Zusammenfassung
Hintergrund
Bei zahlreichen Patienten mit Kopf- und Gesichtsschmerzen ohne weitere Symptome konnte die Überweisungsdiagnose nichttherapierbare Sinusitis häufig nicht bestätigt werden. Nach manualtherapeutischer Diagnostik handelte es sich überwiegend um zervikogene Beschwerden. Eine systematische Abklärung dieser Beobachtung erschien sinnvoll.
Studiendesign
Die vorliegende prospektive Beobachtungsstudie wurde von Januar bis Dezember 2006 in einer HNO-Praxis im Großraum Hannover durchgeführt.
Patienten und Methoden
Untersucht wurden 57 Patienten mit der Zuweisungsdiagnose Sinusitis mit Kopf- und Gesichtsschmerzen ohne weitere Symptome. Diese setzten sich zusammen aus 48 weiblichen Patienten mit einem Durchschnittsalter von 46 (18–72) Jahren und 9 männlichen mit einem Durchschnittsalter von 43 (36–70) Jahren. Ein Viertel der Patienten war bereits mit bis zu drei verschiedenen Antibiotika vorbehandelt worden. Die durchgeführte Diagnostik beinhaltete Anamnese, HNO- und manualtherapeutischen Status, Röntgenaufnahme der Nasennebenhöhlen, teilweise zusätzlich eine CT der Nasennebenhöhlen sowie einen neurologischen und/oder orthopädischen Status.
Ergebnisse
Von den 57 Patienten mit isolierten Kopf- und Gesichtsschmerzen hatten 17% (n=10) aufgrund der Röntgenbefunde eine akute Sinusitis; in der Regel betrug die Krankheitsdauer weniger als 2 Wochen. Die übrigen 83% (n=47) hatten zervikogene Beschwerden; die Krankheitsdauer betrug bis zu 16 Wochen (Median: 4 Wochen) und 87% von ihnen waren Frauen. Bei 70% der Patienten mit zervikogenen Beschwerden konnte mit isometrischen- und Dehnungsübungen eine deutliche Verbesserung ihrer Beschwerden erreicht werden.
Folgerungen
Zervikogene Beschwerden mit Kopf- und Gesichtsschmerzen sind bei Frauen häufig. Ein Großteil der Patienten profitierte von häuslich durchgeführten Dehnübungen.
Abstract
Background
For many patients with head- and facial pain and no other symptoms the referral diagnosis of untreatable sinus headache could not be confirmed and cervicogenic head and neck pain was diagnosed by osteopathy. The present study attempts to clarify some aspects regarding cervicogenic complaints.
Study design
A prospective observational study was carried out on adults referred to an ENT practice in 2006.
Patients and methods
A total of 57 patients referred with head and facial pain without any additional sinusitis symptoms were investigated. These included 48 females with an average age of 46 years (range 18–72 years) and 9 males with an average age of 43 years (range 36–70 years). One quarter of the patients had already been treated with up to 3 different antibiotics. The diagnosis included previous medical history, ENT and manual therapeutic status, x-ray and possibly computed tomography imaging of the paranasal sinuses as well as basic neurological and/or orthopedic examinations.
Results
Of the 57 patients with isolated head and facial pain 17% (n=10) had acute sinusitis based on x-ray findings and in general the duration was less than 2 weeks. The remaining 83% (n=47) had cervicogenic headache with a duration of up to 16 weeks (median 4 weeks) and 87% of those were female. In 70% of the patients with cervicogenic complaints, a clear improvement of the pain could be achieved by self-administered isometric and stretching exercises.
Conclusion
Although the present study is small, it could be demonstrated that cervicogenic headache is frequent in women. Most of the patients showed an improvement in symptoms by carrying out self-administered stretching exercises.
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Kopf- und Gesichtsschmerzen sind häufig und treten bei etwa 70% der Bevölkerung mindestens einmal im Jahr auf. Besonders häufig betroffen sind Frauen und Personen aus gehobenen sozioökonomischen Gruppen. Die wirtschaftlichen Aufwendungen zur Diagnostik von Kopfschmerzen sind hoch, schwerwiegende Erkrankungen treten selten auf [1, 2].
Wichtige Ursachen von Kopf- und Gesichtsschmerzen sind aus neurologischer Sicht Spannungskopfschmerzen, Migräne oder Trigeminusneuralgien. Aus hals-nasen-ohren-ärztlicher – aber auch aus allgemeinmedizinischer Sicht – wird sehr häufig eine Sinusitis diagnostiziert [3, 4, 5, 6].
Unklare Kopfschmerzen können aber auch zervikogener Ursache sein und somit von der Halswirbelsäule und ihrem neuromuskulären Apparat ausgehen. In der Literatur werden die Diagnose zervikogene Kopfschmerzen sowie deren medizinische Bedeutung durchaus kontrovers diskutiert. Bei der Diskussion über die Bedeutung von zervikogenen Beschwerden wird nach Ansicht des Autors u. a. auch zu wenig berücksichtigt, dass viele diesbezügliche Studien an großen Kliniken erstellt werden. Die Zusammensetzung des Patientenklientels an solchen Kliniken entspricht in vielen Bereichen nicht den Verhältnissen in der ambulanten Grundversorgung (Praxen). Somit ist es vorstellbar, dass in den verschiedenen Studien die Bedeutung zervikogener Beschwerden im ambulanten Bereich quantitativ eher unterschätzt wurde [7, 8, 9, 10, 11, 12, 13].
In den letzten Jahren sind zahlreiche Patienten mit sog. unbehandelbaren Sinusitiden und Symptomen wie bifrontale Schmerzen, periorbitale Schmerzen und/oder Augendruck von anderen Ärzten an die Praxis des Autors überwiesen worden. Bei vielen dieser Patienten konnte die Verdachtsdiagnose Sinusitis nicht bestätigt werden, es handelte sich vielmehr um zervikogene Kopf- und Gesichtsschmerzen.
Aufgrund der großen Zahl von Patienten mit dieser Problematik erschien eine Beobachtungsstudie und eine Darstellung der – häufig erfolgreichen – krankengymnastischen Therapie sinnvoll.
Patienten und Methoden
Die vorliegende prospektive Beobachtungsstudie erfolgte im Großraum Hannover von Januar bis Dezember 2006 in einer HNO-Praxis. Berücksichtigt wurden 57 Personen (männlich: n=9, weiblich: n=48), die von regionalen „Hausärzten“ (Internisten, Allgemeinmedizinern) mit der Diagnose nichttherapierbare Sinusitis mit Kopfschmerzen zugewiesen wurden. Die Patientencharakteristika sind in Tab. 1 aufgeführt. Bei ca. 80% der Patienten war zumindest ein erfolgloser Behandlungsversuch des ärztlichen Zuweisers erfolgt. Bei 15 dieser Patienten (ca. 25%) war zuvor bereits eine Sinusitistherapie mit mindestens einem Antibiotikum – in Einzelfällen bis zu drei unterschiedlichen Antibiotika – und zusätzlichen Mukolytika, Dekongestiva u. a. erfolgt (Tab. 1). Sechzehn Patienten (ca. 28%) kamen direkt mit der Selbstdiagnose Sinusitis, nachdem sie zuvor verschiedene Ärzte kontaktiert hatten.
Als „typische Sinusitissymptome“ wurden Stirnkopfschmerzen, periorbitale Schmerzen und/oder Augendruck beschrieben. Dagegen bestanden bei keinem der Patienten charakteristische Leitsymptome wie z. B. nasale Obstruktion, Nasensekretion, eitrige Rhinorrhö, Geruchseinschränkungen und/oder Fieber [14, 15].
Diagnostik
Die HNO-ärztliche Diagnose der Patienten wurde leitliniengemäß mit Anamnese, einer vollständigen HNO-Untersuchung und einer zusätzlichen konventionellen radiologischen Untersuchung der Nasennebenhöhlen durchgeführt. Bei allen Patienten erfolgte weiterhin eine manualtherapeutische Diagnostik mit Untersuchungen zur aktiven und passiven Beweglichkeit der Schulter-Nacken-HWS-Region einschließlich Überprüfung der typischen Triggerpunkte. Bei der segmentalen Untersuchung der Halswirbelsäule wurden Blockierungen und Instabilitäten analysiert; die Beweglichkeit des Kiefergelenks wurde dokumentiert. Während der manualtherapeutischen Untersuchung saßen die Patienten, beide Füße standen auf einem festen Untergrund [5, 16, 17, 18].
Mit unklaren Befunden wurden 9 Patienten zusätzlich einem Neurologen und weitere 11 Patienten einem Orthopäden vorgestellt. Bei einzelnen Patienten erfolgte auch eine kraniale Magnetresonanztomographie bzw. eine Computertomographie der Nasennebenhöhlen.
Therapie nach Diagnose
Bei Patienten mit der radiologischen Diagnose einer Sinusitis wurde eine leitliniengerechte Therapie mit Antibiotika durchgeführt.
Lag die Diagnose zervikogene Kopfschmerzen vor und andere Erkrankungen konnten ausgeschlossen werden, erhielten die Patienten eine Anleitung für häuslich regelmäßig selbst durchzuführende krankengymnastische Übungen. Bei diesen Übungen handelte es sich überwiegend um isometrische Dehn- und zusätzliche aktive Bewegungsübungen für den Schulter-Nacken-HWS-Bereich.
Soweit möglich wurde der Krankheitsverlauf bei den Patienten über sechs Wochen nach Diagnosestellung festgehalten. Die Veränderung der Schmerzintensität wurde anhand einer visuellen Analogskala (VAS) dokumentiert, wobei 100% den Schmerzzustand bei Erstvorstellung wiedergab und 0 einen schmerzfreien Zustand ausdrückte.
Ergebnisse
Diagnose
In der vorliegenden Studie wurden isolierte bifrontale Schmerzen, periokuläre Schmerzen und/oder Druck im Bereich der Augen ohne weitere Symptome häufig unter der Verdachts- bzw. „Arbeitsdiagnose“ Sinusitis diagnostiziert und therapiert. Nur bei ca. 17% der untersuchten Personen (n=10) konnte diese Diagnose mittels radiologischer Diagnostik und Nachweis von Spiegelbildung im Bereich der Nassennebenhöhlen bestätigt werden (Tab. 2). Bei 83% (n=47) der untersuchten 57 Patienten bestanden nur im Bereich der HWS manualtherapeutisch krankhafte Befunde, sodass zervikogene Schmerzen diagnostiziert wurden. Dabei handelte es sich zu 87% um Frauen. Diese waren zu einem Großteil im Büro mit Schreibtisch- und Computertätigkeiten beschäftigt, ein weiterer Teil hatte sehr kleine Kinder, die nach eigenen Angaben immer wieder auf der Hüfte herumgetragen wurden. Bei 28% der Patienten mit einer zervikogenen Problematik war zuvor eine erfolglose Sinusitistherapie mit mindestens einem Antibiotikum, Mukolytika und Nasenspray erfolgt.
Im Vergleich zu den Frauen mit überwiegend zervikogener Problematik bestand bei Männern häufiger eine akute Sinusitis (15% aller Frauen vs. 35% aller Männer). Eine Schmerzsymptomatik von weniger als zwei Wochen sprach nach vorliegenden Befunden eher für eine akute Sinusitis, während eine Schmerzdauer zwischen 2 und 16 Wochen (Median: 4 Wochen) eher auf eine zervikogene Problematik hindeutete (Tab. 3). Zusätzliche Symptome wie Otalgie (n=9) und/oder Tinnitus (n=3) waren für die Differenzialdiagnose nicht hilfreich (Tab. 1).
Therapie
Zehn Patienten mit einer akuten Sinusitis wurden leitlinienkonform erfolgreich mit Antibiotika behandelt.
Bei zervikogenen Kopf-/Gesichtsschmerzen bestand die Therapie aus eigenverantwortlich durchgeführten krankengymnastischen Übungen, womit in ca. 70% aller Fälle (33 von 47 Patienten) eine subjektive Beschwerdebesserung von mindestens 50% (gemessen mit der VAS) erzielt werden konnte. Bei den übrigen Patienten waren die therapeutischen Effekte der eigenverantwortlichen Krankengymnastik weniger eindrucksvoll und/oder der Krankheitsverlauf konnte bei den Patienten nicht dokumentiert werden („lost“). Bei 7 Patienten wurden die krankengymnastischen Übungen vorübergehend beendet. Die kurze Zeit danach erneut auftretenden Beschwerden konnten durch Fortführung der physikalischen Maßnahmen wieder behoben werden (Tab. 4).
Diskussion
In der vorliegenden Studie wurden 57 Patienten untersucht, die mit der Verdachts- bzw. „Arbeitsdiagnose“ Sinusitis mit unbehandelbaren Gesichts- und Kopfschmerzen vorgestellt wurden. Nur bei einer kleinen Gruppe von 17% (n=10) dieser Patienten wurde tatsächlich eine akute Sinusitis diagnostiziert. Bei den meisten Patienten (n=47) bestanden zervikogene Kopf-/Gesichtsschmerzen, die zum überwiegenden Teil mit häuslich durchgeführten krankengymnastischen Maßnahmen deutlich gelindert werden konnten.
Die Mehrzahl der untersuchten Patienten war zuvor von anderen Ärzten therapiert und erst nach z. T umfangreichen, vergeblichen Behandlungsversuchen mit der Verdachtsdiagnose nichttherapierbare Nasennebenhöhlenentzündung zur Weiterbehandlung überwiesen worden. Typische Sinusitissymptome wie nasale Obstruktion, eitrige Rhinorrhö, Geruchsverlust, Nasenpolypen und ähnliche waren nicht vorhanden. Durch eine zusätzliche Röntgendiagnostik mit konventionellen Nasennebenhöhlenaufnahmen konnte die Diagnosesicherheit erhöht werden.
Die Diagnose zervikogene Kopfschmerzen in der vorliegenden Studie beruhte auf dem Vorliegen krankhafter manualtherapeutischer Befunde und dem Ausschluss anderer neurologischer, orthopädischer und/oder otorhinolaryngologischer Erkrankungen [19, 20, 21, 22]. Die häufig sehr erfolgreiche Beschwerdelinderung bei den Erkrankten durch häusliche krankengymnastische Therapie ist ein wichtiges Ergebnis dieser Studie, das auch von anderen Autoren beobachtet wird [23, 24, 25, 26, 27, 28, 29]. Bei 7 Patienten erfolgte bei diesen krankengymnastischen Maßnahmen ein ärztlicherseits ungeplanter „Auslassversuch“ mit prompter Verschlechterung der zervikogenen Problematik bzw. schneller Besserung nach Wiederaufnahme der krankengymnastischen Übungen. Kritisch bezüglich der manualtherapeutischen Diagnosesicherheit ist allerdings die Tatsache zu werten, dass nach verschiedenen Berichten der prädiktive Wert für die Diagnose einer zervikogenen Schädigung aufgrund manualtherapeutischer Befunde etwa 65% beträgt [19]. Allerdings gelten derartige Unsicherheiten auch für andere Diagnosen wie Aerosinusitis, atypischer Gesichtsschmerz oder idiopathischen Zephalgien. Bei diesen letztgenannten Diagnosen, die alle mit heftigen Kopf- und Gesichtsschmerzen einhergehen können, handelt es sich um reine Ausschlussdiagnosen. Somit sind diese Diagnosen mit höheren Unsicherheiten behaftet als die der zervikogenen Beschwerden. Die vorliegende Beobachtungsstudie deutet daraufhin, dass zervikogene Beschwerden nicht ganz selten sind [7, 8, 9, 11, 12, 17].
Fazit für die Praxis
Bifrontale Schmerzen, periokuläre Schmerzen und/oder Druck im Bereich der Augen sind häufig Folgen von zervikogenen Beschwerden. Zu 70% sind Frauen betroffen. Bei den meisten Patienten kann mit guten Aussichten auf Beschwerdebesserung eine eigenverantwortliche häusliche Krankengymnastik eingeleitet werden.
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Ullrich, D. Zervikogene Kopfschmerzen können eine akute Sinusitis imitieren. Manuelle Medizin 47, 190–193 (2009). https://doi.org/10.1007/s00337-009-0685-y
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