Aus experimentellen Untersuchungen [8, 9] ist bekannt, dass der gesunde Mensch auf einer extrem glatten Oberfläche eine winzige Erhebung mit den Fingerkuppen feststellen kann, die nur 1 μm hoch ist. Das entspricht einem tausendstel Millimeter. Damit ein gesunder Mensch ein Objekt gerade noch visuell erkennen kann, muss dieses Objekt (angestrahlt durch einen Laser) eine Größe von mindestens 10 μm aufweisen. Unter normalen Lichtbedingungen ist eine visuelle Wahrnehmung von Partikeln erst ab einer Körnchengröße von 50–100 µm möglich. Die sensiblen Fingerspitzen können im Alltag hingegen schon Höhenunterschiede von 20–30 µm ausmachen. Diese Vergleiche machen deutlich, dass die menschlichen Fingerkuppen um Größenordnungen feinere Umweltunterschiede wahrnehmen können, als es das unbewehrte Auge könnte. Mit anderen Worten, im Bereich von 1–100 µm können wir mit den Fingerspitzen Dinge wahrnehmen, die das Auge nur unter idealen Lichtverhältnissen und mit Hilfsmitteln wie beispielsweise einer Lupe oder einem Mikroskop erkennen könnte. Diese erstaunliche Leistungsfähigkeit unserer haptischen Wahrnehmung sollte vor allem jene Berufszweige interessieren, deren Tätigkeitsbereich diagnostische und therapeutische Interaktionen mit dem menschlichen Körper erfordern. Es sollte die Frage gestellt werden, wie es um die Leistungsfähigkeit der haptischen Wahrnehmung von Fingern und Händen bei den Fachvertretern von Physiotherapie und manueller Medizin bestellt ist. Denn auch wenn wir über solche experimentell ermittelten Daten verfügen, bedeutet das nicht, dass jeder Mensch über diese Leistungsgüte zu jeder Zeit und gleichermaßen gut verfügen kann. Individuelle Dispositionen, Übung, Alter, Berufszweig, Erkrankungen usw. verändern die Leistungsfähigkeit der aktiven Tastwahrnehmung (Infobox 1, [5]).

Obwohl die Fachvertreter der Physiotherapie und der manuellen Medizin/Osteopathie sowohl diagnostisch als auch therapeutisch im großen Umfang mit ihren Fingern und Händen am Patienten tätig werden, ist bislang so gut wie nichts über die Leistungsfähigkeit der haptischen Wahrnehmung dieser Berufsgruppen bekannt. Nicht Desinteresse ist hierfür die Ursache, sondern es fehlte bislang an praktikablen Testmöglichkeiten und Untersuchungsmethoden, die sicher und zuverlässig die haptische Leistungsfähigkeit erfassen. Neben der Unpraktikabilität der bisherigen experimentellen Methoden haben diese auch den Nachteil, dass die Probanden während der Untersuchung stets die Augen geschlossen halten müssen, damit visuelle Informationen nicht das Ergebnis verfälschen können.

Vor diesem Hintergrund haben wir uns ab 2010 im Haptiklabor der Universität Leipzig die Aufgabe gestellt, ein Testsystem zu entwickeln, mit dem die haptische Schwelle (der Fingerspitze) eines Menschen zuverlässig und ohne Verblindung der Probanden ermittelt werden kann. In diesem Beitrag werden die entwickelte Methode zur Messung interindividueller Unterschiede der haptischen Schwelle sowie die Ergebnisse von Vergleichsuntersuchungen zwischen Physiotherapeuten und einer gesunden, altersgleichen Kontrollgruppe vorgestellt.

Ziel der Studie war es, mögliche alters- und berufsabhängige Effekte zwischen den Gruppen sowie interindividuelle Unterschiede der haptischen Wahrnehmungsfähigkeit zu ermitteln. Dabei nahmen wir an, dass sich mit zunehmendem Trainingsstatus Unterschiede der mittleren haptischen Schwelle zeigen werden. Ferner erwarteten wir, dass sich die haptische Sensitivität zugunsten der Physiotherapeuten von der der berufstätigen Kontrollgruppe unterscheiden wird. Sollte diese Hypothese bestätigt werden, folgt daraus, dass die haptischen Leistungen in der Therapeutengruppe einen geringeren Abfall im höheren Lebensalter aufweisen werden als in der Kontrollgruppe. Diese Annahme erfolgte vor dem Hintergrund, dass im Altersverlauf die Tastsinnesleistungen ohne spezifisches Training oder berufliche Anforderungen abnehmen [2, 7].

Hypothesen:

  1. 1.

    Unabhängig von Alterseffekten sind interindividuelle haptische Schwellenwerte messbar. Zwischen Physiotherapiestudenten und Studierenden anderer Fachrichtungen sind keine Unterschiede feststellbar.

  2. 2.

    Physiotherapeuten erreichen höhere haptische Schwellennummern (höhere Sensitivität) als eine altersgleiche Kontrollgruppe.

  3. 3.

    Berufstätige Physiotherapeuten zeigen einen geringeren altersbedingten Abfall der haptischen Sensitivität als Personen einer gesunden gleichaltrigen Kontrollgruppe.

Methodik

Stichprobe

Insgesamt wurden 102 Versuchspersonen untersucht (90 Rechtshänder und 12 Linkshänder). Davon waren 26 Physiotherapiestudenten (unerfahrene PT) und  26 erfahrene berufstätige Physiotherapeuten. Außerdem wurden 28 Personen anderer Berufszweige untersucht, die zu einer berufstätigen Kontrollgruppe zusammengefasst wurden, sowie  22 Studierende anderer Fachrichtungen, die einer 2. Kontrollgruppe (Studierende) zugeordnet wurden. In Tab. 1 sind die jeweiligen Alters- und Geschlechtsverteilungen der 4 Gruppen angegeben.

Tab. 1 Deskriptive Statistik

Von der Untersuchung ausgeschlossen wurden alle Personen mit Polyneuropathien, Missempfindungen in den Händen oder neurologische/psychiatrische Erkrankungen. Vorstudien haben gezeigt, dass besonders durch Erkrankungen der Leber bedingte Polyneuropathien und Missempfindungen der Hände nicht näher spezifizierter Ursache sich in der haptischen Schwelle niederschlagen können.

Untersuchungsmethoden und Studiendesign

Zur Erhebung der haptischen Schwelle der Probanden wurde der Haptik-Schwellen-Test (HST) verwendet. Dieser besteht aus 13 einzelnen, runden Schwellenpads, in denen sich jeweils ein parallel angeordnetes, gleichmäßiges Höhenrelief befindet (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Schwellenpad. Gleichmäßiges Höhenrelief paralleler Linien

Der Abstand der parallelen Relieflinien beträgt im einfachsten Fall (Pad Nr. 1) 3 mm, im nächst schwierigeren Pad (Pad Nr. 2) ist der Abstand der Relieflinien um 200 μm verringert (2,8 mm). Bei gleicher Schrittweite verringert sich auf diese Weise der Linienabstand von Pad zu Pad um jeweils 200 μm. Im Pad Nr. 13 beträgt der Linienabstand nur noch 0,6 mm. Die Relieflinien sind durch eine mehrschichtige Trennschicht verdeckt, sodass deren Struktur und Ausrichtung nicht mehr visuell, sondern nur noch haptisch erkannt werden können. Die Dicke der Trennschicht beträgt 252 μm. Der Linienabstand der einzelnen Schwellenpads und das technische Verformungsmaß der darüber befindlichen Trennschicht sind in Tab. 2 dargestellt.

Tab. 2 Technisches Verformungsmaß der Trennschicht

Die Aufgabe der Probanden bestand darin, die Schwellenpads in mehrfachen Durchgängen horizontal auf einem Testboard auszurichten. Zur Orientierung für die Probanden war auf dem Testboard ein Referenzpad fest angebracht, dessen Linienabstand 7 mm betrug und dessen Relief horizontal zum Probanden ausgerichtet war (Abb. 2 a). An diesem Referenzpad sollten sich die Probanden bei der Ausrichtung der einzelnen Schwellenpads orientieren. (Ein Demonstrationsvideo zum Haptik-Schwellen-Test ist unter http://www.haptik-labor.de, Rubrik Test- und Trainingssysteme, zu sehen.) Um die Orientierung der Relieflinien haptisch wahrzunehmen, sind explorative Fingerbewegungen der Probanden notwendig. Sofern es der Versuchsperson gelingt, die Oberflächenveränderungen, die sich durch die Berührung der Trennschicht ergeben, wahrzunehmen, kann sie auch die korrekte Orientierung der Schwellenpads vornehmen. Auf der Rückseite der Schwellenpads (Abb. 2 b) befindet sich eine Markierung und unterhalb des Testboards eine Gradeinteilung.

Abb. 2
figure 2

a Vorderseite des Testboards mit Referenzpad. b Rückseite des Testboards mit Referenzpad und einem Schwellenpad in einer Ausrichtung außerhalb der 20°-Markierung

Auf diese Weise kann durch den Untersuchungsleiter ermittelt werden, ob das jeweilige Schwellenpad durch die Versuchsperson im Bereich von ± 20° eingestellt wurde oder nicht. Einstellungen der Schwellenpads, die größer als ± 20° sind, werden als falsche Erkennung (d. h. nicht erkannt) gewertet (Abb. 2 b). Die Probanden absolvieren regelhaft zwei absteigende Durchgänge (von einfach bis schwer) und eine Validierungsmessung. Wegen der oben beschriebenen Trennschicht können die Augen der Versuchspersonen während der gesamten Untersuchung geöffnet bleiben. Als haptische Schwelle wird der Dehnungswert (Tab. 2) desjenigen Schwellenpads mit dem geringsten Rillenabstand gewertet, das 2-mal im Bereich ≤20° durch den Probanden ausgerichtet wurde. Für die Probanden besteht während der Untersuchung keine Zeitbegrenzung, und es kann zur Exploration der Pads jeder Finger genutzt bzw. auch zwischen den Fingern gewechselt werden. Zur Durchführung der Untersuchungen wurde jeweils ein ruhiger Raum ohne akustische Störungen gewählt. Die mittlere Untersuchungszeit betrug M=48,49 min (SD=12,47). Zur Erfassung polyneuropathischer Symptome wurde ein standardisierter Fragebogen genutzt. Das Manual zum HST ist auf der Webseite des Haptiklabors hinterlegt.

Zur Auswertung der Daten wurde die Statistiksoftware SPSS 20 verwendet. Zusammenhänge kontinuierlicher Variablen wurden mithilfe von Standard-Pearson-Korrelationen bzw. linearer Regressionen untersucht. Gruppenvergleiche wurden mit dem Mann-Whitney-U-Test durchgeführt.

Ergebnisse

Interindividuelle Sensibilitätsunterschiede unabhängig vom Alter

Die Physiotherapiestudenten erreichten im Mittel Schwellenpad Nr. 9 (MPT = 9,08, SD = 1,57). Das entspricht einem mittleren haptischen Schwellenwert von 10,69 μm (Tab. 2). Dabei wurden die erwarteten interindividuellen Unterschiede sichtbar. Die individuellen Ergebnisse variierten (Abb. 3) zwischen Schwellenpad Nr. 6 (23,42 μm, mittlere Sensitivität) und Schwellenpad Nr. 11 (7,14 μm, hohe Sensitivität). Wie angenommen bestand keine Korrelation zwischen den haptischen Schwellenwerten und dem Alter der Studierenden für diesen Altersbereich (r = − 0,246, p = 0,226).

Abb. 3
figure 3

Interindividuelle Sensibilitätsunterschiede. a Dunkle Balken: hohe Sensitivität, helle Balken: 4 Personen mit geringerer haptischer Sensitivität. b HST Haptik-Schwellen-Test, Co Kontrollgruppe, PT Physiotherapie

Der Vergleich mit einer jungen Kontrollgruppe ergab einen signifikanten Unterschied der Gruppenmittelwerte (z = − 3,224, p < 0,005; MCo= 10,45, SD = 0,67). Folglich konnte die 1. Hypothese nicht bestätigt werden. Um dieses Ergebnis zu ergründen, wurde zusätzlich eine explorative Datenanalyse durchgeführt. Diese erbrachte einen signifikanten Gruppenunterschied des Bildungsniveaus (z = − 3,217, p < 0,005). Das Ausmaß des Zusammenhangs der beiden Variablen (Bildung und haptische Schwelle) kann jedoch im Rahmen der vorliegenden Studie nicht abschließend ermittelt werden.

Schwellenwerte der erfahrenen Physiotherapeuten

Hypothesenkonform zeigten die erfahrenen PT bessere Leistungen im HST als eine gleichaltrige Kontrollgruppe (zHST_Physio_Co= − 2,527, p = 0,011; MHST_Physio= 7,77, SD = 1,93; MHST_Co= 6,54, SD = 2,01, Abb. 4). Auffällig waren auch hier die großen interindividuellen Unterschiede in beiden Gruppen, die jedoch zum Teil als altersbedingt angenommen werden müssen. Wiederum war das Bildungsniveau der Kontrollgruppe geringfügig, aber signifikant höher als das der PT (z = − 2,232, p < 0,05). In beiden Gruppen trat eine interindividuelle Ergebnisspanne von Schwellenwert 4–11 auf.

Abb. 4
figure 4

Boxplots der haptischen Schwellenwerte der erfahrenen Physiotherapeuten und der gleichaltrigen berufstätigen Kontrollgruppe

Abgeschwächter Alterseffekt bei erfahrenen Physiotherapeuten

Um den Alterseffekt der haptischen Wahrnehmung zu untersuchen, wurden Physiotherapeutinnen im Altersbereich zwischen 34 und 55 Jahren mit einer gleichaltrigen weiblichen Kontrollgruppe verglichen.

Die Ergebnisse der einfachen linearen Regression zeigen an, dass ein signifikanter Teil der Varianz der haptischen Schwellenwerte durch das Alter der Personen der Kontrollgruppe erklärt wird [r = 0,465; F(1, 18) = 17,49, p < 0,05, Abb. 5]. Damit wird rund 21,6 % der Schwellenwertvarianz durch die Altersunterschiede erklärt, was einer kleinen bis mittelgroßen Effektstärke entspricht. Es besteht ein signifikant negativer Anstieg der Regressionsgeraden (b1 = − 0,186, p < 0,05). Das heißt, mit jedem Alterszuwachs um 5 Jahre fällt der mittlere Schwellenwert um etwa 1 Punkt.

Abb. 5
figure 5

Streupunktediagramm der Verteilung der haptischen Schwellenwerte in Abhängigkeit vom Alter der Versuchspersonen. Die beiden Linien entsprechen den Regressionsgeraden der beiden linearen Regressionen

Die Ergebnisse der einfachen linearen Regression der erfahrenen PT zeigen hingegen keinen signifikanten Zusammenhang der haptischen Schwellenwerte mit dem Alter der Probenden an [r = 0,125; F(1, 24) = 0,382, p = n.s.; b2 = − 0,036, p = n.s.).

Um zu prüfen, ob der scheinbare Unterschied der beiden linearen Regressionsanstiege signifikant ist, wurden die beiden Anstiege miteinander vergleichen (H0: b1 = b2). Die berechnete Testgröße [12] betrug t = 20,029, womit die Nullhypothese auf einem Signifikanzniveau von α= 0,001 zurückgewiesen werden kann. Das heißt, dass sich die beiden Regressionen hypothesenkonform signifikant voneinander unterscheiden und ein signifikanter Zusammenhang der haptischen Schwelle mit dem Alter nur für die Kontrollgruppe zu erkennen war.

Diskussion

Ziel der Studie war es, mögliche alters- und berufsabhängige Effekte zwischen den untersuchten Gruppen zu ermitteln sowie interindividuelle Unterschiede der haptischen Wahrnehmungsfähigkeit festzustellen. Zwei der drei Hypothesen konnten im Rahmen der Untersuchung bestätigt werden. Interindividuelle Sensibilitätsunterschiede ließen sich unabhängig vom Alter sowohl für Physiotherapiestudenten (unerfahrene PT) als auch für die Teilnehmer aller anderen Gruppen feststellen. Besonders interessant sind dabei die interindividuellen Unterschiede der jungen Teilnehmer (unerfahrene PT). Ihre Ergebnisse variierten zwischen Schwellennummer 6 (geringe bis mittlere Sensitivität) und Schwellennummer 11 (hohe Sensitivität). Wie vorausgesetzt bestand keine Korrelation zwischen der haptischen Schwellenwerte und dem Alter der unerfahrenen PT für diesen Altersbereich. Entgegen der formulierten Hypothese 1 wurde ein signifikanter Unterschied der mittleren haptischen Schwellenwerte der beiden jungen Versuchspersonengruppen (unerfahrene PT und Studenten anderer Fachrichtungen) gefunden. Die mittlere haptische Schwelle der Physiotherapiestudenten war um fast zwei Nummern geringer als die der gleichaltrigen Kontrollgruppe. Die Bedeutsamkeit des mittleren Bildungsunterschieds für den Unterschied der beiden Gruppen im HST kann im Rahmen der vorliegenden Studie aufgrund des geringen Datenumfangs jedoch nicht abschließend festgestellt werden.

Neben der Bildung sind auch andere Einflussvariablen denkbar. Beispielsweise könnte eine zufällige Varianz der Hautdicke der Fingerspitzen ein ähnliches Ergebnis generieren. Diese Variable wurde in der vorliegenden Studie jedoch nicht erhoben. Über interindividuelle Unterschiede in der haptischen Wahrnehmung wurden bereits in früheren Schriften berichtet [3, 10]. Die Erkenntnisse aus der Säuglings- und Kleinkindforschung legen nahe, dass interindividuelle Unterschiede in der sensorischen Verarbeitungs- und Differenzierungsfähigkeit nicht angeboren sind, sondern sich durch die Art und Frequenz der erfahrenen Stimulierung entwickeln. Demzufolge sollte durch ein zusätzliches Training der weniger sensitiven Studierenden eine erhebliche Steigerung ihrer haptischen Diskriminationsfähigkeit erreichbar sein. Dafür spricht auch, dass die erfahrenen Physiotherapeuten, trotz eines ebenfalls etwas geringeren Bildungsniveaus, bessere Leistungen zeigten als die Personen der gleichaltrigen Kontrollgruppe (Hypothese 2). Besonders im Fachgebiet der computerassistierten Chirurgie werden regelmäßig haptische Trainings zur Verbesserung haptischer Wahrnehmungsfähigkeiten und motorischer Fertigkeiten genutzt [4, 13]. Andere relevante Fachgebiete sind u. a. die Tiermedizin (Ausbildung der Palpationsfähigkeit der Studenten, z. B. [1]) und die Wiedergewinnung haptischer Fähigkeiten bei Patienten mit Hemiparese nach Schlaganfall (z. B. [6, 11]). Die gelernten Wahrnehmungsfähigkeiten weisen dabei häufig eine starke Spezifität für die Art der Aufgabe und der Stimuli auf [2].

Die Ergebnisse der hier präsentierten Studie legen nahe, dass neben einer Steigerung der Wahrnehmungsfähigkeit durch Training auch ein Erhalt der Sensitivität entgegen dem üblichen Altersabfall bei gesunden Personen durch Training erreicht werden kann (Hypothese 3). Diese Sensitivität erwies sich als hochgeneralisiert, was sich in ihrer Messbarkeit mithilfe des verwendeten Tests widerspiegelt. Das heißt, dass das alltägliche Training berufstätiger Physiotherapeuten zu einer Etablierung der perzeptiven Fähigkeit auf hohen kognitiven Verarbeitungsebenen geführt hat und somit aufgabenübergreifend zugänglich ist [2]. Aus früheren Studien ist jedoch bekannt, dass die altersbedingte Abnahme haptischer Fähigkeiten im hohen Alter durch Training zwar abgeschwächt, aber nicht vollständig aufgehalten werden kann [2, 7].

Insgesamt lässt sich schlussfolgern, dass ein verstärktes Trainingsangebot für Personen mit inhärent geringer Sensitivität zu einer Steigerung ihrer Wahrnehmungsfähigkeit im haptischen Bereich führen kann. Diese Möglichkeit sollte vor allem auch bei jungen Beschäftigten und Auszubildenden/Studierenden im Bereich der manuellen Medizin (unerfahrene PT) verstärkt Anwendung finden, z. B. mit dem für die vorliegende Studie verwendeten Test. Zukünftige Studien sollten sich der Frage zuwenden, in welchem Umfang eine generalisierte Verbesserung der haptischen Sensitivität möglich ist und wo die Grenzen liegen.Footnote 1

Fazit

  • Tastsinnesleistungen unterliegen bei der Berufsgruppe Physiotherapie/manuelle Medizin i.d.R. nicht den bekannten Alterseffekten.

  • Insbesondere wenn eine fortlaufende und berufsbegleitende Sensibilisierung z. B. im Rahmen von Zusatzausbildungen erfolgt, können sehr gute Wahrnehmungsleistungen (haptische Schwellenwerte) durch Physiotherapeuten/Manualmediziner – unabhängig vom Alter – erreicht werden.

  • Berufsanfänger und Auszubildende haben nicht per se eine bessere aktive Tastsinnesfähigkeit als ältere Kollegen.

  • Die wissenschaftliche Prüfung der Tastsinnesleistung zeigt stark schwankende interindividuelle Unterschiede. Insofern ist es im Rahmen von Ausbildungsrichtlinien dringend geboten, entsprechende Sinnesprüfungen und Trainingsmodule ausbildungsbegleitend zu etablieren.