidungen beitragen, die zum Schulabbruch führen. Die Entschlüsselung der Abgangsmotive verweist nämlich auf die erstaunliche Tatsache, dass die große Mehrheit der Abgängerinnen und Abgänger durchaus fähig wäre, in der Schule befriedigende Arbeit zu leisten. Gemäß Tinto (1993) oder Riehl (1999) verlassen nur zwischen 15 und 25 % der Jugendlichen die High School aufgrund mangelnder intellektueller Leistungsfähigkeit. Solche Schulversager („academic dismissals“ – Tinto 1993), welche aufgrund ungenügender Noten oder nicht bestandener Prüfungen aus der Schule aussteigen, entsprechen dem prävalenten Stereotyp des Schulabbrechers mit niedriger Intelligenz und schlechten Schulleistungen. Drei Viertel der Abgänger sind jedoch Jugendliche mit passablen bis guten Schulleistungen. Welche Motive bewegen sie zum Schulabbruch, wenn mangelnde Leistungsfähigkeit nicht der Abgangsgrund ist? Sind es ausschließlich freiwillige Abgänge, wie sie etwa im Schweizer Nationalfondsprojekt bei den „révoltés anticonformistes“ (Eckmann-Saillant et al. 1994, S. 152) aufscheinen? Sie bildeten die Gruppe der intelligenten und kreativen Jugendlichen aus eher bildungsnahen Elternhäusern, die häufig sozial isoliert waren und sich emotional derart von der Schule entfernt hatten, dass der Schulabbruch für sie zu einem wichtigen Schritt in eine neue Freiheit wurde.

Fast identische Befunde stammen aus einer älteren deutschen Untersuchung zu den Schulabbrüchen an Gymnasien von Peisert u. Dahrendorf (1967). Im untersuchten Zeitraum brachen jährlich 8,9 % das Gymnasium ab, wobei eine Streubreite von 2,5 % bis 14,5 % zu verzeichnen war. Die soziale Herkunft war insofern mit dem vorzeitigen Schulabgang verknüpft, als Gymnasiasten aus bildungsfernen Milieus deutlich häufiger die Schule abbrachen als solche aus bildungsnahen Elternhäusern. Dazu kamen mangelnde Elternunterstützung, Konflikte mit Lehrpersonen und Schule, Schulmüdigkeit und Wunsch nach Unabhängigkeit. Auch in dieser Untersuchung stellte sich heraus, dass viele der Abgänger keine schlechten Leistungsprofile zeigten. Im Unterschied zu den vorangehend berichteten Befunden stammten sie jedoch fast ausschließlich aus der Unter- und der unteren Mittelschicht.

Die Studie von Gerstein (1972) fördert ähnliche Ergebnisse zutage. Während der fünfjährigen Untersuchung gingen 28 % der Jugendlichen vorzeitig vom Gymnasium ab (29 % der Mädchen und 27 % der Jungen), wobei nicht nur Abbrecher, sondern auch Schulwechsler erfasst wurden. Wichtige Abbruch-Indikatoren waren Mathematik und erste Fremdsprache. Wer in diesen Fächern schlechte Leistungen aufwies, war besonders gefährdet. Auch hier brachen Jugendliche aus der Unterschicht das Gymnasium häufiger ab als solche aus privilegierteren Milieus. Weitere Hinweise auf die hier verfolgte Thematik liefert die Studie von Kemmler (1976) über „Schulerfolg und Schulversagen“.Von den 224 Kindern, die bis zum Abitur untersucht wurden, gingen 71 ans Gymnasium. 22 von ihnen verließen es wieder (32 %), wobei 9 in einen weniger anspruchsvollen Schultypus wechselten und 13 es abbrachen. Die Studie von Mies-Suermann (1977) in einem Mädchengymnasium mit 158 Schülerinnen ortete einen Anteil von 10 % Dropouts. Maßgeblich am Abbruch beteiligt waren negative Leistungsentwicklungen, kombiniert mit hohen Angstwerten und minimaler Anstrengungsbereitschaft. Die dänische Studie von Dohn (1991) eruierte eine Dropout-Quote von 15 % der Gymnasiasten. Als für die Abbruchentscheidung relevant erwiesen sich dabei nicht die familiären Verhältnisse, sondern Motivationsmangel und Leistungsversagen.

Zur Frage, inwiefern das Alter eine Rolle spielt, liegen nur wenige Untersuchungen vor. Gemäß der Studie von McNeal (1997), die zwischen freiwilligem und unfreiwilligem Abgang unterscheiden, nimmt ersterer mit dem Alter und der Klassenstufe zu, während letzterer bei jüngeren Gymnasiasten am höchsten ist. Interpretieren ließe sich dieser Befund damit, dass sich freiwillige Abbrecher verstärkt mit ihrer persönlichen beruflichen Zukunft auseinandersetzen und den akademischen Ausbildungsweg zunehmend relativieren. In Bezug auf die unfreiwillige Abgänge ist es möglich, dass sich Gymnasien aufgrund disziplinarischer und leistungsmäßiger Probleme von Schülerinnen und Schülern möglichst früh trennen, um sich in der Folge besser auf angepasstere und leistungsstärkere Schüler konzentrieren zu können.

Im Hinblick auf die Frage, weshalb Gymnasiasten zu Schulabbrechern werden, sind neben den vorangehend erwähnten Studien die Untersuchungen von Rumberger (1995/2001), Lee u. Burkam (2003) oder Seeley (1993) am ergiebigsten. Sie kommen alle zu dem Schluss, dass ein instabiles familiäres Milieu, Drogen- und Alkoholkonsum, mangelnde Interessen und Leistungsmotivation, schlechte Lehrer-Schüler-Beziehungen, negative und rebellische Verhaltensweisen gegenüber der Schule inklusive mangelnder sozialer Integration, ein unangemessenes Curriculum, Schulversagen sowie die subtilen Aussonderungsprozesse der Schule die stärksten Abgangsprädiktoren darstellen. Gemäß Renzulli u. Park (2002) gelten diese Prädiktoren besonders ausgeprägt für jugendliche High-School-Absolventen aus bildungsfernen Familien oder aus Familien mit Migrationshintergrund. Im Gegensatz dazu berichten Lajoie u. Shore (1981) von Dropouts aus ambitionierten Elternhäusern mit ausladenden Freizeitaktivitäten, die den Entscheid zum Schulabbruch wesentlich mitbestimmen.

Im Hinblick auf Geschlechtsunterschiede sind männliche Dropouts in der Überzahl (vgl. Kaskaloglu 2007). Ganz besonders herauszustreichen sind die Befunde zum Underachievement. Seeley (1993) erachtet minderleistende Gymnasiasten als besonders gefährdet, Schulabbrecher zu werden. Die Hauptursache ortet er in ihren schlechten Schulleistungen. Diese würden verhindern, dass Lehrkräfte ihr intellektuelles Potenzial erkennen und sie individuell fördern, weshalb sie früh schon ein schuldistanziertes Verhalten entwickeln würden. Von besonderem Interesse ist schließlich die Argumentation von Robertson (1991) zu den grundlegenden Unterschieden in der Motivstruktur zwischen gymnasialen und allgemeinen Schulabbrechern. Sie lässt vermuten, dass das Phänomen des vorzeitigen Abgangs vom Gymnasium anders gelagert ist als dasjenige der Schulabbrecher, welche die Schule während der obligatorischen Schulzeit verlassen. Während das soziale Problem letzterer in der generellen Abkehr von der Schule liege, sei der Schulabbruch für Gymnasiasten häufig ein Akt der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung und somit weniger eine Flucht als ein spezifisches Bewältigungsmuster auf dem Weg zur eigenen Identität, die möglicherweise auch in die berufliche Ausbildung führen kann.

3 Konsequenzen und Forschungsfragen

Die Forschungsübersicht hat aufgezeigt, dass zur Thematik des Schulabbruchs zwar ein bemerkenswerter angloamerikanischer Forschungskorpus verfügbar ist, der aber für das Phänomen des Schulabbruchs an hiesigen Gymnasien äußerst eingeschränkt ist. Zwar konnte aufgezeigt werden, dass viele der aus der allgemeinen Dropoutforschung stammenden Prädiktoren auch für die gymnasialen Dropouts gelten. Doch handelt es sich dabei um kulturelle Transplantate, die nur mit der nötigen Distanz auf hiesige Verhältnisse übertragen werden dürfen. Aus den älteren deutschen Studien wissen wir lediglich, dass die Gründe für den vorzeitigen Abgang eng mit der sozialen Herkunft, Konflikten mit Lehrkräften und der Schule, mit Leistungsproblemen und mit veränderten Karriereinteressen verknüpft sind. Viele Fragen sind jedoch nicht annähernd geklärt. Die hier vorgelegte explorative Studie will deshalb folgende Fragestellungen untersuchen:

  1. 1.

    Weshalb haben die Gymnasiasten die Schule abgebrochen?

  2. 2.

    Unterscheiden sie sich von Schülern, die im Gymnasium verblieben („Stabile“) sind, hinsichtlich sozialer Herkunft, Nationalität und Schulerfolg?

  3. 3.

    Unterscheiden sich gymnasiale Abbrecher von Stabilen in ihren leistungsbezogenen und beziehungsorientierten Einstellungs- und Verhaltensmustern sowie im berichteten Schulklima?

  4. 4.

    Welche der untersuchten Faktoren sind am besten in der Lage, die Zugehörigkeit zur Gruppe der Dropouts resp. der Stabilen vorauszusagen?

4 Methode

4.1 Stichprobe

Die hier referierte Studie bezieht sich auf die Befragung von gymnasialen Schulabbrechern in der deutschsprachigen Schweiz im Jahr 2004. In der Regel können die Jugendlichen nach neun Schuljahren mittels einer Aufnahmeprüfung ins Gymnasium übertreten und hier vier Schuljahre bis zur Matura absolvieren. Einige wenige Kantone kennen auch das sogenannte Langzeit-Gymnasium, in das Jugendliche bereits nach sechs Schuljahren eintreten. Die Probezeit dauert ein halbes Jahr.

Für die vorliegende Studie wurden die gymnasialen Abbrecher über Berufsberatungen, Beratungspraxen, Aushänge in Einkaufzentren und sechs Gymnasien rekrutiert. Ihre Identifikation erfolgte auf der Basis der Definition von Dropout als einem Schüler oder einer Schülerin, der oder die vor der Matura und nach Ablauf der Probezeit das Gymnasium verlassen hatte. Auf diese Weise konnten insgesamt 124 Schulabbrecher rekrutiert werden. Zum Zeitpunkt der Befragung waren sie zwischen 17 und 19 Jahre alt. Sie stammten aus insgesamt zehn Kantonen der deutschen Schweiz und aus 88 Gymnasien. Der Abbruch erfolgte in 66 % der Fälle im zehnten oder elften Schuljahr, in 34 % der Fälle im zwölften oder dreizehnten Schuljahr. Diesen Dropouts wurde ein schriftlicher Fragenkatalog vorgelegt. Um sie mit einer Gruppe von ‚stabilen Gymnasiasten‘ vergleichen zu können, wurde aus der Längsschnittstudie „Frühlesen und Frührechnen als soziale Tatsachen“ (Stamm u. Stutz 2009) allen 38 % Gymnasiasten (n = 147) im Rahmen einer regulären Erhebung im Jahr 2005 ein identischer Fragenkatalog vorgelegt, mit Ausnahme von auf den erfolgten Schulabbruch bezogenen Fragen. Parallelisierungskriterien waren Geschlecht und Alter. Der Rücklauf betrug 84,5 %, was zu einer Dropout-Gruppe von N = 119 und zu einer Gruppe der Stabilen von N = 115 führte. Die Dropout-Gruppe umfasste 68 Jungen (57,1 %) und 51 Mädchen (42,9 %), die Gruppe der Stabilen 65 Jungen (54,6 %) und 50 Mädchen (43,4 %).

4.2 Erhebungsinstrumente

Die Erfassung der sozio-ökonomischen Hintergrundsvariablen (Geschlecht, Nationalität) erfolgte mittels Einzelfragen. Gleiches galt für die Schultypisierung. Sie hatte zum Ziel, die besuchte Schule aus der Sicht der Befragten einer der drei Kategorien ‚leistungsorientiert‘, ‚kameradschaftlich‘ oder ‚autoritär‘ zuzuweisen. Diese Typisierung stellt gewissermaßen einer der Befunde der Studie von Lee u. Burkam (2003) dar. Die leistungsbezogenen und beziehungsorientierten Einstellungs- und Verhaltensmuster wurden mit Skalen erfasst. Diese sowie die Einzelfragen werden in Tab. 1 einschließlich der dazugehörenden Codierung vorgestellt.

Tab. 1 Eingesetzte Items und Skalen mit Beispielitems

Die Skala zu den Dropout-Gründen umfasst motivationale, beziehungs- und leistungsorientierte, verhaltensbezogene und schulrechtliche Aspekte. ‚Beziehungen zu den Lehrpersonen‘ und ‚Bedeutung der Schule‘ sind zwei Skalen, um das Ausmaß der persönlichen Zufriedenheit mit Schule und Unterricht sowie den Lehrer-Schüler-Beziehungen festzustellen. Die Karrierepläne geben Auskunft über das Ausmaß an zielgerichteter beruflicher Zukunftsorientierung und die Skala Leistungsmotivation umschreibt Wünsche und Absichten, um Erfolge zu erzielen, Misserfolge zu vermeiden und sich dabei in einem stabilen Zustand zu halten. Die Skala Schulschwänzen misst die Variabilität und Intensität schulabsenten Verhaltens. Trotz der teilweise geringen Anzahl an Items, die in eine Skala eingegangen waren, sind die internen Konsistenzen zufriedenstellend bis gut (a = 0,68 bis 0,81).

4.3 Auswertung

Um zu überprüfen, inwieweit sich die beiden Populationen voneinander unterscheiden, wurden die jeweiligen Stichprobenmittelwerte der beiden Gruppen auf signifikante Unter-schiede hin untersucht. Um den a-Fehler zu kontrollieren, wurde der Bonferroni-Test verwendet und die Irrtumswahrscheinlichkeit auf p ≤ 0,01 festgesetzt. Die Differenzen auf den Items soziale Herkunft sowie Schultypisierung wurden mittels Chi-Quadrat-Analysen berechnet. Die Unterschiede zwischen den beiden Populationen der Dropouts und der Stabilen wurden mittels univariater Varianzanalysen in den Skalen Schulschwänzen, Bedeutung der Schule, Lehrerbeziehungen, Leistungsmotivation und Karrierepläne geprüft. Anschließend wurden Regressionsanalysen durchgeführt um zu eruieren, welche der Faktoren (als Prädiktoren) am ehesten Schulabbruch voraussagen können. Zur Kennzeichnung praktischer Signifikanz wurde das Effektstärkenmaß d verwendet. Gemäß den Richtlinien von Cohen (1988) gilt ein d-Wert bis 0,2 als schwacher, bis 0,5 als moderater und bis 0,8 als starker Effekt.

5 Ergebnisse

5.1 Gründe für den Schulabbruch

Um diese Frage zu beantworten, wurde den Befragten ein Fragebogen mit zehn Items zu den Gründen des Schulabbruchs vorgelegt. Sie hatten Stellung zu nehmen, ob die jeweilige Aussage ihre Entscheidung zum Schulabbruch beeinflusst hatte oder nicht. Aus Tab. 2 werden die Ergebnisse, differenziert nach Geschlecht, ersichtlich. Sie zeigen, dass die Schule am häufigsten aus Motivationsgründen (35,1 %), wegen Beziehungsproblemen mit den Lehrkräften (29,1 %) und Mitschülern (29,4 %) oder aus Gründen der Neuorientierung (28,2 %) abgebrochen wurde, während Schulversagen eine deutlich geringere Rolle spielte (8,1 %). Gleiches gilt für Alkohol- oder Drogenprobleme (5,4 %), Schulverweise (3,9 %) oder Schwangerschaften (2,9 %). Vergleicht man die Abbruchgründe von Jungen und Mädchen miteinander, so zeigen sich etwas andere Gewichtungen, im Wesentlichen jedoch eine ähnliche Reihenfolge. Bei beiden Geschlechtern spielt Leistungsversagen lediglich eine unter-geordnete Rolle (9,0 % resp. 6,0 %). Mädchen scheinen jedoch deutlich häufiger das Gymnasium aus Beziehungsproblemen abgebrochen zu haben, während dies für die Jungen in Bezug auf Schulverweise und Alkohol- oder Drogenprobleme zutraf. Ein erzwungener Abbruch aufgrund eines Schulverweises kam nur in 3,9 % vor.

Tab. 2 Gründe für den Schulabbruch

5.2 Unterschiede zwischen Dropouts und Stabilen

Von Interesse ist als nächstes, ob sich Dropouts und Stabile hinsichtlich ihres sozialen Hintergrundes unterschieden, inwiefern sich Differenzen in ihrer Schultypisierung abzeichneten und wie schulerfolgreich sie waren im Hinblick auf die Mathematik- und Deutschnoten sowie die Linearität ihrer Schullaufbahn (vgl. Tab. 3).

Tab. 3 Merkmale von Dropouts und Stabilen

Mit Blick auf die Nationalität zeigten sich ebenfalls keine statistisch signifikanten Unterschiede, obwohl in der Dropout-Gruppe mehr Jugendliche ausländischer Herkunft vertreten waren als in der Gruppe der Stabilen (23,5 zu 19,9 %). Anders sieht es mit Blick auf die soziale Herkunft aus. Dropouts kamen tendenziell aus bildungsferneren Elternhäusern als Stabile. Während 51,0 % der Väter von Stabilen über einen Abschluss einer Höheren Fachschule, einer Fachhochschule oder Universität verfügten, waren es bei den Dropouts lediglich 37,9 %. Die Chi-Quadrat-Analysen liefern ferner aufschlussreiche Ergebnisse im Hinblick auf durch die Befragten erfolgte Typisierung der Schulen. Dropouts bezeichneten ihr ehemaliges Gymnasium signifikant häufiger als autoritär geführt (31,8 %) als Stabile (13,8), während die Unterschiede in den anderen beiden Kategorien nur gering waren. Damit wird die Tatsache interpretationsbedürftig, dass es – in den Augen der Befragten – auf autoritär geführten Schulen fast dreimal so viele Schulabbrecher gab. Aufschlussreich sind auch die Leistungsergebnisse. Während sich Dropouts und Stabile in den Deutschnoten nicht signifikant unterschieden, zeigten sich deutliche Differenzen in den Mathematiknoten: 37,7 % der Dropouts mit ungenügenden Mathematikleistungen standen 26,0 % der Stabilen gegenüber, während diese fast doppelt so oft sehr gute und gute Beurteilungen vorweisen konnten (45,8 vs 26,0 %). Schließlich ist auch die Tatsache bemerkenswert, dass fast ein Drittel der Abbrecher während ihrer Schulzeit eine Klasse wiederholen mussten, während dies bei den Stabilen nur für etwa jede fünfte Person zutraf (35,2 vs 18,4 %).

5.3 Unterschiede in den Einstellungs- und Verhaltensmustern

Aus Tab. 4 werden die Ergebnisse der t-Tests ersichtlich. Auffallend ist zunächst einmal, dass drei Mittelwertsunterschiede in den Selbsteinschätzungen der Dropouts und der Stabilen signifikant sind: Beziehungen zu Lehrpersonen, Leistungsmotivation und Schulschwänzen (mittlere Effektstärken mit d = 0,66/0,54/0,77). Nicht signifikant sind hingegen die Mittelwertsdifferenzen in den Karriereplänen (M = 3,99/4,05) sowie in der Bedeutung der Schule (M = 2,67/2,78). Die Effektstärken sind mit d = 0,24/0,29 klein. Der Grund liegt in der Tatsache, dass die Stabilen der Bedeutung der Schule einen eher geringen Stellenwert beimaßen, was im Wesentlichen auch dem Urteil der Dropouts entsprach.

Tab. 4 Mittelwertsunterschiede und Standardabweichungen in den verwendeten Skalen

Von zentralem Interesse ist die Bestimmung der Modellfaktoren, die am besten in der Lage sind, die Gruppenzugehörigkeit eines Jugendlichen zu bestimmen. Deshalb wurde als nächstes eine logistische Regressionsanalyse durchgeführt. Sie bietet die Möglichkeit, den linearen Einfluss mehrerer unabhängiger Variablen auf eine dichotome Zielgröße zu untersuchen und zu bestimmen, welche Modellfaktoren am besten in der Lage sind, die Gruppenzugehörigkeit zu bestimmen. Das für diese Untersuchung gewählte Modell mit den fünf Faktoren klassierte insgesamt 81,4 % der Probandinnen und Probanden entweder als Dropouts oder als Stabile (aufgrund der Missings bei den Prädiktorvariablen konnten 8,6 % nicht klassiert werden). Die stufenweise durchgeführte Regressionsanalyse zog in einem ersten Schritt alle fünf Prädiktoren für die Vorhersage der Gruppenzugehörigkeit bei. Tabelle 5 gibt Auskunft über die Befunde. Aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeit der Variablen in diesem multivariaten Kontext (Multikollinearität) deckte der Wald-Test auf, dass nur zwei der fünf Faktoren signifikante Prädiktoren darstellen und somit Schulabbruch voraussagen können: Beziehungen zu den Lehrpersonen und Leistungsmotivation. Dies trifft weder für das Schulschwänzen noch für die Karrierepläne oder die Bedeutung der Schule zu (p > 0,10).

Tab. 5 Ergebnisse der logistischen Regressionsanalyse mit fünf Faktoren

Die nachfolgenden Analysen gehen der Frage nach, inwieweit demografische und leistungsbezogene Merkmale vorzeitige Schulabgänge beeinflussen konnten. Zu diesem Zweck wurde eine weitere logistische Regression gerechnet, wobei die unabhängigen Variablen Lehrerbeziehungen und Schulschwänzen erst am Schluss in die Regressionsgleichung eingeführt wurden. Die Antwortkategorien der zwei unabhängigen Variablen gingen dabei als Dummy-Variablen in die logistische Regression ein, indem ‚Ich bin mit den meisten Lehrkräften schlecht ausgekommen‘ resp. ‚Ich konnte mich für die Erledigung der Hausaufgaben überhaupt nicht motivieren‘ mit ‚0‘ kodiert wurde und alle übrigen Angaben mit ‚1‘. Diese Vorgehensweise macht den Beitrag sichtbar, den die beiden Variablen nach Kontrolle der demografischen Merkmale für das Abgangsverhalten haben. Die Tab. 6 und 7 zeigen die Ergebnisse. Aus der Tab. 6 wird ersichtlich, dass der Vorhersagebeitrag von Lehrerbeziehungen mit Dχ2 (4) = 374,6 (p < 0,01) immer noch signifikant ist. Gleiches gilt für die Befunde in Tab. 7 mit Dχ2 (4) = 305,5 (p < 0,01) für Schulschwänzen. Somit leisten Schulschwänzen und ungünstige Lehrerbeziehungen auch nach Kontrolle der sozial-strukturellen Variablen einen signifikanten Vorhersagebeitrag für Dropout.

Tab. 6 Logistische Regression von Lehrerbeziehungen auf Dropout/Stabile unter Kontrolle sozio-ökonomischer Merkmale und Leistungsvariablen
Tab. 7 Logistische Regression von Leistungsmotivation auf Dropout/Stabile unter Kontrolle sozio-ökonomischer Merkmale und Leistungsvariablen

6 Diskussion

Der Zweck dieser Studie lag darin, eine Gruppe von Schulabbrechern am Gymnasium („Dropouts“) im Hinblick auf ihre Gründe zum Schulabbruch sowie einige sozial-struk-turelle und personbezogene Merkmale zu untersuchen und Einsicht in ihre Charakteristika zu erlangen. Zu diesem Zweck wurde sie mit einer Gruppe Jugendlicher verglichen, die am Gymnasium verblieben war („Stabile“). Im Ergebnis lässt sich die empirische Evidenz unserer Befunde in sechs Punkten charakterisieren:

  1. 1.

    Die befragten Dropouts hatten das Gymnasium vorwiegend aus motivationalen Gründen, aufgrund von Beziehungsproblemen mit Lehrkräften und anderen Schülern oder aufgrund einer beruflichen Neuorientierung verlassen. Beziehungsprobleme waren bei Mädchen häufigere Abbruchursache als bei Jungen. Leistungsprobleme oder Schulverweise erwiesen sich hingegen als eher seltenere, für Jungen jedoch häufigere Abbruchgründe als für Mädchen.

  2. 2.

    Die Schulabbrecher waren sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechts. Basierend auf der Einschränkung, wonach es sich um eine explorative Studie handelt, lassen unsere Ergebnisse nicht zu, Schulabbruch am Gymnasium als vorwiegend männliches Phänomen zu bezeichnen. Dafür sprechen auch neuere Erhebungen von Berufsberatungsstellen (Akademische Berufsberatung 2006). Dementsprechend scheinen junge Frauen zwar deutlicher als noch vor ein paar Jahren in akademische Berufe zu drängen, sich jedoch auch stärker mit Perspektivenwechseln und folglich auch Ausbildungsabbrüchen zu beschäftigen. Damit zusammenhängen könnte auch die Tatsache, dass die Schulabbrecher unserer Studie aus eher bildungsfernen Familien stammten, für die das akademische Milieu eines Gymnasiums neu und möglicherweise mit einer Abkehr von der familiären Kultur verbunden war. Gemäß Hummrich (2002) fällt den Mädchen eine solche Abkehr besonders schwer.

  3. 3.

    Bei unseren Dropouts handelt es sich nur zu einem kleinen Teil um Jugendliche, welche in der Schule nicht mehr mitgekommen waren. Mit Blick auf ihre zurückliegende Schulzeit und im Gegensatz zu den Stabilen verzeichneten sie zwar deutlich häufiger Klassenwiederholungen, doch kam es – gemäß den Aussagen der Befragten – nur bei jedem elften Schulabbrecher zum Abbruch aufgrund von Leistungsversagen. Demzufolge hätten, rein unter subjektiv eingeschätzten Leistungsgesichtspunkten betrachtet, fast 90 % der Dropouts am Gymnasium verbleiben können.

  4. 4.

    Erwartungskonform war der Befund, dass Dropouts im Vergleich zu den Stabilen weniger leistungsmotiviert waren. Der Leistungsmotivation kommt denn auch prädiktive Vorsagequalität zu. Damit widerspiegelt dieser Befund das Stereotyp des faulen Schülers, des Minderleisters, der sein Potenzial nicht umsetzt. Konträr dazu steht jedoch der erstaunliche Befund, wonach sich Dropouts von Stabilen in ihren Karriereplänen kaum unterscheiden und offenbar über motivationale Grundmuster verfügen, die der immer wieder und vor allem in der populärwissenschaftlichen Literatur skizzierten ‚no-future‘-Einstellung widersprechen (Minelli 2003).

  5. 5.

    Nicht unerwartet sind die Befunde zu den Lehrerbeziehungen. Auch nach Kontrolle der sozial-strukturellen und leistungsbezogenen Merkmale erwiesen sie sich als erklärungsstarker Prädiktor für den vorzeitigen Abgang. Unsere Dropouts berichteten jedoch nicht nur deutlich häufiger von schlechten Lehrerbeziehungen als dies für die Stabilen zutraf, sondern sie schwänzten während ihrer Schullaufbahn auch überzufällig häufiger den Unterricht. Damit unterstützen diese Befunde die Hinweise von Alexander u. Entwistle (2001), Schulabbruch als langjährigen, viele Faktoren umfassenden Abkoppelungsprozess zu verstehen.

  6. 6.

    Gemäß den Aussagen unserer Dropouts handelte es sich bei den von ihnen verlassenen Gymnasien häufig um autoritär geführte Schulen, während die Stabilen weit häufiger die Ansicht vertraten, kameradschaftlich- oder leistungsorientiert geführte Schulen zu besuchen. Diese Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass die Führungsorientierung der Schule beim Schulabbruch eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen kann. Möglicherweise fehlten in den von den Dropouts besuchten Gymnasien förderorientierte und angemessene, regelstrukturierte Schulklimabedingungen, sodass negative Zirkelprozesse entstehen konnten, die zum vorzeitigen Schulabbruch einen Beitrag leisteten.

Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse sollen einige abschließende Gedanken formuliert werden. Dabei gilt einschränkend zu beachten, dass die hier vorgelegten Ergebnisse aufgrund der Rekrutierung der Stichprobe nicht generalisiert werden dürfen und somit lediglich explorativen Charakter haben. Dazu kommt, dass nur die Dropouts selbst befragt wurden, nicht jedoch ihre Eltern oder Lehrkräfte. Zweitens ist zu beachten, dass Schulabbruch in dieser Untersuchung als abhängige Variable definiert wurde und die Richtung der Effekte damit vorgegeben war. Diese Frage ist jedoch in der Forschung bislang kaum geklärt, sodass offen bleiben muss, ob der Entscheid zum Schulabbruch Auslöser für das Wegdriften von der Schule, für die Entwicklung ungünstiger Persönlichkeitsmerkmale und für entsprechende Lehrerreaktionen war.

Welche Konsequenzen ergeben sich vor dem Hintergrund solcher Einschränkungen aus unseren Ergebnissen? Erstens einmal sollte die pädagogische Praxis zur Kenntnis nehmen, dass unser Bildungssystem Schulabbrecher produziert und dass dies nicht nur anforderungsniedrige Schultypen betrifft. Die Problematik vorzeitiger Schulabgänge an Gymnasien kann jedoch nicht lediglich das Stereotyp des leistungsschwachen, schulmüden Gymnasiasten fokussieren, der alleine die Verantwortung für seinen Entscheid trägt. Dafür spricht vor allem der Befund, wonach die Schule eine entscheidende Rolle spielen dürfte. Besonders bedeutsam scheinen Führungskultur der Schule und Beziehungen der Lehrkräfte zu ihren Schülern zu sein. Zwar lassen sich die hier präsentierten Befunde zu keinem Gesamtbild zusammenfügen, das die Bedeutung der institutionellen Perspektive empirisch untermauern kann. Doch verweisen unsere Einzelbefunde mit einiger Sicherheit auf die Notwendigkeit, das Dropout-Phänomen am Gymnasium aus seiner Etikettierung als allein individuell verantwortetes Problem herauszulösen und es um die institutionell-soziale Perspektive zu erweitern.

Sicher scheint, dass es eine Vielzahl von Erklärungsketten gäbe, die differenziert zu erforschen wären. Deshalb ist es sinnvoll, die Vielfalt der vorzeitigen Abgänge als ein Phänomen zu betrachten, das verschiedene Faktoren vereint: Wer einmal ins Gymnasium eintrat, hatte die Matura vor Augen und verfügte offenbar über genügend Motivationsstrukturen und Leistungsreserven. Weshalb dieser Weg verlassen wird, dürfte zwar viele Gründe, jedoch einen gemeinsamen Nenner haben, der gegen den Verbleib im Gymnasium spricht. Gegenüber dem Ziel, den akademischen Gipfel zu erreichen, bieten sich offenbar Talwege oder andere Gipfel als vorteilhaftere Alternativen an.