Lumbale Rückenschmerzen (LBP) sind eine der am häufigsten vorkommenden und kostenverursachenden muskuloskeletalen Schmerzsyndrome in der ganzen Welt. Die chronische Form von LBP (cLBP) tritt z. B. schon bei einem Drittel der Population auf. Die aktuelle Evidenz lässt vermuten, dass die klinische Präsentation von cLBP durch eine zentrale Sensibilisierung unterhalten werden kann [16]. Die Konsequenz ist die gelegentlich auftretende Therapieresistenz. Immer mehr Studien zeigen die Existenz von Prädiktoren für eine zentrale Sensibilisierung. Die vorliegende Falldarstellung zeigt, dass sich eine auf „clinical reasoning“ basierende Datensammlung, kombiniert mit einer kognitiv-funktionellen Behandlung, positiv auf den Therapieverlauf bei Rückenschmerzpatienten auswirken kann.

Anamnese

Der hier vorgestellte Patient Z. ist ein 21-jähriger sportlicher junger Mann. Er hat vor einem Jahr seine Lehre als Spengler erfolgreich abgeschlossen und arbeitet im Familienbetrieb. Seine Hobbies sind Krafttraining und Kickboxen. Als Hauptproblem beschreibt er sehr starke Rücken- und Beinschmerzen. Er fühlt sich im Alltag und in seinen Hobbies sehr stark eingeschränkt. Vonseiten seiner Freunde bemerkt er eine gewisse Unsicherheit und Distanzierung. Zudem macht er sich große Sorgen um seine Zukunft, schließlich sei er noch sehr jung, und die letzten Monate beschreibt er als kaum lebenswert.

Auslöser seiner Beschwerden waren 2 Stürze während der Rekrutenschule (RS). Der erste geschah bei einer 25 km langen Marschübung mit vollem Gepäck, als er unglücklich an einer Wurzel hängenblieb und einen kleinen Hang (ca. 5–6 m) hinunterrollte. Trotz der Schmerzen beendete er die Marschübung. Bei der anschließenden Untersuchung des Kompaniearztes konnten keine strukturellen Defizite der Lendenwirbelsäule (LWS) festgestellt werden. Daraufhin erhielt Z. nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) gegen die Schmerzen und wurde von jeglichen Übungen für eine Woche befreit. Ein paar Tage später rutschte er auf einer glatten Treppe aus und landete mit dem Rücken auf der Trittkante. Diesmal waren die Schmerzen stark und die Beine dumpf, schwer und kalt. Nach diesem Sturz war Z. nicht mehr in der Lage, sich selbstständig aufzurichten. Zwei Rekrutenfreunde holten eine Trage und brachten ihn sofort zum Arzt, wo er liegend den ganzen Tag verbrachte. Da sich die Beschwerden trotz der hoch dosierten Schmerzmittel nicht besserten, wurde Z. als Notfall in das nächstgelegene Krankenhaus gefahren. Die Untersuchung erfolgte mit Computer- und Magnetresonanztomographie. Die abschließende Diagnose lautete: Bandscheibenvorfall. Er dürfe nicht mit der RS fortfahren und solle sich sehr vorsichtig bewegen, sonst könne er im Rollstuhl landen.

Zu Hause verordnete der Hausarzt weitere Medikamente (NSAR und Opioide), Physiotherapie und schrieb ihn bis auf Weiteres 100 % arbeitsunfähig (AUF). Mittlerweile sind 7 Monate vergangen, Z. nimmt immer noch NSAR und Opioide und ist 100 % AUF. Er kann seine Rücken- und Beinbeschwerden bei fast jeder Bewegung auslösen und jegliche Belastung ist unerträglich. Einfache alltägliche Bewegungen wie sich anziehen, waschen, drehen im Bett, sind nur mit sehr viel Mühe durchführbar und nehmen viel Zeit in Anspruch. Die Freude, sich mit Freunden zu treffen, ist schon lange vorbei, da er nichts mehr mit ihnen unternehmen kann. Die Schmerzen sind einfach zu stark, als dass er lange unterwegs sein oder sitzen könnte. Kurzfristige Linderung verspürt Z. beim Liegen in Rückenlage mit unterlagerten Knien und mit Medikamenten (NSAR und Opioiden).

Rückblickend auf seine Kampfsporterfahrungen glaubt er, gut mit Schmerzen umgehen zu können, nur diese neue Art von Schmerzen macht ihm sehr zu schaffen, da sie mit der Zeit eher zunehmen anstatt besser zu werden, wie in der Vergangenheit. Zusätzlich hat Z. das Gefühl, dass das medizinische Personal (Ärzte, Physiotherapeuten, usw.) ihn aufgrund seiner Statur, seines Körperbaus und seiner Herkunft nicht immer ernst nimmt. Als Simulant abgestempelt zu werden, empfindet er als ungerecht und demütigend.

Schlussfolgerung nach der Anamnese

Durch die bisher gesammelten Informationen kommt als erste Hypothese die zentrale Sensibilisierung mit maladaptivem Schmerzverhalten infrage. Ob periphere nozizeptive (mechanische, ischämische) oder periphere neurogene Mechanismen vorliegen, ist aus der Diagnose und der Beziehung zwischen den Symptombereichen abzuleiten. Die Schmerzausbreitung zur Brustwirbelsäule kann durch einen reaktiven Hypertonus der Rückenmuskulatur erklärt werden. Die Ausstrahlungsschmerzen in den Beinen sind nicht dermatomspezifisch, was an myofasziale Dysfunktionen („referred pain patterns“) denken lässt. Trotzdem kann sich ein neurologischer Ursprung dahinter verbergen, weshalb Behutsamkeit bei der physischen Untersuchung angebracht ist. Das sehr vorsichtige Bewegungsverhalten (motorischer Output-Mechanismus), die Vorfälle und die Aussagen des Patienten deuten auf zentrale Schmerzmechanismen (Sensibilisierung) hin, die mit entsprechenden Einstellungen („attitudes“) und Überzeugungen („beliefs“) gekoppelt sind. Aus der Vorgeschichte und den MRT-Untersuchungen ergeben sich keine Hinweise auf eine strukturelle Instabilität. Eine mögliche vorbestehende lokale Hypermobilität des lumbosakralen Übergangs ist trotzdem noch auszuschließen. Die beiden Stürze können jedoch eine Störung der muskulären Kontrolle [8] und/oder Rumpfstabilität [10] ausgelöst oder verstärkt und damit die veränderte Körperwahrnehmung [9, 14] begünstigt haben.

Befundaufnahme der physischen Untersuchung

Die Parameter der Befundaufnahme 7 Monate posttraumatisch sind in Tab. 1 erläutert.

Tab. 1 Verlaufsparameter in der Befundaufnahme

Arbeitshypothese

Am Ende der Befundaufnahme bestätigte sich der Verdacht einer zentralen Sensibilisierung. Außerdem offenbarten sich zusätzliche problemunterstützende Faktoren. Dies waren zum einen die gestörte motorische Kontrolle der LWS mit reaktiver Hyperaktivität der umliegenden Muskulatur (aktive myofasziale Triggerpunkte) mit der dazugehörigen Veränderung der taktilen Wahrnehmung, zum anderen die Einschränkung in der allgemeinen Beweglichkeit aufgrund der verkürzten Muskulatur und Neurodynamik. Das weitere Vorgehen konzentrierte sich auf die genaue Aufklärung des Patienten über seine aktuelle Situation, die Information über Schmerzphysiologie und die Behandlung der genannten zusätzlichen Faktoren. Das Ziel war, dass Z. seine Freude an Bewegung und das Vertrauen in den eigenen Körper zurückgewinnen sollte.

Therapie und Verlauf

Aufgrund der letzten Erkenntnisse aus der physischen Untersuchung und der Ergebnisse von Moseley [12, 13, 15], dass Patienten mit cLBP besser mit ihrer Problematik umgehen können, wenn sie über ihre Dysfunktionen (Befunde) und ihre Folgen aufgeklärt werden, entschied sich der Therapeut, mit einer ausführlichen Aufklärung der Befundergebnisse als erste Maßnahme zu beginnen. Z. sollte sich sofort melden, falls er etwas nicht verstanden hatte. Anschließend wurde Z. aufgefordert, ein kurzes Quiz über Schmerzen auszufüllen [12, 15]. Die Antworten darauf sollten dem Therapeuten einen Einblick über den aktuellen Wissensstand des Patienten über Schmerz und Schmerzphysiologie liefern. Als Vorbereitung für die nächste Behandlung bekam Z. ein Exemplar des Buches Schmerzen verstehen [3] mit der Aufgabe, das 1. Kapitel durchzulesen und sich ein paar Gedanken darüber zu machen. Am Ende der 2. Behandlung waren die Schmerzen immer noch unverändert (5–7 von 10 Punkten auf der numerischen Ratingskala, NRS), trotzdem gab Z. an, ein gutes Gefühl hinsichtlich seiner Situation haben. Die nächsten 3 Behandlungen konzentrierten sich einerseits auf die weitere Aufklärung über Schmerzphysiologie (Buch Schmerzen verstehen, Kap. 2–3) und auf die Verbesserung der Körperwahrnehmung. Gängige Übungen dafür sind: das Erkennen von Zahlen oder Buchstaben, die auf den unteren Rücken geschrieben werden (Abb. 1), und die Positionierung des Beckens (ohne zusätzliche Schmerzprovokation) in verschiedenen Positionen [26], hier mit visuellem Feedback mithilfe eines Laserpointers (Abb. 2).

Abb. 1
figure 1

Wahrnehmungsübung 1: Erkennen von aufgeschriebenen Zahlen und Buchstaben auf dem Rücken

Abb. 2
figure 2

Wahrnehmungsübung 2: Positionierung des Beckens im Raum mit Unterstützung eines Laserpointers

Im Wiederbefund zeigte Z. deutlich weniger Angst bei kyphosierenden Bewegungen der LWS, trotzdem blieb die Schmerzsituation im Status quo. Z. wurde angewiesen, diese Übungen (Abb. 1, Abb. 2) auch zu Hause mehrmals täglich durchzuführen, ohne den Schmerz zu verstärken oder zu provozieren.

Zu Beginn der 5. Behandlung, bei der erneuten Evaluation der funktionellen Einschränkungen mit der Patient-Specific Functional Scale (PSFS), äußerte sich Z. sehr positiv überrascht: Er habe in den letzten Tagen deutlich weniger Mühe gehabt, sich anzuziehen, jedoch seien sich waschen und drehen im Bett immer noch problematisch, trotzdem würde er den aktuellen Verlauf der Therapie positiv beurteilen. Objektiv betrachtet blieben im Wiederbefund die Verlaufszeichen NRS, Finger-Boden-Abstand (FBA), „strait leg raise“ (SLR), „motor control impairment“ (MCI) noch unverändert. Nur die 2-Punkte-Diskrimination (2PD) verbesserte sich beidseits auf 4,7 cm. Aus diesem Grund wurde ab der 5. Behandlung der Schwerpunkt auf die Verbesserung der lumbalen motorischen Kontrolle gelegt und dazu das Protokoll von Saner et al. [19] für die Gruppe mit Bewegungskontrollübungen angewandt. Besondere Aufmerksamkeit galt dabei der rotatorischen und extensorischen Bewegungskontrolle. Da die Beckenkontrolle im 4-Füßler-Stand, die Kniebeugung in Bauchlage, die Beckenkippung im Stand und der Einbeinstand die deutlichsten Zeichen der Störung aufwiesen, wurden diese Tests als Verlaufsparameter festgelegt. Während der Übungen für die bessere Selbstkontrolle wurden K-Active® Kinesiotape, Blutdruckmanschette und Laserpointer eingesetzt. Die Effizienz des Einsatzes visueller Biofeedback-Elemente zur Förderung funktioneller Kompetenz beschrieben schon Sheeran et al. [21] und Wand et al. [25]. Für das optimale Training der Bewegungskontrolle und Minimierung der muskulär beitragenden Faktoren wurde zusätzlich ein Stretchingprogramm für die Mm. iliopsoas, M. rectus femoris, M. piriformis und die ischiokruralen Muskeln zusammengestellt. Die Dehnübungen sollten zusätzlich als Heimprogramm (2- bis 3-mal/Tag, 20–30 s pro Seite) durchgeführt werden. Der Patient wurde erneut darauf hingewiesen, dass bei der Durchführung der Übungen keine zusätzliche Schmerzprovokation entstehen sollte. Ein leichtes Ziehen im Muskelbereich sei akzeptabel. Trotzdem sollte Z. seine besondere Aufmerksamkeit auf die Bewegungskontrolle der LWS legen. Ab der 8. Behandlung wurde eine Fortsetzung der Therapie beim behandelnden Arzt beantragt und, mit Einverständnis von Z., die Frequenz der Therapie von 2- bis 3-mal auf 1-mal pro Woche reduziert.

Durch die Reevaluation der Verlaufsparameter war eine deutliche Verbesserung von FBA und SLR zu erkennen. Da Z. bei der Dehnung der Hamstrings immer ein „Ameisenlaufen“ im gesamten rechten Fuß verspürte, wurde die Therapie ab Behandlung 10 auf die neuralen Strukturen ausgeweitet und wie von Shacklock [20] beschrieben angewendet.

Der Therapeut begann mit einer globalen rotatorischen LWS-Mobilisation aus der linken Seitenlage [11]. Aufgrund des erhöhten Widerstands in der segmentalen physiologischen Untersuchung im Segment L4/L5 wurde die Intensität auf Grad III– bis III festgelegt [11]. Dadurch erhoffte sich der Therapeut, auf das Interface des N. ischiadicus einwirken zu können. Da nach 2 Behandlungen sich nur kurzfristige Erfolge zeigten, wurde die globale rotatorische Mobilisation der LWS unter neuraler Vorspannung des N. ischiadicus durchgeführt. Dadurch sollte ein größerer Effekt auf die neurale Beteiligung ausgelöst werden. Im Wiederbefund verbesserte sich das SLR sofort nach der ersten Intervention auf 68 cm. Die gewonnene Beweglichkeit im SLR konnte bis zur nächsten Behandlung beibehalten werden. Aus diesem Grund wurde bei den Dehnübungen für die Hamstrings ein Slider vom N. ischiadicus eingebaut.

Zusätzlich wurde die myofasziale Behandlung des M. quadratus lumborum, M. longissimus, M. iliocostalis sowie M. glutaeus medius angegangen. Mit dieser ergänzenden Maßnahme sollte ein weiterer positiver Effekt auf das Interface des N. ischiadicus erzielt werden. Die Behandlung erfolgte nach den Angaben von Gautschi [5]. Durch die Verbesserung der Symptome und das deutlich gewonnene Vertrauen in seinen Rücken konnte Z. ab Behandlung 15 mit einem sanften funktionellen Krafttraining beginnen. Dazu wurde das Training mit Freihanteln gewählt, da dies seinen beruflichen und sportlichen Anforderungen mehr entgegenkam. Das Training entsprach dem Konzept der „Rückenkarten“, das auf dem Prinzip der gestaffelten Aktivität beruht [2].

Nach einer umfassenden Einführung wurde die Therapiehäufigkeit auf 1-mal pro Monat reduziert, mit der Option, sie bei Wiederauftreten jeglicher Symptome wieder zu steigern. Die Veränderung der Verlaufsparameter zu diesem Zeitpunkt ist in Tab. 2 zusammengefasst.

Aktuell (nach 6 Monaten Therapie) ist Z. wieder zu 65 % beruflich tätig und trainiert unter Supervision in unserer medizinischen Trainingstherapie. Seine Schmerzen sind nur noch minimal und sporadisch (1- bis 2-mal im Monat) aufgetreten.

Tab. 2 Verlaufsparameter zwischen Baseline und Abschluss der Behandlung

Diskussion

Ziel dieser Arbeit war herauszufinden, ob eine kognitiv-funktionelle Behandlung sich positiv auf den Therapieverlauf auswirken kann und ob klinische Prädiktoren für eine zentrale Sensibilisierung bei Patienten mit cLBP gegeben sind.

Prädiktoren einer zentralen Sensibilisierung

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Angst und Chronifizierung eines Problems besteht [24]. Dieser Zusammenhang konnte auch in dieser Falldarstellung gezeigt werden. Das vorsichtige Bewegungsverhalten des Patienten beim ersten Kontakt und die Befürchtung einer Querschnittslähmung schon bei minimaler Kyphosierung der LWS bestätigten die verzerrte Denkweise („beliefs“) des Patienten und bekräftigten die Hypothese einer zentralen Sensibilisierung.

Aus der Arbeit von Pfingsten u. Schöps [18] wissen wir, dass Angst vor Schmerz mit einer Abnahme der körperlichen Aktivität verbunden ist. Dies kann zu einer Zunahme der Vermeidung führen (Angstvermeidungsverhalten). Crombez et al. [4] konnten bei ihren Untersuchungen zeigen, dass Angst und Vermeidungsverhalten als valide Prädiktoren einer funktionellen Beeinträchtigung betrachtet werden können. Turk et al. [23] bestätigen diese Aussage und wiesen auch diese Vermeidungstendenz nach. Arbeitsunfähigkeit und verminderte Aktivität im Alltag können als bestätigende Faktoren der Vermeidungstendenz angenommen werden. Gerson et al. [6] zeigten, dass Depression ein stärkerer Prädiktor der chronischen Schmerzen ist als pathoanatomische Veränderungen. Die „fehlende Freude am Leben“ des Patienten kann als Zeichen einer depressiven Verstimmung erachtet werden, was die Schlussfolgerung der Autoren [6] untermauert.

Zusammenfassend kann das vorgeschlagene Cluster von Smart et al. [22] – Schmerzen, die unverhältnismäßig zur Verletzung stehen, kein angemessenes Schmerzverhalten („aggs and eases“, d. h. schmerzverstärkende und -lindernde Aktivitäten), psychosoziale Symptome und diffuse Palpation, kombiniert mit Angstvermeidungsverhalten und Depression – als wichtiger Prädiktor einer zentralen Sensibilisierung betrachtet werden. Diese Sichtweise unterstützt der Autor dieses Beitrags aufgrund seiner klinischen Erfahrung.

Befundaufnahme und Behandlung

Wichtig ist die logische Katalogisierung aller gesammelten Informationen, um schließlich durch die Überprüfung der verschiedenen Hypothesenkategorien ein optimales Therapiekonzept zu erarbeiten. Diese Artikel zeigt, wie umfassend die Überlegungen des Therapeuten während der subjektiven Untersuchung sein sollten. Trotz der Haupthypothese der zentralen Sensibilisierung werden verschiedene Strukturen und Mechanismen in Betracht gezogen, die für die Schmerzsymptomatik verantwortlich sein könnten und zur Vorsicht bei der funktionellen Untersuchung mahnen. Die vom Patienten beschriebenen Symptome werden direkt zu strukturellen, dynamischen und anderen beitragenden Faktoren in Beziehung gesetzt. Diese umfassen das Alter des Patienten, seine Lebensweise (Sport, Aktivität und Partizipation), seine früheren Erfahrungen mit der Physiotherapie sowie die Stabilität und Mobilität seiner Wirbelsäule. Im Rahmen der physischen Untersuchung werden die verschiedenen Hypothesenkategorien überprüft, dann erfolgt die Formulierung einer ersten Arbeitshypothese. Aus dieser ergeben sich die Behandlungsoptionen, deren Effizienz durch einen kontinuierlichen Wiederbefund überprüft wird.

Kognitiv-funktionelle Therapie und ihre Auswirkungen auf den Therapieverlauf

Mehrere Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass der Behinderungsgrad bei Rückenschmerzpatienten besser dargestellt werden kann, wenn er aus kognitiv-verhaltenstherapeutischer Sicht betrachtet wird als aus biomedizinischer Sicht.

Linton [7] und O’Sullivan [17] konnten nachweisen, dass eine verständliche Kommunikation, ein patientenzentrierter Zugang und eine klare Auftragsklärung essenziell für die therapeutische Beziehung, die Förderung der Compliance und des Outcomes sind. Demzufolge wurde zu Beginn dieser Falldarstellung der Fokus der kognitiv-funktionellen Behandlung darauf gelegt, die „gedankenverzerrte“ Sichtweise des Patienten (Gefahr einer Querschnittslähmung) und das maladaptive Bewegungsverhalten (Verhinderung jeglicher lumbalen Kyphose) zu verändern, in der Hoffnung, den Teufelskreis der Rücken- und Beinschmerzen zu durchbrechen. Dafür wurden die MRT-Bilder und anatomische Anschauungsmodelle herangezogen. Die ausführliche Aufklärung über Anatomie, Schmerzphysiologie, Biomechanik und die Fähigkeit des Körpers, sich zum größten Teil zu regenerieren, waren zu Beginn ein wichtiger Bestandteil der Therapie. Dadurch war es möglich, das zu Beginn geäußerte Gefühl von Ablehnung gegenüber früheren Therapeuten zu reduzieren. Das hatte jedoch keinen Einfluss auf die momentane Schmerz- und Behinderungssituation des Patienten.

Asenlof et al. [1] berichteten über höhere Langzeitresultate bei Patienten mit nichtspezifischen cLBP nach der Behandlung mit einer individuell angepassten verhaltenstherapeutischen Intervention, die auf die Förderung von Wahrnehmung und motorischem Verhalten zielte. In Anlehnung an diese Arbeit wurden in das Therapiekonzept Bewegungsschulung und Körperwahrnehmungsübungen eingebunden, um Selbsteffizienz („self efficacy“) und Kontrollüberzeugung („locus of control“) als Hauptbestandteil des Bewältigungsprozesses zu fördern. Der Erfolg dieser Maßnahmen zeigte sich durch die Reduktion der 2PD innerhalb der ersten 5 Behandlungen, die Schmerzreduktion (NRS), die Verbesserung bei den MCI-Tests und die funktionellen Anpassungen in der PSFS innerhalb der ersten 9 Behandlungen. Die Behandlung der beitragenden Faktoren (myofasziale Triggerpunkte und gestörte Neurodynamik) vereinfachten den Übergang ins funktionelle Training und den Wiedereinstieg ins berufliche Leben (65 %).

Schlussfolgerung

Je länger der Schmerz andauert, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, eine für den Schmerz verantwortliche somatische Grundlage (strukturelle Störung) zu finden. Umso wichtiger werden die psychischen, kognitiven, verhaltensmäßigen und sozialen Aspekte bzw. deren Wechselwirkung. Daraus resultiert, dass Bewältigungsstrategien und Anpassungsmechanismen im Therapieverlauf eine überragende Rolle spielen müssen (Infobox 1).

Diese Falldarstellung stellt den optimalen Therapieverlauf eines Patienten mit cLBP dar. Dem Autor ist bewusst, dass es sehr viele Variablen für den positiven oder negativen Ausgang der Behandlung gibt. Trotzdem war ihm wichtig, einen erfolgreichen Therapieverlauf zu dokumentieren. Obwohl die Behandlung chronischer Schmerzpatienten immer sehr herausfordernd ist, lohnt es sich, akribisch nach den Prinzipien der Beweisführung („clinical reasoning“) vorzugehen, dem Patienten achtungsvoll zu begegnen und ihn in jeder Situation ernst zu nehmen.

Fazit für die Praxis

  • Schmerzen, die unverhältnismäßig zur Verletzung stehen, kein angemessenes Schmerzverhalten, psychosoziale Symptome und diffuse Palpation, kombiniert mit Angstvermeidungsverhalten und Depression, können als valide Prädiktoren einer zentralen Sensibilisierung betrachtet werden.

  • Bewältigungsstrategien und Anpassungsmechanismen müssen bei der Therapie eine wichtige Rolle spielen.

  • Eine kognitiv-funktionelle Behandlung kann zu einer Reduktion von Schmerzen, Behinderung sowie Angst vor Bewegung führen und das Bewegungsverhalten im Alltag optimieren.