Chronische Schmerzen sind ein großes Problem im klinischen Alltag. In allen Bereichen der Medizin stellen sie den Behandler vor Herausforderungen: Sie sind oft nur unzureichend kausal therapierbar und können auch den Einsatz von Opioiden erforderlich machen. Über 80 % der über 60-Jährigen in der Allgemeinbevölkerung leiden an Gelenk- oder Rückenschmerzen [8]. Etwa 7 % der Menschen mit chronischen Schmerzen in Deutschland erhalten Opioide, 2 % davon länger als 3 Monate [11]. Einen großen Teil davon dürften Patienten mit rheumatologischen Erkrankungen ausmachen, da arthritische/arthrotische Beschwerden und Rückenschmerzen gemeinsam für etwa ein Drittel aller chronischen Schmerzzustände verantwortlich sind [5].

Vor diesem Hintergrund werden die für die Rheumatologie wesentlichen Ergebnisse der kürzlich aktualisierten Leitlinie zur „Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen“ (LONTS; [11]) zusammengefasst. Die Leitlinie wurde unter Federführung der Deutschen Schmerzgesellschaft und Mitwirkung zahlreicher anderer Fachgesellschaften (u. a. Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie und Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin) erarbeitet.

Allgemeine Hinweise zur Opioidtherapie

Eine Therapie mit Opioiden sollte möglichst mit niedrigen Dosen begonnen und dann langsam nach klinischem Ansprechen gesteigert werden. Eine orale Morphinäquivalenzdosis von 120 mg/Tag sollte nur in Ausnahmefällen überschritten werden.

Es gibt derzeit keine Evidenz für die Überlegenheit eines bestimmten Opioids bei chronischen Schmerzen gegenüber anderen; dies gilt auch für den Applikationsweg [16]. Empfohlen wird eine Präparatewahl, die sich an den individuellen Bedürfnissen und Begleiterkrankungen des Patienten orientiert.

Ein kurzfristiger Einsatz von Opioiden bedingt v. a. unerwünschte Wirkungen wie Obstipation, Übelkeit, Schwindel und eine erhöhte Frakturrate. Während eine Laxanziengabe zur Obstipationsprophylaxe bei vielen Patienten während der gesamten Therapiedauer mit opioidhaltigen Analgetika erforderlich sein kann, ist die Indikation einer antiemetischen Therapie nach 2 bis 4 Wochen zu überprüfen.

Wichtige unerwünschte Wirkungen, die beim langfristigen Einsatz hinzukommen, sind hingegen Ausdruck eines Hypogonadismus mit entsprechenden Symptomen (Übersicht in [2]):

  • Libidoverlust,

  • Impotenz,

  • Amenorrhö.

Es ist wichtig, hinsichtlich dieser Nebenwirkungen vigilant zu sein; sie können sonst leicht übersehen werden. Patienten schreiben derartig wahrgenommene Veränderungen oft anderen Ursachen zu oder sprechen nicht darüber.

Bedenken hinsichtlich einer möglichen Abhängigkeit können einer notwendigen Opioidverordnung im Wege stehen. Amerikanische Studien berichten eine Prävalenz einer Abhängigkeit von 0,2–3,3 % unter den Opioidnutzern [11]. In Deutschland zeigen Fallserien aus Schmerzambulanzen kein hinsichtlich eines Missbrauchs problematisches Verhalten, und eine Expertengruppe fand 2013 keine Hinweise für ein signifikantes Abhängigkeitsproblem für die beiden häufig eingesetzten, niedrigpotenten Opioide Tilidin (in Fixkombination mit Naloxon) und Tramadol [11].

Tilidin-Tropfen wurden – im Gegensatz zu den retardierten Tabletten – ab 2013 der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung unterstellt. Hintergrund war eine Bewertung des Sachverständigenausschusses des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Auch hier wird von einem geringen Abhängigkeitspotenzial ausgegangen, allerdings sieht man u. a. die Problematik des nichtmedizinischen Missbrauchs von Tilidin-Tropfen. So bezögen sich „aufgedeckte Rezeptfälschungen weitestgehend auf Tilidin/Naloxon-Tropfen“. Eine wissenschaftliche Begründung für die Unterstellung der Retardtabletten in die Betäubungsmittelverschreibungsverordnung gebe es nicht [1].

Bei ausgewählten Patienten ohne anamnestischen Medikamentenmissbrauch und dem Einsatz lang wirksamer Retardformulierungen ist das Abhängigkeitsrisiko als relativ gering einzuschätzen. Eine regelmäßige Reevaluation der Therapienotwendigkeit ist jedoch erforderlich.

Einen Überblick über die aktuellen Empfehlungen zu den rheumatologischen Entitäten gibt Tab. 1.

Tab. 1 Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen (LONTS). (Nach [11])

Rheumatoide Arthritis

Die rheumatoide Arthritis (RA) ist die häufigste entzündlich-rheumatische Erkrankung überhaupt. Nach Schätzungen leidet in Deutschland etwa 1 % der Bevölkerung an einer RA.

Die Grundlage der Schmerzbehandlung bildet die krankheitsmodifizierende Therapie mit entsprechenden „disease-modifying antirheumatic drugs“ (DMARD): Ein frühzeitiger Beginn der Behandlung kann nicht nur die Gelenkdestruktion verzögern oder sogar aufhalten, sondern auch die Schmerzintensität langfristig reduzieren. Insbesondere Glukokortikoide, die nach aktuellen Untersuchungen krankheitsmodifizierendes Potenzial haben, sind zwar nicht den Analgetika zuzurechnen, jedoch gerade in der Schubsituation zur raschen Entzündungshemmung und damit verbundenen Schmerzlinderung unverzichtbar [14].

Als Analgetika der ersten Wahl sind darüber hinaus die nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) anzusehen und werden auch in der geltenden Leitlinie zum Management der frühen RA entsprechend empfohlen. Für die Wirksamkeit von nichtsauren Nichtopioiden gibt es allenfalls Hinweise – allerdings allein für Paracetamol [19].

Zwar waren Opioide in 6 untersuchten Studien hinsichtlich allgemeiner Besserung bei gleicher Verträglichkeit überlegen, die Untersuchungen waren jedoch allesamt von kurzer Dauer (≤ 6 Wochen). Die einzige Studie über 4 Wochen Dauer wurde aufgrund der geringen Patientenzahl (< 20 je Arm) nicht berücksichtigt, wenngleich sie eine bessere Schmerzreduktion zeigte. Allerdings wurden nicht alle randomisierten Patienten ausgewertet, sodass eine Intention-to-treat-Analyse wahrscheinlich keine signifikanten Unterschiede erbracht hätte [3].

Opioide sollten in der Therapie der RA daher nur im Ausnahmefall und kurzfristig zum Einsatz kommen, was insbesondere für die frühe Erkrankungsphase gilt [11]. Hier sind eindeutig NSAR vorzuziehen, deren Wirksamkeit gut belegt ist.

Bei langfristigen, chronischen, therapieresistenten Schmerzen im Krankheitsverlauf oder bei NSAR-Kontraindikationen kann ein Opioideinsatz ggf. gerechtfertigt sein.

Chronische Schmerzen durch Arthrose

Arthrose ist unter Erwachsenen die häufigste Gelenkerkrankung überhaupt – weltweit [6]. Bevorzugt betroffen sind die großen Gelenke, allen voran das Kniegelenk: Die Prävalenz einer symptomatischen Kniearthrose liegt bei Erwachsenen ab dem 60. Lebensjahr bei über 10 % [21].

Je nach Stadium und Klinik ist die Arthrose eine Domäne der konservativen, v. a. der physikalischen Therapie. Diesbezüglich sind sich sowohl die European League Against Rheumatism (EULAR; [7]), als auch das American College of Rheumatology (ACR; [13]) einig. Empfohlen wird neben der Patientenaufklärung – sofern nötig – eine Gewichtsreduktion. Nichtsdestotrotz ist eine adäquate Schmerztherapie von großer Bedeutung für die Betroffenen, ermöglicht sie doch zum Teil erst die Bewegung als solche im Rahmen einer physikalischen Therapie. In erster Linie sollten hier Nichtopioide, v. a. NSAR, Anwendung finden. Keine der Fachgesellschaften empfiehlt Opioide bei Arthrose als Erstlinienmedikation.

Die für die LONTS berücksichtigten Untersuchungen (16 placebokontrollierte Studien) erbrachten einen signifikanten Vorteil von Opioiden hinsichtlich Schmerzreduktion und körperlichem Beeinträchtigungserleben. Demgegenüber steht eine schlechtere Verträglichkeit [18]. Ein Head-to-Head-Vergleich zwischen NSAR und Tramadol zeigte zudem eine bessere Wirksamkeit für 2 der untersuchten NSAR (Tab. 1, [20]).

Eine Opioidtherapie wird bei chronischen Arthroseschmerzen daher zumindest für eine begrenzte Dauer (4 bis 26 Wochen) empfohlen [18]. Zuvor sollten aber v. a. ambulante physikalische Therapiemaßnahmen ebenso ausgeschöpft werden wie der Versuch einer Schmerztherapie mit NSAR – wenn keine Kontraindikationen dafür vorliegen. Eine langfristige Therapie mit Opioiden kann ansonsten bei Therapieversagen, gutem Ansprechen und guter Verträglichkeit einer kurzfristigen Therapie erwogen werden [10].

Chronischer Kreuzschmerz

Die Ursachen für diesen häufigen Konsultationsgrund sind sehr heterogen. Muskuloskeletale Erkrankungen, bedingt durch Degeneration, Fehlhaltungen oder Entzündung, zählen zu den wichtigsten. Eine interdisziplinäre Therapie ist entscheidend und die Schmerzbehandlung eine ihrer Säulen. Eine weitere wichtige Säule ist die physikalische Therapie, die zu einer deutlichen Schmerzreduktion führen kann, gerade bei unspezifischen Schmerzauslösern [12].

Im Rahmen der Aktualisierung der LONTS wurden 11 klinische Studien zum Einsatz von Opioiden bei chronischen Kreuzschmerzen systematisch untersucht, die eine spezifische Schmerzursache überwiegend ausschlossen. Im Ergebnis zeigten sich zwar sowohl eine Überlegenheit der Opioide hinsichtlich der Reduktion der Schmerzintensität um bis zu 50 % als auch eine Verbesserung der körperlichen Funktionsfähigkeit, hinsichtlich der Verträglichkeit waren Opioide allerdings unterlegen. Celecoxib war im Direktvergleich mit Tramadol besser wirksam und führte zu weniger Therapieabbrüchen [17].

Die mediane Studiendauer lag bei 12 Wochen, sodass eine Empfehlung für die Opioidtherapie nur für eine mittelfristige Dauer ausgesprochen wird. Diese Empfehlung erfolgte trotz Evidenzlevel 1a nur offen, da die Effekte als insgesamt gering eingestuft werden und eine Reihe effektiver nichtmedikamentöser Therapieansätze zur Verfügung steht. Bei längerer Therapie (> 26 Wochen) sollte eine kritische Reevaluation nach spätestens 3 Monaten erfolgen; sie kann v. a. bei gutem Ansprechen eine Option sein [10].

Fibromyalgiesyndrom

Das Fibromyalgiesyndrom (FMS) ist ein unvollständig verstandenes Krankheitsbild. Derzeit geht man von einer funktionellen („biopsychosozialen“) Genese aus [9]. Möglicherweise liegt auf organischer Ebene aber auch eine zentrale Störung der Schmerzverarbeitung, resultierend aus Neurotransmitterungleichgewichten, vor [15].

Für die Therapie können grundsätzlich weder Opioide noch NSAR empfohlen werden. Die Aussage in LONTS ist hinsichtlich des Opioideinsatzes insofern identisch mit den Empfehlungen der S3-Leitlinie zum FMS [9].

Einziger Unterschied ist die offene Empfehlung einer kurzfristigen Therapie mit Tramadol allein oder in Kombination mit Paracetamol für 4 bis 12 Wochen [11]. Hintergrund ist zum einen der Wirkmechanismus von Tramadol: Es bewirkt eine höhere Verfügbarkeit sowohl von Noradrenalin als auch Serotonin im synaptischen Spalt. Es besitzt daher neben seinem Opioidrezeptoragonismus eine den trizyklischen Antidepressiva ähnliche Wirkung. Typische Vertreter der Trizyklika wie beispielsweise Amitriptylin werden für die FMS-Therapie empfohlen [9]. Zum anderen haben für die LONTS berücksichtigte Studien einen Vorteil von Tramadol (± Paracetamol) gegenüber Placebo hinsichtlich Schmerzreduktion und körperlichem Beeinträchtigungserleben gezeigt. Die Abbruchraten wegen unerwünschter Wirkungen waren allerdings höher als unter Placebo.

Fazit für die Praxis

  • Opioide sind keine Analgetika der ersten Wahl bei Patienten mit chronischen Nicht-Tumor-Schmerzen.

  • Auch wenn die Gabe bei ausgewählten Patienten ohne Missbrauchsanamnese sicher erscheint, sollten bei rheumatologischen Krankheitsbildern zunächst Nichtopioide zum Einsatz kommen.

  • Vergleiche zwischen verschiedenen Opioiden einschließlich der Darreichungsformen zeigen bei chronischen Schmerzpatienten keine Überlegenheit eines bestimmten Präparates.

  • Eine gute Evidenz für den langfristigen Einsatz von Opioiden besteht aufgrund fehlender Studien für keine Krankheitsentität. Sie können aber zur Kontrolle chronischer Schmerzen und zum Erhalt der Beweglichkeit indiziert sein. Sie kommen außerdem bei den klinisch oft relevanten Kontraindikationen für NSAR in Betracht.