Zusammenfassung
Die Diagnose der Polymyalgia rheumatica (PMR) basiert auf der typischen Klinik und den erhöhten Entzündungsparametern im Blut. Allerdings sind beide unspezifisch. Daher stellt die gute Differenzialdiagnose der Erkrankung auch heute noch eine Herausforderung für den Kliniker dar. Offensichtlich tragen die neuen 2012 formulierten Konsensus-Klassifikationskriterien von European League Against Rheumatism (EULAR) und American College of Rheumatology (ACR) zu einer verbesserten Diagnostik der PMR sowohl hinsichtlich Sensitivität (92,6 %) als auch Spezifität (91,2 %) bei. Als Standardtherapie gelten nach wie vor Glukokortikoide und alternativ auch Methotrexat und möglicherweise in Zukunft auch eine Anti-IL-6-Therapie.
Abstract
The diagnosis of polymyalgia rheumatica (PMR) is based on the typical clinical symptoms and elevated inflammatory markers in blood; however, both are unspecific and the differential diagnosis of the disease still represents a challenge for clinicians. The new consensus classification criteria of the European League Against Rheumatism (EULAR) and the American College of Rheumatology (ACR) established in 2012 have a high sensitivity (92.6 %) and specificity (91.2 %) and therefore contribute to improved diagnostics. Glucocorticoids are still the standard treatment with methotrexate and as an alternative and possibly anti-interleukin (anti-IL) 6 therapy in the future.
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Die Polymyalgia rheumatica (PMR) ist eine chronische entzündliche Erkrankung unklarer Ursache und wird typischerweise bei Menschen > 50 Jahre beobachtet. Charakteristisch ist der oft schlagartige Beginn von proximal betonten Schulter- und Oberarmschmerzen, gelegentlich auch Nacken- und/oder Beckengürtelschmerzen, verbunden mit einer lang dauernden Morgensteifigkeit und einem allgemeinen Krankheitsgefühl.
Es gibt keinen spezifischen diagnostischen Labortest; vielmehr basiert die Diagnose auf der typischen klinischen Präsentation meistens verbunden mit mehr oder weniger ausgeprägten systemischen Entzündungszeichen wie erhöhter Blutsenkungsreaktion (BSR) und erhöhtem C-reaktivem Protein (CRP). Unterstützt wird die klinische Diagnose durch entzündliche Ultraschallbefunde an Schulter- und Hüftgelenken, die entweder eine Bursitis, Tenosynovitis oder Synovitis zeigen. Gut bekannt ist auch die klinische Assoziation von PMR und der Riesenzellenarteriitis (RZA), einer granulomatösen Großgefäßvaskulitis, welche die Aorta, ihre Abgangsgefäße sowie die extrakraniellen Arterien betrifft. Etwa 40–60 % aller Patienten mit RZA haben auch eine PMR, aber nur 20 % aller Patienten mit einer PMR weisen zusätzlich eine RZA auf [1].
Die Differenzialdiagnose der PMR ist breit und beinhaltet insbesondere den Spätbeginn einer rheumatoiden Arthritis (RA), die sog. „late onset rheumatoid arthritis“ (LORA), die Calciumpyrophosphat-Ablagerungserkrankung (CPPD, Pseudogicht, Chondrokalzinose), die spät beginnende Spondyloarthritis, autoimmune Konnektivitiden (Kollagenosen), systemische Vaskulitiden und selten auch einmal eine infektiöse Endokarditis oder ein paraneoplastisches Syndrom vor allem im Zusammenhang mit malignen hämatologischen Systemerkrankungen. Die Differenzialdiagnose der PMR ist eine klinische Herausforderung, letztendlich auch auf dem Hintergrund bis 2012 fehlender standardisierter Klassifikationskriterien. Die Einführung neuer Klassifikationskriterien im Jahr 2012 [2] stellt auch einen Hauptgrund für diese aktuelle Schwerpunktübersicht dar.
Epidemiologie
Die PMR ist eine ausgesprochene Erkrankung des älteren Menschen, da sie praktisch ausschließlich jenseits des 50. Lebensjahres auftritt. Die Inzidenz steigt mit zunehmendem Alter [3] und variiert je nach geografischer Region. Die höchste Inzidenz von 41,3 bis 112,6 pro 100.000 Einwohner > 50 Jahren wird in Großbritannien und bei Menschen nordeuropäischer Herkunft beobachtet [4, 5, 6, 7], ist aber im Mittelmeerraum mit 3,13 bis 18,7 pro 100.000 Einwohnern deutlich niedriger [8, 9]. Es besteht also ein Nord-Süd-Gefälle in der Inzidenz der PMR.
Ätiologie und Pathogenese
Die Ursache der PMR ist unbekannt. Epidemiologische Daten weisen darauf hin, dass sowohl genetische Faktoren als auch Umwelteinflüsse bei der Krankheitsentstehung eine Rolle spielen könnten. Jedoch hat sich keiner der zahlreichen bislang postulierten immungenetischen Faktoren und möglichen infektiösen Trigger der Erkrankung als substanziell erwiesen. Daher wird auf eine detailliertere Ausführung derselben hier bewusst verzichtet.
Eine wegweisende Identifikation des anatomischen Korrelates der proximal betonten Muskelschmerzen bei PMR haben moderne bildgebende Verfahren wie Ultraschall, MRT und PET mit Fluordesoxyglukose gebracht. Sie zeigen häufig eine periartikuläre Entzündung in Form einer Bursitis und Tenosynovitis insbesondere der langen Bizepssehne oder sogar eine Synovitis im Bereich von Schultern, Hüften und der Halswirbel [10, 11, 12, 13, 14]. Die Synovitis ist histologisch charakterisiert durch ein Infiltrat mit vorwiegend Monozyten/Makrophagen und CD4+-T-Lymphozyten [15]. Obwohl üblicherweise keine Myositis bei der PMR gefunden wird, konnte in einer Studie eine vermehrte Expression von proinflammatorischen Zytokinen im Interstitium proximaler Muskelabschnitte beobachtet werden, die nach einer 2-wöchigen Glukokortikoidbehandlung wieder verschwand [16], ein Hinweis darauf, dass eine lokale Zytokinproduktion in der Pathogenese der Erkrankung wahrscheinlich doch eine Rolle spielt. PMR wie auch RZA sind charakterisiert durch eine systemische Inflammation, Immunaktivierung und durch erhöhte IL-6-Serumspiegel [17, 18]. Eine andere interessante Hypothese postuliert eine Störung der Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrinden-Achse mit einer Nebennierenrindeninsuffizienz auf dem Boden einer altersbedingten endokrinen Seneszenz mit einer inadäquaten Cortisolsekretion in Antwort auf eine inflammatorische IL-6-Produktion [19]. Unklar hierbei ist jedoch, ob das beobachtete hormonelle Defizit direkt an der Pathogenese der Erkrankung beteiligt ist oder nur eine sekundäre endokrine Folge der chronischen Entzündung darstellt.
Neue EULAR/ACR-Klassifikationskriterien und differenzialdiagnostische Überlegungen
Wegen bislang fehlender standardisierter Klassifikationskriterien wurden 2012 neue Konsensus-Klassifikationskriterien für die PMR von einem Experten-Panel der European League Against Rheumatism (EULAR) und des American College of Rheumatology (ACR) formuliert [2].
Die PMR ist eine vor allem vom Grundversorger häufig gestellte rheumatologische Diagnose beim älteren Menschen > 50 Jahre. Die Diagnosestellung beruht auf einer Kombination von klinischen Symptomen wie plötzlich einsetzenden, meist bilateralen Schulter- und Beckengürtelschmerzen von entzündlichem Charakter mit Nacht- bzw. Ruheschmerzen, einer ausgedehnten Morgensteifigkeit, allgemeinem Krankheitsgefühl, einer erhöhten Blutsenkungsreaktion (BSR) und erhöhtem C-reaktivem Protein (CRP) sowie einem raschen und guten Ansprechen auf systemische Glukokortikoide. Vor allem Letzteres wird von Klinikern häufig als quasi „diagnostischer Test“ verwendet in Ermangelung diagnostischer Labortests [20]. Mindestens 5 Sets von diagnostischen Kriterien für PMR wurden bislang auf der Basis der klinischen Erfahrung formuliert und in der klinischen Praxis verwendet [21, 22, 23, 24, 25]. Das Problem dieser Klassifikationskriterien ist entweder die sehr variable bzw. schlechte Sensitivität (58,2–89,2 %) oder Spezifität (40,2–97,8 %). Aus diesem Grund entwickelte und formulierte eine internationale Arbeitsgruppe neue EULAR/ACR-Klassifikationskriterien für die PMR. Der muskuloskeletale Ultraschall (US) ist erstmals Bestandteil dieser neuen Kriterien [2]. Der häufigste Befund ist hierbei die Bizepstendinitis [26], wie in Abb. 1 gezeigt
Die Parameter, die am besten eine PMR von einer anderen Erkrankung differenzierten, wurden in den Kernkriterienalgorithmus aufgenommen (Tab. 1). Für die Klassifikation erforderlich sind ein neu aufgetretener bilateraler Schultergürtelschmerz, Alter ≥ 50 Jahre, Erhöhung der BSR und/oder CRP und zusätzlich mindestens 4 oder 5 Punkte aus Tab. 1.
Im klinischen Alltag ist es häufig sehr schwierig, die PMR gegenüber dem Spätbeginn einer RA [“late onset rheumatoid arthritis“ (LORA)] abzugrenzen oder vom polymyalgischen Beginn einer anderen idiopathischen Arthritis zu unterscheiden. Dies gilt insbesondere für die chronische Calciumpyrophosphat-Ablagerungserkrankung (CPPD, chronische Pseudogicht, Chondrokalzinose) und für die spät beginnenden Spondyloarthritiden oder das RS3PE („remitting seronegative symmetrical synovitis with pitting edema“)-Syndrom. Insbesondere wird der Differenzialdiagnose der CPPD mit polymyalgischem Beginn bei dem meistens älteren Patientenkollektiv aufgrund unserer eigenen klinischen Beobachtung zu wenig Beachtung geschenkt.
Eine kürzlich publizierte italienische Studie [27] hat die Sensitivität und Spezifität der EULAR/ACR-Klassifikationskriterien von 2012 mit derjenigen der früheren Kriterien an Patienten eines Zentrums verglichen. Demzufolge zeigen die EULAR/ACR-Kriterien von 2012 die beste Sensitivität von 92,6 %. Unter Einbezug des Ultraschalls stieg sogar die Spezifität von 81,5 auf 91,3 % bei allen untersuchten Fällen und von 79,7 auf 89,9 % im Vergleich zur RA. Damit scheint die diskriminatorische Fähigkeit vor allem gegenüber der RA bei den neuen Kriterien besser zu sein als bei den alten bisher verwendeten, die entweder bei hoher Spezifität eine schlechte Sensitivität oder bei einer hohen Sensitivität eine schlechte Spezifität aufwiesen [21, 22, 23, 24, 25].
Die neuen EULAR/ACR-Klassifikationskriterien haben mit Einschluss des Gelenkultraschalls eine hohe Sensitivität und hohe Spezifität
Interessant wäre, die Sensitivität und Spezifität der neuen Kriterien auch im Hinblick auf die differenzialdiagnostische Abgrenzung der PMR gegenüber der häufig nicht gezielt gesuchten CPPD zu untersuchen, wobei hier sicherlich auch diskriminierende Befunde des Ultraschalls und der konventionellen Röntgenbildgebung einen wertvollen Beitrag leisten können. Hierzu gibt es bislang aber noch keine systematischen Studien bzw. aussagekräftige Studienresultate.
Therapie und Ausblick
Eine weitere interessante Diskriminante zwischen PMR und RA oder anderen idiopathischen Arthritiden könnte auch die relative niedrige initiale Glukokortikoiddosis von 15 mg/Tag sein, auf die 73 % der PMR-Patienten nach 4 Wochen zufriedenstellend reagieren [28]. Dies sind überwiegend Patienten mit entzündlichen Veränderungen im Ultraschall und solche mit einer stärkeren schmerzbedingten Bewegungseinschränkung im Schultergürtelbereich und mit einer längeren Morgensteifigkeit als Patienten mit einer RA [28].
Es lohnt sich ähnlich wie bei der RZA mit der Steroidreduktion erst nach Eintreten einer klinischen und humoralen Remission zu beginnen und gemäß klinischem Verlauf und Verlauf von BSR und/oder CRP die Dosis langsam über viele Wochen auf unter 5 mg Prednisonäquivalent pro Tag zur Remissionserhaltung zu senken. Die klinische Erfahrung zeigt, dass viele Patienten dauerhaft über einen längeren Zeitraum von Monaten bis Jahren eine kleine tägliche Prednisondosis von 1–5 mg benötigen, um in Remission zu bleiben. Rezidivbeschwerden können selbst nach Jahren nach Stopp auch sehr geringer Steroiddosen auftreten, wobei es dann wichtig ist, differenzialdiagnostisch zwischen einem echten Krankheitsrezidiv und einem Steroidentzugssyndrom bzw. einer iatrogenen Nebennierenrindeninsuffizienz zu unterscheiden. Schlussendlich bleibt ein kleiner Anteil an steroidrefraktären Patienten übrig oder solcher Patienten mit einer intolerablen Steroidlangzeitmorbidität, was Therapiealternativen erfordert. Die Datenlage zum steroidsparenden Effekt von Basistherapeutika bei PMR ist dürftig. Einzig für Methotrexat (MTX) gibt es einigermaßen überzeugende Resultate aus einer bereits älteren randomisierten Studie, die einen leichten steroidsparenden Nutzen über 48 Wochen zeigte, wobei aber nur eine sehr niedrige wöchentliche und ausschließlich orale Dosis von 10 mg MTX eingesetzt wurde und unklar blieb, ob hierdurch Komplikationen einer Steroidlangzeittherapie reduziert werden konnten [29].
Methotrexat ist eine Therapiealternative bei Steroidresistenz und/oder hoher Steroidmorbidität
Sehr interessant sind ein paar wenige erste Fallberichte, die einen günstigen Effekt einer Anti-IL-6-Therapie mit Tozilizumab bei steroidresistenten wie auch steroidnaiven Patienten mit PMR suggerieren [30]. Für eine definitive Beurteilung des Stellenwertes einer Anti-IL-6-Therapie bei der PMR benötigt es aber ähnlich wie bei der Riesenzellenarteriitis noch überzeugende Daten aus randomisierten prospektiven Studien.
Fazit für die Praxis
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Nicht jedes polymyalgische Syndrom entspricht einer Polymyalgia rheumatica.
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Die häufigsten Differenzialdiagnosen beinhalten eine chronische Calciumpyrophosphat-Ablagerungserkrankung (CPPD), den Spätbeginn einer RA (LORA) oder einer Spondyloarthritis sowie systemische autoimmune Konnektivitiden/Kollagenosen und Vaskulitiden.
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Die neuen EULAR/ACR-Konsensusklassifikationskriterien von 2012 weisen im Gegensatz zu den älteren Klassifikationskriterien eine hohe Sensitivität von 92,6 % auf und unter Einbezug des Gelenkultraschalls auch eine hohe Spezifität von 91,3 %.
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Die PMR kann mit moderaten Steroiddosen (z. B. initial 15 mg Prednison/Tag) innerhalb weniger Wochen in Remission gebracht werden. Bei Nichtansprechen oder nur sehr zögerlichem Ansprechen auf diese initiale Dosierung sollte die Diagnose der PMR immer hinterfragt werden, und es sollten weitere differenzialdiagnostische Abklärungen erfolgen.
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Mit einer Reduktion der Steroide sollte erst nach Erreichen einer klinischen und humoralen Remission begonnen werden.
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Methotrexat in einer Dosis von 15–25 mg 1-mal/Woche, bevorzugt subkutan verabreicht, kann eine Steroidalternative darstellen.
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Interessenkonflikt. M. Seitz gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.
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Seitz, M. Polymyalgia rheumatica. Z Rheumatol 74, 507–510 (2015). https://doi.org/10.1007/s00393-014-1548-z
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