In den letzten Jahren ist auf Kongressen bei einigen Teilnehmern der Trend festzustellen, myofasziale Triggerpunkte (MTrPs) mit „tender points“ (TePs) gleichzusetzen. Wenn man voraussetzt, dass es sich um unterschiedliche Phänomene handelt, ist dies ein gefährlicher Trend, weil er dazu führt, dass Patienten mit Muskelschmerzen unterschiedlicher Genese mit derselben Therapie behandelt werden. Da die wissenschaftliche Forschung auf beiden Gebieten noch nicht alle Aspekte geklärt hat, müssen viele der folgenden Angaben als schlecht gesichert angesehen werden. Nach Durcharbeitung des Beitrags sind die Charakteristika der myofaszialen Triggerpunkte (MTrPs) des myofaszialen Schmerzsyndroms und die der „tender points“ (TePs) des Fibromyalgiesyndroms bekannt, sodass die für den Patienten geeignete Therapie ausgewählt werden kann.

Myofasziale Triggerpunkte (MTrPs)

Unter einem myofaszialen Triggerpunkt (MTrP) wird eine als Knötchen palpable druckschmerzhafte Verhärtung in einem Skelettmuskel verstanden (Abb. 1a). Wenn spontane Schmerzen und spontane Übertragung der Schmerzen in Körperregionen außerhalb des MTrP bestehen, wird der MTrP als aktiv bezeichnet; dagegen bewirkt ein latenter MTrP keine Spontanschmerzen. Beiden Formen des MTrP ist gemeinsam, dass sie bei Palpation mit eigentlich nichtschmerzhaftem Druck schmerzhaft sind (am Ort der MTrP besteht Allodynie) und schmerzhafter Druck überstarke Schmerzen hervorruft (Hyperalgesie) sowie eine Einschränkung der Beweglichkeit („range of motion“) besteht.

Abb. 1
figure 1

a Palpation eines MTrP. b Struktur eines palpablen MTrP. c Querschnitt durch einen Kontraktionsknoten. (Nach [21])

Für die Diagnose eines aktiven MTrP ist die Erkennung der vorher bestehenden Schmerzen durch den Patienten wichtig, wenn Druck auf den MTrP ausgeübt wird.

Palpation

Der MTrP als palpabler Knoten liegt üblicherweise im Verlauf eines Bündels angespannter Muskelfasern, dem „taut band“ oder Hartspannstrang. In ausgeprägten Fällen ist dieser Strang wie ein hartes Tau im eher weichen Muskelgewebe tastbar (Abb. 1 b). Nach neuerer Ansicht ([5]) ist das „taut band“ die Vorstufe des MTrP, d. h., die Symptome eines MTrP können auch ohne palpablen Knoten auftreten. „Taut band“ und palpabler Knoten kommen beim TeP nicht vor. Die in älteren Arbeiten beschriebenen Myogelosen haben einen deutlich größeren Durchmesser und stellen wahrscheinlich Aggregationen von mehreren MTrPs dar. Der palpable MTrP besteht aus einer Ansammlung von Kontraktionsknoten (s. unten und Abb. 1 a, b) in einem ödematös verquollenen Muskelgebiet. Das lokale Gewebsödem ist wahrscheinlich durch die Freisetzung von Substanz P (SP) und „calcitonin gene-related peptide“ (CGRP) aus den Nozizeptoren im MTrP bedingt. SP hat eine permeabilitätssteigernde und CGRP eine vasodilatierende Wirkung. Besonders SP führt zu einem Austreten von Blutplasma aus den Kapillaren in das Interstitium (Plasmaextravasation ) mit nachfolgender Freisetzung von sensibilisierenden Substanzen.

Lokalisation

Es wird angenommen, dass die MTrPs in der Endplattenzone eines Muskels lokalisiert sind, d. h. in dem Bereich eines Muskels, in dem sich die neuromuskulären Endplatten befinden. Die Lage dieser Zone variiert stark mit der Form des Muskels; bei spindelförmigen Muskeln befindet sie sich etwa in der Höhe des Muskelbauchs.

Überempfindlichkeit gegen Druckreize

Die Allodynie und Hyperalgesie des MTrP ist durch die Sensibilisierung (Übererregbarkeit) von Nozizeptoren im Bereich des MTrP bedingt. Die Sensibilisierung kommt dadurch zustande, dass aus den Plasmaeiweißen des Ödems und aus Gewebszellen Substanzen freigesetzt werden, die die Nozizeptoren übererregbar machen [z. B. Bradykinin, Prostaglandine, Serotonin, Nervenwachstumsfaktor (NGF)]. Eine Allodynie gegen Druckreize besteht auch bei TePs und kann daher nicht zur Unterscheidung herangezogen werden. Die gesteigerte Aktivität der sensibilisierten Nozizeptoren führt meist zu einer Übererregbarkeit der zentralnervösen nozizeptiven Neurone.

Reproduzierbarkeit der dem Patienten bekannten Schmerzen

Die lokale Druckschmerzhaftigkeit kann als diagnostisches Kriterium für MTrPs verwendet werden, wenn die durch den Palpationsdruck ausgelösten Schmerzen diejenigen Schmerzen reproduzieren, die der Patient in Ruhe und bei Bewegung empfindet. Hierbei sind die Lokalisation und besonders das Übertragungsmuster der Schmerzen zu beachten.

Übertragung von Schmerzen

Patienten mit einem MTrP haben typischerweise Schmerzen an 3 Stellen:

  • am Ort des MTrP selbst,

  • am Ursprung und/oder Ansatz des Muskels, in dem der MTrP liegt und

  • übertragene Schmerzen, die u. U. weit entfernt vom MTrP auftreten können.

Die übertragenen Schmerzen werden üblicherweise in anderen subkutanen Geweben (Muskeln, Sehnen, oder Gelenken) empfunden (Abb. 2). Bei der diagnostischen Lokalisation eines MTrP darf man sich daher nicht allein auf die Angaben des Patienten verlassen, der den Hauptschmerz evtl. am Ort der Schmerzübertragung empfindet, sondern muss gezielt palpatorisch nach dem MTrP suchen. Eine Hilfe für das Aufsuchen von MTrPs sind die publizierten Übertragungsmuster der Schmerzen, die für viele Muskeln recht typisch sind [17, 18]. Druck auf einen TeP löst üblicherweise keine Schmerzübertragung aus.

Abb. 2
figure 2

MTrPs (rote Fläche) im M. glutaeus minimus mit Gebieten des übertragenen Schmerzes (blau)

Der Übertragung der Schmerzen liegt wahrscheinlich die Durchschaltung von sog. stummen – ineffektiven – Synapsen zugrunde, die im ZNS zahlreich vorhanden, aber inaktiv sind. Neuronale Informationen werden an diesen Synapsen nicht weitergeleitet. Allerdings können diese ineffektiven Synapsen durch den Impulseinstrom von den muskulären Nozizeptoren des MTrP zu effektiven Synapsen werden (Abb. 3). Dadurch breitet sich die vom MTrP kommende Erregung auf Rückenmarksneurone aus, die nur ineffektive synaptische Verbindungen mit dem Muskel haben, in dem der MTrP liegt. Wenn die Erregung dadurch Nervenzellen erreicht, die ein Körpergebiet außerhalb des MTrP versorgen, werden subjektiv Schmerzen in diesem Gebiet empfunden. Im Beispiel der Abb. 3 würden bei Vorliegen eines MTrP im Muskel B übertragene Schmerzen im Muskel A auftreten. Die Schmerzübertragung ist ein zentralnervöses Phänomen.

Abb. 3
figure 3

Vereinfachter Mechanismus der Schmerzübertragung von einem MTrP im Muskel B zum Muskel A. (Nach [21])

Lokale Zuckungsreaktion

Wenn man den MTrP oder das „taut band“ durch seitlichen Druck quer zum „taut band“ unter dem palpierenden Finger wegschnappen lässt (sog. schnappende Palpation) kann eine Zuckung in dem „taut band“ auftreten, in dem sich der MTrP befindet. Die Zuckung ist weitgehend auf das gereizte „taut band“ beschränkt. Die lokale Zuckungsreaktion soll auf einem spinalen Reflex basieren [9], allerdings ist solch ein lokalisierter Reflex neuroanatomisch ein Problem, weil spinale Reflexe üblicherweise nicht so lokalisiert sind.

Die lokale Zuckungsreaktion fehlt bei TePs, allerdings ist die Reaktion auch bei Vorliegen eines MTrP nicht immer eindeutig auslösbar. Das „taut band“ kann durch ständigen Zug am Ansatz und Ursprung des Muskels an diesen Stellen zusätzliche Schmerzen im Sinne einer Enthesiopathie erzeugen.

Objektive Belege für die Existenz von Triggerpunkten

Für die Akzeptanz der MTrPs in der medizinischen Fachwelt war und ist es ein Problem, dass bisher keine objektiven Kriterien vorhanden waren, mit denen man in der klinischen Praxis die Existenz von MTrPs belegen konnte. Die übliche Labordiagnostik weist Normalwerte auf, und auch das Oberflächen-EMG über dem MTrP ist unauffällig. Als Therapeut ist man bei der Identifizierung von MTrPs auf seine eigene Palpationsfähigkeit und die Angaben des Patienten angewiesen. Die Situation unterscheidet sich nicht grundlegend von der bei Kopfschmerzpatienten, allerdings wird diesen Patienten aus traditionellen Gründen eher Glauben geschenkt als den Patienten mit MTrPs [5].

Die wenigen vorliegenden – meist älteren – Untersuchungen zur Objektivierbarkeit von MTrPs haben gezeigt, dass eine lokale pathologische Störung im Skelettmuskel als Ursache des MTrP wahrscheinlich ist.

Biopsiestudien

Mikroskopische Studien haben im Zentrum des palpablen MTrP sog. Kontraktionsknoten nachgewiesen ([16]; Abb. 4). Es handelt sich um Kontrakturen einzelner Muskelfasern im physiologischen Sinne, d. h., die Muskelfasern haben sich verkürzt, ohne dass die neuromuskuläre Endplatte Aktionspotenziale in der Membran der Muskelfasern ausgelöst hat. Daher ist ein MTrP im Oberflächen-EMG stumm [5]. Hinzu kommt, dass der Kontraktionsknoten nur Teile einer Muskelfaser erfasst, d. h., es liegt eine partielle Kontraktion einer Muskelfaser vor. Nach der sog. integrierten Hypothese der Triggerpunktentstehung (s. unten) betrifft die Kontraktur nur den Teil der Muskelfaser, der direkt unter der Endplatte liegt, während der restliche Teil derselben Muskelfaser passiv gedehnt wird. Reitinger et al. [13] biopsierten bei gerade Verstorbenen die noch tastbaren Knoten von Myogelosen im M. glutaeus medius. In Querschnitten der Myogelosebiopsien zeigten sich große, abgerundete Muskelfasern und eine Zunahme des mittleren Muskelfaserdurchmessers im Vergleich zu Kontrollbiopsien aus einem myogelosefreien Gebiet desselben Muskels (Abb. 1 c). Bei den großen Muskelfaserquerschnitten handelt es sich wahrscheinlich um quergeschnittene Kontraktionsknoten. Kontraktionsknoten fehlen beim TeP.

Abb. 4
figure 4

Schematischer Längsschnitt durch einen MTrP. Die untere von den 3 Muskelfasern zeigt einen Kontraktionsknoten, in dem wegen der maximalen Kontraktion der Sarkomere die dunklen A-Banden eng zusammengerückt sind. Die übrigen Teile derselben Muskelfaser sind passiv gedehnt, wie an dem größeren Abstand der A-Banden zu erkennen ist. Entlang der unteren Muskelfaser verläuft eine Kapillare, die durch den Kontraktionsknoten komprimiert wird. Bitte beachten: Die oberste Muskelfaser hat eine völlig normale Querstreifung, während die dem Kontraktionsknoten benachbarte Muskelfaser einen schrägen Verlauf der A-Banden zeigt. Der schräge Verlauf der Banden ist ein Hinweis auf eine mechanische Irritation der Muskelzellmembran

Sauerstoffdruckmessungen

Messungen der intramuskulären Verteilung des Sauerstoffpartialdrucks bei Patienten haben gezeigt, dass im Zentrum einer palpablen Myogelose ein starker Sauerstoffmangel mit einem pO2 von wenigen mmHg besteht [1]. Die Hypoxie könnte durch die Kompression von kleinen Blutgefäßen durch die Kontraktionsknoten bedingt sein (Abb. 4).

Messungen im MTrP mit Mikrodialysekanülen

Shah et al. [14] haben Mikrodialysekanülen eingesetzt, um in MTrPs von Patienten Messungen der ionalen Zusammensetzung des biochemischen Milieus durchzuführen. Die Studie zeigte, dass im aktiven MTrP der pH-Wert gesunken und die Bradykinin- und Serotoninkonzentration erhöht ist. Besonders eine pH-Absenkung hat sich in Tierexperimenten als effektiv für die Aktivierung von muskulären Nozizeptoren herausgestellt [8].

Spontane elektrische Aktivität

Wenn Nadel-EMG-Elektroden in engen Kontakt mit einem MTrP gebracht werden, kann man eine eigenartige Form von elektrischen Entladungen nachweisen, deren Ursprung immer noch ungeklärt ist. Die Entladungen bestehen aus hochfrequenten Signalen geringer Amplitude, die zusammen mit Aktionspotenzialen auftreten können [10]. Von Simons [15] wird angenommen, dass das Signal aus hochfrequenten Miniaturendplattenpotenzialen besteht, die im MTrP als Zeichen einer pathologisch veränderten Endplatte auftreten. Diese Interpretation wird allerdings nicht von allen EMG-Experten geteilt.

Endplattenhypothese der MTrP-Entstehung (sog. integrierte Hypothese)

Simons, der Hauptautor des Trigger Point Manuals [17, 18], hat die Hypothese aufgestellt, dass eine funktionsgestörte Endplatte die Hauptursache für das Auftreten von MTrPs ist [15]. Die Hypothese besteht aus folgenden Annahmen (Abb. 5):

  1. 1.

    Die auslösende Ursache ist eine Läsion des Muskelgewebes in Form einer Überlastung oder Zerrung.

  2. 2.

    Das muskuläre Trauma schädigt primär die neuromuskulären Endplatten, die daraufhin exzessiv Acetylcholin (ACh) in den synaptischen Spalt der neuromuskulären Endplatte freisetzen.

  3. 3.

    Das ACh löst in der Muskelzellmembran hochfrequente Miniaturendplattenpotenziale aus, die wie eine Dauerdepolarisation wirken.

  4. 4.

    Die Depolarisation setzt aus den intrazellulären Ca++-Speichern der Muskelzelle Ca++ frei, das die Aktin- und Myosinfilamente unterhalb der Endplatte zu einer Dauerkontraktur bringt.

  5. 5.

    Die Depolarisation löst aber kein Aktionspotenzial in der Muskelzellmembran aus, und die Kontraktur bleibt deshalb auf das Gebiet unterhalb der Endplatte beschränkt.

  6. 6.

    Der Kontraktionsknoten komprimiert die Kapillaren der Umgebung und erzeugt so eine lokale Ischämie und Hypoxie.

  7. 7.

    Die Hypoxie setzt im Gewebe Bradykinin und andere Substanzen frei, die Nozizeptoren sensibilisieren und so die Druckempfindlichkeit des MTrP bedingen.

  8. 8.

    Wegen der Ischämie und des damit verbundenen ATP-Mangels kann sich der Kontraktionsknoten nicht von selbst lösen, denn ATP wird für die Beendigung jeder Kontraktion benötigt.

Abb. 5
figure 5

Schematische Darstellung der sog. integrierten Hypothese der MTrP-Entstehung. Auf der rechten Seite ist der alternative Mechanismus der Kontrakturauslösung durch den Einstrom geringer Mengen an Ca-Ionen durch Lecks in der geschädigten Muskelzellmembran dargestellt. (Nach [21])

Alternativ kann angenommen werden, dass die Muskelzellmembran im Bereich des „taut bands“ so geschädigt ist, dass winzige Lecks entstehen. Da im Interstitium außerhalb der Muskelfaser eine Ca++-Konzentration von ca. 2 mM vorliegt, für eine Kontraktion der Muskelfaser aber nur ca. 0,01 mM Ca++ nötig sind, würden geringste Mengen von Ca++ ausreichen, um eine lokale Kontraktur auszulösen (Abb. 5).

Bildgebende Verfahren

Normale Ultraschallgeräte können den MTrP nicht abbilden, aber mit der neuen Methode der magnetischen Resonanzelastographie des Muskels ist es möglich, den Hartspannstrang im Muskel darzustellen [2]. Allerdings sind für die Untersuchungen Spezialgeräte nötig, die nur in spezialisierten Einrichtungen vorhanden sind.

Tender Points (TePs)

Im folgenden Abschnitt werden nur die TePs und die ausgedehnten Muskelschmerzen des Fibromyalgiesyndroms (FMS) berücksichtigt, die vielfältigen anderen Symptome der betroffenen Patienten werden nicht behandelt.

Lokalisation

Das American College of Rheumatology hat 1990 [19] Klassifizierungskriterien für das Vorliegen eines FMS aufgestellt. Zu diesen Kriterien gehören 18 Punkte (Abb. 6), von denen 11 überempfindlich („tender“, d. h. allodynisch) sein müssen. Natürlich sind auch MTrPs „tender“, aber dies gilt auch für andere Gewebsläsionen und kann nicht als Hinweis darauf gewertet werden, dass MTrPs und TePs identische Phänomene sind. Wie Abb. 6 zeigt, liegen viele TePs am Muskel-Sehnen-Übergang und nicht in der Nähe des Muskelbauchs. Neuerdings werden von vielen Autoren 6 TePs als ausreichendes Kriterium angesehen [11].

Abb. 6
figure 6

Lage der 18 TePs des Fibromyalgiesyndroms

Per Definition sind die TePs multipel und über große Gebiete des Körpers verteilt. Palpable Knötchen sind am Ort eines TeP nicht zu tasten. Die Ursache dafür, dass TePs am leichtesten am Muskel-Sehnen-Übergang zu finden sind, ist bisher ungeklärt. Das Gewebe am TeP – soweit bisher untersucht – zeigt keine pathologischen Veränderungen [6]. Die Schmerzschwelle der Patienten mit FMS ist nicht nur an den TePs und in der Muskulatur gesenkt, sondern auch in der Haut. Gleichzeitig besteht eine allgemeine Hyperalgesie. So zeigte sich während schmerzhafter thermischer Hautreizung in der kortikalen Bildgebung bei FMS-Patientinnen eine größere Anzahl der aktivierten kortikalen Areale und innerhalb dieser Areale ein stärkeres Signal [3].

Histologische Untersuchungen

Die bisher bei Fibromyalgie (FMS)-Patienten durchgeführten histologischen Untersuchungen haben den Nachteil, dass die Biopsien aus dem Muskel entnommen wurden und nicht am Ort der TePs. Lichtmikroskopisch fanden sich im Muskel fast regelmäßig die sog. „ragged red fibers“ als Ausdruck einer mitochondrialen Myopathie mit Ansammlungen von membranähnlichem Material unter der Muskelzellmembran und zwischen den Myofibrillen (Abb. 7). Die Veränderungen sind aber nicht spezifisch für das FMS, sondern kommen auch im höheren Alter vor. Darüber hinaus bieten die histologischen Veränderungen keine Erklärung für die massiven Schmerzen der FMS-Patienten. Neuere Daten sprechen zusätzlich für das Vorliegen von Störungen der Mikrozirkulation bei FMS-Patienten. die allerdings auch nicht spezifisch für das FMS sind [12]. Das Fehlen spezifischer morphologischer Veränderungen in der Muskulatur bei FMS ist ein wichtiger Unterschied zu den MTrPs.

Abb. 7
figure 7

Histologische Schnitte durch den Skelettmuskel von FM-Patienten mit sog. „ragged red fibers“

Wegen des Fehlens FMS-spezifischer pathologischer Veränderungen im peripheren Gewebe und der oft generalisierten Natur der Schmerzen wird eine zentralnervöse Störung der Schmerzverarbeitung als Ursache der Schmerzen angenommen. Hierbei spielt oft ein vorheriges lokales Trauma eine wichtige Rolle. Mögliche Erklärungen für die Ausbreitung und Generalisierung der Schmerzen wären eine durch das Trauma bedingte Übererregbarkeit von zentralnervösen Neuronen oder eine evtl. genetisch bedingte Funktionsstörung der deszendierenden schmerzmodulierenden Bahnen (Abb. 8). Das deszendierende schmerzhemmende (antinozizeptive) System hat seinen Ursprung in der grauen Substanz (PAG, periaquäduktales Grau) des Mesenzephalons [4]. Die von hier ausgehenden Bahnen laufen über das gesamte Rückenmark nach kaudal und haben hemmende synaptische Kontakte mit allen spinalen nozizeptiven Neuronen. Als Neurotransmitter der spinalen Hemmung wird vom deszendierenden System Serotonin (5-HT) verwendet.

Abb. 8
figure 8

Ebenen des deszendierenden schmerzhemmenden Systems. Die eigentliche Hemmung erfolgt an den Ursprungsneuronen des Tractus spinothalamicus im Rückenmark

Das deszendierende System ist normalerweise ständig aktiv und dämpft so tonisch die Ruheaktivität und die Erregbarkeit von nozizeptiven Neuronen am Ursprung des Tractus spinothalamicus. Wenn die deszendierende Schmerzhemmung zu schwach ist, werden die Hinterhornneurone enthemmt und Schmerzen sind die Folge, auch ohne dass ein Schmerzreiz in der Peripherie vorhanden ist. Es ist daher denkbar, dass eine Störung des deszendierenden Systems zu ausgedehnten Schmerzempfindungen führen kann. Da die deszendierende Schmerzhemmung normalerweise vorwiegend diejenigen Neurone hemmt, die Tiefenschmerz vermitteln [20], werden die Schmerzen vorwiegend in den tiefen somatischen Geweben empfunden. Das deszendierende System kann in seiner Aktivität auch gesteigert werden. In extremen Stresssituationen kann das System so stark aktiviert werden, dass völlige Schmerzfreiheit resultiert (z. B. bei Soldaten auf dem Schlachtfeld). Durch den Stress wird das Corpus amygdaloideum des limbischen Systems aktiviert, das Verbindungen zum PAG im Mesenzephalon besitzt ([4]; Abb. 8). Bei FMS-Patienten funktioniert dieser Mechanismus offensichtlich nicht mehr, denn die Schmerzen der Patienten werden durch psychische Stressoren verstärkt.

Die analgetische Wirkung von therapeutisch zugeführten Opioiden geht zum großen Teil auf die Aktivierung der deszendierenden schmerzhemmende Bahnen zurück. Die Schmerzen der meisten FMS-Patienten sprechen auf die Gabe von Opioiden nicht an, was evtl. durch die mangelnde Verfügbarkeit des µ-Opioidrezeptors bei FMS bedingt ist [7]. Neben dem deszendierenden antinozizeptiven System gibt es noch ein deszendierendes schmerzförderndes (pronozizeptives) System, dessen Aktivierung Schmerzen auslöst oder steigert. Es hat seinen Ursprung ebenfalls in supraspinalen Zentren (Medulla oblongata und Pons; [4]). Eine verstärkte Aktivität in diesem Bahnsystem könnte ebenso zu umfangreichen Schmerzen führen.

Die Tab. 1 verdeutlicht, dass sich MTrPs und TePs in einer großen Zahl von Merkmalen unterscheiden. Die Tatsache, dass viele FMS-Patienten auch MTrPs aufweisen, ist kein Gegenargument gegen eine Trennung zwischen beiden Störungen. Da von FMS-Patienten Bewegungen als schmerzhaft empfunden werden, bewegen sie sich möglichst wenig und haben daher eine dekonditionierte Muskulatur. Daher kommt es leicht zu einer Überlastung einzelner Muskeln, die dann MTrPs entwickeln können. Das Auftreten von MTrPs bei FMS-Patienten ist daher zu erwarten.

Tab. 1 Hauptunterschiede zwischen MTrPs und TePs

Fazit für die Praxis

Merkmale von MTrPs sind:

  1. 1.

    palpabler Knoten im Muskel, meist in der Nähe des Muskelbauchs,

  2. 2.

    meist einzeln vorkommend,

  3. 3.

    Allodynie und Hyperalgesie am Ort des MTrP,

  4. 4.

    Übertragung der Schmerzen des MTrP,

  5. 5.

    normale Schmerzempfindlichkeit in anderen Geweben,

  6. 6.

    lokale Zuckungsreaktion.

  7. 7.

    lokale Kontraktur im Biopsiematerial,

  8. 8.

    peripherer Mechanismus der Entstehung.

Merkmale von TePs sind:

  1. 1.

    fehlender Palpationsbefund,

  2. 2.

    Lage meist am Muskel-Sehnen-Übergang,

  3. 3.

    multipel per Definition,

  4. 4.

    Allodynie und Hyperalgesie auch außerhalb der TePs,

  5. 5.

    Schmerzverstärkung unter psychischem Stress,

  6. 6.

    unspezifische histologische Veränderungen im Muskel,

  7. 7.

    zentralnervöser Entstehungsmechanismus wahrscheinlich.

Die Vielzahl der aufgeführten Unterschiede spricht gegen eine gemeinsame Ätiologie und Pathophysiologie von MTrPs und TePs, sodass man davon ausgehen kann, dass es sich um unterschiedliche Phänomene handelt.

CME-Fragebogen

Wodurch unterscheidet sich ein latenter von einem aktiven myofaszialen Triggerpunkt (MTrP)?

Fehlende Überempfindlichkeit des latenten myofaszialen Triggerpunkts auf Druck.

Fehlende Spontanschmerzen des latenten myofaszialen Triggerpunkts.

Knotenförmige Verhärtung im Muskel bei einem latenten myofaszialen Triggerpunkt nicht palpabel.

Fehlende Hyperalgesie am latenten myofaszialen Triggerpunkt.

Normale Schmerzempfindlichkeit in Geweben außerhalb des latenten myofaszialen Triggerpunkts.

Woraus besteht ein „taut band“ (Hartspannstrang) des Muskel, in dem sich ein myofaszialer Triggerpunkt befindet?

Aus einem Bündel angespannter Muskelfasern.

Aus verkürzten Sehnen und Bindegewebssepten.

Aus einer entzündlichen Schwellung im Muskel.

Aus einer willkürlichen Kontraktion von Teilen des Muskels durch den Patienten.

Aus einer durch Aktivität der neuromuskulären Endplatte ausgelösten Kontraktion von Teilen des Muskels.

Woraus besteht ein palpabler myofaszialer Triggerpunkt?

Aus einem Hämatom im Muskelgewebe.

Aus einer massiven Schwellung einer einzelnen Muskelfaser.

Aus einer Ansammlung von Kontraktionsknoten zwischen normalen Muskelfasern.

Aus einem Muskelfaserriss.

Aus einer lokalen Verhärtung des subkutanen Fettgewebes.

Welche Merkmale sind für die Schmerzübertragung von einem aktiven myofaszialen Triggerpunkt typisch?

Es kommt bevorzugt zur Schmerzübertragung in innere Organe.

Eine Schmerzübertragung tritt nur bei Druck auf den aktiven myofaszialen Triggerpunkt auf.

Es kommt bevorzugt zur Schmerzübertragung in die Haut.

Typisch sind übertragene Schmerzen auf der kontralateralen Körperseite.

Es können Schmerzen weit entfernt vom Ort des aktiven myofaszialen Triggerpunkts ausgelöst werden.

Was ist ein Kontraktionsknoten?

Eine durch Aktionspotenziale der Muskelzellmembran hervorgerufene Kontraktion einer einzelnen Muskelfaser.

Eine Kontraktion eines Muskelfaserbündels in einem Muskel.

Eine Kontraktion eines Teils einer Muskelfaser ohne Freisetzung von Ca-Ionen.

Eine durch den Einfluss sensibilisierender Substanzen hervorgerufene Kontraktion einer Muskelfaser.

Eine Kontraktion eines Teils einer Muskelfaser durch lokale Freisetzung von Ca-Ionen.

Wodurch ist ein „tender point“ charakterisiert?

Durch eine pathologische Störung des Gewebes am Ort des „tender points“.

Durch übererregbare Nozizeptoren am Ort des „tender points“.

Durch eine besondere Druckempfindlichkeit wegen einer Störung der zentralnervösen Schmerzverarbeitung.

Durch eine normale Druckempfindlichkeit außerhalb des „tender points“.

Durch einen palpablen Knoten am Ort des „tender points“.

Wodurch ist die sog. deszendierende Schmerzhemmung gekennzeichnet?

Ort der Schmerzhemmung sind die nozizeptiven Neurone am Ursprung des Tractus spinothalamicus.

Die Hemmung der spinalen Neurone wird durch den Neurotransmitter Glutamat bewerkstelligt.

Die Ursprungsneurone der schmerzhemmenden Bahnen liegen im Thalamus.

Die Schmerzhemmung ist nur bei Vorliegen von Schmerzen aktiv.

Die Aktivität im schmerzhemmenden System wird bei Fibromyalgiepatienten durch psychischen Stress gesteigert.

Welche der folgenden Beobachtungen stützt die Annahme, dass eine Störung der deszendierenden Schmerzhemmung an den Schmerzen des Fibromyalgiesyndroms beteiligt ist?

Die mangelnde Wirksamkeit von NSAIDs.

Die mangelnde Wirksamkeit von Morphin.

Eine gesteigerte Aktivität von µ-Opioidrezeptoren.

Bestehende funktionelle Verbindungen des Corpus amygdaloideum mit der Medulla oblongata.

Eine generalisierte Senkung der Empfindlichkeit gegenüber Schmerzreizen.

Was versteht man unter einer lokalen Zuckungsreaktion bei Vorliegen eines aktiven myofaszialen Triggerpunkts?

Ein Zurückzucken der Extremität, in der sich der aktive myofasziale Triggerpunkt befindet.

Einen lokalen Spasmus des Muskels, in dem der aktive myofasziale Triggerpunkt liegt.

Ein Wegziehen des Kopfes bei Druck auf den aktiven myofaszialen Triggerpunkt.

Eine Zuckung der Muskelfasern eines Hartspannstrangs.

Eine Zuckung der Antagonisten des Muskels, in dem sich der myofasziale Triggerpunkt befindet.

Welches Symptom gehört zu den Merkmalen des Fibromyalgiesyndroms?

Ausgedehnte Schmerzen in mehreren Körperquadranten.

Besonders starke Schmerzen in der Haut.

Die Schmerzintensität ist weitestgehend unabhängig von psychischen Stressoren.

Das Vorliegen von „tender points“ besonders in der Nähe der betroffenen Muskelbäuche.

Jegliches Fehlen von aktiven myofaszialen Triggerpunkten.