Bei weißen Stippchen auf den Mandeln hilft nur ein Antibiotikum. Eine Mandelentzündung kann die Herzklappen zerstören, deshalb muss sofort ein Antibiotikum eingenommen werden. Die von der letzten Blasenentzündung übriggebliebenen Antibiotika werden sicher auch diesmal wieder helfen. Dass derartige Annahmen in der Bevölkerung weit verbreitet sind, zeigte sich in der von uns durchgeführten, aktuellen Befragung zur Gesundheitskompetenz im Hinblick auf Antibiotikaeinnahme in der Allgemeinbevölkerung [1].

Im Gegensatz dazu die medizinischen Fakten: Die Tonsillopharyngitis mit Halsschmerzen, Schmerzen beim Schlucken, Tonsillenexsudaten, ggf. Fieber und typischerweise fehlendem Husten ist zwar auch für den Laien leicht zu „diagnostizieren“. Die extrem seltenen Komplikationen des akuten rheumatischen Fiebers rechtfertigen aber nicht automatisch eine Antibiotikatherapie. Auch gibt es aktuell keine ausreichende Evidenz dafür, dass die, dem Laien meist unbekannte, Komplikation der akuten Poststreptokokken-Glomerulonephritis durch eine antibiotische Therapie verhindert werden könnte. Der Krankheitsverlauf der Tonsillopharyngitis ist relativ kurz. Halsschmerzen dauern in der Regel drei bis fünf Tage an und Fieber klingt nach zwei bis drei Tagen ab. Durch den Centor-Score, welcher Fieber in der Anamnese, das Fehlen von Husten, geschwollene Halslymphknoten sowie Tonsillenexsudate berücksichtigt, kann die Ätiologie gut abgeschätzt werden. Bei Vorliegen aller vier Punkte des Centor-Scores handelt es sich mit einer etwa sechzigprozentigen Wahrscheinlichkeit um ß-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A (GAS). Die DEGAM-Leitlinie „Halsschmerzen“ empfiehlt in einem solchen Fall, je nach Klinik, die Gabe von Penicillin V für sieben Tage in Erwägung zu ziehen. Die Krankheitsdauer kann durch eine antibiotische Therapie um ein bis drei Tage reduziert werden. Die Number Needed to Treat (NNT), also die Anzahl der Patienten die behandelt werden muss, damit ein Patient von der Antibiotikatherapie profitiert, ist bei einem positiven GAS-Rachenabstrich 4, bei rein klinischen Zeichen liegt sie bei 5 bis 6.

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Stumpf gewordene Waffen: Um die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen einzudämmen, bedarf es noch einiger Anstrengungen.

Erwähnt werden sollte auch, dass das gängige Antibiotikum Ciprofloxacin in der ambulanten Versorgung in Deutschland noch viel zu häufig eingesetzt wird. Es weist ein schlechtes Nebenwirkungsprofil bezüglich der Selektion Gram-negativer multiresistenter Erreger auf sowie der Entwicklung einer nachfolgenden Clostridium-difficile assoziierten Diarrhö. Dies spiegelt sich auch in den Leitlinien wider, laut denen Ciprofloxacin nur noch in Ausnahmefällen und bei ausgewählten Krankheitsbildern wie der Pyelonephritis eingesetzt werden sollte. Im ambulanten Bereich sollte Ciprofloxacin nur als eiserne Reserve verschrieben werden.

Anders als in der Allgemeinbevölkerung häufig angenommen, und anders als noch bis vor wenigen Jahren durchaus in Übereinstimmung mit ärztlichen Empfehlungen vermittelt, entstehen Antibiotikaresistenzen nicht durch eine zu kurze Einnahme des Antibiotikums, sondern vielmehr stellt jeder Antibiotika-Tag mit Selektionsdruck ein zusätzliches Risiko für die Ausbildung von Resistenzen dar. Daher gilt: Antibiotika sollten so lange wie nötig, aber so kurz wie möglich eingesetzt werden.

Nicht wenige Menschen nehmen an, dass Impfungen dem Immunsystem schaden und Kinderkrankheiten der Entwicklung der Kinder guttun würden. Hingegen ist viel weniger Menschen bewusst, welche Auswirkungen Antibiotika auf die Diversität des Mikrobioms haben und damit nicht nur das Immunsystem negativ beeinflussen können.

Was weiß die Bevölkerung über Antibiotika?

Je nach Methodik und befragter Zielpopulation geben in Deutschland zwischen einem Viertel und einem Drittel der Befragten an, dass sie in den letzten 12 Monaten ein Antibiotikum eingenommen haben. Im europäischen Vergleich steht Deutschland damit gut da. Die niedrigsten Einnahmeraten zeigten sich in den Niederlanden und Schweden mit 20 bzw. 18%. Deutlich höhere Raten finden sich in Südeuropa (Malta 48%, Spanien 47% und Italien 43%). Der häufigste Grund für eine Antibiotikaeinnahme sind laut Befunden unserer eigenen Auswertungen, die sich auf Angaben der Allgemeinbevölkerung bezogen, akute respiratorische Infekte sowie Harnwegsinfektionen.

Erstaunlicherweise verfügen Personen in unserer Untersuchung, die im letzten Jahr ein Antibiotikum eingenommen hatten, insgesamt über mehr Wissen bezüglich Antibiotika als jene, die keine eingenommen hatten. Das Henne-und-Ei-Problem konnte bei der Befragung leider nicht geklärt werden und so bleibt offen, ob die Befragten mehr Antibiotika-Wissen angesammelt hatten, weil sie sich im Zuge einer Antibiotika-Einnahme mit der Thematik auseinandergesetzt hatten, oder ob eventuell eine verstärkte Beschäftigung mit Gesundheitsthemen die Neigung zur Antibiotika-Einnahme fördert. Insgesamt herrschte in der Allgemeinbevölkerung jedoch fragmentarisches Wissen über Antibiotika. Viele Personen wussten, dass Antibiotika nur gegen Bakterien, nicht aber gegen Viren wirken, gleichzeitig aber waren sie der Meinung, dass eine Influenza mit einem Antibiotikum behandelt werden müsse. Hinzu kommt eine große Verunsicherung in Bezug auf die Resistenzentwicklung. Etwa jede fünfte Person war der Meinung, dass der ganze Körper des Patienten resistent gegen Antibiotika werden kann; nur den wenigsten war bewusst, dass die Antibiotika-Resistenzentwicklung nur Bakterien betrifft (Abb. 1). Die Antibiotika-Resistenz wird also von einer beachtlichen Anzahl in der deutschen Bevölkerung nicht als Eigenschaft des Erregers, sondern als Eigenschaft des Menschen interpretiert. Die Vorstellung, dass ein Individuum resistent geworden ist, lässt außer Acht, dass die Antibiotika-Resistenzentwicklung kein individuelles Problem ist, sondern sich ähnlich wie bei einer Masern-Epidemie auf die Umgebung ausbreitet und so auch Personen betreffen kann, die noch keinen Kontakt zu Antibiotika hatten.

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Die Befragung der Bevölkerung zeigt: Das Wissen über Antibiotika ist verbesserungsbedürftig.

modifiziert nach https://springerlink.bibliotecabuap.elogim.com/article/10.1007/s00103-016-2417-5

Übriggebliebene Antibiotika gehören in den Hausmüll

Knapp jede 10. Person hat schon einmal ein Antibiotikum ohne ärztliche Verordnung eingenommen, so unsere Ergebnisse, wobei die Gruppe der unter 30-Jährigen hier die Gruppe mit der höchsten Selbstmedikationsrate darstellte. Zumeist wurden „übrig gebliebenen Tabletten“ genommen, etwas seltener Antibiotika, die im Ausland erworben wurden. Insgesamt ist immerhin etwa ein Drittel der Allgemeinbevölkerung der Meinung, dass die Einnahme von Antibiotika aus einer früheren Verschreibung oder die Einnahme von Antibiotika von Bekannten gerechtfertigt sei, wenn bei dem primären Verschreibungsgrund ähnliche Symptome vorlagen.

Es ist also wichtig, dass der Patient bei der Verschreibung von Antibiotika dahingehend aufgeklärt wird, dass übriggebliebene Tabletten nicht aufgehoben werden dürfen. Die Entsorgung von Antibiotika sollte aber nicht über das Waschbecken oder die Toilette erfolgen, da die Substanzen dem Ökosystem zugeführt werden und dort wiederum zur Bildung von Resistenzen beitragen können. Antibiotika gehören, wie auch andere Alt-Medikamente, in den Restmüll.

Wie lässt sich die Arzt-Patienten-Kommunikation verbessern?

In einer Arbeit aus den USA zeigte sich, dass Patienten eher dazu neigen, die möglichen Vorteile einer Antibiotikabehandlung überzubewerten und die Nebenwirkungen zu unterschätzen [2]. Hinzu kommt, dass Personen, die Schmerzen oder ein starkes Krankheitsgefühl haben, häufiger den Wunsch nach einem Antibiotikum äußern. Nach wie vor ist der Arzt, so konnten wir bestätigen, insbesondere der Hausarzt, gefolgt vom Apotheker und dem Facharzt, die wichtigste Informationsquelle, wenn es um das Thema Antibiotika geht.

Von vielen Kollegen wird beschrieben, dass sie sich von Patienten unter Druck gesetzt fühlen, ein Antibiotikum zu verschreiben. Erschwerend kommt hinzu, dass häufig auch die Zeit für ein ausgiebiges Aufklärungsgespräch fehlt. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Ärzte den Wunsch des Patienten nach einem Antibiotikum deutlich überschätzen. Mit der Frage was unternommen werden kann, wenn der Patient ein Antibiotikum (vermeintlich) einfordert, hat sich eine Lübecker Arbeitsgruppe beschäftigt [3]. Hierfür wurde ein Leitfaden (MAAS-Global-D) zur Bewertung der ärztlichen Kommunikation ins Deutsche übersetzt. Insbesondere Punkt 3, die Abfrage des Beratungsanlasses, soll hier kurz hervorgehoben werden (Tab. 1). In diesem Kommunikationsleitfaden wird die Abfrage des Beratungsanlasses in zwei Dimensionen unterteilt. Neben den Symptomen und den Wünschen und Erwartungen von Seiten des Patienten für den Beratungsanlass, wird empfohlen, zu erfragen, warum sich der Patient entschieden hat, sich gerade heute beim Arzt vorzustellen. Insbesondere bei akuten Atemwegsinfektionen scheint es sinnvoll zu sein, den Patienten zu fragen, ob er konkrete Vorstellungen für die Therapie seiner Erkrankung hat. Wünscht er sich ein Antibiotikum, benötigt er eine Krankschreibung (AU), erwartet er ein Therapeutikum zur Symptomlinderung oder wünscht er sich eine Einschätzung bezüglich des Krankheitsverlaufes und der Krankheitsschwere? Dieses wechselseitige Einbeziehen der Erwartungen in die Entscheidungsfindung kann helfen, etwaige Divergenzen, und damit auch die Antibiotika-Verordnung, zu reduzieren.

Tab. 1 MAAS-Global-D-Items

Es stellt sich auch immer wieder die Frage, welches Wissen bei Patienten mit Migrationshintergrund vorausgesetzt werden kann. Bei Zugewanderten zeigt sich in unseren Daten kein signifikanter Unterschied bezüglich des Antibiotika-Wissens. Zu beachten ist jedoch — das wissen wir aus der Literatur —, dass diese Patientengruppe häufiger einen Arzt mit direktiver Kommunikation erwartet. Partizipative Entscheidungsfindung kann bei Patienten mit Migrationshintergrund häufiger auf Unverständnis stoßen. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein individuelles Abklären der Erwartungen sowie des gewünschten Grades an Partizipation auch bei Patienten mit Migrationshintergrund angemessen erscheint. Ein Verändern des gewohnten Arztbildes und die Verbesserung der Gesundheitskompetenz von Patienten ist nur durch positive Beispiele zu erreichen, indem der Arzt Wissen und Entscheidungen teilt. Verallgemeinernd lässt sich dennoch festhalten, dass das Wissen bzw. die Gesundheitskompetenz des Patienten und das Ausmaß der Partizipation und das Niveau der Erklärungen, die der Arzt anbietet, zueinander passen müssen.

Fazit

Die Patientenaufklärung ist neben veränderten Verschreibungsroutinen durch Ärzte ein wichtiger Aspekt zu einem adäquateren Umgang mit Antibiotika. Beide Faktoren können aber nur Teile einer umfassenderen, multifaktoriellen Strategie sein, die politisch und global angelegt sein muss, um wirksam Resistenzbildungen entgegenzuwirken. Die Hoffnung ist, dass sich der Wunsch von Patienten nach Antibiotika sukzessive verringern wird, wenn sich ein breiteres Verständnis bezüglich deren Nutzen und Unnutzen etabliert, aber auch, dass Antibiotika weniger und adäquat eingesetzt werden und die „Wunderheilungen“ bei banalen akuten Atemwegsinfektionen seltener einem Antibiotikum, sondern vielmehr anderen Maßnahmen wie Ruhe und Teetrinken oder auch klassischen Hausmittelchen wie Wadenwickeln und Inhalation zugeschrieben werden können.