Harnwegsinfektionen (HWI) gehören zu den häufigsten bakteriellen Infektionen und treten in vielen Fachgebieten auf. Die Entwicklung neuer Antibiotika für HWI ist essenziell. In den letzten Jahren wurde eine Reihe neuer Substanzen in dieser Indikation untersucht.

Das klinische Spektrum von HWI reicht von gutartigen bis zu lebensbedrohlichen Infektionen [1,2]. In der nationalen Punktprävalenzerhebung zu nosokomialen Infektionen zählten HWI mit 21,6% zu den häufigsten nosokomialen Infektionen in Deutschland [3]. Dabei waren 60% der nosokomialen HWI katheterassoziiert [3]. Mit 26,6% der Fälle waren HWI ebenso häufig wie eine Pneumonie Ursache einer Sepsis [3]. In der Analyse zur Sepsis aus der Global Burden of Disease Study zeigte sich, dass die Inzidenz der Urosepsis unter den verschiedenen Sepsisentitäten die größte Zunahme von 1990 bis 2017 aufwies, mit 55,1% in den letzten zehn Jahren, sowie die höchste Zunahme sepsisassoziierter Todesfälle mit 35,7% in den letzten zehn Jahren [4].

Einteilung

HWI werden in unkomplizierte und komplizierte HWI eingeteilt. Allerdings sind die komplizierenden Faktoren sehr heterogen und gehen mit unterschiedlichen Risiken einher. Die regulatorischen Institutionen Food and Drug Administration (FDA) und Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) haben eigene Definitionen für komplizierte HWI verfasst:

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HWI zählen zu den häufigsten nosokomialen Infektionen in Deutschland.

Die FDA definiert komplizierte HWI als Infektionen der Harnwege, die bei Vorhandensein einer funktionellen oder anatomischen Anomalie der Harnwege oder in Anwesenheit von Harnwegskathetern auftreten [5]. Patienten mit Pyelonephritis, unabhängig von der zugrunde liegenden Anomalie der Harnwege, gelten als eine Untergruppe von Patienten mit komplizierten HWI. Normalerweise liegt einer oder mehrere der folgenden Faktoren vor, die das Risiko für die Entwicklung einer HWI erhöhen:

  • Harntraktverweilkatheter,

  • 100 ml oder mehr Restharn nach der Entleerung oder neurogene Harnblase,

  • obstruktive Uropathie (z.B. durch Nephrolithiasis),

  • Azotämie, verursacht durch eine intrinsische Nierenerkrankung,

  • Harnverhalt, einschließlich eines durch gutartige Prostatahypertrophie verursachten Harnverhalts.

Die FDA-Leitlinie empfiehlt für die Anwendung in klinischen Studien, dass das primäre Wirksamkeitsergebnis ein koprimärer Endpunkt sein sollte, nämlich das klinische Ansprechen (Abklingen der Symptome zu einem Grad wie vor Beginn der HWI und keine neuen Symptome) und das mikrobiologische Ansprechen (Reduktion des initialen bakteriellen Pathogens in der Urinkultur auf < 103 KBE [koloniebildende Einheiten]/ml) [5].

Die EMA definiert Patienten mit komplizierten HWI als Patienten mit mindestens einem komplizierenden Faktor, wie z.B. einem Harnblasenverweilkatheter [6]. Darüber hinaus legt die EMA einen Schwellenwert für die Aufnahme von Patienten mit unterschiedlichen HWI-Entitäten in klinische Studien fest, sodass Patienten mit akuter Pyelonephritis und solche mit komplizierter unterer HWI jeweils mindestens 30% der eingeschlossenen Patienten in Studien umfassen sollten. Die EMA empfiehlt für die Anwendung in klinischen Studien eine kombinierte klinische und mikrobiologische Erfolgsrate als koprimären Endpunkt [6].

Kriterien des Therapieansprechens

Die Bedeutung der mikrobiologischen Erfolgsrate für eine fortgesetzte klinische Heilung wurde in der Vergangenheit vielfach diskutiert. In einer Metaanalyse wurden kürzlich die Ergebnisse von 4.842 Patienten aus 13 klinischen Phase-III-Studien zu komplizierten HWI analysiert, die bei der US-amerikanischen FDA eingereicht wurden [7]. Insgesamt zeigten sich in der Metaanalyse in 70,7% der Fälle übereinstimmende Erfolge (klinische und mikrobiologische Heilung), in 18,0% zeigten sich diskordante Misserfolge (klinische Heilung/mikrobiologische Persistenz) und in 6,7% waren übereinstimmende Misserfolge (klinisches Versagen/mikrobiologische Persistenz) zu finden. Im Gesamtergebnis hatten Patienten mit einem diskordanten Ergebnis am Test of Cure (ca. drei Wochen nach Therapiebeginn) ein erhöhtes Risiko für ein späteres klinisches Versagen beim späten Nachsorgetermin [7]. Dies war auch der Fall, wenn Patientinnen mit unkomplizierter Pyelonephritis getrennt untersucht wurden [7].

Die mikrobiologischen Erfolgsraten scheinen demnach ein wichtiger Bestandteil des Endpunkts zu sein und bestätigen die Bedeutung eines kombinierten klinischen-mikrobiologischen Endpunkts.

Im Allgemeinen sind die Ergebnisse der Zulassungsstudien zu komplizierten HWI einschließlich der Pyelonephritis wenig geeignet, ein personalisiertes Ansprechen aufzuzeigen, insbesondere im Hinblick auf potenzielle Vorteile neuer Antibiotika gegenüber den etablierten Vergleichspräparaten. Um eine Verbesserung der Endpunkte traditioneller Registrierungsstudien für neue Antibiotika zu erreichen, wurde eine sog. DOOR-Analyse (Desirability Of Outcome Ranking) entwickelt, bei der ein Ranking für verschiedene Endpunkte aus den Studien eingeführt wurde [8]. Anhand von drei Nichtunterlegenheitsstudien zu komplizierten HWI ermöglichte die DOOR-Analyse eine Beurteilung der Überlegenheit des Prüfpräparats auf der Grundlage der allgemeinen Patientenerfahrung [8].

Um eine detailliertere Erfassung der Studienpatienten zu ermöglichen, hat die Europäische Sektion für Infektionen in der Urologie (ESIU) ein differenziertes Definitions- und Klassifizierungssystem für komplizierte HWI vorgeschlagen, welches die heterogenen komplizierten Faktoren und das Risiko für einen schweren Verlauf abbildet. Dieses System folgt dem Vorbild des TNM-Tumordokumentationssystems, das Krankheitsmerkmale in vielen Tumoren in eine dreiteilige Krankheitsklassifikation mit niedrigem, mittlerem und hohem Risiko für einen schlechten Krankheitsverlauf stratifiziert [9, 10]. Zu den Kernfunktionen gehört die Einführung einer Schweregradeinstufung und Kategorisierung von Risikofaktoren, anstatt nur auf Risikofaktoren zu basieren. Die Einstufung des Schweregrads basiert auf dem klinischen Erscheinungsbild und der Einteilung von Wirtsrisikofaktoren. Sie wird nach einem Akronym namens ORENUC kategorisiert (Tab. 1). Diese Klassifizierung berücksichtigt auch Pathogenrisikofaktoren, wie die Antibiotikaempfindlichkeit des verursachenden Pathogens, da zum einen eine zunehmende Antibiotikaresistenz empirische Behandlungs- und Heilungsraten verringert. Zum anderen gibt es In-vitro-Daten, die einen Zusammenhang von Antibiotikaresistenz und Virulenzfaktoren bei HWI zeigen [11].

Tab. 1 Risikoklassifikation für Harnwegsinfektionen (HWI; ORENUK-System) [1]

Urinanalyse und bakterielles Spektrum

Der Nachweis und die Interpretation von Bakterien im Urin bedarf zum einen einer qualitativen und quantitativen Urinkultur und zum anderen des Nachweises einer Wirtsreaktion mit einer Entzündung, routinemäßig mit einer Leukozyturie erfasst.

Die im Urin nachgewiesenen Erreger werden deswegen unterteilt in typischerweise uropathogene Erreger, potenziell uropathogene Erreger und urogenitale Schleimhautflora [12]. Zu den typischerweise uropathogenen Erregern werden die Enterobacterales, Pseudomonas aeruginosa, Staphylococcus saprophyticus, β hämolysierende Streptokokken der serologischen Gruppen A und B gezählt. Zu den potenziell uropathogenen Erregern zählen Staphylococcus aureus, Enterokokken, Hefen (Candida spp.), Aerococcus urinae, Aerococcus sanguinicola, Actinotignum schaalii, Corynebacterium urealyticum. Zur urogenitalen Schleimhautflora zählen Haemophilus spp., vergrünende Streptokokken, Neisseria spp., Lactobacillus spp., koagulasenegative Staphylokokken, Corynebacterium spp., Aerococcus spp. (außer den genannten Spezies).

Der Umfang der Urinkulturdiagnostik wird entsprechend der Zuordnung zu diesen drei Erregergruppen, der Erregerzahl und je nach Vorliegen oder Fehlen einer Leukozyturie nach einem vorgegebenen Schema durchgeführt [12].

Das bakterielle Spektrum kann je nach Zeitraum, Region und Spezialdisziplin unterschiedlich sein. In einer Analyse von 1.468 Patienten mit nosokomialen HWI urologischer Abteilungen der Jahre 2005 bis 2015 zeigte sich [13]: E. coli wurde in 26-48% der Fälle festgestellt, Klebsiella spp. in 8-15%, Proteus spp. in 2-7%, P. aeruginosa in 5-17% und Enterokokken in 7-14% [13].

In der deutschen nationalen Punktprävalenzerhebung zu nosokomialen Infektionen war das Spektrum nosokomialer HWI-Erreger E. coli 36,8%, E. faecalis 11,2%, K. pneumoniae 8,6%, P. aeruginosa 8,6%, P. mirabilis 5,9%, E. faecium 5,7%, E. cloacae 2,3%, K. oxytoca 1,9%, S. aureus 1,9%, und S. epidermidis 1,3% [3].

Antibiotikaresistenz

In einer weltweiten Analyse ergaben sich für 2019 schätzungsweise 4,95 Mio. Todesfälle weltweit, die mit Antibiotikaresistenz in Verbindung gebracht oder darauf zurückgeführt wurden. Insbesondere E. coli, S. aureus, K. pneumoniae und P. aeruginosa waren als typische Erreger von HWI durch ihre Multiresistenz bei den häufigsten Erregern, die mit Mortalität und Antibiotikaresistenz in Verbindung gebracht wurden. [14].

Neue antibiotische Substanzen

Aufgrund der hohen und weiter zunehmenden Resistenzlage bei typischen Erregern von HWI ist es wichtig, neuartige antibiotische Substanzen und Kombinationen regelmäßig in dieser Indikation zu untersuchen. Die folgenden neuen antibiotischen Substanzen, die gegen gramnegative Erreger wirken, wurden in den letzten Jahren erfolgreich in klinischen Studien in der Indikation HWI getestet [1]:

Ceftolozan/Tazobactam ist eine Kombination aus Ceftolozan, einem neuartigen Cephalosporin, welches auch gegenüber P. aeruginosa wirksam ist und das mit dem bekannten β Laktamase-Hemmer Tazobactam kombiniert wird. Die Kombination ist wirksam gegenüber Resistenzmechanismen, wie Verlust der äußeren Membranproteine sowie Porin-Verlust. Die meisten Klasse-A-β-Laktamasen und einige Klasse-C-β-Laktamasen werden durch Tazobactam inhibiert, sodass das Wirkspektrum auch bestimmte Extended-Spektrum-β-Laktamasen(ESBL)-produzierende Enterobacteriaceae umfasst [15].

Ceftazidim/Avibactam ist eine Kombination aus einem bekannten Pseudomonas-wirksamen Dritt-Generations-Cephalosporin, dem Ceftazidim, und einem neuen β Laktamase-Hemmer, Avibactam. Im Unterschied zu den älteren β Laktamase-Hemmern wie Tazobactam inhibiert Avibactam mit hoher Effizienz ein breites Spektrum von β Laktamasen der Ambler-Klassen A, C und D [16].

Die Kombination Cefepim/Enmetazobactam enthält Enmetazobactam, einen neuartigen Penicillansäure-Sulfon-β-Laktamase-Hemmer mit ähnlicher Struktur wie Tazobactam, aber verbesserter Penetration in Bakterienzellen. In der Kombination mit Cefepim wird die Aktivität von Cefepim gegen Klasse-A-ESBL (z.B. CTX-M-15) wiederhergestellt [17].

Die Kombination Cefepim/Taniborbactam ist eine Kombination mit Taniborbactam, einem neuartigen bizyklischen Boronat-β-Laktamase-Hemmer mit starker selektiver direkter Hemmwirkung gegen Ambler-Klasse-A-, -B-, -C- und -D-Enzyme, einschließlich vorherrschender Serin- und Metallo-β-Laktamasen [18, 19]. Die Kombination Cefepim/Taniborbactam ist in vitro gegen die meisten Isolate von Carbapenem-resistenten Enterobacterales (CRE) wirksam, gegen multiresistente (MDR) P. aeruginosa und sowohl Ceftolozan-Tazobactam- als auch Ceftazidim-Avibactam-resistente Enterobacterales und P. aeruginosa [18, 19].

Cefiderocol ist ein neuartiges Cephalosporin und ist auch gegen multiresistente Problemkeime wie Carbapenemase-bildende Enterobacteriaceae und multiresistente Non-Fermenter aktiv. Cefiderocol gelangt über bakterielle Eisenaufnahmesystem in die Bakterienzelle und zeigt als Molekül zusätzlich eine hohe Hydrolysestabilität gegenüber nahezu allen β Laktamasen [20, 21].

Tebipenem-Pivoxilhydrobromid ist ein oral bioverfügbares Carbapenem mit Aktivität gegen uropathogene Enterobacteriaceae, einschließlich ESBL-produzierender und Fluorchinolon-resistenter Stämme [22]. In der Phase-III-Studie war Tebipenem-Pivoxilhydrobromid oral statistisch gegenüber Ertapenem i.v. nicht unterlegen [22]. Eine FDA-Zulassung wurde jedoch anhand der publizierten Daten bisher nicht gewährt und weitere Untersuchungen nachgefordert.

Imipenem/Relebactam ist die Kombination aus Imipenem und einem neuen β Laktamase-Hemmer, Relebactam. Die Kombination ist wirksam gegen Ambler-Klasse-A- und Klasse-C-β-Laktamasen, inklusive Klebsiella-pneumoniae-Carbapenemase (KPC) und ESBL, sowie AmpC-Typ-β-Laktamasen, einschließlich den von Pseudomonas spp. induzierten Cephalosporinasen (PDC) [23].

Meropenem/Vaborbactam kombiniert Meropenem und einen neuen β Laktamase-Hemmer, Vaborbactam, mit einer besonders hohen Affinität zu Serin-Klasse-A-β-Laktamasen, wie KPC, sowie zu Klasse-C-β-Laktamasen [24].

Sitafloxacin ist ein orales Breitband-Fluorchinolon der neuen Generation, das aktiv gegen viele grampositive, gramnegative und auch anaerobe klinische Isolate ist, einschließlich Stämmen, die gegen andere Fluorchinolone resistent sind [25].

Plazomicin ist ein halbsynthetisches Sisomicin-Derivat-Aminoglykosid. Durch zusätzliche Substituenten wird eine Inaktivierung durch bakterielle Aminoglykosidasen verhindert. Es ist wirksam gegenüber multiresistenten Enterobakterien, einschließlich einer Reihe von Carbapenem-resistenten Erregern [26].

Der G-BA hat bereits Ceftazidim/Avibactam, Ceftolozan/Tazobactam, Imipenem/Cilastatin/Relebactam und Cefiderocol als sog. Reserveantibiotika anerkannt, hat aber darauf hingewiesen, dass sichergestellt werden muss, dass diese Reserveantibiotika nur in engen Grenzen eingesetzt werden, um eine Resistenzentwicklung möglichst zu verhindern.

Fazit für die Praxis

  • Harnwegsinfektionen (HWI) spielen in vielen Fachbereichen eine Rolle.

  • Insbesondere bei den komplizierten HWI einschließlich der Pyelonephritis treten die Antibiotikaresistenzen mehr und mehr im Alltag auf und werden als problematisch zu therapierende Infektionen wahrgenommen.

  • Die Einteilungen in unkomplizierte und komplizierte HWI erscheinen nicht ausreichend detailliert, um eine ausreichend personalisierte Betrachtung der HWI zu gewährleisten.

  • In dieser Hinsicht entwickeln sich auch weitere patientenzentrierte Auswertungsstrategien, um die Vorteile bestimmter, insbesondere neuer Antibiotika gegenüber herkömmlichen Antibiotika herausarbeiten zu können.

  • Eine Reihe neuer Antibiotika und Antibiotika-β-Laktamase-Hemmer-Kombinationen wurden in den letzten Jahren in klinischen Studien untersucht, mit vielversprechenden Ergebnissen.

  • In dieser Hinsicht müssen weitere innovative Strategien, wie z.B. Point-of-Care-Testsysteme für die HWI-Diagnostik, weiterentwickelt werden, um sowohl die Notwendigkeit einer Antibiotikatherapie zu klären als auch eine zielgerichtetere Antibiotikatherapie zu ermöglichen.