1 Einführung

Coaching von Führungskräften war vor zwanzig Jahren eine Nischenpraxis im Portfolio der Entwicklungsmaßnahmen von Business Schools. Inzwischen ist Executive Coaching zu einem akademisch fundierten Konzept ausgereift und im Rahmen von Leadership Development Programmen zu einem unverzichtbaren Element der Führungskräfteentwicklung geworden.

Der folgende Beitrag besteht aus zwei Teilen: Zunächst skizziere ich eine Phänomenologie des Führungskräfte-Coachings im Business School Kontext und ergänze sie mit einer Physiognomie der Zielgruppe „Führungskräfte“, gefolgt von einer soziodynamisch informierten Beschreibung des Coaching-Settings als Übergangsraum für Lernen und Entwicklung. Im zweiten Teil befasse ich mich mit Programmen zur Entwicklung von Führungskräften, die sich als „Identitätswerkstätten“ („Identity workspaces“) verstehen. Mit einer solchen Zielsetzung konzipiert und durchgeführt, geht die Weiterbildung von Führungskräften über die traditionellen Themen von Strategie, Finanzen, Marketing etc. hinaus. Sie gibt ihre Beschränkung auf Rollen- und Verhaltenstraining auf und dringt in das Feld von Persönlichkeit und Biographie vor. Führungskräfteentwicklung als Identitätsarbeit verspricht persönliche Transformation und PortabilitätFootnote 1 als die Möglichkeit, Erfahrungen und Gelerntes überall anzuwenden. In einer Schlussfolgerung beleuchte ich die Implikationen dieser neuen Agenda für das Coaching von Führungskräften. An den Coach stellt sie neue Anforderungen und verlangt spezielle Kompetenzen, vom Teilnehmer erwartet sie Offenheit für die persönlich herausfordernden Themen von Identität, Transformation und Portabilität.

Zu Beginn sei mir ein kurzer Hinweis auf meine Beziehung zum Kontext „Business School“ erlaubt: Wenn ich mich im Folgenden auch auf verschiedene Literaturquellen zu diesem Thema stütze, spiegelt der Artikel vor allem meine Erfahrungen aus der Praxis wider, die ich in den letzten zwanzig Jahren im Kontakt mit Business Schools gesammelt habe, und zwar in drei Rollen: Zum einen habe ich als Leiter für Führungskräfteentwicklungsprogramme in weltweit operierenden High-Tech-Unternehmen in Partnerschaft mit Business Schools Führungsprogramme konzipiert und durchgeführt, die ihrerseits Coaching als Schlüsselelement enthielten. Zum zweiten war ich Teilnehmer an einem INSEAD-Masterprogramm zum Thema „Veränderungsberatung und Coaching“. Und drittens war ich in den letzten 15 Jahren als freiberuflicher Executive Coach für verschiedene Business Schools tätig, wie INSEAD in Fontainebleau, ESMT in Berlin, Mannheim Business School und IMD in Lausanne. Diese Business Schools angelsächsischen Typs dienen mir als wichtiger Bezugspunkt für die hier beschriebene Konzeptualisierung und Praxis des Executive Coaching.

Eine zweite Positionierung wäre methodologischer Natur: Meine ursprünglich systemisch orientierte Professionalisierung als Organisationsberater, Führungskräfteentwickler und Coach am isb Wiesloch hat sich spätestens mit meiner Ausbildung bei Manfred Kets de Vries an der Business School INSEAD in Fontainebleau, einem der führenden Leadership Experten mit psychoanalytischem Hintergrund, in Richtung psychodynamisch/soziodynamisch weiterentwickelt. Dies bekam eine spätere Ergänzung und Abrundung durch eine psychodynamisch orientierte Supervisionsausbildung bei inscape-international in Köln. Diese beiden Positionierungen dürften verdeutlichen, aus welcher theoretischen Perspektive und mit welcher Felderfahrung ich mich zum Thema „Führungskräfte Coaching in Business Schools“ zu Wort melde.

Eine weitere Anmerkung zur Terminologie. Ich verwende immer wieder angelsächsische Termini, z. B. „Executive Coaching“ anstelle von „Führungskräfte-Coaching“. Das hat zwei Gründe: Zum einen ist das Feld der Business Schools angelsächsisch dominiert, und Literatur zu Leadership Development liegt überwiegend auf Englisch vor. Auch wird in diesen Schools auf Englisch unterrichtet. Zum anderen sind die englischen Termini in der Regel einfach kürzer und auch außerhalb des angelsächsischen Sprachraums gängiger Sprachgebrauch.

2 Executive Coaching in Business Schools – eine kurze Phänomenologie

Es gibt verschiedene Versuche aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven, Executive Coaching als unterstützende Methodik zur Entwicklung von Führungskräften zu definieren (Kilburg 2002; Arnaud 2003; Kets de Vries et al. 2010). Coaching bleibt jedoch ein unscharfes Konzept. Der Begriff „Coaching“ ist weder als Methode noch als Geschäftsmodell noch als Marke geschützt. Jeder kann von sich behaupten, Coach zu sein, als Coach zu arbeiten oder eine eigene Coaching-Praxis eröffnen. Obwohl es viele Institutionen gibt, die Coaching als professionelle Dienstleistung positionieren und verschiedene Qualifikationen anbieten, um ein zertifizierter Coach zu werden, bleibt Coaching ein schwammiges Konzept. Als sprachlicher Container wird der Begriff für alle möglichen Ansätze, Dienstleistungen und Angebote verwendet und eben als „Coaching“ bezeichnet.

Ich werde mich dem Coaching von Führungskräften im umrissenen Kontext der Business Schools „phänomenologisch“ nähern und zwei Formate vorstellen, die in Business School Programmen verwendet werden: Einzel- und Gruppencoaching. In meiner Zusammenfassung werde ich das Coaching-Setting anhand psychodynamisch informierter Kriterien als einen sicheren und vertraulichen Raum beschreiben.

2.1 Gruppen- und Einzelcoaching – zwei Standardformate in Programmen zur Führungskräfteentwicklung an Business Schools

Seit zwei Jahrzehnten wird an Business Schools eine Mischung aus Gruppen- und Einzelcoaching-Formaten eingesetzt. Im Rahmen des Gruppencoachings, das vom INSEAD Global Leadership Centre (IGLC) entwickelt wurde und in Publikationen von Manfred Kets de Vries und seinem Team von Forschern und Praktikern umfassend dokumentiert ist (Kets de Vries 2005, 2014; Kets de Vries et al. 2010), werden drei Hauptelemente vorgeschlagen, um das Gruppencoaching vorzubereiten, zu gestalten und zu fokussieren: erstens ein 360-Feedback-Tool auf der Grundlage eines Rollenmodells für globale Führungskräfte mit den Hauptbereichen Selbstführung, Teamführung, Organisationsführung und Netzwerkeinfluss; zweitens, ein Persönlichkeits-Audit, das von vertrauten anderen Personen entlang von Persönlichkeitsdimensionen wie Selbstwertgefühl, Bewusstsein, Durchsetzungsvermögen und Risikobereitschaft ausgefüllt wird. Ein drittes wichtiges und kreatives Element ist eine Selbstporträt-Übung, die die Grundlage für eine persönliche Lebensgeschichte bildet, die mit der gesamten Gruppe geteilt wird. Das meist eintägige Gruppencoaching wird von einem qualifizierten Executive Coach geleitet. Der Coach gibt dem Tag eine Struktur und eröffnet die Sitzung, indem er die Regeln für die Zusammenarbeit vereinbart und gemeinsam mit den Teilnehmern die Tagesordnung auf der Grundlage ihrer jeweiligen Erwartungen und Bedürfnisse erstellt. Zum Abschluss des Tages werden in den meisten Fällen Folgeaktivitäten mit der Gruppe und individuell geplant.

Das Einzelcoaching ergänzt die Gruppenerfahrung. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Vertiefung von Führungs- und Lebensthemen, die während des Gruppencoachings aufgetaucht sind. Zur Planung und Unterstützung der Folgeaktivitäten dient dann in der Regel ein stärker formalisierter Entwicklungsaktionsplan.

Nach Kets de Vries (2014, S. 150–153) lässt sich der Nutzen von Gruppencoaching wie folgt zusammenfassen: Es ermöglicht kathartische Erfahrungen, indem Dinge ausgedrückt werden, die den Einzelnen belasten. Den Lebensgeschichten anderer zuzuhören, schafft die Erleichterung, sich mit den eigenen Führungsthemen und Herausforderungen nicht allein zu fühlen. Ein hoher Wert wird in der Möglichkeit des stellvertretenden Lernens gesehen. Im kollegialen Austausch kann man mit und von anderen lernen. Man kann sich mit ihnen identifizieren oder auch als Vorbilder betrachten. Die kollektive Lernerfahrung trägt zur Gemeinschaftsbildung bei und ermuntert dazu, ein Netzwerk von Gleichgesinnten aufzubauen, das auch nach dem Programm bestehen bleiben kann. Und nicht zuletzt trägt die Hilfe für andere zu unserem Selbstwertgefühl und Wohlbefinden bei. Wie Nicholas und Twaddell (2010, S. 228) es ausdrücken: „Gruppen-Coaching für Führungskräfte ist eine Möglichkeit für Einzelpersonen, aktuelle Führungsthemen in einer sicheren und vertraulichen Umgebung zu erleben und zu erforschen.“

2.2 Teilnehmer eines Executive-Coachings im Business-School-Kontext – Versuch einer kurzen Physiognomie

Wer sind die Teilnehmer? Was bringen sie in das Programm und das Coaching ein? Kann man sie in bestimmte Kategorien einteilen? Ich werde die Teilnehmer aus zwei Perspektiven betrachten: von der offensichtlichen ihrer Karriere- und Lebensziele sowie von der eher verborgenen ihrer persönlichen Antriebe und Motivationen.

2.2.1 Ein Blick auf die Teilnehmer – Karriere- und Lebensstilwünsche

Die Teilnehmer an Programmen zur Führungskräfteentwicklung lassen sich als hoch motivierte, ehrgeizige und karriereorientierte Menschen charakterisieren. Sie nutzen die Programme, um beruflich weiterzukommen, aber zunehmend auch, um zu klären, was sie im Leben erreichen wollen. In der Regel werden sie von ihren Unternehmen ausgewählt und finanziert und haben den Status „Top-Performer“ und/oder „High Potential“. Man schickt sie in ein Leadership Development Programm, um sie auf die Übernahme einer Rolle im Topmanagement des Unternehmens vorzubereiten. Diejenigen, die aus eigener Initiative an einem Programm teilnehmen und sich selbst finanzieren, können auf eine stattliche Erfolgsbilanz zurückblicken; sie nehmen teil, um sich auf die nächste Phase ihres Lebens vorzubereiten.

Die StandardprogrammeFootnote 2 bieten ein Führungskräfte-Coaching mit drei verschiedenen Formaten der Skriptarbeit, die sich an drei Arten von Teilnehmergruppen mit einer je unterschiedlichen Karriereorientierung wenden.

Eine erste Gruppe nutzt das Programm (z. B. Angebote für Führungskräfte im fortgeschrittenen Stadium, wie AMP bei INSEAD), um ihr eigenes Rollenskript als Führungskraft zu überarbeiten. Diese Überarbeitung zielt auf eine Aktualisierung oder ein Upgrade des aktuellen Führungsrollenskripts ab – in der Regel von der mittleren zur oberen Führungsebene. Die im Rahmen des Programms erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen sollen dazu beitragen, die konzeptionellen Landkarten des Einzelnen als Manager und Führungskraft, wie sie im bestehenden Rollenskript festgelegt sind, zu verbessern und zu erweitern, damit er in der Lage ist, eine Führungsrolle an der Spitze seines Unternehmens zu übernehmen. Für diese Teilnehmer „auf dem Weg nach oben“ dient das Programm vor allem als Karriere-Booster.

Eine zweite Gruppe (z. B. Teilnehmer an einem Executive MBA und vor allem MBA-Studenten, die im Durchschnitt jünger sind) sind „auf dem Weg hinein – in den Beruf“, sie suchen und erkunden geeignete Bereiche, um ihre Ambitionen zu verwirklichen und eine erfolgreiche Karriere zu gestalten. Ihre Agenda dreht sich um die Entwicklung einer beruflichen Identität und den Entwurf einer Selbsterzählung, die als Landkarte für ein erfolgreiches Arbeitsleben heute und in naher Zukunft dient. Das Programm unterstützt sie bei der Ausarbeitung und Formulierung eines Karrieredrehbuchs, das ihnen hilft, ihre Arbeit und ihr Leben zu bewältigen. Als solches dient das Programm ihnen als „Career Design Park“.

Eine dritte Gruppe (Teilnehmer an spezialisierten Programmen, wie z. B. das INSEAD Programm EMC) kann in Bezug auf ihre berufliche Orientierung als „auf dem Weg nach draußen“ bezeichnet werden. Oft sind sie Mitte vierzig, haben in der Regel bereits eine beachtliche Karriere hinter sich und verspüren – nicht ungewöhnlich in einer Phase der Midlife-Crisis – das Bedürfnis und den Wunsch, über ihre aktuelle Lebenssituation und ihre zukünftige berufliche und persönliche Ausrichtung nachzudenken. In Bezug auf ihre Selbsterzählung konzentriert sich die Entwicklungsagenda auf das Überprüfen und Umschreiben eines umfassenderen Lebensskripts. Die Arbeit am Drehbuch orientiert sich an Fragen wie: „Was habe ich bisher erreicht? Was plane ich noch zu tun? Was gibt mir Sinn und Freude im Leben? Wofür interessiere ich mich wirklich und wofür bin ich leidenschaftlich unterwegs?“ Für diese Gruppe dient das Programm und die Lernumgebung auf dem Campus als Rückzugsort zur Selbstfindung und radikalisiert den Aspekt der Karrieregestaltung hin zu einer Neuerfindung in Bezug auf Beruf, Karriere – und sogar Leben(sführung). Im Fokus steht nicht nur die Führungsrolle oder die Karriere, es ist das gesamte Lebenskonzept, das überarbeitet und neu geschrieben werden soll.

Die Ausweitung des programmatischen Geltungsbereichs von der Rolle zur Karriere bis hin zum gesamten Lebensentwurf macht deutlich, wie Business Schools ihre Agenda erweitert haben. Ursprünglich konzentriert auf die Befähigung zur Führung eines Unternehmens werden jetzt Lebensstil und „Lebensführung“ mit auf den Lehrplan genommen. Diese Erweiterung bringt uns zu dem Versprechen der persönlichen Transformation und dem Bestreben, das Programm als „Identitätswerkstätte“ zu gestalten (mehr dazu im zweiten Teil).

2.2.2 Blick auf die Schattenseite – die „Januskopf“-Qualität der Psyche eines Leistungsträgers

Business-School-Programme sprechen Personen an, die sehr ehrgeizig, leistungs- und erfolgsorientiert sind. Sie wollen das Beste aus sich selbst und den eigenen Ressourcen herausholen. Ihre psychologische Disposition macht sie offen für Einladungen zu Grandiosität und Selbstüberschätzung. Diese Zielgruppe ist empfänglich für Versprechungen der Selbstverwirklichung, der Entwicklung einer einzigartigen Identität und der Entdeckung des eigenen authentischen Selbst, Merkmale, die zunehmend im Programmmarketing von Business Schools verwendet werden.

Das beschriebene Teilnehmerprofil legt nahe, dass es in Business School Programmen überdurchschnittlich viele sogenannte „Insecure OverachieverFootnote 3 gibt. Nach außen hin erfolgreich und selbstsicher, sind diese Personen innerlich von Selbstzweifeln geplagt, ob sie „gut genug“ sind und den eigenen Leistungsansprüchen gerecht werden können. Eine Person, die von dem Motiv getrieben wird, anderen und sich selbst ihren Wert, ihre Leistung und ihre Legitimität zu beweisen, wird die inhärenten Selbstzweifel, die mit dieser oft tief verwurzelten Unsicherheit verbunden sind, in einem Programm nicht auflösen. Business-School-Programme schüren diesen Konflikt eher, als dass sie ihn beschwichtigen oder lösen. Wie der Begriff „insecure overachiever“ andeutet, sind Unsicherheit und Selbstzweifel Triebfedern für überzogene Leistungsansprüche und -erwartungen, die, werden sie nicht bewusst gemacht und korrigiert, zu Erschöpfung und Burnout führen können. Ideologisch wird dieses Bedürfnis, sich ständig selbst zu überbieten, sich permanent selbst zu optimieren und die eigenen wie die Erwartungen anderer systematisch zu übertreffen, als „Leistung aus Leidenschaft“ kodiert und legitimiert (Boback 2015). Als unbewusster Antrieb macht es das Leistungssubjekt zum Objekt der (Selbst‑) Ausbeutung. Diese Dynamik ist umso heimtückischer, als die ihr zugrunde liegende Bereitschaft zu einer „freiwilligen Knechtschaft“ nicht als Fremdbestimmung wahrgenommen, sondern im Gegenteil als selbstbestimmtes, selbstgesteuertes und autonomes Denken, Fühlen und Handeln erlebt wird. Auf die Dauer schadet diese Form unnachhaltiger Selbstbewirtschaftung nicht nur dem Individuum, sondern auch der Organisation und letztlich der Gesellschaft als ganzer, die mit den Nebeneffekten von Absentismus, Arbeitsausfällen, Krankheit etc. konfrontiert ist und für diese Folgen die Kosten zu übernehmen hat.

Und es gibt ein weiteres prekäres Selbst, das den „unsicheren Höchstleister“ wie ein maligner Doppelgänger begleitet: der „Hochstapler“Footnote 4 bzw. die Angst, als solcher enttarnt zu werden (Kets de Vries 1990, 2005a; Maes 2014). Der objektiv erfolgreiche und kompetente „Hochstapler“ wird von einem Selbstzweifel, einem Unglauben, einem unausgesprochenen Vorwurf heimgesucht, dass mit ihm oder ihr etwas nicht stimmen kann, obwohl oder gerade weil er/sie erfolgreich ist und oft überdurchschnittliche Leistung zeigt. „Hochstapler“ sind überzeugt, dass dies früher oder später von anderen herausgefunden wird, dass sie früher oder später auffliegen. Dieses „Gefühl, ein Betrüger zu sein“ überschattet das Selbstwertgefühl des Einzelnen und untergräbt sein Selbstvertrauen.

Diese Schattenaspekte von ehrgeizigen, leistungsstarken Personen, seien sie nun eher vom Typ „unsicherer Höchstleister“ oder „Hochstapler“, reisen nicht im „offiziellen Gepäck“ des Teilnehmers mit. Sie manifestieren sich erst allmählich, vor allem in multimodularen Programmen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Sie tauchen in der Regel im Coaching auf, sobald dieses Angebot als sicherer und vertraulicher psychologischer Raum erlebt wird. Wo Business Schools ihre Entwicklungsagenda auf Identität, Persönlichkeit und Biografie ausweiten, erhöhen sie auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Schattenthemen „unsicherer Höchstleister“ und „Hochstapler“ – potenziell die Kehrseiten dessen, was Dubouloy (2004, 2006) in anlehnung an Winnicott (1965) als „falsches Selbst“ konzeptualisiert – sich in ihren Programmen manifestieren werden. Coaching als Setting und Dienstleistung wird dabei sowohl zum Übergangs- wie Möglichkeitsraum für das Auftauchen wie die Bearbeitung dieser im Alltag von der Wahrnehmung ausgeschlossenen Themen.

2.3 „Coach und Couch“ – Coaching und die Gestaltung eines sicheren und vertraulichen Raums

Die potenziell janusköpfigen Eigenschaften, die Teilnehmer in den Coaching-Raum mitbringen – ihre hohe Energie, ihre Motivation und ihr Ehrgeiz als offensichtliche Attribute, ihre Ängste, Sorgen und Selbstzweifel als verborgene Züge – machen es noch wichtiger, die psycho- und soziodynamischen Qualitäten eines entwicklungsfördernden Raums in den Blick zu nehmen und Kriterien für Containment, Sicherheit und Vertraulichkeit zu definieren. Coaching von Führungskräften, das sich auch als Lebenscoaching (Life-Coaching) versteht, bietet nicht nur die Möglichkeit, das spezifische Skript für die Führungsrolle zu aktualisieren und zu verbessern, um erfolgreich auf den oberen Führungsetagen zu operieren. Coaching dient auch dazu, das eigene Lebensskript zu überdenken und neu zu schreiben, um ein erfüllteres und glücklicheres Leben als Mensch führen zu können (vgl. Buer und Schmidt-Lellek 2008). Um diese Arbeit, die nicht nur als Verhaltens-, sondern auch als Identitätsarbeit angesehen wird, angemessen zu unterstützen, muss der Coaching-Raum die folgenden Merkmale aufweisen:

Coaching als Setting muss als „sicherer und vertraulicher Raum“ gestaltet werden. Psychologische Sicherheit und Vertraulichkeit sind Grundvoraussetzungen dafür, dass die Teilnehmer über sich selbst nachdenken und sich mit anderen austauschen können. Dies gilt insbesondere für Führungskräfte, die in der Regel unter hohem Leistungs- und Erwartungsdruck stehen und, je erfolgreicher sie sind und je höher sie in der Unternehmenshierarchie aufgestiegen, desto „einsamer“Footnote 5 sind. Vom Coach wird erwartet, dass er Architekt und Baumeister dieses Qualitätsraums ist und sich als Hüter der Vertraulichkeit und psychologischen Sicherheit versteht.

Die Coaching-Agenda muss die Erlaubnis beinhalten, sich selbst als ganzheitliche Person zu betrachten. Im Coaching geht es nicht nur um Rolle, Job, Karriere, Leistung, sondern auch um persönliche Wünsche und Träume, Ängste und Sorgen. Es geht um mich, die Führungskraft, als ganze Person (vgl. Martens-Schmid 2007), nicht nur um meine Rollen; um meine Existenz, nicht nur meine Leistung. Neben der Führung in einer organisatorischen Rolle sollte die Coaching-Agenda offen sein für die Einbeziehung von Aspekten der „Lebens-Führung“. Führungscoaching wird dann zum Lebensführungscoaching.

Coaching sollte eine Übung zur Enttabuisierung sein. Negativ konnotierte Emotionen wie Überlastungsgefühle, Selbstzweifel und Ängste müssen ein Recht darauf haben, offen angesprochen zu werden. Die Folgen von hoher Arbeitsbelastung und Rollenstress, die zu verschiedenen Symptomen wie Versagensängsten oder Burnout führen, können dann als Thema der Selbstführung verstanden und behandelt werden, wenn sie erst einmal aus der Tabuzone geholt sind. Positiv formuliert, sollte Coaching zu einer Übung der Selbstfürsorge und zu einer Zone des Mitgefühls für Menschen werden, die ähnliche Führungsherausforderungen erleben.

3 Business Schools als „Identitätswerkstätten“ – eine neue Agenda

Liest man die Marketingbotschaften auf den Webseiten der Business Schools, wird einem bewusst, dass sich in den letzten Jahren die Perspektive verschoben hat. Wir finden immer noch die Zusicherung, dass die Teilnahme an einem Programm relevante Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen vermittelt, um die Leistung sowohl in der aktuellen als auch in der angestrebten zukünftigen Führungsrolle zu optimieren. Ähnlich verhält es sich mit dem Versprechen, „Kapital“ (im Sinne von Bourdieu) zu akkumulieren, sei es intellektuell durch modernste Geschäftskonzepte, sozial durch die Zugehörigkeit zu einem globalen, hochkarätigen Alumni-Netzwerk oder symbolisch durch die Marke einer führenden Business School. In jüngerer Zeit liegt der Schwerpunkt auf dem Versprechen persönlichen Wachstums, der Aussicht auf eine persönliche Veränderung und dem Identitätswandel, der mit Hilfe einer Programmerfahrung erreicht werden soll. Der Schwerpunkt scheint sich weg von klassischen Themen des allgemeinen Managements wie Strategie, Finanzen, Marketing, Innovation usw. hin zu Identitätsarbeit und persönlicher und beruflicher Veränderung zu bewegenFootnote 6.

Diese Entwicklung, die sich im Marketing widerspiegelt, findet ihre Entsprechung in der akademischen Forschung wie bei der Konzeption und Gestaltung von Entwicklungsprogrammen. Forschungsarbeiten von Wissenschaftlern, die sich gleichermaßen mit Lehre und Coaching befassen (Petriglieri 2011, 2017; Petriglieri und Petriglieri 2010; Korotov 2007), definieren die Rolle, die Business School-Programme spielen sollen neu und organisieren die Inhalte, deren Bearbeitung von Executive-Programmen erwartet werden, um die folgenden konzeptionellen Säulen herum: Identität, Transformation und Portabilität.

3.1 Business School-Programme als Identitätsarbeitsräume

Petriglieri und Petriglieri (2010) gehen von der „Hypothese [aus], dass die wachsende psychologische Distanz zwischen Organisationen und ihren Mitarbeitern dazu geführt hat, dass die Funktion der Bereitstellung von Identitätsarbeitsräumen in Business Schools im Allgemeinen und in Leadership-Kurse im Besonderen investiert wird“ (ebd., S. 8). Veränderungen in der Welt der Organisationen und Unternehmen sowie die Tendenz, die eigene Karriere unabhängig von der beschäftigenden Organisation zu planen, schaffen einen steigenden Bedarf an solcher Identitätsarbeit. Gleichzeitig fehlt es an Räumen und Orten, die diese Arbeit ermöglichen und unterstützen.

Business Schools als Institutionen, die für die Entwicklung von Führungskräften zuständig sind, fühlen sich aufgefordert, diese Lücke zu schließen und sichere institutionelle Arrangements anzubieten, die es ermöglichen, dass die Entwicklung von Führungskräften auch die Entwicklung der Identität umfasst. Sie fühlen sich aufgerufen, „eine Funktion von wachsender Bedeutung zu erfüllen – die Entwicklung einer Managementausbildung, die über die Beeinflussung dessen, was Manager wissen und tun, hinausgeht und sie dabei unterstützt, zu verstehen und zu gestalten, wer sie sind“ (ebd., S. 44). Petriglieri (2011, S. 7) definiert das Konzept des „Identity Workspace“ durch drei Kernmerkmale:

„Ein Identitätsarbeitsraum ist eine Umgebung für Identitätsarbeit – eine Institution, die damit betraut ist, den Prozess der Konsolidierung bestehender oder der Schaffung neuer Identitäten zu erleichtern. Institutionen können als Identitätsarbeitsräume angesehen werden, wenn sie eine Kombination aus drei Merkmalen bieten: konzeptionelle Rahmen und Routinen, die den Mitgliedern helfen, sich selbst und ihre Umgebung zu verstehen und sich darin wohl zu fühlen und kompetent zu handeln; Gemeinschaften, mit denen sie sich identifizieren und die eine Mischung aus Zugehörigkeit, Unterstützung und Herausforderung bieten; und Übergangsriten, die Identitätsentwicklung und Rollenübergänge erleichtern und integrieren.“

3.2 Programme als Übergangsräume für den persönlichen Wandel

Korotov (2007, S. 127 ff.) reflektiert über den besonderen Erfahrungsraum, den ein Führungskräfteentwicklungsprogramm für die Teilnehmer bietet. Er beschreibt dies als „eine besondere Art von Erfahrung, die über die rein akademische Übung der Beherrschung von Theorien oder das Erlernen von Management-Tools hinausgeht. Viele Programme, die sich an Führungskräfte richten, werden als ‚Übergangsprogramme‘, ‚karriere- und lebensverändernde Programme‘ oder ‚Transformationsprogramme‘ beschrieben.“ Ein gemeinsames Verständnis, wie ein solcher Wandel realisiert werden kann und welche Bedingungen dafür gegeben sein müssen, wird von den Organisatoren noch diskutiert. Man kann jedoch davon ausgehen, dass Coaching eine entscheidende Rolle bei der Orchestrierung, Begleitung und Steuerung solcher Erfahrungen zukommt. Coaching steht zum einen für ein spezifisches Programmsetting, zum anderen für ein Ensemble von Instrumenten und Verfahren. Nach Korotov (2007) kann das Setting mit dem psychodynamischen Konzept des „Übergangsraums“ und dem anthropologischen Konzept der „Liminalität“ beschrieben werden. Beide Konzepte gelten als entscheidend für das Verständnis, wie Menschen eine tiefgreifende persönliche und berufliche Veränderung erreichen können. Der „Übergangs- und Grenzraum“ soll dabei günstige Randbedingungen für Selbsterneuerung und persönliche Transformation bieten.

Das Konzept des „Grenz- und Übergangsraums“ wird als Raum zum Experimentieren beschrieben. Indem er „containt“ und damit mit Grenzen und Halt ausgestattet ist, können neue Entwicklungsmöglichkeiten entstehen, mit denen das Individuum spielen und experimentieren kann. In diesem Sinne sind Übergangsräume MöglichkeitsräumeFootnote 7, die ein spielerisches Experimentieren mit neuen „provisorischen Selbsten“ und alternativen Identitäten ermöglichen.Footnote 8

3.3 Die Architektur eines Identitätsarbeitsraums

Petriglieri et al. (2011) positionieren Business Schools und ihre Führungskräfteentwicklungsprogramme als „Identitätslaboratorien“ und „Identitätsarbeitsräume“ und verfeinern die allgemeine Charakterisierung von „sicheren, haltenden, Übergangs- und liminalen Räumen“ mit einer differenzierteren Beschreibung des Programmdesigns für ein solches Labor bzw. einen solchen Arbeitsraum. Sie entwerfen die Architektur des pädagogischen Settings für die Entwicklung von Führungskräften entlang der theoretischen Dimensionen – die die Säulen des Lerndesigns darstellen – der „regressiven Domäne“, operationalisiert mit den Merkmalen „Einkapselung, Neuheit und Intensität“ und der „haltenden Umgebung“, konstituiert durch institutionelle und interpersonelle „Halte“-Merkmale. Was in diesen Programmen geschieht, kann mit den Konstrukten „reflektierendes Engagement“ und „Entwicklungsergebnisse“ beschrieben werden, wie z. B. Selbsterkenntnis, Selbstmanagement und Überdenken von Lebenserzählungen. Damit steht ein Meta-Konzept zur Verfügung, das als Grundlage für die Gestaltung und Durchführung von Entwicklungsprogrammen dienen kann. Eine psychodynamische Ausrichtung ihrer Konzeptualisierung und Modellierung wird deutlich, wenn die Autoren den folgenden Ausblick geben:

„… wir entwickeln ein Modell, wie das Zusammenspiel zwischen den regressiven und haltenden Merkmalen eines intensiven Managementprogramms die Personalisierung (kursiv im Original) des Managementlernens fördert. Wir gehen davon aus, dass der Personalisierungsprozess es der Managementausbildung ermöglicht, die Grundlagen für die Entwicklung von Führungskräften zu schaffen, indem potenziell regressive Erfahrungen in Material für das persönliche Lernen, Experimentieren und Wachstum der Teilnehmer umgewandelt werden.“ (ebd., S. 1)

3.4 „Portabilität“ als Desiderat – die „portable Führungspersönlichkeit“

Dieselben Autoren (Petriglieri et al. 2018) radikalisieren ihre Sichtweise mit dem Konzept der „Portabilität“: Über den Auftrag hinaus, „Identitätsarbeitsräume“ als „sichere Übergangsräume“ zu modellieren, die aufgrund ihrer strukturellen und prozessualen Merkmale als „Container“ bezeichnet werden können, erklären sie die „portable Führungspersönlichkeit“ zu dem für zeitgenössische Organisationen geeigneten Typus. In ihrer Studie wollen sie die Strategien identifizieren, die es den Individuen in den heutigen Organisationen ermöglichen, „portable Identitäten“ zu entwickeln.

„Portable Leadership“ ist das zu entwickelnde Desiderat. „Eine Führungskraft zu sein, bedeutet [heute] … sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, mit anderen verbunden zu sein und ihnen nützlich zu sein … auch ohne eine traditionelle Organisation“. „Die portable Führungskraft ist der Organisationsmensch des 21. Jahrhunderts.“ (Petriglieri 2017)

Die Entwicklung „portabler Führungsqualitäten“ schütze vor den Unwägbarkeiten und Wechselfällen, mit denen der Einzelne heute bei der Planung seines Lebens und seiner Karriere konfrontiert sei. „Portabilität“ ermögliche, sich erfolgreich in der Fluidität eines neoliberalen Arbeitsplatzes zurechtzufinden. Die Autoren stützen sich auf ihre in früheren Arbeiten gestellte Diagnose: Wir leben in einer Welt, in der der psychologische Vertrag zwischen Individuen und Organisationen neu geschrieben wurde. Das Versprechen der Gegenseitigkeit – Beschäftigung als Gegenleistung für Loyalität – ist widerrufen worden. Ein Karrieremodell, das Erfahrung, Zuverlässigkeit und Leistung mit einer Beförderung in höhere Positionen und höherem Einkommen belohnte, ist überholt. Der Einzelne ist mit der Notwendigkeit konfrontiert, seine eigenen Karriere- und Entwicklungskonzepte zu entwickeln. In dieser Hinsicht wird ein Leben „in Bewegung“ nicht nur als normal, sondern als erstrebenswert angesehen, wohl wissend, dass dieser Lebensstil seinen Preis hat. „Die Tatsache, dass man sich im Laufe seines Arbeitslebens mehrmals neu erfinden muss, … bietet die Möglichkeit, seine Arbeit … und seine Identität selbst zu gestalten, macht Identität aber auch gewichtiger und problematischer“ (ebd., S. 4). Weniger Vorschriften, mehr Optionen, mehr Freiheit, die eigene Identität zu entwickeln, bieten den Menschen „eine bemerkenswerte Chance, autonom, einzigartig und erfüllt zu werden, aber der Druck, all das zu sein, kann entmutigend sein“ (ebd., S. 5).

Wie der Einzelne diese Mischung aus Chancen und Risiken erlebt und bewältigt, muss erst noch herausgefunden werden. Business Schools, so das Argument, können jedoch durch ihr Angebot von Programmen, die als „Identitätsarbeitsräume“ konzipiert sind, den Menschen helfen, Identitäten innerhalb diskontinuierlicher Karrieren in einer fluiden Arbeitswelt zu entwickeln. Dieses Angebot macht sie für „portable Führungskräfte“ attraktiv. Dieser Ansatz kann auf alle Arten von Organisationen, Institutionen und Unternehmen angewandt werden. Gestalten die ihre Organisationskultur „portabilitätsfreundlich“, erhöhen sie ihre Attraktivität für „portable Führungskräfte“, die „Organisationsmenschen“ des 21. Jahrhunderts.

4 „Identity Workspace“ als neues Mandat der Business Schools

Zweifellos besteht das Verdienst der hier skizzierten Forschung und der daraus abgeleiteten Überlegungen für Gestaltung und Design von Programmen der Führungskräfteentwicklung darin, die magisch anmutenden Marketingversprechen von „lebensverändernden, transformativen Erfahrungen“ in psychodynamisch informierte Konzepte zu übersetzen und diese Konzeptbildungen in den Kontext der Entwicklungen in Organisationen heute zu stellen. Unternehmen entziehen sich zunehmend der Verantwortung, ihre Führungskräfte zu entwickeln, eine Aufgabe, die auch die professionelle Identitätsentwicklung umfasst. Wenn Unternehmen den psychologischen Vertrag aufkündigen, der Loyalität gegen lebenslange Beschäftigung eintauscht, werden ihre Organisationen zu „undichten Containern“, die bei der Entwicklung professioneller Identitäten letztlich versagen.

Psychodynamisch informiert, stellen die oben zitierten Autoren kohärent fest: Identitätsarbeit braucht Containment. Und die Business Schools sind zu den neuen Containern für die Führungskräfteentwicklung geworden. In ihrer Doppelrolle als Forscher und Praktiker in diesem Feld stellen sie ihre Leistungen wie folgt heraus: Als Wissenschaftler erforschen und konzeptualisieren wir das Feld Leadership Development. Als Experten auf diesem Gebiet haben wir über die Qualität von Lernräumen und die Architektur von Entwicklungsprogrammen für Führungskräfte in einer flüssigen Moderne nachgedacht. Als Pädagogen entwickeln wir schließlich auf der Grundlage unserer Erkenntnisse die passenden Konzepte und führen sie in unseren Programmen im Einklang mit professionellen Standards ein.

Auf dieser Grundlage formulieren sie folgendes neues Mandat für die Institution der Business School: Wir sehen die Entwicklung von Führungskräften als eine unserer Kernaufgaben an. Wir streben danach, Programme als „Identitätsarbeitsräume“ zu gestalten, die die Arbeit am Drehbuch für Rolle, Karriere und Leben unterstützen. Holistisch ausgerichtet schauen wir auf die gesamte Person. In der Breite erlauben wir den Blick auf alle relevanten Lebenswelten der Führungskraft, seien die persönlicher, professioneller oder organisatorischer Art. Und Identitätsarbeit führt uns in die Tiefe von Biographie und Persönlichkeit. Dieses erweiterte Bildungsangebot versetzt uns in die Lage, das Versprechen von Transformation und Portabilität einzulösen. Damit bieten wir die Programme an, die Führungskräfte heute brauchen.

5 Zusammenfassung und weiterführende Überlegungen

Coaching für Führungskräfte, wie es zunehmend im Bereich der Business Schools praktiziert wird, wurde im obigen Beitrag dargestellt als Schaffung eines sicheren Übergangsraums sowie als Entwicklungs- und Unterstützungsmethode für Rollen‑, Karriere- und Lebensdrehbücher. Mit dieser Ausrichtung und Philosophie will sich Coaching nicht nur auf die Leistungserbringung in der Führungsrolle konzentrieren, sondern auch die breiteren humanen Entwicklungsbedürfnisse einer Führungskraft berücksichtigen. Die Erweiterung der Agenda der Programme über eine engere Vermittlung von Führungswissen und Leadership-Kompetenzen hinaus hin zur Entwicklung der Identität in entsprechend dafür designten „Identitätswerkstätten“ bezieht Persönlichkeit und Biographie der Führungskraft in die Entwicklungsarbeit mit ein.

Wenn Coaching in dieser neuen Agenda seine wichtige unterstützende Rolle wirkungsvoll wahrnehmen will, stellt dies für die Arbeit mit Einzelnen und mit Gruppen spezifische Anforderungen an die Coaches. Fürs Einzelcoaching von Führungskräften bedeutet das zum einen, Skriptarbeit für Rolle, Karriere und Lebensentwürfe zu begleiten und zu unterstützen. Doch wenn darüber hinaus Coaching für sich beansprucht, in die Tiefe von Identität, Persönlichkeit und Biographie zu gehen: sind die Coaches dann vorbereitet auf die janusköpfige Dynamik von hochmotivierten, ambitionierten und passionierten Persönlichkeiten, die oft Dynamiken von „unsicheren Höchstleistern“ und „Hochstapler Syndrome“ mit sich führen? Wie diagnostiziert man solche Profile professionell und wie interveniert man angemessen?

Fürs Gruppencoaching ist zu bemerken, dass diese Arbeit in einer emotional hoch aufgeladenen „regressiven Domäne“ von „Einkapselung, Neuheit und Intensität“ (Petriglieri et al. 2011; s. oben) zu leisten ist. Intensität und Emotionalität können Offenheit und neue Perspektiven fördern, aber auch regressiven Prozessen von Abwehr, Verleugnung und Projektion etc. Vorschub leisten. Ist der Coach bereit dazu, eine moderierende, „containende“ Rolle der Steuerung von Gruppenprozessen in einem „regressiven Feld“ wahrzunehmen?

Auf die Teilnehmer geschaut: Sind sie als „Coachees“ darauf vorbereitet, mit persönlichen Schattenseiten konfrontiert zu werden, d. h. in die Regression geführt zu werden und sich dabei heilvollen wie leidvollen Erfahrungen von gruppendynamischen Prozessen in einer „regressive domain“ auseinanderzusetzen? Neben dem Mandat, das die Business Schools für sich postulieren, wäre dabei auch auf den Lern-Kontrakt zu schauen, der für die Teilnahme an solchen Programmen angeboten und besiegelt wird. Beinhaltet dieser Kontrakt klare Ansagen zu den hier sich ändernden Angeboten und Rahmenbedingungen von „Leadership-Development“?

Die hier gemachten Ausführungen legen Weiterführungen in zwei Richtungen nahe: Zum einen bietet sich eine Sichtung und Zusammenstellung von Coachingkonzepten und Methoden an, die psychodynamisch informiert den hier beschriebenen besonderen Kontext der Business School berücksichtigen. Welche Schlüsselkonzepte und Interventionsmethoden psychodynamischen Coachings sind für den hier im Fokus liegenden Kontext relevant und werden im Executive Coaching in Business School-Programmen angewandt? Zum anderen lohnt sich ein zweiter genauerer Blick auf die neue Sichtweise von Programmen als „Identitätswerkstätten“ mit den Versprechen von Transformation und Portabilität. Welcher Zeitgeist befördert die Konzentration auf Identität? Ist Transformation nicht ein Decktitel für die Ausrichtung auf permanente Veränderung und Anpassung? Und Portabilität die Hidden Agenda für die Abrichtung auf einen total flexibilisierten Arbeits- und Lebensstil? Zeichnet sich hier nicht eine neue „Gouvernementalitätsagenda“ (Foucault 2005) für eine neoliberale Führungselite ab, für die sich Business Schools als die bevorzugten Sozialisationsagenturen in Stellung bringen?