Zusammenfassung
Im Rahmen der vielseitigen manualtherapeutischen Konzepte zur Behandlung schmerzhafter Läsionen und Dysfunktionen ist die Anatomie der Lenden-Becken-Hüft-Region in ihrer Komplexizität von großer Bedeutung. Als Themenschwerpunkte wird auf die Funktionalität der Lendenwirbelsäule und des lumbosakralen Übergangs sowie auf das Becken als Ganzes unter besonderer Berücksichtigung der Symphysis pubica und der Iliosakralgelenke eingegangen. In Bezug auf die statische Stabilität und dynamische Balance des Rumpfs als auch im Hinblick auf die Mobilität in den verschiedenen Bewegungsmustern wird das funktionelle Zusammenspiel der Rumpf-Hüft-Muskulatur und die Bedeutung faszialer Strukturen wie der Fascia thoracolumbalis näher erläutert. Hinsichtlich schmerzhafter Läsionen unterschiedlichster Kausalität wird des Weiteren auf die enge topographische Beziehung der nervalen Strukturen zum muskuloskeletalen System eingegangen.
Abstract
In the context of the multifaceted manual therapeutic treatment concepts for painful lesions and dysfunctions, the complexity of the anatomy of the lumbo-pelvic hip (LPH) region is of great significance. Key topics of this article are therefore the functionality of the lumbar spine and the lumbosacral transition, as well as the pelvis as a whole, with particular regard to the pubic symphysis and the sacroiliac joints. With respect to static stability and the dynamic balance of the trunk, as well as in terms of mobility in the various movement patterns, the functional interaction between the trunk and hip musculature, and the importance of fascial structures such as the thoracolumbar fascia will be discussed in greater detail. With regard to painful lesions resulting from various sources, the close topographic relation of nerve structures to the musculoskeletal system will be closely looked at.
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Für die Tragfähigkeit, Belastbarkeit und gleichmäßige Lastverteilung in der Statik und den verschiedenen Bewegungsmustern hat die Lenden-Becken-Hüft(LBH)-Region morphologisch und funktionell eine sehr komplexe Aufgabe. Sie ist somit eine große Problemzone und bietet unterschiedliche Angriffspunkte an den einzelnen morphologischen Bausteinen für exogene und endogene Störfaktoren. Diese äußern sich in akuter oder chronischer regionaler bzw. ausstrahlender Schmerzsymptomatik im Rahmen der vielseitigen Formen der Spondylopathien und Spondylarthrosen. Im Folgenden werden einige Problembereiche erläutert.
Für die Stabilität und Flexibilität der Lendenwirbelsäule (LWS) ist die Funktionstüchtigkeit der einzelnen Bewegungssegmente (nach Junghanns) entscheidend. Zu diesen Bewegungssegmenten zählen:
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2 benachbarte Wirbel,
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die Bandscheibe mit den hyalinen knorpeligen Deck- und Grundplatten,
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das vordere und hintere Längsband und die aus überwiegend elastischem Fasermaterial bestehenden Wirbelbogenbänder,
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die Flavabänder und der interspinale und supraspinale Bandapparat,
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die annähernd sagittal eingestellten Facettengelenke,
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die segmentalen kleinen Muskeln der autochthonen Rückenmuskulatur,
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das im Wirbelkanal liegende Rückenmark mit der Cauda equina und
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der über dem Canalis intervertebralis austretende segmentale Nerv.
Läsionen unterschiedlichster Kausalitäten führen in einem sich aufschaukelnden Pathomechanismus zu Instabilitäten, konsekutiven Fehl- und Überbelastungen mit Störung der Propriozeption und über die sensomotorischen Schleife zu muskulärer Dysbalance bzw. zu erhöhtem Muskeltonus und Rigidität sowie zur nervalen Irritation mit pseudoradikulärer oder radikulärer Symptomatik (Abb. 1, 2 und 3).
Im thorakolumbalen Übergang ändert sich die Einstellung der Facettengelenke. So ist im Segment Th11/12 noch die Rotation möglich, während auf Höhe Th12/L1 die Facettenstellung sich mehr in eine sagittale Ebene ausrichtet und dadurch Gelenkblockaden bei abrupten Drehbewegungen auftreten können. Zudem ist aufgrund des Übergangs aus der Brustwirbelsäulenkyphose in die Lordosierung der LWS dieses Segment im Bewegungsmuster großen Belastungen ausgesetzt. Des Weiteren kann entwicklungsgeschichtlich bedingt die Rippenanlage nicht wie im Regelfall als in den Wirbel integrierter Rippenfortsatz, sondern als eigenständige rudimentäre überzählige Lendenrippe imponieren und speziell im Bereich der Ursprungsareale des M. psoas major und des M. quadratus lumborum funktionelle Störungen und Irritation des segmentalen Nervs verursachen.
Der lumbosakrale Übergang ist gemeinsam mit dem Becken als eine Funktionseinheit zu betrachten. Das Becken weist unabhängig von Geschlechtsdimorphismen in seiner Form unterschiedliche Variabilität und Asymmetrien auf. So kann es u. a. zu einer teilweisen bis vollständigen Assimilation des 5. Lendenwirbels an das Kreuzbein kommen. Die daraus resultierende Unbeweglichkeit im Segment L5/S1 führt möglicherweise zu einer Mehr- und Überbelastung im Segment L4/L5. Es wird aber auch die Lumbalisation des 1. Sakralwirbels beschrieben, die durch ein in der Beckenformation tiefer gestelltes Sakrum ebenfalls Funktionsstörungen zur Folge haben kann (Abb. 3, 4 und 5).
Der lumbosakrale Übergang und das Becken sind als eine Funktionseinheit zu betrachten
Die Facettenstellung L5/S1 ist annähernd in die Frontalebene ausgerichtet und erlaubt ein Rotationsspiel von ca. 5° (Abb. 6). Dabei können auch sehr individuell Rechts-links-Asymmetrien mit entsprechenden Bewegungseinschränkungen beobachtet werden.
Für die funktionelle Stellung und Belastung der LWS mit ihrem individuell unterschiedlich starken Lordoseprofil sind auch der lumbosakrale Winkel (im Mittel 143°) und der Promontoriumwinkel von ca. 129° von großer Bedeutung.
Der 5. Lendenwirbel wird über das von den Querfortsätzen zum hinteren Anteil des Beckenkamms ziehende Lig. iliolumbale in der Frontal- und Transversalebene gegen Translationen stabilisiert. Aufgrund des ausgeprägten Nozizeptionsmusters wird dieses Ligament auch als das „Schmerzband des Körpers“ bezeichnet.
Neben der knöchernen Stabilität weist das Becken auch eine bewegungsabhängige „Verformbarkeit in sich“ auf. Diese ist auf die am Becken entspringenden und ansetzenden bzw. auf das Becken wirkenden Muskeln des Rumpfs und der unteren Extremitäten in Form eines dynamischen Vergurtungssystems in unterschiedlichsten Richtungen zurückzuführen.
Das Kreuzbein ist in der Beckenformation über das Lig. sacrospinale und das Lig. sacrotuberale straff verankert (Abb. 7). Die Iliosakralgelenke (ISG), die ebenfalls durch kräftige Bänder gesichert sind, ermöglichen als Amphiarthrosen in Form einer „Nutationsbewegung“ von etwa 3–4° geringfügige Auslenkungen nach dorsal (Flexion/Nutation) und nach ventral (Extension/Kontranutation). Dabei handelt es sich um eine funktionell wichtige kompensatorische, propriozeptiv feingesteuerte Bewegung im Zusammenspiel mit der Symphysis pubica auf die im Gang-Lauf-Muster unterschiedlich einwirkenden Kräfte. So können Beinlängendifferenzen, Achsendeviationen im Bereich der unteren Extremitäten und ein Beckenschiefstand mit daraus resultierendem unphysiologischen asymmetrischen Muskelzug und Dysbalancen zur Überbelastung und Dysfunktion mit schmerzhaften Blockaden, Instabilitäten bis zu degenerativen Prozessen und Ankylosierung führen (Abb. 8).
Die Iliosakralgelenke ermöglichen eine geringfügige Extension und Flexion
Im Wirbel- und Sakralkanal liegen eingehüllt von den Meningen die nervalen Strukturen wie das mit dem Conus medullaris (terminalis) bis L1/L2 reichende Rückenmark und die aus der Summe der Nervenwurzeln sich bildende Cauda equina. Der Duralsack ist mit feinen retikulären Faserzügen („durale Bänder“) an den knöchernen Randpartien befestigt. Im lumbosakralen Übergang finden sich kräftigere durale Verankerungen nach ventral als Lig. lumbosacrale. Nach kaudal ist das Filum terminale im Hiatus sacralis mit dem Lig. anococcygeum und dem Perinealkeil verwoben. Im Epiduralraum befinden sich u. a. die nervalen Strukturen, bewegungsabhängig schützende Fettgewebeansammlungen und der venöse Plexus vertebralis internus als Dämpfungspolster. Der Canalis intervertebralis bzw. das Foramen intervertebrale ist mit derbem Bindegewebe ausgekleidet, das mit den fibrösen Elementen der Bandscheibe und dem Kapsel-Band-Apparat der Facettengelenke verwoben ist. Die dorsale intervertebrale Begrenzung bildet das Lig. flavum. Im Intervertebralraum befinden sich lockeres Bindegewebe, das die Nervenwurzeln schützt, sowie Fettgewebelager und eine Vielzahl an kleinen Venen, die mit dem internen und externen vertebralen Plexus anastomosieren, sowie die segmentale Arterie. Die Anheftung der Duraaussackungen mit den Nervenwurzeln reicht bis an den lateralen Rand des Foramen intervertebrale. Die in die Hinterwurzeln eingebauten Spinalganglien liegen dabei exzentrisch nach ventral verlagert den Disci intervertebrales angenähert (Abb. 9 und 10).
Der sich noch im Foramen intervertebrale aus der Vorder- und Hinterwurzel mit dem Ganglion spinale bildende segmentale Spinalnerv mit gemischter Faserqualität gibt vor seiner Aufspaltung in die den Plexus lumbosacralis bildenden Rami ventrales und die segmental innervierenden Rami dorsales einen rückläufigen sensiblen Ramus duralis (Ramus sinuvertebralis) ab. Dieser Nerv erhält auch vegetative Fasern vonseiten des Grenzstrangs und innerviert die Anteile der Disci, das Lig. longitudinale posterius und die vordere Zirkumferenz der Meningen. Mit einem direkten Ast erfolgt die sensorische Steuerung der Ligg. flava und Teile der Facettengelenke. Der Kapsel-Band-Apparat der Facettengelenke und deren synoviale Binnenstrukturen, wie z. B. meniskoide Falten, werden über ein sehr komplexes Innervationsmuster grundsätzlich immer aus mindestens 2 nervalen Segmenten gespeist. Dies erfolgt einerseits über den R. duralis und einen direkten Ast des N. spinalis, andererseits durch einen direkten Ast des R. posterior des N. spinalis bzw. über mehrere Äste aus dem R. medialis des R. posterior. Die Kenntnis dieser anatomischen Gegebenheiten ist im Hinblick auf die Schmerzsymptomatik bei Arthrosen der Facettengelenke und entsprechenden Therapiekonzepten, wie z. B. Infiltrationstechniken, von großer Bedeutung.
Zur Abklärung der Schmerzsyndromatik und -topik, z. B. Leiste, Unterbauchregion, Trochanter major, Gesäßregion und Sakrum, ist die genaue Kenntnis über die nervale Segmentzuordnung der Myotome und Dermatome sehr wichtig. Auch die Topographie der jeweiligen Nerven muss beachtet werden. Neben primär vertebragenen Läsionen können die Nerven auch in ihren Verlaufsstrecken bis in die Peripherie durch Funktionsstörungen der myofaszialen Strukturen, der Subkutis und Kutis irritiert werden.
Die aus den Rami ventrales der Spinalnerven erfolgende Plexus- und Nervenstammbildung findet sich i.d.R. zwischen der oberflächlichen und der tiefen Portion des M. psoas major. Die sich daraus bildenden Nerven treten mit Ausnahme des N. obturatorius am seitlichen Rand des Muskels aus. Der N. femoralis verläuft in einer Gleitrinne zwischen M. psoas und M. iliacus nach kaudal in Richtung Lacuna musculorum, während der N. obturatorius als einziger lumbaler Nerv medial des M. psoas major in das kleine Becken absteigt. Er hat wie auch der sich aus L4/5 und L5/S1 bildende Truncus lumbosacralis in seiner ersten Verlaufsstrecke einen engen Bezug zum Kapsel-Band-Apparat des ISG. Der N. iliohypogastricus, der N. ilioinguinalis, der N. genitofemoralis und der N. cutaneus femoris lateralis verlaufen in segmentaler Anordnung von dorsal in lateroventraler Richtung mit engem Bezug zur seitlichen Bauchmuskulatur an die Körperwand bis in die Haut.
Die Fascia thoracolumbalis ist von großer funktioneller Bedeutung
In der tiefen Gesäßregion sind die Nn. glutaei (L4/5–S1/2) in ihrem Verlauf durch die supra- und infrapiriforme Loge zu nennen. Sie innervieren u. a. die Mm. glutaei, den M. tensor fasciae latae und die Mm. gemelli. Der M. piriformis wird durch direkte Äste aus dem Plexus sacralis versorgt. Läsionen dieser Nerven können zu sehr komplexen schmerzhaften Funktionsstörungen in der Statik und Dynamik der Hüfte führen. Andererseits können auch Arthropathien und Periarthropathien im Bereich des Hüftgelenks über die sensomotorische Schleife durch konsekutive Schon- bzw. Fehlstellungen der Muskulatur sich in einer entsprechender Schmerzsymptomatik äußern (Abb. 11a–c).
Die gesamte LBH-Region wird durch eine Vielzahl an synergistisch und antagonistisch wirkenden Muskeln und Muskelgruppen rundum gesichert und gesteuert. Diese geraten im Rahmen von Fehl- und Überbelastungen und degenerativen Prozessen am osteoartikulären und ligamentären System über eine hochdifferenzierte sensomotorische Koordination ihrerseits in Dysbalance und schmerzhafte Dysfunktion. Als wichtigste Muskeln zu nennen sind neben der autochthonen Rückenmuskulatur in einem funktionell dynamischen Verspannungssystem mit der seitlichen und ventralen Bauchmuskulatur der M. psoas major, der M. quadratus lumborum, die Mm. glutei, der M. piriformis, die Mm. obturatorii, die Adduktoren, die ischiokrurale Muskelgruppe und die ventrale Oberschenkelgruppe. Auch das Zwerchfell mit seinen lumbalen Ursprüngen und seinem Bezug zur Psoas- und Quadratusarkade muss funktionell miteinbezogen werden. Dies gilt ebenso für die Beckenbodenmuskulatur (Abb. 12).
Große funktionelle Bedeutung kommt auch der Fascia thoracolumbalis (Abb. 13) zu. Als eine Art „körpereigenes Tapesystem“ bildet sie für den M. errector trunci mit der Wirbelsäule einen osteofibrösen Schlauch. Sie steht mit ihrem tiefen Blatt auch in einem Konnex zum M. psoas major („Quadratusfaszie“) und dient u. a. den seitlichen Bauchmuskeln als Ursprung. Auch ist sie eine Leitschiene für die segmentalen Nerven des Plexus lumbalis (Abb. 14). Im kaudalen Abschnitt bildet das tiefe Blatt mit dem dorsalen Kapsel-Band-Apparat der ISG sowie dem Lig. sacrospinale und dem Lig. sacrotuberale einen einheitlichen funktionellen Komplex. Das oberflächliche Blatt setzt sich kontinuierlich in die Fascia glutaea und Fascia lata fort. Die Fascia thoracolumbalis verfügt wie alle Faszien über ein ausgeprägtes Verteilungsmuster an proprio- und nozizeptiven Rezeptoren und kann als ein „sensorische Organ“ der Muskulatur bezeichnet werden. Inwieweit auch eine vegetative Regulation der faszialen Strukturen erfolgt, ist derzeit Ziel zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen. Mikrofasereinrisse im Rahmen von Überbelastungen sowie Alterungsprozessen mit Vergröberung der funktionell anpassungsfähigen, dreidimensional ausgerichteten kollagenen Faserarchitektur (Tensegrity-Modell) führen zu einer Reduktion der Viskoelastizität und Tonizität.
Weiterführende Literatur
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K.-H. Künzel und R. Hörmann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
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Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag gehalten auf dem Kongress „Konservative Orthopädie im Fokus“ in Pörtschach im Juli 2017.
Alle Abbildungen mit freundl. Genehmigung der Sektion für klinisch-funktionelle Anatomie der Medizinischen Universität Innsbruck.
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Künzel, KH., Hörmann, R. Funktionelle Anatomie der Lenden-Becken-Hüft-Region. Manuelle Medizin 56, 4–10 (2018). https://doi.org/10.1007/s00337-017-0353-6
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