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Die primäre Funktion des Knochenmarks ist die der Blutbildung. Das Knochenmark beherbergt die hämatopoetischen Stammzellen, die sich nicht nur dort teilen, sondern ausreifen und die Grundlage für die Bildung der Zellen der 3 hämatopoetischen Reihen darstellen. Veränderungen der zellulären Zusammensetzung des Knochenmarks und der interzellulären Botenstoffe haben nicht nur Auswirkungen auf die Regenerationsfähigkeit des blutbildenden Systems, sondern beeinflussen auch die Funktion des Immunsystems. Die immunologisch aktivsten Zellen im Knochenmark sind B‑Zellen, Monozyten sowie Granulozyten. Neue Erkenntnisse zeigen, dass metabolische Faktoren, wie z. B. Adipositas, auftreten, die die Struktur des Knochenmarks modifizieren, und sich dadurch nicht nur die hämatopoetischen Stammzellen in ihrer Zahl und ihrem Reifungszustand verändern, sondern auch die Balance der Ausreifung von myeloischen und lymphatischen Zellen beeinflusst wird [1]. Hieraus folgt auch, dass metabolische, durch den Lebensstil modifizierbare Faktoren die Immunfunktionen des Organismus über das Knochenmark beeinflussen können.
Knochenmark und Immungedächtnis durch Plasmazellen
Der Einfluss des Knochenmarks auf die Funktion des Immunsystems war bisher nur unzureichend erforscht und stand im Vergleich zu Untersuchungen zur Hämatopoese stets im Hintergrund. Neben seiner Funktion in der Blutbildung bietet das Knochenmark allerdings ein besonderes Umfeld für das langfristige Überleben von Immunzellen und somit die Grundlage und die (modifizierbaren) Rahmenbedingungen für das immunologische Gedächtnis. Dabei muss beachtet werden, dass Immunzellen per se nicht langlebig sind, sondern spezielle Kompartimente (oft auch als Nischen bezeichnet) benötigen, in denen Überlebensfaktoren vorhanden sind, die diesen Zellen langfristig das Überleben sichern. Antikörper-sezernierende Plasmazellen gelten hierbei als das beste Beispiel: Nach ihrer Generierung in den sekundären lymphatischen Organen wie Milz und Lymphknoten wandern Plasmazellen in das Knochenmark. Dort finden sie ideale Bedingungen vor, um nicht nur langfristig zu überleben, sondern auch entsprechend ihrer Aufgabe kontinuierlich Antikörper bilden zu können. Plasmazellen sind ausgesprochen langlebige Zellen und damit Träger des immunologischen Gedächtnisses. Sie residieren in speziellen Bereichen des Knochenmarks, den Nischen des immunologischen Gedächtnisses. Plasmazellnischen wurden im Rahmen des SPP1468 IMMUNOBONE-Projekts durch Herrn Prof. Manz, Prof. Radbruch und Dr. Chang untersucht, wobei residente Stromazellen, die das Chemokin CXCL12 und das Adhäsionsmolekül VCAM-1 produzieren, als Ammenzellen für Plasmazellen im Knochenmark identifiziert werden konnten [2]. Die Stromazellen unterstützen außerdem, die im Knochenmark ansässigen Megakaryozyten, den Vorläufern der Thrombozyten, die ebenfalls diese Nieschen durch die Produktion von Überlebensfaktoren für Plasmazellen stabilisieren [3, 4]. Näher charakterisiert wurden diese langlebigen Plasmazellen durch die Arbeitsgruppe von Prof. Dörner, der zeigen konnte, dass diese nur im Knochenmark den B‑Zell-Linienmarker CD19 und andere Aktivierungsmoleküle wie HLA-DR verloren haben, außerdem weniger Apoptoserezeptoren wie CD95 exprimieren, selten proliferieren und bei Erwachsenen nicht mehr aus B‑Zellen nachproduziert werden müssen [5]. Interessanterweise finden sich bei Autoimmunerkrankungen wie dem systemischen Lupus erythematodes auch ektope Nischen für Plasmazellen in den entzündeten Geweben [6]. Zusammenfassend konnten bei diesen Untersuchungen wesentliche und neue Aspekte der Plasmazellnische im Knochenmark charakterisiert werden. Diese Erkenntnisse tragen dazu bei, die Grundlagen des immunologischen Gedächtnisses besser zu verstehen.
Auf der Suche nach weiteren Faktoren, die das Überleben von Plasmazellen beeinflussen und damit langlebige Immunantworten sichern, konnte Herr Dr. David den Transkriptionsfaktor Fra-1 identifizieren. Fra-1 ist ein Molekül, das an die DNA (Desoxyribonukleinsäure) bindet, aber einen negativen Effekt auf Plasmazellen hat: Liegen große Mengen an Fra-1 vor, kommen langlebige Immunantworten zum Erliegen [7]. Die Ursache hierfür ist, dass Fra-1 die Differenzierung von Plasmazellen hemmt. Dies wird durch Hemmung der Bindung des für die Plasmazellen wichtigen Transkriptionsfaktors c‑Fos an den Blimp-1-Promotor mediiert, was die Differenzierung von Plasmazellen hemmt und deren Apoptose fördert. Umgekehrt führt die Hemmung von Fra-1 in B‑Zellen zu einer verstärkten langlebigen Immunantwort, was aus therapeutischer Sicht von Interesse sein könnte.
Granulozyten im Knochenmark
Das Knochenmark ist die Bildungsstätte der Granulozyten. Inwieweit Granulozyten an der Plasmazellnische mitarbeiten, ist derzeit unklar und zum Teil auch umstritten: Neutrophile und eosinophile Granulozyten werden zwar in den Plasmazellnischen des Knochenmarks gesichtet, bei beiden ist aber bisher keine eindeutige funktionelle Rolle in der Nischenbildung nachgewiesen. Hinsichtlich der eosinophilen Granulozyten wurde eine Mitwirkung an der Plasmazellnische anfänglich vermutet [8], wobei neuere Daten diese allerdings wieder relativieren, da humorale Immunantworten in der Abwesenheit von eosinophilen Granulozyten normal funktionieren [9].
Während es für neutrophile Granulozyten keine Daten hinsichtlich ihrer Funktion zur Erhaltung der Plasmazellnische gibt, konnte umgekehrt gezeigt werden, dass Plasmazellen die entzündungsfördernde Wirkung von neutrophilen Granulozyten im Knochenmark hemmen. Plasmazellen produzieren dabei das Zytokin Interleukin(IL)-10, das lokal neutrophile Granulozyten stark hemmt, insbesondere deren Komplement-mediierte Aktivierung [10]. Neutrophile Granulozyten im Knochenmark befinden sich somit gleichsam „im Winterschlaf“, und Plasmazellen funktionieren dabei als deren „Entzündungswächter“. Wenn neutrophile Granulozyten den Markraum verlassen, kommen sie ihrer ureigenen Funktion in der Infektabwehr und Herstellung der Gewebshomöostase nach. Wie aber neutrophile Granulozyten das Knochenmark verlassen, um ihren Aufgaben in der Infektabwehr gerecht zu werden, war bisher noch unzureichend charakterisiert. Neue Einblicke hierzu wurden von Prof. Gunzer durch Entwicklung des „Catchup“-Reportersystems für neutrophile Granulozyten gewonnen [11]. Dabei können neutrophile Granulozyten stabil und sehr spezifisch markiert und verfolgt werden. Interessanterweise verlässt die überwiegende Zahl der neutrophilen Granulozyten das Knochenmark über eine Vielzahl von kleinen transkortikalen Knochenkanälchen, die es ermöglichen, dass rasch große Mengen an neutrophilen Granulozyten vom Knochenmark bereitgestellt werden können [12]. Diese Erkenntnisse spielen auch bei nichtinfektiösen Erkrankungen wie der Schuppenflechte eine Rolle. Bei dieser chronisch entzündlichen Erkrankung kommt es zu einer exzessiven Mobilisierung von neutrophilen Granulozyten, die sich dann in die Haut und andere Gewebe einlagern. Prof. Weismann konnte zeigen, dass für die Mobilisierung von neutrophilen Granulozyten aus dem Knochenmark das proinflammatorische Zytokin IL-17 eine wesentliche Rolle spielt [13]. Dieser Mechanismus spielt auch beim Verständnis für das erhöhte Risiko für eine Atherosklerose bei Erkrankungen wie Psoriasis eine Rolle, da IL-17 Entzündungsprozesse in der Haut mit einer systemischen Aktivierung des angeborenen Immunsystems verbindet [14].
Nicht nur für die wieder ins Knochenmark zurückkehrenden Plasmazellen spielen die Markraumnischen eine große Rolle: Auch die Entwicklung von B‑Lymphozyten beginnt im Knochenmark, bevor diese in die sekundären lymphatischen Organe auswandern. Wie die Entwicklung von B‑Lymphozyten reguliert wird, war bisher nicht vollständig geklärt. Dabei scheint dem Botenstoff IL-7 eine wichtige Rolle zuzukommen. Frau Prof. Bozec konnte zeigen, dass die IL-7 mediierten Proliferationen von B‑Vorläuferzellen im Knochenmark über einen neuen molekularen Schalter vermittelt werden. Dabei handelt es sich um den Transkriptionsfaktor Fra-2, ein DNA-bindendes Protein aus der Gruppe der AP-1-Moleküle spielt hier eine zentrale Rolle [15]. Fra-2 reguliert zentrale Faktoren der B‑Zell-Differenzierung wie Foxo1, Irf4, Ikaros und Aiolos und unterstützt damit die B‑Zell-Entwicklung im Knochenmark. Als einen weiteren Faktor der IL-7-vermittelten B‑Zell-Entwicklung im Knochenmark konnte von Herrn PD Dr. Mielenz eine durch IL-7-vermittelte Veränderung des Metabolismus der B‑Zellen identifiziert werden. Diese metabolische Adaption geht mit einer vermehrten mitochondrialen respiratorischen Kapazität von B‑Zellen einher, die durch das Adaptorprotein Swiprosin-2/EFhd1 vermittelt wird, das in B‑Zellen den mitochondrialen Metabolismus steuert [16].
Ein weiterer Vertreter des immunologischen Gedächtnisses ist die Gedächtnis-T-Zelle. Bisher ging man davon aus, dass Gedächtnis-T-Zellen durch den Körper zirkulieren, dabei auf ständiger Suche nach Antigenen sind und sich über gleichbleibende Zellteilung auf niedrigem Niveau der Zahl konstant halten. Neuere Untersuchungen durch Prof. Chang zeigen nun aber, dass Gedächtnis-T-Zellen beim Erwachsenen ebenfalls im Knochenmark und nicht im Blut residieren [17]. Ähnlich wie bei den Plasmazellen überleben die Gedächtnis-T-Zellen in Nischen, die durch Stromazellen im Knochenmark gebildet werden [18]. Die T‑Zellen überdauern in den Nischen als ruhende Zellen, d. h. sie erhalten ihre Zahlen nicht durch Zellteilung aufrecht, sondern verbleiben dort als ruhende langlebige Zellen [19].
Da die Knochenmarknische unter anderem auch von der Zusammensetzung des Knochens abhängt, stellt sich die Frage, ob moderne Osteoporosetherapien, die die Funktion der knochenabbauenden Zellen (Osteoklasten) hemmen, auch die Knochenmarknische beeinflussen. Dies würde bedeuten, dass Medikamente wie Bisphosphonate die Funktion der adaptiven Immunantwort, insbesondere der Bildung von Antikörpern beeinflussen. Diese Sorge konnte in den Untersuchungen, die Herr Dr. David und Herr PD Dr. Mielenz durchführten, nicht bestätigt werden: So zeigte sich die spezifische Antikörperbildung im Gefolge von Immunisierungen sowohl durch eine kurz- als auch durch eine längerfristige Therapie mit Bisphosphonaten als unbeeinflusst [20]. Dies zeigt, dass im Falle einer Veränderung des Knochens die oben beschriebenen B‑Zell-Plasmazellnischen verlagert werden, im Extremfall sogar außerhalb des Knochens in die Milz. Damit konnte auch gezeigt werden, dass die Hemmung der Knochenresorption durch Medikamente, die bei Osteoporose eingesetzt werden, nicht mit einer Störung der humoralen Immunantwort einhergeht.
Neben den hämatopoetischen Vorläuferzellen und den Immunzellen beinhaltet das Knochenmark residente Zellen, die für die Funktion des Marks im Grundzustand und bei Erkrankungen verantwortlich sind. Über die Rolle von Stromazellen im Knochenmark zur Aufrechterhaltung der Plasmazellnische, wie oben ausgeführt, hinaus kommt den Stromazellen noch eine weitere wichtige Bedeutung zu, wie die Arbeitsgruppe von Prof. Richter zeigen konnte: Stromazellen sind zentrale Regulatoren der Frakturheilung, denn sie können nicht nur rasch in den Frakturspalt einwandern und zu Osteoblasten differenzieren, sondern sie können auch durch die Expression von VEGF („vascular endothelial growth factor“) die Vaskulogenese in der Fraktur fördern und damit deren Heilung beschleunigen [21].
Während den Stromazellen im Knochenmark eine überwiegend immunhemmende Wirkung zukommt [22], die für die Aufrechterhaltung der Homöostase in der Immunzellnische sinnvoll erscheint, kommt der zweiten großen Gruppe residenter Knochenmarkzellen, den Adipozyten, eine proinflammatorische Rolle zu. Die Arbeitsgruppe von Herrn Prof. Müller-Ladner und PD Dr. Neumann konnte zeigen, dass die Synthese von Adiponektin, das von Adipozyten gebildet wird, Knochenzellen wie Osteoklasten und Osteoblasten dazu anregt, proinflammtorische Zytokine wie IL-6, IL-8 und Makrophagen-Chemoattraktorprotein-1 (MCP-1) zu synthetisieren, was das Mikromilieu im Knochenmark verändert [23]. Zusätzlich wurden in den letzten Jahren auch Lipidmediatoren wie freie Fettsäuren (eng. „free fatty acids“ [FFA]) identifiziert, die von Adipozyten produziert und ausgeschüttet werden und über Toll-Like-Rezeptoren die Bildung proinflammatorischer Zytokine in Stromazellen anregen [24]. Das Knochenmark ist außerdem ein reich innervierter Bereich des Körpers. Prof. Straub und Prof. Grässel konnten zeigen, dass hier sowohl sympathische als auch cholinerge Nervenfasern vorkommen [25]. Interessanterweise ändert sich die Zusammensetzung dieser Nervenfasern bei Entzündungen, wobei sich das Gleichgewicht zugunsten der cholinergen Nervenfasern verschiebt [26]. Die zunehmende Dichte cholinerger Nervenfasern ist aber nur außerhalb des eigentlichen Entzündungsgebiets zu beobachten, während im hochentzündlichen Areal weder cholinerge noch sympathische Nervenfasern gefunden werden. Während adrenerge sympathische Nervenfasern einen pro- und antiinflammatorischen Phänotyp aufweisen, haben cholinerge vagale Nervenfasern eine antientzündliche Funktion auf Zellen der Entzündung, wie beispielsweise Makrophagen [27, 28]. Im Modell in vitro erfolgt die cholinerge Transformation durch z. B. „leukemia inhibiting factor“ (LIF), der von Osteoklastenprogenitoren gebildet wird [26].
Schlussfolgerung
Zusammenfassend zeigen diese Erkenntnisse, dass das Knochenmark weit mehr darstellt als nur eine Bildungsstätte der Blutzellen. Das Knochenmark bildet das Haus des immunologischen Gedächtnisses, in dem es langlebige Plasmazellen und Gedächtnis-T-Zellen eine Überlebensnische bietet. Zudem bildet es ein Reservoir für Neutrophile, die dort in ruhendem Zustand bereitgestellt werden, um dann rasch zur Infektabwehr in die Peripherie freigesetzt werden zu können. Residente Zellen im Knochenmark wie Stromazellen und Adipozyten sind für Frakturheilung, metabolische Funktion und Entzündungsregulation im Knochenmark zuständig. Damit bildet das Knochenmark wesentliche Funktionen aus, die sowohl für muskuloskeletale als auch für immunologische Krankheiten von wesentlicher Bedeutung sind.
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Förderung
Die Studien sind gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des SPP1468 „Osteoimmuniligy – IMMUNOBONE – A Program to Unravel the Interactions between Immune System and Bone“.
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Interessenkonflikt
G. Schett, A. Bozec, I. Bekeredjian-Ding, H.-D. Chang, J.-P. David, T. Dörner, S. Grässel, M. Gunzer, R. Manz, H. Mei, D. Mielenz, U. Müller-Ladner, E. Neumann, A. Radbruch, W. Richter und R.H. Straub geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Schett, G., Bozec, A., Bekeredjian-Ding, I. et al. Neue Einblicke in die Funktion des Knochenmarks. Z Rheumatol 77 (Suppl 1), 4–7 (2018). https://doi.org/10.1007/s00393-018-0456-z
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