Nowak, C. (2015). Geometrien der Veränderung. 70 Modelle für Führung, Coaching und Change-Management. Meezen: Limmer. 400 Seiten, 42 Euro.

Eine der entscheidenden Fragen in Change-Prozessen lautet, wie die Komplexität der Veränderung angemessen berücksichtigt werden kann. „Geometrien der Veränderung“ soll, wie der seit über 30 Jahren in der Beratung und in der Weiterbildung von Berater/innen tätige Claus Nowak in seinem Vorwort schreibt, diese Komplexität für die Steuerer des Prozesses, für Führungskräfte sowie für interne und externe Berater/innen gleichermaßen auf einfache, bisweilen sogar spielerische Art und Weise strukturieren. Nach einem kurzen Einführungsteil, in dem es um Arten und Nutzen von Modellen geht, werden dann 70 Modelle vorgestellt, aufgeteilt in die Kapitel „Organisation“ (13 Modelle), „Führung“ (7), „Team“ (11), „Arbeitsbeziehung“ (7), „Person“ (14), „Vertrag“ (2) und „Organisationskultur“ (4 Modelle), wobei die Zuordnung nicht immer eindeutig ist (z. B. wird die SWOT-Analyse im Team-Kapitel dargestellt).

Die dargestellten Modelle sind recht vielfältig – von den bekannten „Gassenhauern“ der Gruppendynamik wie z. B. dem Johari-Fenster oder der Teamentwicklungsuhr über einfache Management-Tools wie der Wichtigkeits-/Dringlichkeits-Matrix oder dem PDCA-Zyklus bis hin zu einem Modell, das verschiedene Strategien zum Umgang mit „Widerstand“ in Veränderungsprozessen in einer Matrix zusammenfasst. Die Darstellung jedes Modells endet mit Empfehlungen zu seinem Einsatz in Organisationsberatung und Coaching. Zahlreiche Verweise untereinander erleichtern den Einsatz in Beratungskontexten und tragen dazu bei, dass das Buch kein „Gemischtwarenladen“ mit unverbunden nebeneinander stehenden Inhalten bleibt, sondern zu einer Navigationshilfe durch die Welt der Veränderungsprozesse wird.

Stellenweise werden dabei Inhalte in eine Modellform gebracht, bei denen die grafische Darstellung keinen Mehrwert generiert, beispielsweise wenn die bei Innovationen zu beachtenden Aspekte Nutzen, Sichtbarkeit, Erprobungsmöglichkeit, Kompatibilität, Einfachheit in Form eines fünfzackigen „Innovationssterns“ visualisiert werden. Auch wenn die vier Quellen von Macht (Status, Wissen, Ressourcen und Referenz im Sinne von Beziehung/Identifikation) als „Machttorte“ mit vier Segmenten dargestellt werden, wirkt dies eher etwas gewollt als inhaltlich weiterführend. Hier wäre es spannend gewesen, über das von Nowak verwendete Schema von French & Raven hinaus für das Thema relevante Überlegungen anderer Autoren (etwa Crozier & Friedberg oder Mintzberg) in das Machtbasen-Modell zu integrieren. Auch an anderen Stellen, beispielsweise bei der Darstellung des Sender-Empfänger-Modells der Kommunikation, wäre bei allem Bemühen um Komplexitätsreduktion etwas mehr Komplexität im Sinne einer Integration weiterführender Erkenntnisse zumutbar gewesen. Dass die alte Vorstellung von Kommunikation als Informationsübertragung zwischen Sender und Empfänger eben kein adäquates Modell für die komplexen Mechanismen des empfängerseitigen Neuaufbaus von Information („Kommunikation wird beim Empfänger gemacht“) abgibt, ist eine wichtige Erkenntnis für das Verständnis von Kommunikation und Kommunikationsstörungen, das spätestens seit Konstruktivismus und Systemtheorie ein Allgemeinplatz ist, hier aber nur bedingt deutlich wird.

Erfahrene Coaches und Berater/innen werden einen Großteil der Inhalte schon kennen, aber an einigen Stellen dennoch interessante Aspekte oder ungewohnte Perspektiven finden, etwa im erweiterten Salutogenese-Modell. Aber Nowak geht es nicht in erster Linie um den Erkenntnisgewinn der Leser/innen, sondern um ein Kompendium, aus dem man fallweise das Passende heraussuchen kann. Insofern soll „Geometrien der Veränderung“ einen ähnlichen Nutzwert für die Praxis wie die verschiedenen bei Berater/innen sehr beliebten Tool-Sammlungen bieten. Dennoch hebt sich das Werk wohltuend von diesen rezeptbuchartigen Toolboxen ab, da es keine trivialen Interventionsvorschläge, sondern in erster Linie kognitive Landkarten anbietet. Diese sind hilfreich, um die Klient/innen zur Selbstreflexion anzuregen und mit ihnen in einen gemeinsamen Reflexionsprozess einzusteigen. Die Qualität der Beratung zeichnet sich dann nicht allein durch eine für die jeweilige Auftragskonstellation passende Wahl eines Modells aus, sondern dadurch, dass das Modell, die durch es geleistete Komplexitätsreduktion und die dabei ausgeblendete Komplexität selbst zum Gegenstand der Reflexion werden. „Geometrien der Veränderung“ sollte also nicht als Toolbox verstanden werden, bei der der Kopf ausgeschaltet bleiben kann, sondern als Strukturierungshilfe bei der strukturierten Nutzung der eigenen, von weiterem Handlungswissen und Beratungserfahrung gestützten Professionalität.

Falko von Ameln