Zusammenfassung
Hintergrund
Aufgrund der demografischen Entwicklung und der damit verbundenen Auswirkungen werden Männer zunehmend mit der Herausforderung konfrontiert, Pflege und Beruf zu vereinbaren. Statistische Daten bestätigen, dass der Anteil häuslich pflegender Männer zunimmt. Sie bewegen sich durch die Pflegeübernahme in einer weiblich konnotierten Sphäre, die für sie eher ungewohnt ist. Welche Handlungsstrategien sie dabei nutzen, ist bisher ein rudimentär bearbeitetes Forschungsfeld.
Ziel der Arbeit und Fragestellung
Die Studie verfolgt das Ziel, zu einer differenzierten Betrachtungsweise männlichen Pflegeverhaltens beizutragen. Die Teilauswertung befasst sich mit der Fragestellung, wie berufstätige Männer ihre Pflegearrangements gestalten und welches Pflegeverhalten sie aufweisen.
Material und Methode
Basis der vorliegenden Teilauswertung sind 18 biografisch-narrative Interviews mit berufstätigen, häuslich pflegenden Männern. Die Interviews wurden anhand der Theoretical-Sampling-Strategie eingebunden und mithilfe eines typologischen Verfahrens in Anlehnung an die qualitative Inhaltsanalyse ausgewertet.
Ergebnisse und Schlussfolgerung
Aus dem Datenmaterial wurde eine Typologie zur Pflegetätigkeit häuslich pflegender Männer entwickelt. Die Ergebnisse indizieren, dass sich das Pflegeverhalten erwerbstätiger Männer bei der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf wesentlich heterogener gestaltet, als in bisherigen Studien konstatiert. Die Spannbreite variiert von der Erhaltung der bisherigen Lebensgestaltung und Wahrung der Distanz zur Pflegesituation bis hin zu einer kompletten Veränderung der beruflichen und privaten Sphäre.
Abstract
Background
Due to demographic changes and the associated consequences, men are increasingly being confronted with the challenge to reconcile caregiving and profession. Statistical data confirm that the proportion of male caregivers is continuously increasing. These men operate in a field of specifically female connotation, with which they are not too familiar. The investigation of action strategies of male caregivers has long been neglected in scientific research.
Objective
This study aimed to provide a differentiated approach to a male caregiving behavior. This part of the evaluation deals with the research question: how do working men organize their caregiving arrangements and which caregiving behavior do they exhibit?
Material and methods
The analysis is based on 18 biographical narrative interviews with professionally employed men with domestic caregiving duties. The interviewees were chosen by a theoretical sampling strategy and evaluated via typological processing in accordance with the qualitative content analysis.
Results and conclusion
Based on the empirical data material, a typology of the domestic caregiving work of men has been developed. The results indicate that the caregiving behavior of employed men dealing with reconciliation of caregiving and occupation is far more heterogeneous than indicated by previous studies. The extent ranges from maintenance of the previous way of life and self-distancing from the caregiving situation to a complete change in the professional and private life.
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Bisherige Studien gingen davon aus, dass Pflege per se weiblich ist, obgleich der Anteil häuslich pflegender Männer in Deutschland mittlerweile ca. ein Drittel aller Pflegenden beträgt und deren Pflegebeteiligung kontinuierlich zunimmt [19, 23]. Nur wenige Untersuchungen beschäftigen sich explizit mit der Gestaltung von Vereinbarkeitsarrangements und dem Pflegeverhalten bzw. den Handlungsstrategien berufstätiger, häuslich pflegender Männer. An diesem bisher wenig bearbeiteten Themenfeld setzt das Erkenntnisinteresse dieser Studie an. Sie verfolgt in der vorliegenden Teilauswertung die Fragestellung, wie berufstätige Männer ihre Pflegearrangements gestalten und welches Pflegeverhalten sie aufweisen.
Hintergrund
Berufstätige, häuslich pflegende Männer sind aufgrund der demografischen Entwicklung und der damit verbundenen Zunahme des Anteils älterer Menschen bei Abnahme des Pflegepotenzials, u. a. aufgrund der sinkenden Geburtenrate und der Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit [17], verstärkt mit der Herausforderung konfrontiert, die Pflege ihrer älteren hilfebedürftigen Angehörigen sicherzustellen. Die Zahl der informell pflegenden Personen, die Pflege und Beruf vereinbaren müssen, steigt kontinuierlich an. Nach den Daten des „Sozio-oekonomischen Panels“ (SOEP) versorgten 2012 4 % der Männer und 7 % der Frauen zwischen 16 und 64 Jahren mindestens 1 h/Werktag einen pflegebedürftigen Angehörigen [8]. Erwerbstätige Frauen sind nach wie vor, sowohl zeitlich als auch vom Umfang her, hinsichtlich des Aufgabenspektrums im Vergleich zu Männern stärker in Pflegeaufgaben eingebunden [8, 19].
Nach den Daten des SOEP stieg die Erwerbsquote der weiblichen Pflegepersonen zwischen 2001 und 2012 von ca. 37 auf 61 % und die der männlichen von ca. 46 auf 67 % an [8]. Betrachtet man den Anteil männlicher Hauptpflegepersonen, so stieg dieser von 20 % im Jahr 1998 auf 28 % im Jahr 2010 an. Der Anteil pflegender Söhne verdoppelte sich und wuchs von 5 auf 10 % [23]. Die Übernahme von Pflegetätigkeiten divergiert im Lebenszyklus von Männern und Frauen, indem Männer ihre Pflegeproduktivität erst in späteren Lebensjahren in der Nacherwerbsphase entwickeln. Männer pflegen an erster Stelle ihre (Ehe-)Partner(innen) und an zweiter Stelle ihre Eltern, wohingegen Frauen zuerst Elternpflege und dann (Ehe-)Partner(innen)pflege leisten [19].
Stand der Forschung
Konsens in nationalen und internationalen Studien ist, dass Männer vorwiegend einen managerialen Pflegestil favorisieren, indem sie indirekte Pflege leisten, d. h., überwiegend organisatorische Aufgaben erledigen und körperbezogene Unterstützungsleistungen meist an professionelle Dienste delegieren [16, 22]. Frauen hingegen übernehmen eher inflexiblere Aufgaben, wie direkte, körpernahe Pflegetätigkeiten und hauswirtschaftliche Arbeiten [4, 10, 14], die feste Zeiten erfordern oder auch auf Abruf geleistet werden müssen [4, 10]. Das Pflegeverhalten der Männer bezüglich der Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf divergiert in den verschiedenen Studien insofern, dass entweder verstärkt formelle oder informelle Hilfen herangezogen werden [3, 14, 15].
Neueren Studien zufolge übernehmen Männer auch direkte Körperpflege [2], was als Wandel des Pflegeverhaltens gedeutet wird [3]. Auth und Dierkes konstatieren, dass berufstätige pflegende Söhne „möglicherweise mehr Gemeinsamkeiten mit erwerbstätigen pflegenden Frauen aufweisen als mit pflegenden Männern im Ruhestand“ [1].
Insbesondere ältere, nicht mehr erwerbstätige Männer beschreiben ihre Pflegetätigkeit als Arbeit bzw. als manageriale Aufgabe und richten sie an ihrem ehemaligen Berufsleben aus. Das entsprechende rationale Vorgehen verleiht ihnen die nötige emotionale Distanz zur Pflegesituation, um sich abgrenzen zu können [7, 13]. Trotz dieser Distanz sind sie emotional an der Pflege beteiligt [20]. Gemäß ihrer Arbeitsorientierung entwickeln sie „eine Art Produzentenstolz, insbesondere dort, wo sie eigene Wege gehen“ und neue Kompetenzen entfalten [13]. Männer suchen sich einen ihrer Identität entsprechenden Pflegestil und erledigen deshalb verstärkt technische oder organisatorische Tätigkeiten. Sie formen aus ihrem Selbstverständnis als Mann heraus die Pflege „männlich“ [7]Footnote 1, so agieren sie im Spannungsfeld der männlichen Arbeitsorientierung sowie ihres emotionalen Erlebens durch die Pflege [13] in einem weiblich konnotierten Bereich.
National und international betrachtet, ist die Datenlage speziell zum Pflegeverhalten häuslich pflegender Männer in Verbindung mit der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf aus der Genderperspektive gering [3, 5]. Aufgrund der divergierenden Aussagen ist es Zielstellung dieser Forschungsarbeit, die vorhandenen Thesen über pflegende Männer zu explorieren und aus genderperspektivischer SichtweiseFootnote 2 ein „vielschichtigeres Bild von pflegenden Männern“ [21] herauszuarbeiten. Hier setzt die vorliegende Studie an und untersucht das Pflegeverhalten von häuslich pflegenden (Ehe-)Partnern und Söhnen in ihren Pflegearrangements.
Methodisches Vorgehen
Die Gesamtauswertung dieser Studie beruht auf 30 biografisch-narrativen Interviews [18].Footnote 3 In den Jahren 2011–2013 wurden 17 Interviews geführt, und 13 stammen aus einem Forschungsprojekt von Langehennig in Frankfurt a. M. [13] aus den Jahren 2009–2010. Bei den 30 befragten Personen handelt es sich ausschließlich um Männer im erwerbsfähigen Alter (31 bis 64 Jahre). Der Altersdurchschnitt beträgt 53,7 Jahre. Die Gewinnung der Interviewpartner erfolgte durch Pflegedienste und Beratungsstellen sowie über einen Internetaufruf. Die vorgestellten Ergebnisse basieren auf einer Teilauswertung mit 18 Männern, die einer Erwerbstätigkeit in Vollzeit (n = 11) oder in Teilzeit (n = 6) nachgehen oder sich in einer Ausbildung befinden (n = 1). Die Interviews wurden anhand der Theoretical-sampling-Strategie [9] ausgewählt und in Anlehnung an die empirisch begründete Typenbildung nach Kelle und Kluge [11] mit Unterstützung von MAXQDA ausgewertet [12].
In das Sample dieser Studie sind deshalb ausschließlich pflegende Männer einbezogen worden, um einer Stereotypenbildung von Geschlechterrollen entgegenzuwirken. Bisherige Studien werden kritisiert, da Pflegeerfahrungen von Frauen als Norm und das Pflegeverhalten von Männern als „Abweichung von der Norm“ gesehen wurden [6], sodass es zu systematisch verzerrten Sichtweisen gekommen sei und ein genderkomparativ ausgerichteter Forschungsansatz zu einer Stereotypenbildung geführt habe [13].
Es sind Männer in die Studie einbezogen worden, die sich selbst als „Hauptpflegeperson“ einstufen und eine Person ab Pflegestufe I betreuen. Die Interviews wurden in der häuslichen Umgebung der Befragten durchgeführt und dauerten zwischen 60 und 180 min. Anhand der Forschungsfragestellung, wie Männer ihre Pflegearrangements konstruieren und welches Pflegeverhalten sie aufweisen, erfolgen Textbelege aus den Interviews mit Angabe von Pseudonym und Alter der Interviewpartner sowie der Belege aus den Transkriptionen.
Ergebnis
Insgesamt konnten anhand des Datenmaterials folgende 4 Typen zur Pflegetätigkeit bei der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf häuslich pflegender Männer identifiziert werden:
-
organisierend,
-
supplementär,
-
vorwiegend solitär und
-
solitär.
Diese werden im Folgenden skizziert.
Organisierende Pflegetätigkeit
Die pflegenden Männer des Typs 1 delegieren direkte Pflegeaufgaben, z. B. Körperpflege, fast vollständig an dritte Personen. Es handelt sich ausschließlich um 4 in Vollzeit berufstätige Söhne, die einen akademischen Beruf ausüben und ihre Mütter versorgen.
Die organisierende Pflegetätigkeit wird exemplarisch anhand des Fallbeispiels von Herrn Schweitzer, eines pflegenden Sohns, aufgezeigt. Er ist zum Interviewzeitpunkt 42 Jahre alt, in Vollzeit als leitender Qualitätsmanager in der Luftfahrtindustrie tätig, verheiratet und hat 2 Kinder im Vorschulalter. Seine Mutter wohnt im Nachbarort in einem Eigenheim und leidet an einem demenziellen Syndrom nach Herzstillstand und arterieller Embolie, weshalb sie in die Pflegestufe II eingruppiert wurde. Herr Schweitzer hat die Betreuung seiner Mutter an eine Agentur delegiert, die osteuropäische Haushaltskräfte vermittelt. Zusätzlich hat er einen Hauspflegedienst und eine Privatpflegekraft 3‑mal wöchentlich eingesetzt. Er schildert seinen Tagesablauf wie folgt:
Oder wenn’s halt nicht so spät ist, fahr ich dann nach L., guck mal bei ihr rein. (I-15-179)
Oder ich schau mir auch an, welche Pflegedefizite zu beachten sind. … Und dann so einmal die Woche Belege buchen für die Rechnungslegung, Zusammenfassen der Rechnungen fürs Sozialamt. (I-15-181)
Aus diesem Interviewabschnitt geht hervor, dass Herr Schweitzer organisatorische Aufgaben, wie beispielsweise die Überwachung der Pflegekräfte sowie die Regelung finanzieller und administrativer Aufgaben wahrnimmt. Zusätzlich besucht er mindestens einmal wöchentlich seine Mutter zur Beziehungspflege und verknüpft diesen Besuch ebenso mit gemeinsamen Aktivitäten, was auf eine positive emotionale Bindung hindeutet:
Wenn man Zeit zusammen verbringt, Grillen, Ausflug … ich hab’ meine Mutter früher auch nach der Arbeit öfters mal besucht. (I-15-155)
Durch die organisatorische Pflegetätigkeit kann Distanz zur Pflegesituation hergestellt werden:
Ich hab’ dann auch schon mal ein paar Tage Pflege übernommen, als unsere Hauptkraft Barbara nach Polen musste … Das ist dann hart, so eine Woche lang Pflege zu machen. Als Mann entzieht man sich dem gleich. (I-15-107)
Das heißt also gleich Pflegedienst engagiert, dass tagsüber jemand da war. (I-15-109)
Es ist ersichtlich, dass direkte, körpernahe Pflege meist ungern erledigt wird, da sie als Anstrengung empfunden wird und die Distanz zur Pflegesituation verringert.
Dieser Typ behält seinen bisherigen Lebensstil bei und passt die Pflege an das Erwerbsleben an. Zur Sicherstellung der Pflege- und Berufstätigkeit werden vorwiegend formelle Dienste engagiert.
Supplementäre Pflegetätigkeit
Typ 2 unterscheidet sich von Typ 1 insofern, dass nicht vollständig delegiert wird, sondern für direkte Pflegeaufgaben ein bis mehrmals pro Tag während der Berufstätigkeit Dritte beauftragt werden. Weitere notwendige Tätigkeiten der direkten, körpernahen Pflege werden supplementär wahrgenommen, wobei neben dieser, auch organisatorische Tätigkeiten äquivalent zu Typ 1 zu bewältigen sind.
Von den berufstätigen Männern des Typs 2 gehen 7 einer Vollzeit- und 3 einer Teilzeiterwerbstätigkeit nach und einer absolviert ein Studium. Sechs (Ehe-)Partner pflegen ihre (Ehe-)Partnerin, 4 Söhne ihre Mutter und ein Sohn seinen Vater. Von den 10 im Erwerbsleben stehenden Männern haben 3 einen akademischen Beruf, einer hat eine Leitungsfunktion im Handwerk inne, und 2 sind gelernte Handwerker.
Als exemplarisches Beispiel wird Herr Koch als pflegender Ehegatte herangezogen. Er ist 50 Jahre alt und arbeitet in Vollzeit als leitender Mechanikermeister mit 20 Mitarbeitern. Seine Ehefrau erlitt aufgrund der Ruptur eines Aneurysmas eine Zerebralblutung und bezieht Leistungen gemäß SGB XII, der Pflegestufe III. Beide leben im gemeinsamen Haus und haben erwachsene Kinder aus ihren vorherigen Ehen, die außerhalb des Haushalts leben. Während der Arbeitszeit von Herrn Koch ist ein Pflegedienst morgens und mittags zur Körperpflege und zur Sicherstellung der Nahrungszufuhr engagiert. Zusätzlich übernimmt eine Hilfskraft einmal wöchentlich für 3 h hauswirtschaftliche Tätigkeiten. Am Wochenende stellt Herr Koch die gesamte Pflege selbst sicher. Er beschreibt seinen Tagesablauf wie folgt:
Tag läuft so ab, ich steh’ um halb sechs auf. Da träumt sie noch süß. Dann geh’ ich mich frisch machen. Ja, dann wird hier Kaffee gekocht, Frühstückstisch gedeckt für sie. Dann muss ich mich sputen, dann nehm’ ich meinen Kaffee schon mal mit ins Auto. Und fahr dann auf meine Arbeit. (I-4-215)
Ja und dann um vier Uhr fahr ich Heim … nochmal einkaufen oder Getränkemarkt … Ja aber ansonsten normalerweise fünf halb sechs wird sie nochmal frisch gemacht von mir. (I-4-241-243)
Bisschen Fernseh’ gucken, dann wird entweder noch eine Waschmaschine aufgesetzt und aufgehängt oder die Spülmaschine muss … noch ausgeräumt werden und so gegen halb elf wird sie dann noch mal das letzte Mal frisch gemacht … Schlafanzug und dann wird sich hingelegt. (I-4-255-258)
Aus dem beschriebenen Fallbeispiel geht hervor, dass Herr Koch bereits früh morgens beginnt, seine Frau vorbereitend zu versorgen. Neben der Erwerbstätigkeit und der organisierenden Pflegetätigkeit erledigt er die Einkäufe, hauswirtschaftliche Tätigkeiten sowie direkte, körpernahe Pflege bis in den späten Abend hinein. Der Alltag wird somit sowohl von der Berufstätigkeit, aber auch sehr stark von Pflegeaufgaben bestimmt. Zur Regeneration und Freizeitgestaltung bleibt aufgrund der Einbindung in die Berufstätigkeit und Pflege kaum mehr Zeit. Nur gelegentlich werden informelle Hilfen, z. B. durch Verwandte, FreundInnen sowie NachbarInnen beansprucht.
Die Pflegepersonen sind meist sowohl vom Umfang her, bedingt durch den hohen Pflegeaufwand, als auch emotional aufgrund der engen Beziehung zur gepflegten Person, stark in die Pflegetätigkeiten involviert, sodass sie kaum in der Lage sind, sich von der Pflegesituation zu distanzieren.
Im Sample wird der Pflegestil dieses Typs fast von allen pflegenden Ehegatten praktiziert. Die pflegenden Söhne sind ähnlich stark in die Pflegesituation eingebunden, haben überwiegend eine enge, oft positive Beziehung zu dem gepflegten Angehörigen und behalten am Wochenende die ambulanten Dienste bei. Die Mehrzahl der Männer verfügt über positive strukturelle Bedingungen am Arbeitsplatz, z. B. flexible Arbeitszeit und/oder die Möglichkeit, in Teilzeit arbeiten zu können.
Bei den Männern dieses Typs bleibt die Erwerbstätigkeit eine Konstante, wobei das Privatleben stark auf die Pflege ausgerichtet ist. Die aktuelle Lebensführung wird in großem Maß auf die Pflegeperson abgestimmt, z. B. Umfang der Berufstätigkeit, private Kontakte und Freizeitgestaltung etc.
Vorwiegend solitäre Pflegetätigkeit
Die pflegenden Männer des Typs 3 stellen die häusliche Versorgung überwiegend selbst sicher, d. h., die Pflege wird vorwiegend solitär vorgenommen. Es erfolgt eine 2‑mal wöchentliche bis einmal monatliche Delegation.
Typ 3 wird durch 2 berufstätige, pflegende Söhne repräsentiert. Beide sind in Teilzeit erwerbstätig, wobei einer neben seiner Erwerbstätigkeit als Angestellter auch einige Stunden in seinem häuslichen Umfeld als Selbstständiger arbeitet. Einer der Söhne hat ein akademisches Studium absolviert, der andere eine Meisterausbildung. Beide zu pflegenden Mütter beziehen jeweils Leistungen der Pflegestufe I. In erster Linie erfolgt eine Delegation an Dritte zur Freizeitgestaltung, aber auch zur Wahrnehmung gelegentlicher Termine während der Berufstätigkeit. Zur Beschreibung des dritten Typs wird das Fallbeispiel von Herrn Gruber herangezogen.
Herr Gruber ist 55 Jahre alt, selbstständiger Unternehmer als Schreinermeister und gestaltet Büroeinrichtungen. Er wohnt über 100 km von seiner Ehefrau entfernt in einer eigenen, abgeschlossenen Wohnung im Haus seiner Mutter. Die beiden Kinder sind erwachsen. Die Mutter leidet an M. Alzheimer und ist nach SGB XI in Pflegestufe I eingestuft. Das Fallbeispiel von Herrn Gruber zeigt auf, wie die pflegerischen Tätigkeiten mit den beruflichen Aufgaben in Einklang gebracht werden:
Also ich steh’ halt um sechs auf und mache meine Arbeit eigentlich bevor wir dann um sieben frühstücken. (I-1-321)
Ja jetzt sind wir beim Mittagessen … ich koch hier, ich mach Kuchen …. Ich plane den Abend für mich. (I-1-279)
Da kann ich die Mutter alleine lassen, … spätestens acht verabschiede ich mich und dann habe ich meine Zeit. … ich hab’ meine Arbeit auf ein Viertel zurückgeschraubt. (I-1-244)
Hieraus geht hervor, dass Herr Gruber selbst sowohl organisatorische Aufgaben, direkte, körpernahe Pflege als auch hauswirtschaftliche Tätigkeiten ausführt. Um ausreichend Zeit für die Versorgung seiner Mutter zu haben, reduziert er seine Berufstätigkeit auf ein Viertel seiner bisherigen Arbeitszeit. Er achtet darauf, dass ihm trotz der Pflegetätigkeiten auch Freiräume zur Realisierung eigener Interessen zur Verfügung stehen. Auf diese Weise kann Distanz zur Pflegesituation gewahrt werden, bei bestehender positiver Pflegebeziehung.
Die bisherige Lebensführung wird auf die Pflegesituation abgestimmt. Aufgrund der geringen Pflegestufe der zu versorgenden Angehörigen bleibt ausreichend Zeit, eigene berufliche und/oder private Interessen zu verfolgen.
Solitäre Pflegetätigkeit
Typ 4 führt die Pflegetätigkeit solitär aus, sodass direkte und indirekte Pflegetätigkeiten völlig eigenständig übernommen werden.
Er wird durch einen erwerbstätigen pflegenden Sohn repräsentiert, der in Teilzeit (30 h/Woche) als Gesundheits- und Krankenpfleger berufstätig ist und zusätzlich einen älteren Herrn 5 h wöchentlich betreut.Footnote 4
Alle anfallenden Aufgaben werden eigenständig bewältigt und anhand des Fallbeispiels von Herrn Sehmann aufgezeigt. Er ist 59 Jahre alt, kinderlos, geschieden und schulte vor einigen Jahren zum Krankenpfleger um. Er pflegt seine Mutter, die aufgrund einer Lähmung von der Hüfte abwärts im Rahmen der Pflegestufe II (SGB XI) der Pflege bedarf. Der pflegende Sohn wohnt in einer eigenen Wohnung in der näheren Umgebung der Mutter. Herr Sehmann schildert einen typischen Tagesablauf wie folgt:
Ich mache Frühdienst …, arbeite von sechs bis ein Uhr. (I-11-136)
Dann fahre ich zu meiner Mutter. Mach bei ihr so 2 Stunden … Mittagessen. … mach ihr Bett frisch, ihre Toilette, sie hat einen Toilettenstuhl im Zimmer. (I-11-138)
Dann nachmittags gehe ich zu dem alten Mann 2 Stunden und dann gehe ich noch mal abends 2 Stunden zu meiner Mutter. Wasch sie und mach sie fertig praktisch für die Nacht, ne? (I-11-140)
Aus dem transkribierten Text geht hervor, wie stark Herr Sehmann neben seiner Berufstätigkeit in die Pflegeaufgaben und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten eingebunden ist. Nach der Arbeit übernimmt er sowohl die direkte, körpernahe Pflege der Mutter als auch die gesamten anfallenden Haushaltstätigkeiten. Die Mutter lehnte die Einbindung eines Pflegedienstes ab.
Die bisherige Lebensführung wird um die Pflege der Mutter erweitert, sodass kaum noch eigene Interessen verfolgt werden können. Eine Distanz zur Pflegesituation kann nicht mehr hergestellt werden:
Seit zehneinhalb Jahren [lacht resignierend] kein Urlaub gar nichts. (I-11-7)
Dieser Typ richtet sein Leben vollständig auf die beruflichen und privaten Pflegetätigkeiten aus.
Diskussion
Typ 1 entspricht dem in vielen Studien beschriebenen Typus, in denen Männer indirekte Pflege leisten und körpernahe Aufgaben delegieren [14, 16, 22]. Der Typ 2 stellt in diesem Sample die größte Gruppe dar (n = 11). Neben der Berufstätigkeit wird sowohl direkte als auch indirekte Pflege geleistet. Nur zur Sicherstellung der Berufstätigkeit werden insbesondere formelle Dienste beansprucht. Dieser Typ weist, wie in der Studie von Auth und Dierkes [1] erwähnt, eher Gemeinsamkeiten mit erwerbstätigen pflegenden Frauen als mit älteren Männern im Ruhestand auf und wird in Studien bisher eher wenig beachtet [3]. Die Typen 3 und 4 finden im wissenschaftlichen Kontext kaum Berücksichtigung, was wahrscheinlich auf die quantitativ geringe Ausprägung zurückzuführen ist. Sowohl Typ 1 als auch Typ 3 können sich im Rahmen ihres gewählten Pflegestils gut von der Pflegesituation abgrenzen und sind dennoch emotional an der Pflege beteiligt [20]. Typ 2 und Typ 4 sind derart stark in die Pflege involviert, dass eine Distanz zur Pflegesituation kaum hergestellt werden kann. Insbesondere Typ 1 und Typ 2 greifen zur Sicherstellung der häuslichen Versorgung und zur Realisierung einer störungsfreien Ausübung der Berufstätigkeit auf professionelle Dienste zurück [3]. Typ 3 ist durch die Teilzeittätigkeit relativ flexibel, und es liegt vergleichsweise ein geringer Pflegeumfang (Pflegestufe I) vor. Zur gelegentlichen Delegation werden vorwiegend informelle Hilfen beansprucht.
Insbesondere den berufstätigen Männern des Typs 2 und 4 bleibt wenig Zeit, die Pflege „männlich“ zu inszenieren bzw. „Produzentenstolz“ [13]Footnote 5 zu entwickeln und neue Wege zu beschreiten. Bei Typ 1 und 3 ist dies in Ansätzen erkennbar, da beispielweise sehr ambitioniert mit den pflegenden Angehörigen Aktivitäten zur Freizeitgestaltung unternommen oder Trainings zur Verbesserung des Gesundheitszustandes durchgeführt werden [13]. Die Typen 2 und 4 sind intensiv in die Pflegetätigkeit involviert und müssen gleichzeitig ihre Erwerbstätigkeit sicherstellen, sodass sie am stärksten belastet sind. Bezeichnend ist, dass insgesamt eine starke Berufsorientierung auch selbst bei den in Teilzeit erwerbstätigen Männern vorherrscht, da die Pflegetätigkeit hier häufiger auch als „Fortsetzung oder Erweiterung der Berufstätigkeit“ empfunden wird, sodass Männer aus einem eigenen Selbstverständnis heraus die Pflege doch „männlich“ akzentuieren [7, 13].
Fazit
-
Das vorgestellte Modell der Pflegetätigkeiten leistet einen Beitrag zu einer differenzierten Betrachtungsweise des Pflegeverhaltens häuslich pflegender Männer.
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Es soll dabei unterstützen, Männer als eigene Zielgruppe wahrzunehmen und auch in sozialpolitische Konzepte einzubeziehen.
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Das Modell kann auch zur Einschätzung im Rahmen der Pflegeberatung und einer damit verbundenen gendersensiblen Hilfeplangestaltung bei der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf dienen.
Notes
Die Bezeichnung „männlich“ wird im Sinne des Konzeptes von „Doing Gender“ nach West und Zimmermann (1987) [24] verstanden, in dem Geschlecht sozial konstruiert bzw. erzeugt und in zwischenmenschlichen Interaktionen hergestellt wird. Auch der Begriff „Produzentenstolz“ ist im Rahmen dieses Ansatzes zu verstehen.
In der Gesamtstudie werden gendertheoretische Erklärungsansätze zu dem Pflegeverhalten häuslich pflegender Männer im erwerbsfähigen Alter diskutiert.
Die Gesamtstudie bezieht biografische Aspekte, beispielsweise die biografische Beziehung zur gepflegten Person, Motive und biographische Faktoren der Pflegeübernahme mit ein.
Typ 4 beinhaltet in der Gesamtauswertung insgesamt 2 pflegende Männer: einen Erwerbstätigen, der in dieser Teilauswertung behandelt wird, und einen Nichterwerbstätigen.
Die Bezeichnung „männlich“ wird im Sinne des Konzeptes von „Doing Gender“ nach West und Zimmermann (1987) [24] verstanden, in dem Geschlecht sozial konstruiert bzw. erzeugt und in zwischenmenschlichen Interaktionen hergestellt wird. Auch der Begriff „Produzentenstolz“ ist im Rahmen dieses Ansatzes zu verstehen.
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Interessenkonflikt
E.C. Dosch gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Studie wurde im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki durchgeführt. Von allen beteiligten Personen liegt eine Einverständniserklärung vor und die Interviews wurden anonymisiert.
Additional information
Der Titel des vorliegenden Beitrags wurde in Anlehnung an das Lied „Neue Männer braucht das Land“ von Ina Deter aus dem Jahr 1982 gewählt.
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Dosch, E.C. „Neue Männer hat das Land“. Z Gerontol Geriat 49, 679–684 (2016). https://doi.org/10.1007/s00391-016-1145-7
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