„Im Grunde kann ich nur hoffen, dass ich diese Welt ohne Schmerzen verlassen kann.“ Wie eine aktuelle Studie der Universität München gezeigt hat, ist dieses eines der dringendsten Anliegen, die Palliativpatienten haben [1]. Viele Menschen fürchten sich vor allem vor unkontrollierten Schmerzen in ihren letzten Lebenstagen und -wochen.

Dies ist auch die Erfahrung des Berliner Palliativmediziners und Schmerztherapeuten Prof. Dr. Hans Christof Müller-Busch. Doch er fordert mehr. Seiner Meinung nach ist „das Wichtigste für die meisten Menschen eine gute Systemkontrolle, dass sie also nicht unter Schmerzen und Atemnot leiden müssen oder von Ängsten begleitet werden“. Ein wichtiger Aspekt ist aus seiner Sicht auch, dass sich Patient und Angehörige auf die Sterbesituation vorbereiten können. Diese Vorbereitung sollte so früh wie möglich beginnen. Der palliative Gedanke, so Müller-Busch, solle etwa bei Krebspatienten von Anfang an in die Behandlung einbezogen werden [2].

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Intensive Therapie am Lebensende.

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Neues Gesetz soll Palliativversorgung verbessern

Vor allem auf dem Land liegt die Erfüllung solcher Wünsche oft noch in der Zukunft. Zumindest wurden einige Aspekte mittlerweile in ein neues Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland aufgenommen, das am 8. Dezember 2015 in Kraft getreten ist [3]. Zentrales Anliegen ist auch hier, dass Schwerstkranke und sterbende Menschen „in jeder Hinsicht gut versorgt und begleitet werden“, und zwar „überall dort, wo Menschen ihre letzte Lebensphase verbringen — sei es zu Hause, im Krankenhaus, im Pflegeheim oder im Hospiz“. Hierfür wird ein möglichst flächendeckendes Angebot an Hospiz- und Palliativleistungen für Deutschland angestrebt. Gleichzeitig sollen Information und Beratung verbessert werden, damit Hilfsangebote bei den Betroffenen auch tatsächlich ankommen.

Das hohe Ziel von Gesundheitsminister Hermann Gröhe lautet: „Jeder soll die Gewissheit haben, am Lebensende gut betreut und versorgt zu werden.“ Um dies zu erreichen, sollen den Plänen der Bundesregierung zufolge die ambulante Palliativversorgung und die palliative häusliche Pflege mit gezielten Maßnahmen und finanziellen Anreizen gestärkt werden. Die Palliativversorgung in Pflegeheimen und Krankenhäusern soll ausgebaut, ambulante und stationäre Hospizarbeit stärker finanziell von den Krankenkassen gefördert werden.

Erste Leitlinie zur Palliativmedizin

Auch die Leitlinie „Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung“ vom Mai letzten Jahres hat die wesentlichen Punkte „Tumorschmerz“ und „Atemnot“ in ihre Empfehlungen aufgenommen [4]. Außerdem behandelt sie die Bereiche Obstipation und prophylaktische Maßnahmen im Rahmen einer Opioidtherapie, weist auf die Notwendigkeit regelmäßiger Assessments zur Erfassung einer Depression sowie den Wert einer gelungenen Kommunikation hin. Sie thematisiert das richtige Verhalten in der Sterbephase und den Aufbau der Versorgungsstrukturen innerhalb der Palliativversorgung.

Wie die Koordinatorin Prof. Dr. Claudia Bausewein im Interview in der Zeitschrift „Im Focus Onkologie“ berichtet, ist ein zweiter Leitlinienteil in Planung. Dieser wird die Themen gastrointestinale Obstruktion, Schlafstörungen und nächtliche Unruhe, Übelkeit und Erbrechen, Wundversorgung sowie Fatigue behandeln. Auch zum Umgang mit dem Todeswunsch des Patienten soll es Hinweise für den Arzt geben.

Das führende Symptom einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung ist bei bis zu 90% der Patienten der Schmerz. Dabei werden die Schmerzen nicht nur durch den Tumor selbst verursacht, sondern häufig auch durch Therapiemaßnahmen wie eine Operation, eine Chemo- oder Strahlentherapie. Darüber hinaus können im Rahmen von postherpetischen Neuralgien, paraneoplastischen Syndromen, Dekubitus oder Infektionen tumorassoziierte Schmerzen auftreten, die zwar mit der Krebserkrankung in Zusammenhang stehen, aber weder durch den Tumor selbst noch durch die spezifische Therapie hervorgerufen werden.

Der Schmerz hat viele Facetten

Ohnehin besteht bei 40% der Tumorpatienten ein Mixed-pain-Syndrom, bei dem neben dem nozizeptiven Schmerz durch den Tumor selbst auch neuropathische Schmerzen vorliegen. Abgesehen von den onkologischen Krankheiten können sich Schmerzen bei neurologischen Erkrankungen muskulär im Rahmen einer Spastik zeigen, und auch Parkinson-Syndrome gehen zuweilen mit einer schmerzhaft erhöhten Muskelspannung einher.

Längst hat man heute erkannt, dass die Bedeutung des Schmerzes weit über den somatischen Aspekt hinausreicht. Nach dem „Total-Pain-Konzept“ umfasst der Schmerz neben körperlichen auch psychische (Ängste und Depressionen), soziale (Deprivation) und spirituelle Dimensionen (Sinnfragen). All diesen Bereichen müssen Diagnostik und Therapie Rechnung tragen, fordern der Palliativmediziner Prof. Dr. Roman Rolke von der Uniklinik RWTH Aachen und Kollegen [5].

Aktuelle Empfehlungen der medikamentösen Schmerztherapie

An erster Stelle steht allerdings nach wie vor zunächst die Verbesserung des Schmerzes auf körperlicher Ebene. Hierfür gilt das Stufenschema der WHO, das in Stufe 1 mit Nichtopioidanalgetika wie Metamizol, Paracetamol, Ibuprofen oder Diclofenac beginnt. In Stufe 2 sind für leichte bis mittlere Schmerzen Opioidanalgetika wie Tramadol oder Tilidin vorgesehen. Für mittlere bis starke Schmerzen schließlich empfiehlt die WHO zur Behandlung von Tumorschmerzen starke Opiate der Stufe 3. In diese Gruppe fallen Tapentadol, Morphin, Oxycodon, Hydromorphon, Buprenorphin, Fentanyl und Levomethadon. Dabei gelten den Empfehlungen der European Association for Palliative Care (EAPC) zufolge neuerdings Morphin, Oxycodon und Hydromorphon gleichermaßen als Mittel der ersten Wahl. Opioide sind gut wirksam zur Behandlung von Tumorschmerzen, aber auch dann, wenn eine neuropathische Komponente vorliegt. In Stufe 2 und 3 kann mit Nichtopioiden sowie Koanalgetika kombiniert werden.

Durchbruchschmerzen im Rahmen einer Tumorerkrankung soll Rolke und Kollegen zufolge mit einem Sechstel der Tagesdosis des Basisopioids als schnell wirksame Zubereitung begegnet werden. Man kann auch vorsichtig mit kleinerer Dosis beginnen und dann bis zu wirksamen Bedarfsgaben auftitrieren. Dabei sollte überprüft werden, ob ggf. die retardierte Basismedikation angepasst werden muss [5].

Über einen Opioidwechsel lohnt es sich nachzudenken, wenn trotz exzessiv hoher Dosierung keine ausreichende Schmerzreduktion erreicht wird oder unverhältnismäßig starke Nebenwirkungen auftreten. Insbesondere bei hochbetagten Patienten sollte bei einem Wechsel sehr vorsichtig dosiert werden, da die Opioidtoleranz individuell sehr unterschiedlich ist. Um ein möglicherweise verstärktes Ansprechen auf das neue Opioid zu berücksichtigen, sollte die berechnete Gesamtdosis des zuvor verabreichten Wirkstoffs deshalb zunächst um 25–50% reduziert werden, warnen Rolke und Kollegen.

Koanalgetika als wertvolle Therapieergänzung

Koanalgetika sind auf jeder Stufe der Schmerztherapie eine sinnvolle Ergänzung, um eine bessere Symptomkontrolle zu erreichen. Am häufigsten kommen Antidepressiva (z. B. Amitriptylin, Doxepin) und Antikonvulsiva (Pregabalin, Gabapentin) zum Einsatz.

Trizyklische Antidepressiva können niedrig dosiert unter anderem Natriumkanäle blockieren, wodurch Aktionspotenziale an Schmerzfasern unterbunden werden. Antikonvulsiva vom Typ der Kalziumkanalmodulatoren fördern den Schlaf und wirken angstmindernd, während Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI, z. B. Duloxetin) Depression und Angst sowie den Schmerz reduzieren. Bei Spastiken können Muskelrelaxanzien den Muskeltonus verringern und damit analgetisch wirken. Als zentral wirksame Substanzen sind Baclofen, Tolperison und Tizanidin im Einsatz. Bei Knochenmetastasierung mindern Bisphosphonate den Schmerz. Lokal begrenzte Areale neuropathischer Schmerzen können mit Lidocain- oder Capsaicin-Pflastern versorgt werden.

Individualität auch in der Schmerztherapie

Rolke und Kollegen weisen darauf hin, dass das WHO-Stufenschema nicht dogmatisch angewendet werden sollte. Bei rasch eskalierenden Schmerzen könnte die WHO-Stufe 2 auch übersprungen und neben Nichtopioiden sofort ein starkes Opioid der Stufe 3 eindosiert werden. Da die Schmerzintensität mit der Tumorprogredienz zunehmen könne, sei im Verlauf häufig eine Dosisanpassung nötig. Den Palliativmedizinern zufolge sind viele Patienten zufrieden, wenn eine niedrige Schmerzstärke von 2–3 auf der Skala von 0–10 erreicht wird.

Insgesamt sei zu beachten, dass bei vielen onkologischen Patienten sowie älteren Menschen mit neurologischen oder langjährigen internistischen Erkrankungen Leber oder Niere möglicherweise nur noch eingeschränkt arbeiten. Dies müsse bei allen Schmerzmitteln, auch bei Nichtopioidanalgetika, berücksichtigt werden. Bei Niereninsuffizienz erschienen Tilidin, Hydromorphon und Buprenorphin als die am besten verträglichen Opioide, bei Leberinsuffizienz würden vorwiegend Hydromorphon und Fentanyl eingesetzt, so Rolke und Kollegen. Mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sollten beachtet werden.