1 Einleitung

Moderne Industriegesellschaften setzen auf Menschen, die ihre persönlichen und beruflichen Ziele eigenständig entwickeln und verfolgen, ihr Handeln langfristig geplant ausgestalten und dafür Verantwortung übernehmen. Dieses Menschenbild des „self organizing man“ bzw. der „self organizing woman“ löst das Verständnis eines eher reaktiven, an der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse bzw. der Existenzsicherung ausgerichteten Menschen ab (Karsch und Müller 2020, S. 12 f.).

Von Führungskräften wird die Fähigkeit zur Selbstorganisation und -führung in mehrfacher Hinsicht gefordert. So gilt es, die eigenen Arbeitsabläufe zu strukturieren, Vorbild für Mitarbeiter:innen zu sein und diese in ihren eigenen Prozessen der Selbstführung anzuleiten und dafür zu qualifizieren (Müller et al. 2018, S. 69 ff.). Auch wird von Führungskräften die Integration vielfältiger Erwartungen unterschiedlicher Akteure (Kolleg:innen, Kund:innen, Vorgesetzte u. a.) erwartet, sie haben sich verändernde gesellschaftliche Kontexte zu berücksichtigen, damit zusammenhängende organisationale Dilemmata zu managen (Grunwald 2022, S. 92 ff.; Merchel 2015, S. 285 f.) und sollten dabei eigene Werte, Normen, Ziele und Wünsche nicht aus den Augen verlieren.

Der vorliegende Beitrag geht von dem Konzept der Selbstführung aus, wie es von Charles Manz (1986) entwickelt wurde. Neck und Manz (2013, S. 4 f.) beschreiben Selbstführung als „the process of influencing oneself“ und sehen das Ziel von Selbstführung darin, „develop a framework capable of helping you motivate yourself to achieve your personal goals“. Unsere Interviewstudie fragt nach dem Verständnis von Selbstführung bei langjährig berufserfahrenen Führungskräften und nach den Handlungsstrategien, welche die Führungskräfte für sich als hilfreich für eine dauerhaft effektive und zufriedene Arbeitsausführung ansehen. Auch werden individuelle, soziale und institutionelle Faktoren erfragt, die die Selbstführung erschweren. Die Interviewstudie fand mit Führungskräften aus sozialwirtschaftlichen Unternehmen statt und wurde in einem Lehr-Forschungs-Projekt des Master-Studiengangs „Management in sozialwirtschaftlichen und diakonischen Organisationen“ an der Evangelischen Hochschule Bochum ausgewertetFootnote 1. Die Begrenzung auf Führungskräfte aus dem sozialwirtschaftlichen Bereich liegt in der spezifischen Expertise der Autor:innen begründet.

Das Forschungsanliegen erhält im Kontext der Corona-Pandemie und der damit verbundenen veränderten betrieblichen Handlungsabläufe, Rollensettings und beruflichen Belastungen auch eine präventive Funktion. Das differenzierte Verständnis dessen, was Führungskräfte in ihrer Selbstführung unterstützt, kann Fehlbelastungen und Burnout vorzubeugen helfen. Bildat und Torka (2019) belegen in ihrer Meta-Analyse den Zusammenhang von Führungskompetenzen und -verhalten mit dem psychischen Belastungserleben der Mitarbeiter:innen. Auch trägt die Fähigkeit der Vorgesetzten, Mitarbeitende für die Organisationsziele zu gewinnen und eine wertschätzende Organisationskultur zu fördern, zur Reduktion der Mitarbeiterfluktuation bei (Felfe 2020, S. 141 ff.; Lipkau 2019).

Im Folgenden wird auf den Forschungsstand zur Selbstführung eingegangen, relevante Teilprozesse des Selbstführungskonzepts beschrieben und Selbstführung von Selbstfürsorge abgegrenzt. Dem schließen sich Ausführungen zur Methodik der Interviewstudie und die Stichprobenbeschreibung an. Im Ergebnisteil findet sich im ersten Schritt das auf Basis der Interviewdaten konstruierte Kategoriensystem zur Selbstführung. Darauf folgen Resultate zu den Entwicklungs- und Schutzfaktoren zur Selbstführung und im dritten Schritt eine Analyse der individuellen, sozialen und institutionellen Faktoren, die die Selbstführung erschweren. In der Diskussion werden Schlussfolgerungen für die konzeptionellen Grundlagen der Selbstführung abgeleitet, Fragen des Transfers für Prozesse in Supervision und Coaching diskutiert und Handlungsimplikationen für Führungskräfte abgeleitet.

2 Selbstführung und Selbstfürsorge

Den Ausgangspunkt der Begriffe Selbstführung und Selbstfürsorge bildet das hypothetische Konstrukt des „Selbst“. Als innerer Anteil und Kern der Persönlichkeit nicht direkt beobachtbar, lässt es sich nur indirekt über das Verhalten erschließen. Im Selbst findet sich die Einzigartigkeit einer Person (z. B. individuelle Werte, Lebensziele, Kompetenzen), die sich im Prozess der Selbstreflexion und im Austausch mit der sozialen Umgebung herausbildet (Hannover und Greve 2018). Das Selbst als Bündel biografischer Erfahrungen in Verbindung mit den biologischen Merkmalen einer Person (Geschlecht, anatomische Merkmale u. a.) verfestigt sich in der Jugendphase, während der Ausbildungs- bzw. Studienzeit und entwickelt sich durch weitere Lebenserfahrungen fort (z. B. den Berufsstart, die Elternschaft, kritische Lebensereignisse wie Erwerbslosigkeit). Der Unterschied zwischen dem Ideal- und dem Real-Selbst (Wunschbild: „Das möchte ich gern sein“ vs. aktuell beschreibbare Merkmale einer Person: „Das bin ich“) bilden die Ausgangsmotivation zur persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung (Greve 2007, S. 312 f.).

Selbstführung schließt hier konzeptionell an, indem sie auf die der Persönlichkeit entsprechende Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Arbeitstätigkeit gemäß eigenen Zielen, Visionen und persönlichen Voraussetzungen abzielt (Neck et al. 2019, S. 7 ff.). Selbstführung in seinem aktuellen arbeitspsychologischen Verständnis weist eine Schnittmenge zum Selbstmanagement auf. Selbstmanagement ist dabei stärker auf die Optimierung von Arbeitsabläufen gerichtet und schließt insbesondere das Zeit- und Stressmanagement sowie die Selbstentwicklung ein (vgl. Graf 2019). Furtner und Baldegger (2016, S. 61 f.) sehen das Selbstmanagement als Teil der Selbstführung an, betonen darüber hinaus, dass Selbstführung weitere kognitive, emotionale und motivationale Prozesse im Sinne der aktiven Selbststeuerung zur Abstimmung von Persönlichkeit und beruflichem Handeln einschließt.

Selbstführung ist nicht zwangsläufig ein bewusster und von der Person reflexiv gesteuerter proaktiver Prozess. Neben der bewussten Selbstführung sind Anteile der unbewussten Selbstführung in Form von Handlungsroutinen und Verhalten relevant, die spontan emotionalen Impulsen folgen. Die bewusste Selbstführung unterteilen Müller et al. (2018, S. 8 ff.) in die latente, dem Prinzip von Versuch und Irrtum folgende, und die bewusst reflexive Selbstführung. Bei der latenten Selbstführung besteht ein Spannungsfeld zwischen Impulsivität und bewusstem kontrolliertem Handeln. In der vorliegenden Studie werden vorrangig Prozesse der bewussten Selbstführung untersucht, die der Selbstreflexion der befragten Führungskräfte unmittelbar zugänglich sind.

Die bewusste, reflektierte Selbstführung beinhaltet nach Müller und Braun (2009, S. 66 f.) die Aspekte Selbstbeobachtung (z. B. tatsächliche eigene Leistungsmöglichkeiten, eigene Bedürfnisse betrachten u. a.), Willenssteuerung (z. B. Prioritäten stzen, die Handlungsplanung u. a.), Gefühlsregulation (z. B. Umgang mit Frustrationen, Enttäuschungen u. a.), Selbstmotivierung (z. B. Leistungsanreize stzen, Arbeitsabläufe gestalten u. a.) und die Entwicklung einer proaktiven Denkhaltung (z. B. Probleme als Herausforderung betrachten, eigenen Fähigkeiten vertrauen u. a.). Theoretische Bezüge der Selbstführung werden in der Trias von Grundhaltung, Motivation und Handlungssteuerung der Führungskräfte aus der humanistischen Psychologie, der Selbstbestimmungstheorie (Deci und Ryan 1987), der Sozial-kognitiven Theorie (Bandura 1986) und dem Rubikon-Modell der Verhaltenssteuerung (Heckhausen et al. 1987) abgeleitet (zur Vertiefung s. Furtner und Baldegger 2016, S. 63 ff.). Im Spannungsfeld zwischen psychologischer und betriebswirtschaftlicher Diskussion der Konzepte fehlt jedoch ein integratives Modell zur Beschreibung und Erklärung der Praxis der Selbstführung erfolgreicher Führungskräfte (Bensemann 2011, S. 10; s. auch Schäffer-Külz 2016, S. 340).

Selbstführung zeigt in empirischen Studien einen positiven Zusammenhang zur Identifikation mit den Arbeitsinhalten, der beruflichen Vitalität, Arbeitszufriedenheit und Arbeitsleistung (Furtner und Baldegger 2016, S. 83 ff.). Majkovic et al. (2020, S. 4) verweisen darüber hinaus darauf, dass eine gesteigerte Selbstführungskompetenz mit „effektiveren Bewältigungsstrategien, Optimismus, besserer Gesundheit und weniger Stress im Arbeitsleben“ einhergeht.

Bei der begrifflichen Abgrenzung der Selbstführung von verwandten Konzepten erscheint insbesondere die Unterscheidung zur Selbstfürsorge relevant (Hoffmann und Hoffmann 2020; Juchmann 2022). Selbstfürsorge zielt im Unterschied zur Selbstführung auf den Umgang und die Bewältigung berufsbedingter physischer und psychischer Belastungen, auf Burnout- und Krankheitsprävention, auf den Verzicht auf Verhaltensweisen, die der eigenen Person schaden (z. B. überlange Arbeitszeiten, Suchtmittelgebrauch), auf die Vermeidung negativer Rückwirkungen auf die Arbeitstätigkeit (Überidentifikation, Gereiztheit, Unsicherheit u. a.) sowie auf die „Erhaltung und Förderung von Neugierde, Interesse und Freude“ (Hoffmann und Hoffmann 2020, S. 28) in der Berufsausübung. Dahl (2019, S. 69 f.) sieht in der Selbstfürsorge die Integration von drei Aspekten: „sich selbst liebevoll und wertschätzend zu begegnen, das eigene Befinden und die eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen und aktiv zum eigenen Wohlergehen beizutragen.“ Dies schließt körperliche, emotionale, kognitive, soziale und spirituelle Selbstfürsorge ein. Für die vorliegende Interviewstudie ist es von Interesse, ob die befragten Führungskräfte bei ihrer Beschreibung von Selbstführung auch Aspekte der Selbstfürsorge ansprechen und wie sie diesen Zusammenhang begründen.

Eine rekonstruktive Interviewstudie zur Beschreibung von Selbstführung in betrieblichen Kontexten liegt von Majkovic et al. (2020) vor. Die Studie fragt danach, „wie das Individuum, das Team und die Organisation mit Selbstführung in selbstorganisierten Arbeitskontexten umgehen und wie sie dies in der Praxis umsetzen“ (ebd., S. 4). Die Autor:innen analysieren Selbstführung im Kontext von organisationalen Selbstorganisationsprozessen. Insbesondere geht es ihnen um die Analyse von Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren, von notwendigen Kompetenzen und Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Selbstführung auf der individuellen, der Team- und der Organisationsebene. Als zentrale Ergebnisse beschreiben die Autor:innen, dass für eine effektive Selbstführung „Entwicklungs- und Veränderungsbereitschaft, Reflexionsfähigkeit, Selbstinitiative und ein hohes Verantwortungsbewusstsein“ (ebd., S. 32) notwendig sind. Von großer Bedeutung erwiesen sich darüber hinaus ein unterstützendes Verhalten der Vorgesetzten und ein lernförderliches Arbeitsklima.

Im folgenden Abschnitt werden die methodischen und inhaltlichen Grundlagen der Interviewstudie vorgestellt.

3 Methodische Grundlagen der Interviewstudie

3.1 Forschungskonzept, Fragestellung und Stichprobengewinnung

Die Interviewstudie verortet sich konzeptionell im Bereich der qualitativen Sozialforschung (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2009). Forschungsmethodisch wurde ein rekonstruktiver Zugang gewählt, d. h. ausgehend von den beruflichen Sozialisationserfahrungen der Führungskräfte fragt die Studie nach den Handlungsstrategien der Selbstführung im beruflichen Alltag. Das Erkenntnisinteresse richtet sich auf das subjektive Erleben, die berufliche Erfahrungswelt und die Rekonstruktion der von berufserfahrenen Führungskräften erlebten organisationalen Prozesse (Gläser und Laudel 2010, S. 111 ff.). Im Folgenden werden Ergebnisse zu drei Teilfragen vorgestellt (zu weiteren Ergebnissen des Forschungsprojekts s. Balz 2023):

  1. 1.

    Wie beschreiben berufserfahrene Führungskräfte ihre Selbstführung?

  2. 2.

    Welche Entwicklungs- und Schutzfaktoren benennen die Führungskräfte für ihre Selbstführung?

  3. 3.

    Welche individuellen, sozialen und institutionellen Faktoren erschweren die Selbstführung?

Auf Basis der Literaturrezeption wurde ein halbstrukturierter Interviewleitfaden erarbeitet und in einem Pretest auf Durchführbarkeit und Verständlichkeit geprüft (zur Interviewentwicklung s. Gläser und Laudel 2010, S. 41 ff.). Die Studie ist als Experteninterview konzipiert. Es galt, dafür Führungskräfte aus sozialwirtschaftlichen Unternehmen mit mindestens zwei Jahren Führungserfahrung und der Beauftragung mit Aufgaben der Personalführung zu gewinnen. Informationen über die Interviewstudie wurden dazu auf den Internetplattformen social.net, erzieherin.de und social.de platziert. Auch erfolgte die Werbung zur Teilnahme über das Absolvent:innennetzwerk des Master-Studiengangs „Management in sozialwirtschaftlichen Organisationen“ der Evangelischen Hochschule Bochum.

3.2 Befragungs- und Auswertungsmethoden

Im Vorfeld der Interviews erhielten die Interessent:innen, die per E‑Mail Kontakt aufgenommen hatten, eine schriftliche Information zu den Zielen, Inhalten und zur Durchführung der Befragung. Die leitfadengestützten Interviews wurden dann über das Videokonferenzsystem Zoom geführt. Bei vier Personen (vor Ort) fanden die Interviews live statt. Die Interviews hatten eine Dauer zwischen 45 und 75 min. Die Audioaufnahmen der Interviews wurden anschließend unter Verwendung einfach strukturierter sprachanalytischer Transkriptionsregeln verschriftlicht (s. Balz 2023). Die Transkripte bildeten die Grundlage der qualitativen Inhaltsanalyse der Interviews mit dem Ziel der Erstellung von Kategoriensystemen: a) zum Verständnis der Selbstführung (Begriffs- und Handlungscluster der Selbstführung) und b) zur Analyse von Entwicklungs- und Schutzfaktoren zur Selbstführung der Führungskräfte.

Das von Mayring (2015, S. 70 ff.) entwickelte Phasenmodell zur Inhaltsanalyse bildete die Grundlage für den Prozess der induktiven Kategorienbildung. Die Kategorien wurden nicht im Sinne deduktiver Zuordnung aus den Grundlagentheorien abgeleitet, sondern induktiv auf Basis des vorliegenden Interviewmaterials abgeleitet. Ausgangspunkt der inhaltsanalytischen Arbeit zu den Kategoriensystemen war das Ermitteln thematisch relevanter Interviewpassagen. Dieses Material wurde in einem Gruppengesprächsprozess im Kontext des Lehr-Forschungs-Projekts ausgewertet und bildete die Basis für die Entwicklung der Kategoriensysteme. In einem iterativen Diskussionsprozess wurden die Kategorien und in weiterer Untergliederung dazu Unterkategorien abgeleitet sowie inhaltsprägnante Bezeichnungen und Definitionen für die jeweiligen (Unter‑)Kategorien formuliert.

Um die Zuordnungsgenauigkeit der Interviewpassagen und damit Aussagen zur ReliabilitätFootnote 2 der durchgeführten Studie treffen zu können, wurden beide Kategoriensysteme von mehreren Beurteiler:innen (Rater:innen) überprüft. Diese als „Intercoderreliabilität“Footnote 3 bezeichnete Reliabilitätsbestimmung wurde beim Kategoriensystem zum „Allgemeinen Verständnis von Selbstführung“ und für das Kategoriensystem „Entwicklungs‑/ Schutzfaktoren“ von jeweils drei Rater:innen durchgeführt.

Bei dem ersten Kategoriensystem wurden von 75 Zitaten mindestens 51 Zitate der entsprechenden (Sub‑)Kategorie übereinstimmend zugewiesen (1. Rater:in: 55 Treffer; 2. Rater:in: 59 Treffer; 3. Rater:in: 51 Treffer). Bei dem zweiten Kategoriensystem galt es, insgesamt 58 Zitate zu überprüfen, von denen ein/eine Rater:in 52 Treffer, der/die zweite Rater:in 40 Treffer und der/die dritte Rater:in 28 Treffer erzielten. Insgesamt ließ sich für das erste Kategoriensystem eine vergleichsweise hohe Zuverlässigkeit und für das zweite Kategoriensystem eine noch befriedigende Intercoderreliabilität bei der Zuordnung der Interviewpassagen zu den Kategorien ermitteln.

3.3 Stichprobenbeschreibung

An der Interviewstudie nahmen 30 Führungskräfte (13 männlich, 43,3 %; 17 weiblich, 56,6 %) aus sozialwirtschaftlichen Organisationen teil. Im Folgenden werden die Stichprobenmerkmale beschrieben:

Berufliche Aufgaben:

11 Personen (36,6 %) gaben an, Einrichtungsleitung, 9 Geschäftsführer:in (30,0 %), 7 Fachbereichs- bzw. Projektleiter:in (23,3 %) und 2 Personen Teamleiter:in (6,6 %) zu sein. Mit insgesamt 20 Personen (66,6 %) sind die oberen Hierarchieebenen (Einrichtungsleitung und Geschäftsführung) in der Stichprobe vergleichsweise stark vertreten.

Arbeitsfelder:

10 Personen (33,3 %) arbeiten im Bereich der Kinder‑/Jugendhilfe, gefolgt von dem Bereich Kindertagesstätten/Familienzentren mit 5 Personen (16,6 %). 4 Befragte (13,3 %) sind aus Bildungsinstitutionen (Schulen und Universitäten), je 3 Personen (je 10,0 %) aus der Behindertenhilfe und einer Alten- bzw. Pflegeeinrichtung sowie 5 Personen (16,6 %) aus weiteren Arbeitsfeldern (s. Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Arbeitsbereiche der Befragten

Berufliche Qualifikation:

Als berufliche Ausgangsqualifikation bringen 15 Personen (50 %) ein Studium der Sozialarbeit bzw. Sozialpädagogik mit. Jeweils 3 Personen (10 %) sind Erzieher:in und Sozialmanager:in. Je 2 Personen (6,6 %) geben als berufliche (Ausgangs‑)Qualifizierung Erziehungswissenschaftler:innen und Alten- und Gesundheitspfleger:innen an. Weitere 5 befragte Personen (16,6 %) kommen aus weiteren Berufen, davon sind 3 Personen (9,9 %) fachfremd (Jurist:in, Wirtschaftswissenschaftler:in und Organisationsentwickler:in).

Berufserfahrung:

15 Personen (43,2 %) sind seit mehr als 10 Jahren, 8 Personen (26,6 %) seit 5–9,9 Jahren in einer Führungsposition tätig, weitere 6 Personen (20 %) 2–4,9 Jahr. 3 Personen (10 %) sind weniger als 2 Jahre als Führungskraft (Auswahlkriterium) beschäftigt. Diese 3 Personen wurden nicht aus der Auswertung ausgeschlossen, da bei ihnen die anderen Auswahlkriterien der Befragung erfüllt sind.

Personalverantwortung:

Die interviewten Personen wurden hinsichtlich der direkt unterstellten Mitarbeiter:innen befragt. 2 interviewte Personen (6,6 %) gaben an, dass sie Personalverantwortung für über 100 Mitarbeiter:innen haben, 12 Führungskräfte (40 %) haben zwischen 20 und 100 Mitarbeiter:innen direkt unterstellt und 15 Personen (50 %) besitzen Personalverantwortung für 1–19 Mitarbeiter:innen. Eine Person hat keine:n direkt unterstellten Mitarbeiter:in (Auswahlkriterium). Auch sie wurden in der Stichprobe behalten, da sie die anderen Auswahlkriterien erfüllten.

4 Ergebnisse

4.1 Inhaltsanalyse zum Begriffsverständnis von Selbstführung

Zur ersten Forschungsfrage nach dem Begriffsverständnis von Selbstführung und zu den beruflichen Handlungen im Kontext der Selbstführung wurden die relevanten Interviewpassagen in dem Gruppenauswertungsprozess des Lehr-Forschungs-Projekts inhaltsanalytisch geclustert. Die Inhaltsanalyse ergab vier Hauptkategorien zum Begriffsverständnis von Selbstführung:

  1. 1.

    Arbeitsstrukturierung/ und -organisation (Selbstmanagement),

  2. 2.

    Beobachtung und Reflektieren des eigenen Verhaltens, der Belastungssituation und der eigenen Arbeitsmotivation,

  3. 3.

    Strategien der (physischen und psychischen) Selbstentlastung (zur Vorbeugung vor oder zur Reduktion von Überlastung),

  4. 4.

    Berufliches Handeln, das auf Selbstbestimmung und Stärkung der eigenen Selbstverantwortung (entsprechend der eigenen Werte und Normen) abzielt.

Die Kategorie 1 fasst jene Handlungen und weitere innerpsychische Prozesse (z. B. Planbildung, Prioritäten abwägen u. a.) zusammen, die die Führungskraft zur differenzierten Strukturierung und Überwachung von Arbeitsabläufen im Arbeitsalltag selbst ausführt, und kommunikative Prozesse des Austauschs und der Rückmeldung, die in Kooperation mit anderen Mitarbeiter:innen stattfinden. Eingeschlossen sind dabei auch Prozesse des Delegierens an und der Partizipation von Mitarbeiter:innen. Aspekte dieser Kategorie wurden am häufigsten genannt (insgesamt 89 Nennungen von Einzelaspekten; Mehrfachnennungen summiert, wie auch bei den folgenden Kategorien).

Die Kategorie 2 umfasst jene innerpsychischen Prozesse und Handlungen, bei denen die Führungsperson ihr eigenes Handeln wahrnimmt, reflektiert und bewertet. Zudem umfasst diese Kategorie auch die Beobachtung und das Reflektieren über die eigene berufliche Belastungssituation und die persönliche Arbeitsmotivation. Hierzu gab es insgesamt 16 Nennungen.

In der Kategorie 3 sind Handlungen und innerpsychische Prozesse zusammengefasst, die entweder vorbeugend oder nach Eintreten zur Reduzierung des beruflichen Belastungs- und Stressniveaus beitragen. Zu den Strategien der (physischen und psychischen) Selbstentlastung gab es insgesamt 33 Einzelnennungen (Mehrfachnennungen summiert).

Die Kategorie 4 bündelt berufliches Handeln und Prozesse, die auf Selbstbestimmung und Stärkung der eigenen Selbstverantwortung gerichtet sind. Dies kann sich auf die eigene professionelle Grundhaltung, das Handeln nach eigenen Werten und Normen und die Erweiterung des beruflichen Autonomiespielraums als Führungskraft richten. Hierzu gab es insgesamt 24 Nennungen.

Betrachtet man die Einzelnennungen, so wurden folgende Aspekte am häufigsten genannt (berücksichtigt werden Aspekte mit mindestens 8 Nennungen, jeweils in Klammer zusammen mit der entsprechenden Hauptkategorie angegeben):

  • (Während der beruflichen Tätigkeit auf die Zielerreichung) fokussiert und konzentriert bleiben (12 Nennungen; Kat. 1)

  • Zeitmanagement (u. a. Vor- und Nachbereitung von Arbeitsprozessen) beachten (10 Nennungen; Kat. 1)

  • Abgrenzungen (gegenüber externen Anforderungen) bzw. Reduzieren des eigenen Handelns (der Arbeitsintensität und/oder -inhalte) (10 Nennungen; Kat. 3)

  • Prioritäten setzen (bei Zielen und Arbeitsinhalten) (9 Nennungen; Kat. 1)

  • (der fachliche) Austausch mit Vorgesetzten und Führungskolleg:innen (9 Nennungen; Kat. 1)

  • (Ausrichtung auf) Selbstorganisation und -steuerung (9 Nennungen; Kat. 4)

  • (den Mitarbeiter:innen gegenüber) Vorbildfunktion einnehmen (8 Nennungen; Kat. 1)

  • Reflexion des eigenen (beruflichen) Handelns (8 Nennungen; Kat. 2)

  • (Herstellen bzw. Achten auf eine) Balance zwischen Beruf und Privatem (8 Nennungen; Kat. 3)

Neben der Frage, was die befragten Führungskräfte unter Selbstführung verstehen, geht es um die Analyse der Faktoren, die zur Entwicklung der Selbstführung in der (Berufs‑)Biografie beitragen, und um die Beschreibung der individuellen Handlungsstrategien bzw. der betrieblichen Maßnahmen, die die Selbstführung fördern bzw. (wieder) stärken.

4.2 Entwicklungs- und Schutzfaktoren der Selbstführung

Die Inhaltsanalyse zur zweiten Forschungsfrage nach den Entwicklungs- und Schutzfaktoren zur Selbstführung ergab vier Hauptkategorien:

  1. 1.

    individuelle biographische Bildungserfahrungen und berufliche Lernprozesse,

  2. 2.

    persönliche Faktoren und interpersonale Prozesse zur Steigerung der Selbstführung,

  3. 3.

    Prozesse zur Überprüfung oder ggfs. Wiederherstellung der Selbstführung,

  4. 4.

    Wünsche und Vorschläge zur Optimierung der Selbstführung (in der Zukunft).

Die Kategorie 1 umfasst all jene biographischen (Lern‑)Erfahrungen und Ereignisse, die zum Erwerb der Selbstführung von Führungspersonen beitrugen. Es handelt sich hier um familiäre und außerfamiliäre Sozialisationsprozesse, um Bildungsprozesse und berufliche Lernprozesse (z. B. Anleitung durch frühere Vorgesetzte). In der Inhaltsanalyse wurden insgesamt 92 Nennungen zu dieser Kategorie ermittelt (Mehrfachnennungen von Einzelaspekten zur Kategorie 1 summiert, wie bei den folgenden Kategorien).

In dieser Kategorie 2 sind persönliche Voraussetzungen (z. B. Fähigkeiten, Persönlichkeitsmerkmale der Führungskraft), der soziale Austausch und das Feedback vorwiegend von Personen im beruflichen Umfeld, mit Personen innerhalb und außerhalb des betrieblichen Rahmens (Supervisor:innen und Coaches; Ehepartner:in, Freund:innen) zusammengefasst. Zu dieser Kategorie wurden insgesamt 137 Interviewpassagen gefunden.

Die Kategorie 3 umfasst Handlungen und innerpsychische Prozesse, die die Führungsperson ausführt, um ihre Selbstführung zu überprüfen und ggfs. Korrekturen vorzunehmen. Dies umfasst das Bewerten des eigenen Verhaltens, das Überprüfen eigener Ziele, die professionelle Haltung entsprechend eigenen Vorstellungen sowie die Anwendung von Handlungsstrategien im Arbeitsalltag zur Orientierung und Stabilisierung. Zu dieser Kategorie erfolgten 72 Nennungen.

Die Kategorie 4 ist auf die Zukunft gerichtet und erfasst Wünsche und Vorschläge für die äußeren Rahmenbedingungen (Genehmigung von Bildungsurlaub, Bezuschussung von sportlichen Aktivitäten), betriebliche Angebote (z. B. Fortbildungen, Coaching, präventives Krisenmanagement) und allgemeine Aspekte der Arbeitsbeziehung (Wertschätzung, größerer Gestaltungsspielraum). In dieser Kategorie gab es insgesamt 30 Nennungen.

Die quantitative Häufigkeitsanalyse der Einzelnennungen zu den Entwicklungs- und Schutzfaktoren für die Selbstführung ergab folgendes Ergebnis (berücksichtigt werden Aspekte mit mindestens 15 Nennungen):

  • Supervision und/oder Coaching (insgesamt 27 Nennungen; Kat. 2)

  • Gespräche mit unterstellten Mitarbeiter:innen (24 Nennungen; Kat. 2)

  • Erfahrungslernen, Lernen durch Einsicht und Vorbilder (22 Nennungen; Kat. 1)

  • Gespräche mit Führungskolleg:innen (20 Nennungen; Kat. 2)

  • Fort- und Weiterbildungen (19 Nennungen; Kat 1)

  • Selbstreflexion (18 Nennungen; Kat. 3)

  • Der Wunsch, Fortbildungen und Coachings (finanziert) zu bekommen (16 Nennungen; Kat. 4)

  • Lernen an beruflichen Modellen (15 Nennungen; Kat. 1)

Als Instrumente der Selbstreflexion und des Feedbacks werden am häufigsten Supervision und Coaching genannt. Dabei suchen die Befragten einen Abgleich von Selbst- und Fremdwahrnehmung, z. B. in Form von Bestätigung, Unterstützung, Korrektur durch für sie bedeutsame Andere. Einige Teilnehmer:innen heben auch die besondere Relevanz von Sozialisationserfahrungen hervor (z. B. sportliche, politische oder ehrenamtliche Engagements vor dem Eintritt in das Berufsleben, sowie Auslandsaufenthalte).

4.3 Beeinträchtigende Einflussfaktoren für die Selbstführung

Zur Forschungsfrage 3 nach den Aspekten, die die Selbstführung einschränken bzw. behindern, ließen sich folgende Themenbereiche ermitteln (in Klammern die Anzahl der Nennungen; Mehrfachnennungen möglich):

  1. 1.

    Rahmenbedingungen der Organisation bzw. der Arbeitsprozesse (Zeitmangel, Arbeitsaufkommen zu hoch, Personalmangel, fehlende Fortbildungen, Unterfinanzierung der Dienstleistungen u. a.) (63 Nennungen; Mehrfachnennungen summiert),

  2. 2.

    Einflüsse aus der persönlichen Lebenswelt und weitere persönliche Aspekte (fehlende persönliche Ressourcen, private Belastungen, Krisen, fehlende Abgrenzung, fehlende Achtsamkeit, Mangel an Selbstreflexion) (44 Nennungen),

  3. 3.

    Form der fachlichen Kommunikation (keine Fehlerkultur, fehlende Kommunikationsstruktur und Feedback in der Organisation, fehlende Fallberatung/Supervision, Teamkonflikte u. a.) (33 Nennungen),

  4. 4.

    Arbeitsbelastung (erhöhter Erwartungsdruck, Unterschätzung der Arbeitsaufgabe, zu große Verantwortung u. a.) (20 Nennungen),

  5. 5.

    berufliche Unsicherheit für die Führungskraft (Vertragsmodalitäten, Rollen- und Aufgabenunklarheit bei der Führungskraft) (6 Nennungen).

Der Themenbereich 1 fasst vielfältige Rahmenbedingungen zusammen, die sich aus dem Zeitmangel (für die Selbstreflexion und neue Entwicklungen; 16 Nennungen), dem Personalmangel (bedingt durch Krankheit und Fachkräftemangel; 10 Nennungen), strukturellen Hindernisse im Kontext der Organisation (8 Nennungen), Herausforderungen in der Arbeitszeitplanung (7 Nennungen), fehlenden finanziellen Mitteln (13 Nennungen), zu wenig Freiräume für selbstgesteuertes Handeln (6 Nennungen) und fehlenden Fortbildungen bzw. Fachwissen (3 Nennungen) ergeben.

Im Themenbereich 2 sind gebündelt: Fehlende (Selbst‑)Reflexion (11 Nennungen), Belastungen im privaten Bereich (10 Nennungen), fehlende Selbstverantwortung/Achtsamkeit (9 Nennungen), fehlende Abgrenzung (gegenüber weiteren Anforderungen in der Organisation; 6 Nennungen), das Fehlen von persönlichen Ressourcen/Kompetenzen (6 Nennungen) und der fehlende Wille zur Selbstführung (2 Nennungen).

Für den Themenbereich 3 (Fachliche Kommunikation) wurden Schwierigkeiten im Team (14 Nennungen), fehlende Kommunikationsstrukturen (9 Nennungen), fehlendes Feedback (6 Nennungen), die nicht gelebte Fehlerkultur bzw. Angst, Fehler zu machen (3 Nennungen) sowie keine kollegiale Beratung bzw. Supervision (3 Nennungen) genannt.

Der Themenbereich 4 (Belastung in Arbeitsprozessen) beinhaltet den wahrgenommenen Stress in Arbeitsprozessen (6 Nennungen), den Leistungsdruck (5 Nennungen), die hohe Verantwortung (4 Nennungen), das Unterschätzen der gestellten Aufgaben (4 Nennungen) und neue bzw. höhere Erwartungen (3 Nennungen).

Der abschließende 5. Themenbereich der beruflichen Unsicherheit der Führungskraft beinhaltete die Unsicherheit bezüglich des Erhalts der eigenen Arbeitsstelle (2 Nennungen) und die Unklarheit über die Aufgabenbereiche und die Rollenklarheit für die Führungskraft (4 Nennungen).

5 Diskussion und Fazit

Die Interviewstudie zeigt ein differenziertes Bild von Selbstführungsprozessen, die durch eine Wechselwirkung individueller Merkmale, sozialer Faktoren und institutioneller Bedingungen geprägt sind. Die Beschreibung der Handlungsstrategien zur beruflichen Selbstführung (Forschungsfrage 1) weist bei den Führungskräften einen Schwerpunkt im Bereich des Selbstmanagement auf. Neben der Zielfokussierung und der Prioritätensetzung wird von den Befragten dazu häufig ein effektives Zeitmanagement genannt. In diesem Sinne lässt sich das Selbstmanagement als wesentliches Fundament der Selbstführung beschreiben.

Die Ergebnisse unterstreichen darüber hinaus die Bedeutung der Reflexivität, kommunikativer Prozesse des Austauschs und des Feedbacks von organisationsinternen und -externen Personen zur Ausgestaltung der Selbstführung (Abb. 2). Der Abgleich von Selbst- und Fremdwahrnehmung findet sich insbesondere in der Kommunikation mit Mitarbeiter:innen (im eigenen Team), anderen Führungskräften auf gleicher Hierarchieebene und mit Vorgesetzten. Neben der Selbstvergewisserung (über Leistungsstandards, die Rollenerwartungen u. a.) spielen dabei eine emotionale Entlastung (in Konfliktsituationen, bei Selbstzweifeln u. a.), die motivationale Unterstützung, die Prozessabstimmung und Ressourcenaktivierung im organisationalen Kontext eine wichtige Rolle.

Abb. 2
figure 2

Zwei-Ebenen Modell: Kategorien der Selbstführung und sozial-kommunikative Prozesse

Die Reflexivität und die Bedeutung des kollegialen Austauschs liegt im Professionsverständnis von Fachkräften im Sozial- und Bildungsbereich begründet und bildet ein wichtiges Lernziel in deren Aus- und Weiterbildung (Merchel 2015; Balz 2021). Die Ausgestaltung kommunikativer Prozesse bei der Selbstführung von Führungskräften in anderen Berufsbranchen ist u. E. eine interessante weiterführende Forschungsfrage.

In der Selbstführung beziehen die Befragten auch Aspekte der Selbstfürsorge ein (Abgrenzungen gegenüber externen Anforderungen, das Reduzieren des eigenen Handelns bezogen auf die Arbeitsintensität und/oder den Arbeitsumfang u. a.). Diese Handlungsstrategien sichern die allgemeine Arbeitsfähigkeit oder sind auf deren Wiederherstellung gerichtet und bilden damit eine Voraussetzung für eine effektive Selbstführung (s. auch Balz und Heisig 2022). Eine verstärkte Selbstfürsorge kann aber auch Resultat der Selbstreflexion über berufliche Ziele, Arbeitsprozesse und/oder eigene Werte im Kontext der Selbstführung sein.

Zu den Entwicklungs- und Schutzfaktoren für die Selbstführung (Forschungsfrage 2) werden biographische, in der beruflichen Bildung und in betrieblichen Kontexten angesiedelte Faktoren genannt. So kommt beruflichen Lernmodellen (Ausbilder:innen, Mentor:innen u. a.) und dem Austausch mit Mitarbeiter:innen eine wichtige Funktion für das eigene berufliche Selbstverständnis und die Selbstführung zu. Eine besondere Quelle der Selbstführung bilden Supervision, Coaching, Aus- und Weiterbildung. Sie dienen als sanktionsfreie und organisationsunabhängige Instrumente der Selbstreflexion, des Wissens- und Kompetenzerwerbs und der Erweiterung des Lösungsraumes für betriebliche Herausforderungen.

Supervision und Coaching geben zahlreiche Befragte als wichtige Formate zur Reflexion und z. T. auch zur kritischen Überprüfung ihres beruflichen Selbstverständnisses, ihrer Führungsrolle, der beruflichen Ziele, bei der Führung von Mitarbeiter:innen und bei organisationalen Entscheidungen an. Insbesondere sind Supervision und Coaching durch eine externe Fachkraft bedeutsam, wenn innerhalb der Organisation eine konstruktive Feedback- und Fehlerkultur fehlt und das organisationale Umfeld als konkurrierend und/oder entwertend wahrgenommen wird. Diese Reflexionsräume wirken im positiven Sinne themen- und zielklärend, können die Aufarbeitung der genannten innerorganisationalen Defizite jedoch nur anregen.

Es finden sich Berichte einzelner Interviewteilnehmer:innen, dass psychische Überlastungssituationen bei ihnen die Suche nach einer stärkeren Selbstführung und Selbstachtsamkeit aktiviert haben. Dies wird dann häufig als „Umkehrpunkt“ in der beruflichen Grundhaltung bzw. in der Gewichtung persönlicher und beruflicher Ziele benannt.

Die Bedeutung von Selbstführung erfährt vielfältige öffentliche Aufmerksamkeit und ist in ihrer Bedeutung grundsätzlich unstrittig. Welche Faktoren erschweren dennoch die Selbstführung? Zu dieser Frage werden einige im Sozial- und Bildungsbereich häufig anzutreffende Rahmenbedingungen genannt (Zeitmangel, hohes Arbeitsaufkommen, Personalmangel u. a.). Erschwernisse der Selbstführung leiten sich darüber hinaus aus innerorganisatorischen Faktoren der Kommunikation und Zusammenarbeit ab (fehlende Kommunikationsstruktur und Feedback in der Organisation, keine Fehlerkultur, Teamkonflikte u. a.).

Als erschwerende Faktoren sprechen die Interviewten auch Aspekte der persönlichen Lebenswelt und weitere persönliche Faktoren an (private Belastungen, Krisen, fehlende Abgrenzung von Beruf und Privatleben u. a.). In diesem Bereich empfiehlt es sich, den Führungskräften von Seiten der Organisation ggfs. innerorganisatorische oder externe Unterstützungs- und Beratungsangebote bereitzustellen bzw. zu vermitteln. Darüber hinaus gilt es, auch in der Supervision und im Coaching einen Platz für diesbezügliche Anliegen zu geben.

Förderlich für eine nachhaltige Selbstführung sind institutionelle Rahmenbedingungen, die für die Selbstführung und Selbstfürsorge einen legitimen eigenen Raum vorsehen. Dieser Raum kann jedoch durch erhöhtes Arbeitsaufkommen, institutionelle und/oder persönliche Problem- und Krisensituationen eingeschränkt werden. Es kommt dann u. U. zu einer Verschiebung des Aufmerksamkeitsfokus und der Prioritäten bei den Führungskräften. Dies stärkt dann die Orientierung an eingespielten Handlungsroutinen und -abläufen, die auf die Erfüllung aktuell drängender Anforderungen bzw. die Aufrechterhaltung des allgemeinen Geschäftsbetriebs gerichtet sind (Autopilot-Modus), sodass relevanten Veränderungen im betrieblichen Kontext und in der Umwelt weniger Beachtung geschenkt wird. Selbstführung und Selbstfürsorge bilden jedoch insbesondere im „Krisenmodus“ eine Voraussetzung, um den Überblick über die vielfältigen und herausfordernden Führungsaufgaben zu behalten, emotional hinreichend ausgeglichen zu sein und fachlich kompetent und Orientierung gebend die Führung von Mitarbeiter:innen zu gewährleisten.

Als methodische Begrenzung der vorliegenden Studie ist die Konzentration auf den Selbstbericht durch die befragten Führungskräfte zu nennen. Hier könnte eine mikroanalytische, arbeitsplatznahe und längsschnittliche Untersuchung z. B. der Bedeutung von Feedbackprozessen für die Selbstführung ein differenzierteres Bild vermitteln. Auch wäre dadurch das Spannungsfeld zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Praxis der Selbstführung klarer einschätzbar und das Handeln in herausfordernden Situationen im Verlauf beschreibbar (zu methodischen Problemen der qualitativen Inhaltsanalyse s. Renkewitz und Sedlmeier 2013, S. 867 ff.).

Selbstführung steht im alltagssprachlichen Verständnis dem Geführtwerden durch eine andere Person (oder dem Erfüllen institutioneller Erfordernisse/Vorgaben) gegenüber. Es wäre jedoch ein Fehlschluss, wenn man davon ausgeht, dass die Quellen der Selbstführung ausschließlich in den Fähigkeiten, Kompetenzen und der Motivation der Führungsperson liegen. Die Interviewstudie unterstreicht die Bedeutung vielfältiger kommunikativer Prozesse. Die Reflexivität und der soziale Anschluss an relevante professionelle Akteur:innen und organisationale Prozesse bilden wichtige Erfolgsfaktoren. Eine nachhaltige Selbstführung als Basis des eigenen Führungsverhaltens ist nur als Co-Produktion mit anderen Führungskräften einer Organisation und mit den Mitarbeiter:innen umsetzbar.