Versorgungsgestaltung angesichts regionaler Unterschiede

Bemühungen zur Weiterentwicklung von Versorgungsstrukturen sind in Deutschland vor allem darauf konzentriert, allgemeine Strukturdefizite zu beheben und die Versorgung insgesamt an die Herausforderungen anzupassen, die mit der demographischen Alterung, dem Wandel des Krankheitspanoramas und den damit einhergehenden Veränderungen des Versorgungs- und Pflegebedarfs entstanden sind. Mittlerweile zeichnet sich ab, dass dabei regionalen und sozialräumlichen Unterschieden mehr Aufmerksamkeit zu schenken ist. Denn sowohl die aktuell viel diskutierten Versorgungsprobleme in ländlich-strukturschwachen Gebieten wie auch das Nebeneinander von Unter- und Überversorgung in Ballungsräumen und Städten verweisen auf eine zunehmende Schieflage zwischen der Bedarfsentwicklung und den gegebenen Versorgungsstrukturen. Um zu einer bedarfsgerechten Weiterentwicklung der Versorgung zu gelangen, sind somit regionale Unterschiede stärker zu beachten. Vor welchen Herausforderungen und Voraussetzungen derart regional differenzierte Ansätze stehen, ist Thema dieses Beitrags, der den Charakter einer literaturgestützten Problemanalyse hat. Zunächst werden regionale Unterschiede der demographischen und epidemiologischen Entwicklung skizziert und anschließend Hürden aufgezeigt, die der Realisierung regional differenzierter Versorgungsstrukturen entgegenstehen.

Regionale demographische und epidemiologische Unterschiede

Für Deutschland wird ein Rückgang der Bevölkerung von 82 Mio. Menschen im Jahr 2008 auf voraussichtlich rund 77 Mio. bis 2030 prognostiziert. Knapp 30% der Bevölkerung wird dann 65 Jahre und älter sein, wobei der Zuwachs der hochaltrigen Menschen überdurchschnittlich hoch ausfallen wird. Allein von 1991/93 bis 2006/08 ist die fernere Lebenserwartung der 65-Jährigen um rund 2,6 Jahre gestiegen. Die 65-Jährigen werden nach konservativen Schätzungen im Jahr 2060 im Durchschnitt noch einmal rund 5 Jahre länger leben als heute [8, 28].

Obwohl im jungen Alter die Zahl derjenigen wächst, deren Leben relativ „gesund“ und beschwerdefrei verläuft, steigt im hohen Alter noch immer die Wahrscheinlichkeit von Gesundheitseinbußen, vor allem von chronischen Krankheiten. Neben Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Beeinträchtigungen des Bewegungsapparats und Krebserkrankungen gewinnen demenzielle Erkrankungen an Bedeutung [9]. Doch nicht nur die Wahrscheinlichkeit von chronischer Erkrankung und Multimorbidität steigt, sondern auch das Risiko von Hilfs- und Pflegebedürftigkeit. Während bereits knapp 20% der 80- bis unter 85-Jährigen unter Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI leiden, sind es bei den über 90-Jährigen sogar ca. 59% [29]. Zu erwarten ist, dass sich die Zahl pflegebedürftiger Menschen künftig erhöht und bis zum Jahr 2050 nahezu verdoppelt [27].

Bislang zu wenig beachtet wurde, dass Krankheits- und Pflegerisiken räumlich ungleich verteilt sind und von Bundesland zu Bundesland sowie von Kommune zu Kommune variieren können, wie sich schon heute anhand der Verteilung der Morbiditäts- und Pflegelast der Bevölkerung zeigt [21, 26]. Ursächlich ist dies v. a. auf den regional ungleichförmig verlaufenden Altersstrukturwandel, regionale Bevölkerungsbewegungen und die soziale und sozialräumliche Ungleichverteilung der Morbiditätsrisiken in der Bevölkerung zurückzuführen. So wird im Bundesdurchschnitt ein Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen bis 2030 um voraussichtlich 50% erwartet, in den Bundesländern weisen die prognostizierten Zuwachsraten jedoch eine Spannbreite von 34,2% in Bremen bis 71,6% in Brandenburg auf [27]. In den ostdeutschen Bundesländern wird dieses Phänomen zusehends wahrgenommen [1, 7], insgesamt aber ist die Diskussion noch zurückhaltend. Das gilt auch für die kommunale Ebene: Eine differenzierte regionale Betrachtung unterhalb der Landesebene ist die Ausnahme. Dabei sind die Unterschiede zwischen den Kommunen stärker ausgeprägt als jene zwischen den Bundesländern. Exemplarisch zeigt dies ein Vergleich der von 2007 bis 2030 prognostizierten Zuwachsraten an Pflegebedürftigen in den Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Sie liegen etwa in Hagen bei 12,4% und in Gelsenkirchen bei 13,7%, wohingegen im Kreis Coesfeld ein Anstieg um 81,4% erwartet wird. Generell fallen die Zuwachsraten in den Kreisen höher aus als in kreisfreien Städten [4]. Wie Siewert et al. [25] für Mecklenburg-Vorpommern aufgezeigt haben, wird sich auch das Aufkommen von chronischen, altersassoziierten ErkrankungenFootnote 1 künftig zwischen den Kommunen stark unterscheiden. Beispielsweise wird bis zum Jahr 2020 für den Landkreis Uecker-Randow eine Abnahme der Fallzahlen von Hypertonie um etwa 4% prognostiziert, während im Landkreis Doberan eine Zunahme um knapp 29% zu erwarten ist. Die Prävalenz von Demenz wird im Landkreis Demmin etwas über 60% ansteigen, in Neubrandenburg sogar um mehr als 140%.Footnote 2

Zu erwarten ist, dass der fortschreitende demographische Wandel und auch die regionalen Bevölkerungswanderungen und Segregationsprozesse bestehende Disparitäten verschärfen werden. Das Spektrum reicht von rapide schrumpfenden Kommunen mit dynamisch ansteigender Altenbevölkerung bis hin zu Kommunen, die verbunden mit wirtschaftlicher Prosperität ein stabiles Wachstum der „jungen“ Bevölkerung aufweisen. Hier zeichnet sich einerseits ein Spannungsfeld zwischen den dichter besiedelten Zentralräumen und dünn besiedelten Peripherräumen ab [2]. Andererseits können große Varianzen auf der kleinräumigen Ebene von Quartieren nicht übersehen werden [24], wobei nicht nur der örtlich unterschiedlich verlaufende Altersstrukturwandel, sondern auch die Morbiditätsentwicklung zu beachten ist. Denn auch im höheren Alter setzt sich die ungleiche Verteilung gesundheitlicher und sozialer Ressourcen fort und dies schlägt sich auch in den Sozialräumen nieder. Also variieren der Gesundheitsstatus und gesundheitliche Einbußen regional und hängen überdies stark vom sozioökonomischen Status der Einwohner einer Region oder eines Stadtteils ab [15, 17, 30]. Benachteiligte Regionen und Quartiere bedürfen aber auch deshalb besonderer Aufmerksamkeit, weil der Zugang zu Einrichtungen oftmals durch räumliche („spatial access“) sowie soziale Barrieren („social access“) erschwert ist [6, 12].

Regionale Unterschiede in der Versorgungsstruktur

Dass die zur Verfügung stehenden Versorgungsstrukturen nicht mit den soziodemographischen Entwicklungen und der ungleichen Verteilung der Krankheits- und Pflegelast in der Bevölkerung sowie den sich daraus ergebenden Problem- und Bedarfslagen Schritt halten, wird seit geraumer Zeit diskutiert. Dabei wird vor allem Unter-, Über- und Fehlversorgung im Vertragsarztbereich thematisiert. Diese lassen sich in Deutschland nicht nur in geographisch weitläufigen Regionen ausmachen (Stichwort: Nordost-Südwest-Gefälle), sondern auch in kleinräumigen Schieflagen [10]. So verläuft der Gradient der Ärztedichte innerhalb der Städte von überversorgten, meist sozial privilegierten, zu unterversorgten, benachteiligten Stadtteilen. Ähnliche Disparitäten können auch in den Landkreisen beobachtet werden. Bereits 2007 haben Kistemann u. Schröer [13] für den nach Maßstäben der kassenärztlichen Bedarfsplanung als überversorgt geltenden Rhein-Erft-Kreis gezeigt, dass die Arztpraxen im Kreisgebiet in Richtung Köln-Bonn konzentriert sind, während sich in peripheren Gebieten des Kreises Unterversorgung abzeichnet. Ähnliche Ergebnisse beschreiben Baumgardt u. Reiners [1] für Brandenburg. Hinzu kommen Unterschiede bei der akutstationären Versorgung, denn besonders in ländlichen Regionen wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Krankenhäuser geschlossen − eine Entwicklung, die weiter voranschreiten dürfte. Welche Konsequenzen aus ihr erwachsen, ist umstritten: Postuliert wird u. a., dass die drohende Entstehung unterversorgter Gebiete dadurch verstärkt wird [23]. Außerdem sind zunehmende Entfernungen zu medizinischen Einrichtungen angesichts des Anstiegs älterer und auch immobiler Menschen und des Abbaus von Angeboten des öffentlichen Personennahverkehrs auf dem Land problematisch.

Auch Versorgungsangebote für hilfe- und pflegebedürftige Menschen sind in Deutschland durch regionale Unterschiede gekennzeichnet, ohne dass auf Anhieb ein Zusammenhang mit dem Bedarf der Bevölkerung erkennbar wäre. Noch fehlt es an einer systematischen, räumlich differenzierten Bestandsaufnahme und einer Analyse der pflegerischen Versorgung, die auch Dienste im Umfeld von Pflege (z. B. Beratung, niedrigschwellige Betreuung, hauswirtschaftliche Versorgung, Wohnen etc.) einschließt. Doch sind bereits heute im Verhältnis von ambulanten und stationären Pflegekapazitäten Schieflagen erkennbar [22, 26]. Wie heterogen der Entwicklungsstand in den Kommunen ist, zeigt überdies ein Blick in kommunale Alten- und Pflegeberichte. Das Engagement in der Alten- und Pflegeplanung in den Kommunen ist recht disparat und eher durch unterschiedliche Schwerpunkte in der Gesundheits- und Sozialpolitik als durch Bedarfsgesichtspunkte gekennzeichnet [5, 18]. Zwar gibt es einige Kommunen, die sich in den letzten Jahren verstärkt im Bereich der Altenhilfe und Pflege engagieren, doch generell dürfte gelten, dass ausdifferenzierte Angebotsstrukturen für alte und pflegebedürftige Menschen eher in den Zentren, kaum jedoch in kleineren Städten und Gemeinden entwickelt sind [11].

Insgesamt erweist sich als Problem, dass es an regional differenzierten Analysen der gegebenen Versorgungs- und Pflegestrukturen und ihrer Bedarfsgerechtigkeit fehlt. Mehr noch, es mangelt sogar bereits an gemeinsamen konzeptionellen Vorstellungen und Standards, auf deren Basis bestehende regionale Unterschiede überhaupt erfasst und analysiert werden könnten. Die wenigen vorliegenden Studien gehen meist nicht über die Daten der Pflegestatistik hinaus. Für eine differenzierte Beurteilung der jeweiligen kommunalen bzw. regionalen Versorgung pflegebedürftiger und meist älterer Menschen reicht dies aber nicht aus.

Regionalität als Leitfigur zur Neuausrichtung der Versorgungsstrukturen?

Einige der zuvor skizzierten Herausforderungen wurden inzwischen erkannt und zum Gegenstand von Diskussionen erhoben. So begrüßenswert das ist, so sehr lässt die gegenwärtige Auseinandersetzung mit dem Thema der regional differenzierten Versorgung aus unserer Sicht eine Perspektivenverengung erkennen, denn meist wird sozialrechtlichen oder sektoralen Logiken gefolgt. Dies wird weder dem häufig vielschichtigen und komplexen Unterstützungsbedarf pflegebedürftiger Menschen noch bestehenden regionalen Bedarfsunterschieden gerecht.

So konzentriert sich die Diskussion der Gesundheitsversorgung auf das SGB V und dabei vor allem auf den „Landärztemangel“ und die möglichst gleichmäßige, an Anhaltszahlen orientierte Bereitstellung primärärztlicher Versorgungsangebote. Mit dem Versorgungsstrukturgesetz wurden neue Steuerungsinstrumente zur Verfügung gestellt, mit denen regionale primärärztliche Versorgungslücken vermieden bzw. der Fehlverteilung von Arztsitzen entgegengewirkt werden soll. Den Kommunen wurden dabei Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Auch die Novellierung der ärztlichen Bedarfsplanung wurde auf den Weg gebracht, wobei künftig ein Abgleich mit der Alters- und Morbiditätsstruktur der Bevölkerung in kleinräumiger angelegten Planungsregionen vorgenommen werden soll. Darüber hinaus werden in jüngster Zeit anhand ausgewählter Indikatoren auch regionale Varianzen des medizinischen Leistungsgeschehens erfasst, dokumentiert und problematisiert (z. B. http://www.versorgungsatlas.de, http://www.faktencheck-gesundheit.de). Andere Leistungserbringer gemäß SGB V und deren Beiträge zur Gesundheitsversorgung, etwa die häusliche Sicherstellungs- und Behandlungspflege oder Physio- und Ergotherapie, geraten bei all dem noch kaum ins Blickfeld.

Anders als im vertragsärztlichen Bereich oder auch im Rahmen der Krankenhausbedarfsplanung wurden in der pflegerischen Versorgung mit der Einführung des SGB XI öffentliche Steuerungsinstrumente der regionalen Differenzierung von Versorgungsangeboten abgebaut und frühere Bedarfsplanungsansätze zugunsten einer Ausrichtung an Markt und Wettbewerb aufgegeben [3, 14]. Zwar sind die Länder, und dort meist in Kooperation mit den Kommunen, für die Bereitstellung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur verantwortlich (§ 9 SGB XI). Auch haben sich einige Kommunen, teils unterstützt durch die Politik der Länder, auf den Weg gemacht, mit dem regionalen Bedarf korrespondierende Planungsmöglichkeiten auszuloten [16, 20]. Allerdings reiben sich diese Vorhaben an den mit Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes gegebenen Zielvorstellungen.

Nach nunmehr über 15-jähriger Erfahrung zeigt sich, dass ein bedarfsgerechter Ausbau der pflegerischen Versorgung bestenfalls bedingt erfolgreich war, sei es, weil der Wettbewerb sich noch nicht hinreichend entfalten konnte oder weil – so die gegenteilige Position – Wettbewerbs-, Markt- und Bedarfsgesichtspunkte eben doch nicht ohne Weiteres miteinander in Einklang zu bringen sind. Das Für und Wider der verschiedenen Positionen soll hier nicht vertieft werden. Wichtig erscheint aber der Hinweis darauf, dass Nachfrage- und Bedarfsorientierung nicht identisch sind und soziale und räumliche Faktoren bei der Planung nur selten die ihnen gebührende Aufmerksamkeit erfahren. Auch spezielle gesundheitliche Problemlagen und der Bedarf an spezialisierter pflegerischer Versorgung (z. B. in kritischen Krankheitsphasen und am Ende des Lebens) werden selten ausreichend berücksichtigt.

Hürden regional differenzierter Versorgung

Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, stehen einer regional differenzierten und somit bedarfsgerechten Versorgung in Deutschland zahlreiche Hürden entgegen. Nicht nur mangelt es an hinreichend aussagekräftigen Daten zu den bevölkerungsbezogenen Bedarfs- und Problemlagen, sondern auch an Informationen über die regional bereitgestellten Versorgungsstrukturen und Leistungen. Zudem bedarf es auch einer Verständigung über geeignete Planungsinstrumente. In diesem Zusammenhang sind die nachfolgend aufgeführten Aspekte bedenkenswert.

Mangel an integrierten sektorenübergreifenden Handlungsansätzen und Modellen

Wenngleich in verschiedenen Sozialgesetzen geregelt, unterschiedlichen Traditionen verhaftet und Planungsphilosophien folgend, stehen die medizinische und pflegerische Versorgung in Deutschland letztlich vor identischen Herausforderungen: Beide sind gefordert, regional differenzierte Versorgungsstrukturen zu entwickeln, die der Zunahme älterer, chronisch kranker und pflegebedürftiger Menschen mit meist vielschichtigem und langfristigem Versorgungsbedarf entsprechen und auch Präventionsstrategien einschließen. Gemessen an der Leitidee einer bedarfsgerechten Versorgung ist es problematisch, wenn Versorgungsstrukturen, die auf identische Patienten- oder Nutzergruppen zielen, nebeneinander und ohne gemeinsames Problemverständnis und abgestimmtes Handlungskonzept (weiter)entwickelt werden. Hier wird von den Akteuren künftig auf eine umfassende (also präventive, kurative, rehabilitative, palliative, gesundheitliche und soziale), vernetzte Versorgung hinzuwirken sein, die den jeweiligen sozialräumlichen Voraussetzungen und Bedarfslagen entspricht und nicht an den Sektorengrenzen endet. Obwohl diese Forderung schon viele Jahre im Raum steht, gelingt deren Umsetzung nur zögerlich.

Mangel an Zielvisionen

Die Entwicklung regional differenzierter Versorgungsangebote setzt darüber hinaus Zielvisionen auf der lokal-regionalen Ebene voraus. Doch eben diese fehlen vielfach. Oft werden neue Modelle im urbanen Raum entwickelt und erprobt, während die spezifischen Probleme und Möglichkeiten in angrenzenden suburbanen oder ländlichen Regionen unberücksichtigt bleiben. Übersehen wird, dass durch das Zusammentreffen von Alterung, Schrumpfung der Bevölkerung und wirtschaftlicher Strukturschwäche oft die gesamte gesundheitliche und soziale Infrastruktur einer Region oder Kommune tangiert ist. Benötigt werden übergreifend angelegte sowie bürgernahe, auf Partizipation und Integration ausgerichtete Ansätze der quartiers- oder wohnortnahen Versorgung. Auch das Zusammenspiel mit der Unterstützung durch Angehörige und engagierte Bürger ist neu auszuloten mit dem Anspruch, die gesamte Bandbreite des regional/kommunal vorhandenen Bedarfs abzudecken. Geht es um Zielvisionen für eine regional differenzierte Versorgung, dürfte außerdem lohnend sein, internationale Erfahrungen aufzuarbeiten. In vielen Ländern (z. B. USA, Kanada, Skandinavien, Australien, Japan) werden regional-kommunale Versorgungsmodelle im ländlichen Raum schon seit vielen Jahren intensiv diskutiert. Diese Modelle zu analysieren und sorgfältig auf ihre Übertragbarkeit auf hiesige Verhältnisse zu prüfen, ist eine überfällige wissenschaftliche Aufgabe.

Mangel an handhabbaren Assessment-Instrumenten

Voraussetzung für die Ermöglichung einer regional differenzierten Versorgungsplanung, die auch die Gesundheitserhaltung der Bevölkerung im Blick hat und präventive Gesichtspunkte einschließt, ist ein kontinuierliches kleinräumiges Monitoring der regionalen Bevölkerungsentwicklung, der Krankheits- und Pflegelast und des daraus erwachsenen Versorgungs- und Pflegebedarfs sowie der gegebenen Versorgungsstrukturen. Dabei ist zu beachten, dass die Versorgung nicht allein durch die professionellen Akteure sichergestellt wird. Auch informelle Helfer, also die Unterstützungsleistungen durch Familien und Wahlfamilien, persönliche Netze, durch bürgerschaftliches Engagement etc. sind zu beachten. Ein solches Monitoring ist notwendig, um die Bedarfsgerechtigkeit der vorhandenen Versorgungsstrukturen überprüfen, mögliche Versorgungslücken und Fehlentwicklungen aufdecken sowie die regionalen Versorgungsstrukturen entsprechend anpassen und weiterentwickeln zu können („community health assessment and planning“).

Noch aber fehlt es in Deutschland an handhabbaren Instrumenten für ein systematisches Monitoring der örtlichen Bedarfs- und Versorgungssituation, ebenso an aussagekräftigen Daten [14, 19]. Zwar wurden in jüngerer Zeit einige Instrumente und Indikatoren zur Demographie-, Alten- und Pflegeplanung vorgelegt [16, 20]. Jedoch greifen die vorhandenen Ansätze zu kurz. Das gilt beispielsweise für die Pflegeplanung, deren Fokus sich in den vorliegenden Instrumenten primär auf das Leistungsgeschehen im SGB XI richtet und daher den bevölkerungsbezogenen Bedarf an gesundheitlicher, pflegerischer und sozialer Unterstützung sowie die Beurteilung der Bedarfsangemessenheit der regionalen Versorgungsinfrastruktur zu wenig beachtet. Generell existieren zudem kaum evaluierte Instrumente, weshalb (international abgestimmte) Aktivitäten im Bereich der Instrumentenentwicklung mehr Aufmerksamkeit verdienen.

Mangel an Wissen um Planungsmöglichkeiten

Weitere Hürden auf dem Weg zu einer regional differenzierten Versorgung stellen Unklarheiten über Planungsmöglichkeiten, die Entfaltung von Planungskompetenz und auch die geeignete Einbettung und Nutzung von Instrumenten für die Versorgungsplanung vor Ort dar [19]. Die Schwierigkeit der Kommunen, Planung zu gestalten, erklärt sich aus der zuvor skizzierten Abkehr von klassischen Bedarfsplanungsansätzen in der Pflege und der Einführung von Markt- und Wettbewerbssteuerung sowie dem generell durch das SGB XI eingeleiteten Kompetenzverlust der Kommunen in der Pflegepolitik. Die Neubestimmung kommunaler Gestaltungsmöglichkeiten führt weg von einem technokratischen Verständnis von Planung, das als Top-down-Steuerung angelegt war, hin zu einem dialogischen und partizipativen Planungsprozess, in den die am Versorgungsgeschehen beteiligten Akteure, Vertreter von Selbsthilfegruppen, Seniorenorganisationen und andere Betroffenen- und Interessengruppen („greater involvement“) einbezogen sind und in dem die Kommunen Moderationsfunktion einnehmen. Zwar wird dieser Wandel in der Planungsliteratur mittlerweile vermehrt reflektiert. Aber noch fehlt es an Wissen darüber, wie unter den gegebenen Rahmenbedingungen vor Ort ein „bottom-up“-orientierter, partizipativer Planungsprozess verlaufen kann und sollte, was förderliche und hemmende Faktoren sind und welche Hilfestellungen die Akteure auf dem Weg zu einem bedeutungsvollen Planungsprozess benötigen. Dieses Wissen ist aber erforderlich, um Voraussetzungen für die Implementation von Planungsinstrumenten und neue Versorgungsmodelle identifizieren und den Kommunen als Hilfestellung an die Hand geben zu können.

Fazit

Die Entwicklung bedarfsgerechter, regional differenzierter und quartiersnaher Versorgungsstrukturen stellt nicht nur eine an Bedeutung gewinnende Herausforderung für Politik und Praxis dar. Sie geht auf wissenschaftlicher Ebene auch mit zahlreichen anspruchsvollen Aufgaben einher, sei es im Bereich der vergleichenden Gesundheitssystemforschung, der Konzept- und Modellentwicklung, der Instrumentenentwicklung oder der Generierung geeigneter, umfassender Planungsdaten. Kurzfristiges Ziel sollte es sein, die erforderliche Wissens- und Datenbasis zu schaffen, die für die Realisierung regional differenzierter Versorgungsstrukturen in Deutschland benötigt werden. Erst auf dieser Grundlage kann eine angemessene Konzeptentwicklung erfolgen, die dann wiederum als Richtschnur für die systematische mittel- und langfristige Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen dienen kann.