Warum noch ein Buch zum Thema Kollegiale Beratung? Diese Frage werfen die Autor*innen zu Beginn des Buchs selbst auf. Zwar sei kollegiale Beratung in der Praxis sehr verbreitet und Publikationen zuhauf vorhanden; doch mangele es an Publikationen, die auf empirisch fundierten Forschungsarbeiten basieren. Diese Lücke wollen die Autor*innen, zumindest teilweise, schließen. Ihrem Buch und dem darin präsentierten Konzept der kollegialen Beratung liegt ein spezifisches theoriebezogenes Modell zugrunde, das „Heidelberger Integrative Prozessmodell für Beratung“. Dieses Modell basiert auf zwei systemtheoretischen Metatheorien, der Synergetik als Theorie der Selbstorganisation und der systemischen Problemlösetheorie. Zudem räumt es systematischen Reflexionsprozessen einen zentralen Stellenwert ein. Durch die einerseits theoretische Fundierung und die andererseits praxisorientierte Darstellung mit entsprechenden Handlungsempfehlungen werden theorieorientiert Forschende und praktisch tätige Berater*innen gleichermaßen adressiert. Diese ausgewogene Relation aus theoretischer und praktischer Expertise findet sich in der Vita der Autor*innen wieder. Prof. em. Dr. Christiane Schiersmann war bis 2018 Professorin für Weiterbildung und Beratung am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Heidelberg. Ihre wissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkte sind die Entwicklung und Beratung von Personen, Teams und Organisationen, Kompetenzerfassung und -entwicklung, Qualitätsmanagement und Weiterbildung. Marcus B. Hausner studierte Betriebswirtschaft und Beratungswissenschaft und blickt auf eine langjährige Beratungstätigkeit zurück. Er promoviert zum Thema „Komplexitätskompetenz“ am Institut für Bildungswissenschaften der Universität Heidelberg.

1 Inhaltsübersicht

Das Buch gliedert sich in sechs Kapitel. Zunächst wird der theoretische Hintergrund zum Format der kollegialen Beratung dargelegt. Die Ausführungen umfassen u. a. Informationen zur Begrifflichkeit, zur historischen Entwicklung, zu den Anwendungsfeldern, Zielen, Wirkungen oder auch Zielgruppen. Kollegiale Beratung ist durch fünf Kernelemente gekennzeichnet. Es werden arbeitsweltbezogene Fälle bearbeitet, in einer Gruppe ohne externe Leitung, nach einem strukturierten Ablauf, bei festgelegter Rollenzuordnung, auf freiwilliger Basis. In Kapitel 3 wird das Heidelberger integrative Prozessmodell als konzeptionelle Grundlage für kollegiale Beratung vorgestellt. Kapitel 4 beschreibt auf dieser Basis den Ablauf der kollegialen Beratungsprozesse detailliert und praxisbezogen, entlang eines Leitfadens. Ergänzend werden Übersichten und Onlinematerialien zur Verfügung gestellt. In Kapitel 5 wird dieser Prozess auf Live-Online-Bedingungen übertragen. In Kapitel 6 werden konkrete methodische Empfehlungen vorgestellt, die passend zum theoretischen Grundkonzept selektiv in der kollegialen Beratung angewendet werden können.

2 Ablauf kollegialer Beratungsprozesse

In Kapitel 4 werden die einzelnen Schritte eines Prozesses kollegialer Beratung auf Basis des Heidelberger integrative Prozessmodells dargelegt:

  1. 1.

    Stabilität schaffen: Jede Sitzung beginnt mit einer kurzen Befindlichkeitsrunde, um die Teilnehmer*innen auf die Sitzung einzustimmen. Danach werden Fälle gesammelt und ausgewählt, Rollen verteilt und der Fall auf kognitiver, emotionaler und verhaltensbezogener Ebene geschildert. Diese Phase umfasst die Schaffung eines stabilen Rahmens für den Beratungsprozess, der sowohl strukturelle, psychologische als auch kommunikative Stabilität gewährleistet. Die Stabilität ist notwendig, um den Beteiligten Sicherheit in einem veränderlichen und oft verunsichernden Prozess zu geben. Zudem geht es darum, die Erwartungen und Bedenken der Gruppenmitglieder zu klären, gemeinsame Ziele zu formulieren, organisatorische Rahmenbedingungen festzulegen und die Rollenverteilung zu besprechen. Es wird sich auf eine feste Ablaufstruktur für die Sitzungen verständigt.

  2. 2.

    System und Muster identifizieren: Die ratsuchende Person beschreibt die aktuelle Situation und die Entstehung des Falls, wobei sie sowohl sachliche als auch emotionale Aspekte berücksichtigt. Anschließend formuliert sie eine Fokus-Frage, die den Schwerpunkt der Sitzung bestimmt.

  3. 3.

    Ziele und Erfolgsfaktoren formulieren: In dieser Phase sammeln die Beratenden mögliche Ziele und Erfolgsfaktoren. Die Ratsuchende kommentiert diese und identifiziert die relevantesten Ziele und Faktoren für die Umsetzung.

  4. 4.

    Lösungswege sammeln: Die Beratenden sammeln verschiedene Lösungswege, die die Ratsuchende anschließend kommentiert und bewertet. Es werden kleinschrittige und vorläufige Lösungsschritte fokussiert.

  5. 5.

    Umsetzung und Musterbrechung fördern: Die Ratsuchende entwickelt Handlungsszenarien und plant konkrete Umsetzungsschritte. Dabei werden mögliche Nebenwirkungen und Kontextveränderungen berücksichtigt.

  6. 6.

    Auswertung und Transfer ermöglichen: Zum Abschluss formuliert die Ratsuchende mögliche Ergebnisse und neue Muster, die in späteren Sitzungen reflektiert werden.

3 Fazit

Das Buch überzeugt durch seine klare Struktur und die verständliche Darstellung der einzelnen Elemente und Merkmale, die das Format kollegiale Beratung kennzeichnen. Es kann sowohl für Beratende hilfreich sein, die erste Erfahrungen mit kollegialer Beratung machen möchten als auch für Berater*innen, die bereits kollegial beratend tätig sind und sich diesbezüglich weiterbilden möchten, um die Umsetzung des Formats zu optimieren. Der theoretische Hintergrund, insbesondere die systemtheoretischen Metatheorien, werden hinreichend detailliert erläutert, um das Modell von seinem konzeptuellen Fundament bis zur praktischen Anwendung strukturell begreifen zu können. Aufgrund seiner Kompaktheit und klaren Struktur eignet sich das Buch gut als Praxisleitfaden für die Durchführung kollegialer Beratung; zumal es konkrete Methoden und Werkzeuge zur Verfügung stellt, die auch in Online-Settings angewendet werden können.