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Im Alter sind Antidiabetika mit geringem Hypoglykämie-Risiko gefragt.

© Andrey Popov / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodellen)

Bei alten Typ-2-Diabetikern mit Begleiterkrankungen und funktionellen Einschränkungen können die schädlichen Nebenwirkungen der intensiven Blutzuckersenkung den Nutzen übersteigen. Die Therapie alter Diabetiker ist deshalb regelmäßig zu überprüfen und anzupassen. „Wir brauchen hier eine Deeskalations-Strategie“, wie Dr. Bernd Hagen vom Zentralinstitut für Kassenärztliche Versorgung in Köln beim Diabetes Kongress in Berlin betont hat. Auch die DDG-Arbeitsgemeinschaft „Diabetes und Geriatrie“ rät, je nach Grad der Multimorbidität im Alter die Therapieziele zu lockern [1]. Sie unterscheidet dabei drei Gruppen:

  • unabhängig: kalendarisch alte, aber nicht geriatrische Patienten; die HbA1c-Zielwerte liegen bei 6,5 bis eher 7,5%.

  • leicht abhängig: alte Patienten mit leichten Handicaps; empfohlene HbA1c-Ziele 7 bis 8%,

  • stark abhängig: Bei hilflosen Patienten mit schweren Handicaps sowie Palliativpatienten sind die HbA1c-Ziele zweitrangig und liegen bei 8 bis 8,5%.

Diese Empfehlungen werden bisher im Alltag noch nicht konsequent umgesetzt. Hagen stellte hierzu eine Analyse der Daten von gut einer halben Millionen Typ-2-Diabetikern aus dem Disease-Management-Programm (DMP) Nordrhein aus dem Jahr 2017 vor. Darin waren 40% der über 65-Jährigen und knapp 44% der über 75-Jährigen auf HbA1c-Werte unter 6,5% eingestellt. Die Konsequenz: In den letzten Jahren sei die Rate schwerer Hypoglykämien stark angestiegen. Nach der DMP-Analyse wurden 2017 insgesamt 483 solcher Ereignisse pro 100.000 Typ-2-Diabetiker registriert, bei den Patienten mit Insulintherapie waren es 1.534/100.000. Die Daten aus Nordrhein bestätigen Ergebnisse der GUIDANCE-Studie mit 7.597 Typ-2-Diabetikern, die zwischen 2009 und 2010 erhoben worden waren [2]. 4.460 der Teilnehmer waren 65 Jahre älter, wie Dr. Nicolle Müller vom Uniklinikum Jena bei dem Kongress berichtete. Als Übertherapie galt, wenn ein Patient unter Therapie mit einem Sulfonylharnstoff oder mit Insulin einen HbA1c-Wert von 7% oder darunter aufwies. Das war immerhin bei knapp 45% der Senioren Fall.

Herzpatienten sind besonders gefährdet

Besonders riskant ist eine solche Übertherapie bei Patienten mit kardialen Begleiterkrankungen. Hier ergab sich bei knapp 55% der herzkranken Diabetiker ein HbA1c-Wert von 7% oder darunter. Bei älteren Diabetikern dieser Gruppe wurde in 51% der Fälle Insulin oder ein Sulfonylharnstoff eingesetzt. „Jeder zweite ältere Diabetiker ist übertherapiert“, so das Fazit von Müller.

Vor allem schwere Hypoglykämien sind im Alter zu vermeiden. „Sie können insbesondere bei KHK erhebliche Herzrhythmusstörungen bis hin zum „dead in bed“-Syndrom hervorrufen“, betont Prof. Helmut Mehnert aus München. Zudem verdoppelt sich bei drei schweren Hypoglykämien mit Fremdhilfe in der Anamnese das Demenzrisiko. Und außerdem ist das Risiko für Stürze erhöht.

Niedriges Risiko für Nierenschädigung

Zur Therapie alter Diabetiker sollte man daher Präparate mit geringem Hypoglykämie-Risiko auswählen und dabei auch eine eventuelle Nierenschädigung berücksichtigen. Metformin ist auch hier das Mittel der ersten Wahl. „Auch DPP-4-Hemmer scheinen günstig“, hat Dr. Daniel Kopf von der Geriatrischen Klinik am Marienkrankenhaus in Hamburg beim Internistenkongress betont: „Es gibt Daten aus Endpunktstudien, sie sind geeignet bei Niereninsuffizienz und haben einen gewichtsneutralen Effekt“. SGLT-2-Hemmer seien hingegen nur für fitte und adipöse Senioren geeignet, zu vermeiden sind sie bei Exsikkose und Untergewicht.

Die Therapie mit Insulin ist komplex, wenn möglich ist eventuell sogar eine Umstellung auf orale Antidiabetika zu erwägen. In Pflegeheimen sei die postprandiale Insulin-Therapie mit schnellwirksamen Analoga eine gute Strategie. „Nach der Mahlzeit wird das aufgenommene Essen abgeschätzt und die Insulinmenge daran angepasst“, so Kopf. Er betont jedoch: „Hierzu braucht man aber sehr gut geschultes Pflegepersonal“.