1 Einleitung: Worüber wir streiten

Die Alternative für Deutschland (AfD) bewegt die Gemüter – nicht nur in der Politik, der Gesellschaft und den Medien, sondern nunmehr auch in der Soziologie. Letzteres freut mich. Denn die Beschäftigung mit den gesellschaftlichen Bedingungen der politischen Willensbildung findet ja schon seit einiger Zeit nicht (mehr) in unserem Fach statt, sondern vorwiegend in der Politikwissenschaft. Die in diesem Heft versammelten Beiträge zeigen dagegen, dass die Soziologie durchaus wichtige Beiträge zu diesen hochrelevanten Fragen leisten kann – wenn sie nur will. Vielleicht bedarf es dazu nur etwas, was man „academic nudging“ nennen könnte, eines kleinen anregenden Anstoßes. Offenbar hat mein in dieser Zeitschrift erschienene Aufsatz „Die Alternative für Deutschland: Eine Partei für Modernisierungsverlierer?“ (Lengfeld 2017) genau dies bewirkt. Denn nicht anders scheint es mir erklärbar, dass bei der Redaktion gleich vier Aufsätze eingegangen sind, von denen drei zur Veröffentlichung angenommen wurden (Lux 2018; Rippl und Seipl 2018; Tutić und von Hermanni 2018) und die, zusammen mit meiner Replik, fast den Charakter eines Symposiums annehmen.

Doch warum haben wir jetzt diese Debatte? Ich hatte ja lediglich die schlichte Frage gestellt, ob Menschen, die im Zuge der wirtschaftlichen Modernisierung Deutschlands der ungefähr letzten 25 Jahre an materiellen Lebenschancen eingebüßt (oder zumindest deutlich weniger als andere hinzugewonnen) haben, bei politischen Wahlen häufiger für die AfD stimmen würden. Ich hatte diese Menschen frei von jeder Wertung „Modernisierungsverlierer“ und den Zusammenhang „Modernisierungsverliererthese“ (MVT) genannt. Ich hatte dazu unterschiedliche Argumente diskutiert, einschlägige, mir zum Zeitpunkt der Erstellung des Manuskripts zugängliche Studien durchforstet und eine eigene empirische Analyse mit aktuellen Umfragedaten eines kommerziellen Meinungsforschungsinstituts durchgeführt. Darin hatte ich keine auch nur halbwegs klaren Hinweise darauf erhalten, dass Personen, die im Grundsatz zu den Verlierern der wirtschaftlichen Modernisierung Deutschlands gezählt werden können, eine höhere Neigung als andere soziale Gruppen hätten, sich bei der Bundestagswahl für die AfD zu entscheiden. Dieser Nicht-Befund war es wohl, der meine Kritiker zum Widerspruch angeregt hat, denn er befindet sich im Fadenkreuz ihrer Beiträge und steht, das erkenne ich voll und ganz an, heftig unter Beschuss.

Die Frage ist nur: Wie treffsicher sind meine Kritiker? Diese Frage möchte ich in dieser Replik in vier Schritten zu beantworten versuchen. Zunächst komme ich nicht umhin, ein wenig in die Details meiner Modernisierungsverliererthese zu gehen und meine Analyse knapp zu rekonstruieren (Abschn. 2). Vor diesem Hintergrund diskutiere ich anschließend die wichtigsten Ergebnisse meiner Kritiker, wobei ich, aufgrund des Umfangs ihrer Analysen, selektiv vorgehen muss (Abschn. 3). Ich verzichte auch auf die Diskussion von kleineren Monita, die mir an den Beiträgen meiner Kritiker aufgefallen sind.Footnote 1 Wichtiger ist mir, was man aus den Analysen für den Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und AfD-Wahlabsicht lernen kann – nur das kann die Debatte weiterbringen.

Meine Einschätzung lautet: Es gibt in den Analysen der Kritiker zum Teil sehr klare Hinweise darauf, dass statusniedrige Personen eine höhere AfD-Wahlabsicht haben, und ich habe keinen Grund, an der methodischen Solidität dieser Analysen zu zweifeln (Abschn. 3). Ich sehe aber nicht, dass dieser Statuseffekt ein klarer Beleg für die MVT ist. Denn hinter den von den Kritikern gefundenen Statuseffekten, so behaupte ich, lagert ein Motiv, das keinen direkten Bezug zur wirtschaftlichen Modernisierung hat (Abschn. 4): Statusniedrigere Personen würden häufiger AfD wählen, weil sie wollen, dass die Politik Migranten und Flüchtlingen den Zugang zu knappen Ressourcen – Arbeitsplätze und Sozialleistungen – erschwert. Empirische Hinweise für diesen Schluss finde ich bei Rippl und Seipel, die erweiterte, über die MVT hinausgehende Befunde vorgelegt haben. Sie zeigen zudem, dass andere Gründe als der soziale Status wichtiger sind, warum Bürger für die AfD stimmen würden, nämlich das Empfinden einer kulturellen Bedrohung und die Unzufriedenheit mit der Demokratie. Als weiteren Beleg zeige ich einen Ausschnitt aus einer eigenen Analyse, die wir kürzlich mit dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) 2016 durchgeführt haben und die zeitgleich zu diesem Beitrag in der Zeitschrift für Soziologie erscheint (Lengfeld und Dilger 2018).

Schließlich fasse ich die Befunde meiner Diskussion zusammen und formuliere eine Schlussfolgerung, mit der schon mein 2017er Aufsatz endete, die aber von einigen meiner Kritiker offenbar bestritten wird (Abschn. 5). Nach alldem, was bis heute an Befunden auf dem Tisch liegt, scheint der zentrale Konflikt, der Menschen dazu bringt, sich für die AfD zu entscheiden, ein Konflikt zwischen „Innen“ (den Angestammten) und „Außen“ (zuwanderungswilligen ethnisch-kulturell Fremden) zu sein. Das der Beobachtung zugängliche Symptom für diesen Konflikt ist das von AfD-Wählern empfundene doppelte, schwächere ökonomische und stärkere kulturelle Bedrohungsgefühl. Daraus schließe ich: Eine Politik (etwa konkurrierender Parteien), die auf Maßnahmen zur Umverteilung von oben nach unten setzt, um damit Wählerinnen und Wähler davon abzubringen, die AfD zu unterstützen, wird wenig ausrichten, weil sie an den entscheidenden Motiven dieser Menschen vorbeizielt. Dies ist kein Argument gegen Umverteilung an sich, sondern gegen ihre Nutzung als Mittel zur politischen Bekämpfung der AfD.

2 Was ich suchte und nicht fand

Ausgangspunkt meines Aufsatzes war die Frage, ob Modernisierungsverlierer häufiger mit der AfD sympathisieren oder diese häufiger wählen würden. Was meine ich mit Modernisierung und wer sind deren Verlierer? Unter Rückgriff auf Argumente aus der Globalisierungs‑, Arbeitsmarkt- und Ungleichheitsforschung hatte ich damit Personen bezeichnet, die als Folge des Wandels globaler Märkte seit Beginn der 1990er Jahre an materiellen Lebenschancen eingebüßt oder relativ zu anderen Gruppen deutlich geringere Zugewinne verbucht haben. Den sozialen Status habe ich als Indikator für die Identifikation dieser spezifisch wirtschaftlichen Modernisierungsfolge betrachtet. Ich schrieb: Modernisierungsverlierer sind „Personen mit geringem Humankapital, also solche, die einen geringen Bildungsgrad aufweisen und einfache berufliche Tätigkeiten, vor allem im gewerblichen Bereich, ausüben. Dazu kommen Personen mit niedrigem Einkommen und solche, die aufgrund ihrer geringen Qualifikation dauerhaft Lohnersatzleistungen beziehen und daher geringe Chancen auf stabile Integration in den Arbeitsmarkt haben“ (Lengfeld 2017, S. 213).

Empirisch hatte ich drei dieser vier Indikatoren auf die AfD-Wahlabsicht getestet. Die Bezieher von Lohnersatzleistungen, also Arbeitslose, hatte ich wegen zu geringer Fallzahl im Datensatz nicht berücksichtigen können. Zusätzlich hatte ich die Selbsteinschätzung der Befragten, ob sie sich als Verlierer der gesellschaftlichen Entwicklung sehen, als Maß für die relative Deprivation verwendet. Für die Messung der AfD-Wahlabsicht hatte ich die „Sonntagsfrage“ benutzt und alle Personen mit AfD-Wahlabsicht jenen Personen gegenübergestellt, die für eine andere Partei stimmen würden.

Welche methodische Bedingung musste erfüllt sein, um festzustellen, dass Modernisierungsverlierer häufiger die AfD wählen würden? Wenn sie dies im Vergleich zu den Nicht-Modernisierungsverlierern häufiger tun – unter Kontrolle von weiteren möglichen Einflussgrößen. Es ging also um eine relationale, nicht absolute Betrachtung von Anteilswerten. Diese Annahme lag meiner damaligen Analyse zugrunde. Ich hatte jedoch darauf verzichtet, eine formale Hypothese zu formulieren. Der Grund dafür war, dass ich in meiner Diskussion zur Frage, warum Modernisierungsverlierer die AfD wählen würden, zu keiner eindeutigen Antwort gelangt bin – oder genauer: Die meisten Argumente und Studien sprachen aus meiner Sicht eher gegen die MVT.

Ein Wort zu den Daten: Mein Interesse zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung war, möglichst aktuelle Daten zu verwenden. Ein Grund dafür war, dass sich die Zusammensetzung der Wählerschaft der AfD im Zeitverlauf, von 2013 (Bundestagswahl) bis 2017, wohl geändert hat (Kroh und Fetz 2016; Niedermayer und Hofrichter 2016). Ein weiterer Grund lag in der anwendungsbezogenen Absicht, in der ich den Aufsatz verfasst habe: Ich wollte politische Entscheidungsträger während der heißen Phase der Bundestagswahl darüber informieren, ob man mit einem klassischen Verteilungswahlkampf potenzielle Wähler der AfD attrahieren kann oder nicht – darauf komme ich im fünften Abschnitt zurück.

Durch einen Medienkontakt erhielt ich die Möglichkeit, nichtöffentlich verfügbare Daten einer stichprobenkontrollierten Bevölkerungsumfrage unter wahlberechtigten Deutschen zu nutzen. Diese Umfrage hatte das Meinungsforschungsinstitut infratest dimap im November 2016 im Auftrag der ARD-Anstalt SWR Mainz durchgeführt. Die Daten standen mir bereits wenige Wochen nach der Erhebung zur Verfügung. Sie sind entsprechend der Standards für Wahlumfragen erfolgt, die infratest dimap regelmäßig für den ARD-Deutschlandtrend erstellt. Ich habe daher keine Veranlassung, an der Güte der Daten (etwa ihre Stichprobenziehung oder den Erhebungsmodus) zu zweifeln. Allein die Fallzahl war an der Grenze des für meine Zwecke Nutzbaren: Es standen zwar brutto 1010 Fälle zur Verfügung, davon aber nur 66 Personen, die die AfD wählen würden. Diese Fallzahl reduzierte sich wegen fehlender Werte bei den Prädiktoren auf 58. Alle Datensätze, die meine Kritiker verwendet haben, wurden erst im Laufe des Jahres 2017 freigegeben und standen mir zum damaligen Zeitpunkt nicht zur Verfügung.

Das Ergebnis meiner Analyse ist schnell erzählt. Ich hatte keine klaren Hinweise (in den separaten multivariaten Modellen oder im Vollmodell) gefunden, dass Personen mit niedrigem sozialen Status (niedriger Bildungsgrad, untere Einkommensschicht, Arbeiter) eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, die AfD wählen zu wollen als statushöhere Personen (mittlerer oder hoher Bildungsgrad, Angehörige der Einkommensmittel- oder -oberschicht, Angestellte, Beamte, Selbständige oder Nicht-Erwerbspersonen). Auch die subjektive Einschätzung als Modernisierungsverlierer zeigte keinen signifikanten Effekt.

Der einzige signifikante Statuseffekt, den ich multivariat fand, ging in eine auch für mich unerwartete Richtung: Angehörige der unteren Einkommensschicht hatten eine um sechs oder acht Prozentpunkte signifikant geringere Wahrscheinlichkeit zur AfD-Wahl als die mittlere und die höhere Schicht. Auch meine deskriptiven Analysen deuteten auf diesen Zusammenhang hin. Zwar zeigte sich der Effekt nur auf Basis der Verwendung des nicht-bedarfsgewichteten Haushaltseinkommens.Footnote 2 Er fand sich aber auch in anderen Analysen mit dem SOEP 2014 und 2015 unter Berücksichtigung der Bedarfsgewichtung (Bergmann et al. 2016; 2017, S. 61 f.).

Ich hatte auch aufgrund der Übereinstimmung meiner Ergebnisse mit dem damaligen Forschungsstand keine Veranlassung, meinen Befunden zu misstrauen und hielt es mit Bergmann et al., die sagten: „So wenig wie die AfD im Jahr 2014 eine Partei der Professoren war, ist sie zwei Jahre später eine Partei des Prekariats“ (Bergmann et al. 2017, S. 60). Mein eigenes Fazit war: „Insgesamt finde ich anhand der infratest-Daten keine Hinweise auf Bestätigung der MVT. Selbst wenn man die relativ geringe Fallzahl und die schiefe Verteilung der abhängigen Variable berücksichtigt, so deutet die geringe Varianzaufklärung an, dass die wichtigsten Ursachen der Präferenz für die AfD nicht beim sozioökonomischen Status der Wahlberechtigten zu suchen sind“ (Lengfeld 2017, S. 225).

3 Wie eindeutig sind die Befunde meiner Kritiker?

Alle drei vorliegenden Kritiken sind dem Grundsatz nach Replikationsstudien. Sie versuchen, die MVT anhand der weitgehend gleichen Methodik und den gleichen oder ähnlichen Konstrukten zur Messung des sozialen Status und seiner subjektiven Bewertung, die ich verwendet habe, zu testen, aber mit anderen, fallzahlreicheren Umfragedaten. Auf den ersten Blick sind ihre Befunde überwältigend übereinstimmend: In fünf Replikationen mit drei verschiedenen Datensätzen, alle aus dem Jahr 2016 (ein Datensatz – ALLBUS – wird in allen Studien verwendet, zwei weitere nur bei Tutić und von Hermanni) finden sich Statuseffekte, die mit der MVT konform zu sein scheinen: Personen mit niedriger Bildung, niedriger beruflicher Position oder Klassenlage, solche der niedrigsten Einkommensschicht sowie solche, die sich im Hinblick auf ihr Einkommen relativ depriviert fühlen, weisen gegenüber allen anderen Referenzgruppen eine durchschnittlich höhere Wahrscheinlichkeit auf, für die AfD stimmen zu wollen (ALLBUS, GLES) oder sich ihr nahe zu fühlen (ESS). Teilt man die methodologische Überzeugung, dass nur das kumulative, wiederholte Suchen nach Evidenz zur Prüfung der selben Annahme unter Variation von Daten, Messkonstrukten und Analyseverfahren zu Erkenntnis führt, so wäre die Sachlage nun doch recht eindeutig: Die MVT scheint zu stimmen, und die Nicht-Befunde aus meinen Analysen sind ein klarer Ausreißer, der möglicherweise der Limitierung der Daten geschuldet ist.

Bei genauer Betrachtung scheint die Lage aber nicht mehr ganz so klar zu sein. Den ersten Hinweis darauf kann man den Regressionsanalysen von Lux entnehmen. Er ist meinem Vorschlag gefolgt, die Statusvariablen und die Variable zur relativen Deprivation zunächst einzeln zu testen und abschließend ein Vollmodell zu bilden. Die separaten Modelle von Lux (Tab. 3, Modelle 1a, 2a, 3a) zeigen durchgehend, dass sich die jeweils unterste Kategorie des Status signifikant von der mittleren und der oberen Kategorie in ihrem Effekt auf die AfD-Wahlabsicht unterscheidet, was ganz im Sinne der MVT ist. Im Vollmodell aber bleibt nur noch ein relevanter Unterschied (zwischen Arbeitern und Angestellten) signifikant. Auch Tutić und von Hermanni (2018) gehen in ihrer ALLBUS-Analyse genauso vor, und auch bei ihnen brechen viele signifikante Effekte im Vollmodell ein (Tab. A 8 in Verbindung mit Abb. 1). Ob dies für die GLES- und ESS-Berechnungen auch zutrifft, ist nicht klar, dazu müsste man die Vollmodelle kennen, die Tutić und von Hermanni aber nicht beigelegt haben.

Abb. 1
figure 1

Logistische Regression: Prädiktoren der Identifikation mit der AfD (Average Marginal Effects, in Prozentpunkten, basierend auf Lengfeld und Dilger 2018, Tab. A 2 im Online-Anhang)

Natürlich ist hier Multikollinearität zwischen den Statusvariablen am Werk und deshalb Vorsicht bei der Interpretation angebracht. Allerdings bleibt die Richtung der Effekte bei Lux und bei Tutić und von Hermanni über die Modelle hinweg stabil, d. h. es gibt keine Vorzeichenwechsel, wie es bei starker Multikollinearität durchaus vorkommen kann. Dass viele Effekte, die in den separaten Modellen signifikant sind, im Vollmodell die angegebenen Signifikanzniveaus (pz < 0,05 bei Lux, sogar nur pz < 0,01 bei Tutić und von Hermanni) aber nicht unterschreiten, finde ich angesichts der doch recht ordentlichen Fallzahl in den ALLBUS-Analysen (n > 2000) bemerkenswert.

Was bedeutet das? Meine Vermutung ist, dass die Unterschiede in den Wahrscheinlichkeiten zur AfD-Wahlabsicht zwischen der unteren und den mittleren Statusgruppen im Durchschnitt der Statusvariablen geringer sind als zwischen der mittleren und der oberen Statusgruppe, weshalb erstere unter Berücksichtigung zusätzlicher Variablen insignifikant werden. Anders gesagt: Es liegt vermutlich ein geschichteter Effekt des sozialen Status auf die AfD-Wahlabsicht vor. Ein Hinweis darauf geben auch die deskriptiven Analysen bei Lux.

Den gleichen Schluss legen die Analysen von Rippl und Seipel nahe. Sie prüfen ebenfalls den Effekt von Bildung und Einkommen auf die Wahlabsicht, kodieren die Variablen aber anders. Im Hinblick auf Bildung testen sie, ob sich Personen ohne Abitur von denen mit Abitur in der Wahlabsicht unterscheiden, und beim Einkommen vergleichen sie die untere gegen die obere Hälfte der Einkommensbezieher. Damit können sie die MVT aber gar nicht prüfen, weil die jeweils unteren Kategorien weit in die mittleren Statuslagen hineinreichen und damit viel zu bereit angelegt sind. Bemerkenswerterweise finden sie aber (Tab. A 2, Modell 1), dass Personen mit mittleren, einfachen oder ohne Schulabschluss oder die Bezieher unterdurchschnittlicher Einkommen eine höhere Wahrscheinlichkeit zur AfD-Wahlabsicht haben als Personen mit Abitur und die Bezieher überdurchschnittlicher Einkommen. Dieser Befund deutet an, dass die AfD nicht nur in den unteren, sondern auch in den mittleren Schichten gut verankert ist. Wenn es aber wirklich einen starken Modernisierungsverlierereffekt auf die Wahlabsicht geben würde, dann dürfte man in den Modellen aufgrund der gewählten eigenwilligen Kodierung keine oder nur sehr schwache Effekte finden – was eben nicht zutrifft. Aus meiner Sicht deutet dieser Befund ebenfalls auf einen geschichteten Effekt hin: Die AfD ist nicht allein für statusniedrige Personen, sondern eben auch, nur etwas schwächer, für Personen mittlerer Statuslagen attraktiv.

Der zweite Umstand, der mir aufgefallen ist, besteht darin, dass zahlreiche Statuseffekte, die für die MVT sprechen, bei Lux bereits dann insignifikant werden, wenn er zusätzlich die Variable zur relativen Deprivation in die Analyse aufnimmt (Tab. 3, Modelle 1b, 2b, 3b). Dies betrifft vor allem die Unterschiede zwischen der unteren und den mittleren Ausprägungen der Statusvariablen. Dafür zeigt die Deprivationsvariable auch im Vollmodell einen robusten, signifikanten Effekt. Daraus kann man eine inhaltliche Vermutung ableiten: Statusniedrigere Personen würden mit höherer Wahrscheinlichkeit AfD wählen, weil sie mehr als andere glauben, ungerecht entlohnt zu werden. Dieser Befund ist nicht neu und empirisch gut belegt (siehe etwa Lippl und Wegener 2004, S. 268; Liebig und Schupp 2008) und auch Lux selbst weist darauf hin. Das aber hieße: Nicht die objektive Schlechterstellung an sich, sondern deren subjektive Bewertung führt dazu, dass Modernisierungsverlierer sich der AfD zuwenden. Dies ist kein Einwand gegen die Geltung der MVT oder gegen die empirischen Analysen meiner Kritiker. Ich bringe den Punkt vor, um zu zeigen, dass man aus dem Vergleich der Regressionsmodelle inhaltliche Schlüsse über den Mechanismus ziehen kann, warum statusniedrige Personen zur AfD neigen – und der mich nun zu meinem entscheidenden Punkt bringt.

4 Was steckt hinter den Statuseffekten?

Den wichtigsten Schluss kann man Rippl und Seipel entnehmen. Ihre Analyse halte ich für die interessanteste von den dreien, unter empirischen wie inhaltlichen Gesichtspunkten. Denn Rippl und Seipel betrachten die MVT nur als eine unter mehreren möglichen Erklärungen des AfD-Wahlverhaltens. Sie prüfen weitere Annahmen, darunter die These der ökonomischen Bedrohung (Personen, die sich durch ethnisch-kulturell Fremde auf dem Arbeitsmarkt wirtschaftlich bedroht fühlen, wählen häufiger AfD), die These der kulturellen Bedrohung (Personen, die die Kultur des Landes durch den Zuzug von Fremden als bedroht empfinden, würden häufiger die AfD wählen) sowie die Postdemokratiethese (Personen, die sich vom politischen System entfremdet fühlen, neigen stärker zur AfD).

Die Regressionsanalysen von Rippl und Seipel zeigen relativ starke Effekte für alle drei Einstellungsmuster, selbst dann, wenn sie gleichzeitig in die Regression aufgenommen werden (Tab. A 2, Modell 2). In ihren Worten: „Die Variablen, die kulturelle Faktoren thematisieren (kulturelle Bedrohung, Wunsch nach Homogenität), erweisen sich als die stärksten Prädiktoren für die Absicht, die AfD zu wählen. Der Effekt ökonomischer Bedrohung ist deutlich schwächer ausgeprägt, aber signifikant. (…). Die in Modell 1 noch signifikanten Einkommens- und Bildungseffekte verschwinden im Modell 2. Sie werden in hohem Maße durch die in Modell 2 eingeführten zusätzlichen Variablen partialisiert und sind nicht mehr signifikant“ (Rippl und Seipel 2018, siehe Beitrag in diesem Heft). Allerdings ist dieser Vergleich nicht ganz korrekt, weil Rippl und Seipel dafür die Odds Ratios heranziehen anstatt die AME’s, was an der Beobachtung aber nur wenig ändert. Weiterhin zeigen Rippl und Seipel (Tab. 4), dass die Einstellungen zur ökonomischen und kulturellen Bedrohung durch Fremde und der Wunsch nach Homogenität der Gesellschaft dem sozialen Gradienten folgen: Je niedriger die Statusposition (Einkommensschicht, subjektive Schichteinstufung), desto höher die Bedrohungswahrnehmung (siehe dazu mein Argument unter Abschn. 3).

Ich ziehe ein Zwischenfazit: Liest man die Befunde der Kritiker quer, so spricht vieles dafür, dass Personen mit niedrigem sozialen Status eher zur AfD-Wahl neigen als die anderen Statusgruppen. Dieser Effekt findet sich über (fast) alle Replikationsanalysen hinweg. Allerdings deutet die geringe Robustheit der Befunde in den erweiterten Analysen darauf hin, dass sich hinter dem Statuseffekt andere Ursache verbergen: Einerseits die Wahrnehmung eines ethnischen Wettbewerbs zwischen statusniedrigen Angestammten und von ihnen als statusniedrig wahrgenommenen Zuwanderern, und andererseits, und sogar wichtiger noch, die Empfindung der kulturellen Bedrohung als Folge dieser Zuwanderung. Dies sind aber keine maßgeblichen Folgen der spezifisch wirtschaftlichen Globalisierung, auf deren Basis ich die MVT formuliert habe. Arbeitsmigration gab es in der Geschichte der Bundesrepublik lange vor der Globalisierung (mittlerweile klassisch: Herbert 1986) und auch die Flüchtlingskrise im Herbst 2015 hat dazu keinen direkten Bezug. Mein Fazit lautet daher: Die von meinen Kritikern gefundenen Statuseffekte sind nicht als überzeugender Beleg für die MVT zu interpretieren.

Diese Schussfolgerung möchte ich nun noch mit einer eigenen, neuen Analyse belegen. Denn auch ich war mit meinen infratest-Daten nicht ganz glücklich. Zum einen wegen der begrenzten Fallzahl, mehr aber noch, weil es nicht möglich war, andere plausibel erscheinende Erklärungen der AfD-Wahlabsicht zu prüfen: Ich schrieb (Lengfeld 2017, S. 226): „In den Analysen [sind] möglicherweise Prädiktoren nicht enthalten, die als potenziell einflussreich gelten können und die zwischen Personen mit unterschiedlichem sozioökonomischem Status möglicherweise ungleich verteilt sind. Dazu gehören die Ablehnung von Zuwanderung, Ängste vor Verlust der nationalen Identität, antimuslimische Haltungen, eine ablehnende Haltung gegenüber der vertieften europäischen Integration und der Verlust an Vertrauen in die etablierten Parteien“. Damit hatte ich genau jene Zusammenhänge formuliert, die Rippl und Seipel in ihrem Beitrag aufgezeigt haben.

Um den Einfluss der direkten Effekte dieser Faktoren zu prüfen und zugleich einen Hinweis auf die Wechselwirkung mit dem sozialen Status zu erhalten, habe ich zusammen mit meiner Mitarbeiterin Clara Dilger eine neue Analyse mit Daten des Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) aus dem Jahr 2016 (v33.1) durchgeführt.Footnote 3 Das SOEP haben wir verwendet, weil es im Vergleich zu ALLBUS oder GLES eine deutlich höhere Anzahl an Fällen (n > 8000) enthält. Darunter sind 449 Personen, die sich mit der AfD identifizieren. Das bedeutet, dass die Zellen in den multivariaten Analysen viel besser besetzt sind als in meiner damaligen Analyse und auch in den Analysen meiner Kritiker, wodurch die multivariaten Schätzungen deutlich robuster werden.

Der zweite Grund ist, dass in der 2016er Welle des SOEP erstmals eine Frage zur Bewertung der Zuwanderung von Flüchtlingen in Deutschland gestellt wurde. Hiervon verwenden wir vier Items, mit denen wir, nach Prüfung auf Eindimensionalität mittels konfirmatorischer Faktoranalyse, eine neue Skala bilden. Mit dieser Summenindexskala können wir den direkten und den indirekten (über den Status wirkenden) Effekt der empfundenen Bedrohung durch Zuwanderer auf die Nähe zur AfD modellieren. Zusätzlich berücksichtigen auch wir die Zufriedenheit mit der Demokratie. Allerdings enthält das SOEP keine „Sonntagsfrage“, sondern die Parteiidentifikation, was ein Problem der Vergleichbarkeit aufwirft, das ich hier aber nicht diskutieren kann. Die dichotome Kodierung der Kriteriumsvariablen ist jedoch vergleichbar mit der durch die „Sonntagsfrage“ gebildeten Variable. Die Ergebnisse erscheinen in Heft 3/2018 der Zeitschrift für Soziologie (Lengfeld und Dilger 2018). An dieser Stelle zeigen wir einen Ausschnitt daraus.

Abbildung 1 zeigt einen auf Logit-Regressionen beruhenden Koeffizientenplot mit zwei Modellen. Der Plot gibt die durchschnittlichen marginalen Effekte der unabhängigen Variablen mit den zugehörigen Konfidenzintervallen grafisch wieder. Modell 1 enthält die bekannten Kontrollvariablen Geschlecht, Alter und Wohnort (Ost- oder Westdeutschland). Dazu kommen als Maße des sozialen Status das (nunmehr) äquivalenzgewichtete Haushaltseinkommen, der höchste allgemeine Bildungsgrad und eine berufsbezogene Schichtungsvariable.Footnote 4 Da das SOEP keinen Indikator für relative Deprivation enthält, verwenden wir die Sorge vor Verlust des Arbeitsplatzes, die wir an anderer Stelle als Proxy für die Angst vor dem sozialen Abstieg interpretiert haben (Lengfeld und Ordemann 2017).

Abbildung 1 zeigt, dass in Modell 1 alle Statusvariablen sowie die Sorgenvariable signifikante Effekte aufweisen, die in Übereinstimmung mit der MVT und den Befunden meiner Kritiker stehen. Kurz gesagt haben statusniedrige Personen und solche mit Arbeitsplatzsorgen eine signifikant höhere durchschnittliche Wahrscheinlichkeit, sich mit der AfD zu identifizieren als Personen mit mittleren und mit oberen Statusmerkmalen und solche, die sich nicht um den Arbeitsplatz sorgen.

Modell 2 enthält nun zusätzlich die Bewertung der Flüchtlingszuwanderung (hohe Werte geben Ablehnung an) und die Zufriedenheit mit der Demokratie. Da wir AME-Koeffizienten ausgeben, kann man die Modelle vergleichen. Beide Einstellungsmuster zeigen signifikante Effekte: Personen, die die Flüchtlingszuwanderung negativ bewerten, haben pro Skalenpunkt der Prädiktorvariable eine um durchschnittlich 2,5 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit, der AfD nahe zu stehen. Gleiches gilt für Personen, die unzufrieden mit der Praxis der Demokratie in Deutschland sind (1,1 Prozentpunkte). Im Hinblick auf beide Einstellungsmuster sind die AfD-Wähler recht homogen.

Entscheidend ist, dass in Modell 2 die Effekte aller Statusvariablen und jener der Sorgenvariable insignifikant sind. Offenbar liegt eine Mediation durch die beiden zusätzlich berücksichtigten Einstellungsmuster vor. Dies bestätigt meine Vermutung, wonach statusniedrige Personen deshalb der AfD nahestehen, weil sie in höherem Maße die Zuwanderung von Flüchtlingen ablehnen und – in etwas geringerem Maße – weil sie das deutsche politische System kritisch bewerten. Schließlich ist zu ergänzen, dass das Pseudo-R2 (McFadden) von knapp 11 % in Modell 1 auf enorme 43 % in Modell 2 ansteigt. Zusammen mit einem deutlich gesunkenen AIC-Wert (nicht ausgewiesen) zeigt dies, dass die Aufnahme der beiden zusätzlichen Einstellungsvariablen die Modellgüte deutlich verbessert.

In einer früheren Analyse der AfD-Wählerschaft kamen Schwarzbözl und Fatke (2016) zu einem Schluss, dem ich mich mit Bezug auf diese Ergebnisse immer noch anschließen möchte: „Die Wählerschaft der AfD präsentiert sich damit als eine Gruppe von Menschen, die gerade mit Blick auf kulturelle Konflikte sehr kohärent, allerdings hinsichtlich ökonomischer Konflikte eher inkohärent strukturiert ist“ (Schwarzbözl und Fatke 2016, S. 289).

5 Was man daraus lernen kann

Ich fasse die Diskussion nun zusammen und frage abschließend, welche anwendungsbezogene, die politischen Parteien in Deutschland informierende Schlussfolgerung man daraus ziehen kann.

  1. 1.

    Unterstützen Personen mit niedrigem sozialen Status häufiger die AfD als dies Personen mit höherem sozialen Status tun? Ja, das tun sie. Die Befunde aus den Umfragen der drei Datensätze meiner Kritiker und des SOEP sind hier eindeutig. Hier lag ich mit meiner infratest-Analyse daneben, vermutlich aufgrund zu großer Stichprobenausfälle wegen fehlender Werte.

  2. 2.

    Was steckt hinter dem Statuseffekt? Offenbar ein Effekt der Ablehnung von ethnisch-kulturell Fremden, die a) als Konkurrenten um knappe Ressourcen und b) als Bedrohung der kulturellen Homogenität der deutschen Gesellschaft wahrgenommen werden. Hinzu kommt die Unzufriedenheit mit der Demokratie, die statusniedrige Personen häufiger als andere Statusgruppen äußern.Footnote 5

  3. 3.

    Was ist die bislang stärkste bekannte Ursache der Nähe der Leute zur AfD? Das Gefühl der kulturellen Bedrohung durch die Zuwanderung von ethnisch-kulturell fremden Menschen nach Deutschland. Darauf deuten Rippl und Seipels und unsere eigene Analyse hin, aber auch Nachwahlbefragungen am Abend der Bundestagswahl 2017. Gefragt nach der Zufriedenheit mit der Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin gaben 100 % (sic!) aller befragten AfD-Wähler an, damit unzufrieden gewesen zu sein. Die Unzufriedenheit der Wähler der anderen Parteien variierte zwischen 63 % (FDP-Wähler) und 22 % (Grüne-Wähler). Zudem stimmten 92 % der AfD-Wähler der Aussage zu: „Die AfD ist vor allem dazu da, mit ihren Vorstößen die Flüchtlingspolitik zu verändern“. Ebenfalls 92 % der AfD-Wähler gaben an: „Ich mache mir große Sorgen, dass der Einfluss des Islam in Deutschland zu stark wird“. Im Mittel aller Wähler liegt die Zustimmung zu diesem letzten Item bei 46 %. Derartig homogene Einstellungen unter AfD-Wählern finde ich bemerkenswert.Footnote 6

  4. 4.

    Was heißt das jetzt konkret? Dass Menschen die AfD durchaus aus wirtschaftlichen Gründen (Konkurrenzausschluss von Zuwanderern) wählen würden. Sie tun es aber vermutlich weitaus häufiger, weil sie sich durch Zuwanderung in ihrer – individuellen und vermutlich auch kollektiven – Identität bedroht fühlen. AfD zu wählen, ist für sie daher durchaus rational. Denn die AfD will die Zahl der Zuwanderer verringern, abgelehnte Asylbewerber schneller und vor allem effektiver in die Herkunftsländer zurücksenden und die kulturelle Homogenität des Landes sichern oder wiederherstellen. Zwar ist die AfD nicht an der Regierung beteiligt, sie fungiert aber wie ein Leuchtturm, der weithin sichtbar ausstrahlt und den die derzeitige Bundesregierung als Signal der Unzufriedenheit eines Teils der Bürger nicht übersehen kann.Footnote 7 Einen ähnlichen Zusammenhang zur AfD kann man für die These der Unzufriedenheit mit der Demokratie formulieren. Und möglicherweise gibt es noch weitere, über die Flüchtlingsfrage hinausgehende kulturelle Gründe der AfD-Wahlabsicht. Einige davon werden in der neueren Debatte um die gesellschaftliche Spaltung in Kommunitaristen und Kosmopoliten diskutiert (siehe statt anderer Zürn und de Wilde 2016).

Damit komme ich zu meiner anwendungsbezogenen Schlussfolgerung – und zu einer Zumutung für manche Leserinnern und Leser. In meinen 2017er Aufsatz habe ich mich auf Max Weber und sein Diktum bezogen, wonach die Sozialwissenschaft in der Lage ist, für Handelnde die Angemessenheit eines Mittels bei gegebenem Zweck zu beurteilen, also einzuschätzen, ob x geeignet ist, um y zu erreichen (zu entscheiden, ob man y überhaupt wollen sollte, stellt sich aus Sicht der empirisch-analytischen Forschung bekanntlich nicht). Damals habe ich mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 geschrieben: „Wenn die AfD von den Modernisierungsverlierern, wie gezeigt, nicht öfter gewählt werden würde als von den Mittelschichten und den gesellschaftlich Bessergestellten, so werden Wahlkampfstrategien der anderen Parteien, die die materiellen Interessen der Modernisierungsverlierer adressieren, nicht sehr erfolgreich sein. Ein ‚kleine Leute‘-Wahlkampf von SPD, CDU & Co. wird den Erfolg der AfD in der Bundestagswahl 2017 daher wahrscheinlich nicht maßgeblich gefährden. Denn offensichtlich sind die Gründe, die Menschen dazu bringen, die AfD zu unterstützen, andere als wirtschaftlicher Art“ (Lengfeld 2017, S. 227 f.).Footnote 8

Diese Interpretation halte ich angesichts der in dieser KZfSS-Ausgabe vorgelegten empirischen Ergebnisse weiterhin aufrecht. Warum? Weil es bei der Frage, ob jemand die AfD wählt, nicht entscheidend um Verteilungskonflikte zwischen Oben und Unten geht, sondern um einen Konflikt zwischen Innen und Außen, zwischen Angestammten und ethnisch-kulturell Fremden. Oben-Unten-Konflikte sind mit klassischer Verteilungspolitik dem Grundsatz nach lösbar oder man kann sie zumindest vorübergehend abschwächen. Bei Innen-Außen-Konflikten greifen aber viele sozial- und verteilungspolitische Instrumente nicht, wie etwa höherer Mindestlohn, länger gezahltes Arbeitslosengeld oder ein allgemeines Grundeinkommen. Selbst die derzeit – Mai 2018 – historisch niedrige Arbeitslosenquote von 5,1 % (BA 2018) scheint hier keine dämpfenden Auswirkungen zu haben. Die entscheidende Ursache der Unzufriedenheit, das Gefühl der Bedrohung aufgrund der Anwesenheit des „Außen“ in Gestalt von Migranten und Flüchtlingen, wird meiner Einschätzung nach durch eine sozialpolitische Verbesserung der ökonomischen Lebenschancen von Modernisierungsverlierern nicht entscheidend bekämpft, zumal diese sozialpolitischen Maßnahmen aus Gründen der Rechtsgleichheit auch den meisten Migranten mit Aufenthaltsstatus zugutekommen müssen.

Zwei meiner Kritiker sehen das offenbar anders. So schreiben Rippl und Seipel: „Der AfD ist es gelungen, soziale Konflikte als kulturelle Konflikte darzustellen und Verteilungskämpfe (etwa die Folgen zunehmender sozialer Ungleichheit, die Verteuerung von Wohnraum, Armut) zu kulturellen Kämpfen umzudefinieren, wobei Zuwanderung und Flüchtlinge für Entwicklungen verantwortlich gemacht werden, die tatsächlich die langfristigen Folgen einer neoliberalen Politik darstellen. Durch diese ‚Kulturalisierung‘ von Ängsten gelingt es der AfD, breite Wählerschichten aus unterschiedlichen sozialen Milieus zu erreichen, denen sie zum großen Teil politisch keinerlei Angebote macht, die z. B. deren wirtschaftliche Situation verbessern würde“ (Rippl und Seipel 2018, siehe Beitrag in diesem Heft). Ähnlich schreibt Lux, dass es der AfD gelungen sei, die Oben-Unten-Konfliktlinie in einen Innen-Außen-Konflikt umzudeuten (Lux 2018, siehe Beitrag in diesem Heft).

Sicher kann man eine solche nach Kritischer Theorie und „falschem“ Bewusstsein klingende These aufstellen. Ich kann nur nicht erkennen, woraus sie sich ergibt. Die soliden empirischen Analysen von Rippl und Seipel sowie Lux erbringen für diese These jedenfalls keine Evidenz, einfach deshalb, weil sie gar nicht Gegenstand ihrer Studien war. Sie kann daher keine Schlussfolgerung sein. Sie hat den Status einer Hypothese, die man wiederum prüfen muss.Footnote 9

Abschließend möchte ich sagen, dass ich diesen Text zwar zugespitzt formuliert habe, wie sich das für eine ordentliche Replik auch gehört. Zugleich habe ich ihn mit einer ordentlichen Portion Zweifel im Sinne des Kritischen Rationalismus verfasst. Unsere Erkenntnis um die Mechanismen der Unterstützung der AfD ist noch nicht gesichert. Wir mehren zwar unser Wissen, haben aber noch keine Gewissheit. Dafür sind die Argumente noch nicht präzise genug, die Qualität der Daten nicht ausreichend, die Zahl der Studien zu klein und das zu untersuchende Phänomen schlicht zu sehr in Bewegung. Es bleibt uns also noch viel zu tun.