Über 80 % der professionellen Orchestermusiker sind im Laufe ihrer Karriere von Instrumentalspiel-assoziierten muskuloskeletalen Schmerzsyndromen (IAMS) betroffen. Eine aktuelle Studie mit deutschen Orchestermusikern zeigt, dass ca. 40 % der Musiker häufig oder ständig unter IAMS leiden und bis zu 43 % der professionellen Orchestermusiker über mehr als 5 Schmerzregionen berichten [1]. Dies sind deutliche Hinweise für eine hohe Chronifizierungsrate von IAMS bei professionellen Orchestermusikern.

Musizieren als Hochleistungskunst

Die Musik gehört zu den Künsten, die dem Ausführenden neben der geistig-emotionalen Herausforderung auch ein Höchstmaß an manueller Kunstfertigkeit abverlangen. Kleinste feinmotorische Bewegungen müssen in größter Präzision miteinander koordiniert und oftmals in höchster Geschwindigkeit ausgeführt werden. Kunst und Kunstfertigkeit werden idealerweise mit Leichtigkeit, Eleganz und Virtuosität assoziiert. Diese körperlichen Höchstleistungen sind jedoch häufig in Grenzbereichen der physiologischen Leistungsfähigkeit angesiedelt und gehen teilweise mit hohen körperlichen Belastungen für die Musiker einher, was dem Publikum jedoch meist verborgen bleibt.

Komponisten forderten in ihren Kompositionen im Laufe der Musikgeschichte immer wieder physiologische Grenzleistungen von ihren Interpreten, viele große Konzerte insbesondere des 19. Jahrhunderts galten zu Zeiten ihrer Komposition als unspielbar, z. B. Tschaikowskys Violinkonzert, (nach Einschätzung des ursprünglich für die Uraufführung vorgesehenen Leopold Auer). In Franz Liszts Paganini-Etüde Nr. 6 beispielsweise hat der Pianist innerhalb einer Minute bis zu 1800 Noten zu spielen [2].

Musizieren spielt sich häufig in physiologischen Grenzbereichen ab

Die durchschnittlichen maximalen Bewegungsfrequenzen von Finger, Hand, Ellenbogen und Schulter liegen zwischen 5 und 7 Bewegungen pro Sekunde [3]. Schon Franz Schubert verlangt in seiner Begleitfigur im Lied „Der Erlkönig“ Triolen (jeweils 3 Noten pro Schlag) in einer von ihm vorgegebenen Geschwindigkeit von 152 Schlägen pro Minute und fordert somit vom Pianisten mehr als 7 Tonwiederholungen pro Sekunde [4].

Naturgemäß stellt das Instrumentalspiel höchst komplexe Anforderungen an die Koordinationsfähigkeit von Hand und Finger. Häufig müssen gleichzeitig oder in schneller Abfolge gegensinnige Fingerbewegungen ausgeführt werden. Unabhängig von der gegebenen Physiognomie oder Händigkeit werden an alle Finger gleiche Anforderungen in Bezug auf Koordination, Kraft und Schnelligkeit gestellt. Je nach Instrument ist das Instrumentalspiel zusätzlich mit nicht unerheblicher statischer Haltearbeit, häufig in einseitigen und asymmetrischen Haltungsmustern, verbunden. Im Orchesterdienst wird diese Situation bei der Aufführung großer Werke regelmäßig durch die räumliche Enge auf der Bühne oder im Operngraben noch verstärkt.

Im Bereich der klassischen Musik koordiniert der Dirigent das Zusammenspiel der verschiedenen Musiker, was bedeutet, dass der Einzelne seine Leistung auf den Impuls von außen hin präzise abrufen können muss, damit ein punktgenaues Zusammenspiel im Orchester zustande kommt.

Das Ergebnis dieser hochkomplexen feinmotorischen Bewegungen unterliegt einem der feinsten Kontrollorgane des menschlichen Körpers, dem Ohr, und wird dadurch auch für das Publikum kritisch beurteilbar. Im Rahmen der Digitalisierung der Musik- und Medienwelt hat sich der Perfektionszwang, dem sich Musiker ausgesetzt sehen, zusätzlich weiter erhöht. Die hieraus resultierenden körperlichen Beschwerden sind häufig mit Einschränkungen der künstlerischen Leistungsfähigkeit verbunden und stellen so für die betroffenen Musiker eine existenzielle Bedrohung dar.

Instrumentalspiel-assoziierte muskuloskeletale Schmerzsyndrome (IAMS)

Epidemiologische Untersuchungen bei Berufsmusikern zeigen, dass bis zu 89 % der Orchestermusiker unter IAMS leiden, die sie in der Ausübung ihres Berufs einschränken [1, 5, 6, 7, 8, 9, 10]. Diese Schmerzsyndrome sind häufig im Bereich der Nackenmuskulatur, der oberen Extremität und Lendenwirbelsäule lokalisiert [1, 7, 8, 9, 10]. Die hinter dem Terminus IAMS stehenden Diagnosen sind vielfältig und reichen vom myofaszialen Schmerzsyndrom über Nervenengpasssyndrome bis hin zur Sehnenscheidenentzündung. Häufig wird auch von einem Überlastungssyndrom („overuse“) oder einer „repetetive strain injury“ gesprochen [5, 11, 12]. In der englischsprachigen musikermedizinischen Literatur findet sich auch der Begriff „playing-related musculoskeletal disorder“ (PRMD), der als Überbegriff den Gesamtkomplex muskuloskeletaler Probleme bei Musikern beschreibt [13]. Im Folgenden wird synonym zum englischen Terminus PRMD der Begriff „Instrumentalspiel-assoziierte muskuloskeletale Schmerzsyndrome“ (IAMS) benutzt.

Untersuchungen mit Musikstudenten zeigen, dass sich die Beschwerden häufig bereits in der Studienzeit entwickeln. Die Häufigkeit von IAMS liegt hier zwischen 43% und 89 % [14, 15, 16, 17].

IAMS entwickeln sich häufig bereits in der Studienzeit

Diese Erkenntnis ist angesichts der schon im jugendlichen Alter erbrachten „Übeleistung“, die durchaus mit dem Trainingspensum von Hochleistungssportlern vergleichbar ist, nicht allzu überraschend. Ein Studienanfänger an der Musikhochschule hat mit 20 Jahren durchschnittlich bereits über 10.000 Stunden am Instrument geübt [18].

Aktuelle Literatur und Datenlage im Vergleich

Im Folgenden werden die Ergebnisse der wesentlichen Studien zu IAMS im Vergleich dargestellt. In einer der größten und ältesten Arbeiten zu IAMS konnten 1988 insgesamt 2212 professionelle amerikanische Orchestermusiker aus 47 Orchestern in eine Fragebogenauswertung eingeschlossen werden [6]. Eine ähnliche Untersuchung wurde 1995 in Deutschland mit insgesamt 1432 Streichern aus 42 deutschen Orchestern durchgeführt [7]. Des Weiteren liegen aktuellere Studien aus Großbritannien (243 Musiker/14 Orchester [9]), Dänemark (342 Musiker/6 Orchester [10]), Australien (377 Musiker/8 Orchester [8]) und Deutschland (408 Musiker/10 Orchester [1]) vor.

Definitionen

Beim Vergleich der verschiedenen Studien zu IAMS ist zu bedenken, dass bis dato keine standardisierte einheitliche Definition von IAMS existiert und die von den einzelnen Arbeitsgruppen eingesetzten Begrifflichkeiten leicht differieren. In den früheren Untersuchungen wurde explizit nach „medizinischen Problemen, muskuloskeletalen Symptomen und Diagnosen“ [6] bzw. „Beschwerden und Erkrankungen“ [7] gefragt. Weitere in Fragebögen verwendete Definitionen reichen von „Schmerzen im Zusammenhang mit dem Instrumentalspiel“ bei Steinmetz et al. [1], „troubles (pain, ache or discomfort)“ bei Paarup et al. [10], „pain, including disabling pain defined as pain present for at least a month, which prevented attendance from work for at least 1 day“ bei Leaver et al. [9] bis zur umfassenden Beschreibung von Ackerman et al. [8]: „any pain, weakness, numbness, tingling or other physical symptoms that interfere with your ability to play your instrument at the level to which you are accustomed. This definition does not include mild or transient aches or pains.“ Während Paarup et al. [10] sogar „discomfort“ als eine Art Schmerzvorstufe mit einbeziehen, schließen Ackerman et al. [8] explizit milde Schmerzen aus.

Punkt-, Perioden- und Lebenszeitprävalenzen

Weit über drei Viertel der professionellen Musiker sind im Laufe ihrer Karriere von IAMS betroffen. In der Studie von Fishbein et al. [6] hatten 82 % der befragten Orchestermusiker mindestens ein medizinisches Problem (am häufigsten im Bereich des muskuloskeletalen Systems). Insgesamt gaben 76 % der Musiker mindestens eine Beschwerde an, die ihre musikalische Aufführungsqualität ernsthaft beeinträchtigte. Bei 48 % lagen drei oder sogar vier ernsthafte medizinische Probleme vor. Blum [7] berichtete, dass 86 % der befragten Streicher Beschwerden im Bereich des Bewegungssystems angaben. Neuere Studien bestätigten diese hohen Prävalenzraten. Ackermann et al. [8] stellten eine Lebenszeitprävalenz von 84,4 % fest, bei Steinmetz et al. [1] betrug die Lebenszeitprävalenz 89,5 %. Dagegen unterschieden sich insbesondere Punkt- und Periodenprävalenzen deutlich. Beschriebene Punktprävalenzen lagen zwischen 8,6 % [1] und 50 % bei australischen Orchestermusikern [8]. Leaver et al. [9] erhoben bei britischen Orchestermusikern eine Einmonatsprävalenz von 71 %, bei Steinmetz et al. [1] zeigte sich eine Dreimonatsprävalenz von 62,7 %. Die Einjahresprävalenzen betrugen bei Leaver et al. [9] 86 % für britische Orchestermusiker sowie bei Paarup et al. [10] 97 % für weibliche und 83 % für männliche dänische Orchestermusiker.

Bis zu 89 % der professionellen Orchestermusiker sind von IAMS betroffen

Diese aktuellen Daten zeigen deutlich, dass die Prävalenz von IAMS bei Orchestermusikern seit der ersten großen Studie von Fishbein et al. [6] nicht gesunken ist, sondern sich eher erhöht hat.

Schweregrade und Beeinträchtigung

Vor diesem Hintergrund ist eine objektivierte Erhebung des Schweregrads muskuloskeletaler Schmerzsyndrome und der daraus resultierenden Beeinträchtigung der betroffenen Musiker wünschenswert, allerdings sind derartige Daten bisher nur eingeschränkt erhoben worden. In der Studie von Paarup et al. [10] wurde bei 86 % der weiblichen und 67 % der männlichen Orchestermusiker eine Beschwerdedauer von einer Woche sowie bei 63 % der Frauen bzw. 49 % der Männer eine Beschwerdedauer von einem Monat konstatiert. „Disabling pain“ von mindestens einem Monat Dauer und mindestens einem Tag Arbeitsunfähigkeit stellten Leaver et al. [9] bei 41 % der befragten Musiker fest. Insgesamt 70 % der australischen Orchestermusiker gaben bezüglich der Häufigkeit des Auftretens von IAMS einen Wert von < 3 (durchschnittlich 2,8) auf einer Skala von 0 („never“) bis 10 („constantly“) an, die durchschnittliche Schmerzstärke auf einer numerischen Ratingskala (NRS) von 0 bis 10 betrug 4,8 [8]. Deutsche Orchestermusiker gaben aktuell eine durchschnittliche Schmerzintensität von NRS 3,7 an, allerdings berichteten insgesamt 40 % der Befragten, häufig bzw. permanent unter IAMS zu leiden. In diesem Fall stieg die durchschnittliche Schmerzintensität auf einen NRS-Wert von 4,9 (häufige IAMS) und bei permanenten Schmerzen von 6,1 an [1]. Insgesamt 43,4 % der Musiker berichteten über mehr als 5 Schmerzregionen (52,9 % der Frauen und 36,4 % der Männer) und 15,4 % gaben mehr als 10 Schmerzregionen an (20,3 % der Frauen und 11,8 % der Männer). Die Hälfte der Musiker mit mehr als 10 Schmerzregionen waren hohe Streicher (50,6 %).

Etwa 40 % der betroffenen Musiker haben chronische Schmerzsyndrome

Der Ausschluss leichter Schmerzsyndrome in der Arbeit von Ackerman et al. [8] erklärt möglicherweise die etwas höhere durchschnittliche Schmerzintensität der australischen Orchestermusiker. Allerdings sollten auch leichtere vorübergehende Schmerzen nicht ignoriert werden. Die Ergebnisse einer Studie zu muskuloskeletalen Funktionsstörungen bei Musikstudenten zeigen, dass die Mehrzahl der Studenten die Kriterien einer IAMS erfüllte, obwohl sie ihren Gesundheitszustand als gut bzw. sehr gut einschätzte [19].

Im Rahmen der aktuellen Befragung von 408 deutschen Orchestermusikern [1] konnte erstmalig gezeigt werden, dass Musiker mit häufigen und permanenten IAMS höhere Schmerzintensitäten sowie eine größere Anzahl betroffener Körperregionen aufweisen. Dieses Phänomen spricht für eine Chronifizierung der Beschwerdesymptomatik.

Für die Interpretation der vorliegenden Studienergebnisse zu IAMS bei professionellen Orchestermusikern ist außerdem zu beachten, dass diese Studien alle IAMS bei Musikern untersuchten, die trotzdem ihren Orchesterdienst absolvierten. Aufgrund von IAMS arbeits- oder erwerbsunfähige Musiker wurden hier nicht erfasst. Einen Hinweis auf diese Problematik geben die Daten der Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester (VddKO), die hinsichtlich der Zahl der Rentenempfänger einen Anteil von 33,9 % Erwerbsunfähigkeitsrenten für das Jahr 2011 aufweisen [20]. Allerdings erfassen diese Zahlen nicht, welcher Anteil der Betroffenen aufgrund von IAMS erwerbsunfähig wird. Dies würde auch die mangelnde Alterskorrelation von IAMS erklären, da Musiker mit zunehmendem Alter aufgrund von IAMS aus dem Berufsleben ausscheiden. Dieser Aspekt zeigt deutlich, dass aufgrund fehlender longitudinaler Verlaufsstudien noch keine umfassenden Informationen zur Prävalenz und dem Verlauf von IAMS bei professionellen Orchestermusikern vorliegen.

Instrumentenspezifische Schmerzsyndrome

Die Datenlage zu instrumentenspezifischen Schmerzsyndromen zeigt sich insgesamt eher heterogen. Bei deutschen Orchestermusikern weisen hohe Streicher das höchste Risiko für Nackenschmerz, Schmerzen in der linken Schulter sowie des linken Handgelenks auf [1].

Diese Daten stimmen mit den Erkenntnissen von Ackerman et al. [8] überein, allerdings nicht (außer in Bezug auf Nackenschmerzen) mit denen von Paarup et al. [10] sowie Leaver et al. [9]. Dennoch scheinen insbesondere Geiger häufiger und stärker betroffen zu sein. Hinsichtlich der Anzahl betroffener Schmerzregionen berichtete die Hälfte der befragten Geiger über mehr als 5 Schmerzregionen sowie über eine mit der Frequenz des Auftretens steigende Schmerzintensität. Dieses Phänomen ist möglicherweise durch eine höhere akkumulierte Instrumentalspieldauer bedingt, da Geiger ihr Instrument i.d.R. in jüngerem Lebensalter erlernen, im Orchester einen höheren Spielanteil haben und häufig auch die meisten Übungsstunden aufweisen.

Hohe Streicher sind häufiger von Schmerzen betroffen

Auch für tiefe Streicher, Holz- und Blechbläser sowie Schlagzeuger zeigt der Literaturvergleich unterschiedlichste Assoziationen zwischen Instrumentengattung und Schmerzlokalisationen; teilweise sind die Studienergebnisse aufgrund verschiedener statistischer Methoden bzw. unterschiedlicher Vergleichsgruppen auch nicht vergleichbar. Zudem ist für die Gruppen der Holz- und Blechbläser zu diskutieren, inwiefern das Zusammenfassen dieser Instrumente sinnvoll ist, da die in diesen Gruppen subsumierten Instrumente unterschiedlichste Spiel- und Haltetechniken erfordern. Diesbezüglich scheint der Ansatz von Nyman et al. [21], verschiedene Instrumente nach ihrem Belastungsfaktor für eine spezifische Körperregion zusammenzufassen, für künftige Forschungsprojekte zielführender. In einer Studie zu Arbeitshaltung und Nackenschmerz bei Musikern wurden die verschiedenen Instrumente abhängig von einer neutralen bzw. über 40° gehaltenen Armposition und der dazugehörigen Zeitdauer in unterschiedliche Gruppen eingeteilt, sodass insgesamt vier verschiedene Belastungsgruppen resultierten. Die Musiker der Gruppen mit einer über 40° gehaltenen Armposition sowie weniger als 2 h pro Arbeitstag (Flöte, Trompete, Posaune) und mehr als 3 h pro Arbeitstag (Violine, Viola) zeigten signifikant häufiger (Odds Ratios 4,15 und 5,35) Nackenschmerzen im Vergleich Musikern der Instrumentengruppe mit neutraler Armhaltung [21].

Die Diskrepanzen der unterschiedlichen Studien zu instrumentenspezifischen Schmerzsyndromen lassen sich durch weitere Faktoren erklären. Neben den schon erwähnten unterschiedlichen IAMS-Definitionen, verschiedenen Response-Raten und möglichen Selektionsverzerrungen ist die multikausale Entstehungskette von IAMS in Betracht zu ziehen. Zur physischen Belastung durch das Instrumentalspiel kommen Faktoren wie anatomische Voraussetzungen, muskuläre Kondition und Konstitution sowie ergonomische, psychische und psychosoziale Aspekte hinzu und resultieren in einem Gesamtbelastungsfaktor.

Ätiologie und Risikofaktoren

Verschiedenste Risiko- und Einflussfaktoren werden für die Entstehung von IAMS beschrieben. Als ein wesentlicher Belastungsfaktor ist der direkte Einfluss des Instrumentalspiels mit seinen einseitigen und oft asymmetrischen Bewegungsmustern auf das muskuläre und neuromuskuläre System zu sehen. Eine Überlastung dieser Strukturen kann zu Mikroläsionen der Muskulatur mit Muskelschmerz und der Entstehung muskulärer Funktionsstörungen, wie z. B. Triggerpunkten, führen [22]. Adaptive Anpassungen des neuromuskulären Systems bei Schmerz haben muskuläre und/oder posturale Dysbalancen zur Folge [23, 24, 25, 26]. Außerdem spielen anatomische Voraussetzungen, muskuläre Kondition, die psychische Konstitution, aber auch instrumentaltechnische sowie ergonomische und Arbeitsplatzfaktoren eine Rolle.

In Bezug auf die untersuchten Einflussfaktoren, das Untersuchungskollektiv (Musikstudenten, Orchestermusiker, Musikschullehrer, Freelancer, Amateure) und die Studienqualität ist die bisherige Studienlage zu Ätiologie und Risikofaktoren von IAMS teilweise sehr heterogen. In einem systematischen Review von 2007 identifizierte Wu [27] insgesamt nur 8 Arbeiten mit hinreichender Studienqualität, die diese Thematik untersuchten. In den 6 eingeschlossenen Querschnitts- und 2 Fall-Kontroll-Untersuchungen zeigten sich im Wesentlichen folgende Einflussfaktoren, die das Risiko von IAMS erhöhen:

  • weibliches Geschlecht [14, 16, 17, 28, 29],

  • kumulative Instrumentalspielzeit in Jahren [28],

  • Instrument: Streicher [16, 17, 29], Tasteninstrumente [14],

  • Instrumentalspiel-assoziierte Muskelspannung [28],

  • Instrumentalspiel-assoziierter Stress [28],

  • jüngeres Alter/berufliche Unerfahrenheit [30] und

  • Gesamtspielzeit während des vorangegangenen Jahres [31].

Als protektive Faktoren wirkten Aufwärmübungen und regelmäßige Übungspausen [29].

Allerdings wurden in der Mehrzahl der Studien Musikstudenten untersucht [14, 16, 17, 31, 32]; nur Zaza u. Farewell [29] untersuchten sowohl Musikstudenten als auch professionelle Musiker. In den beiden Studien, in denen ausschließlich professionelle Musiker exploriert wurden [28, 30], schließt lediglich die Studie von Yeung et al. [30] allein Orchestermusiker ein – allerdings mit nur 39 Studienteilnehmern.

Nicht in das Review von Wu [27] aufgenommen wurde die bisher größte Risikoanalyse mit insgesamt 1639 spanischen Musikern (aus Musikschulen, Konservatorien, Orchestern und anderen professionellen Organisationen sowie auch nichtklassische Musikergruppen inklusive Amateure) aufgrund der großen Heterogenität des Untersuchungskollektivs und der zu großen Altersspanne von 7 bis 79 Jahren [33]. Die in dieser Studie anhand von Fragebogendaten identifizierten Risikofaktoren umfassten Alter, Leistungsstufe, professioneller Status, hohe Instrumentalspielzeit (in h/Woche und kumulierte Spielzeit in Jahren), Veränderungen der Spielroutine (Konzertvorbereitung, plötzliche Steigerung der Übungszeit) und die Instrumentengattung. Das Geschlecht oder die Händigkeit erwiesen sich nicht als risikobehaftet.

Die Heterogenität der Studienlage wird durch die 2009 veröffentlichte Arbeit von Brandfonbrener [34] verdeutlicht. Die Analyse von insgesamt 330 Fragebogendaten von Musikstudenten im ersten Studienjahr, den „freshman music students“, ergab zwar eine sehr hohe IAMS-Prävalenz von 84–87 % (abhängig von der Instrumentengruppe), allerdings ließ sich weder das Geschlecht noch die kumulative Spielzeit, die Teilnahme an regelmäßigen Ausgleichsübungen oder das Vorhandensein von Aufführungsangst mit dem Auftreten von IAMS korrelieren.

Neuere Arbeiten zu IAMS bei professionellen Orchestermusikern bestätigen ein höheres Risiko sowohl für Frauen [9, 10] als auch für Musiker mit niedrigem Stimmungsscore, hohem Somatisierungsscore [9] und Aufführungsangst [1]. Außerdem konnten biomechanische Belastungsfaktoren, psychosoziale Arbeitsplatzfaktoren sowie Instrumentengewicht und durchschnittliche wöchentliche Instrumentalspieldauer [35] als Risikofaktoren identifiziert werden.

Frauen weisen ein höheres Risiko für IAMS auf

Die Arbeiten von Paarup et al. [10] sowie von Leaver et al. [9] zeigen, dass Frauen ein höheres Risiko für IAMS aufweisen. Dies wurde in der Befragung deutscher Orchestermusiker bestätigt [1]. Zusätzlich konnte erstmalig gezeigt werden, dass der Anteil der weiblichen Orchestermusiker, die mehr als 5 schmerzhafte Körperregionen angeben, verglichen mit dem der männlichen Kollegen deutlich höher ist (52,9 % vs. 36,4 %). Mehr als 10 schmerzhafte Körperregionen gibt im Geschlechtervergleich die doppelte Anzahl von Frauen (20,3 % vs. 11,8 %) an. Dieses Ergebnis deckt sich mit Erkenntnissen aus der Schmerzforschung, wonach das weibliche Geschlecht mit einem erhöhten Risiko für multilokuläre Schmerzsyndrome verbunden ist [36, 37, 38].

Musikermedizin, quo vadis?

Die hohen Prävalenzraten, die sich über fast 30 Jahre musikermedizinische Forschung unverändert zeigen, erfordern umfassende Therapiekonzepte und Präventionsmaßnahmen. Angesichts der hohen Chronifizierungsrate sowie zunehmender Hinweise auf psychosoziale Einflussfaktoren ist die Entwicklung multimodaler musikerspezifischer Therapieansätze, analog den etablierten Therapiekonzepten bei chronischen Schmerzen, notwendig.

Auch im Präventivbereich sollten Musiker auf verschiedenen Ebenen in ihrer Kompetenz gestärkt werden. Spezifische, den speziellen instrumentalen Anforderungen angepasste muskuläre Trainings- und Kräftigungsprogramme sollten mit segmentalen Stabilisierungskonzepten zur Sicherstellung der Leistungsfähigkeit der posturalen Tiefenstabilisationssysteme kombiniert werden. Das Ziel eines körperlichen Präventivprogramms sollte die Bereitstellung einer optimal trainierten Muskulatur für die teils asymmetrischen und stark repetitiven Bewegungsmuster des Musizierens sein.

Standardisierte Therapie- und Präventionsprogramme sind zu etablieren

Außerdem sollte eine psychische Kompetenz- und Ressourcenstärkung erfolgen. Insbesondere erscheinen Maßnahmen bezüglich Lampenfieber/Aufführungsangst, aber auch zu arbeitsplatzspezifischen Stressoren wie Perfektionismus, Mobbing oder ständige berufliche Wettbewerbssituation notwendig. Dies könnte über Coachingmaßnahmen oder ein spezifisches Auftrittstraining erreicht werden. Essenziell wäre eine frühzeitige Vermittlung professioneller Übungspläne (ähnlich sportlicher Trainingspläne), die auch Techniken wie mentales Training einschließen sollte. Diese Maßnahmen sollten idealerweise schon im Bereich der Ausbildung an den Musikhochschulen im Rahmen des Fachs Musikphysiologie vermittelt werden. Die Mehrzahl der deutschen Musikhochschulen bietet bereits (teils auch obligatorische) Kurse im Bereich Musikphysiologie an, allerdings fehlt es bisher an standardisierten und evaluierten Präventionsprogrammen. Darüber hinaus sollten professionelle Präventivmaßnahmen durch entsprechende Arbeitgeberangebote beispielsweise im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements weitergeführt und vertieft werden.

Die Musikhochschulen Berlin und Hannover bieten in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Musikermedizin (DGfMM) bereits berufsbegleitend eine Weiterbildung „Musikphysiologie im künstlerischen Alltag“ an, die zum Ziel hat, den Umgang mit körperlichen und psychischen Belastungen des beruflichen Musizieren zu verbessern.

Vor dem Hintergrund der anhaltend hohen Prävalenzraten von IAMS sollte das wichtigste Ziel der musikermedizinischen Forschung in den nächsten Jahren sein, standardisierte und evaluierte Therapie- und Präventionsprogramme zu etablieren.

Fazit für die Praxis

  • Von IAMS sind bis zu 89 % der professionellen Orchestermusiker betroffen, hiervon zeigen ca. 40 % bereits einen chronischen Verlauf.

  • Hohe Streicher und Musikerinnen haben ein größeres Risiko, IAMS zu entwickeln.

  • Es besteht ein Bedarf an multimodalen standardisierten Therapieprogrammen für die Behandlung von Musikern mit IAMS.

  • Vonseiten der Ausbildungsinstitutionen und Arbeitgeber (Orchester, Musikschulen etc.) müssen evaluierte Präventionskonzepte etabliert werden.