Zusammenfassung
Hintergrund
In der Manuellen Medizin wird wenig über den Einsatz in der Prävention gesprochen. Im Rahmen eines Forschungsverbunds soll untersucht werden, ob in einem frühen Zeitfenster der Entwicklung von Dysfunktionen und Schmerz am Bewegungssystem mithilfe der manuellen Diagnostik Symptome und Anzeichen einer sich entwickelten Dysfunktion festgestellt werden können.
Methoden
Es wurden eine Literaturrecherche in PubMed und ScienceDirect sowie eine Handsuche in deutschsprachigen Fachzeitschriften durchgeführt. Ziel der Recherche war es, Literatur zu finden, in der Prävention mit Manueller Medizin/Osteopathie verknüpft ist.
Ergebnisse
Zum Thema Manuelle Medizin als Mittel zur Diagnose von Dysfunktionen und zur Prävention von chronischen Krankheitsverläufen ist die Datenlage sehr spärlich und lückenhaft.
Abstract
Background
The application of manual medicine in prevention is not a major topic. Within the framework of a research group project an attempt was made to find out whether the development of dysfunction and pain in the musculoskeletal system can be determined using manual diagnostic symptoms and signs of a developing dysfunction in an early time period.
Methods
A literature search was carried out in PubMed and ScienceDirect together with a manual search in German language journals. The aim of the search was to find literaure sources in which prevention was linked to manual medicine or osteopathy.
Results
Data on the topic of manual medicine for the diagnosis of dysfunctions and for prevention in the course of chronic diseases is very sparse and fragmentary.
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Die Manuelle Medizin definiert sich als „die medizinische Disziplin, in der unter Nutzung der theoretischen Grundlagen, Kenntnisse und Verfahren weiterer medizinischer Gebiete die Befundaufnahme am Bewegungssystem, dem Kopf, viszeralen und bindegewebigen Strukturen sowie die Behandlung ihrer Funktionsstörungen mit der Hand unter präventiver, kurativer und rehabilitativer Zielsetzung erfolgt. Diagnostik und Therapie beruhen auf biomechanischen und neurophysiologischen Prinzipien“ [1].
Eine neuere Literaturrecherche zur Wirkung bei Rückenschmerzen ergibt einen positiven Effekt von manualmedizinischen Behandlungen auf chronische wie akute Rückenschmerzen. „Bei akuten Rückenschmerzen ohne weitere Risikofaktoren reichen wenige manualmedizinische Behandlungen aus, um eine Schmerzlinderung zu erzielen“ [2].
Die manuelle Diagnostik dient zum Auffinden der Störungen, die die Ursache von Schmerz und Bewegungseinschränkung im Bewegungssystem sein können. Sie besteht aus den beiden Hauptrichtungen Gewebepalpation und Funktionsdiagnostik. Patienten suchen den Arzt auf, wenn die Schmerzen und Beschwerden bereits bestehen. Beobachtungen in der Arbeitsmedizin, modellhaft bei Berufsmusikern, zeigen aber, dass die Symptome der Funktionsstörungen sich langfristig entwickeln und schon vor dem Auftreten stärkerer Beschwerden bestehen [3, 4].
Demgegenüber wird in der Manuellen Medizin wenig über den Einsatz in der Prävention gesprochen. Im Rahmen eines Forschungsverbunds soll nun untersucht werden, ob in einem frühen Zeitfenster der Entwicklung von Dysfunktionen und Schmerz am Bewegungssystem mithilfe der manuellen Diagnostik Symptome und Anzeichen einer sich entwickelnden Dysfunktion festgestellt werden können. Aufbauend darauf könnten dann präventive Screeningtests entwickelt, präventive Maßnahmen früher und gezielt eingesetzt und deren Wirkung evaluiert werden.
Inwieweit man sich mit dieser Problematik wissenschaftlich beschäftigt, sollte anhand einer Literaturrecherche ermittelt werden.
Methodik der Recherche
Die Literaturrecherche wurde in der medizinischen Datenbank PubMed und der fachübergreifenden wissenschaftlichen Datenbank (u. a. Medizin, Sozialwissenschaften) ScienceDirect durchgeführt. Weiterhin erfolgte eine Handsuche in deutschsprachigen Fachzeitschriften über die Datenbanken SpringerLink und SpringerMedizin. Ziel der Recherche war es, Literatur zu finden, in der Prävention mit Manueller Medizin/Osteopathie verknüpft ist.
Suchbegriffe
Die bei der Literaturrecherche verwendeten Suchbegriffe sind in Tab. 1 dargestellt.
Ergebnisse
Nach Sichtung der Abstracts wurden insgesamt 13 relevante Artikel gefunden.
Volltextanalyse der internationalen Quellen
Biller et al. [5]: Die Arbeit ist für die Zielstellung nicht relevant. Prävention bezieht sich auf die Vermeidung zervikaler Dissektionen. „Das Auftreten von zervikaler arterieller Dissektion bei zervikaler manipulativer Therapie hat eine geringe Wahrscheinlichkeit und der Zusammenhang ist schwierig zu belegen und die Praktizierenden sollten die Wahrscheinlichkeit einer zervikalen arteriellen Dissektion in Erwägung ziehen. Insbesondere sollte der Patient über den möglichen Zusammenhang vor der Manipulation informiert werden.“
Eklund et al. [6]: Es werden keine eigenen Ergebnisse präsentiert. Vorgestellt wird ein Studienprotokoll für eine multizentrische Studie, die den Effekt und die Kosteneffizienz von präventiver manueller Versorgung (Chiropraktik) bei Patienten mit persistierenden Schmerzen im unteren Rücken untersuchen soll.
Jepsen [7]: An 6 Muskeln (M. pectoralis major/M. deltoideus, M. biceps brachii/M. triceps brachii, M. flexor carpi radialis/M. extensor carpi radialis) wird die Relation zwischen vom Patienten berichteten Symptomen und der Identifikation von Muskelschwäche durch Muskeltests untersucht. Die Interrater-Reliabilität mit 2 Untersuchern bei 22 Männer (Altersmittelwert 44 Jahre), 19 Frauen (Altersmittelwert 39 Jahre) war mit κ = 0,58 moderat. Der Test erscheint zur Diagnosebestätigung von Neuropathien nicht geeignet, wird allerdings als Screeningtest zur Feststellung abgeschwächter Muskelkraft empfohlen.
Drei Arbeiten [16–18] beziehen sich auf die Differenzialdiagnose bei Radikulopathie bzw. bei Nackenschmerzen und geben eine Übersicht zur Reliabilität verschiedener manueller und funktioneller Tests.
Volltextanalyse der nationalen Quellen
Bei den nationalen Quellen handelt es sich ausnahmslos um Publikationen in Manuelle Medizin [8–14]. Diese beschreiben ausführlich das diagnostische Vorgehen, die Abgrenzung von Syndromen sowie funktionelle Zusammenhänge, aber fast ausschließlich unter dem Aspekt der auf die manuelle Diagnostik aufbauenden manuellen Therapie.
Graf et al. [12] berichten ausführlich zur manuellen Diagnostik und Therapie der Halswirbelsäule, einen möglichen präventiven Ansatz der Untersuchungen erwähnen sie aber nicht. Dies gilt auch für Böhni mit seinen Beiträgen zur Diagnostik von Funktionsstörungen des zervikothorakalen Übergangs [8] und zur Diagnose der Dysfunktion und zur Therapie der Kopfgelenkregion [9] sowie für von Heymann mit seinem Beitrag zur Differenzialdiagnostik und Therapie des akuten Kreuzschmerzes [13]. Auch ein weiterer Beitrag von Böhni zum Muskelschmerz erwähnt die Prävention nicht [15], obwohl ein Rückbau der Chronifizierung durch die manuelle Behandlung dargelegt wird und die Befunde auf die unterschwellige Erregung von Nozizeptoren und das Cinderella-Syndrom in der Muskulatur zurückgeführt werden. Buchmann et al. [10] führen in einem gesonderten Diskussionspunkt zur Prophylaxe an, dass es „prinzipiell gute Belege für die Wirksamkeit manualmedizinischer Maßnahmen in der Therapie des sog. unspezifischen unteren Rückenschmerzes gibt, auch unter ambulanten z. B. hausärztlichen Bedingungen oder unter präventiven Gesichtspunkten“. Nazlikul [13] macht bezüglich der reversiblen segmentalen Dysfunktion die gleiche Aussage: „Die Ergebnisse der manuellen Diagnostik werden außerdem zur aktiven Einbeziehung des Patienten in die Prävention eingesetzt.“ Er gibt aber nicht konkret an, wann und wie dies erfolgen kann.
Schlussfolgerung
Zum Thema Manuelle Medizin als Mittel zur Diagnose von Dysfunktionen und zur Prävention von chronischen Krankheitsverläufen ist die Datenlage sehr spärlich und lückenhaft.
Besonders in den internationalen Quellen sind direkt zu diesem Thema kaum nützliche Artikel zu finden. Am interessantesten (bezogen auf die spezifische Fragestellung der Literaturrecherche) ist die Quelle von Eklund et al. [6], wobei die Autoren lediglich das Studienvorhaben/-protokoll veröffentlicht haben. Die dazugehörige (womöglich noch folgende) Analyse lässt interessante Einblicke vermuten.
In den nationalen Artikeln wurde die Manuelle Medizin angeführt, um darauf hinzuweisen, dass manualmedizinische Techniken zur Diagnostik eingesetzt werden. Die entsprechenden Techniken wurden gar nicht bis grob beschrieben. Vielmehr wurde auf das Einsatzgebiet der Manuellen Medizin im Bereich Therapie eingegangen. Eine genaue Anwendung manueller Techniken mit dem Ziel, frühzeitig Dysfunktionen, die chronische Krankheitsverläufe nach sich ziehen könnten, zu erkennen, war im Rahmen der Literaturanalyse nicht zu finden.
Fazit
Die aufgeworfene Fragestellung nach dem Einsatz der manuellen Diagnostik zur frühzeitigen und damit präventiv ausgerichteten Untersuchung von Dysfunktionen im Bewegungssystem könnte ein neuer Ansatz in der Anwendung Manueller Medizin zur Beeinflussung schmerzchronifizierender Faktoren sein.
Literatur
Bundesärztekammer (2015) http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/MKB_Manuelle_Medizin_Chirotherapie.pdf. Zugegriffen: 15.12.2015
Niemier K (2015) Manuelle Medizin in der Behandlung von Rückenschmerzen – eine kritische Bestandsaufnahme. Man Med 53:424–448
Steinmetz A, Scheffer I, Esmer E, Delank KS, Peroz I (2015) Frequency and severity of playing-related musculoskeletal pain in professional orchestra musicians in Germany. Clin Rheumatol 34(5):965–973
Steinmetz A (2015) Instrumentalspiel-assoziierten muskuloskletettalen Schmerzsyndromen bei professionellen Musikern. Habilitation Martin-Luther-Universität Halle
Biller J et al (2014) Cervical arterial dissections and association with cervical manipulative therapy: a statement for healthcare professionals from the american heart association/american stroke association. Stroke 45(10):3155–3174
Eklund A et al (2014) Prevention of low back pain: effect, cost-effectiveness, and cost-utility of maintenance care – study protocol for a randomized clinical trial. Trails 15:102
Jepsen JR (2014) Can testing of six individual muscles represent a screening approach to upper limb neuropathic conditions. BMC Neurol 2014(14):90
Böhni UW (2013) Diagnostik von Funktionsstörungen des zervikothorakalen Übergangs. Man Med 51(3):247–263
Böhni UW (2014) Diagnostik der Dysfunktion und Therapie der Kopfgelenke. Man Med 52(3):251–268
Buchmann J, Arens U, Harke G, Smolenski U, Kayser R (2012) Manualmedizinische Syndrome bei unteren Rückenschmerzen: Teil 1. Man Med 50(5):374–386
Engel K, Seidel W (2015) Myofasziale Dysfunktion als spezifische Ursache für Kreuzschmerzen. Man Med 53(4):266–269
Graf M, Moll H, Harke G (2010) Manuelle Diagnostik und Therapie der Halswirbelsäule. Man Med 48(1):6–15
Nazlikul H (2014) Die segmentale vertebrale Dysfunktion ist ein multikausales Geschehen. Man Med 52(5):432–436
von Heymann W (2013) Differenzialdiagnostik und Therapie des akuten Kreuzschmerzes. Man Med 51(1):77–88
Böhni U, Gautschi R (2014) Schmerz aus Muskeln und anderen tiefen somatischen Geweben. Man Med 52(3):190–202
De Luigi AJ, Fitzpatrick KF (2011) Physical examination in radiculopathy. Phys Med Rehabil Clin N Am 22(1):7–40
Donelson R (2011) Mechanical diagnosis and therapy for radiculopathy. Phys Med Rehabil Clin N Am 22(1):75–89
Alexander EP (2011) History, physical examination, and differential diagnosis of neck pain. Phys Med Rehabil Clin N Am 22(3):383–393
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Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführte Studien an Menschen oder Tieren.
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Die Veröffentlichung wurde durch die Forschungsberatungsstelle Manuelle Medizin erstellt und wird durch die Deutsche Stiftung Manuelle Medizin unterstützt.
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Nisser, J., Beyer, L. Prävention und manualmedizinische Diagnostik. Manuelle Medizin 54, 105–108 (2016). https://doi.org/10.1007/s00337-016-0107-x
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00337-016-0107-x