Zusammenfassung
Wenn bei einem Kind eine Krebserkrankung oder eine andere schwerwiegende Krankheit diagnostiziert wird, betrifft das die gesamte Familie. Eine enorme psychische Belastung des Familiensystems, Angst und Ungewissheit um das erkrankte Kind sind mögliche Folgen. Bei Geschwisterkindern äußert sich die psychische und soziale Belastung häufig in Traurigkeit, Rückzug, Depression, Aggression oder Ängsten. In der Folge bedarf das Familiensystem sozialpädagogischer und psychologischer Unterstützung. Geschwister von chronisch erkrankten oder verstorbenen Kindern treten mit ihren Wünschen und Bedürfnissen meist in den Hintergrund und bekommen weniger Aufmerksamkeit als das erkrankte Kind. Sie kämpfen häufig mit geringem Selbstwert und Schuldgefühlen. Sie beschäftigen sich mit vielen Fragen rund um Krankheit und Tod, Schuld oder Gerechtigkeit, die sie in der Regel kaum mit einer passenden Person besprechen können. Diese Kinder behalten ihre Fragen und Sorgen für sich und ziehen sich zurück, die schwierigen Gefühle wie Wut, Ängstlichkeit oder Traurigkeit können nicht gefühlt und schon gar nicht ausgedrückt werden. Durch den fehlenden Austausch mit Gleichgesinnten fühlen sie sich selten verstanden, häufig „abnormal und alleine“. Wir sind ein Team von erfahrenen Erlebnispädagog:innen und Psychotherapeut:innen, die mit ganzem Herzen mit diesen Familien arbeiten. Wir haben Geschwistercamps, Familientrauerwochen und Wochenenden für trauernde Eltern entwickelt und bieten diese seit 2012 an. Auf unseren mehrtägigen Projekten arbeiten wir im Klein- und Großgruppensetting. Das Besondere ist die Verschränkung von Psychotherapie und Erlebnispädagogik: Auf unseren Camps arbeiten immer ein:e Psychotherapeut:in und eine Erlebnispädagogin bzw. ein Erlebnispädagoge im Team zusammen. So können unterschiedlichste Methoden ineinanderfließen und die Verarbeitung der psychischen Belastungen sowie die Trauerbewältigung effizient unterstützen. Die Erlebnispädagogik bietet hier ein breites Spektrum an Möglichkeiten, mit Herz, Hand und Hirn zu lernen, sowie Stärkung und Gemeinschaft in der Natur zu erleben. Unsere Projekte werden durch Spenden finanziert. Für die Betroffenen fallen keine Kosten an.
Abstract
When a child is diagnosed with cancer or another severe illness, this affects the whole family. This possibly results in enormous psychological stress within the family as well as fear and uncertainty about the child’s condition. The psychological and social stress in siblings is frequently expressed as sadness, retraction, depression, aggression or anxiety. As a result the family system is in need of socio-pedagogical and psychological support.
Siblings of chronically ill or deceased children are mostly pushed into the background with respect to their wishes and needs and receive less attention than the child who is ill. Siblings frequently have to cope with low self-esteem and feelings of guilt. They are preoccupied with many questions concerning illness and death, guilt or justice and as rule there are very few suitable persons who they can speak to. These children keep their questions and worries to themselves and withdraw and the “difficult” feelings, such as anger, anxiety or sadness cannot be felt or even expressed. For all the psychosocial stresses that these children experience in their environment due to sickness and death, they try not to present an additional burden for the family. In their accustomed social environment they frequently experience a certain special status. Siblings think that their family is the only one where such a bad thing can happen. Due to the lack of exchange with other similarly affected persons they rarely feel understood, frequently “abnormal and alone”.
We are a team of experienced psychotherapists and adventure educationalists, who have completely committed ourselves to working with these families. We have developed camps for siblings, family mourning weeks and weekends for mourning parents. The exceptional feature of our projects, which last for several days, is the combination of psychotherapy and adventure education in small and large group settings. In these camps a psychotherapist and an experiential educationalist always work together as a team. In this way very different methods can be merged and efficiently support the processing of the psychological burden and coping with bereavement.
Our projects are financed by donations.
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Geschwistercamps
Auf unsere Geschwistercamps kommen Geschwisterkinder aus Familien, in denen ein Kind an einer intensiv betreuungspflichtigen Erkrankung leidet oder daran verstorben ist. Wir arbeiten hier mit den körperlich gesunden, jedoch psychisch oft sehr belasteten oder traumatisierten Kindern.
Diese Camps dauern in der Regel neun Tage. Innerhalb dieser Tage sind die Geschwisterkinder einmal im Jahr die „Stars“, sie stehen im Mittelpunkt: Ihre Ängste, Sorgen und Gedanken werden ernst genommen und sie bekommen hundertprozentige Aufmerksamkeit. Die Geschwisterkinder erfahren Unterstützung durch ein qualifiziertes Therapeut:innen-Team und auch durch andere Geschwisterkinder. Wir arbeiten mit einem hohen Betreuerschlüssel, der gewährleisten und sicherstellen soll, dass jedes Kind die volle Aufmerksamkeit genießen, in seinen Bedürfnissen wahrgenommen und gefördert werden kann.
Kontinuität, Verlässlichkeit und Sicherheit sind uns wichtige Werte und Bedingungen
Aus diesem Grund garantieren wir den Kindern, die bereits an einem Camp teilgenommen haben, auch in den nächsten Jahren einen sicheren Platz. So stellen wir für die Geschwisterkinder sicher, dass sie Vertrauen entwickeln und emotionale und soziale Sicherheit erleben. Freundschaften und soziale Bindungen können so im Camp entstehen und bei der nächsten Teilnahme weiter vertieft werden. Nicht selten entstehen auf unseren Camps langjährige Freundschaftsbeziehungen, die für die Kinder in schwierigen Zeiten enorme äußere Ressourcen darstellen. Gerade für Geschwisterkinder, die gewohnt sind, dass sich das Leben von einem auf den anderen Tag wandeln kann, ist dies eine wertvolle Erfahrung, die den psychischen Heilungsprozess unterstützt. Idealerweise können wir Kinder kontinuierlich vom zehnten bis zum 15. Lebensjahr über mehrere Jahre betreuen. So kann eine stabile therapeutische Beziehung entstehen, die dazu beiträgt, dass das Kind bzw. später der Jugendliche tragende innere Ressourcen entwickelt, um belastende und schwere Zeiten gut zu bewältigen. Für viele unserer jungen Klient:innen ist das Geschwistercamp zum Fixpunkt im Jahr geworden, auf den sie sich schon lange freuen, und der vor allen anderen Terminen und Plänen des Sommers Priorität hat.
Bei unseren Camps arbeiten wir mit psychotherapeutischen und erlebnispädagogischen Methoden (Abb. 1 und 2) daran, dass Kinder und Jugendliche lernen, ihre Bedürfnisse (wieder) zu erkennen und auszudrücken, ihren Selbstwert zu stärken und mit unterschiedlichen und starken Gefühlen besser umgehen zu können. Wir fördern jedes Kind gezielt in der Stärkung der individuellen Ressourcen, um die großen Belastungen oder gar Traumatisierungen, die im Zusammenhang mit der Erkrankung oder dem Tod des Geschwisterkindes entstanden sind, verarbeiten zu können. Ein wesentliches Ziel der Camps ist es, dass die Kinder ihre ureigenen Talente erkennen und den Kontakt zu eigenen Bedürfnissen, Körperempfindungen und Gefühlen verbessern. So können sie nach dem Projekt gestärkt in den Alltag zurückzukehren. Kinder können Belastungen leichter ablegen, wieder mit mehr Lebensfreude nach vorne schauen, und ihren eigenen persönlichen Entwicklungsweg fortsetzen.
Eine wesentliche Basis unserer Arbeit ist die Arbeit mit den Eltern
Elterngespräche finden bei der Ankunft und beim Abholen der Kinder und Jugendlichen statt, um den Transfer der Entwicklungsschritte der Kinder und Jugendlichen, die am Camp gemacht wurden, in den Alltag zu ermöglichen. Die Bezugsgruppenbetreuer:innen besprechen zu Beginn des Camps mit den Eltern, wo sich das Kind/der Jugendliche in seinem persönlichen Entwicklungsprozess gerade befindet und welchen Belastungen das Kind und die Familien im Alltag ausgesetzt ist. Am Ende des Camps werden die Entwicklungsschritte besprochen, die während der neun Tage von den Betreuer:innen wahrgenommen wurden, vor allem aber werden gemeinsam Strategien und Ideen entwickelt, wie das Kind im Alltag zu Hause weiter unterstützt werden kann.
Trauerwoche für Familien
Trauernde Familien, in denen ein Kind verstorben ist, sind extremen familiären, sozialen, und finanziellen Belastungen ausgesetzt. Die Trauer um das verstorbene Kind bezieht alle mit ein, bringt das Familiengefüge in Erschütterung und geht oft mit großen Umbrüchen einher. Dennoch trauert jede:r in der Familie anders. Jede:r hat seine eigene und individuelle Möglichkeit, die Trauer zu bewältigen. Wie Trauer bewältigt werden kann, ist von vielen Faktoren abhängig: der Zeit vor dem Sterben, der Beziehung zum verstorbenen Kind, von der Art und den Umständen des Todes, von eigenen Verlusterfahrungen und der Bewältigung dieser, vom sozialen und familiären Umfeld, vom Alter und Entwicklungsstand der Kinder etc.
Familien sind als System ähnlich verbunden wie alle Teile eines Mobile. Wenn ein Kind entweder durch lange Krankheit oder durch andere plötzliche Ereignisse stirbt, entsteht häufig ein Bruch im Familiensystem, wie bei einem Mobile, dem durch einen heftigen Sturm ein Teil langsam oder plötzlich weggerissen wird. Die Familie muss ein neues Gleichgewicht ohne das verstorbene Kind finden und sich neu ordnen, um als Familie gut weiterleben zu können. Dafür ist eine gelungene Trauerarbeit in der Familie und individuell für jede:n Einzelne:n eine notwendige Voraussetzung. Zudem kommt es häufig zu existenziellen finanziellen und sozialen Problemen, Ängsten, und auch zu traumatischen Erlebnissen.
Die Arbeit mit den Familien auf unserer Trauerwoche findet auf mehreren Ebenen statt
Während der Trauerwoche werden die Familien am Vormittag in drei Gruppen unterteilt: eine Elterngruppe, eine Gruppe für Kinder/Jugendliche von 8–18 Jahren und eine (Klein)-Kind-Gruppe (unter 8 Jahren). In der Eltern- und in der Kinder‑/Jugendlichen-Gruppe werden trauerspezifische Angebote gesetzt. Es findet dabei immer ein Zusammenwirken von Psychotherapie und Erlebnispädagogik statt. Wir arbeiten auch mit kreativen Methoden und nutzen den Naturraum des zauberhaften und mystischen Waldviertels für unsere ressourcenorientierte Trauerarbeit. Kinder unter 8 Jahren werden von zwei Pädagog:innen und/oder Psychotherapeut:innen schwerpunktmäßig erlebnis-, kreativ und freizeitpädagogisch betreut. Trauerspezifische Angebote kommen dort altersspezifisch zum Einsatz. Zusätzlich bieten wir je nach Bedarf spezifische Interventionen für einzelnen Familien wie auch Einzel- oder Familiengespräche an. Am Nachmittag arbeiten wir mit der ganzen Gruppe und bieten hier erlebnispädagogische und spielpädagogische Angebote an, die vorwiegend in der Natur stattfinden. Abends gibt es meist eine gemeinsame Zeit für jede Familie, in der wir den Familien Impulse und manchmal kreative Aufgaben geben, die Raum für die gemeinsame Trauer sicherstellen und so den Zusammenhalt und die Verbindung in der Familie stärken sollen. Der mehrtägige Rahmen der Trauerwoche ermöglicht zudem, dass sich die Familien näherkommen und vertrauensvolle Beziehungen miteinander entwickeln können, was die Basis für einen Austausch des Erlebten und das Teilen der intensiven und schmerzhaften Erfahrungen sicherstellt. Innerhalb der gemeinsamen Zeit wird zusammen gelacht und geweint. Oftmals werden Kontakte geknüpft, die über viele Jahre bestehen bleiben und die Familien in ihrem Verarbeitungsprozess unterstützen.
Die Arbeit mit dem gesamten Familiensystem ermöglicht, individuelle Trauerbedürfnisse zu bearbeiten
Die Arbeit mit dem gesamten Familiensystem ermöglicht, sowohl individuelle Trauerbedürfnisse zu bearbeiten als auch die Familie als Ganzes zu unterstützen. So kann es nach dem Tod des Kindes wieder gelingen, gemeinsam ein neues Gleichgewicht als Familie aufzubauen und einen gemeinsamen Weg der Trauerbewältigung zu erleben. Durch ein kompetentes, multiprofessionelles Betreuungsteam können wir die Kinder in ihren unterschiedlichen Alters- und Entwicklungsstufen abholen und in ihren spezifischen Trauerbedürfnissen unterstützen. Auch in der Elternarbeit legen wir großen Wert auf individuelle und ressourcenorientierte Trauerbewältigung. Wesentliche Ziele sind dabei, den schmerzhaften Verlust des Kindes zu begreifen, die intensiven Gefühle erleben und aushalten zu können, um sich dadurch in der veränderten Lebenssituation besser zurechtzufinden, und durch eine innere Verbindung zum verstorbenen Kind (oder Geschwisterkind) wieder Kraft für das Weiterleben zu finden. Wir legen großen Wert darauf, den Austausch in der Gruppe zu fördern und den Transfer der Erfahrungen der Trauer in den Alltag zu ermöglichen.
Wochenenden für trauernde Eltern
Diese ermöglichen den Eltern, einen Raum für ihre Trauer und Trauerbewältigung zu finden sowie Austausch und Unterstützung durch das Zusammensein mit anderen betroffenen Eltern. Auch hier arbeiten wir psychotherapeutisch und erlebnispädagogisch und nutzen den heilsamen Naturraum für unsere Trauerarbeit.
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Interessenkonflikt
J. Raunig und S. Dovits geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Raunig, J., Dovits, S. Wunderwege – Psychotherapeutisch-Erlebnispädagogische Sommercamps zur Trauma- und Trauerbewältigung. Paediatr. Paedolog. 59, 220–223 (2024). https://doi.org/10.1007/s00608-024-01216-2
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