Lehrkonzepte in der manuellen Medizin haben zum Ziel, den Kursteilnehmern nicht nur Techniken, sondern auch eine funktionelle Denkweise auf Basis anatomischer, funktionell-anatomischer und neurophysiologischer Grundkenntnisse zu vermitteln. Basis für die Anwendung der Techniken am Patienten ist die motorische Schulung in den Kursen. Die Vermittlung eines strukturierten Denkablaufs soll die Lernenden befähigen, die Techniken situationsgerecht und sicher anzuwenden. Dieses didaktische Prinzip wird an den jeweiligen Regionen des Bewegungssystems im Rahmen von Untersuchungs- und Behandlungsprozessen wiederholt.

Die hier vorgestellten Untersuchungs- und Behandlungstechniken stammen aus dem Lehrfundus der Deutschen Gesellschaft für Manuelle Medizin (DGMM) e. V., hier vom Seminar der Deutschen Gesellschaft für muskuloskeletale Medizin (DGMSM) e. V. und sind im digitalen Skript auf der Lehrplattform (www.manuellemedizin-elearning.de) für Lernende hinterlegt.

FormalPara Infobox 1 Gastzugang

Speziell für diesen Beitrag wurde ein Gastzugang für die Leser eingerichtet, in dem die hier beschriebenen Techniken zur exemplarischen Ansicht als „Lehrvideos“ abrufbar sind.

Zugang zur Lernplattform der DGMSM mit einem Gastzugang:

Link: https://manuellemedizin-elearning.de/login

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Wenn Sie auf den Kursnamen „Untersuchung und Behandlung einer Innenrotationseinschränkung des Hüftgelenkes“ klicken, werden Sie aufgefordert, einen Gastschlüssel einzugeben. Dieser lautet: ManuelleMedizin.

Klinischer Bezug

Geringgradige Einschränkungen der Hüftgelenkbeweglichkeit werden nur selten von den Patienten beklagt. Vielmehr sind beginnende Bewegungseinschränkungen oftmals Ursache von Schmerzen im lumbosakralen Übergang. Diese Beschwerden werden durch verfrüht weiterlaufende Bewegungen auf das Os ilium und den lumbosakralen Übergang verursacht. Der sog. Nozigenerator (z. B. das gereizte Facettengelenk) und die ursächliche Dysfunktion (eingeschränkte Hüftgelenkbeweglichkeit) sind vom Therapeuten zu unterscheiden. Eine freie Beweglichkeit der Hüftgelenke ist Voraussetzung für ein physiologisches Gangbild. Einschränkungen der Innenrotation (IR) und Extension (EXT) sind insbesondere am Ende der Standbeinphase relevant. Gibt das Hüftgelenk (kapsulär/muskulär) die notwendige IR/EXT nicht frei, verkürzt sich die Standbeinphase und es kommt zu Ausweichbewegungen des Beckens und der Lendenwirbelsäule (LWS), die mitunter zur Überlastungsreaktion/Nozizeption der dortigen Strukturen führen.

Untersuchung der Hüftgelenke

Der von Cyriax [2] und Kaltenborn [3] geprägte Begriff des Kapselmusters (das gelenkspezifische kaskadierte Auftreten von Bewegungseinschränkungen der Bewegungsrichtungen) wird in seiner Evidenz bei Koxarthrose zunehmend angezweifelt [3, 4]. Umso wichtiger ist die Vermittlung einer strukturierten Untersuchung von Gelenken und gelenkumgebender Strukturen zur Erfassung des individuellen Befunds.

Einem Gelenk nähern wir uns prinzipiell über Screeninguntersuchungen der funktionellen Region. Beim Hüftgelenk werden Screeningtests der Lenden-Becken-Bein-Region gelehrt (z. B. Hip-Drop-Test). Die Untersuchung beginnt mit einer statischen Inspektion, gefolgt von einer dynamischen Untersuchung (aktive Bewegungsprüfungen, Infobox 2). Auffälligkeiten bzw. Hypothesen des Untersuchers werden in spezifischeren Untersuchungsschritten überprüft und differenziert. Lenkt die Screeninguntersuchung den Verdacht auf ein eingeschränktes Bewegungsausmaß des Hüftgelenks, folgt eine gezielte Untersuchung des Hüftgelenks.

Infobox 2 Hüftgelenk – aktive Bewegungsprüfung Screening

  • Hocke

  • Hip-Drop-Test*

  • Rotationsbewegung des Beckens auf dem Standbein (Innen- und Außenrotation des Hüftgelenks)*

  • Ab- und Adduktion durch Beckenbewegung auf dem Standbein

  • Trendelenburg-Zeichen

* Techniken online mit dem Gastzugang auf der Lehrplattform der DGMSM einsehbar

Die passive Untersuchung der Bewegung des Gelenks mit Überprüfung des Gelenkspiels („joint play“) durch anguläre und translatorische Bewegungstests unter besonderer Berücksichtigung des Endgefühls zur Beurteilung der Ursache einer Bewegungsrestriktion (kapsulär, muskulär, ossär, knorpelig) schließt sich an. Zudem werden Schmerzprovokationstests durchgeführt. Bei eingeschränkter angulärer Gelenkbeweglichkeit mit fest-elastischem Endgefühl in der passiven Gelenkuntersuchung soll zwischen kontraktilen und nichtkontraktilen Bewegungsrestriktoren mittels postisometrischer Relaxation (Infobox 3) unterschieden werden.

Infobox 3 Postisometrische Relaxation (PIR)

  • Beeinflussung einer reflektorischen Tonuserhöhung:

    Der zu detonisierende Muskel wird an seine Elastizitätsgrenze (1. Widerstand) geführt. Dort erfolgt eine isometrische Anspannung gegen geringen Widerstand von ca. 8–10 s. Nach der Entspannungsphase (2–3 s) wird der gewonnene Bewegungsweg aufgenommen und der Muskel an seine neue Elastizitätsgrenze gebracht. Dieser Vorgang wird 3‑ bis 4‑mal wiederholt. Am Ende wird das Bewegungsausmaß aktiv stabilisiert.

Beachte: Die Behandlung reflektorischer Tonuserhöhungen darf keinen Schmerz hervorrufen. Schmerzen führen immer zu einer Tonuserhöhung des Muskels, was kontraproduktiv für die Behandlung ist.

Passive Bewegungsprüfung der Innenrotation in Bauchlage

Ausgangsstellung Patient

Der Patient wird in Bauchlage gelagert. Um das Bewegungsausmaß der IR nach der Neutral-Null-Methode zu bestimmen, muss in FLEX/EXT-Nullstellung positioniert werden [1]. Insbesondere sind Verkürzungen der Hüftflexoren (z. B. M. iliopsoas) zu beachten. Eine vergleichende Bewegungsprüfung zur Gegenseite kann in seitengleicher Ausgangsstellung auch bei eingeschränkter Extension der Hüftgelenke erfolgen. Eine verstärkte LWS-Lordose wird durch Unterlagerung von ventral ausgeglichen.

Befundaufnahme

Auf der zu untersuchenden Seite beugt der Untersucher durch Griff am gleichseitigen Unterschenkel das Kniegelenk 90° an (Abb. 1), vorausgesetzt die Dehnfähigkeit des M. rectus femoris lässt dies zu. Bei reduzierter Elastizität kann die Untersuchung mit einer Kniebeugung unter 90° durchgeführt werden. Das Bewegungsausmaß ist dann nach der Neutral-Null-Methode nicht genau bestimmbar. Die Messung nach Neutral-Null bezieht sich auf die Transversalebene und setzt die Einstellung des Unterschenkels als Bezugsschenkel in dieser Ebene voraus [1]. Durch Bewegen des Unterschenkels im Raum nach lateral (Abb. 2) wird im Hüftgelenk eine Innenrotationsbewegung ausgelöst. Die Bewegung wird durchgeführt, bis die „Monitorhand“ des Therapeuten am gleichseitigen (ipsilateralen) Ilium eine Mitbewegung wahrnimmt. Bewertet werden Bewegungsausmaß, Bewegungsqualität (z. B. Widerstand über die Bewegungsbahn) und das Endgefühl.

Abb. 1
figure 1

Ausgangsstellung Patient und Therapeut zur Prüfung der Hüftgelenkinnenrotation aus FLEX/EXT-Nullstellung. (Mit freundlicher Genehmigung von Christoph Arp)

Abb. 2
figure 2

Ausführung der Innenrotation im linken Hüftgelenk über den distalen Hebel mit Monitorhand am Os ilium. (Mit freundlicher Genehmigung von Christoph Arp)

Beachte.

Die Abduktion/Adduktion-Nullstellung muss während der Bewegungsausführung eingehalten werden.

Endgefühl (angulär)

Am Ende der passiven Bewegung wird das anguläre Endgefühl aufgenommen. Die Qualität des Endgefühls nimmt der Untersucher durch seine Tiefensensibilität zwischen Monitorhand (Punctum fixum) und bewegungsausführender Hand (Punctum mobile) war. Es folgt die Differenzierung zwischen kontraktilen und nichtkontraktilen Strukturen durch die Beurteilung der Qualität des Endgefühls und durch Anwendung der PIR.

Ausführung der PIR

Unter Beachtung der Prinzipien der PIR (Infobox 3) wird der Patient aufgefordert, eine vom Untersucher eingeleitete Innenrotation „nicht weiter zuzulassen“. Das präzise Verbalisieren der Aufforderung sorgt dafür, dass der Untersucher die vom Patienten eingesetzte Kraft besser kontrollieren kann als beispielsweise mit der Aufforderung, „dagegen zu drücken“. Die Anspannung wird 8–10 s gehalten. Der Patient wird zum „Lockerlassen“ aufgefordert, ohne dass die Gelenkstellung verändert wird. Nach einer kleinen Pause von 2–3 s wird die Innenrotation nachgestellt. Insbesondere bei reflektorisch erhöhtem Muskeltonus ist ein Weggewinn zu erwarten. Bei Weggewinn wird die PIR wiederholt, bis keine Erweiterung des Bewegungsausmaßes mehr zu erzielen ist.

Bewertung des Endgefühls

Das anguläre Endgefühl (durch Verstärkung der Innenrotation) wird sowohl bei strukturell verkürztem Muskel als auch bei Einschränkung der Kapsel als fest bezeichnet. Zusätzliche Informationen wie beispielsweise die vom Patienten zu erfragende „Schmerzlokalisation“ hilft bei der Unterscheidung Muskel oder Kapsel weiter. In diesem Beispiel geben Patienten mit Einschränkung der Kapselmobilität „ziehende“ Beschwerden ventral im Leistenbereich an, während sie bei Verkürzung der Muskulatur ein „ziehendes“ Gefühl im Verlauf der pelvitrochantären Muskeln (v. a. M. piriformis) oder am dorsokranialen Trochanter major angeben. Durch Palpation des Muskelansatzes und -bauchs können weitere Informationen gewonnen werden.

Behandlung der Hüftgelenke

Die nachfolgend beschriebene Technik dient der Verbesserung der Innenrotation (IR/EXT) bei Hypomobilität durch Mobilisation der Gelenkkapsel.

Beachte.

Bei dieser Technik handelt es sich um eine anguläre (nichttranslatorische) Gelenkmobilisation vom proximalen Hebel.

Ausgangsstellung Patient

Der Patient wird in Bauchlage gelagert (Abb. 3). Bei der Lagerung sind Verkürzungen der Hüftflexoren (z. B. M. iliopsoas) zu beachten. Die Mobilisation der Innenrotation mit dieser Technik kann bei eingeschränkter Extension der Hüftgelenke erfolgen (Lagerung Abb. 4 und 5). Eine verstärkte LWS-Lordose wird durch Unterlagerung von ventral ausgeglichen.

Abb. 3
figure 3

Lagerung in FLEX/EXT-Nullstellung. (Mit freundlicher Genehmigung von Christoph Arp)

Abb. 4
figure 4

Lagerung bei verstärkter Lordose und/oder Extensionseinschränkung (Variante 1). (Mit freundlicher Genehmigung von Christoph Arp)

Abb. 5
figure 5

Lagerung bei verstärkter Lordose und/oder Extensionseinschränkung. (Variante 2) (Mit freundlicher Genehmigung von Christoph Arp)

Ausgangsstellung Therapeut

Der Therapeut steht seitlich, fasst mit seiner distalen Hand den Oberschenkel und flektiert das Kniegelenk des Patienten nur so weit, dass der M. rectus femoris nicht unter Spannung kommt. Der Unterschenkel des Patienten muss dabei gut geführt werden (Abb. 3 und 6).

Abb. 6
figure 6

Standardtechnik zur Mobilisation des Hüftgelenks bei eingeschränkter Innenrotation. (Mit freundlicher Genehmigung von Christoph Arp)

Fixation (von distal)

Hierzu rotiert der Therapeut das zu behandelnde (hier linke) Hüftgelenk so weit nach innen, bis sich die gegenseitige Spina iliaca anterior superior vom Tisch hebt (Femur in Innenrotation fixiert). Hierbei spielen die Bodymechanik des Therapeuten und die Grifffassung am Unter‑/Oberschenkel eine entscheidende Rolle. Die Innenrotation im Hüftgelenk wird durch ein „In-die-Knie-Gehen“ des Therapeuten eingeleitet.

Beachte.

Die Abduktion/Adduktions-Nullstellung des zu behandelnden Hüftgelenks muss während der Bewegungsausführung eingehalten werden.

Ausführung der Mobilisation

Der Therapeut nimmt mit seiner proximalen Hand Tiefenkontakt mit dem gleichseitigen (hier linken) Ilium auf. Er gibt mit seinem distalen Arm Widerstand für die Außenrotatoren und verbessert die Innenrotation, indem er mit seinem proximalen Arm das Ilium nach medial/ventral bewegt, sodass die rechte Spina iliaca anterior superior sich wieder dem Tisch nähert (Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

Alternative Handfassung. (Mit freundlicher Genehmigung von Christoph Arp)

Verkürzungstest und Längsdehnung – Außenrotatoren (v. a. M. piriformis)

Die nachfolgend beschriebene Technik dient der Verbesserung der Innenrotation durch Dehnung der verkürzten Muskulatur bei struktureller Verkürzung.

Ausgangsstellung Patient

Der Patient wird in Rückenlage gelagert.

Ausgangsstellung Therapeut

Der Therapeut steht auf der kontralateralen Seite (hier von rechts) und untergreift auf der zu behandelnden Seite (hier links) mit seinem rechten Unterarm den Unterschenkel des Patienten (Abb. 8). Die rechte Therapeutenhand liegt am laterodistalen Oberschenkel, um später die notwendigen Bewegungskomponenten an der linken Hüfte einstellen zu können. Eine alternative Ausgangsstellung (Therapeut steht ipsilateral) zeigt Abb. 9.

Abb. 8
figure 8

Standardtechnik zur Dehnung des M. piriformis. (Mit freundlicher Genehmigung von Christoph Arp)

Abb. 9
figure 9

Alternative Ausgangsstellung zur Dehnung des M. piriformis. (Mit freundlicher Genehmigung von Christoph Arp)

Fixation

Das Becken wird durch einen flächigen Griff mit der linken Therapeutenhand von ventral auf die linke Crista iliaca fixiert (Abb. 8).

Ausführung

Das Hüftgelenk auf der zu behandelnden Seite wird ca. 40–60° flektiert. Es folgt eine Einstellung von Adduktion und Innenrotation, bis ein fest-elastisches Endgefühl spürbar wird. Nun erfolgt die PIR mit der Zielsetzung, die strukturelle Muskelverkürzung zu beeinflussen (Infobox 3). Der Therapeut gibt mit seiner rechten Hand Widerstand gegen Abduktion und Außenrotation. In der postisometrischen Entspannungsphase wird das Hüftgelenk weiter in Adduktion und Innenrotation bewegt.

Beachte.

Nach der Dehnung eines Muskels sollte im Anschluss eine Stimulation der Antagonisten erfolgen (hier Adduktoren/Innenrotatoren).

Anmerkung zur abgebildeten alternativen Technik (Abb. 10).

Bei Hüftflexion über 70° kehrt sich die rotatorische Funktion des Muskels um. Der M. piriformis wird zum Innenrotator und muss in dieser Ausgangsstellung in Flexion, Adduktion und Außenrotation gedehnt werden. Bei der PIR muss der Widerstand gegen Abduktion und Innenrotation gegeben werden.

Abb. 10
figure 10

Alternative Technik zur Dehnung des M. piriformis mit einer Hüftgelenkflexion >70°. (Mit freundlicher Genehmigung von Christoph Arp)

Beachte.

Bei Längsdehnung eines Muskels muss das Gelenkspiel („joint play“) frei sein. Das bedeutet, die Gelenkkapsel darf in dieser Ausgangsstellung/Gelenkposition nicht bewegungslimitierend sein.