Zusammenfassung
Für eine Optimierung manualmedizinischer Untersuchung und Behandlung ist die detaillierte, übereinstimmende und reproduzierbare Vermittlung technischer Abläufe in Kurs- und Lehrmaterial unverzichtbar. Vorgestellt werden zwei Techniken zur Untersuchung und Behandlung von hypomobilen Funktionsstörungen des Sakroiliakal- und Kniegelenks. Die Technikbeschreibung folgt einem einheitlich strukturierten, verbalen Schritt-für-Schritt-Ablauf des verfügbaren Handlings, das durch eine adäquate Bildfolge komplettiert wird. Das dargelegte Konzept soll einerseits den Lernprozess im Kurs unterstützen, andererseits soll der lernende Arzt oder Physiotherapeut eigenständig Wiederholung und Reproduktion auf solidem Niveau realisieren.
Abstract
Detailed, consistent, and reproducible teaching of technical procedures in training course and teaching materials is indispensable for optimizing manual medical examination and treatment. Two techniques for the treatment of hypomobile dysfunctions of the sacroiliac and knee joints are introduced. The technical description follows a uniformly structured, verbal step-by-step sequence of the available handling, which is complemented by a sequence of images. On the one hand, the described concept is intended to support the learning process in the course, on the other hand, the learning physician or physiotherapist should independently realize repetition and reproduction at a solid level.
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Anspruchsvolle Lehrkonzepte der manuellen Medizin vermitteln den Kursteilnehmern unter direkter Anleitung durch erfahrene, speziell ausgebildete Kursleiter und -lehrer Technikausführungen für Diagnostik und Behandlung. Grundsätzlich ist die dabei demonstrierte Detaildarstellung geeignet, ein weitgehend einheitliches Vorgehen des Untersuchers bzw. Behandlers bei Befunderhebung, Mobilisation und Manipulation zu vermitteln. In der Praxis gelingt dem Einzelnen oft die Reproduktion des Erlernten nur mit Abstrichen, sodass Defizite in Diagnostik und Therapie zwangsläufig sind. Arbeitskreise und Auffrischungskurse sind eine Option zur Minderung dieser Defizite. Der nunmehr vorgelegte Technikatlas soll eine Lücke für das Selbststudium schließen und dazu dienen, unklare Erinnerungen an die Kurse präzise zu beleben.
Becken, LWS, SIG, Hüftgelenk: Patrick-Kubis-Zeichen
Aus dem Kapitel „Überregional orientierende Untersuchungen“ wird die orientierende Untersuchungstechnik „Becken, LWS, SIG, Hüftgelenk: Patrick-Kubis-Zeichen“ vorgestellt [1].
Aufgabenstellung
Geprüft werden sollen die Spannungsverhältnisse in den Regionen untere LWS, SIG und Hüftgelenk einschließlich regionaler Muskeln (M. iliopsoas, Adduktorengruppe) durch Abduktion des aufgestellten, in Hüft- und Kniegelenk gebeugten rechten P‑Beins (Abb. 1).
Ausgangsstellung Patient
Der Patient liegt in Rückenlage auf der Untersuchungsliege, Kopf mit kleinem Kissen unterpolstert oder Kopfteil etwas angestellt (zum Ausgleich einer vermehrten BWS-Kyphose), Arme liegen neben dem Rumpf, Beine mit den Füßen im Überhang oder in Höhe der Kniegelenke mit kleiner Lagerungsrolle unterlagert.
Ausgangsstellung Untersucher
Der Untersucher steht in P‑Beckenhöhe rechts an der Bank und blickt fußwärts.
Gelenkeinstellung
Der Untersucher legt die linke Hand flächig auf den proximalen linken P‑Oberschenkel, drückt das P‑Bein gegen die Untersuchungsbank und rotiert es dabei leicht nach außen (Abb. 2). Mit der rechten Hand greift U in die Knieregion des rechten P‑Beins, zieht das entspannte Bein hoch, bis der rechte P‑Fuß in Höhe des linken Kniegelenks aufgestellt ist.
Der Untersucher wechselt die rechte Hand auf den Gabelgriff, sodass der Daumen flächig an der Innenseite und die Langfinger an der Außenseite des Kniegelenks Kontakt bekommen (Abb. 3). Die Daumen-Schwimmhaut-Zeigefinger-Gabel meidet den Kontakt zur Patella.
Bewegungsablauf
Der Untersucher führt das rechte P‑Kniegelenk in die Hüftabduktion bis ans Bewegungsende (Abb. 4).
Hinweis.
Im Bewegungsablauf kippt der rechte P‑Fuß auf seinen Außenrand, sodass die Fußsohle Kontakt am linken P‑Bein medial erreichen kann (Abb. 5).
Bewertung
Im Seitenvergleich werden beurteilt:
-
Spannungszunahme am Ende der Bewegungsführung
-
Ausmaß der Bewegung (Winkel, um den das Knie nach außen sinkt, Entfernung des Kniegelenkaußenrands zur Untersuchungsbank)
-
Adduktorenrelief
Klinik
-
Funktionsstörung untere LWS
-
Hüftgelenkstörung
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SIG-Störung
-
Muskelfunktionsstörung (M. iliopsoas, Adduktoren)
Cave.
Grobe, harte Einschränkung mit ausgeprägter Symmetriedifferenz deutet auf Strukturkrankheit hin.
Hinweis: Bei unsicherem Befund empfiehlt sich für den Symmetrievergleich der Standortwechsel des U auf die andere P‑Seite.
Beachte
-
Untersucher blickt aus dem Stand an der Untersuchungsliege zum P‑Kopf.
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Untersucher kontaktiert die P‑Patella und löst eine Fazilitation und Nozireaktion aus.
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Untersucher führt das P‑Bein nicht vom Kniegelenk her in die Hüftabduktion, sondern lässt es in diese fallen.
Mobilisation (und Manipulation) tibiofibular (gebeugt): posteriores Gleiten
Aus dem Kapitel „Behandlung des Kniegelenks“ wird als manualmedizinische Behandlungstechnik „Mobilisation (und Manipulation) tibiofibular (gebeugt): posteriores Gleiten“ vorgestellt [1].
Aufgabenstellung
Aufgabe ist die manualmedizinische Behandlung des posterioren Gleitens im gebeugten rechten Kniegelenk (tibiofibular) bei reversibler hypomobiler Dysfunktion.
Ausgangsstellung Patient
Der Patient liegt in Linksseitenlage (Neutralstellung) auf der Behandlungsliege.
Ausgangsstellung Behandler
Der Behandler steht in Höhe des linken P‑Unterschenkels ventral am Patienten (Abb. 6).
Gelenkeinstellung
Der rechte P‑Fuß wird mit der Ferse hinter den distalen linken P‑Unterschenkel auf die Behandlungsliege gelegt. Der Behandler unterpolstert das rechte P‑Kniegelenk zur Vermeidung einer Nozireaktion mit einem kleinen festen Kissen. Die linke B‑Hand erfasst den distalen Unterschenkel und stabilisiert diesen in Außenrotation (Abb. 7).
Die rechte B‑Hand nimmt mit dem Os pisiforme (ulnarer Carpus) von anterior Kontakt am Caput fibulae (Abb. 8).
Bewegungsablauf
Posteriores Gleiten
Der Behandler schiebt aus der rechten Schulter über den gestreckten Arm das Caput fibulae nach posterior (Abb. 9). An der Barriere wird die Fibula etwas verlängert gehalten, bevor der Druck ein wenig gelöst wird. Der rhythmische Wechsel zwischen verlängertem Druck an die Barriere und seinem Nachlassen (Lösen) wird 3‑ bis 5(8)-mal wiederholt (repetitive Mobilisation; Nachtestat).
Manualmedizinisches Nachtestat.
Jede manualmedizinische Behandlung wird mit einem Nachtestat abgeschlossen. Dadurch können unmittelbar nach Behandlungsabschluss die Wirksamkeit der realisierten Behandlung und die erreichte Funktionsverbesserung beurteilt werden. Beim Nachtestat wird regelhaft mit der manualmedizinischen Untersuchungstechnik begonnen, deren ausgeprägte Funktionspathologie Grundlage der Therapieentscheidung war. Aus der praktischen Erfahrung ist es für die Patientenführung oft hilfreich, weitere unspezifische Funktionsabläufe in das Nachtestat zu integrieren, da durch diese der Patient die eingetretene Funktionsbesserung selbst erspüren kann. Erfolgt die Gelenk‑, Segment- oder Muskelbehandlung als Teil der Therapie eines Verkettungssyndroms, wird mit dem Nachtestat die Reaktion der Verkettung geprüft.
Nach wiederholter Mobilisationsbehandlung und persistierendem Restbefund im Nachtestat ist der direkte Anschluss einer Manipulationsbehandlung indiziert. Unter diesen Umständen ist der v. a. juristisch wichtige Probeimpuls entbehrlich [1, 2].
Übergang zur Impulsmanipulation
Am Ende einer repetitiven Mobilisation kann aus dem Vorspannungsschub an der Fibula nach posterior durch eine schnelle kleine Bewegung aus der rechten B‑Schulter über den Unterarm ein schneller, mäßig kräftiger Impuls mit kurzem Weg in Richtung zur Barriere hin als Manipulationsimpuls gesetzt werden (Nachtestat).
Indikation
Indikation sind eingeschränkte Translationsbewegungen im posterioren Gleiten im Kniegelenk (tibiofibular) als reversible hypomobile Dysfunktion im rechten Kniegelenk.
Beachte
-
Behandler umfasst mit seiner linken Hand vollständig den P‑Unterschenkel und ruft durch Einschnürung eine Nozireaktion im Gewebe der unteren Extremität hervor.
-
Behandler löst mit seinem rechten Os pisiforme (ulnarer Carpus) am Caput fibulae eine Nozireaktion aus.
Fazit
Die strukturierte verbale Beschreibung und assoziierte Bilddarstellung von manualmedizinischen Untersuchungs- und Behandlungstechniken erlaubt in der Praxis die Erarbeitung reproduzierbarer Abläufe und ermöglicht eine bessere Reliabilität der individuellen aktuellen Funktionsbeurteilung.
Abbreviations
- ÄMM:
-
Ärzteseminar Berlin
- B:
-
Behandler
- BWS:
-
Brustwirbelsäule
- DGMM:
-
Deutsche Gesellschaft für Manuelle Medizin
- HWS:
-
Halswirbelsäule
- P:
-
Patient
- SIG:
-
Sakroiliakalgelenk
- U:
-
Untersucher
Literatur
Krocker B (2022) „Manuelle Medizin, intensiv“ (Technikatlas). 1. Auflage. Elsevier, München
Krocker B (2021) Probemobilisation versus Probeimpuls – eine überfällige Korrektur. https://doi.org/10.1007/s00337-020-00753-8
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B. Krocker gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Die zum Lehrfundus der DGMM-ÄMM (Ärzteseminar Berlin) gehörende und in diesem Beitrag aus dem Kapitel „Überregional orientierende Untersuchungen“ dargestellte orientierende Untersuchungstechnik und aus dem Kapitel „Behandlung des Kniegelenks“ dargestellte manualmedizinische Behandlungstechnik einschließlich der Bilder stammen aus Krocker B (2022) Manuelle Medizin, intensiv (Technikatlas), 1. Auflage © Elsevier GmbH, Urban & Fischer, München, und werden hier mit freundlicher Genehmigung des Elsevier-Verlags vorgestellt.
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Krocker, B. Technik Becken, LWS, SIG, Hüftgelenk: Patrick-Kubis-Zeichen. Manuelle Medizin 59, 289–293 (2021). https://doi.org/10.1007/s00337-021-00818-2
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00337-021-00818-2