Einleitung

Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) hat als eine der ersten Fachgesellschaften seit den 1990er-Jahren Schulungsprogramme für unterschiedliche rheumatologische Indikationen entwickelt und war damit einer der Vorreiter auf diesem Gebiet. Nach über 20 Jahren gibt es nun wieder verstärkt Bemühungen innerhalb der DGRh, die bisherigen Schulungsprogramme zu aktualisieren – und zwar mit dem Ziel, neuen didaktischen Methoden für mehr Effektivität Rechnung zu tragen, eine stärkere Patientenbeteiligung zu erreichen und die Schulungen einer größeren Anzahl von Patienten zugänglich zu machen.

Auch die European League against Rheumatism (EULAR) hat sich kürzlich des Themas angenommen und Empfehlungen für eine effektive Patientenschulung bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen der Gelenke und des Achsenskeletts (im Folgenden als entzündlich-rheumatische Gelenkerkrankung bezeichnet) publiziert [85].

Die hier vorliegende Arbeit soll dazu beitragen, die EULAR-Empfehlungen im deutschsprachigen Raum zu verbreiten. Die Übersetzung der EULAR-Empfehlungen, der entsprechenden Erläuterungen und einzelner Textpassagen sowie deren Bewertung im Hinblick auf das deutsche Gesundheitswesen werden im Folgenden vorgestellt und kommentiert.

„Patientenschulung (PS) wird seit langem als integraler Bestandteil rheumatischer Behandlungen angesehen. Dies spiegelt sich unter anderem in den Empfehlungen und Leitlinien für frühe Arthritis und ankylosierende Spondylitis (AS) wider [20, 89]. Patientenschulung sollte möglichst alle Bereiche von Schulungsaktivität beinhalten – einschließlich gezielter gesundheitsbezogener Informationen und Beratungen [4]. Systematische Reviews belegen einen signifikanten Kurzzeiteffekt von Patientenschulung im Hinblick auf Wissen, Bewältigungsstrategien, Schmerzen, Depression und körperliche Einschränkungen. Die Ergebnisse hinsichtlich Langzeitwirkungen sind allerdings weniger konsistent [5, 18, 62, 73].

Aufgrund des ausgeprägten Wandels der Behandlung rheumatischer Erkrankungen und der ebenfalls stark veränderten Arzt-Patienten-Beziehung hin zu einer partizipativen Entscheidungsfindung ist es wichtig, die Rolle der Patientenschulung zu stärken und ggf. neu zu definieren.

Innerhalb der letzten Jahrzehnte hat sich innerhalb der Medizin bzw. in der Gesundheitsversorgung ein Paradigmenwechsel vollzogen. Die paternalistische Arzt-Patient-Beziehung, mit der Gesundheitsfachkraft als Experten bzw. Wissensvermittler und dem eher passiven Patienten wurde abgelöst durch eine mehr partizipative Herangehensweise.

So werden Patienten in Hinsicht auf den Umgang mit ihrer Erkrankung und ihrem Gesundheitsverhalten heute als aktive Partner angesehen [17]. Nach dem Prinzip des ‚shared decision making‘ treffen Patienten und ihre Behandler zunehmend gemeinsame Entscheidungen bezüglich der Behandlung. Diese sollten sowohl auf der besten Evidenz als auch auf den Wünschen und Vorstellungen des Patienten beruhen [59]. Dabei genügt es nicht, wenn in einer Patientenschulung lediglich Wissen vermittelt wird. Die Patienten sollten befähigt werden, sich aktiv am Management ihrer Erkrankung zu beteiligen, ihren Gesundheitszustand positiv zu beeinflussen und ihre Lebensqualität zu verbessern bzw. zu erhalten [72].

Viele Veränderungen, z. B. durch biomedizinische Fortschritte, neue medikamentöse Behandlungsverfahren und verbessertes Wissen über Komorbiditäten und Risikofaktoren erfordern die Aufklärung der Patienten [38, 39]. Dabei eröffnen E-Health und Tele-Health-Plattformen zunehmend Möglichkeiten für Austausch und Information der Patienten, was sich auch Patientenschulungsprogramme zunutze machen können“ (nach [85]).

Methoden

Evaluation im deutschsprachigen Raum

Die vom Vorstand der DGRh eingesetzte Ad-hoc-Kommission für Patientenschulung hat als erste einer Reihe neuer Aktivitäten eine Übersetzung der kürzlich publizierten EULAR-Empfehlungen sowie eine Übersetzung der wichtigsten Erläuterungen der Empfehlungen und einiger Textpassagen durch die Autoren dieser Publikation vorgenommen. Es wurden 15 Experten innerhalb Deutschlands ausgewählt, die sich aufgrund von Publikationen oder klinisch mit dem Bereich Patientenschulung und deren Inhalten in den letzten Jahren offensichtlich befasst haben. Die Gruppe bestand aus acht Rheumatologen, einem im Bereich Patientenschulung erfahrenen Diabetologen, einer Physiotherapeutin, einer Psychologin, einer Ergotherapeutin, einer Methodikerin/Epidemiologin und zwei Patientenvertretern.

Eine erste Version der übersetzen Abschnitte wurde elektronisch an diese 15 Experten verschickt, wobei sie gebeten wurden, eine Bewertung und Verbesserung der Übersetzung vorzunehmen, ihre Übereinstimmung mit dem Inhalt der Empfehlungen auf einer Skala von 0 (keine Zustimmung) bis 10 (volle Zustimmung) anzugeben und die Empfehlungen auch im Hinblick auf die Versorgungsrealität im deutschen Gesundheitssystem zu kommentieren. Die Übersetzungsvorschläge und Kommentare wurden im Anschluss von den Mitgliedern der Kommission für Patientenschulung diskutiert und Änderungen konsentiert. Die Kommentare der Experten wurden zum Teil zusammengefasst, aber meist im Wortlaut übernommen.

Literatursuche

Grundlage für die systematische Literatursuche (SLR) der EULAR war folgende im Konsens der EULAR Task Force erarbeitete Definition für Patientenschulung:

Patientenschulung ist ein geplanter interaktiver Prozess, um Patienten darin zu unterstützen und zu fördern, ihr Leben mit einer entzündlich-rheumatischen Gelenkerkrankung zu bewältigen und Gesundheit und allgemeines Wohlbefinden zu verbessern.“

Die SLR der EULAR wurde für den Zeitraum von Januar 2003 bis 2013 in Medline, Embase, PsychINFO, Cochrane Library und CINAHL durchgeführt. Die Kommission für Patientenschulung hat die Ergebnisse der SLR der EULAR großteils übernommen und mit wichtigen Publikationen aus dem deutschsprachigen Raum ergänzt.

Die Einschlusskriterien der SLR der EULAR umfassten entzündlich-rheumatische Erkrankungen der Gelenke und des Achsenskeletts, beschränkt auf rheumatoide Arthritis (RA), ankylosierende Spondylitis (AS) und Psoriasisarthritis (PsA), sowie Erwachsene ab dem 18. Lebensjahr.

Methoden und Teilnehmer der EULAR-Empfehlungen

Für die Ausarbeitung, Evaluation, Verbreitung und Implementierung der EULAR-Empfehlungen wurden die „EULAR Standard Operation Procedures“ verwendet [24]. Die multidisziplinäre Task Force der EULAR bestand aus 15 Experten: drei Patienten, fünf Pflegekräften, zwei Ergotherapeuten, zwei Physiotherapeuten, einem Psychologen und zwei Rheumatologen/Epidemiologen mit klinischer Erfahrung und/oder wissenschaftlichem Hintergrund im Bereich Patientenschulung. Die Mitglieder repräsentierten insgesamt zehn europäische Länder: Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz und die Tschechische Republik. Zusätzlich gab es eine Beratungsgruppe aus 20 Gesundheitsfachkräften wie Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Pflegekräften und Rheumatologen, bei der aber keine Patienten beteiligt waren.

Auf Basis der oben erläuterten SLR der EULAR wurden im Jahr 2014 zwei übergeordnete Prinzipien sowie acht evidenz- und expertenbasierte Empfehlungen (Tab. 1) entwickelt und bewertet.

Tab. 1 EULAR-Empfehlungen für die Schulung von Patienten mit entzündlich-rheumatischen Gelenkerkrankungen, aus [85]

Ergebnisse

Da sich alle Experten beteiligten, basieren die folgenden Übersetzungen, Bewertungen und Kommentare auf dem Input von den 15 genannten Fachleuten (Rücklauf 100 %). Die einzelnen Kommentare wurden dann von der Kerngruppe gesichtet und nur bei thematischer Dopplung nicht einzeln aufgeführt – im Anhang zu den jeweiligen Empfehlungen werden diese dann kursiv angegeben.

Die acht Empfehlungen wurden insgesamt mit 8,8 ± 0,49 bewertet.

Übergeordnete Prinzipien

  1. 1.

    Patientenschulung ist ein geplanter interaktiver Lernprozess, um Menschen dabei zu unterstützen und zu befähigen, ihr Leben mit einer entzündlich-rheumatischen Gelenkerkrankung zu bewältigen und ihren Gesundheitszustand und ihr Wohlbefinden zu optimieren.

  2. 2.

    Kommunikation und partizipative Entscheidungsfindung zwischen Menschen mit entzündlich-rheumatischer Gelenkerkrankung und mit dem für sie zuständigen medizinischen Fachpersonal (health care professionals) sind essenziell für eine effektive Patientenschulung.

„Der interaktive Lernprozess beinhaltet eine große Bandbreite an edukativen Aktivitäten wie Wissensvermittlung, schriftliches Material, E-Health, Selbstmanagement Programme (SMP), cognitive behavioral therapy (CBT, kognitive Verhaltenstherapie), Achtsamkeit, Stressbewältigung, individuelle Beratung durch medizinisches Fachpersonal, Erfahrungsaustausch unter Patienten, Diskussionsrunden, Übungsanleitungen, Interventionen zur Veränderung des Lebensstils und Selbsthilfekurse.

Es besteht Einigkeit darüber, dass die Empfehlungen grundsätzlich nach dem Prinzip ‚shared decison‘ (partizipative Entscheidungsfindung) umgesetzt werden sollen [17]“ (nach [85]).

Kommentare:

  • Dies ist eine sehr weit gefasste Definition von Patientenschulung, weil sie auch individuelle Schulungen einschließt. Die Unterschiede der Struktur zwischen Einzel- und Gruppenschulung werden nicht ausreichend thematisiert. Programme für geplante individuelle Schulungen für Menschen mit Arthritis sind in Bezug auf Wirtschaftlichkeit wenig sinnvoll. Es dürfte auch schwierig sein, individuelle Schulung von vergleichbaren Aktivitäten abzugrenzen, wie sie z. B. im ärztlichen Beratungsgespräch oder in der Physio- und Ergotherapie geschehen.

  • Die Übersetzung des Begriffs „planned“ könnte und müsste auch den Aspekt einer strukturierten Schulung umfassen.

  • Im Allgemeinen enthält Schulung auch „frontale“, d. h. nicht interaktive Elemente, wenn es sich z. B. um die Vermittlung von Wissen handelt.

  • Die Task Force der EULAR enthielt leider keinen Erwachsenenpädagogen und nur einen Psychologen. Die pädagogische Kompetenz der anderen Mitglieder lässt sich in Unkenntnis ihrer Ausbildung und ihres sonstigen beruflichen Hintergrunds nicht wirklich bewerten.

  • Die Task Force bestand aus vielen Professionen wie Ergotherapeuten oder Physiotherapeuten, die eher ein individuelles Schulungsprinzip verfolgen. Daraus könnte auch die stärkere Gewichtung von Einzelschulung resultieren.

Bewertung der deutschsprachigen Experten: 9,2 ± 1,03 (14/15)

1. Empfehlung: Patientenschulung als integraler Bestandteil des allgemeinen Therapiestandards

Patientenschulung soll für Betroffene mit einer entzündlich-rheumatischen Gelenkerkrankung als ein integraler Teil der Regelversorgung zur Verfügung gestellt werden, um ihre Beteiligung an Krankheitsmanagement und Gesundheitsförderung zu verstärken.

„Bereits jetzt kann ein positiver Kurzzeit-Effekt durch Einzel- und Gruppeninterventionen bei Patienten mit RA belegt werden (Evidenzgrad I) [4, 18]. Drei randomisierte kontrollierte Studien (RCT) [36, 56, 71] und eine kontrollierte klinische Studie (CCT) [58] wiesen sowohl durch individuelle als auch durch Gruppenschulungen eine verbesserte medikamentöse Therapieadhärenz als auch ein größeres Wissen über Nebenwirkungen auf. Darüber hinaus wurde in einer Meta-Analyse und vier RCTs eine Verbesserung von krankheitsbezogenem Wissen, Bewältigungsstrategien und ein positiver Einfluss auf den physischen und psychischen Gesundheitszustand bestätigt [28, 40, 50, 74]. Auch die Kombination einer Patientenschulung mit physikalischer Therapie oder Gelenkschutz-Schulungen hat einen positiven Einfluss auf Funktion, Aktivität und Schmerzempfinden, was etliche RCTs [13, 30, 51, 52, 63, 64] und CCTs [1, 65] demonstrieren.

Außerdem gab es in mehreren Studien Hinweise darauf, dass CBT und Stressbewältigung eine deutliche Wirkung auf die psychische Gesundheit sowohl nach der Intervention als auch bei einem Follow-up von 4–18 Monaten haben [7, 16, 33, 45, 68, 81, 87, 88].

Insgesamt bestand in der Task Force Einigkeit darüber, dass eine Patientenschulung die Einbindung der Patienten in das Krankheitsmanagement verbessert. Dies wurde allerdings nur durch eine Querschnittsstudie [46] bestätigt, die einen positiven Zusammenhang von hohem Krankheitswissen mit dem Krankheits-/Gesundheitsmanagement der Patienten zeigt.“ (nach [85]).

Kommentare:

  • In Deutschland werden diese Anforderungen zum Teil schon erfüllt, da für etliche Erkrankungen bereits Schulungsprogramme bestehen.

Bewertung der deutschsprachigen Experten: 9,6 ± 0,71 (15/15)

2. Empfehlung: Patientenschulung während des gesamten Krankheitsverlaufs

Allen Menschen mit einer entzündlich-rheumatischen Gelenkerkrankung soll während ihres Krankheitsverlaufs Patientenschulung(en) angeboten und der Zugang dazu ermöglicht werden: zumindest bei der Diagnosestellung, bei Änderung der Medikation oder wenn es der physische oder psychische Zustand erfordert.

„Wie in Studien gezeigt, ist der Schulungs- und Unterstützungsbedarf besonders hoch in Krankheitsphasen mit Veränderungen oder vermehrter Belastung wie zu Beginn der Erkrankung, bei Therapieumstellungen oder wenn der Alltag der Patienten durch die Erkrankung negativ beeinflusst wird [42, 66]. Auch im Rahmen hoher Krankheitsaktivität, Verschlechterung der Erkrankung oder Komorbiditäten, vor allem, wenn diese mit Alltagsverrichtungen, besonderen Lebensphasen und dem familiären Gefüge interferieren, treten unterschiedliche Schulungsbedürfnisse auf [11, 54, 57]“ (nach [85]).

Kommentare:

  • Grundsätzlich ist die Bedarfsorientierung der Patientenschulung und die Feststellung des Bedarfs durch Betroffene und „Professionals“ richtig. Es werden aber keine Angaben zur Methodik der Bedarfsfeststellung gemacht.

  • Die Patientenschulung bei Diagnosestellung muss anders strukturiert werden als Patientenschulung im längerfristigen Verlauf.

  • Eine gesicherte Diagnose muss die Grundvoraussetzung für den Beginn einer Patientenschulung sein.

  • Die Schulung sollte möglichst in einer gemischten Gruppe mit Patienten in unterschiedlichen Krankheitsstadien stattfinden, um den Austausch zu fördern.

  • Für ältere Rheuma-Patienten können kognitive Einschränkungen vorliegen. Hier sind die Inhalte einer Patientenschulung dann u. U. anders zu gewichten (Sturzprophylaxe, Erhalt der Eigenständigkeit, Lebensqualität wie auch die Berücksichtigung der Rheuma-Medikation, auch in Hinsicht auf die anderen Medikamente, bei Multimorbidität).

  • Die Umsetzung stößt an Grenzen, wenn bei jedem Therapiewechsel eine Schulung erfolgen soll. Zumindest ist dies als Gruppenmaßnahme schwierig, sodass hier vorzugsweise individuelle Beratung und Instruktion zum Einsatz kommen dürften. Zudem müsste auch hier die Finanzierung geklärt werden.

Bewertung der deutschsprachigen Experten: 8,8 ± 1,6 (15/15)

3. Empfehlung: Patientenschulungen sollten individuell zugeschnitten und bedarfsorientiert sein

Inhalt und Durchführung einer Patientenschulung soll individuell zugeschnitten und an die Bedürfnisse der Menschen mit entzündlich-rheumatischer Gelenkerkrankung angepasst werden.

„Querschnittsstudien und qualitative Studien, in denen Patientenbedürfnisse und -erwartungen untersucht wurden, zeigten große Unterschiede im Schulungsbedarf hinsichtlich der Kenntnisse über die einzelnen Erkrankungen und deren Management, in Bezug auf das Wissen über Nebenwirkungen und Risikofaktoren, nicht-medikamentöse Therapieverfahren, Schmerzkontrolle und Selbsthilfemöglichkeiten, aber auch in Hinsicht auf die Regulierung von Aktivitäten, körperliches Training und Verhaltensänderungen [9, 25, 34, 42, 54, 69, 75, 76, 84, 90]. Häufig war der Wissensstand der Patienten eher niedrig bis moderat und oft gaben die Patienten an, unzureichende Informationen erhalten zu haben [2, 19, 54].

Menschen mit entzündlich-rheumatischer Gelenkerkrankung möchten nicht nur durch ihre Erkrankung wahrgenommen werden, sondern sowohl dazu befähigt werden, eigene Ressourcen zu nutzen als auch krankheitsbedingt aufgegebene Aktivitäten wieder aufnehmen zu können [3, 9, 25, 70, 79, 86]. Zudem sollten Schulungen auch emotionale Aspekte und unterstützende Maßnahmen zur Stressbewältigung durch Gesundheitsfachkräfte beinhalten [70, 86]“ (nach [85]).

Kommentare:

  • Individuelle Anpassung ist nur begrenzt möglich, vor allem bei Gruppenschulung.

  • Die Reha- und DGRh-Schulungsprogramme wurden so erarbeitet. Bei der Erstellung waren jeweils Betroffene beteiligt, im Patientenschulungsprogramm Fibromyalgie wurden sogar Patienten-Fokusgruppen gebildet.

  • Der Begriff „needs“ umfasst nicht nur Bedürfnisse als Kategorie der subjektiven Feststellung, sondern auch den Bedarf, der durch die Situation gegeben ist oder der extern festgestellt wird. Was ein Betroffener über Arthritis wissen muss, kann er nicht alleine festlegen.

  • Es sollte eine Gewichtung erfolgen, ob „individuell“ oder „Information“ wichtiger ist.

Bewertung der deutschsprachigen Experten: 8,5 ± 1,19 (15/15)

4. Empfehlung: unterschiedliche Arten von Patientenschulung

Patientenschulung soll individuelle und/oder Gruppensitzungen einschließen, die im persönlichen Kontakt oder online angeboten werden und die durch Telefonate, schriftliches oder multimediales Material ergänzt werden können.

„Für Einzelschulungen war ein Evidenzgrad I zu konstatieren. Interaktive individuelle Schulungen durch Rheumatologen verbesserten die medikamentöse Therapieadhärenz [56, 71]. Individuelle Beratung durch Ergo- und Physiotherapeuten führte zu einer deutlich verbesserten Selbsthilfe-Strategie einschließlich dem konsequenteren Durchführen von Handübungen, Gelenkschutz und Regulierung von Aktivitäten [32, 61, 64]. Einzelschulungen durch Psychologen reduzierten Ängste, Depressionen und insgesamt die Inanspruchnahme des Gesundheitssystems [15, 81, 82]. Eine individuelle Schulung durch Pflegepersonal in Kombination mit Gruppenschulungen führte zu besserem Wissen über die Erkrankung, Wohlbefinden, Reduktion der Schmerzen und zu günstigerem Selbsthilfeverhalten [29, 63].

Gruppeninterventionen mit Schwerpunkt auf die aktive Bewältigung von seelischen Belastungen und Alltagsstressoren verbesserten sowohl den funktionalen als auch psychischen Zustand der Patienten. Darüber hinaus fanden sich bessere Bewältigungsstrategien [7, 12, 16, 33, 45, 51, 52, 68, 87, 88] und mehr soziale Unterstützung“ (nach [85]).

Kommentare:

  • Einzelschulungen werden in Deutschland nicht unter den Begriff Patientenschulung gefasst.

  • Einzelschulungen sind in der aktuellen Versorgungslandschaft nicht realisierbar.

  • Abgrenzung der Begriffe Patientenschulung und Einzelberatung fehlt.

  • Schriftliches Informationsmaterial, d. h. ein Text mit Bildern usw. ist das evtl. derzeit gängigste Mittel, um die in Einzel- oder Gruppengesprächen vermittelten Inhalte dem Patienten mitzugeben, dies sollte unbedingt erwähnt werden. Es bietet dem Patienten die Möglichkeit nachzuschlagen. (Insbesondere ist ja älteres Patientenklientel mit den Online-Methoden längst noch nicht so vertraut.)

  • Gibt es hierfür genügend Evidenz? In der Regel sind Gruppenschulungen besser evaluiert als Einzelgespräche. Gibt es Evidenz für eine reine Onlineschulung?

Bewertung der deutschsprachigen Experten: 7,9 ± 1,69 (15/15)

5. Empfehlung: theoretischer Hintergrund und Evidenz für Patientenschulungen

Patientenschulung für entzündlich-rheumatische Gelenkerkrankungen soll einen theoretischen Rahmen haben und evidenzbasiert sein, wie es beispielsweise beim Selbstmanagement, bei der kognitiven Verhaltenstherapie (CBT) oder beim Stressmanagement der Fall ist.

„Im Gegensatz zu edukativen Programmen, die meist auf klinischer Erfahrung und Wissen ohne theoretisches Fundament beruhen, entstehen Selbstmanagement- und kognitiv-verhaltensorientierte (behaviorale) Programme (CBT) aus sozial-kognitiven [6] bzw. kognitiv-verhaltensorientierten Theorien [80]. CBT-orientierte Interventionen sollten zusätzlich auch eine kognitive Umstrukturierung der bisherigen Ansichten anstreben [48, 80]. Das Hauptziel von Stressbewältigungsprogrammen ist eine Verbesserung des Wohlbefindens durch Förderung der Stressbewältigungsfähigkeit, Verringerung der emotionalen Belastung und konstruktive Auseinandersetzung mit positiven und negativen Emotionen [35]. Kürzlich veröffentlichte Reviews zu kontrollierten Studien zeigten, dass unterschiedliche Gruppenprogramme (SMP, CBT, Stressbewältigung) einen kleinen, aber positiven Einfluss auf Patientenangaben in Bezug auf körperliche Aktivität, Schmerzen, Beeinträchtigungen, depressive Symptome, Angst und Erschöpfung (Fatigue) bis zu 18 Monaten haben [22, 23]“ (nach [85]).

Kommentare:

  • Die Programme der DGRh wurden nach diesen Kriterien erarbeitet (HAPA-Modell von Schwarzer [Health Action Process Approach]).

  • Gemeint ist hier wohl das Wirk- oder Funktionsprinzip des jeweiligen Schulungsprogramms oder der lerntheoretische Ansatz und das didaktische Konzept.

  • Derzeit existiert gerade in der Rheumatologie hierfür noch nicht genügend Evidenz. Daher sollten Ergebnisse aus anderen Fächern herangezogen werden.

Bewertung der deutschsprachigen Experten: 9,6 ± 0,71 (15/15)

6. Empfehlung: Outcome-Parameter einer Patientenschulung

Die Effektivität einer Patientenschulung für entzündlich-rheumatische Gelenkerkrankungen soll evaluiert werden; die verwendeten Zielgrößen müssen hierbei die Ziele des Schulungsprogramms widerspiegeln.

„Für eine evidenzbasierte Patientenschulung müssen die Programme evaluiert werden. Die Outcome-Parameter müssen dabei die Ziele der Programme reflektieren, um eine aussagekräftige Evaluation zu ermöglichen. Die SLR der EULAR demonstriert in den eingeschlossenen Studien eine große Bandbreite an Evaluationskriterien und Outcome-Parametern. Dabei blieben allerdings die spezifischen Lernziele der einzelnen Programme häufig unklar, wodurch eine Bewertung, ob die Outcome-Parameter die angestrebten Lernziele widerspiegeln, erheblich erschwert wurde. So konzentrierten sich einige Studien mit RA-Patienten auf den Disease activity score (DAS-28), der aber kurzfristig nicht durch Patientenschulung beeinflusst werden konnte [21, 28].

Viele dieser Schulungsprogramme sind komplexe Interventionen, die sehr unterschiedliche Aspekte von Krankheitsauswirkungen beeinflussen sollen. Deshalb ist es eine große Herausforderung, Outcome-Parameter zu finden, die die unterschiedlichen Aspekte am besten darstellen. Vor Beginn jeder Evaluation und/oder Studie sollten die Outcome-Parameter sorgfältig ausgewählt und auf die jeweilige Eignung hin überprüft werden“ (nach [85]).

Kommentare:

  • Der finanzielle Rahmen für die meist aufwendige Durchführung solcher Evaluationen muss geklärt sein und sprengt oft die vorhandenen Möglichkeiten. Eine Anbindung an Hochschulen (nicht nur medizinische, sondern auch reha- und gesundheitspädagogische) mit Vergabe von Dissertationen, Bachelor- und Master-Arbeiten ist hier erstrebenswert.

  • Die Evaluationen sind insgesamt aufwendig, weil verschiedene Dimensionen erfasst werden müssen.

  • Auch wenn grundsätzlich nach wie vor gilt, dass es ohne Evaluation keine Kostenübernahme gibt, muss an dieser Stelle auch an die Grenzen der Evaluierbarkeit und die kritische Frage der geeigneten Parameter erinnert werden.

Bewertung der deutschsprachigen Experten: 8,7 ± 1,6 (15/15)

7. Empfehlung: Befähigung zur Durchführung einer Patientenschulung

Patientenschulung bei entzündlich-rheumatischen Gelenkerkrankungen soll von kompetenten medizinischen Fachkräften und/oder ausgebildeten Betroffenen durchgeführt werden – wenn angemessen im multiprofessionellen Team.

„Die Mehrzahl der hier beschriebenen Studien beinhalteten Schulungsmaßnahmen durch medizinisches Fachpersonal innerhalb des Gesundheitssystems. Schulungen könnten jedoch auch von geschulten Patienten im kommunalen Setting durchgeführt werden. Insgesamt 16 der untersuchten Schulungsprogramme wurden von einem multidisziplinären Team, bestehend aus verschiedenen Behandlern, und zehn Programme wurden von zwei unterschiedlichen Professionen durchgeführt. Geschulte Patienten waren sowohl Teil einer Schulung als auch alleinige Durchführende von zwei SMPs [21, 49], zwei Online-Programmen [49, 55] und eines durch Patienten angeleiteten interaktiven Workshops [14]. Alle anderen Schulungen wurden von einer einzelnen medizinischen Fachkraft durchgeführt [7, 8, 13, 15, 29, 31, 32, 36, 37, 56, 60, 63, 67, 68, 71, 79, 81, 82, 88].

Die Auswahl der unterschiedlichen Berufsgruppen und die Anzahl der Durchführenden sollten durch Ziel, Thema und Kontext der Schulung bestimmt werden. Bewegungstraining könnte beispielsweise durch Physiotherapeuten und ggf. in Kombination mit Gruppenschulung anderer Berufsgruppen [12, 53] angeboten werden, während CBTs im Wesentlichen von Psychologen durchgeführt werden [67, 79, 81, 87, 88]. Andere Schulungsprogramme wiederum setzen das Erlernen einer spezifischen Methode wie beispielsweise CBT-Techniken [33, 45] oder Achtsamkeit [68, 87] voraus und sind nicht berufsspezifisch“ (nach [85]).

Kommentare:

  • Berufsgruppen, die bisher in Deutschland noch nicht in Patientenschulungsmaßnahmen integriert waren, sollten verstärkt eingebunden werden (Pflegekräfte, medizinische Fachassistent(inn)en [MFA], Pädagogen, …).

  • Mit dieser Formulierung sind wir für die zukünftige Planung der Schulungsprogramme weitgehend frei in der Gestaltung. Von unseren evaluierten Train-the-trainer Seminaren haben andere Berufsgruppen und die Selbsthilfe erheblich profitiert.

  • Die berufliche Qualifikation ist nur eine Facette. Hier sollten weitere persönliche Merkmale Berücksichtigung finden: Kommunikationsstärke, Wertschätzung, Empathie, Selbstreflexion, Vorbildfunktion, Erfahrung im Risikomanagement. Dies sind wichtige Attribute für eine erfolgreiche Schulung.

Bewertung der deutschsprachigen Experten: 8,8 ± 1,83 (15/15)

8. Empfehlung: Schulung der Anbieter einer Patientenschulung

Anbieter von Patientenschulungen für entzündlich-rheumatische Gelenkerkrankungen sollen Zugang zu spezifischen Trainingsprogrammen haben und diese wahrnehmen, um diesbezügliche Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben und zu erhalten.

„In nur wenigen Studien wurde thematisiert, welche Kenntnisse und Fähigkeiten Anbieter von Patientenschulungen vorweisen sollten. Die Ergebnisse von qualitätsorientierten Studien, in denen dieser Aspekt aus Patientensicht untersucht wurde, wiesen auf einige Voraussetzungen im Hinblick auf Wissen und Fähigkeiten der Lehrenden hin. Patienten wünschten sich beispielsweise eindeutige Erklärungen von Befunden, Medikamenten und Selbstmanagement-Techniken. Dabei sollten die medizinischen Fachkräfte auch die Fähigkeit besitzen, Patienten emotional zu unterstützen und dabei die Akzeptanz der Erkrankung und deren Folgen im Blick zu behalten. Patienten erlebten gerade den Einsatz kreativer Lernmethoden wie z. B. eine ‚begleitete Entdeckungstour‘ (guided discovery), aber auch Metaphern, Gedichte sowie musikalische und visuelle Materialien in Gruppenschulungen als hilfreich und förderlich für den Prozess von Veränderungen von Emotionen und Verhalten [25, 86]. Patienten forderten auch die Möglichkeit des Wissens- und Erfahrungsaustauschs mit anderen Patienten [69, 86]. An Patientenschulungen beteiligte medizinische Fachkräfte stellten fest, dass ihre Einstellung und ihre Fähigkeit, mit Patienten zu interagieren, die Vermittlung von Wissen und die ganze Beratungstätigkeit beeinflusst [10]“ (nach [85]).

Kommentare:

  • Es existiert bereits ein strukturiertes Training-Manual (Train-the-Trainer) der DGRh mit festgeschriebenen Zertifizierungsstrukturen.

  • Klärung der Frage, wer Schulungen anbieten darf. Wie soll Zertifizierung stattfinden?

Bewertung der deutschsprachigen Experten: 9,1 ± 1,23 (15/15)

Zielsetzungen für Forschungsaufträge über Patientenschulungen

  1. 1.

    Evaluation, Vereinheitlichung und/oder Weiterentwicklung der bisheriger Outcome-Parameter für Patientenschulung wie z. B. Schulungsbedarf und Zielerreichung und bei Bedarf auch die Implementierung neuer Parameter wie Gesundheitskompetenz (Health literacy), Gesundheitsförderung (Health promotion), Steuerung der Aktivitäten (Activity pacing), Patientenbedürfnisse etc.,

  2. 2.

    Entwicklung von Leitlinien für die Durchführung und Veröffentlichung von Studien von Patientenschulungen,

  3. 3.

    Ermittlung, wann (im Krankheitsverlauf) und mit welcher Schulungsform Ziele einer Patientenschulung am besten erreicht werden können,

  4. 4.

    Evaluation von Patientenschulungen bei anderen rheumatischen Erkrankungen,

  5. 5.

    Untersuchung des Schulungsbedarfs bei speziellen Patientengruppen (z. B. Männer, andere Ethnien, geringer Bildungsstand),

  6. 6.

    Entwicklung und Evaluation von Schulungen für Angehörige und Betreuende,

  7. 7.

    Evaluation der Wirtschaftlichkeit der Intervention Patientenschulung (sensitive Outcome-Parameter und Effekte im Hinblick auf Ressourcen des Gesundheitssystems),

  8. 8.

    Einschätzung des Langzeiteffekts und der Kosten-Nutzen-Bewertung von Patientenschulungen,

  9. 9.

    Untersuchung der Wirkweise einer Patientenschulung – also der Frage nach den Mechanismen, die zur Verbesserung führen, ob dies direkt oder indirekt durch Beeinflussung anderer Outcome-Parameter geschieht,

  10. 10.

    Untersuchung, wie Online- und E-Health-Patientenschulungen bestmöglich eingesetzt werden können,

  11. 11.

    europaweite Evaluation von Patientenschulungen im Hinblick auf Zugangsmöglichkeiten und unterschiedliche Schulungsarten,

  12. 12.

    Entwicklung von Trainingsanforderungen für Anbieter von Patientenschulungen.

Kommentar zur deutschen Übersetzung:

  • Derzeit bestehen große Unterschiede in der Umsetzung und Finanzierung der Patientenschulung in den einzelnen Gesundheitssystemen.

  • Es sollte geprüft werden, ob Forschungsvorhaben auf europäischer Ebene organisiert und finanziert werden können, da die angesprochenen Themen für alle Länder bedeutsam sind.

Bewertung der deutschsprachigen Experten: 9,3 ± 0,81 (14/15)

Schulungsprogramme für Anbieter von Patientenschulungen

(Entwicklungsaufgaben für die Qualifizierung von Schulungspersonal)

  1. 1.

    Verbesserung des Wissens des medizinischen Fachpersonals über die unterschiedlichen Abläufe und Arten einer effektiven Patientenschulung und deren Evaluation,

  2. 2.

    regelmäßige Fortbildungen für die Anbieter von Patientenschulungen bezüglich Fertigkeiten und Training sind notwendig, um Qualität und „State of the Art“ der Maßnahme zu erhalten,

  3. 3.

    Entwicklung von Trainingsprogrammen für Gesundheitsberufe innerhalb der EULAR.

Kommentar zur deutschen Übersetzung:

  • Erfordernisse der Aktualisierung sollten regelmäßig überprüft werden und nicht automatisiert weiterlaufen.

  • Punkt 3 ist sehr schwierig aufgrund der unterschiedlichen Gesundheitssysteme und der sprachlichen Barriere.

  • Zur Überprüfung eines qualitätsgesicherten Vorgehens sollten Qualitätsindikatoren auf verschiedenen Ebenen zur Erfassung von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der Patientenschulung definiert und erfasst werden.

Bewertung der deutschsprachigen Experten: 8,6 ± 1,05 (14/15)

Diskussion

Die EULAR-Empfehlungen für Patientenschulung bei Vorliegen einer entzündlich-rheumatischen Gelenkerkrankung konnten mit Mehrfachübersetzung verschiedener Experten ins Deutsche übertragen werden. Die Bewertung der Empfehlungen durch deutschsprachige Experten erbrachte eine weitgehende Übereinstimmung mit den Vorschlägen, aber auch einige kritische Kommentare. Die jetzige Version der Übersetzung wurde von allen beteiligten Experten aus Deutschland akzeptiert, nachdem vorgeschlagene Änderungen eingefügt wurden.

Die EULAR-Empfehlungen belegen die zentrale Bedeutung von geeigneten Patientenschulungsprogrammen für ein gutes Management von chronischen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Obwohl die DGRh bzw. deutsche Experten bei der Entwicklung der vorliegenden Empfehlungen nicht beteiligt waren, wird diese Anregung durch die EULAR gerne aufgenommen, um die in die Jahre gekommenen Patientenschulungsprogramme der DGRh zu überarbeiten und dem Thema damit wieder einen adäquaten Stellenwert zuzuweisen – durchaus auch in Kooperation mit Experten aus anderen deutschsprachigen Ländern. Angesichts der zunehmenden Bedeutung einer auch qualitativ guten Patientenversorgung ist es der DGRh ein wichtiges Anliegen, mit dieser Publikation, der EULAR folgend, auf die besondere Bedeutung von Patientenschulungen als Teil eines optimalen Managements von rheumatischen Erkrankungen hinzuweisen. Dementsprechend ist Patientenschulung auch ein essenzieller Bestandteil der vor Kurzem von der EULAR publizierten „standards of care“ [83], die sich zurzeit in einem Übersetzungs- und Kommentierungsprozess befinden. Darüber hinaus hat der Vorstand der DGRh beschlossen, veraltete Empfehlungen und Module zur Patientenschulung aus dem Verkehr zu ziehen und für die beiden häufigsten entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, die axiale Spondyloarthritis und die rheumatoide Arthritis, neue Strukturen im Sinne einer modernen Patientenschulung zu erarbeiten. Hierbei wird es darum gehen, sich auf essenzielle, krankheitsbezogene Informationen zu beschränken, nach der bestmöglichen Evidenz zu arbeiten und in Kooperation mit Pädagogen und Psychologen moderne Erkenntnisse der Wissensvermittlung zu nutzen [27].

Letztlich zeugt die umfangreiche Liste mit Forschungsideen davon, dass uns das Thema auch wissenschaftlich noch länger erhalten bleiben wird – d. h. von einem kontinuierlichen Prozess von Überarbeitung und Erneuerung auch bei diesem Thema auszugehen ist.

Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass die EULAR-Empfehlungen eine andere Definition von Patientenschulung verwenden als die in Deutschland gängige. Das Zentrum für Patientenschulung hat 2006 folgende Definition erarbeitet: „Patientenschulungen sind interaktive Gruppenprogramme für Menschen mit chronischen Erkrankungen. Sie haben das Ziel, die Mitarbeit (Compliance) der Betroffenen bei der medizinischen Behandlung zu verbessern und ihre Fähigkeit zum selbstverantwortlichen Umgang mit ihrer Erkrankung (Selbstmanagement) in Kooperation mit professioneller Hilfe zu stärken. Der Patient soll in die Lage versetzt werden, informierte Entscheidungen bezüglich seiner Lebensführung zu treffen (Empowerment).“

Der bedeutendste Unterschied der beiden Definitionen liegt darin, dass die deutsche Version vor allem gruppenorientiert ist und eine individuelle Schulung nicht mit einschließt. Dem liegt das Verständnis zugrunde, dass der individuelle Bedarf Teilmenge der Gruppenschulung (> 90 %) ist und darüber hinaus höchstens 10 % durch individuelle Schulungsmaßnahmen abgedeckt werden müssen. Sollte nun, wie in den EULAR-Empfehlungen vorgesehen, eine Gewichtung hin zur individuellen Schulung erfolgen, muss beachtet werden, dass Einzel- und Gruppenschulungen eine grundsätzlich andere Struktur aufweisen. Dieser Aspekt wurde jedoch in den EULAR-Empfehlungen genauso wenig thematisiert wie der in jeglicher Hinsicht höhere Aufwand einer Einzelschulung. Dabei wäre eine Einzelschulung nicht nur teurer, sondern hätte auch den Nachteil, dass wesentliche Effekte der Gruppenschulung, wie z. B. der Lerneffekt durch den sozusagen supervisierten Austausch untereinander und das Abgleichen mit den Erfahrungen und Beispielen der Mitpatienten sowie die gruppendynamischen Effekte, nicht berücksichtigt werden. Allerdings sollte bei Schulungen, an denen Patienten in unterschiedlichen Krankheitsphasen teilnehmen, besser vermieden werden, dass neu erkrankte Patienten durch die Mitteilung von einschlägigen Erfahrungen schwer beeinträchtigter Patienten aus der Prä-Biologika-Ära eine falsche Vorstellung von Krankheitsverlauf und Behandlungsmöglichkeiten erhalten.

Da Gruppenschulungen zurzeit jedoch nur in geringem Maße und ziemlich inkonsequent durch Krankenkassen finanziert werden, müsste für deutsche Verhältnisse gefolgert werden, dass dies durch Einzelschulungen kompensiert werden soll. Aufgrund der herrschenden Personalsituation kann dieses Konzept jedoch derzeit weder realisiert werden noch wäre es kosteneffektiv. Im Rahmen von integrierten Versorgungsmodellen wäre es möglicherweise vorstellbar, da eine Art Einzelschulung unter dem Begriff „Nursing“ innerhalb integrierter Versorgungsmodelle durch die Unterstützung geschulten Pflegepersonals bereits existiert.

Im Hinblick auf die Forschungsagenda ist festzuhalten, dass künftig auch Untersuchungen auf den Weg gebracht werden, mit denen ermittelt werden kann, welche Schulungsinhalte besser in einer Gruppe oder eher individuell vermittelt werden sollten.

Die 2. Empfehlung thematisiert den Schulungsbedarf zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Natürlich besteht auch in Deutschland Konsens darüber, dass Patienten im Krankheitsverlauf möglichst mehr als eine Schulung erhalten sollen. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass es derzeit nur wenig Evidenz für den Nutzen eines solchen Vorgehens bzw. für den Effekt einer Schulung zu den in den Empfehlungen genannten Zeitpunkten gibt. Die Forderung der EULAR-Empfehlungen zu den o. g. Zeitpunkten sollte aus Sicht der deutschsprachigen Experten eher dahin gehend formuliert werden, dass den Patienten eine Basisschulung und im Verlauf der Erkrankung problemorientierte Schulungen angeboten werden. So würde gleichzeitig deutlich, dass z. B. eine Schulung bei „Medikamentenumstellung“ eher die Umstellung des Therapieregimes bedeutet und „Veränderungen des physischen und psychischen Zustands“ eher als ungünstige Krankheitsverläufe und Bewältigungsstrategien verstanden werden.

Neben der Diskussion der unterschiedlichen Zeitpunkte muss auch berücksichtigt werden, dass es zudem unterschiedliche Phasen und Verläufe einer rheumatischen Erkrankung gibt, in denen Schulungen anders strukturiert oder fokussiert sein sollten, wie bei den über 20.000 rheumakranken Kindern in Deutschland oder dem immer größer werdenden Anteil geriatrischer Rheumapatienten.

Der Anspruch, vielen Betroffenen Zugang zu Patientenschulungen in den angesprochenen Situationen zu gewähren, kann, wie gesagt, in Deutschland derzeit nicht umgesetzt werden – das beruht sowohl auf fehlenden Schulungskapazitäten als auch der mangelnden Finanzierung, die dringend grundsätzlich geklärt werden sollte.

Insgesamt haben die bisherigen Schulungsprogramme der DGRh bereits etliche EULAR-Empfehlungen umgesetzt. So basieren die Programme auf dem sogenannten HAPA-Modell, Health Action Process Approach, das um 1992 entwickelt wurde [77, 78]. Dieses dynamische Modell zur Erklärung und Vorhersage gesundheitsförderlicher und -schädigender Verhaltensweisen postuliert unter anderem, dass eine Verhaltensänderung in zwei Phasen abläuft und ohne Selbstwirksamkeit nicht stattfinden kann. Neben dem theoretischen Fundament (siehe Empfehlung 5) wurden die Schulungsprogramme auch unter Berücksichtigung der Ergebnisse einer Bedarfsabfrage und Patientenbeteiligung ermittelt, um die unterschiedlichen Bedürfnisse einfließen lassen zu können (siehe Empfehlung 3). Auch was zusätzliche Schulungsmöglichkeiten wie schriftliches Informationsmaterial anbelangt (Empfehlung 4), werden nicht nur Begleitblätter im Rahmen der Schulungen, sondern beispielsweise auch Medikamenten-Informationsblätter auf der DGRh-Homepage bereitgestellt, die regelmäßig aktualisiert werden (www.dgrh.de/therapieueberwachen.html).

Kritiker von Patientenschulungen bemängeln häufig eine nicht ausreichende Evidenz für deren Effektivität. Empfehlung 6 greift daher mit der Evaluation von Patientenschulungen ein wichtiges Thema auf. Dabei müssen mehrere Aspekte einer Evaluation berücksichtigt werden. Beispiel Outcome-Parameter: Viele Schulungsprogramme verwenden unterschiedliche Outcome-Parameter. Ein Vergleich unterschiedlicher Programme ist somit erschwert bis unmöglich. Gleichzeitig orientieren sich die Studien bei der Auswahl der Outcome-Parameter oft an Medikamentenstudien, wobei meist nicht berücksichtigt wird, dass die Wirkung einer Patientenschulung durch zusätzliche für die Problemstellung besser geeignete Outcome-Parameter beurteilt werden sollte als dies für Untersuchungen zur Wirksamkeit von Medikamenten der Fall ist. Wenn aber gezeigt (und später ggf. bezahlt) werden soll, dass Patientenschulung vor allem auch mittel- und langfristige Effekte hat und eventuell Medikamente einsparen kann, ist eine kritische Auswahl der Outcome-Parameter besonders wichtig. Inwieweit hierbei dann auch die klassischen, allseits bekannten in Medikamentenstudien in der Regel verwendeten Parameter wie ACR 20, DAS 28 und HAQ eingesetzt werden können, ist vom Studiendesign abhängig zu machen, denn die Patienten erhalten in solchen Studien natürlich eine zum Teil hochwirksame Medikation, z. B. mit Biologika, die den nichtsdestoweniger zu fordernden Nachweis eines Zusatznutzens schwierig macht. Darüber hinaus ist der Einsatz einer Placebogruppe natürlich ethisch unmöglich, denn es gibt ja letztlich nicht die Option, Patienten über ihre Krankheit und deren Behandlung nicht zu informieren.

Aus diesem Grund kann die Empfehlung, Studien auf einem eindeutigen wissenschaftlichen theoretischen Wirkmodell aufzubauen und die Effekte einer Patientenschulung durch entsprechende Messinstrumente nachzuweisen, nur unterstützt werden. Es gibt zwar bisher nur wenige Messinstrumente wie den HeiQ (Health Education Impact Questionnaire), die diesem Anspruch gerecht werden, es bestehen jedoch Bemühungen, neue zu entwickeln (Zentrum für Patientenschulung). Ohne diese werden die Kostenträger nur schwer zu überzeugen sein, für die Patientenschulung notwendige zusätzliche Mittel bereitzustellen.

Da gerade Kostenträger wie Krankenkassen die fehlende Evidenz als Begründung für die mangelnde Kostenerstattung einer Patientenschulung hervorbringen, wäre es günstig, wenn sie sich auch an den nicht unerheblichen Kosten einer Evaluation beteiligten. Insbesondere, da Evaluation häufig an der Finanzierung scheitert und auch festgehalten werden muss, dass das Einsparpotenzial der Behandlungskosten durch Patientenschulung meist nicht dem Anbieter der Patientenschulung zugute kommt, sondern den Kostenträgern. Denn überwiegend werden Patientenschulungen im stationären Bereich angeboten, wodurch die entsprechenden Einrichtungen mehr Aufwand und Kosten haben, der Effekt der Patientenschulung kommt dann aber anderen Einrichtungen wie den ambulant Behandelnden oder Arbeitgebern und den Sozialversicherungen (sowohl Krankenkassen als auch Rentenversicherungen) zugute, beispielsweise in Form von geringerer Inanspruchnahme von medizinischen Behandlungen oder geringerem Arbeitsausfall und verzögerter Erwerbsunfähigkeit [26, 41]. Allerdings gibt es für ein anderes Schulungsmodell, StruPi (Strukturierte Patienteninformation), bereits ein Beispiel für erfolgte Kostenübernahmen durch Kostenträger ohne vorherige wissenschaftliche Evaluation, diese wird allerdings aktuell „nachgeholt“. Im stationären Bereich wird eine strukturierte Patientenschulung derzeit vom medizinischen Dienst der Krankenkassen nicht als Teil der „rheumatologischen Komplextherapie“ akzeptiert. Ob Patientenschulungsmaßnahmen in Deutschland zukünftig flächendeckend akzeptiert werden, bleibt also fraglich. Bei entsprechender Datenlage wäre dies aber auf Grundlage der EULAR-Empfehlungen und gestützt durch die langjährige Erfahrung vieler Rheumatologen mehr als sinnvoll.

Die Forderung, Patientenschulung im multiprofessionellen Team durchzuführen, wird bei den bereits vorhandenen Schulungen der DGRh und im Reha-Bereich umgesetzt. Allerdings zeigt die Realität, dass es wichtiger ist, die Schulungsprogramme im multidisziplinären Team unter Einbeziehung von Betroffenen zu entwickeln, um wichtige Aspekte der einzelnen Professionen zu berücksichtigen. Die Durchführung eines so entwickelten und gut strukturierten Schulungsprogramms könnte dann auch durch ein oder zwei Personen oder Professionen bei entsprechender Eignung und Ausbildung (Train-the-Trainer) erfolgen, da sich gezeigt hat, dass die Organisation und Umsetzung einer Schulung bei zu vielen Durchführenden scheitern kann.

Insgesamt sollten mehr nicht ärztliche Professionen wie beispielsweise rheumatologische Fachassistenten, Reha-Pädagogen oder Gesundheitspädagogen eingesetzt werden, da die Umsetzung von Patientenschulungen auf absehbare Zeit nicht durch ärztliches Personal abgedeckt werden kann und bei guten Trainerprogrammen wie „Train-the-Trainer“ auch nicht muss.

Zusammenfassend werden die EULAR-Empfehlungen zur Patientenschulung auch in Deutschland unterstützt. Aufgrund der nicht optimalen Zusammensetzung der EULAR-Task Force in Bezug auf Professionen und beteiligte Nationen sowie der geringen Beachtung wichtiger deutscher Publikationen sowohl der 1990er-Jahre [43, 44] als auch der Zeit zwischen 2003 und 2008 [26, 41, 47] sollten jedoch eigenständige deutschsprachige Empfehlungen erarbeitet werden.

Fazit für die Praxis

  • Die Evaluation der EULAR-Empfehlungen durch deutschsprachige Experten erbrachte eine weitgehende Übereinstimmung mit den Originalempfehlungen.

  • Deutschland- und europaweit wird an der Entwicklung und Aktualisierung von Schulungsprogrammen gearbeitet.

  • Im Unterschied zu den EULAR-Empfehlungen wird in Deutschland eine andere Definition für Patientenschulung verwendet, die gruppenorientiert ist.

  • Wichtig für die Evaluation der Wirkung durch Patientenschulung ist die richtige Auswahl von Outcome-Parametern und Messinstrumenten.