Zusammenfassung
Stressfrakturen kommen als Insuffizienzfrakturen im rheumatologischen Patientengut mit einer Prävalenz von 0,8% vor. Die Hauptlokalisation von Insuffizienzfrakturen sind Becken und Kreuzbein sowie gelenknahe Tibia und Fibula, Kalkaneus und Hüfte.
Wegen der Überlappung der Schmerzsymptomatik mit der Klinik der schmerzhaften Gelenkerkrankungen und der geringen Sensibilität der konventionellen Röntgendiagnostik werden Insuffizienzfrakturen primär nicht oder verzögert diagnostiziert.
Die hohe Sensibilität der Computertomographie, der Skelettszintigraphie und der Magnetresonanztomographie sollten in der Diagnostik von Insuffizienzfrakturen genutzt werden.
In der geschilderten Kasuistik werden Insuffizienzfrakturen der distalen Tibia und Fibula rechts bei einer Patientin in höherem Lebensalter mit rheumatoider Arthritis (RA) unter Langzeit-Glukokortikoid-Therapie beschrieben.
Zusätzlich zu Alter, weiblichem Geschlecht, Immobilität, Langzeit-Kortison-pflichtige RA liegen weitere Risikofaktoren für Insuffizienzfrakturen vor: frühere langjährige Fluoridtherapie, Hypovitaminose D3 sowie Niereninsuffizienz.
Die DXA-Knochendichtewerte des Schenkelhalses und der Lendenwirbelkörper zeigen keine Osteoporose, Kalzium im Serum ist niedrig, Phosphat erhöht. Parathormon im Serum ist normwertig, Osteocalcin, Beta Crosslaps und alkalische Phosphatase sind erhöht.
Eine differenzialdiagnostisch durchgeführte Knochenbiopsie am Beckenkamm und des proximalen Femur ergeben den Befund einer renalen Osteopathie mit sekundärem Hyperparathyreoidismus und Osteomalazie.
Bei älteren Patienten mit Niereninsuffizienz muss an eine renale Osteopathie, auch bei normwertigem Parathormon, als Ursache einer verminderten Knochenqualität mit erhöhtem Risiko für Insuffizienzfrakturen gedacht werden.
Bei der Häufigkeit von Osteopathien im rheumatologischen Patientengut besitzt die Osteologie in der Rheumatologie einen sehr hohen Stellenwert.
Abstract
Stress fractures occur as insufficiency fractures, with a prevalence of 0.8% in patients with rheumatological illness. The main sites of insufficiency fractures are the pelvis and sacrum, parts of the tibia and fibula that are close to the joints, and the calcaneus and hip. Since the painful symptoms overlap with the clinical picture of the painful joint diseases and because of the low sensitivity of conventional diagnostic X-ray, insufficiency fractures are not diagnosed directly or their diagnosis is delayed.
The high sensitivity of computer tomography, skeletal scintigraphy and nuclear magnetic resonance imaging should be exploited in the diagnosis of insufficiency fractures. The case report presented describes insufficiency fractures of the distal right tibia and fibula in an elderly female patient with rheumatoid arthritis being treated with long-term glucocorticoids. In addition to advanced age, female gender, immobility and rheumatoid arthritis requiring long-term cortisone, there are further risk factors for insufficiency fractures: fluoride treatment over many years in the past, hypovitaminosis D3, renal failure. The DXA bone density values of the neck of the femur and the lumbar vertebrae do not show any osteoporosis, and the calcium concentration in the serum is low; phosphate is raised and parathormone is normal; osteocalcin, beta crosslaps and alkaline phosphatase are raised. Bone biopsy specimens taken from the iliac crest and the proximal femur and investigated for the purpose of differential diagnosis revealed renal osteopathy with secondary hyperparathyroidism and osteomalacia. In elderly patients with kidney failure, the possibility of renal osteopathy must be considered as the possible cause of reduced bone quality with a raised risk of insufficiency fractures, even when the parathormone levels are normal. In view of the frequency of osteopathies in rheumatological patients, osteology is of enormous significance in rheumatology.
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Stressfrakturen treten als Ermüdungsfrakturen nach hoher Belastung des gesunden Knochens oder als Insuffizienzfrakturen nach inadäquater Belastung eines qualitätsgeminderten Knochens auf.
Als Risikofaktoren für Insuffizienzfrakturen gelten: weibliches Geschlecht, höheres Lebensalter, Osteoporose, Fluoridbehandlung, Osteomalazie, bereits erlittene osteoporotische Frakturen, Langzeit-Glukokortikoid-pflichtige Erkrankungen und Gelenkdeformitäten [2, 27, 42].
In rheumatologischen Versorgungseinrichtungen werden bei 0,3–0,8% der Patienten Insuffizienzfrakturen nachgewiesen mit Hauptlokalisation im Bereich des Beckengürtels und des Sakrums (60%), der Tibia (17%) und in 10% im Bereich des Schenkelhalses [27, 42].
Bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen werden als Hauptlokalisation der Stressfrakturen die Mittelfußknochen (46%), distale Tibia und Fibula (35%) und Kalkaneus (6%) angegeben [27].
Prävalenz und Risikofaktoren für Osteoporose und osteoporotische Frakturen bei Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) werden derzeit in einer deutschen Multizenterstudie untersucht [35].
Wegen der geringen Sensitivität der Röntgendiagnostik für frühe Stressfrakturen werden diese verzögert diagnostiziert und daher nicht adäquat behandelt [11, 12, 42].
Fallbericht
Bei einer 74-jährigen Frau im reduzierten Allgemeinzustand und Kräftezustand erfolgt die Übernahme aus einer rheumaorthopädischen Abteilung bei Zustand nach konservativ behandelter Fraktur der distalen Tibia und Fibula rechts nach inadäquatem Trauma vor 4 Wochen.
Anamnese
Beginn einer Rheumafaktor-negativen RA vor 21 Jahren. Seit Beginn der Erkrankung ist die Patientin Kortison-pflichtig (5–7,5 mg Prednisolon/Tag).
Vor 7 Jahren Absetzen einer über 8 Jahre laufenden Langzeitbehandlung mit Natriumfluorophosphat (3-mal 1 Kautablette) wegen Verdacht auf radiologische Fluorose der Lendenwirbelsäule.
Mehrere rheumachirurgische Operation wegen RA, vor einem Jahr Totalendoprothese der linken Hüfte nach traumatischer Schenkelhalsfraktur.
Klinischer Befund
74-jährige bettlägerige Patientin in reduziertem Allgemeinzustand, Ernährungszustand und Kräftezustand (Body Mass Index/BMI: 23,5). Atrophische Haut mit multiplen Hämatomen. Geringe Krankheitsaktivität der RA (DAS 28: 2,41). Unterschenkelgipsverband rechts.
Osteologische Befunde
DXA-Osteodensidometrie
-
Schenkelhals rechts: 0,840 gcm2, T-score −1,17,
-
Lendenwirbelkörper 1–3: 1,270 gcm2, T-score 0,83.
Osteologisches Labor
-
BSG: 30 mm (NW 1. Stunde: 6–11 mm),
-
CRP: 0,5 g/dl (NW: 0–0,05 mg/dl),
-
Kreatinin: bis 2,3 mg/dl (NW: 0,4–0,9 mg/dl),
-
Kreatininclearance : 32,1–33,5 ml/min (NW: 40–95 ml/min),
-
Kalzium: 4,31 mval (NW: 4,34–5,2 mval),
-
Phosphat: 6,5 mg/dl (NW: 2,5–4,8 mg/dl),
-
alkalische Phosphatase: 214 U/l (NW: 40–190 U/l),
-
Urinstatus: unauffällig,
-
Kalzium im Urin: 17/30 mg/24 h (NW: 100–320 mg/24 h),
-
Phosphat: 696/622 mg/24 h (NW: 300–1000 mg/24 h),
-
Osteocalcin im Serum: 45,3 ng/ml (NW: 15,5–38,3 ng/ml),
-
iPTH im Serum: 80 pg/ml (NW: 14,8–86,5 pg/ml),
-
Beta Crosslaps im Serum: 1,12 ng/ml (NW: 0,06–0,73 ng/ml),
-
25-Hydroxy-Vitamin D3: 26 nmol/l (NW: 50–300 nmol/l),
-
1,25-Dihydroxy-Vitamin D3: <10 ng/l (NW: 30–70 ng/l).
Röntgenkontrolle rechter Unterschenkel
Submalleoläre Unterschenkelfraktur der Tibia und der Fibula im Sinne einer Insuffizienzfraktur mit ausgedehnter endostaler und periostaler Reaktion (Abb. 1 a,b).
Therapie und Verlauf
Knochenbiopsie am linken Beckenkamm und rechten Trochanter nach Tetracyclindoppelmarkierung (Beurteilung Prof. Dr. Schulz, Institut für Pathologie, Universität Giessen):
Histopathologischer Befund und Beurteilung
Ausgeprägte Oberflächenosteoidose in Kombination mit einer Fibroosteoklasie im Bereich des Beckenkamms und des Trochanters bei insgesamt noch erhaltener Knochenmasse.
Der Befund entspricht einer renalen Osteopathie vom Mischtyp (III b) bestehend aus einer Kombination von Osteomalazie und sekundärem Hyperparathyreoidismus (Abb. 2 a–h).
Medikamentöse Therapie
-
Prednisolon 10 mg/Tag, 1-0-0,
-
Alpha-Calcidol 0,25 g/Tag, 1-0-0,
-
Tramadol long 100, 1-0-1,
-
Furosemid 40, 1-0-0,
-
Amlodipin, 1-0-0,
-
Omeprazol, 0-0-1,
-
Dalteparin forte, 1-mal 1 Injektion/Tag.
Nach insgesamt 11 Wochen Entfernung des Gipsverbandes. Rechtes Bein belastbar. Beginnende Mobilisierung. Entlassung mit Rollstuhl.
Diagnose
-
Seronegative, ANA-negative, wenig aktive, stark immobilisierende RA (DAS: 2,41) unter „Low-dose-Langzeit-Prednisolon-Therapie“, aktuell 10 mg/Tag,
-
abheilende Unterschenkelfraktur rechts (distale Tibia und Fibula) vom Typ der Insuffizienzfraktur,
-
geringe DXA-Osteopenie proximaler Femur bei renaler Osteopathie vom Mischtyp mit Osteomalazie und sekundärem Hyperparathyreoidismus mit/bei Hypovitaminose D3,
-
chronische Niereninsuffizienz,
-
kompensierte hypertensive Herzerkrankung,
-
schwere Osteochondrose und Spondylarthrose der Lendenwirbelsäule mit Spondylolisthese L4/L5.
Risikofaktoren für das Auftreten der Insuffizienzfraktur der distalen Tibia und Fibula
-
Weibliches Geschlecht,
-
höheres Lebensalter (74 Jahre),
-
RA mit 22-jähriger Krankheitsdauer,
-
Immobilität,
-
Hypovitaminose D3,
-
renale Osteopathie bei Niereninsuffizienz seit 7 Jahren,
-
Zustand nach 8-jähriger Osteoporosetherapie mit Natriumfluorid-Einnahme (bis 8 Jahre vor Knochenbiopsie).
Diskussion
Frakturrisiko rheumatoide Arthritis
Aus Querschnitt- und wenigen Längsschnittstudien ist bekannt, dass Patienten mit RA eine verminderte Knochendichte aufweisen [9, 16, 23, 41].
Bei RA Arthritis ist das relative Risiko (RR) für Frakturen je nach Lokalisation um das 1,5- bis 6,2-Fache erhöht [6, 24, 33].
Frauen mit RA weisen nach einer Beobachtung von 4902 Personenjahren ein signifikant erhöhtes relatives Risiko für Beckenfrakturen (RR=2,56) und für proximale Femurfrakturen (RR=1,51) auf. Ein nichtsignifikant erhöhtes Frakturrisiko besteht für proximale Humerusfrakturen (RR=1,48) und für distale Unterarmfrakturen (RR=1,39).
Frauen <50 Jahren hatten mit Ausnahmen der Beckenfrakturen ein höheres Frakturrisiko für Schenkelhals-, Oberarm- und Unterarmfrakturen als Frauen >50 Jahren.
In der univariaten Regressionsanalyse errechnen sich Alter, Untergewicht, starke Funktions- und Bewegungseinschränkung sowie Kortison-Einnahme zum Zeitpunkt der Erstdiagnose der RA als Risikofaktoren für Frakturen.
In der multivariablen Regressionsanalyse verbleiben nur noch Alter, Bewegungseinschränkung und Untergewicht als unabhängige Faktoren für ein erhöhtes Frakturrisiko [19].
Es bleibt somit die Frage, ob die RA per se oder die Assoziation der Erkrankung mit anderen Risikofaktoren das erhöhte Frakturrisiko bewirken.
Die häufigsten Nebenwirkungen einer Langzeit-Glukokortikoid-Behandlung bei Patienten mit RA sind Frakturen [38].
Bei Männern und Frauen (n=300) mit RA wird ein erhöhtes Frakturrisiko für Hüftfrakturen (RR=2,1), insbesondere bei RA-Patienten unter Glukokortikoid-Behandlung (RR=2,7) nachgewiesen [6].
Bei 56 Frauen mit RA unter Glukokortikoid-Therapie wird ein 6,2-fach erhöhtes Risiko für Wirbelkörperfrakturen bei gleicher Knochendichte wie bei Frauen ohne RA beschrieben [33].
Bei 104 postmenopausalen Frauen mit RA werden die peripheren und axialen Knochendichten sowie die Frakturraten von Wirbelkörper- und Schenkelhalsfrakturen nach Minimaltrauma verglichen. In der Gruppe Kortison-behandelter Patienten ist die Frakturrate mit 16,3% gegenüber 3,6% in der Patientengruppe ohne Glukokortikoid-Therapie signifikant höher (p<0,001), obwohl die Knochendichten der Wirbelkörper sich bei den Patienten mit oder ohne Glukokortikoid-Therapie nicht unterschieden [45].
In Fallberichten wird über Insuffizienzfrakturen bei Patienten mit RA berichtet:
Osteoporose, Kortisonbehandlung und vorbestehende Insuffizienzfrakturen der Rippen bestanden bei einer 78-jährigen Frau mit RA bevor sich eine schwere Insuffizienzfraktur der Fossa acetabuli ereignete [32].
Auch Insuffizienzfrakturen des tarsalen Os naviculare werden bei RA beschrieben [21].
Bei einer 20-jährigen Patientin mit RA wurden wegen heftigster Leistenschmerzen bei der Routineröntgenuntersuchung des Beckens zunächst Frakturen der Schambeinäste festgestellt. Bei einer ergänzend durchgeführten Computertomographie zeigte sich darüber hinaus eine Insuffizienzfraktur des linken Os sacrum, sodass bei schmerzhafter Becken- und Sakrumfraktur eine externe Fixation des knöchernen Beckens notwendig wurde [20].
Frakturrisiko Niereninsuffizienz und renale Osteopathie
Als Folge einer chronischen Niereninsuffizienz mit renal bedingtem Mangel an 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 entwickelt sich ein sekundärer Hyperparathyreoidismus, welcher sich am Knochen in Form einer renalen Osteopathie mit lokal gesteigerten Zytokinaktivitäten von Interleukin-1 (IL-1), Tumornekrosefaktor-Alpha (TNF α) und IL-6 manifestiert. Parathormon spielt als Regulator knochenmodulierender Zytokine und Wachstumsfaktoren eine entscheidende Rolle [40].
Eine bevorzugte Rolle spielen IL-1 β und TNF α mit knochenresorptiver und -anbauhemmender Eigenschaft. In der Pathogenese der Markfibrose spielen die Fibroblastenmediatoren TGF- („transforming growth factor-“) β und FGF („fibroblast growth factor“) die wesentlichste Rolle [44].
Die renale Osteodystrophie manifestiert sich entsprechend den histologischen Veränderungen in der Knochenbiopsie als:
-
1.
Osteitis fibrosa (Fibroosteokalsie),
-
2.
Osteomalazie (Osteoidose),
-
3.
Mischbild (Fibroosteoklasie kombiniert mit Osteoidose),
-
4.
adynamische Knochenerkrankung.
Da die Parathormonspiegel im Serum nicht mit den histologischen Befunden in der Knochenbiopsie korrelieren, bleibt die Knochenbiopsie die wichtigste Nachweismethode für Knochenerkrankungen bei sekundärem Hyperparathyreoidismus [18].
Wie sehr große Fallzahlen des US-Nierenregisters (n=396.464) belegen, ist bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz zu Beginn der Dialyse im Vergleich zur normalen Bevölkerung das relative Risiko für Hüftfrakturen (RR=4,44) unabhängig von Alter und Geschlecht deutlich erhöht [1].
Bei Hämodialysepatienten (n=62) mit histologisch gesicherter renaler Osteopathie werden in 89% am proximalen Femur und in 69% an den Lendenwirbelkörpern erniedrigte Knochendichten gemessen. Die Knochendichten korrelieren negativ mit den histologischen Befunden und den Laborwerten eines sekundären Hyperparathyreoidismus [14].
Bei Männern und Frauen ist nach Nierentransplantation das absolute Risiko für periphere Frakturen im Vergleich zu normalen Kontrollpatienten 3-fach erhöht.
Hauptrisikofaktoren für Frakturen sind eine vorbestehende renale Osteodystrophie, Hyperparathyreoidismus und laufende Glukokortikoid-Therapie [13, 28].
Frakturrisiko Vitamin-D-Mangel
An ihre Wohnung gebundene geriatrische Patienten entwickeln über eine mangelnde UV-Bestrahlung der altersatrophischen Haut, durch Vitamin-D3-Mangelernährung und häufig seniler Nierenfunktionseinschränkung eine Osteoporose mit vermehrter Knochenresorption, Mineralisationsstörung, Abnahme der Knochendichte und dadurch zusätzlich erhöhtem Frakturrisiko [25].
Der Vitamin-D- und Kalziummangel bei Menschen im höheren Lebensalter führt über die Entwicklung eines sekundären Hyperparathyreoidismus zum erhöhten Frakturrisiko für Schenkelhalsfrakturen (RR=1,69).
Durch die Behandlung von Männern und Frauen im höheren Lebensalter mit Kalzium- und Vitamin-D-Substitution kann der senile sekundäre Hyperparathyreoidismus normalisiert, der Knochenmassenverlust an der Hüfte reduziert und das Frakturrisiko für Schenkelhalsfrakturen gesenkt werden [5].
Eine prospektive Kohortenstudie („Nottingham Neck of Femur Study“) zeigt bei 150 selbstversorgenden Patienten im hohen Lebensalter nach Operation einer durchgemachten Schenkelhalsfraktur in 68% erniedrigte 25-Hydroxy-Vitamin-D3-Spiegel (<30 nmol/l). Bei der Hälfte dieser Patienten besteht ein sekundärer Hyperparathyreoidismus. Im Vergleich zu den übrigen Patienten mit normalem oder erniedrigtem Parathormonspiegel zeigen die Patienten mit sekundärem Hyperparathyreoidismus eine erniedrigte Knochendichte des proximalen Femurs sowie eine signifikant erhöhte Frakturrate für Schenkelhalsfrakturen [39].
Ein Abfall der Vitamin-D-Hormonspiegel und Anstieg der Parathormonwerte korreliert bei Patienten mit RA mit der systemischen Entzündungsaktivität [30].
Frakturrisiko Fluoride
Bei der Behandlung der Osteoporose mit Fluoriden kann die Frakturrate für Wirbelkörperfrakturen gesenkt werden. Das Frakturrisiko für Hüftfrakturen jedoch erscheint erhöht. Offensichtlich wird unter der Fluoridtherapie ein qualitativ minderwertiger Knochen gebildet bei der Umverteilung des Kalziums aus den peripheren Röhrenknochen in das Achsenskelett [17, 36].
In einer Metaanalyse über die Fluoridtherapie bei Osteoporose [15] wird gezeigt, dass sich das relative Risiko für neue vertebrale Frakturen in der Therapiegruppe nach 2 und 4 Jahren nicht unterscheidet. Nach 4 Jahren aber besteht in der Therapiegruppe ein erhöhtes Risiko für neue nichtvertebrale Frakturen, (RR=1,85, 95%-Konfidenzintervall: 1,63–2,01).
Als hauptsächliche Ursachen des erhöhten Frakturrisikos nach Fluoridbehandlung werden überschießend gebildete und hypomineralisierte Osteoidbildung, Inhomogenität des Fluoridknochens mit hypo- oder hypermineralisierten Knochenanbauten und die Steigerung der Apoptoserate von Osteozyten diskutiert [4, 29].
Frakturrisiko Glukokortikoide
Das erhöhte Risiko für Osteoporose und Frakturen unter Langzeit-Glukokortikoid-Exposition erklärt sich über die direkte Wirkung der Glukortikoide auf die Zellen des Knochengewebes mit Steigerung der osteoklastären Knochenresorption, vermehrter Bildung von Kollagenase und verminderter Bildung von Metalloproteinase-Inhibitoren in Osteoblasten sowie Hemmung der osteoblastären Knochenneubildung.
Glukokortikoide zeigen ihre globale Wirkung auf den Knochenstoffwechsel durch eine Hemmung der Knochenneubildung und Steigerung der Knochenresorption [3].
Glukokortikoide hemmen die Apoptose der Osteoklasten sowie die Proliferation von Osteoblasten und steigern die Apoptose für Osteoblasten und Osteozyten [7, 47].
Glukokortikoide stimulieren in Osteoblasten die Bildung von Kollagenase 3 und hemmen die Bildung von Metalloproteinase-Inhibitoren [34].
Durch Glukokortikoide wird die Osteoprotegerin-Bildung gehemmt und somit das RANKL/RANK/OPG-System der Knochenhomöostase in Richtung Knochenabbau verschoben [26].
Indirekte Kortison-assoziierte Störungen wie Hypogonadismus stellen weitere mögliche Risikofaktoren für eine Kortison-induzierte Osteoporose dar [26].
Eine vermehrte Knochenresorption über die Mechanismen eines Glukokortikoid-induzierten sekundären Hyperparathyreoidismus scheint keine entscheidende Rolle zu spielen [8, 37].
Bei Patienten mit RA (n=112; retrospektive Kohortenstudie) sind Frakturen vor schweren Infektionen, Magen-Darm-Blutungen oder Ulkus die häufigsten Nebenwirkungen unter Langzeit-Glukokortikoid-Therapie [38].
Bereits nach einer Glukokortikoid-Therapiedauer von 90 Tagen erhöht sich das relative Risiko für Hüftfrakturen auf RR=1,7 und für Wirbelkörperfrakturen auf RR=2,88 [22, 38].
Eine sichere Schwellendosis, unterhalb welcher Glukokortikoide keinen Risikofaktor für Osteoporose und Frakturen mehr darstellen, gibt es nicht. Bereits bei Einnahme von <2,5 mg Prednisolon-Äquivalent erscheint das relative Risiko für Wirbelkörperfrakturen um 55% erhöht. Bei einer Dosis von 2,5–7,5 mg/Tag beträgt das relative Risiko bereits 2,59, bei Glukokortikoid-Dosen >7,5 mg/TAg verfünffacht sich das Risiko [38, 43].
Die Bedeutung der kumulativen Glukokortikoid-Dosis für das Frakturrisiko wird kontrovers diskutiert. Die Auswertung einer großen britischen Datenbank zeigt eine eher geringe Korrelation zwischen Kumulativdosis und Frakturrisiko [38], während in Dänemark bei einem kumulativen Prednisolon-Äquivalent 1,500 mg, entsprechend 4,1 mg über 12 Monate, ein 4-fach erhöhtes Risiko für Hüftfrakturen errechnet wird [46].
Fazit für die Praxis
Den Insuffizienzfrakturen liegt eine systemische, verminderte Knochenqualität mit hohem Risiko für Spontanfrakturen zugrunde.
In der Kasuistik der 74-jährigen Patientin kumulieren mehrere Risikofaktoren für eine Qualitätsminderung und Frakturgefährdung des Knochenorgans.
Die chronische entzündliche Systemerkrankung der RA, die über 22 Jahre laufende Glukokortikoid-Therapie, die zurückliegende 8-jährige medikamentöse Fluoridexposition, der bestehende Vitamin-D3-Mangelzustand, die Immobiliät, das höhere Lebensalter und das weibliche Geschlecht stellen Risikofaktoren für die Qualitätsminderung und das erhöhte Frakturrisiko dar.
Die differenzialdiagnostisch durchgeführte Knochenbiopsie am Beckenkamm und proximalen Femur ergab die klinisch nicht gestellte Diagnose einer renalen Osteopathie mit Osteomalazie und sekundärem Hyperparathyreoidismus bei normalen Parathormonspiegeln.
Aus unserer Sicht sollten bei Patienten mit Insuffizienzfrakturen differenzialdiagnostische Knochendbiopsien durchgeführt werden.
Über die bei der renalen Osteopathie beteiligten Zytokine wie IL-1, IL-6 und TNF α [4] ergeben sich Gemeinsamkeiten in der Pathogenese der lokalen und systemischen Osteoporose bei RA [40].
Bei einer Patientin mit RA mit therapieresistenten, sehr schmerzhaften und stark funktionseinschränkenden systemischen Ermüdungsfrakturen konnten wir durch eine Anti-TNF-α-Therapie eine drastische klinische Besserung der Frakturschmerzen und rasche Ausheilung der Insuffizienzfrakturen erreichen [10].
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Dreher, R., Buttgereit, F., Demary, W. et al. Insuffizienzfrakturen in der Rheumatologie. Z. Rheumatol. 65, 417–423 (2006). https://doi.org/10.1007/s00393-006-0089-5
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