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Menschen mit HIV-Infektion sind eine Hochrisikopopulation für anale Präkanzerosen und Analkarzinome

  • Können Sie Risikofaktoren für anale HPV-Infektionen und HPV-induzierte anale Präkanzerosen benennen,

  • Sind Ihnen die verschiedenen Klassifikationen HPV-assoziierter Neoplasien bekannt,

  • Können Sie wesentliche einzuleitende diagnostische Schritte benennen,

  • Kennen Sie die derzeit in Leitlinien empfohlenen Maßnahmen zum Analkrebsscreening bei Hochrisikogruppen,

  • Kennen Sie die Empfehlungen für die prophylaktische HPV-Impfung.

Ätiopathogenese und Epidemiologie

Anale intraepitheliale Neoplasien (AIN) stellen Vorläuferläsionen des Analkarzinoms dar, und werden, wie über 90% aller Analkarzinome, durch persistierende Infektionen mit Hochrisiko (HR)-Humanen Papillomviren (HPV) verursacht [1, 2, 3]. Hierzu gehören die HPV-Typen 16, 18, 31, 33, 45, 52, 58 und andere, wobei HPV 16 das höchste onkogene Potenzial hat [1]. HR-HPV sind Tumorviren, deren virales Genom in einen frühen („early“, E) und einen späten („late“, L) Bereich unterteilt wird. Die Early-Gene (E5, E6, E7) sind virale Onkogene, welchen u.a. mit den Tumorsuppressor-Proteinen p53 (E6) und Retinoblastom-Protein (pRB) (E7) interagieren und somit zur Inaktivierung von Zellzyklus-Checkpoints, zunehmender genetischer Instabilität und der Immortalisierung von HPV-positiven Zellen führen, aber auch durch verschiedene Mechanismen der Immunevasion die Etablierung von persistierenden HPV-Infektionen erleichtern [4, 5]. Bei einer persistierenden Infektion mit HR-HPV kommt es zu einer anhaltenden Expression von E6- und E7-Proteinen im infizierten Epithel, die zu einer Transformation der infizierten Zellen führen kann und mit zunehmendem Dysplasiegrad das gesamte Epithel erfasst. Betroffene Epithelarten sind neben mehrschichtigen Plattenepithelien der anogenitalen Haut und Schleimhaut von Penis, Anus, Vulva oder Vagina insbesondere die Transformationszonen am äußeren Ostium der Zervix uteri oder im Bereich der Linea dentata des Analkanals. Diese Transformationszone, an der das mehrschichtig unverhornte Plattenepithel des Analkanals in das Drüsenepithel des Rektums übergeht, ist ein Prädilektionsort für persistierende Infektionen mit HR-HPV.

AIN lassen sich je nach Ausprägung der Dysplasie in drei Grade einteilen

Histopathologisch sind Analkarzinome in den meisten Fällen Plattenepithelkarzinome des Anus

Anale HPV-Infektionen sind generell bei ca. 25% der gesunden HIV-negativen Männer und bei 31% der gesunden HIV-negativen Frauen nachweisbar. HR-HPV Typen finden sich in 5% bzw. 22%, wobei diese Infektionen in den meisten Fällen transient sind (virale Clearance) [6, 7, 8]. Bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), sind sie wesentlich häufiger, oft kommen Infektionen mit multiplen HPV-Typen vor [9]. Bei MSM mit begleitender HIV-Infektion ist sowohl die anale HPV-Prävalenz (93% vs. 61%) als auch Infektionen mit multiplen HPV-Typen höher als bei MSM ohne HIV-Infektion [9]. Bei Frauen mit HIV sind anale HPV-Infektionen ebenfalls sehr häufig (HPV-Prävalenz 90%, HR-HPV 85%) [10]. Risikofaktoren für anale HPV-Infektionen sind rezeptiver analer Geschlechtsverkehr, eine hohe Anzahl an Sexualpartnern, Immunsuppression, Rauchen und HPV-Infektionen der Zervix uteri [6,8,9,11]. Somit sind Menschen mit HIV-Infektion Hochrisikopopulationen für anale Präkanzerosen und Analkarzinome.

AIN lassen sich je nach Ausprägung der Dysplasie in drei Grade einteilen. Bei einer AIN Grad 1 ist das untere Drittel des Epithels, bei einer AIN 2 die unteren zwei Drittel und bei einer AIN 3 das gesamte Epithel von dysplastischen, E6- und E7 exprimierenden Keratinozyten durchsetzt (Tab. 1). Die AIN 1 wird auch als low-grade AIN (LGAIN) bezeichnet, AIN 2 und 3 werden als high-grade AIN (HGAIN) zusammengefasst. Mehr als 50% der MSM mit HIV haben eine AIN, die in 20-30% bereits höhergradig ist. Für Frauen mit HIV finden sich ähnliche Werte [12, 13, 14, 15, 16, 17]. Risikofaktoren für eine AIN bei diesen Patienten sind ebenfalls rezeptiver analer Geschlechtsverkehr, niedrige CD4-Zellzahlen, Rauchen und bei Frauen das Vorliegen von HR-HPV-Infektionen der Zervix uteri sowie von zervikalen intraepithelialen Neoplasien (CIN) [11], [16, 17, 18]. Eine spontane Regression von LGAIN bei MSM mit HIV erfolgt in ca. 50%, während ca. 16% zu höhergradigen AIN fortschreiten [13]. Die Häufigkeit der Progression von HGAIN zu invasiven Analkarzinomen, die bei MSM mit HIV innerhalb weniger Monate bis Jahre erfolgen kann [19,20], wurde in einer prospektiven multizentrischen Studie (ANCHOR study) mit 4.446 Personen mit HIV (Alter ≥35 Jahre) untersucht [21]. Bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von etwas mehr als zwei Jahren traten in der Beobachtungsgruppe (ohne Therapie) (n = 2.080 Teilnehmende) 21 Analkarzinome auf (402 pro 100.000 Personenjahre; 95% KI 262-616). In anderen Studien zeigt sich bei MSM mit HIV ein Fortschreiten von HGAIN zu Analkarzinomen in 3-14% innerhalb von fünf Jahren [22, 23, 24]. Hierbei gehen insbesondere durch HPV16 induzierte HGAIN in Analkarzinome über [1].

Tab. 1 Zytologische und histologische Einteilung der AIN

Histopathologisch sind Analkarzinome in den meisten Fällen Plattenepithelkarzinome des Anus. Anatomisch lassen sich Analkanalkarzinome von Analrandkarzinomen unterscheiden. Entgegen der abnehmenden Erkrankungsrate beim Kolonkarzinom steigt sowohl die Neuerkrankungsrate als auch die Mortalitätsrate des Analkarzinoms in den letzten 20 Jahren an [2,3]. In der Allgemeinbevölkerung ist die Analkarzinominzidenz mit 3,2 pro 100.000 bei Frauen höher als bei Männern (2,0) [25, 26, 27], bei Personen mit HIV-Infektion verhält es sich umgekehrt: Während MSM mit HIV eine Inzidenzrate von 85 pro 100.000 aufweisen, sind die Inzidenzraten bei heterosexuellen Männern mit HIV 32 und bei Frauen mit HIV 22 pro 100.000 pro Jahr. MSM ohne HIV-Infektionen haben mit 19 pro 100.000/Jahr eine ähnliche Inzidenzrate wie Frauen mit HIV (vergleiche hierzu [2]).

Klinik

AIN können perianal (Abb. 1) und im Analkanal bzw. distalen Rektum auftreten, besonders häufig sind hier Läsionen im Bereich der Linea dentata (Abb. 2).

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figure 2

Perianale AIN. Perianal rechts bei 1-2 Uhr in Steinschnittlage zeigt sich eine ca. 3 cm durchmessende erosive Plaque mit teilweise verruköser Oberfläche (aus [28] © Springer Verlag, mit freundlicher Genehmigung von R. Wahl).

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figure 3

Intraanale AIN in der hochauflösenden Anoskopie. Im Bereich der Linea dentata findet sich bei 5 Uhr in Steinschnittlage eine essigsäure-positive flache Plaque mit „punctation“ (aus [29] © Springer Verlag, mit freundlicher Genehmigung von Alexander Kreuter).

Perianale intraepitheliale Neoplasien stellen sich typischerweise als leukoplakische, erythroplakische, erythematöse, verruköse, bräunlich pigmentierte oder erosive Plaques dar (Abb. 1). Die historischen Begriffe der perianalen bowenoiden Papulose und des perianalen Morbus Bowen sind histologisch ebenfalls perianale AIN. Da eine AIN beispielsweise auch einem chronischen Analekzem ähneln kann, sollte sie bei allen chronisch-entzündlichen Dermatosen im Perianalbereich mit in die differenzialdiagnostischen Überlegungen einbezogen werden, insbesondere wenn unter einer adäquaten Lokaltherapie innerhalb weniger Monate keine Abheilung erzielt wird. In diesem Fall sollte eine Gewebeprobe entnommen werden. Differenzialdiagnosen der perianalen AIN sind Analekzeme, perianale Psoriasis, Lichen sclerosus et atrophicans, perianaler Lichen simplex, HSV-Ulcus, Condylomata lata, extramammärer Morbus Paget, Morbus Hailey-Hailey. Bei MSM mit HIV sollte bedacht werden, dass sich in klinisch als anogenitale Warzen (AGW, Kondylome) präsentierenden Befunden bereits fokale dysplastische Anteile oder sogar invasive Karzinome befinden können, weswegen alle AGWs von Menschen mit HIV histologisch untersucht werden sollten [13, 30, 31].

Intraanale intraepitheliale Neoplasien sind häufig mit dem bloßen Auge, das heißt im Rahmen einer normalen Proktoskopie, nicht erkennbar. Weiterhin sind sie meistens klinisch stumm. Sie lassen sich besonders gut in der hochauflösenden Anoskopie (high-resolution anoscopy, HRA) diagnostizieren, die den Goldstandard in der Diagnostik von intraanalen HPV-assoziierten Neoplasien darstellt (s.u.).

Diagnostik

Da Anal- und Zervixkarzinome biologische Ähnlichkeiten aufweisen, werden für die Diagnostik von AIN und Analkarzinomen meist Methoden, die in der gynäkologischen Vorsorge etabliert wurden, verwendet.

Analzytologie. Neben der digital-rektalen Untersuchung kann, analog zum Pap-Abstrich der Zervix uteri, eine Analzytologie erfolgen. Hierbei wird ein Bürstentupfer rektal eingeführt, unter Drehen herausgezogen, auf einem Objektträger ausgestrichen und mikroskopisch beurteilt. Um ausreichend Zellen zu gewinnen, ist es ratsam, 24 Stunden vor der Untersuchung auf rezeptiven Analverkehr oder Klistieren zu verzichten. Das analzytologische Ergebnis lässt sich in verschiedene Pap-Klassen oder gemäß der Bethesda-Klassifikation einteilen (Tab. 1).

Die klinische Effektivität und die Kosteneffektivität der Analzytologie gelten bei MSM mit HIV mittlerweile als belegt [32, 33]. In einer kürzlich veröffentlichen Metaanalyse wurden Sensitivität und Spezifität eines analzytologischen ASC-US+ (mindestens ASC-US oder höhergradiger in der Analzytologie) für einen histologisch bestätigten AIN Grad 2 oder höher bei MSM mit HIV mit 85,2% (95% KI, 77-91%) und 52,8% (95% KI, 43-62%) berechnet [34].

Die klinische Effektivität und die Kosteneffektivität der Analzytologie gelten bei MSM mit HIV mittlerweile als belegt

Hochauflösende Anoskopie (HRA). Bei der HRA wird nach Anfärbung der Schleimhaut mit 3-5%iger Essigsäure der Analkanal mit einem Anoskop gespiegelt und durch ein Kolposkop inspiziert, womit eine bis zu 30-fache Vergrößerung möglich ist [35]. Essigsäure färbt dysplastisches Epithel, aber auch metaplastisches (physiologisches) Epithel oder normales Zylinderepithel, weiß. Typisch für HPV-assoziierte Neoplasien sind essigsäurepositive, irregulär konfigurierte, teils verruköse Plaques meist im Bereich der Linea dentata. Typische kolposkopische und anoskopische Muster sind „punctations“, „mosaicism“ oder „atypical vessels“ (Abb. 2) [14, 36]. Beim Vorliegen von Gefäßabbrüchen oder Kaliberschwankungen der Gefäße besteht der Verdacht auf höhergradige Dysplasien bzw. bereits invasive Karzinome. Zusätzlich oder alternativ kann diagnostisch auch Lugol-Lösung (Iodlösung) verwendet werden: Normales nicht verhornendes Plattenepithel speichert Glykogen und wird durch die Lugol-Lösung schwarz-braun (jodpositiv) angefärbt, während dysplastisches Gewebe, aber auch Narben, kein Glykogen enthalten und gelb oder gar nicht (jod-negativ) angefärbt werden. Die HRA erfordert viel Erfahrung des Untersuchenden.

Generell können ablative Therapien von topischen Verfahren unterschieden werden

In der HRA AIN-verdächtige Läsionen sollten mittels Zangenbiopsie biopsiert und histologisch untersucht werden. Hierbei zeigen sich histologisch bei Vorliegen einer AIN dysplastische Keratinozyten in verschiedener Ausprägung je nach Grad der AIN (s.o. und Tab. 1). Die immunhistochemische Färbung auf p16 in einzelnen Keratinozyten oder Zellgruppen im Stratum spinosum weist hierbei auf eine HR-HPV-Infektion hin, da p16 ein indirekter Marker der E7-Expression ist. In höhergradigen AIN zeigt sich hierbei eine starke und diffuse immunhistochemische p16-Färbung, während niedriggradige Läsionen nur schwach oder gar nicht p16-positiv sind [37, 38]. Aus diesem Grund wird p16 auch als Biomarker für das Progressionsrisiko von intraepithelialen HPV-assoziierten Präkanzerosen diskutiert [37, 38]. Eine molekularbiologische Untersuchung zum HPV-Nachweis bzw. zur HPV-Typisierung hat keine therapeutische Konsequenz [31], kann aber hilfreich sein, um die Läsion von anderen lichenoiden oder chronisch-entzündlichen Krankheitsbildern und eventuell hieraus entstehenden Dysplasien zu unterscheiden.

In der HRA AIN-verdächtige Läsionen sollten mittels Zangenbiopsie biopsiert und histologisch untersucht werden

Therapie

Im Vergleich zu hochgradigen CIN, die mittels Konisation behandelt werden, ist eine komplette Entfernung der Transformationszone im Analbereich aufgrund von Komplikationen wie Stenosenbildung, Defäkationsstörung und Inkontinenz nicht möglich. Daher liegt der Fokus auf möglichst gewebeschonenden therapeutischen Maßnahmen. Generell können ablative Therapien von topischen Verfahren unterschieden werden [31, 39]. Einen Überblick über die verschiedenen Therapie-Optionen bietet Tab. 2.

Tab. 2 Therapieoptionen bei AIN

Die Therapiemöglichkeiten für intraanale AIN unterscheiden sich hierbei nicht wesentlich von denen der Kondylome, jedoch ist die Studienlage im Gegensatz dazu dürftig. Im klinischen Alltag ist meistens die elektrokaustische Abtragung (ECA) die erste Therapieoption, die der topischen Therapie mit Imiquimod 5% Creme oder 5-Fluoruracil 5% Creme überlegen ist [40]. Die Anwendung des Toll-like-receptor 7 (TLR7) Agonisten Imiquimod als 5%ige Creme oder Suppositorien (off-label) erfolgt selbstständig durch den Patienten dreimal pro Woche über Nacht für maximal zwölf Wochen. Wichtig: die Patienten müssen über die (erwünschte) Lokalreaktion als Wirkung des immunmodulatorischen Medikaments aufgeklärt werden. Bei systemischer Reaktion (Allgemeinsymptome, Fieber, Rückenschmerzen etc. muss die Therapie unter- oder abgebrochen werden). Topisches 5-Fluoruracil ist ein Pyrimidin-Analogon, welches indirekt die DNA-Synthese hemmt und ebenfalls bei ausgedehnterem Befall, vor allem perianal, zur Anwendung kommt. Die topische Therapie mit hochprozentiger Trichloressigsäure (80-90%) gehört zu den häufig eingesetzten Behandlungsverfahren bei genitalen und perianalen Condylomata acuminata, kann aber auch intraanal angewendet werden (Abb. 3).

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figure 4

Intraanale AIN auf 5 Uhr in Steinschnittlage (vgl. Abb. 2) nach Therapie mit 85%iger Trichloressigsäure (aus [29] © Springer Verlag, mit freundlicher Genehmigung von Alexander Kreuter).

Bisher existiert eine retrospektive Studie zu 85%iger Trichloressigsäure bei 54 Männern mit und ohne HIV-Infektion mit AIN [39, 41, 42]. Allen Therapieverfahren sind sehr hohe Rezidivraten gemeinsam [31,43,44], weswegen engmaschige Nachkontrollen und Re-Biopsien häufig notwendig werden (alle drei bis sechs Monate bis zur Abheilung). In der prospektiven randomisierten multizentrischen ANCHOR study (s.o.) konnte gezeigt werden, dass die Therapie von HGAIN bei Menschen mit HIV im Vergleich zu einer „wait-and-see“-Strategie die Progressionsrate von HGAIN zu Analkarzinomen in einer medianen Behandlungszeit von mehr als zwei Jahren um 57% senkt (95% KI 6-80, p=0,03) [21]. Die AIN-Behandlung in der Therapiegruppe erfolgte hierbei mittels Exzision, Ablation, 5-Fluoruracil 5% Creme oder Imiquimod 5% Creme. Ein weiterhin wichtiger Grundbestanteil der Therapie von HPV-assoziierten Präkanzerosen bei Menschen mit HIV ist eine suffiziente antiretrovirale Therapie, mit der möglichst normwertige CD4-Helferzellen erreicht werden sollten [45].

Screening

Während beim Zervixkarzinom hinreichende Evidenz besteht, dass das Screening im Sinne einer Sekundärprävention zu einer Reduktion der Zervixkarzinom-Inzidenz führt, liegen bis dato keine prospektiven kontrollierten Studien bezüglich des Analkarzinoms vor. Eine retrospektive Beobachtungsstudie mit mehr als 3.000 Menschen mit HIV-Infektion konnte jedoch zeigen, dass durch HRA-gerichtete Biopsien gefolgt von einer AIN-Therapie bei auffälligen Befunden die Analkarzinom-Inzidenzrate bei gescreenten im Vergleich zu nicht-gescreenten Personen signifikant gesenkt werden konnte (Inzidenzrate 21,0 vs. 107,0 pro 100.000 Personenjahre) [46, 47, 48]. Die seit 2013 existierende Deutsch-Österreichische Leitlinie zur Prävention, Diagnostik und Therapie von analen Dysplasien und Analkarzinom bei Menschen mit HIV [47], die derzeit überarbeitet wird, empfiehlt ein jährliches Screening, die europäische Leitlinie ein Screening alle 1-3 Jahre [14, 48, 49]. Die International Anal Neoplasia Society (IANS) hat 2024 eine evidenzbasierte Konsensus-Guideline zum Analkarzinom-screening in Hochrisiko-Populationen veröffentlicht [50]. Hierbei wird das Alter bzw. der Zeitpunkt, ab dem ein Analkarzinomscreening erfolgen sollte, je nach Risikogruppe (Risikokategorie A: mehr als 10-fach erhöhtes Risiko, Risikokategorie B: bis zu 10-fach erhöhtes Risiko im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung), unterschiedlich angesetzt (Tab. 3).

Tab. 3 Risikogruppen-basierte Empfehlungen der IANS zum Analkarzinomscreening. Adaptiert aus [50].

Hierbei sollte mindestens eine digital-rektale Untersuchung [17] sowie eine Analzytologie (mit eventuell zusätzlicher HPV-Testung und Typisierung), z.B. durch die primär behandelnden Schwerpunktpraxen für HIV, die Gynäkologen oder Dermatologen des Patienten, erfolgen. Beim Vorliegen einer auffälligen Analzytologie (ASC-US, ASC-H, LSIL, HSIL, CA) sollte eine HRA mit gerichteter Biopsie erfolgen. Hierzu müssen Patienten meist an spezialisierte HRA-Zentren überwiesen werden. Für ein effektives Screening-Programm sind demnach erfahrene Zytopathologen und HRA-Zentren notwendig, insbesondere Letztere stehen jedoch meist nur in Großstädten zur Verfügung [50, 51]. Es existieren verschiedene Screening-Algorithmen. Insbesondere weil die bis dato veröffentlichten Studien relativ kurze Beobachtungszeiträume von maximal drei Jahren hatten, fehlen jedoch bisher evidenzbasierte Empfehlungen über ausreichende bzw. notwendige Screening-Intervalle.

Es existieren verschiedene Screening-Algorithmen

Impfprävention der AIN

Die prophylaktische HPV-Impfung ist geschlechtsneutral ab neun Jahren zur Prävention von durch die Impfstoff-HPV-Typen induzierten anogenitalen Läsionen zugelassen. Es existieren zwei Totimpfstoffe, die nichtinfektiöse „virus-like particles“ von HPV16 und 18 (bivalenter Impfstoff) bzw. HPV 6, 11, 16 ,18, 31, 33, 45, 52 und 58 (nonavalenter Impfstoff) enthalten. Hierbei ist der nonavalente Impfstoff auch für die Prävention von durch HPV6 und 11 induzierten AGWs zugelassen. Die Ständige Impfkommission (STIKO) beim Robert-Koch-Institut empfiehlt die HPV-Impfung für alle Mädchen und Jungen im Alter von 9-14 Jahren. Die vollständige Impfserie (zwei Impfungen von 9-14 Jahren, ab 15 Jahren drei Impfstoffdosen) sollte vor dem ersten Sexualkontakt abgeschlossen sein. Auch Personen, die älter als 17 Jahre alt sind, können von einer HPV-Impfung profitieren, die Wirksamkeit bei nicht HPV-naiven Personen ist jedoch reduziert [52, 53]. Die Impfung ist sowohl für gesunde Mädchen und Jungen als auch für Patienten mit Grunderkrankungen (HIV-Infektion, Immunsuppression, Autoimmunerkrankungen) sicher und effektiv [54]. Die Effektivität der mittlerweile durch die nonavalente Impfung ersetzten quadrivalenten Impfung (gegen HPV 6, 11, 16, 18) auf persistierende anale HPV-Infektionen und AIN wurde in einer randomisierten, placebo-kontrollierten Studie mit 602 gesunden 16-26 Jahre alten MSM nachgewiesen [52]. In einer aktuell veröffentlichen Studie aus Dänemark mit allen 17-32 Jahre alten dänischen Frauen wurde nun erstmals gezeigt, dass eine frühe HPV-Impfung das Risiko für eine AIN oder ein Analkarzinom in der Allgemeinbevölkerung signifikant senkt [55].

Auch Personen, die älter als 17 Jahre sind, können von einer HPV-Impfung profitieren

Eine frühe HPV-Impfung senkt das Risiko für eine AIN oder ein Analkarzinom in der Allgemeinbevölkerung signifikant

Mit zunehmendem Lebensalter und zunehmender Anzahl an Sexualpartnern sinkt die Effektivität der HPV-Impfung durch bereits erworbene HPV-Infektionen. Bei vorliegenden HPV-Infektionen oder HPV-bedingten Neoplasien ist eine Impfung als therapeutische Strategie nicht sinnvoll [56, 57, 58]. Eine randomisierte, kontrollierte, doppelblinde Phase-3-Studie zur Wirksamkeit der HPV-Impfung bei Personen mit HIV-Infektion im Alter von ≥ 27 Jahren wurde vorzeitig beendet, da der quadrivalente Impfstoff weder neue persistierende anale Infektionen mit den Impfstoff-HPV-Typen verhinderte noch Einfluss auf die Analzytologie/AIN hatte [58]. Eine weitere prospektive, randomisierte Placebo-kontrollierte Studie untersuchte den Effekt der HPV-Impfung auf das Wiederauftreten von HGAIN bei 126 MSM mit HIV. Nach 18 Monaten Beobachtung hatten 69% der Interventions- und 61% der Placebogruppe AIN-Rezidive, sodass eine adjuvante HPV-Impfung zur Rezidiv-Reduktion von AIN nicht empfohlen werden kann [59]. Mehr als 95% der Analkarzinome bei Menschen ohne HIV-Infektion und 75-92% der Analkarzinome bei Menschen mit HIV werden durch HR-HPV verursacht, die von dem nonavalenten Impfstoff abgedeckt werden [1]. Zur Senkung der Prävalenz von AIN und Analkarzinomen in der Allgemeinbevölkerung und besonders in den Risikogruppen müssen die HPV-Impfraten bei jungen, HPV-naiven Personen in dem von der STIKO empfohlenen Impfalter deutlich erhöht werden. Für Australien, wo seit 2007 ein nationales Impfprogramm läuft, über das fast 80% der Mädchen und mehr als 70% der Jungen erreicht werden, wurde in einer Modellierungsstudie berechnet, dass innerhalb der nächsten 15-20 Jahre aufgrund der Impfung und der Screening-Programme die Inzidenz des Zervixkarzinoms so niedrig sein wird, dass man von einer Elimination des Zervixkarzinoms sprechen kann [60]. Nachdem die HPV-Impfquote für eine vollständige Impfung in Deutschland anfänglich nur 20-30% betrug, lag sie 2021 (aktuellste Zahlen) für 15-jährige Mädchen bei 54% und für Jungen, für die die Impfung seit 2018 empfohlen wird, bei 27% [61]. Ein Grund des Anstiegs der Impfraten ist die 2014 angepasste Impfempfehlung der STIKO mit einem jüngeren Impfalter und damit einhergehend einer besseren Erreichbarkeit der Kinder über Routinevorsorgeuntersuchungen, sowie ein verkürztes Impfschema (zwei statt drei Impfdosen). Derzeit werden vom Robert-Koch-Institut in einer Interventionsstudie verschiedene Ansatzpunkte für Maßnahmen zur Steigerung der HPV-Impfquote in Deutschland evaluiert und bewertet. Hier geht es zum einen um Hürden zum Einsatz von sog. Recall-Systemen für die HPV-Impfung, die die Immunisierungsrate signifikant verbessern können, aber bisher in Deutschland nicht flächendeckend genutzt werden. Zum anderen sollen innovative Ansätze zur Schulung von Ärzten und medizinischen Fachangestellten hinsichtlich der Aufklärung zur HPV-Impfung untersucht werden [62].

Bei vorliegenden HPV-Infektionen oder HPV-bedingten Neoplasien ist eine Impfung als therapeutische Strategie nicht sinnvoll

Ein Grund des Anstiegs der Impfraten ist die 2014 angepasste Impfempfehlung der STIKO mit einem jüngeren Impfalter

Da ein präventiver Effekt der HPV-Impfung auch bezüglich der Entstehung oropharyngealer HPV-bedingter Karzinome angenommen wird, ist eine Erhöhung der HPV-Impfquoten in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, auch aus diesem Grund wünschenswert. Weitere ausführliche Informationen zur prophylaktischen HPV-Impfung sind in der S3-Leitlinie zur HPV-Impfung nachlesbar [54].

Fazit für die Praxis

  • Männer, die Sex mit Männern haben und Personen mit HIV-Infektion stellen Hochrisikogruppen für AIN und Analkarzinome dar.

  • Ein Analkarzinomscreening (mindestens digital-rektale Untersuchung und Analzytologie) sollte in Risikogruppen einmal jährlich erfolgen.

  • Der Goldstandard in der Diagnostik von HPV-assoziierten intraanalen Neoplasien, besonders bei auffälligen analen Zytologien, ist die hochauflösende Anoskopie mit histopathologischer Sicherung.

  • Eine effektive Therapie von höhergradigen AIN kann Analkarzinome verhindern, weswegen eine Therapie von höhergradigen AIN einer „wait-and-watch-strategy“ vorzuziehen ist.

  • Therapie-Optionen für AIN sind unter anderem Elektrokaustik, Argon-Plasma-Koagulation oder die topische Anwendung von Imiquimod 5% Creme / Suppositorien oder Trichloressigsäure 80-90%.

  • Alle verfügbaren Therapien haben hohe Rezidivraten. Nach Therapie sollten drei- bis sechsmonatige Verlaufskontrollen erfolgen.

  • Zur Senkung der Prävalenz von AIN und Analkarzinomen müssen die HPV-Impfraten bei jungen, HPV-naiven Personen im Alter von neun bis 14 Jahren deutlich erhöht werden.

    Herausgeber der Rubrik CME Zertifizierte Fortbildung: Prof. Dr. med. J. Bogner, München, Prof. Dr. med. H.J. Heppner, Bayreuth, Prof. Dr. med. K. Parhofer, München

Anmerkung: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.