Angesichts des demographischen sozialen Wandels gehören die Fragen, wie dem aktuellen und künftigen Unterstützungsbedarf der auf Pflege angewiesenen Menschen begegnet werden soll, zu den zentralen Fragen der kommunalen Daseinssorge.

Vor Inkrafttreten des Pflegeversicherungsgesetzes 1994 lag die Verantwortung für die Infrastrukturentwicklung im Bereich der ambulanten und stationären Pflege allein bei Ländern und Kommunen, eingeschränkt bei den gesetzlichen Krankenkassen, soweit es sich um den Leistungsbereich der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 SGB V handelte. Im ambulanten Bereich wurden höchst differente Konzepte der Infrastrukturentwicklung und Strukturierung der häuslichen Hilfen für ältere und auf Pflege angewiesene Menschen gewählt. Im stationären Bereich wurde in allen Bundesländern, wenngleich mit höchst unterschiedlichen Bedarfsrichtwerten, eine Bedarfsplanung mit dem goldenen Zügel praktiziert, durch die maßgeblich die faktische Infrastrukturentwicklung hinsichtlich der Alten- und Pflegeheime bestimmt wurde [1, 8, 9]. Ähnlich wie im Krankenhausbereich, der durch eine duale Finanzierung den staatlichen Einfluss auf die Krankenhausplanung sichert, galt dies bis zum Inkrafttreten des SGB XI auch für den Alten- und Pflegeheimbereich. Die kommunalen Altenpläne beschäftigten sich wesentlich mit der Ermittlung der Bedarfszahlen auf der Basis landesrechtlich vorgegebener Richtwerte [1]. Die Kommunen waren in einem korporatistischen Planungssetting jeweils Mitfinanciers der Infrastruktur im Bereich der stationären Alten- und Pflegehilfe und insofern maßgeblich beteiligt und interessiert an der Bedarfsermittlung.

Auch das am Marktprinzip orientierte Konzept der Pflegeversicherung sieht weithin eine Verantwortung der Länder für die Vorhaltung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur vor (§ 9 SGB XI). Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die Länder (und mit ihnen die Kommunen) weiterhin zu ihrer Infrastrukturverantwortung stehen und durch entsprechende Investitionskostenförderung mit einen Beitrag dazu leisten werden, dass sowohl eine ausreichende Pflegeinfrastruktur vorgehalten wird als auch die Pflege durch den Beitrag der Investitionsförderung für die Bevölkerung bezahlbar bleibt und nicht in der Breite Sozialhilfe in Anspruch genommen werden muss. Alle Bundesländer haben nach Einführung der Pflegeversicherung Landespflegegesetze verabschiedet, die überwiegend in der Tradition ihrer bisherigen Bedarfsplanung auf Richtwerte gestützte Pflegeheimpläne, zumeist auf Kreisebene vorsahen [1]. Einige Bundesländer ergänzten die sog. Objektförderung, die Investitionsförderung für den Bau und die Modernisierung von stationären Pflegeeinrichtungen, durch eine sog. Subjektförderung, die Gewährung von Pflegewohngeld für Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen, um Sozialhilfebedürftigkeit auszuschließen oder zu minimieren [1].

Die zunehmende Kritik an der klassischen Bedarfsrichtwertekonzeption änderte auch die Bedarfsplanungsverfahren.

Die Kritik aufnehmend erprobte Nordrhein-Westfalen für einige Jahre einen indikatorengestützten Planungsansatz, der die spezifischen Konstellationen in den Kommunen und Kreisen besser würdigen sollte [15]. Diese sensible, auf örtliche Bedingungen reagierende kommunale Altenplanung setzte sich in der Folge in der Altenplanungsdiskussion in Deutschland weiterhin durch [1]. Mit zwei Problemen wurde die kommunale Pflegeinfrastrukturplanung konfrontiert: Zum einen reichten die klassischen Bedarfsrichtwerte für eine regional und kommunal angepasste Planung nicht mehr aus. Zu unterschiedlich waren die soziodemographischen Strukturen, zu unterschiedlich auch die ökonomischen und kulturellen Rahmenbedingungen, die Bedarfs- und Nachfrageentwicklung maßgeblich mitbeeinflussen. Zum anderen wurden durch Einführung der Pflegeversicherung und durch die mit dem Pflegeversicherungsrecht im Pflegemarkt zur Geltung gebrachten europarechtlichen Prinzipien der Marktöffnung und Wettbewerbsneutralität, die Einflussmöglichkeiten von Ländern und Kommunen auf die Infrastrukturentwicklung und den Bau von einzelnen stationären Pflegeeinrichtungen deutlich begrenzt bis marginalisiert. Maßgeblich war hier das Urteil des Bundessozialgerichtes vom Juni 2001 (Aktenzeichen B 3 P9/00R), das in der Praxis der Bedarfsplanung im Rahmen der Investitionskostenförderung einen unzulässigen Eingriff in die Berufsfreiheit nach Artikel 12 GG sah. Der kommunalen Bedarfsplanung wurde damit der goldene Zügel entzogen.

Wer wann wo investiert, entscheidet das Kalkül der Marktakteure [11].

Ein Überangebot von Pflegeeinrichtungen und -diensten war mit der Einführung der Pflegeversicherung durchaus intendiert, auch um die Wahloptionen der Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich der Pflegedienste und -einrichtungen zu erhöhen und den Wettbewerb der Einrichtungen zu stärken [1]. Während es in den neuen Bundesländern durch die Aufbau-Ost-Hilfe insbesondere für stationäre Pflegeeinrichtungen noch vergleichsweise lange einen Einfluss der Länder und Kommunen auf die Infrastrukturentwicklung gab, minimierte sich dieser in den alten Bundesländern und stellte Kommunen und Länder vor die Frage, wie sie ihre Infrastrukturverantwortung und ihre sozialpolitischen Anliegen im Bereich der Pflege wahrnehmen und umsetzen sollten. Das seit Jahren anhaltende Interesse von Investoren am Senioren- und Pflegemarkt zeigt, dass auch ohne staatliche Förderung privat betriebene Pflegeeinrichtung die Renditeerwartungen erfüllen und betriebswirtschaftlich profitabel geführt werden können. Diese Entwicklung hat inzwischen in fast allen Ballungsgebieten zu Überkapazitäten an stationären PflegeplätzenFootnote 1 geführt, während in manchen ländlichen Regionen eine Unterversorgung droht.

In Ballungsgebieten gibt es Überkapazität an stationären Pflegeplätzen

Vor diesem Hintergrund stellen sich für die Landespolitik und für die Praxis kommunaler Planung zwei wesentliche Fragen: Wie lässt sich der Bedarf an Pflegeeinrichtungen und -diensten fachlich adäquat und differenziert bestimmen, um eine belastbare Grundlage für die Diskussion um eine bedarfsgerechte infrastrukturelle Entwicklung zu erlangen? Welche Instrumente der Bedarfsplanung bzw. der Infrastrukturentwicklung kann das Land zur Verfügung stellen und können die Kommunen im Rahmen ihrer kommunalpolitischen Handlungsmöglichkeiten nutzen?

Pflegestrukturplanung Rheinland-Pfalz

Das Land Rheinland-Pfalz hat sich diesen Fragen in einer Neuausrichtung seiner Pflegepolitik gewidmet und einen Planungsansatz entwickeln lassen, der den Kommunen und Landkreisen Methoden für eine sozialräumliche und beteiligungsorientierte Pflegestrukturplanung bereitstellt [10] und eine verbesserte Koordination informeller und formeller Hilfen vor Ort, im Quartier und in der Gemeinde erreichen will [23]. Teil dieses beteiligungsorientierten Planungsansatzes ist die Empfehlung, die empirischen Grundlagen der Pflegeinfrastrukturplanung in den Kommunen und Landkreisen in einem landeseinheitlichen Verfahren zu erheben. Damit folgt das Land Rheinland-Pfalz einem Planungsansatz, der die Datenlage verbunden mit Fachexpertise in einem partizipativen Planungsprozess auf der kommunalen Ebene einbindet (zum sog. Planungsdreieck s. [11].

Auch ohne Objektförderung verpflichten die meisten Landespflegegesetze die Landkreise und kreisfreien Städte zur Bedarfsplanung und Infrastrukturentwicklung, nun als Aufgabe der kommunalen Selbstverwaltung. Bisher hat sich aber kein überregionaler Diskurs darüber entwickelt, mit welchen Methoden und Indikatoren die kommunale Pflegebedarfsplanung angesichts eines wettbewerbsorientierten Pflegemarktes erfolgen kann, d. h. wie das Kriterium einer ausreichenden pflegerischen Versorgungsstruktur überhaupt zu bemessen ist. Sofern die kommunalen Gebietskörperschaften überhaupt eine Pflegebedarfsplanung vornehmenFootnote 2, tun sie dies jeweils solitär für ihre Gebietskörperschaft. Entsprechend vielfältig zeigt sich die gegenwärtige kommunale Altenhilfe- bzw. Pflegebedarfsplanung. Marktveränderungen und Nutzungsverhalten der Betroffenen lassen sich sozialräumlich nicht analysieren, weil es bisher an den erforderlichen Beobachtungskonzepten und -instrumenten fehlt bzw. diese nicht einheitlich eingesetzt werden.

Im Zuge des Landesgesetzes zur Sicherstellung und Weiterentwicklung der pflegerischen Angebotsstruktur (LPflegeASG) [6] hat Rheinland-Pfalz Empfehlungen zur Pflegestrukturplanung (§ 3 Abs. 2 LPflegeASG) [10] entwickeln lassen und im Rahmen des Projektes „Modellkommunen Pflegestrukturplanung“ erprobt. Das Konzept setzt auf eine beteiligungsorientierte Planung und verfolgt einen sozialräumlichen Ansatz. Bewusst wird dabei nicht mehr von Pflegebedarfsplanung gesprochen, sondern der Terminus „Pflegestrukturplanung“ verwendet. Ziel ist es nun nicht mehr, normativ Bedarfe (z. B. Zahl der Pflegebetten) vorzugeben, sondern ein landeseinheitliches Indikatorensystem der Beobachtung zu etablieren.

Ziel ist ein landeseinheitliches Indikatorensystem der Beobachtung

Erstmals steht den Kommunen und Landkreisen ein gemeinsam entwickelter Datenreport für die Sozialraumanalyse zur Verfügung, dessen Indikatorentableau auch Vergleiche mit anderen Gebietskörperschaften ermöglicht. Der Datenreport baut dabei auf drei Säulen auf: Nutzerstruktur, Infrastruktur, Bevölkerungsstruktur.

Die Nutzerstruktur differenziert die Personen nach der Art der Inanspruchnahme von Pflegeleistungen und der Nutzung von Angeboten des Servicewohnens.

Die Infrastruktur erhebt die Daten zu den Einsatzstunden der ambulanten Dienste und hauswirtschaftlichen Hilfen und den Angeboten der teilstationären und stationären Pflegeplätze sowie zum Angebot an unterstützenden/alternativen Wohnformen.

Die Bevölkerungsstruktur differenziert nach Alterskohorten und wertet die Bevölkerungsprognose nach dem Verhältnis der Hochaltrigen (80+) zu den 40- bis 60-Jährigen aus, dem sog. Pflegepotenzial [3].

Mit dieser Datenstruktur lässt sich eine regelmäßige SozialraumanalyseFootnote 3 realisieren, die sowohl Markt- wie Nachfrageentwicklungen im Bereich der Pflege und der unterstützenden Dienstleistungen nachzeichnen kann und über das Indikatorentableau einen Vergleich verschiedener Sozialräume ermöglicht.

Für Pflegearrangements gibt es noch keine regionalisierbaren Daten

Während im Bereich der Infra- und Bevölkerungsstruktur ein Raumbezug mit vergleichsweise wenig Aufwand auf der Ebene der Gemeinden, Stadtteile und Quartiere herstellen lässt, ist dies bei der Nutzerstruktur ungleich schwieriger, da im Bereich der PflegearrangementsFootnote 4 bisher keine regionalisierbaren Daten vorliegen. Im Projekt „Modellkommunen Pflegestrukturplanung“ wurde hierfür ein neuer Weg eingeschlagen.

Pflegemonitoring

Die Bundespflegestatistik (§ 109 SGB XI) lässt bisher nicht zu, Pflegebedürftige nach ihrem Wohnort zu differenzieren. Dies liegt am Verfahren der Erhebung: Während die Daten der Geldleistungsnehmer und -nehmerinnen von den Spitzenverbänden der Pflegekassen mit dem Merkmal der PostleitzahlFootnote 5 an das Bundesamt für Statistik gemeldet werden, wird in der Pflegedienstleistungsstatistik auf dieses Merkmal verzichtet. Die ambulanten Dienste und stationären Einrichtungen melden in anonymisierter Form lediglich die Zahl der Pflegebedürftigen mit den Merkmalen Alter und Art des Leistungsbezuges.

Ein individualisierter Ortsbezug wird in der Pflegesachleitungsstatistik nicht hergestellt.

Die von den statistischen Landesämtern und dem Bundesamt veröffentlichten Kreisvergleiche ordnen die Pflegebedürftigen mit Sachbezug deshalb dem Standort des Dienstleisters [22] zu. Dieses Verfahren ist durch die unterschiedlichen DatenquellenFootnote 6 und die Zuordnung der Pflegebedürftigen zum Standort des Dienstleisters für Regionalanalysen unpräzise, gleichwohl bisher aber das einzig verfügbare regionalisierte Datenmaterial zur Pflege.

Für die kommunale Pflegestrukturplanung, die sozialräumlich ausgerichtet sein sollte, ist dies in zweierlei Hinsicht unbefriedigend: Zum einen sind für eine wohnortnahe Versorgung valide Daten auf der Ebene der Gemeinden und Stadtteile erforderlich, zum anderen verschleiert die Zuordnung der Sachleistungsnehmer zum Standort des Dienstes oder des Pflegeheimes den Wohnort bzw. ehemaligen Wohnort der Pflegebedürftigen.

Im Projekt „Modellkommunen Pflegestrukturplanung“ wurde deshalb parallel zur Erhebung der Bundespflegestatistik im Dezember 2007 der Wohnort miterhoben. Die ambulanten Dienste und stationären Pflegeeinrichtungen ergänzten dabei die Angaben für die Bundesstatistik jeweils um die PostleitzahlFootnote 7 ihrer Kunden. Die Resonanz bei den Diensten und Pflegeeinrichtungen fiel überwiegend positiv aus, über 90% der Pflegedienstleister beteiligten sich an der Erhebung.

Dieses Ergebnis veranlasste das Land Rheinland-Pfalz, mit der Erhebung zur Bundespflegestatistik im Dezember 2009 die Postleitzahl auf freiwilliger Basis durch das Statistische Landesamt (mit)zuerfassen. 2010 werden damit für Rheinland-Pfalz landesweit erstmalig regionalisierte Daten zur sozialräumlichen Verteilung der Pflegebedürftigkeit und der Art der Inanspruchnahme von Pflegeversicherungsleistungen verfügbar sein. Für die kommunale Pflegestrukturplanung ist dies ein wesentlicher Schritt zu einer verbesserten Datenlage und der Einstieg in eine periodisch mögliche Sozialraumanalyse und Sozialberichterstattung.

2010 werden erstmalig regionalisierte Daten verfügbar sein

Mit dem Wohnortbezug lassen sich die Pflegebedürftigen den Postleitzahlenbezirken zuordnen. Dabei ist eine Differenzierung nach Alter, Geschlecht und Pflegeleistungsart möglich. Die Differenzierung nach Geld- und Sachleistung bzw. stationärer Versorgung wird zeigen, welche Pflegepräferenzen in den jeweiligen Gemeinden und Stadtteilen vorliegen. Die Piloterhebung zeigte hier erhebliche Differenzen zwischen den Gebietskörperschaften. Bei einer vergleichbaren Ausgangslage hinsichtlich der Geschlechts-, Alters- und Pflegestufenverteilung werden in der Stadt Speyer 46% der Pflegebedürftigen stationär versorgt, während im Landkreis Kusel nur 22% diese Leistungsart wählen (Abb. 1). Gleichzeitig zeigte die Auswertung des letzten privaten Wohnortes, dass diese Differenz nicht durch die Übersiedlung aus dem Umland in die Stadt zu begründen ist. Aus dem Nahraum (bis 10 km) der Einrichtungen kamen 86% der Pflegeheimbewohner (Abb. 2). Es sind die Speyerer Bürger selbst, die zur stationären Versorgungsform neigenFootnote 8.

Abb. 1
figure 1

Art der Pflegeleistung. RLP Rheinland-Pfalz

Abb. 2
figure 2

Stationäre Versorgungsdistanz im Vergleich

Im Gegenzug dazu weisen die Landkreise, wie zu erwarten, einen höheren Anteil an Geldleistungsnehmer/innen aus. Die exemplarische Auswertung zeigte aber, dass auch hier erhebliche Unterschiede bestehen. Während etwa der Anteil der Geldleistungsnehmer/innen im Donnersbergkreis kaum höher liegt als in der Stadt Speyer, wählen mit 59% der Pflegebedürftigen im Landkreis Kusel deutlich mehr Pflegebedürftige die Geldleistung.

Speziell für den stationären Bereich lässt sich mit der Postleitzahl des letzten privaten Wohnortes die Wohnortnähe des Pflegeheimes analysieren bzw. analysieren, inwiefern die Qualität Nähe zum letzten Wohnort bei der Wahl eines stationären Pflegeplatzes realisiert wurde. Auch diesbezüglich zeigten sich bisher unbekannte Zusammenhänge.

Nicht die städtische Region (Speyer) zeigte die höchste Quote der FernunterbringungFootnote 9, sondern ein Landkreis (Donnersbergkreis). Eine tiefere Analyse konnte zeigen, dass dieses Phänomen speziell auf zwei Einrichtungen zurückzuführen ist, deren Angebot sich an bestimmte Zielgruppen richtet.

Beteiligungsorientierte Planung

Die Zeiten der Subventionierung oder gar Zulassungsbeschränkung zum Pflegemarkt gehören der Vergangenheit an. Wollen die Länder und Kommunen weiterhin Einfluss auf die Pflegeinfrastruktur nehmen, müssen sie sich anderer Instrumente bedienen als des des „goldenen Zügels“. Im Sinne eines modernen, partizipativen Planungsansatzes [1, 9] werden die Fragen der pflegerischen Infrastrukturentwicklung zum Gegenstand eines breiten kommunalpolitischen und beteiligungsorientierten Diskurses, indem verlässliche empirische Daten (Pflegemonitoring) und fachliche Expertise (Wissensbestände über konzeptionelle Varianten der Versorgung von auf Teilhabesicherung und Pflege angewiesenen Menschen) in einen partizipativen beteiligungsorientierten Planungsstil eingebettet sind. Das Thema Pflege wird nicht einem Expertendiskurs überlassen, sondern als Thema, das alle angeht, zum Gegenstand des öffentlichen Diskurses.

Das Thema Pflege wird zum Gegenstand des öffentlichen Diskurses

Auf diese Weise können nicht nur Fragen der quantitativen Infrastrukturentwicklung, sondern auch die Diskussion um unterschiedliche Konzepte und Präferenzen der Bevölkerung zum Gegenstand kommunalpolitischer Diskussionen erhoben werden. Ein so verstandener Planungsansatz ist gekennzeichnet durch weiche Steuerungsinstrumente: Weder die Pflegekassen noch die Sozialhilfeträger können den Abschluss von Versorgungsverträgen mit Pflegeheimen und Pflegediensten verhindern. Ein beteiligungsorientierter Planungsansatz schafft aber ein anderes öffentliches Bewusstsein und zugleich Legitimationsdefizite für Träger von Einrichtungen, die sich einem solchen Diskurs nicht öffnen, sich an ihm nicht beteiligen.

Ein Beispiel bietet der Planungsprozess in der Gemeinde Oberfell im Landkreis Mayen-Koblenz, der im Rahmen des „Modellprojektes Pflegestrukturplanung“ [15] initiiert wurde. Oberfell, eine Winzergemeinde mit ca. 1200 Bürgern an der Mosel, bemühte sich schon seit Jahren um eine eigene Alten- und Pflegeeinrichtung. Aus Sicht des Kreises und wegen des Angebots an stationären Pflegeplätzen bestand aber regional kein Bedarf nach weiteren Pflegeplätzen. Eine Auftaktveranstaltung zur Zukunft der pflegerischen Versorgung für die Bürger von Oberfell, die vom Kreis, einem Träger und der Gemeinde organisiert wurde, fand bei ca. 250 Bürgern und Bürgerinnen Interesse. In den folgenden Workshops zur Bürgerbeteiligung zeigte sich, dass aus dieser Personengruppe ca. 50 Personen zur aktiven Mitarbeit bereit wären. Nach verschiedenen Entwürfen kristallisierte sich ein gemeinsam entwickeltes Konzept heraus. Das neue Landesgesetz für Wohnformen und Teilhabe (LWTG [6]) lässt in § 5 LWTG „Einrichtungen mit besonderer konzeptioneller Ausrichtung“ Abweichungen von den ansonsten geltenden Anforderungen zu.

Voraussetzung dieser Befreiung ist die Trennung der Wohnrechte von den Pflegeleistungen.

Diese müssen frei wählbar sein. Konzeptionell wird von einem unabhängigen Investor auf einem Grundstück der Gemeinde eine Immobilie gebaut, die 4 bis 6 Einheiten des betreuten Wohnens, 1 Begegnungsstätte und 1 Wohngruppe für 12 Pflegebedürftige mit demenzieller Erkrankung umfasst. Die Bürger von Oberfell gründen auf Initiative des Bürgermeisters einen Bürgerverein zur sozialen Unterstützung von Familien und Senioren, der ehrenamtliche und bezahlte haushaltsnahe Leistungen erbringen und sich auch in der Wohngruppe und im betreuten Wohnen engagieren soll. Der beteiligte Träger sichert die ambulante Pflege und organisiert zusammen mit dem Bürgerverein die Vermietung des betreuten Wohnens und die Alltagsversorgung in der Wohngruppe.

Diskussion

Mit der Einführung der Pflegeversicherung, den im Pflegemarkt zunehmend greifenden wettbewerblichen Spielregeln und angesichts der neuen, auch von Kommunen wahrgenommenen Bedeutung, steuernd auf die Pflegeinfrastrukturentwicklung sowohl qualitativ als auch quantitativ Einfluss zu nehmen, stellen sich neue Herausforderungen in der kommunalen Alten- und Pflegeplanung. Die Ansprüche in konzeptioneller Hinsicht haben sich deutlich weiterentwickelt, die Diversifizierung von Konzepten und Angeboten macht die Auseinandersetzung mit bestimmten Zielgruppen in der pflegerischen Versorgung zunehmend wichtiger.

Wichtig sind Partizipation und Mitentscheidung der Bürger

Der Aspekt der Partizipation und Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger auf kommunaler Ebene wurde zu einem für die kommunale Altenpolitik maßgeblichen Baustein kommunaler Sozialplanung und Kulturentwicklung. Kommunen sind angesichts der weggefallenen Instrumente klassischer Bedarfssteuerung nach Aufgabe der Investitionskostenförderung durch die Länder auf neue Strategien verwiesen, Gestaltungs- und Gewährleistungsaufgaben wahrzunehmen im Sinne einer ordnungspolitischen Neubestimmung des Verhältnisses von Staat, Markt und Engagement der Bürgerinnen und Bürger. Angesichts des Umstandes, dass kommunale Steuerung von zahlreichen Faktoren abhängig ist, die die Kommunen nicht direkt beeinflussen können – im Bereich der Pflegeversicherung kommt ihnen keine Regiekompetenz zu – sind sie auf Strategien von Public oder Good Governance verwiesen [12]. Bezogen auf die Infrastrukturentwicklung im Pflegebereich ist Landes-, aber auch kommunale Planung häufig gegenüber privaten Investorenverhalten ohnmächtig. Trotzdem stellen sich angesichts des demographischen und sozialen Wandels zunehmend Gestaltungsaufgaben, und dies in besonderer Weise im Bereich der Pflegeinfrastruktur sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich. Der Ausbau von Platzkapazitäten im Bereich der stationären Pflege, auf den die Kommunen mit klassischen Planungsansätzen kaum Einfluss haben, bindet mittelfristig erhebliche Sozialhilfemittel, da (wieder) mit steigender Sozialhilfeabhängigkeit von Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern zu rechnen ist und das Angebot an Pflegeheimplätzen unter diesen Bedingungen eine Nachfrage schafft.

Insofern sollten Kommunen schon aus fiskalischen Gründen Einfluss auf die Infrastrukturenwicklung nehmen.

Zu den wesentlichen Ressourcen der Kommunen gehören ihre Steuerungs- und Organisationskraft, ihre finanziellen und materiellen Bedingungen, aber auch die Potenziale der örtlichen Bürgergesellschaft [13]. Diese Steuerungsfunktion können sie heute im Wesentlichen nur im Rahmen von Governance-Strategien wahrnehmen, da ihnen bislang weithin ein rechtliches Instrumentarium im Planungs- und Ordnungsrecht fehlt. Allerdings bietet § 34 Abs. 3 Baugesetzbuch durchaus auch schon heute eine Grundlage für bauplanungsrechtliche Verträglichkeitsprüfungen, wenn es um die Ansiedlung von stationären Pflegeeinrichtungen geht. Sie könnten die wohnortnahe Versorgung von Bürgerinnen und Bürgern mit Pflegeheimplätzen infrage stellen bzw. gefährden, wenn neue Anbieter mit Großeinrichtungen, ähnlich wie Supermärkte, die kleinräumige Versorgung der Bevölkerung mit Pflegeeinrichtungen gefährden würden. Hier wird für die Zukunft zu prüfen sein, ob und inwieweit die Instrumente der bauplanungsrechtlichen Verträglichkeitsprüfungen auf kommunaler Ebene als Instrumente der Pflegeinfrastrukturplanung genutzt und ggf. auch gesetzlich weiterentwickelt werden können. Die Fehlentwicklungen im Bereich des Pflegeheimbaus und die latente Dominanz von Investorenentscheidungen in der Infrastrukturentwicklung legen es nahe, neben den weichen Planungsinstrumenten eines partizipativen Planungsverständnisses auch formalisiertere Verfahren zur Überprüfung und Steuerung angemessener Infrastrukturentwicklung einzubeziehen [5]. Ein Pflegemonitoring, wie es in Rheinland-Pfalz eingeführt wurde, bietet eine wichtige empirische Basis für so ausgerichtete Planungsstrategien.

Fazit

Ein wesentlicher Baustein einer neu ausgerichteten Pflegeplanung ist eine differenzierte Datenlage, an der es bisher weitgehend fehlt. Verbunden mit Szenarientechniken, die zukünftige Bedarfe auf kommunaler Ebene in den Blick nehmen [2], können sie eine wichtige Voraussetzung für eine örtlich angepasste Planungsaktivität bieten, die kommunalpolitische Auseinandersetzungen mit der Thematik qualifizieren und in Verbindung mit einem methodisch reflektierten Planungsprozess die kommunalen Handlungsspielräume und Gestaltungsoptionen erhöhen. Erforderlich hierfür sind eine entsprechende Landeskonzeption und -gesetzgebung, die den Kommunen entsprechende Datenreports zur Verfügung stellen und gleichzeitig die Kommunen anregen, sich den Aufgaben der kommunalen Alten- und Pflegeplanung zu stellen.