Die Manuelle Medizin definiert sich als „die medizinische Disziplin, in der unter Nutzung der theoretischen Grundlagen, Kenntnisse und Verfahren weiterer medizinischer Gebiete die Befundaufnahme am Bewegungssystem, dem Kopf, viszeralen und bindegewebigen Strukturen sowie die Behandlung ihrer Funktionsstörungen mit der Hand unter präventiver, kurativer und rehabilitativer Zielsetzung erfolgt. Diagnostik und Therapie beruhen auf biomechanischen und neurophysiologischen Prinzipien“ [1].

Eine neuere Literaturrecherche zur Wirkung bei Rückenschmerzen ergibt einen positiven Effekt von manualmedizinischen Behandlungen auf chronische wie akute Rückenschmerzen. „Bei akuten Rückenschmerzen ohne weitere Risikofaktoren reichen wenige manualmedizinische Behandlungen aus, um eine Schmerzlinderung zu erzielen“ [2].

Die manuelle Diagnostik dient zum Auffinden der Störungen, die die Ursache von Schmerz und Bewegungseinschränkung im Bewegungssystem sein können. Sie besteht aus den beiden Hauptrichtungen Gewebepalpation und Funktionsdiagnostik. Patienten suchen den Arzt auf, wenn die Schmerzen und Beschwerden bereits bestehen. Beobachtungen in der Arbeitsmedizin, modellhaft bei Berufsmusikern, zeigen aber, dass die Symptome der Funktionsstörungen sich langfristig entwickeln und schon vor dem Auftreten stärkerer Beschwerden bestehen [3, 4].

Demgegenüber wird in der Manuellen Medizin wenig über den Einsatz in der Prävention gesprochen. Im Rahmen eines Forschungsverbunds soll nun untersucht werden, ob in einem frühen Zeitfenster der Entwicklung von Dysfunktionen und Schmerz am Bewegungssystem mithilfe der manuellen Diagnostik Symptome und Anzeichen einer sich entwickelnden Dysfunktion festgestellt werden können. Aufbauend darauf könnten dann präventive Screeningtests entwickelt, präventive Maßnahmen früher und gezielt eingesetzt und deren Wirkung evaluiert werden.

Inwieweit man sich mit dieser Problematik wissenschaftlich beschäftigt, sollte anhand einer Literaturrecherche ermittelt werden.

Methodik der Recherche

Die Literaturrecherche wurde in der medizinischen Datenbank PubMed und der fachübergreifenden wissenschaftlichen Datenbank (u. a. Medizin, Sozialwissenschaften) ScienceDirect durchgeführt. Weiterhin erfolgte eine Handsuche in deutschsprachigen Fachzeitschriften über die Datenbanken SpringerLink und SpringerMedizin. Ziel der Recherche war es, Literatur zu finden, in der Prävention mit Manueller Medizin/Osteopathie verknüpft ist.

Suchbegriffe

Die bei der Literaturrecherche verwendeten Suchbegriffe sind in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Suchbegriffe im Rahmen der Literaturrecherche

Ergebnisse

Nach Sichtung der Abstracts wurden insgesamt 13 relevante Artikel gefunden.

Volltextanalyse der internationalen Quellen

Biller et al. [5]: Die Arbeit ist für die Zielstellung nicht relevant. Prävention bezieht sich auf die Vermeidung zervikaler Dissektionen. „Das Auftreten von zervikaler arterieller Dissektion bei zervikaler manipulativer Therapie hat eine geringe Wahrscheinlichkeit und der Zusammenhang ist schwierig zu belegen und die Praktizierenden sollten die Wahrscheinlichkeit einer zervikalen arteriellen Dissektion in Erwägung ziehen. Insbesondere sollte der Patient über den möglichen Zusammenhang vor der Manipulation informiert werden.“

Eklund et al. [6]: Es werden keine eigenen Ergebnisse präsentiert. Vorgestellt wird ein Studienprotokoll für eine multizentrische Studie, die den Effekt und die Kosteneffizienz von präventiver manueller Versorgung (Chiropraktik) bei Patienten mit persistierenden Schmerzen im unteren Rücken untersuchen soll.

Jepsen [7]: An 6 Muskeln (M. pectoralis major/M. deltoideus, M. biceps brachii/M. triceps brachii, M. flexor carpi radialis/M. extensor carpi radialis) wird die Relation zwischen vom Patienten berichteten Symptomen und der Identifikation von Muskelschwäche durch Muskeltests untersucht. Die Interrater-Reliabilität mit 2 Untersuchern bei 22 Männer (Altersmittelwert 44 Jahre), 19 Frauen (Altersmittelwert 39 Jahre) war mit κ = 0,58 moderat. Der Test erscheint zur Diagnosebestätigung von Neuropathien nicht geeignet, wird allerdings als Screeningtest zur Feststellung abgeschwächter Muskelkraft empfohlen.

Drei Arbeiten [1618] beziehen sich auf die Differenzialdiagnose bei Radikulopathie bzw. bei Nackenschmerzen und geben eine Übersicht zur Reliabilität verschiedener manueller und funktioneller Tests.

Volltextanalyse der nationalen Quellen

Bei den nationalen Quellen handelt es sich ausnahmslos um Publikationen in Manuelle Medizin [814]. Diese beschreiben ausführlich das diagnostische Vorgehen, die Abgrenzung von Syndromen sowie funktionelle Zusammenhänge, aber fast ausschließlich unter dem Aspekt der auf die manuelle Diagnostik aufbauenden manuellen Therapie.

Graf et al. [12] berichten ausführlich zur manuellen Diagnostik und Therapie der Halswirbelsäule, einen möglichen präventiven Ansatz der Untersuchungen erwähnen sie aber nicht. Dies gilt auch für Böhni mit seinen Beiträgen zur Diagnostik von Funktionsstörungen des zervikothorakalen Übergangs [8] und zur Diagnose der Dysfunktion und zur Therapie der Kopfgelenkregion [9] sowie für von Heymann mit seinem Beitrag zur Differenzialdiagnostik und Therapie des akuten Kreuzschmerzes [13]. Auch ein weiterer Beitrag von Böhni zum Muskelschmerz erwähnt die Prävention nicht [15], obwohl ein Rückbau der Chronifizierung durch die manuelle Behandlung dargelegt wird und die Befunde auf die unterschwellige Erregung von Nozizeptoren und das Cinderella-Syndrom in der Muskulatur zurückgeführt werden. Buchmann et al. [10] führen in einem gesonderten Diskussionspunkt zur Prophylaxe an, dass es „prinzipiell gute Belege für die Wirksamkeit manualmedizinischer Maßnahmen in der Therapie des sog. unspezifischen unteren Rückenschmerzes gibt, auch unter ambulanten z. B. hausärztlichen Bedingungen oder unter präventiven Gesichtspunkten“. Nazlikul [13] macht bezüglich der reversiblen segmentalen Dysfunktion die gleiche Aussage: „Die Ergebnisse der manuellen Diagnostik werden außerdem zur aktiven Einbeziehung des Patienten in die Prävention eingesetzt.“ Er gibt aber nicht konkret an, wann und wie dies erfolgen kann.

Schlussfolgerung

Zum Thema Manuelle Medizin als Mittel zur Diagnose von Dysfunktionen und zur Prävention von chronischen Krankheitsverläufen ist die Datenlage sehr spärlich und lückenhaft.

Besonders in den internationalen Quellen sind direkt zu diesem Thema kaum nützliche Artikel zu finden. Am interessantesten (bezogen auf die spezifische Fragestellung der Literaturrecherche) ist die Quelle von Eklund et al. [6], wobei die Autoren lediglich das Studienvorhaben/-protokoll veröffentlicht haben. Die dazugehörige (womöglich noch folgende) Analyse lässt interessante Einblicke vermuten.

In den nationalen Artikeln wurde die Manuelle Medizin angeführt, um darauf hinzuweisen, dass manualmedizinische Techniken zur Diagnostik eingesetzt werden. Die entsprechenden Techniken wurden gar nicht bis grob beschrieben. Vielmehr wurde auf das Einsatzgebiet der Manuellen Medizin im Bereich Therapie eingegangen. Eine genaue Anwendung manueller Techniken mit dem Ziel, frühzeitig Dysfunktionen, die chronische Krankheitsverläufe nach sich ziehen könnten, zu erkennen, war im Rahmen der Literaturanalyse nicht zu finden.

Fazit

Die aufgeworfene Fragestellung nach dem Einsatz der manuellen Diagnostik zur frühzeitigen und damit präventiv ausgerichteten Untersuchung von Dysfunktionen im Bewegungssystem könnte ein neuer Ansatz in der Anwendung Manueller Medizin zur Beeinflussung schmerzchronifizierender Faktoren sein.