Anspruchsvolle Lehrkonzepte der manuellen Medizin vermitteln den Kursteilnehmern unter direkter Anleitung durch erfahrene, speziell ausgebildete Kursleiter und -lehrer Technikausführungen für Diagnostik und Behandlung. Grundsätzlich ist die dabei demonstrierte Detaildarstellung geeignet, ein weitgehend einheitliches Vorgehen des Untersuchers bzw. Behandlers bei Befunderhebung, Mobilisation und Manipulation zu vermitteln. In der Praxis gelingt dem Einzelnen oft die Reproduktion des Erlernten nur mit Abstrichen, sodass Defizite in Diagnostik und Therapie zwangsläufig sind. Arbeitskreise und Auffrischungskurse sind eine Option zur Minderung dieser Defizite. Der nunmehr vorgelegte Technikatlas soll eine Lücke für das Selbststudium schließen und dazu dienen, unklare Erinnerungen an die Kurse präzise zu beleben.

Becken, LWS, SIG, Hüftgelenk: Patrick-Kubis-Zeichen

Aus dem Kapitel „Überregional orientierende Untersuchungen“ wird die orientierende Untersuchungstechnik „Becken, LWS, SIG, Hüftgelenk: Patrick-Kubis-Zeichen“ vorgestellt [1].

Aufgabenstellung

Geprüft werden sollen die Spannungsverhältnisse in den Regionen untere LWS, SIG und Hüftgelenk einschließlich regionaler Muskeln (M. iliopsoas, Adduktorengruppe) durch Abduktion des aufgestellten, in Hüft- und Kniegelenk gebeugten rechten P‑Beins (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Ausgangsstellung Patient. (Aus Krocker [1], mit freundlicher Genehmigung Elsevier GmbH, Urban & Fischer, München)

Ausgangsstellung Patient

Der Patient liegt in Rückenlage auf der Untersuchungsliege, Kopf mit kleinem Kissen unterpolstert oder Kopfteil etwas angestellt (zum Ausgleich einer vermehrten BWS-Kyphose), Arme liegen neben dem Rumpf, Beine mit den Füßen im Überhang oder in Höhe der Kniegelenke mit kleiner Lagerungsrolle unterlagert.

Ausgangsstellung Untersucher

Der Untersucher steht in P‑Beckenhöhe rechts an der Bank und blickt fußwärts.

Gelenkeinstellung

Der Untersucher legt die linke Hand flächig auf den proximalen linken P‑Oberschenkel, drückt das P‑Bein gegen die Untersuchungsbank und rotiert es dabei leicht nach außen (Abb. 2). Mit der rechten Hand greift U in die Knieregion des rechten P‑Beins, zieht das entspannte Bein hoch, bis der rechte P‑Fuß in Höhe des linken Kniegelenks aufgestellt ist.

Abb. 2
figure 2

Kontaktnahme durch Untersucher mit dem linken Oberschenkel des Patienten. (Modifiziert nach Krocker [1], mit freundlicher Genehmigung Elsevier GmbH, Urban & Fischer, München)

Der Untersucher wechselt die rechte Hand auf den Gabelgriff, sodass der Daumen flächig an der Innenseite und die Langfinger an der Außenseite des Kniegelenks Kontakt bekommen (Abb. 3). Die Daumen-Schwimmhaut-Zeigefinger-Gabel meidet den Kontakt zur Patella.

Abb. 3
figure 3

Kontaktnahme durch Untersucher mit dem rechten Patientenbein. (Aus Krocker [1], mit freundlicher Genehmigung Elsevier GmbH, Urban & Fischer, München)

Bewegungsablauf

Der Untersucher führt das rechte P‑Kniegelenk in die Hüftabduktion bis ans Bewegungsende (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Untersucher führt Patientenbein in die Abduktion. (Aus Krocker [1], mit freundlicher Genehmigung Elsevier GmbH, Urban & Fischer, München)

Abb. 5
figure 5

Rechter Patientenfuß erreicht Kontakt mit dem linken Patientenbein medial. (Aus Krocker [1], mit freundlicher Genehmigung Elsevier GmbH, Urban & Fischer, München)

Hinweis.

Im Bewegungsablauf kippt der rechte P‑Fuß auf seinen Außenrand, sodass die Fußsohle Kontakt am linken P‑Bein medial erreichen kann (Abb. 5).

Bewertung

Im Seitenvergleich werden beurteilt:

  • Spannungszunahme am Ende der Bewegungsführung

  • Ausmaß der Bewegung (Winkel, um den das Knie nach außen sinkt, Entfernung des Kniegelenkaußenrands zur Untersuchungsbank)

  • Adduktorenrelief

Klinik

  • Funktionsstörung untere LWS

  • Hüftgelenkstörung

  • SIG-Störung

  • Muskelfunktionsstörung (M. iliopsoas, Adduktoren)

Cave.

Grobe, harte Einschränkung mit ausgeprägter Symmetriedifferenz deutet auf Strukturkrankheit hin.

Hinweis: Bei unsicherem Befund empfiehlt sich für den Symmetrievergleich der Standortwechsel des U auf die andere P‑Seite.

Beachte

  • Untersucher blickt aus dem Stand an der Untersuchungsliege zum P‑Kopf.

  • Untersucher kontaktiert die P‑Patella und löst eine Fazilitation und Nozireaktion aus.

  • Untersucher führt das P‑Bein nicht vom Kniegelenk her in die Hüftabduktion, sondern lässt es in diese fallen.

Mobilisation (und Manipulation) tibiofibular (gebeugt): posteriores Gleiten

Aus dem Kapitel „Behandlung des Kniegelenks“ wird als manualmedizinische Behandlungstechnik „Mobilisation (und Manipulation) tibiofibular (gebeugt): posteriores Gleiten“ vorgestellt [1].

Aufgabenstellung

Aufgabe ist die manualmedizinische Behandlung des posterioren Gleitens im gebeugten rechten Kniegelenk (tibiofibular) bei reversibler hypomobiler Dysfunktion.

Ausgangsstellung Patient

Der Patient liegt in Linksseitenlage (Neutralstellung) auf der Behandlungsliege.

Ausgangsstellung Behandler

Der Behandler steht in Höhe des linken P‑Unterschenkels ventral am Patienten (Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Ausgangsstellung Patient und Behandler. (Aus Krocker [1], mit freundlicher Genehmigung Elsevier GmbH, Urban & Fischer, München)

Gelenkeinstellung

Der rechte P‑Fuß wird mit der Ferse hinter den distalen linken P‑Unterschenkel auf die Behandlungsliege gelegt. Der Behandler unterpolstert das rechte P‑Kniegelenk zur Vermeidung einer Nozireaktion mit einem kleinen festen Kissen. Die linke B‑Hand erfasst den distalen Unterschenkel und stabilisiert diesen in Außenrotation (Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

Behandler stabilisiert mit der linken Hand den distalen Unterschenkel in Außenrotation auf der Untersuchungsliege. (Aus Krocker [1], mit freundlicher Genehmigung Elsevier GmbH, Urban & Fischer, München)

Die rechte B‑Hand nimmt mit dem Os pisiforme (ulnarer Carpus) von anterior Kontakt am Caput fibulae (Abb. 8).

Abb. 8
figure 8

Behandler nimmt mit dem rechten Os pisiforme (ulnarer Carpus) von anterior Kontakt am Caput fibulae. (Modifiziert nach Krocker [1], mit freundlicher Genehmigung Elsevier GmbH, Urban & Fischer, München)

Bewegungsablauf

Posteriores Gleiten

Der Behandler schiebt aus der rechten Schulter über den gestreckten Arm das Caput fibulae nach posterior (Abb. 9). An der Barriere wird die Fibula etwas verlängert gehalten, bevor der Druck ein wenig gelöst wird. Der rhythmische Wechsel zwischen verlängertem Druck an die Barriere und seinem Nachlassen (Lösen) wird 3‑ bis 5(8)-mal wiederholt (repetitive Mobilisation;  Nachtestat).

Abb. 9
figure 9

Behandler schiebt aus der rechten Schulter über den gestreckten Arm das Caput fibulae nach posterior (anfangs repetitiv, Abschluss mit Manipulationsimpuls realisierbar). (Modifiziert nach Krocker [1], mit freundlicher Genehmigung Elsevier GmbH, Urban & Fischer, München)

Manualmedizinisches Nachtestat.

Jede manualmedizinische Behandlung wird mit einem Nachtestat abgeschlossen. Dadurch können unmittelbar nach Behandlungsabschluss die Wirksamkeit der realisierten Behandlung und die erreichte Funktionsverbesserung beurteilt werden. Beim Nachtestat wird regelhaft mit der manualmedizinischen Untersuchungstechnik begonnen, deren ausgeprägte Funktionspathologie Grundlage der Therapieentscheidung war. Aus der praktischen Erfahrung ist es für die Patientenführung oft hilfreich, weitere unspezifische Funktionsabläufe in das Nachtestat zu integrieren, da durch diese der Patient die eingetretene Funktionsbesserung selbst erspüren kann. Erfolgt die Gelenk‑, Segment- oder Muskelbehandlung als Teil der Therapie eines Verkettungssyndroms, wird mit dem Nachtestat die Reaktion der Verkettung geprüft.

Nach wiederholter Mobilisationsbehandlung und persistierendem Restbefund im Nachtestat ist der direkte Anschluss einer Manipulationsbehandlung indiziert. Unter diesen Umständen ist der v. a. juristisch wichtige Probeimpuls entbehrlich [1, 2].

Übergang zur Impulsmanipulation

Am Ende einer repetitiven Mobilisation kann aus dem Vorspannungsschub an der Fibula nach posterior durch eine schnelle kleine Bewegung aus der rechten B‑Schulter über den Unterarm ein schneller, mäßig kräftiger Impuls mit kurzem Weg in Richtung zur Barriere hin als Manipulationsimpuls gesetzt werden  (Nachtestat).

Indikation

Indikation sind eingeschränkte Translationsbewegungen im posterioren Gleiten im Kniegelenk (tibiofibular) als reversible hypomobile Dysfunktion im rechten Kniegelenk.

Beachte

  • Behandler umfasst mit seiner linken Hand vollständig den P‑Unterschenkel und ruft durch Einschnürung eine Nozireaktion im Gewebe der unteren Extremität hervor.

  • Behandler löst mit seinem rechten Os pisiforme (ulnarer Carpus) am Caput fibulae eine Nozireaktion aus.

Fazit

Die strukturierte verbale Beschreibung und assoziierte Bilddarstellung von manualmedizinischen Untersuchungs- und Behandlungstechniken erlaubt in der Praxis die Erarbeitung reproduzierbarer Abläufe und ermöglicht eine bessere Reliabilität der individuellen aktuellen Funktionsbeurteilung.