Trotz sinkender Inzidenz des Magenkarzinoms ist seine Therapie im klinischen Alltag eine Herausforderung. Bei den meisten Patienten wird es erst im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Zwar ist nach einer Vielzahl klinischer Studien inzwischen eine wirksame palliative Chemotherapie möglich, doch bleibt die Mortalität bei fortgeschrittenem Magenkarzinom trotz effektiver moderner Chemotherapiekombinationen nach wie vor hoch. Daher besteht weiterhin ein großer Bedarf an neuen Therapien.

Palliative Therapie

Das Magenkarzinom hat eine hohe Mortalität, das 5-Jahres-Überleben liegt in den fortgeschrittenen Stadien unter 30% [13]. In Europa wird die Mehrzahl der Patienten in einem nicht mehr operablen Tumorstadium diagnostiziert. Durch eine Chemotherapie sind ein verlängertes Gesamtüberleben und ein verlängertes Zeitintervall bis zur Progression erreichbar. Die Kombinationschemotherapie zeigt einen Vorteil im Gesamtüberleben, im Ansprechen und in der Zeit bis zur Progression, die Hazard-Ratio (HR) für die Kombinationschemotherapie gegenüber der Monotherapie ist 0,82, das 95%-Konfidenzintervall (CI) 0,74–0,90 [24]. Durch eine Vielzahl von gut konzipierten klinischen Studien ist es gelungen moderne, besser verträgliche Chemotherapieprotokolle zu etablieren, die eine patientenadaptierte Therapie ermöglichen [2, 8]. In Tab. 1 sind die großen Phase-III-Studien aufgeführt. Allerdings besteht bei einem medianen Gesamtüberleben von 11–13,9 Monaten mit moderner Kombinationschemotherapie die Notwendigkeit für eine Innovation der Therapie des Magenkarzinoms [2, 8].

Tab. 1 Phase-III-Studien in der Erstlinientherapie

HER2 und die Biologie des Magenkarzinoms

Das ErbB2-Protein („human epidermal growth factor receptor 2“, HER2) ist ein transmembranöser Tyrosinkinaserezeptor aus der Familie der epidermalen Wachstumsfaktorrezeptoren (EGFR), die aus 4 Untergruppen besteht (HER1–HER4. Bindet ein Ligand an den extrazellulären Teil des EGFR, so führt das zu einer Homo- oder Heterodimerisierung und dadurch zu Aktivierung der Signalkaskade [17].

Die EGFR-Aktivierung beeinflusst die Tumorbiologie und hat Einfluss auf Proliferation, Apoptose, Differenzierung, Adhäsion und Migration der Zellen.

Das Gen für das HER2-Protein liegt auf Chromosom 17q21 und wirkt in der Tumorgenese als Onkogen [1, 21]. Mit Trastuzumab als erster zugelassener monoklonaler Antikörper, der HER2 bindet, gibt es bereits eine Therapie beim Mammakarzinom.

Bei In-vitro-Versuchen konnte anhand der Magenkarzinomzelllinie N87, die eine Amplifikation von HER2/neu aufweist, eine Inhibition von Wachstum durch Trastuzumab gezeigt werden. Die Hemmung des Zellwachstums bestand in dem gleichen Ausmaß wie bei der Mammakarzinomzelllinie SKBR-3 [9, 22]. Im Xenograftmodell mit NCI-N87-Zellen führte die Gabe von Trastuzumab in vivo zu einem verminderten Wachstum und zu gesteigerter Apoptose [25]. Beim Vergleich von zwei HER2-überexprimierenden und HER2/neu-amplifizierten Xenografttumormodellen (NCI-N87 und 4-1ST) mit zwei HER2-negativen Modellen (GXF97 und MKN-45) konnte mit Trastuzumab eine selektive Inhibition des Tumorwachstums bei den HER2-positiven Modellen erreicht werden. Die Kombination von Trastuzumab und einer Chemotherapie mit Capecitabin und Cisplatin zeigte eine noch höhere Inhibition [9].

HER2-Protein-Expression und HER2-Gen-Amplifikation

Eine HER2-Protein-Überexpression oder HER2-Amplifikation besteht bei 16–23% der Magenkarzinome [3, 6, 18]. Im Rahmen der ToGA-Studie wurden 3883 Patienten in 24 Ländern auf eine HER2-Überexpression hin untersucht. Die Definition einer Überexpression war ein immunhistochemischer Färbungsscore (IHC) von 3+ und/oder eine HER2-Amplifikation mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH). Nach diesen Kriterien waren 21,1% der Patienten HER2-positiv [3]. Beim Mammakarzinom wird ein anderes Färbe-Scoringsystem verwendet, der Anteil der HER2-Expression und der HER2-Gen-Amplifikation ist ähnlich (20–25%; [20, 21]). Beim Vergleich zwischen Europa (23,6%) und Asien (23,5%) findet sich kein Unterschied in der Rate der HER2-positiven Karzinome.

Es zeigt sich jedoch ein unterschiedliches Färbeverhalten in Abhängigkeit der Tumorlokalisation mit einem höheren positiven Anteil beim Karzinom des gastroösophagealen Übergangs (33,2%) gegenüber dem Magenkarzinom (20,9%; p< 0,001). Es besteht eine Korrelation zwischen der histologischen Klassifikation und der Rate an HER2-positiven Tumoren [5, 14]. Aufgeschlüsselt nach der Lauren-Klassifikation waren beim intestinalen Typ 32,3%, beim diffusen Typ 6,1% und beim gemischten Typ 20,4% der Tumoren HER2-positiv [3]. Das veränderte HER2-Scoring-System zeigte eine Übereinstimmung von 87,5% zwischen den Ergebnissen von IHC und FISH. Der Vergleich von Probeexzisat und Resektat ergab eine identische Rate an amplifiziertem HER2-neu [16].

Die Unterschiede im Färbeverhalten zwischen Magenkarzinom und Mammakarzinom sowie die unterschiedliche Wertigkeit der Amplifikation haben zur Entwicklung einer magenkarzinomspezifischen HER2-Diagnostik geführt. Immunhistochemisch zeigt sich beim drüsig-differenzierten Magenkarzinom eine an den Zell-Zell-Kontakten ausgebildete Membranfärbung [12]. Da es innerhalb eines Magenkarzinoms zu einer heterogenen Verteilung des HER2-Proteins kommt, wird für eine Biopsie eine Membranfärbung von einem Zellverband gefordert. In einem Ringversuch mit deutschen und französischen Pathologen konnte gezeigt werden, dass die Übereinstimmung bei  < 5 gefärbten Zellen deutlich abnahm, so dass eine Mindestzellzahl von 5 verbundenen Zellen gefordert wird [19]. Beim Mammakarzinom ist die durch FISH gemessene HER2-Gen-Amplifikation der IHC gleichwertig, beim Magenkarzinom ist die IHC das relevantere Testverfahren. Patienten mit einer HER2-Überexpression profitieren mehr von der Therapie mit Trastuzumab als IHC-0/FISH-positive Patienten [4]. Die Messung der HER2-Gen-Amplifikation wird nur zur Bestätigung beim IHC-HER2-Score 2 +  eingesetzt.

In Tab. 2 ist das von der EMA empfohlene Bewertungssystem des IHC-Färbungsmusters dargestellt. In einer vergleichenden Studie an 166 Magenkarzinomen konnte gezeigt werden, dass es zwischen dem Goldstandard FISH und der Silber-in-situ-Hybridisierung (SISH)in 96,4% der Fälle eine Übereinstimmung gibt [10]. Das SISH-Verfahren kann lichtmikroskopisch ausgewertet werden und hat den Vorteil, dass IHC und In-situ-Hybridisierung parallel betrachtet werden können. Es wird von der EMA als Präferenz angegeben.

Tab. 2 HER2/neu-Klassifikation des Magenkarzinoms, mod. nach European Medicines Agency (EMA)

Prognostische Bedeutung von HER2

Die Frage nach der prognostischen Bedeutung der HER2-Überexpression und -Amplifikation ist bei diskordanten Studienergebnissen noch nicht abschließend beantwortet. So konnte in zwei neueren Studien eine signifikante Korrelation zwischen der HER2-Amplifikation und einem verringerten Gesamtüberleben etabliert werden [5, 22]. Die Überexpression von HER2 korrelierte bei 102 untersuchten Magenkarzinomen mit einer schlechten Prognose, wohingegen in einer großen Studie mit 924 Magenkarzinomproben immunhistochemisch keine Korrelation mit dem klinischen Verlauf etabliert werden konnte [11, 26]

Klinische Studien

Phase-II-Studie

In einer als Abstract publizierten Phase-II-Studie wurden 24 Patienten mit HER2-exprimierendem Magenkarzinom behandelt. Ausgewertet wurden 17 Patienten, bei denen durch die Kombination von Trastuzumab und Cisplatin ein Ansprechen von 34% bei einer guten Verträglichkeit gezeigt werden konnte [7].

ToGA-Studie

Die erste randomisierte multizentrische klinische Phase-III-Studie mit Trastuzumab beim HER2-exprimierenden Adenokarzinom des Magens oder des gastroösophagealen Übergangs war die ToGA-Studie („Trastuzumab for HER2-positive metastatic gastric cancer „), die 2010 publiziert wurde [4]. Als Therapie wurden Cisplatin und Capecitabin oder Cisplatin und 5-Fluoruracil (5-FU) mit und ohne Trastuzumab verglichen. Eingeschlossen wurden Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen und nichtoperablen Adenokarzinom, einem Rezidiv oder einem metastasierten Adenokarzinom. Ausschlusskriterien waren eine vorherige Chemotherapie in der metastasierten Situation, ein ECOG  (Performancestatus nach der Eastern Cooperative Oncology Group) von > 2, obere gastrointestinale Blutung, Ruhedyspnoe oder Gehirnmetastasen. Ein weiteres Ausschlusskriterium war eine kardiale Vorerkrankung: konkret Herzinsuffizienz, linksventrikuläre Funktion  < 50%, Myokardinfarkt, unkontrollierter Bluthochdruck (systolischer Blutdruck  > 180 mmHg oder diastolischer Blutdruck  > 100 mmHg), eine medikamentös behandelte Angina pectoris, eine symptomatische Herzklappenerkrankung und ein hohes Risiko für Arrhythmien.

Die Studie rekrutierte Patienten an 122 Zentren in 24 Ländern in Asien, Amerika und Europa. Insgesamt wurden zwischen 2005 und 2008 594 Patienten randomisiert; 584 Patienten haben eine Behandlung bekommen und ihre Daten wurden ausgewertet. Der Hauptteil der behandelten Patienten hatte einen guten Perfomancestatus mit einem ECOG  von ≤ 1 (91% im Trastuzumab-Arm und 90% im alleinigen Chemotherapiearm). Insgesamt waren die Patienten mit einem mittleren Alter von  <60 Jahren jung für ein Magenkarzinom. Bei Einschluss in die Studie waren 97% der Patienten im metastasierten Stadium. Die Mehrzahl der Patienten (76%) hatte eine hohe HER2-Expression, immunhistochemisch entweder HER2 2+ oder 3+.

In der Auswertung zeigte sich ein von 11,1 Monaten auf 13,8 Monate verlängertes Gesamtüberleben mit einer Hazard-Ratio von 0,74 (95%-CI 0,60–0,01; p=0,0046). Das mediane progressionsfreie Überleben lag im Trastuzumab-Arm bei 6,7 Monaten gegenüber 5,5 Monaten im Chemotherapiearm. Auch die Tumoransprechrate, die Zeit zur Progression und die Dauer des Ansprechens waren im Trastuzumab-Arm gegenüber dem Chemotherapiearm signifikant verlängert.

Die ToGA-Studie führte zur Zulassung von Trastuzumab durch die EMA

Die Gesamtrate an Nebenwirkungen („any adverse events“) war mit 99% und 98% in beiden Gruppen gleich groß, bei den Grad-3- und Grad-4-Nebenwirkungen zeigte sich im Trastuzumab-Arm nur bei der Diarrhö mit 9% eine höhere Rate (gegenüber 4% in dem alleinigen Chemotherapiearm). Auch die Rate an „serious adverse events“ war nicht signifikant unterschiedlich.

In der im Studienkonzept angelegten Analyse der Daten in Abhängigkeit der Proteinexpression und der Genamplifikation wurden 2 Subgruppen definiert:

  • Patienten, die stark HER2-positiv waren, definiert als Her2+ und FISH-positiv oder HER2-3+;

  • Patienten, die schwach HER2-positiv waren, definiert als HER2-0- und FISH-positiv oder HER2-1- und FISH positiv.

In der stark HER2-positiven Gruppe zeigte sich gegenüber der schwach-positiven Gruppe ein auf 16 Monate (vs. 11,8 Monate) verlängertes Gesamtüberleben (HR 0,65; 95%-CI 0,51–0,83).

Zwei Gruppen wiesen keine Verlängerung des Gesamtüberlebens auf: die Gruppe der Patienten mit ECOG 2 (HR 0,96; 95%-CI 0,51–1,79) sowie die Gruppe von Patienten mit nicht messbaren Tumormassen (HR 1,78; 95%-CI 0,87–3,66) und mit lokal fortgeschrittenem Tumorstadium (HR 1,20; 95%-CI 0,29–4,97).

Die Studie führte zur Zulassung von Trastuzumab durch die EMA. Die Zulassung gilt für das HER2-überexprimierende metastasierte Adenokarzinom des Magens und des gastroösophagealen Übergangs als Erstlinientherapie, in Verbindung mit den in der ToGA-Studie untersuchten Chemotherapiekombinationen. Die HER2-Überexpression ist definiert als IHC 2+ und SISH- oder FISH-positiv oder IHC 3+.

Fazit für die Praxis

  • Die Therapie mit Trastuzumab beim Magenkarzinom ist ein großer Schritt in Richtung der selektiven Therapie des Magenkarzinoms und zeigt, dass ein besseres Verständnis der Tumorbiologie zu einer effektiven Therapie führt.

  • Der Anteil der Patienten mit Magenkarzinom, für die ein Vorteil für die Therapie mit Trastuzumab gezeigt werden konnte, ist genau definiert. Bei allen Patienten mit einem metastasierten Magenkarzinom (IHC 2+ und SISH- oder FISH-positiv bzw. IHC 3+) sollte eine Therapie mit Trastuzumab evaluiert werden.

  • Es muss bedacht werden, dass ein Nutzen der Therapie für Patienten mit relevanter kardialer Erkrankung oder einem ECOG > 2 nicht belegt ist, da diese Patienten von der ToGA-Studie ausgeschlossen waren. Für ECOG-2-Patienten konnte kein Überlebensvorteil gezeigt werden.