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Depressionen und Angsterkrankungen sind sehr häufig und betreffen laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ca. 10% der Weltbevölkerung. Für leichte Formen dieser Erkrankungen gibt es auch phytotherapeutische Optionen. Was bei ihrer Anwendung beachtet werden muss, erklärt Prof. Dr. Karin Kraft von der Universität Rostock im Interview.
CME: Wann ist eine phytotherapeutische Behandlung bei Depressionen oder Angststörungen indiziert?
Kraft: Bei leichten bis mittelschweren Depressionen oder leichten Angststörungen kann man phytotherapeutisch behandeln.
CME: Ist es Ihrer Meinung nach empfehlenswert, dass leichte bis mittelschwere Depressionen vom Hausarzt behandelt werden?
Kraft: Das ist sogar primär die Aufgabe des Hausarztes. Die Patienten mit leichten bis mittelschweren Depressionen gehen nicht zum Psychiater, sie gehen erst mal zum Hausarzt. Auch der Allgemeinmediziner kann die Depression heutzutage anhand von Skalen objektivieren und den Schweregrad festlegen. Da er seine Patienten am besten kennt, kann er den Schweregrad normalerweise gut einschätzen.
CME: Was sind absolute Ausschlusskriterien für die Anwendung von Phytotherapeutika bei Angststörungen oder Depressionen?
Kraft: Erkrankungen mit hohem Schweregrad sollen nicht phytotherapeutisch behandelt werden. Sie fallen auch nicht mehr in die Zuständigkeit des Hausarztes, sondern des Psychiaters. Eine schwere Depression muss im Zweifel sogar stationär behandelt werden, zumal man hier mit einer Suizidgefahr rechnen muss. Auch bei einer schweren Angststörung würde ich nicht mit einem Phytopharmakon arbeiten, weil die Patienten zu stark gefährdet sind.
CME: Kann man Depressionen oder Angststörungen mit einer phytotherapeutischen Monotherapie behandeln oder werden Phytotherapeutika eher als Add-on gegeben?
Kraft: Bei milden bis mittelschweren Formen kann man mit einer Monotherapie bei beiden Indikationen durchaus etwas erreichen.
CME: Ist es denn möglich, durch die zusätzliche Gabe von Phytotherapeutika chemisch definierte Medikamente bei der Angststörung und der Depression einzusparen?
Kraft: Soweit ich weiß, ist das bisher nicht untersucht worden. Ich persönlich würde das nicht ausprobieren. Man sollte bei diesen beiden Indikationen, je nach Schweregrad, entweder Phytopharmaka oder chemisch definierte Arzneimittel geben.
CME: Welche Phytotherapeutika würde man bei Depressionen am ehesten einsetzen?
Kraft: Das einzige antidepressiv wirksame Phytotherapeutikum ist das Johanniskraut. Wenn es sich um eine mittelschwere Depression handelt, kann man es sogar mit einem Kassenrezept verordnen. Bei schweren Depressionen sollte man aber kein Johanniskrautpräparat geben, denn da ist die Wirksamkeit nicht gut genug belegt.
CME: Gibt es klinische Studien zu Johanniskraut?
Kraft: Ja, da gibt es sehr viele Studien, die man unter anderem auch in der Nationalen Versorgungsleitlinie zur unipolaren Depression findet. Es gibt auch Metaanalysen zu Johanniskrautprodukten, die belegen, dass es gegenüber Placebo wirksamer und gegenüber Vergleichssubstanzen, also chemisch definierten Arzneimitteln, gleich wirksam ist [1].
CME: Welche Vorteile bietet die Behandlung mit Johanniskraut im Vergleich zu chemisch definierten Antidepressiva?
Kraft: Metaanalysen zu Johanniskraut belegen, dass die Nebenwirkungsraten viel geringer sind und leichter von den Patienten toleriert werden. Die Patienten müssen ihr Antidepressivum über mehrere Wochen beziehungsweise Monate einnehmen, da spielen Nebenwirkungen für den Patienten natürlich eine große Rolle.
CME: Welche Risiken sind mit der Behandlung mit Johanniskrautextrakt verbunden?
Kraft: Johanniskraut birgt das Risiko für Interaktionen mit anderen Arzneimitteln. Für eine wirksame Dosis muss man schon 900 mg Extrakt pro Tag verordnen, und hier sind bereits Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten beschrieben. Diese sind aber nicht nur für Johanniskraut typisch, sondern werden auch bei Serotonin-Wiederaufnahmehemmern regelmäßig beschrieben. Johanniskraut induziert CYP3A4, das Enzym, das die meisten Arzneimittel abbaut. Dies führt dazu, dass andere Arzneimittel schneller abgebaut werden.
CME: Das heißt, wenn man Johanniskraut verschreibt, muss man sich die Begleitmedikation anschauen und den Patienten über das Interaktionspotenzial aufklären?
Kraft: Ja, bereits wenn man Johanniskraut empfiehlt, sollte man auf mögliche Interaktionen achten und darüber aufklären, denn man weiß nie genau, was die Patienten dann wirklich einnehmen. Die Interaktionsgefahr ist eigentlich auf dem Beipackzettel von Johanniskrautpräparaten beschrieben. Leider lesen die Patienten den aber zu selten.
CME: Gibt es außer den Interaktionen bei der Behandlung mit Johanniskrautextrakt noch andere Risiken?
Kraft: Als Nebenwirkungen sind Magen-Darm-Beschwerden, Allergien, Hautrötung, Schwellung, Juckreiz, Müdigkeit und Unruhe beschrieben, sie kommen aber selten vor.
Eine weitere mögliche Nebenwirkung ist die sogenannte Fotosensibilisierung, also die erhöhte Lichtempfindlichkeit der Haut. Sie wurde aber bisher nur bei Patienten beschrieben, die deutlich höhere Dosen als die Standarddosis eingenommen haben.
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CME: Gibt es andere Phytopharmaka, die bei Angststörung oder Depression eingesetzt werden, bei denen man mit Wechselwirkungen rechnen muss?
Kraft: Wechselwirkungen sind vor allem bei Johanniskraut von Bedeutung. Bei den Phytotherapeutika, die bei der Angststörung verordnet werden, gibt es dafür keine Hinweise.
CME: Welche Heilpflanzen werden bei der Angststörung eingesetzt?
Kraft: Bei Angststörungen haben wir ein bisschen mehr Auswahl als bei der Depression. Da haben wir auf der einen Seite das Lavendelöl, auf der anderen Seite den Passionsblumenkrautextrakt.
CME: Wie wirksam sind diese Pharmaka, wenn man sie mit chemisch definierten Anxiolytika vergleicht?
Kraft: Sie können leichte Angststörungen auf jeden Fall mit Lavendelöl oder Passionsblumenkrautextrakt behandeln. Schwere Angststörungen würde ich weder mit dem einen noch dem anderen behandeln wollen, da muss man dann doch auf die chemisch definierten Präparate zurückgreifen.
CME: Wie ist die Evidenzlage von Lavendelöl und Passionsblumenkraut?
Kraft: Zum Lavendelöl gibt es inzwischen einige placebokontrollierte Studien [2, 3, 4]. Zum Passionsblumenkraut gibt es leider nur sehr wenige Untersuchungen, zum Teil sind es ältere Beobachtungsstudien. Da könnte die Studienlage ruhig noch ein bisschen besser werden.
Übrigens sollte man das Lavendelöl bitte nicht in der Schwangerschaft und der Stillzeit nehmen, dazu gibt es nämlich keine Untersuchungen, und man möchte ja dem werdenden Leben nicht schaden. Allgemein sollte man auch mit Phytotherapeutika in der Schwangerschaft vorsichtig sein und vorsichtshalber noch einmal auf den Beipackzettel gucken, bevor man ein Medikament einnimmt.
CME: Häufig werden bei Angststörungen auch Hopfen, Melisse und Baldrian eingesetzt. Welche Erfahrung haben Sie damit gemacht?
Kraft: Baldrian hat eine ausgleichende, das vegetative Nervensystem beruhigende Wirkung, insofern kann er als Tagessedativum eingesetzt werden. Hopfen und Melisse dienen eher als Zusatz bei Baldrianpräparaten, um die Wirkung ein bisschen zu verstärken. Die Wirksamkeit bei Angststörungen würde ich als sehr schwach einstufen.
CME: Welche Vorteile bieten Phytotherapeutika in der Behandlung von Angststörungen?
Kraft: Pflanzliche Zubereitungen gegen Angststörungen haben kein Abhängigkeitspotenzial. Das ist bei den anderen Anxiolytika nicht immer gegeben. Außerdem sind die Nebenwirkungen bei Lavendelöl und Passionsblumenkraut sehr gering.
CME: Welche Nachteile haben Phytotherapeutika bei diesen Indikationen?
Kraft: In den meisten Fällen muss man die Medikamente selbst bezahlen, was bei manchen Patienten dazu führt, dass sie lieber verschreibungspflichtige Medikamente einnehmen.
CME: Welche Nachteile haben Phytotherapeutika bei diesen Indikationen?
Kraft: In den meisten Fällen muss man die Medikamente selbst bezahlen, was bei manchen Patienten dazu führt, dass sie lieber verschreibungspflichtige Medikamente einnehmen.
Interview: Constance Jakob
Literatur
Linde K et al. Cochrane Database Syst Rev. 2008(4): CD000448. doi: 10.1002/14651858.CD000448.pub3
Kasper S et al. Eur Neuropsychopharmacol. 2015;25:1960–7.
Kasper S. Wien Med Wochenschr. 2015;165: 217–28
Kasper S et al. Int J Neuropsychopharmacol. 2014;17:859–69
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Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Pflanzen für die Psyche. CME 13, 44–45 (2016). https://doi.org/10.1007/s11298-016-5920-y
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