Kopf- und Gesichtsschmerzen sind häufig und treten bei etwa 70% der Bevölkerung mindestens einmal im Jahr auf. Besonders häufig betroffen sind Frauen und Personen aus gehobenen sozioökonomischen Gruppen. Die wirtschaftlichen Aufwendungen zur Diagnostik von Kopfschmerzen sind hoch, schwerwiegende Erkrankungen treten selten auf [1, 2].

Wichtige Ursachen von Kopf- und Gesichtsschmerzen sind aus neurologischer Sicht Spannungskopfschmerzen, Migräne oder Trigeminusneuralgien. Aus hals-nasen-ohren-ärztlicher – aber auch aus allgemeinmedizinischer Sicht – wird sehr häufig eine Sinusitis diagnostiziert [3, 4, 5, 6].

Unklare Kopfschmerzen können aber auch zervikogener Ursache sein und somit von der Halswirbelsäule und ihrem neuromuskulären Apparat ausgehen. In der Literatur werden die Diagnose zervikogene Kopfschmerzen sowie deren medizinische Bedeutung durchaus kontrovers diskutiert. Bei der Diskussion über die Bedeutung von zervikogenen Beschwerden wird nach Ansicht des Autors u. a. auch zu wenig berücksichtigt, dass viele diesbezügliche Studien an großen Kliniken erstellt werden. Die Zusammensetzung des Patientenklientels an solchen Kliniken entspricht in vielen Bereichen nicht den Verhältnissen in der ambulanten Grundversorgung (Praxen). Somit ist es vorstellbar, dass in den verschiedenen Studien die Bedeutung zervikogener Beschwerden im ambulanten Bereich quantitativ eher unterschätzt wurde [7, 8, 9, 10, 11, 12, 13].

In den letzten Jahren sind zahlreiche Patienten mit sog. unbehandelbaren Sinusitiden und Symptomen wie bifrontale Schmerzen, periorbitale Schmerzen und/oder Augendruck von anderen Ärzten an die Praxis des Autors überwiesen worden. Bei vielen dieser Patienten konnte die Verdachtsdiagnose Sinusitis nicht bestätigt werden, es handelte sich vielmehr um zervikogene Kopf- und Gesichtsschmerzen.

Aufgrund der großen Zahl von Patienten mit dieser Problematik erschien eine Beobachtungsstudie und eine Darstellung der – häufig erfolgreichen – krankengymnastischen Therapie sinnvoll.

Patienten und Methoden

Die vorliegende prospektive Beobachtungsstudie erfolgte im Großraum Hannover von Januar bis Dezember 2006 in einer HNO-Praxis. Berücksichtigt wurden 57 Personen (männlich: n=9, weiblich: n=48), die von regionalen „Hausärzten“ (Internisten, Allgemeinmedizinern) mit der Diagnose nichttherapierbare Sinusitis mit Kopfschmerzen zugewiesen wurden. Die Patientencharakteristika sind in Tab. 1 aufgeführt. Bei ca. 80% der Patienten war zumindest ein erfolgloser Behandlungsversuch des ärztlichen Zuweisers erfolgt. Bei 15 dieser Patienten (ca. 25%) war zuvor bereits eine Sinusitistherapie mit mindestens einem Antibiotikum – in Einzelfällen bis zu drei unterschiedlichen Antibiotika – und zusätzlichen Mukolytika, Dekongestiva u. a. erfolgt (Tab. 1). Sechzehn Patienten (ca. 28%) kamen direkt mit der Selbstdiagnose Sinusitis, nachdem sie zuvor verschiedene Ärzte kontaktiert hatten.

Tab. 1 Charakterisierung von Patienten mit Kopf-Gesichts-Schmerzen bei auswärtiger Verdachtsdiagnose einer Sinusitis (n=57)

Als „typische Sinusitissymptome“ wurden Stirnkopfschmerzen, periorbitale Schmerzen und/oder Augendruck beschrieben. Dagegen bestanden bei keinem der Patienten charakteristische Leitsymptome wie z. B. nasale Obstruktion, Nasensekretion, eitrige Rhinorrhö, Geruchseinschränkungen und/oder Fieber [14, 15].

Diagnostik

Die HNO-ärztliche Diagnose der Patienten wurde leitliniengemäß mit Anamnese, einer vollständigen HNO-Untersuchung und einer zusätzlichen konventionellen radiologischen Untersuchung der Nasennebenhöhlen durchgeführt. Bei allen Patienten erfolgte weiterhin eine manualtherapeutische Diagnostik mit Untersuchungen zur aktiven und passiven Beweglichkeit der Schulter-Nacken-HWS-Region einschließlich Überprüfung der typischen Triggerpunkte. Bei der segmentalen Untersuchung der Halswirbelsäule wurden Blockierungen und Instabilitäten analysiert; die Beweglichkeit des Kiefergelenks wurde dokumentiert. Während der manualtherapeutischen Untersuchung saßen die Patienten, beide Füße standen auf einem festen Untergrund [5, 16, 17, 18].

Mit unklaren Befunden wurden 9 Patienten zusätzlich einem Neurologen und weitere 11 Patienten einem Orthopäden vorgestellt. Bei einzelnen Patienten erfolgte auch eine kraniale Magnetresonanztomographie bzw. eine Computertomographie der Nasennebenhöhlen.

Therapie nach Diagnose

Bei Patienten mit der radiologischen Diagnose einer Sinusitis wurde eine leitliniengerechte Therapie mit Antibiotika durchgeführt.

Lag die Diagnose zervikogene Kopfschmerzen vor und andere Erkrankungen konnten ausgeschlossen werden, erhielten die Patienten eine Anleitung für häuslich regelmäßig selbst durchzuführende krankengymnastische Übungen. Bei diesen Übungen handelte es sich überwiegend um isometrische Dehn- und zusätzliche aktive Bewegungsübungen für den Schulter-Nacken-HWS-Bereich.

Soweit möglich wurde der Krankheitsverlauf bei den Patienten über sechs Wochen nach Diagnosestellung festgehalten. Die Veränderung der Schmerzintensität wurde anhand einer visuellen Analogskala (VAS) dokumentiert, wobei 100% den Schmerzzustand bei Erstvorstellung wiedergab und 0 einen schmerzfreien Zustand ausdrückte.

Ergebnisse

Diagnose

In der vorliegenden Studie wurden isolierte bifrontale Schmerzen, periokuläre Schmerzen und/oder Druck im Bereich der Augen ohne weitere Symptome häufig unter der Verdachts- bzw. „Arbeitsdiagnose“ Sinusitis diagnostiziert und therapiert. Nur bei ca. 17% der untersuchten Personen (n=10) konnte diese Diagnose mittels radiologischer Diagnostik und Nachweis von Spiegelbildung im Bereich der Nassennebenhöhlen bestätigt werden (Tab. 2). Bei 83% (n=47) der untersuchten 57 Patienten bestanden nur im Bereich der HWS manualtherapeutisch krankhafte Befunde, sodass zervikogene Schmerzen diagnostiziert wurden. Dabei handelte es sich zu 87% um Frauen. Diese waren zu einem Großteil im Büro mit Schreibtisch- und Computertätigkeiten beschäftigt, ein weiterer Teil hatte sehr kleine Kinder, die nach eigenen Angaben immer wieder auf der Hüfte herumgetragen wurden. Bei 28% der Patienten mit einer zervikogenen Problematik war zuvor eine erfolglose Sinusitistherapie mit mindestens einem Antibiotikum, Mukolytika und Nasenspray erfolgt.

Tab. 2 Gegenüberstellung der Symptome von untersuchten Patienten und Darstellung der evidenzbasierten Diagnosekriterien bei akuter Rhinosinusitis des Erwachsenen laut EPOS 2007a (Diagnosekriterien für Nicht-HNO-Ärzte).

Im Vergleich zu den Frauen mit überwiegend zervikogener Problematik bestand bei Männern häufiger eine akute Sinusitis (15% aller Frauen vs. 35% aller Männer). Eine Schmerzsymptomatik von weniger als zwei Wochen sprach nach vorliegenden Befunden eher für eine akute Sinusitis, während eine Schmerzdauer zwischen 2 und 16 Wochen (Median: 4 Wochen) eher auf eine zervikogene Problematik hindeutete (Tab. 3). Zusätzliche Symptome wie Otalgie (n=9) und/oder Tinnitus (n=3) waren für die Differenzialdiagnose nicht hilfreich (Tab. 1).

Tab. 3 Klinische Unterschiede bei Patienten mit zervikogenen Kopf- und Gesichtsschmerzen (ZK) im Vergleich zu Patienten mit einer akuten Sinusitis (AS)

Therapie

Zehn Patienten mit einer akuten Sinusitis wurden leitlinienkonform erfolgreich mit Antibiotika behandelt.

Bei zervikogenen Kopf-/Gesichtsschmerzen bestand die Therapie aus eigenverantwortlich durchgeführten krankengymnastischen Übungen, womit in ca. 70% aller Fälle (33 von 47 Patienten) eine subjektive Beschwerdebesserung von mindestens 50% (gemessen mit der VAS) erzielt werden konnte. Bei den übrigen Patienten waren die therapeutischen Effekte der eigenverantwortlichen Krankengymnastik weniger eindrucksvoll und/oder der Krankheitsverlauf konnte bei den Patienten nicht dokumentiert werden („lost“). Bei 7 Patienten wurden die krankengymnastischen Übungen vorübergehend beendet. Die kurze Zeit danach erneut auftretenden Beschwerden konnten durch Fortführung der physikalischen Maßnahmen wieder behoben werden (Tab. 4).

Tab. 4 Schmerzminderung von mehr als 50% durch isometrische Dehn- und aktive Bewegungsübungen bei zervikogenen Beschwerden (ZK), beurteilt anhand einer visuellen Analogskala

Diskussion

In der vorliegenden Studie wurden 57 Patienten untersucht, die mit der Verdachts- bzw. „Arbeitsdiagnose“ Sinusitis mit unbehandelbaren Gesichts- und Kopfschmerzen vorgestellt wurden. Nur bei einer kleinen Gruppe von 17% (n=10) dieser Patienten wurde tatsächlich eine akute Sinusitis diagnostiziert. Bei den meisten Patienten (n=47) bestanden zervikogene Kopf-/Gesichtsschmerzen, die zum überwiegenden Teil mit häuslich durchgeführten krankengymnastischen Maßnahmen deutlich gelindert werden konnten.

Die Mehrzahl der untersuchten Patienten war zuvor von anderen Ärzten therapiert und erst nach z. T umfangreichen, vergeblichen Behandlungsversuchen mit der Verdachtsdiagnose nichttherapierbare Nasennebenhöhlenentzündung zur Weiterbehandlung überwiesen worden. Typische Sinusitissymptome wie nasale Obstruktion, eitrige Rhinorrhö, Geruchsverlust, Nasenpolypen und ähnliche waren nicht vorhanden. Durch eine zusätzliche Röntgendiagnostik mit konventionellen Nasennebenhöhlenaufnahmen konnte die Diagnosesicherheit erhöht werden.

Die Diagnose zervikogene Kopfschmerzen in der vorliegenden Studie beruhte auf dem Vorliegen krankhafter manualtherapeutischer Befunde und dem Ausschluss anderer neurologischer, orthopädischer und/oder otorhinolaryngologischer Erkrankungen [19, 20, 21, 22]. Die häufig sehr erfolgreiche Beschwerdelinderung bei den Erkrankten durch häusliche krankengymnastische Therapie ist ein wichtiges Ergebnis dieser Studie, das auch von anderen Autoren beobachtet wird [23, 24, 25, 26, 27, 28, 29]. Bei 7 Patienten erfolgte bei diesen krankengymnastischen Maßnahmen ein ärztlicherseits ungeplanter „Auslassversuch“ mit prompter Verschlechterung der zervikogenen Problematik bzw. schneller Besserung nach Wiederaufnahme der krankengymnastischen Übungen. Kritisch bezüglich der manualtherapeutischen Diagnosesicherheit ist allerdings die Tatsache zu werten, dass nach verschiedenen Berichten der prädiktive Wert für die Diagnose einer zervikogenen Schädigung aufgrund manualtherapeutischer Befunde etwa 65% beträgt [19]. Allerdings gelten derartige Unsicherheiten auch für andere Diagnosen wie Aerosinusitis, atypischer Gesichtsschmerz oder idiopathischen Zephalgien. Bei diesen letztgenannten Diagnosen, die alle mit heftigen Kopf- und Gesichtsschmerzen einhergehen können, handelt es sich um reine Ausschlussdiagnosen. Somit sind diese Diagnosen mit höheren Unsicherheiten behaftet als die der zervikogenen Beschwerden. Die vorliegende Beobachtungsstudie deutet daraufhin, dass zervikogene Beschwerden nicht ganz selten sind [7, 8, 9, 11, 12, 17].

Fazit für die Praxis

Bifrontale Schmerzen, periokuläre Schmerzen und/oder Druck im Bereich der Augen sind häufig Folgen von zervikogenen Beschwerden. Zu 70% sind Frauen betroffen. Bei den meisten Patienten kann mit guten Aussichten auf Beschwerdebesserung eine eigenverantwortliche häusliche Krankengymnastik eingeleitet werden.