Primäre Immundefekte sind in der klinischen Praxis selten. Ihre rechtzeitige Diagnose ist aber notwendig, um mögliche sekundäre Organschäden zu verhindern. Auch nach Diagnosestellung stellen bei einem Drittel der Patienten mit variablem Immundefekt Folgeerkrankungen des gestörten Immunsystems eine ärztliche Herausforderung dar, die eine enge Kooperation mit einem erfahrenen Immundefektzentrum notwendig machen.

Definition

Der Begriff variabler Immundefekt („common variable immunodeficiency“, CVID) wurde zum ersten Mal 1971 vom Komitee der WHO zu primären Immundefekten als Sammeltopf für Antikörpermangelsyndrome geprägt, die die Kriterien für

  • schwere kombinierte Immundefizienz,

  • Agammaglobulinämie,

  • Hyper-Imungloblin-M(IgM)-Syndrome (aktuell als Defekte des Klassenwechsels bezeichnet),

  • selektive IgA-Defizienz und

  • andere definierte Formen der Immundefizienz

nicht erfüllten [10]. Nachfolgend wurde 1999 von der Europäischen Gesellschaft und der panamerikanischen Gruppe für Immundefekte (ESID/PAGID) eine Definition zur besseren Harmonisierung der Diagnose CVID formuliert, die bis heute Gültigkeit hat (http://www.esid.org). Diese sieht für die wahrscheinliche Diagnose vor, dass

  • der Serum-IgG-Spiegel niedriger als 2 Standardabweichungen unter dem Mittelwert gesunder Personen gleichen Alters ist und mindestens einer der Serumwerte von IgA oder IgM deutlich unter dem Altersnormwert liegt,

  • das Alter bei Erstmanifestation über 2 Jahren liegt,

  • Isohämagglutinine fehlen oder Impfantworten reduziert sind und

  • andere Ursachen einer Hypogammaglobulinämie ausgeschlossen sind.

Die Liste der Differenzialdiagnosen umfasst zahlreiche genetisch definierte primäre Immundefekte mit Hypogammaglobulinämie und sekundäre Formen

  • nach Medikamenteneinnahme,

  • bei Lymphomen,

  • nach bestimmten meist kongenitalen Infektionen und

  • im Rahmen von Eiweißverlustsyndromen über Niere oder Darm.

Diese Definition hat mehrere Schwachstellen aufgrund einer unzureichenden Präzisierung einzelner Aspekte und z. T. in der Praxis nur schwer umzusetzender diagnostischer Schritte.

Keine Aufnahme in die Definition von CVID haben genetische Untersuchungen gefunden, da aktuell

  • weiterhin > 90 % der Fälle nicht genetisch charakterisiert sind,

  • die Diagnostik teuer ist und

  • die genetische Diagnose die klinische Versorgung des Patienten nicht wesentlich beeinflusst.

Dagegen gibt es Überlegungen, in die überarbeitete Version erstmals klinische Kriterien aufzunehmen.

Des Weiteren wurde empfohlen das notwendige Alter bei Erstdiagnose unabhängig von der Erstmanifestation auf 4 Jahre anzuheben, um CVID leichter von zuvor nur schwer abzugrenzenden Differenzialdiagnosen wie der transienten Hypogammaglobulinämie des Kleinkinds abzugrenzen [4]. Die wesentlichen, klinisch relevanten Ausschlussdiagnosen sind in Tab. 1 zusammengefasst.

Tab. 1 Ausschlussdiagnosen bei CVID. (Mod. nach http://www.esid.org)

Prävalenz

Die Prävalenz der Erkrankung wird allgemein mit 1:25.000–50.000 angenommen. Männer und Frauen sind im gleichen Maße betroffen. Die Erstdiagnose liegt meist im jungen Erwachsenenalter nach einer durchschnittlichen Latenzzeit von 4–6 Jahren nach Erstmanifestation. Insbesondere bei Erkrankungsbeginn im Kindesalter sind andere Ursachen des Antikörpermangels auch im Verlauf erneut auszuschließen.

Pathogenese

Der variable Immundefekt hat eine sehr heterogene Pathogenese, die als gemeinsame Endstrecke zu einer gestörten Antikörperproduktion führt. Im Lauf der Jahre wurden zahlreiche Störungen sowohl der T- als auch B-Zellen bei CVID-Patienten beschrieben (Übersicht in [8]). Gemeinsam ist über 80 % der Patienten eine Erniedrigung der im Blut zirkulierenden klassengewechselten Gedächtnis-B-Zellen und Plasmablasten als Ausdruck der gestörten keimzentrumsabhängigen Immunantwort [32]. Aber auch die meist keimzentrumsunabhängige Differenzierung von IgA-Plasmazellen im Darm ist bei den meisten Patienten nicht vorhanden und mit einer schweren Störung der IgA-Synthese verbunden [2]. Bereits seit vielen Jahren sind die genetische Assoziation zwischen selektiver IgA-Defizienz und CVID wie auch Übergänge von selektiver IgA-Defizienz in CVID beschrieben [14], ohne dass der gemeinsame Pathomechanismus verstanden ist.

Bisherige genomweite Kopplungsanalysen (Linkage-Analysen) von CVID-Kohorten sind an der Heterogenität der Erkrankung gescheitert.

Die meisten der neun bekannten monogenetischen Defekte, die mit CVID assoziiert sind, wurden über Kandidatengensuche gefunden.

So wurde bisher die Defizienz des induzierbaren Kostimulators (ICOS) als Prototyp der gestörten Keimzentrumsreaktion und als einzige Störung der T-Zelle beschrieben [13]. Alle weiteren Defekte betreffen kostimulatorische Moleküle der Tumornekrosefaktor(TNF)-Familie oder des kostimulatorischen Komplexes auf der B-Zelle selbst.

In den letzten beiden Jahren wurden erste genetische Defekte in der B-Zellsignalleitung beschrieben, die ebenfalls zu einem CVID-ähnlichen Krankheitsbild führen [23]. Während die ICOS- [13] und die Cluster-of-differentiation(CD)19-Defizienz [27] mit einer hohen Penetranz zu der Erkrankung führen, müssen bei der Defizienz von TACI („transmembrane activator and calcium modulator and cyclophilin ligand interactor“, [24]) und BAFF-R (Baff-Rezeptor, [31]) andere Faktoren eine Rolle bei der Krankheitsausprägung spielen. Die Defizienz von CD81 [28], CD20 [15] und CD21 [26] ist bisher nur einzelne Patienten beschrieben.

Viele der Patienten weisen neben der gestörten B-Zelldifferenzierung auch Veränderungen der CD4-T-Zellen auf [11]. Zusammen mit der Expansion von aktivierten B-Zellen (CD21-/low B-Zellen) ist die Reduktion naiver und regulatorischer CD4-T-Zellen Ausdruck einer komplexeren Störung des Immunsystems, die klinisch häufig mit weiteren Komplikationen verbunden ist [17], sodass diese Veränderungen Bestandteil verschiedener Klassifikationsschemata von CVID geworden sind und bei einer Untergruppe von CVID-Patienten auf einen kombinierten Immundefekt hinweisen können [16].

Klinische Präsentation

Infektanfälligkeit

Patienten mit CVID fallen meist initial durch eine Infektanfälligkeit auf. Zur Erfassung einer pathologischen Infektanfälligkeit wurden für die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) ELVIS-Kriterien entwickelt (Tab. 2, [9]).

Tab. 2 Pathologische Infektanfälligkeit als Warnzeichen der Immundefizienz (ELVIS)

Patienten mit CVID erkranken in > 90 % an rezidivierenden bakteriellen Infekten der Atemwege durch klassische Erreger wie

  • Streptococcus pneumoniae,

  • Haemophilus influenzae,

  • Staphylococcus aureus oder

  • Moraxella catharrhalis,

sodass die Infekanfälligkeit v. a. durch den pathologischen Verlauf, Intensität oder Summe und weniger durch atypische Erreger gekennzeichnet ist. Ein Drittel der CVID-Patienten bildet im Verlauf der rezidivierenden Infektionen Bronchiektasen mit den hiermit verbundenen Komplikationen aus. Zusätzlich werden bei etwa 20 % der Patienten Infekte des Magen-Darm-Trakts durch

  • Salmonellen (7,5 %),

  • Campylobacter jejuni,

  • Giardia lamblia (13,9 %),

  • Noroviren sowie

  • Helicobacter pylori

beobachtet. Auch diese Infekte verlaufen oft chronisch rezidivierend. Etwa 7,9 % der Patienten erkranken an einer bakteriellen oder viralen Meningitis. Arthritiden sind selten infektiös, müssen bei entsprechender Klinik jedoch mittels Erregerdiagnostik einschließlich Polymerasekettenreaktion (PCR) auf Mykoplasmen abgeklärt werden. Häufiger treten infektassoziierte Arthralgien oder reaktive Arthritiden auf. Herpes zoster wird bei etwa 11 % der Patienten beschrieben [18].

Dagegen muss bei etwa 5 % der CVID-Patienten mit Auftreten von opportunistischen Infektionen wie z. B.

  • CMV-Reaktivierung,

  • multiplen Warzen,

  • ausgeprägtem Pilzbefall oder

  • durch Pneumocystis jirovecii verursachter Pneumonie

an die Differenzialdiagnose eines kombinierten Immundefektes („combined immunodeficiency“, CID) mit zusätzlicher T-zellulärer Defizienz gedacht werden [16].

Immundysregulation

Zusätzlich zur Infektanfälligkeit treten bei einer Untergruppe der CVID-Patienten Zeichen einer Immundysregulation auf [5, 17, 32]. Diese können der Infektanfälligkeit zeitlich vorausgehen [5].

Autoimmunphänomene

Bei etwa 30 % der Patienten finden sich Autoimmunphänomene, vorrangig als Autoimmunzytopenien. Seltener und wahrscheinlich pathogenetisch davon getrennt sind organspezifische Autoimmunmanifestationen wie

  • Autoimmunthyreoiditis,

  • perniziöse Anämie,

  • Psoriasis,

  • Vitiligo sowie selten

  • eine rheumatoide Arthritis oder

  • Vaskulitiden.

Granulome

Es weisen 10–20 % der Patienten Granulome auf. Diese finden sich v. a. in Lunge und Lymphknoten, können aber auch in Leber, Milz, Knochenmark, Magen-Darm-Trakt, Zentralnervensystem (ZNS) oder Niere vorkommen. Ebenso kann ein Erythema nodosum auftreten. Obgleich die Klinik der Sarkoidose gleicht, stellt die granulomatöse Entzündung im Rahmen des CVID eine eigene Entität dar.

Granulomatöse oder lymphozytäre interstitielle Lungenerkrankung

Neben den infektiös bedingten pulmonalen Veränderungen tritt bei bis zu 20 % der Patienten eine granulomatöse oder lymphozytäre interstitielle Lungenerkrankung (lymphozytäre interstitielle Pneumonitis, follikuläre Bronchiolitis oder kryptogen organisierende Pneumonie) auf (Abb. 1; [3]). Es werden aktuell

  • die Pathogenese,

  • der unterschiedliche und oft wechselhafte spontane Verlauf sowie

  • Therapieansätze

dieser zum Teil schweren Komplikation in einer klinischen Studie untersucht.

Chronischer nichtinfektiöser Durchfall

Etwa 20 % der Patienten entwickeln chronische nicht-infektiöse Durchfälle. Bei 1/3 der Patienten lässt sich eine Autoimmunenteropathie oder eine chronisch entzündliche Darmerkrankung nachweisen. Bei etwa 20 % findet sich eine Intoleranz gegen Laktose oder Fruktose. Bei der Hälfte der Patienten bleibt die Ursache trotz intensiver Diagnostik ungeklärt (eigene unpublizierte Daten). Die Autoimmunenteropathie ist histologisch nicht von einer Sprue zu unterscheiden, jedoch in der Regel nicht glutensensitiv und nicht mit HLA-DQ 2/8 assoziiert. Die Untersuchung auf mit Sprue assoziierten Antikörper ist aufgrund des Antikörpermangels zur Diagnostik nicht geeignet [29].

Nodulär-lymphatische Hyperplasie des Darms

Eine nodulär-lymphatische Hyperplasie des Darms ist bei bis zu 20 % der Patienten zu beobachten und kann das gesamte Intestinum betreffen. Eine eindeutige Assoziation dieses Befunds zu klinischen Beschwerden besteht nicht [1].

Nichtinfektiöse Hepatopathie

Etwa 10 % der Patienten entwickeln eine nicht-infektiöse Hepatopathie [30]. Histologisch ist v. a. eine noduläre regenerative Hyperplasie beschrieben. Klinisch stehen die Komplikationen einer portalen Hypertonie im Vordergrund. Die Lebersynthese hingegen kann lange Zeit erhalten bleiben, sodass nach stattgehabter Ösophagusvarizenblutung die Anlage eines transjugulären intrahepatischen Shunts bei portaler Hypertension geprüft werden sollte (Abb. 2).

Benigne Lymphadenopathie

Bei 40–50 % liegt eine benigne Lymphadenopathie [Splenomegalie (Abb. 3) oder Lymphadenopathie] vor. Histologisch zeigen sich im Lymphknoten unspezifische reaktive Veränderungen (z. B. follikuläre Hyperplasie) oder Granulome. Es finden sich gestörte Keimzentren. Plasmazellen sind vermindert oder fehlen [25].

Hämatologische Neoplasie

Das Risiko für hämatologische Neoplasien (4–10 % u. a. M. Hodgkin, B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom, „large granular lymphocytic leukemia“) sowie für solide Tumoren (insbesondere Magenkarzinome) ist erhöht. Lymphome sind oft nur schwer von einer atypischen Lymphoproliferation abzugrenzen [7].

Abb. 1
figure 1

Interstitielle Lungenveränderungen und Bronchiektasen im Computertomogramm des Thorax bei einem 37-jährigen Patienten mit CVID

Abb. 2
figure 2

a–d Leberhistologie einer 39-jährigen Patientin mit CVID mit nodulär regenerativer Hyperplasie. a Mikronodulärer nichtzirrhotischer Aspekt des Leberparenchyms (HE-Färbung). b Leberparenchym mit dicht gelagerten hyperplastischen Parenchymknötchen (PAS-Färbung). c Im Randbereich Kompression des Gitterfasernetzes ohne Ausbildung fibröser Septen (Siriusrot-Färbung). d Kompression des Gitterfasernetzes bei Nachweis einzelner aktivierter Sternzellen (α-sm-Aktin-Färbung). e Transjuguläre intrahepatische portosystemische Shunt(TIPS)-Anlage bei der Patientin im Alter von 42 Jahren. N Noduli, Pfeile Begrenzung der Noduli. (a–d Mit freundlicher Genehmigung Frau Prof. Schmitt-Gräff, Institut für Pathologie, Universität Freiburg)

Abb. 3
figure 3

Splenomegalie im Magnetresonanztomographie (MRT) des Abdomens bei einem 32-jährigen Patienten mit CVID

Diagnostik

Zur Diagnosesicherung werden bei Erstvorstellung die Serumimmunglobuline (IgG, IgA und IgM), spezifische Antikörpertiter gegen Tetanustoxoid und Pneumokokkenpolysaccharide bestimmt, solange der Patient noch keine Substitutionstherapie erhält.

Die Immunglobulinwerte müssen mit altersadaptierten Normwerten verglichen werden.

Die IgG-Spiegel bei Diagnosestellung liegen bei über 95 % der erwachsenen CVID-Patienten unter 5 g/l [4]. IgA ist bei über 90 % der erwachsenen Patienten erniedrigt und oft sogar nicht nachweisbar. IgM liegt ebenfalls bei 50–80 % unter dem Normbereich. Monoklonale Banden sollten einmalig zu Beginn mithilfe der Immunfixation ausgeschlossen sein.

Die Untersuchung der spezifischen Impfantworten ist abhängig von den Immunglobulinen. Bei IgG-Werten unter 4 g/l und deutlich erniedrigtem IgA ist eine routinemäßige Untersuchung zur Diagnosesicherung meist nicht notwendig. Bei allen anderen sollte dies aber, wenn klinisch vertretbar, vor Einleitung der Immunglobulinsubstitution durchgeführt werden.

Einheitlich werden oben genannte Spezifitäten vor und ggf. 4 Wochen nach Impfung getestet. Viele Autoren schlagen weitere Impftiter vor, ohne dass diese jedoch einheitlich festgelegt wurden.

Zur Abgrenzung von Agammaglobulinämie (fehlende B-Zellen obligatorisch) und kombinierten Immundefekten (niedrige CD4-T-Zellzahlen möglich) dient ein kleines Lymphozytenpanel. Die weitere Differenzierung von T- und B-Zellsubpopulationen wird heute in den meisten Immundefektzentren zur Klassifikation des CVID-Patienten durchgeführt, kann die Diagnose CVID aber nicht sichern [32].

Weitere notwendige Diagnostik bei der Erstvorstellung der Patienten umfasst – zur Bestimmung des Lungenzustands – ein Lungenfunktionstest mit Kohlenstoffmonoxid(CO)-Diffusion und ein Computertomographie des Thorax. Die CT-Diagnostik ist dabei erforderlich, um Veränderungen wie

  • Bronchiektasen,

  • interstitielle Lungenveränderungen sowie

  • intrathorakale Lymphadenopathie

ausreichend beurteilen zu können. Eine Thoraxröntgenuntersuchung ist für die Beantwortung dieser Fragen nicht ausreichend.

Zusätzlich empfiehlt sich eine Abdomensonographie zur Erfassung von abdomineller Lymphoproliferation.

Weitere Untersuchungen werden abhängig von der Indikation ergänzt (Tab. 3). Serologien zur Diagnose von Infekten sind nicht hilfreich und die Erreger müssen direkt nachgewiesen werden. Das Ergebnis der Bestimmung von ß-D-Glukan zum Ausschluss von Pilzinfektionen ist unter IgG-Substitutionstherapie oft falsch-positiv. Die weiteren Untersuchungen dienen v. a. der Verlaufskontrolle von sekundären Komplikationen und sind in Tab. 3 dargestellt.

Tab. 3 Diagnostik bei CVID

Immunglobulinsubstitutionstherapie

Bei Patienten mit CVID ist eine regelmäßige Substitutionstherapie von polyvalenten IgG indiziert. Die Immunglobulintherapie ist effektiv in der Prävention von Pneumonie und schweren unteren Atemwegsinfektionen, wie in mehreren Analysen und einer Metaanalyse gezeigt worden ist [19].

Die Immunglobulintherapie ist effektiv in der Prävention von Pneumonie und unteren Atemwegsinfektionen

Um eine hohe Diversität der Antigenspezifität in den Präparaten zu erreichen, werden die Plasmen von > 1000 Spendern gepoolt. Chargenabhängig führen die Hersteller repräsentative Messungen von spezifischen IgG durch. Eine Überprüfung spezifischer Antikörper zur Überwachung des passiven Impfschutzes unter Immunglobulinsubstitution wird nicht empfohlen.

Sicherheit

Die Therapie mit Immunglobulinen fällt in den Bereich des Transfusionsgesetzes. Um die bestmögliche Sicherheit der Therapie zu gewährleisten, unterliegt die Produktion speziellen Richtlinien. Die Überwachung und Freigabe erfolgt durch das Paul-Ehrlich Institut. Vor Einleitung einer Therapie ist der Patient schriftlich aufzuklären. Eine Chargendokumentation ist erforderlich (30 Jahre).

Eine Übertragung von Infektionen durch Immunglobulinpräparate wurde zuletzt in den 1990er Jahren für Hepatitis C dokumentiert. Neben Selektion der Plasmaspender, Testung der Spender sowie des gepoolten Plasmas auf festgelegte Viruserkrankungen werden im Rahmen der Produktion zusätzlich chemisch-physikalische Verfahren zur Elimination von Erregern eingesetzt.

Nebenwirkungen

Das Spektrum der Nebenwirkungen unterscheidet sich je nach Applikationsform. Systemische Reaktionen wie

  • Schüttelfrost,

  • Kopfschmerzen,

  • Fieber,

  • Arthralgien,

  • Erbrechen oder

  • Blutdruckabfall

sind v. a. unter intravenöser Therapie zu beobachten. Bei der subkutanen Applikation stehen Lokalreaktionen im Vordergrund. Die IgG-Präparate enthalten in verschiedenen Konzentrationen Spuren von IgA. Dies birgt bei intravenöser Gabe das Risiko von Unverträglichkeiten aufgrund der Bildung von Anti-IgA Antikörpern. An weiteren Risiken sind

  • thromboembolische Ereignisse,

  • das Auftreten einer Hämolyse oder

  • eine aseptische Meningitis

zu erwähnen.

Applikation

Die Applikation der Immunglobuline kann intravenös (IVIG) oder subkutan (SCIG) erfolgen. Die intramuskuläre Gabe ist als obsolet zu betrachten. IVIG und SCIG sind vom Effekt her gleichrangig, die Vorteile der einzelnen Therapien sind in Tab. 4 zusammengefasst.

Tab. 4 Immunglobulinsubstitutionstherapie – spezifische Vorteile

Substitutionsdosis

Die empfohlene regelmäßige Substitutionsdosis liegt bei etwa 300–400 mg/kg Körpergewicht alle 3–4 Wochen. In der Aufsättigungsphase können kürzere Intervalle gewählt werden. Die übliche Dosierung bei Erwachsenen zur Erhaltungstherapie liegt bei IVIG 20–30 g alle 4 Wochen und bei SCIG 5–7 g pro Woche verteilt auf 1 bis 2 Tage. Auch für SCIG besteht die Möglichkeit einer rascheren Aufsättigung durch tägliche Applikation der Wochendosis für die Dauer einer Woche. Sollte dies aufgrund der Infusionsstellen nicht möglich sein, kann die entsprechende Dosis auf 2 Wochen verteilt werden.

IgG-Spiegelkontrollen sind ergänzend zu der klinischen Beurteilung zur Steuerung der Dosis sinnvoll.

Nach Therapieeinleitung empfehlen sich zur Dosisfindung bei IVIG vor jeder Gabe Talspiegelmessungen. Bei SCIG sollte eine erste Messung nach 1 bis 2 Monaten erfolgen, ohne dass ein bestimmter Abstand zur letzten Gabe berücksichtigt werden muss. Im weiteren Verlauf sind die Messungen je nach Klinik alle 3–6 Monate ausreichend. Bei den meisten Patienten sind IgG Talspiegel von > 7 g/l anzustreben. Bei fortbestehender Infektanfälligkeit oder bekannten Bronchiektasen können auch höhere Spiegel > 9 g/l erforderlich sein. So wurde auch in der großen Metaanalyse beobachtet, dass eine weitere Reduktion der Infektanfälligkeit auch noch oberhalb von durchschnittlichen Serumtalspiegeln von 7 g/l in Studien erreicht werden kann [19]. Deswegen sind individuell ausreichende Talspiegel bis zur Infektfreiheit insbesondere der unteren Atemwege anzustreben. Dies wurde auch in einer Stellungnahme der EMEA entsprechend berücksichtigt (http://www.emea.europa.eu/pdfs/human/bpwg/36185706en.pdf).

Weitere Behandlungsstrategien

Bei Auftreten bakterieller Infekte sollte eine frühzeitige empirische Antibiose eingeleitet werden. Die Therapiedauer sollte ausreichend lang gewählt werden. Insbesondere bei

  • wiederkehrenden Infekten,

  • schlechtem Therapieansprechen oder

  • bekannten Bronchiektasen

sollte eine Erregerdiagnostik ergänzt werden. Oft besteht trotz suffizienter IgG-Substitutionstherapie eine residuale Symptomatik im Bereich der oberen Atemwege, die eine konsequente Lokaltherapie ggf. in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Fachärzten verlangt.

Die Durchführung der üblichen Schutzimpfungen ist angesichts des passiven Schutzes unter regelmäßiger IgG Substitutionstherapie nicht erforderlich. Eine theoretisch denkbare erhaltene zusätzliche zelluläre Impfantwort ist für die Standard-Schutzimpfungen von untergeordneter Rolle. Daten bezüglich einer Protektion auf zellulärer Ebene bei Patienten mit CVID nach Frühsommer-Meningoenzephalitis(FSME)-Impfung liegen nicht vor. Falls keine Unverträglichkeit besteht, sollte aufgrund des fehlenden passiven Impfschutzes bei saisonaler Varianz des Virus die jährliche Influenzaimpfung empfohlen werden, um den Schutz durch eine möglicherweise induzierte zelluläre Impfantwort zu nutzen. Lebendimpfungen sollten aufgrund des Immundefektes vermieden werden und auf optimalen Impfschutz im familiären Umfeld sollte insbesondere in diesem Kontext hingewiesen werden.

Therapie von Komplikationen

Die aktuellen Studien zur Prognose bei CVID zeigen eine hohe Bedeutung der sekundären Komplikationen für das Überleben der Patienten. Ähnlich dem Einfluss der interstitiellen Lungenerkrankung [3] zeigten diese Studien eine deutlich schlechtere Prognose bei Patienten mit

  • Lymphom [20, 21],

  • Autoimmunenteropathie [5, 21] und Hepatopathie [5, 21],

  • Autoimmunzytopenie und Splenomegalie [5].

Bronchiektasen und unerwartet auch granulomatöse Entzündung haben die Prognose der untersuchten Patienten nicht wesentlich beeinflusst. In Anbetracht des Einflusses dieser Komplikationen kommt ihrer regelmäßigen Kontrolle und Therapie ein besonderer Stellenwert zu. Diese sollte aufgrund der oft schwierigen Entscheidung, einen Immundefektpatient immunsuppressiv zu behandeln, immer in Zusammenarbeit mit einem Immundefektzentrum erfolgen.

Intestitielle Lungenerkrankung

Die interstitielle Lungenerkrankung wird mindestens einmal im Jahr durch Lungenfunktionstest und CO-Diffusion erfasst. Allerdings sind beide Untersuchungen nicht sehr sensitiv und nur unter Belastung lässt sich eine beginnende Gasaustauschstörung frühzeitig erkennen. Bei klinisch relevanter Lungenerkrankung besteht der erste Schritt in einer systemischen Steroidtherapie. Die Effektivität dieser Therapie ist bisher nur in Einzelfallberichten veröffentlicht und manche Autoren zweifeln an der langfristigen Wirksamkeit. Deswegen wurden weitere immunsuppressive Therapien bis hin zu Anti-TNFα- oder Rituximab-Therapien eingesetzt [6].

Autoimmunenteropathie

Die Therapie der Autoimmunenteropathie ist ebenfalls aktuell nur in Einzelfällen berichtet. Hier kommen lokal wirksame Steroide wie Budesonid, aber auch systemische Therapien v. a. mit Azathioprin, Cyclosporin A und in Einzelfällen auch Anti-TNFα-Therapie zur Anwendung. Vor Einleitung einer derartigen Therapie muss immer eine infektiöse Genese ausgeschlossen werden.

Lymphome

Lymphome stellen die schwerste Komplikation dar. Die Prognose ist insgesamt schlecht [20] und die Diagnose ist durch die relativ hohe Prävalenz und schwierige Abgrenzung atypischer Lymphoproliferation erschwert. Aktuell sind keine Serummarker zur Diagnosestellung vorhanden und im Zweifelsfall muss die Lymphknotenhistologie angestrebt werden. Die Therapie richtet sich nach den Richtlinien der hämatologischen Gesellschaft. Die Chemotherapie wird allerdings je nach Kontrolle der Infekte oft schlecht vertragen (eigene Erfahrung). In Einzelfällen wurde bei Patienten mit CVID und hämatologischer Erkrankung eine allogene Stammzelltransplantation durchgeführt [22]. In einer aktuellen multizentrischen Studie muss die Effektivität dieser Therapie nicht nur bezüglich der hämatologischen, sondern auch hinsichtlich der Grunderkrankung untersucht werden.

Autoimmunzytopenie

Die Therapie der Autoimmunzytopenien hat sich im Verlauf der Zeit besser herauskristallisiert. So werden autoimmunhämolytische Anämie und Autoimmunthrombopenie zunächst mit hochdosierten Steroiden behandelt. Bei steroidrefraktären Verläufen hat sich Rituximab gegenüber anderen immunsuppressiven Therapien durchgesetzt [12]. Als Ultima Ratio wird die meist große Milz entfernt [33].

Generell können alle immunsuppressiven Therapien erst nach Ausschluss einer infektiösen Ursache der Beschwerden und nur unter einer ausreichenden Immunglobulinsubstitutionstherapie und unter Überwachung – insbesondere der CD4-T-Zellzahl – durchgeführt werden.

Insgesamt konnte die Lebenserwartung von CVID-Patienten, die nur an infektiösen Manifestationen leiden, durch die IgG-Substitutionstherapie weitgehend normalisiert werden. Die Herausforderung in der Behandlung von CVID ist, dies auch für die Patienten mit Zeichen einer komplexeren Immundysregulation zu erreichen.

Fazit für die Praxis

  • CVID ist die häufigste klinisch relevante primäre Immundefekterkrankung. Viele Patienten werden spät diagnostiziert. Eine hohe Dunkelziffer ist wahrscheinlich.

  • Initial präsentieren sich Patienten mit erhöhter bakterieller Infektanfälligkeit der Atemwege (s. ELVIS) oder Autoimmunzytopenien, oft in Verbindung mit Zeichen der Lymphoproliferation. Der Verdacht ist durch die Bestimmung von Serum IgG, IgA, IgM zu erhärten und die Diagnose ist entsprechend der Diagnosekriterien zu sichern.

  • Die IgG-Substitutionstherapie ist sehr effektiv in der Vorbeugung unterer Atemwegsinfektionen. Der Therapieerfolg wird primär klinisch und zusätzlich durch ausreichende IgG-Serumtalspiegel überwacht.

  • Die Prognose der Erkrankung wird zunehmend durch sekundäre Komplikationen wie inflammatorische Lungen-, Darm- und Lebererkrankungen sowie Lymphome bestimmt. Deswegen empfiehlt sich die gemeinsame Betreuung der Patienten zusammen mit einem Immundefektzentrum.