Studien in der allgemeinen deutschen Bevölkerung weisen große Spannweiten der Prävalenzraten von chronischen Schmerzen (10–30 %) auf. Besonders häufig sind Nacken-, Schulter- und Rückenschmerzen [16]. Die Angabe von chronischen Schmerzen bei Befragungen wird von schmerztherapeutischen Fachgesellschaften mit einem „Leiden“ an Schmerzen gleichgesetzt [4]. Eine systematische Übersichtsarbeit von Studien zur Häufigkeit chronischer Schmerzen in Deutschland erfasste nur eine Studie zu Bauchschmerzen (Beckenbodenschmerz des Mannes; [16]).

Der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS), der in den Jahren 2003–2006 durchgeführt wurde, erfasste Daten zur Prävalenz von Bauchschmerzen und assoziierten Beeinträchtigungen sowie zur Inanspruchnahme medizinischer Leistungen bei Kindern und Jugendlichen [11]. Vergleichbare Studien bei Erwachsenen fehlen. Der Bundesgesundheitssurvey 1998 erfragte bei Erwachsenen die 7-Tages-Prävalenz und Stärke von Bauch- und Unterleibsschmerzen, jedoch keine beschwerdeassoziierten Beeinträchtigungen [1]. Eine repräsentative Bevölkerungsstichprobe im Jahr 2002 erfasste die Intensität zahlreicher gynäkologischer Beschwerden ohne Angabe eines Zeitintervalls oder assoziierter Beeinträchtigungen [15]. Aus klinischer Sicht sind schmerzassoziierte Beeinträchtigungen ein geeigneteres Kriterium der Behandlungsbedürftigkeit als die Schmerzdauer [13].

Aufgrund der unzureichenden Datenlage zur Epidemiologie von beeinträchtigenden Bauchschmerzen bei Erwachsenen führten wir eine Analyse der Daten einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe [5] mit folgenden Fragestellungen durch:

  • Wie häufig werden beeinträchtigende Bauchschmerzen von Jugendlichen und Erwachsenen in der allgemeinen deutschen Bevölkerung berichtet?

  • Wie häufig werden beeinträchtigende Menstruationsbeschwerden von Frauen im Alter von 14–55 Jahren in der allgemeinen deutschen Bevölkerung berichtet?

  • Unterscheiden sich Jugendliche und Erwachsene mit Beeinträchtigungen durch Bauchschmerzen und Menstruationsbeschwerden von Personen ohne Beeinträchtigungen durch Bauchschmerzen und Menstruationsbeschwerden in demografischen und klinischen Variablen?

Methodik

Studiendesign und Personen

Ergebnisse der Querschnittsuntersuchung einer repräsentativen Zufallsstichprobe der allgemeinen deutschen Bevölkerung des Jahres 2008 wurden in dieser Zeitschrift publiziert [6].

Erhebungsinstrumente

In einem demografischen Fragebogen wurden Alter, Geschlecht, Familienverhältnisse, Schul- und Berufsstatus sowie Haushaltseinkommen erfragt. Ein sozialer Schichtindex nach der Methode der rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbünde wurde nach den folgenden Scores erstellt: Schulbildung (kein Abschluss, Hauptschule: 1; Realschule, Fachhochschule: 2; Abitur: 3), Lebenszeitberufsstatus (Arbeiter, Sonstiges: 1; Angestellter, Beamter: 2; Selbstständig: 3), verfügbares monatliches Haushaltsnettoeinkommen (< 1250 €: 1; 1250–2000 €: 2; > 2000 €: 3). Bei einem Gesamtscore von 3 Punkten wurde Unterschicht, bei 4–6 Punkten Mittelschicht und bei > 6 Punkten Oberschicht codiert [3].

Der Fragebogen zum Gesundheitszustand [Patient Health Questionnaire (PHQ)] ist die Fragebogenversion des Primary Care Evaluation of Mental Disorders Instruments (PRIME-MD), ein Screeninginstrument für häufige seelische Störungen. Der PHQ-15 umfasst 13 körperliche Symptome des PHQ: Bauchschmerzen; Rückenschmerzen; Menstruationsschmerzen oder andere Probleme mit der Menstruation; Schmerzen oder Probleme beim Geschlechtsverkehr; Kopfschmerzen; Schmerzen im Brustbereich; Schwindel; Ohnmachtsanfälle: Kurzatmigkeit; Verstopfung, nervöser Darm oder Durchfall; Übelkeit, Blähungen oder Verdauungsbeschwerden. Die Ausprägung der Symptome reicht von nicht beeinträchtigt (0) über wenig beeinträchtigt (1) bis stark beeinträchtigt (2). PHQ-15-Werte von 5, 10 und 15 stellen Cut-off-Werte für geringe, mittlere und hohe körperliche Symptombelastungen dar. Die Validität des PHQ-15 als Screeninginstrument für Somatisierung und zur Monitorisierung der körperlichen Symptomintensität wurde sowohl innerhalb der allgemeinärztlichen Praxis als auch in zahlreichen klinischen Studien nachgewiesen [8]. Zur Beantwortung der Fragestellung der Studie wurden die Items „Bauchschmerzen“ und „Menstruationsschmerzen oder andere Probleme mit der Menstruation“ in den letzten 4 Wochen ausgewertet. Wir begrenzten die Analyse der Menstruationsbeschwerden auf die Altersgruppe der 14- bis 55-jährigen Frauen. Wir nahmen an, dass in dieser Altersgruppe eine Menstruation vorliegt.

Der PHQ-9 ist das Depressionsmodul des PHQ. Die Ausprägung depressiver Symptome nach den Kriterien des Diagnostic and Statistical Manual for Psychiatric Diseases wird wie folgt erfasst: überhaupt nicht (0), an einzelnen Tagen (1), an mehr als der Hälfte der Tage (2), beinahe jeden Tag (3). Die PHQ-9-Werte von 0–4 weisen auf fehlende Depressivität hin, Werte von 5–9 auf eine geringe Depressivität, 10–14 auf eine mittlere Depressivität, 15–19 auf eine mäßig schwere und 20–27 auf eine schwere Depressivität [9]. Wir verwendeten die validierte deutsche Version des PHQ [5].

Statistik

Die deskriptive Datenanalyse erfolgte unter Angabe von Mittelwerten (Standardabweichungen) bzw. Absolut- und Prozentzahlen. Fehlende Angaben in den Symptomfragebogen wurden mit 0 gewertet. Gruppenvergleiche erfolgten mit univariaten Varianzanalysen, die nach dem Alter adjustiert wurden, wenn angezeigt, und χ2-Tests. Im Falle eines signifikanten globalen Unterschieds erfolgten bei kontinuierlichen Daten paarweise Vergleiche mit dem Scheffé-Test und bei kategorialen Daten mit dem χ2-Test. Das Signifikanzniveau wurde durch die Anzahl der Gruppenvergleiche (n = 12) auf 0,004 angepasst. Die Assoziation von (gering und stark) beeinträchtigenden Bauchschmerzen bzw. Menstruationsbeschwerden mit demografischen Variablen (Alter, Familienstatus, Bildungsniveau, monatliches Nettoeinkommen der Familie) und klinischen Variablen (weitere körperliche Symptomlast PHQ-15 und Depressivität PHQ-9) wurde mit univariaten und multivariaten logistischen Regressionsanalysen überprüft. Die Modellgüte wurde mit dem Omnibustest des Modellkoeffizienten überprüft. Die Datenauswertung erfolgte mit dem Statistikpaket SPSS Version 18.0 (Chicago, Illinois, USA).

Ethik

Die Studie erfüllte die ethischen Richtlinien des internationalen Codes der Marketing- und Sozialforschung der Internationalen Handelskammer und Europäischen Gesellschaft für Meinungs- und Marktforschung [12]. Die Studie wurde durch interne Mittel der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie des Universitätsklinikums Leipzig finanziert.

Ergebnisse

Von den 4064 kontaktierten Personen nahmen 2524 (62,1 %) an der Studie teil. Die Stichprobe war weitgehend repräsentativ für die deutsche Bevölkerung in den Parametern Alter, Geschlechtsverteilung und Schulabschluss [6]. Die demografischen Kennwerte der Stichprobe sind in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Soziodemografische und klinische Daten der gesamten Auswertungsgruppe. (Nach [6])

11,9 % der Teilnehmer berichteten über gering und 0,9 % über stark beeinträchtigende Bauchschmerzen in den letzten 4 Wochen. Personen mit leicht und stark beeinträchtigendem Bauchschmerz unterschieden sich von Personen ohne beeinträchtigenden Bauchschmerz nicht in demografischen Variablen (Alter, Partnerstatus, soziale Schicht), jedoch im Ausmaß weiterer körperlicher Beschwerden und der Depressivität (Tab. 2).

Tab. 2 Vergleich demografischer und klinischer Daten von Personen der allgemeinen Bevölkerung ohne beeinträchtigende bzw. mit leicht oder stark beeinträchtigenden Bauchschmerzen in den letzten 4 Wochen

Bauchschmerzen waren mit weiblichem Geschlecht [Odds Ratio (OR): 2,23; 95 %-Konfidenzintervall (KI): 1,67–2,98; p < 0,001), jüngerem Lebensalter (OR: 0,97; 95 %-KI: 0,96–0,98; p < 0,001), körperlicher Symptomlast (PHQ-15; OR: 1,33; 95 %-KI: 1,26–1,40; p < 0,0001) und Depressivität (PHQ-9; OR: 1,13; 95 %-KI: 1,08–1,17; p < 0,0001) assoziiert (Tab. 3).

Tab. 3 Prädiktoren von Bauchschmerzen (n = 320)

In der Altersgruppe von 14–55 Jahren berichteten 19,8 % der Frauen über gering und 3,9 % über stark beeinträchtigende Menstruationsbeschwerden in den letzten 4 Wochen. Frauen mit Menstruationsbeschwerden unterschieden sich nicht bezüglich der demografischen Variablen Partnerstatus und soziale Schicht. Frauen mit stark beeinträchtigenden Menstruationsbeschwerden waren jünger, depressiver und berichteten über mehr andere körperliche Beschwerden als Frauen ohne bzw. mit leicht beeinträchtigenden Menstruationsbeschwerden der Altersgruppe von 14–55 Jahren (Tab. 4).

Tab. 4 Vergleich demografischer und klinischer Daten von Frauen (Alter 14–55 Jahre) ohne beeinträchtigende bzw. mit leicht oder stark beeinträchtigenden Menstruationsbeschwerden in den letzten 4 Wochen

Menstruationsbeschwerden waren mit jüngerem Lebensalter (OR: 0,96; 95 %-KI: 0,94–0,97; p < 0,001), körperlicher Symptomlast (PHQ-15; OR: 1,24; 95 %-KI: 1,12–1,36; p < 0,0001) und Depressivität (PHQ-9; OR: 1,08; 95 %-KI: 1,01–1,15); p < 0,0001) assoziiert (Tab. 5).

Tab. 5 Prädiktoren von Menstruationsbeschwerden (n = 188) bei weiblichen Teilnehmern im Alter von 14–55 Jahren

Diskussion

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

Ein Anteil von 11,9 % der Teilnehmer berichtete über gering, 0,9 % über stark beeinträchtigende Bauchschmerzen in den letzten 4 Wochen. Personen mit leicht und stark beeinträchtigendem Bauchschmerz gaben mehr andere körperliche Beschwerden und Depressivität an als Personen ohne Bauchschmerz. 19,8 % der Frauen der Altersgruppe von 14–55 Jahren berichteten über gering und 3,9 % über stark beeinträchtigende Menstruationsbeschwerden in den letzten 4 Wochen. Frauen mit Menstruationsbeschwerden gaben mehr andere körperliche Beschwerden und Depressivität an als Frauen ohne Menstruationsbeschwerden.

Vergleich mit anderen Studien

Im Bundesgesundheitssurvey 1998 berichteten 2,5 % der Männer und 4,0 % der Frauen über Bauchschmerzen jeder Intensität in den letzten 7 Tagen [1]. Die 4-Wochen-Prävalenz (gering und stark) beeinträchtigender Bauchschmerzen von 12,8 % in unserer Studie lag höher als im Bundesgesundheitssurvey 1998, eventuell bedingt durch das längere Zeitintervall unserer Studie. Die Prävalenz von Bauchschmerzen ist bei Kindern höher als bei Erwachsenen. Im KiGGS waren Kopf und Bauch (44,2 %, 40,8 %) die häufigsten Schmerzlokalisationen, sowohl bei den wiederkehrenden (22,8 %, 20,3 %) als auch bei den am meisten beeinträchtigenden Schmerzen (19,6 %, 14,7 %). Kinder im Alter von 7–9 Jahren gaben häufiger Bauchschmerzen an als 11- bis 16-Jährige. Wie in unserer Studie gaben weibliche Teilnehmer häufiger Bauchschmerzen an als männliche Teilnehmer [11].

In Übereinstimmung mit den Ergebnissen einer Studie des Jahres 2002 [2] fanden wir vermehrte weitere körperliche Beschwerden und psychische Symptome (Angst, Depression) in der Gruppe der Personen mit Bauchschmerzen.

In einer Repräsentativbefragung von 1093 Frauen im Alter von 14–77 Jahren im Jahr 2002 mit dem Gießener Beschwerdebogen gaben 31,0 % der Teilnehmerinnen Menstruationsbeschwerden an [15]. In unserer Studie gaben 23,7 % der Teilnehmerinnen der Gruppe der 14- bis 55-Jährigen an, in den letzten 4 Wochen durch Menstruationsbeschwerden beeinträchtigt gewesen zu sein. Die Häufigkeit von Menstruationsbeschwerden ist daher von der Formulierung der Beschwerden im Fragebogen, dem vorgegebenen Zeitintervall und der Altersgruppe abhängig. Unsere Studie bestätigt die von Weidner et al. [15] beschriebene größere Prävalenz von Menstruationsbeschwerden bei Frauen jüngeren Lebensalters im Vergleich zu Frauen mittleren Lebensalters. Beutel et al. [2] fanden wie wir mehr zusätzliche körperliche und seelische Beschwerden bei Frauen mit Unterbauchschmerzen im Vergleich zu Frauen ohne Unterbauschmerzen. Wir konnten in unserer Analyse erstmals einen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Beeinträchtigung durch Menstruationsbeschwerden und weiteren körperlichen und depressiven Beschwerden nachweisen. Eine Assoziation von weiteren körperlichen Beschwerden und Depressivität mit urogenitalen Schmerzen wurde ebenfalls bei Männern in der allgemeinen Bevölkerung festgestellt [7].

Einschränkungen

  • Aufgrund des Datenschutzes waren keine weiteren Analysen dahin gehend möglich, ob sich die Teilnehmer und Nichtteilnehmer an der Studie in klinischen und soziodemografischen Daten unterschieden.

  • Die Aussagekraft des verwendeten Sozialschichtindex ist bei Jugendlichen, die die Fachhochschule bzw. das Gymnasium noch nicht abgeschlossen haben, eingeschränkt.

  • Wir verwendeten keine international eingesetzten Instrumente zur Erfassung chronischer Unterbauchschmerzen der Frau [14].

  • Bei der Analyse von Menstruationsbeschwerden wurde nicht vorab erfragt, ob noch eine Menstruation vorlag. Es ist möglich, dass in die festgelegte Altersgruppe von 14–55 Jahren Frauen mit Menopause bzw. Zustand nach Hysterektomie eingeschlossen wurden.

  • Im Gegensatz zu KiGGS [11] wurden keine bauchschmerzbezogenen Arztbesuche oder Medikamenteneinnahmen erfasst. Nichtbeeinträchtigende Bauchschmerzen und Menstruationsbeschwerden wurden nicht erfasst.

  • Aufgrund der geringen Zahl an Teilnehmern mit beeinträchtigenden Bauchschmerzen bzw. Menstruationsbeschwerden ist die statistische Power der durchgeführten Varianzanalysen gering.

  • Aufgrund des Querschnittscharakters der Studie sind keine kausalen Interpretationen der untersuchten Assoziationen möglich, z. B. in Bezug auf Bauchschmerzen und Depression.

Fazit für die Praxis

In der allgemeinen Bevölkerung sind gering beeinträchtigende Bauch- und Menstruationsbeschwerden häufig, stark beeinträchtigende Bauchbeschwerden und Menstruationsbeschwerden dagegen selten. Prävalenzraten chronischer Schmerzen in der deutschen Bevölkerung sollten von schmerzmedizinischen Fachgesellschaften [4] nicht mit Leiden gleichgesetzt werden.

Die Angabe von Bauchschmerzen in epidemiologischen Studien ist nicht automatisch mit einer Beeinträchtigung durch den Schmerz oder einem Leiden an dem Schmerz gleichzusetzen. Als beeinträchtigend erlebte Schmerzen sind mit weiteren körperlichen Beschwerden und Depressivität assoziiert. Die Erfassung des gesamten Spektrums körperlicher und seelischer Beschwerden innerhalb der aktuellen Lebenssituation und -geschichte von „Bauchschmerzpatienten“ durch Viszeral- und Schmerzmediziner ist sinnvoll. Eine zeitökonomische Erfassung des Spektrums körperlicher und seelischer Beschwerden ist mithilfe der Module des Gesundheitsfragebogen für Patienten (PHQ) für körperliche Beschwerden (PHQ-15; [5]), Depression (PHQ-9; [5]) und das Screeninginstrument für Angst und Depression (PHQ-4; [10]) möglich. Diese Module sind frei verfügbar und nicht gebührenpflichtig.