Diagnostik

Anamnese

Selbstverständlich hat die Anamnese am Anfang des Untersuchungsganges zu stehen, hier vor allem die Frage nach der Schmerzdauer, Lokalisation und dem zeitlichen Verlauf. Mit der Frage nach der Lokalisation lässt sich das Zielgebiet oft bereits eingrenzen. Eventuelle Ausstrahlungen in die Schulter-Arm-Region oder nach ventral in den Thorax werden vom Patienten häufig beschrieben und bedürfen weiterer anamnestischer und klinischer Klärung.

Faktoren wie Traumen, Bewegung, Belastung lassen eine mechanische Komponente der Schmerzauslösung vermuten. Atemabhängigkeit spricht für eine Mitbeteiligung der Rippengelenke. Informationen über eine (zeitliche) Koinzidenz mit anderen Erkrankungen wie z. B. Thoraxeingriffe oder Osteoporose sind ebenso unerlässlich wie tageszeitliches Auftreten (nächtlicher Entzündungsschmerz, Osteoidosteom mit charakteristischem Nachtschmerz). Der Nozizeptorenschmerz ist relativ gut lokalisierbar und vom Patienten gut zu beschreiben. Klassische Beispiele hierfür sind die Blockierung oder die Spondylarthrose.

Als eher dumpf, diffus und schlecht lokalisierbar wird der Schmerz angegeben, der auf innere Organerkrankungen zurückzuführen ist. Ein stechender, brennender Charakter, der einem Innervationsgebiet entspricht, weist auf einen neurogenen Schmerz hin. Ein durch einen Bandscheibenvorfall ausgelöster Schmerz ist thorakal eher selten.

Inspektion

Der erste Blick gilt den Bewegungsabläufen des Patienten beim Entkleiden. Die Beurteilung der Statik fokussiert auf (reflektorische, z. B. antalgische) Fehlhaltung oder eine Skoliose in der Frontalebene. Die Stellung des Beckens spielt für die Statik der Brustwirbelsäule genauso eine Rolle wie bei der Beurteilung der Lendenwirbelsäule. Die Skapulastellung (einseitiger Hochstand, Scapula alata) sowie eine Protraktion werden beurteilt. Der normale Kyphosescheitel befindet sich in Höhe Th5/Th6. Betonte Kyphosen (fixiert oder aktiv aufrichtbar) werden bei der Spondylitis ankylosans, dem M. Scheuermann, der Osteoporose, der Skoliose oder auch im Rahmen einer Haltungsinsuffizienz des Jugendlichen gefunden. Wichtige Beurteilungskriterien sind auch die Proportionen zum übrigen Rumpf, das Muskelrelief sowie Thorax- und Sternumasymmetrien. Hautveränderungen wie Zostereffloreszenzen oder Faltenbildung durch Rumpfverkürzung bei der Osteoporose („Tannenbaumphänomen“) sind Prima-vista-Diagnosen.

Funktionsprüfung

Die sich anschließende Funktionsprüfung in Seitneige, Rotation sowie Flexion und Extension wird einmal aktiv und zum anderen passiv unterstützt zur Beurteilung der Gesamtbewegung durchgeführt. Aussagen über das Bewegungsausmaß können in Winkelmaßen nach der Neutral-Null-Methode dokumentiert werden. Plateaubildungen (Begradigungsstrecken) einzelner BWS-Abschnitte, Knickbildungen oder Ausweichbewegungen fließen in die Beurteilung mit ein und weisen häufig schon auf den gestörten Abschnitt hin.

Das thorakale Ott-Maß bei Flexion beträgt normalerweise 30/33 cm (im Stehen von der Dornfortsatzspitze 30 cm nach kaudal und in maximaler Rumpfbeugung gemessen). Die Atembreite, die in Höhe der Mamillen als Differenz maximaler In- und Exspiration gemessen wird, beträgt beim Gesunden 5–7 cm. Sie ist verringert bei der Spondylitis ankylosans mit thorakalem Befall, Skoliosen oder pulmonalen Erkrankungen.

Palpation

Palpatorisch lassen sich zur orientierenden Höhenlokalisation an der BWS wichtige knöcherne Korrespondenzpunkte ertasten. Der Dornfortsatz C7 befindet sich zuverlässig in Höhe einer gedachten Horizontalen durch die Kostotransversalgelenke 1. Die Verbindungslinie der Spinae scapulae entspricht der Höhe Th3, die kaudale Skapulaspitze Th7. Eine orientierende internistische Untersuchung mit Auskultation und Palpation von Herz, Lunge und Oberbauchorganen sowie der Nierenlager darf nicht nur von Internisten oder Allgemeinmedizinern erwartet werden.

Segmentale Diagnostik

Die segmentale Diagnostik umfasst die spezifische manualmedizinische Untersuchung [3, 5]. Grundsätzlich erfolgt die Bestimmung des reversibel hypomobilen Segmentes (Blockierung) im gesamten untersuchten Wirbelsäulenabschnitt, die Richtung der gestörten Bewegung im Segment (Blockierungsrichtung) und die Beurteilung der reflektorisch algetischen Zeichen bzw. die Provokation einer segmentalen Nozireaktion. Zwei Wege haben sich bewährt und sollen deshalb parallel dargestellt werden.

Drei-Schritt-Diagnostik nach Sell

Nach dem oben erwähnten Untersuchungsgang weist die Drei-Schritt-Diagnostik den Weg zu einer möglichen funktionellen Störung (Blockierung). Die genaue Ausführung ist bei Bischoff nachzulesen [2].

Im 1. Schritt wird das segmentale Bewegungsspiel durch Palpation der Dornfortsatzbewegung benachbarter Wirbel bei Flexion, Extension, Lateralflexion sowie Rotation beurteilt.

Im 2. Schritt sucht der Behandler nach dem Vorhandensein eines Irritationspunktes beim flach auf dem Bauch liegenden Patienten. Hierzu tastet und beurteilt er die tiefe autochthone Muskulatur (Mm. rotatores und multifidi) in der Nische zwischen Dornfortsatz und Rückenstreckmuskulatur. Bei einem positiven Befund zeigt sich der Irritationspunkt als nozireaktiv tonusvermehrt und meist auch druckdolent.

Im 3. Schritt folgt die funktionelle segmentale Bewegungsprüfung. Beurteilt wird hierbei die Tonusänderung des Irritationspunktes unter dem tastenden Finger bei Rotation sowie Kyphosierung und Lordosierung.

Für die Dokumentation ist die exakte Höhenlokalisation wichtig. Unter Berücksichtigung der Form der Dornfortsätze, die an der BWS nach kaudal zum nächsttiefer gelegenen Wirbel reichen, kann davon ausgegangen werden, dass ein Irritationspunkt, der z. B. in Höhe des Dornfortsatzes Th7 getastet wird, dem nächsttiefer gelegenen Wirbel zuzuordnen ist (in diesem Fall Th8).

Bei der Dokumentation „D8+ re, l“ steht „D8“ für die Höhe, also 8. Brustwirbel, „+“ rechts von der 8 für einen Irritationspunkt rechts, „re“ und „l“ stehen für eine Rechtsrotations- und Lordosierungsempfindlichkeit des Irritationspunktes. Auf die Bedeutung für die Therapie wird später noch eingegangen.

Untersuchung des „joint play“

Die detaillierte Ausführung dieser Untersuchung ist bei Sachse [10], Schildt-Rudloff [11] und Lewit [8] nachzulesen.

Die Gelenkpartner eines Bewegungssegmentes – zwei benachbarte Wirbel – lassen sich nicht isoliert festhalten. Um eine Funktionsbewegung vorwiegend in einem Segment ablaufen zu lassen und ertasten zu können, sind spezifische Ausgangsstellungen und eine korrekte Bewegungsführung notwendig. Wir nutzen die segmentale Gelenkbewegung als Reihenfolgevergleich. Am Ende der Bewegung entsteht eine tastbare Gewebespannung als Endgefühl. Physiologisch nimmt diese weich oder im pathologischen Fall abrupt wie ein „Anschlag“ zu.

Das segmentale Bewegungsspiel – entsprechend dem „joint play“ – mit Beurteilung des Endgefühls wird von Segment zu Segment zunächst für die Flexion und dann für die Extension, Lateralflexion sowie Rotation durch Palpation zwischen den Dornfortsätzen zweier benachbarter Wirbel untersucht. Beurteilt wird eine Hypo-, Hyper- oder Normmobilität.

Im nächsten Schritt wird untersucht, ob die Hypomobilität von einer segmentalen Nozireaktion begleitet wird (i.d.R. beim flach auf dem Bauch liegenden Patienten). Hierzu beurteilt der Therapeut durch Federung im Segment über den Querfortsätzen beidseits und Palpation in Richtung der tiefen segmentalen autochthonen Muskulatur (Mm. rotatores und multifidi in der Nische zwischen den Dornfortsätzen und der oberflächlicheren Rückenstrecker) deren Spannungsverhältnisse. Bei einem positiven Befund zeigt sich eine nozireaktive Spannungsvermehrung, meist mit Druckdolenz.

Durch eine sorgfältige segmentale Untersuchung kann die genaue Richtung und das Ausmaß der funktionellen Hypomobilität in allen drei Ebenen der Gelenkbeweglichkeit erfasst werden. Liegt eine Störung der Beweglichkeit in allen drei untersuchten Raumrichtungen vor, muss von einer nicht blockierungsbedingten Hypomobilität ausgegangen und nach anderen Ursachen gesucht werden.

Muskelfunktionstests (Kraft- und Verkürzungstests) sowie die Triggerpunktdiagnostik komplettieren den manualmedizinischen Untersuchungsgang. Hierzu wird auf die entsprechende Literatur verwiesen.

Behandlung

Voraussetzung für die Behandlung funktioneller Störungen (Blockierungen, reversible Hypomobilitäten mit vermindertem „joint play“) ist neben dem Vorhandensein mindestens einer freien Richtung der Ausschluss von Kontraindikationen.

Aus forensischen Gründen wird vor einer Manipulationsbehandlung eine Röntgenaufnahme der BWS in zwei Ebenen gefordert. Diese sollte nicht älter als zwei Jahre sein. Abhängig vom klinischen Befund kommen vorher noch die Labordiagnostik oder weitere bildgebende Verfahren zum Einsatz.

Neben unspezifischen Weichteiltechniken oder mobilisierenden Griffen zeichnet sich an der BWS die Manipulation durch eine hohe Effizienz aus. Selbstverständlich können alle manipulativen Techniken auch mobilisierend eingesetzt werden.

Bei der Manipulation ist strikt auf absolut sanftes Arbeiten zu achten, wie es bei der Weiterbildung in den DGMM-Seminaren gelehrt wird.

Im Folgenden wird beispielhaft eine Auswahl bewährter Techniken beschrieben.

Unspezifische Weichteiltechniken

Unspezifische Weichteiltechnik 1

Als unspezifische Weichteiltechnik kommt an der BWS – auch zur Vorbereitung einer Manipulation – die kraniokaudale wechselrhythmische Tiefenmassage zum Einsatz [2].

Hierbei wird im Wechselrhythmus (links/rechts) die paravertebrale Muskulatur des auf dem Bauch liegenden Patienten gelockert. Die paravertebralen Weichteile werden mit den Handballen gegen die im distalen Interphalangealgelenk gestreckten Langfinger entgegengeschoben, die Langfinger der anderen Hand werden unter Weichteilkontakt nach kaudal nachgezogen. Hierdurch entsteht eine von kranial nach kaudal laufende wechselrhythmische Massage.

Unspezifische Weichteiltechnik 2

In Seitenlage kann eine BWS-Traktion durch Kontakt der Unterarme des Behandlers an Schultergürtel und Becken des Patienten erzielt werden [6, 8, 10, 11]. Wenn der Patient zu einer aktiven (isometrischen) Annäherung der beiden Kontaktpunkte aufgefordert wird, ist es möglich, nach dieser Anspannungsphase eine postisometrische Relaxation anzuschließen. Diese wirkt überwiegend auf die langen Rückenstrecker, bezieht aber auch den M. quadratus lumborum mit ein.

Mobilisation

Die folgenden drei Mobilisationstechniken nutzen den Effekt der postisometrischen Relaxation. Diese ist eine Methode zur Entspannung eines Muskels oder einer Muskelgruppe, bei der die willkürliche Entspannung nach – meist minimaler – Anspannung gegen einen isometrischen Widerstand ausgenutzt wird.

Mobilisation einer segmentalen Störung der Flexion

Der Patient befindet sich in Seitenlage. Er hat seine Hände seitlich an seinen Hals und die aneinander liegenden Ellbogen vor seinen Brustkorb gelegt. Nach segmentaler Einstellung des gestörten Bewegungssegmentes in die Flexion von kranial über Bewegungsführung von den Ellbogen und Fixation des unteren Partnerwirbels durch palpierende Kontrolle (Bewegung erreicht den oberen Partner, der untere Partner wird noch nicht mitbewegt) sowie der Stabilisierung der Seitenlage wird der Patient zu einer minimalen – gedachten – Anspannung in Extension für eine Zeit von ca. 7 s aufgefordert. Nach dem Entspannen kann der Behandler weiter in die Flexion an die Barriere (palpierbares Bewegungsende im Segment) führen. Diese Schritte werden mehrfach, entsprechend dem Bewegungsgewinn bzw. bis dreimal, wiederholt [6, 10, 11].

Mobilisation einer segmentalen Störung der Extension

Der Patient befindet sich in Seitenlage. Er hat seine Hände seitlich an seinen Hals und die aneinander liegenden Ellbogen vor seinen Brustkorb gelegt. Nach segmentaler Einstellung des Bewegungssegmentes in die Extension von kranial durch Führung der Ellbogen vom Brustkorb des Patienten weg, wird der Patient zu einer minimalen – gedachten – Anspannung in Flexion für eine Zeit von ca. 7 s aufgefordert. Nach dem Entspannen kann der Behandler weiter in die Extension an die Barriere führen. Diese Schritte werden ebenfalls mehrfach, entsprechend dem Bewegungsgewinn bzw. bis dreimal, wiederholt [6, 10, 11].

Mobilisation einer segmentalen Rotationsstörung – thorakolumbaler Übergang

Diese Technik erfolgt in Seitenlage, die Seite der gestörten Bewegungsrichtung liegt oben. Hier wird die Stabilisierung der LWS durch Anspannung des M. psoas ausgenutzt. Nachdem der Patient zur Aktivierung des M. psoas durch Beugung des oben liegenden Beines und Halt gegen den vor dem Patienten stehenden Behandler aufgefordert wird, kann unter Palpationskontrolle am Segment durch den Behandler der Patient seinen Oberkörper (zur oben liegenden Seite) rotieren, bis die Bewegung das Segment erreicht. Die Anspannung zur Gegenrotation wird z. B. durch Aufforderung zum Blick nach oben oder zum Behandler erreicht. Nach der Entspannung kann der Patient ebenfalls unter Palpationskontrolle am Segment weiter in die Mobilisationsrichtung rotieren [6, 10, 11].

Manipulation

Behandlungsschritte bei der Manipulation

Die sorgfältige Durchführung der folgenden fünf Behandlungsschritte ist Voraussetzung für das Erreichen des gewünschten Behandlungsziels.

  1. 1.

    Lagerung: Der Patient wird in einer für die Behandlung günstigen und entspannten Ausgangsposition gelagert. Auch die Stellung des Therapeuten sollte ein problemloses und lockeres Arbeiten ermöglichen. Bei Techniken in Bauchlage ist eine höhenverstellbare Liege mit Einstellung eines Kyphosierungsschutzes dienlich (Abb. 1).

    Abb. 1
    figure 1

    Kyphosierungslagerung der Patientin auf der Therapieliege nach Dr. Sell (hier bei Anlage des tangentialen Schubes nach kranial)

  2. 2.

    Es muss sicherer Kontakt (sog. Tiefenkontakt) am Bewegungssegment, das es zu therapieren gilt, aufgenommen werden. Unsichere Griffanlagen oder Weichteilverschiebungen bei der Therapie werden hierdurch vermieden.

  3. 3.

    Die Vorspannung in die gewünschte Manipulationsrichtung ist Voraussetzung für das spätere Gelingen der Manipulation. Zeitweilig signalisiert die Vorspannung bereits Probleme im zu therapierenden Segment oder sogar Kontraindikationen, die dann die Überprüfung des Befundes, der Diagnose oder der Griffanlage erforderlich machen.

  4. 4.

    Die diagnostische Probemobilisation (früher Probezug)

    • ist ein unverzichtbares Element im Behandlungsablauf,

    • erfolgt in Richtung des Manipulationsimpulses,

    • geht wegmäßig über den Impulsweg hinaus,

    • signalisiert, wenn eine Weichteilspannung auftritt, eine Nozireaktion, die evtl. auf eine Kontraindikation hinweist, und

    • ist aus forensischen Gründen zu dokumentieren.

  5. 5.

    Der manipulative Impuls

    • folgt den Kriterien der sanften Manipulation, d. h. er wird weg-, zeit- und kraftmäßig kurz ausgeführt (drei k: kurzer Weg, kurzer Impuls, kleiner Weg),

    • erfolgt an der BWS in der Exspirationsphase,

    • arbeitet nicht in eine muskuläre Gegenspannung des Patienten und

    • erfordert immer vorher die diagnostische Probemobilisation.

Tangentialer Schub nach kranial

Beim tangentialen Schub nach kranial (Abb. 2) liegen die Daumenballen des Therapeuten parallel zur Wirbelsäule ca. 1–2 cm neben der Dornfortsatzreihe. Die Brustwirbelsäule des Patienten wird in Bauchlage kyphotisch eingestellt gelagert. Nach Aufnahme von Tiefenkontakt, Vorspannung und der diagnostischen Probemobilisation erfolgt der Impuls in tangentialer Richtung zur BWS nach kranial. Kranial des Kyphosescheitels wird die Behandlung mit den parallel liegenden Kleinfingerballen bei überkreuzten Unterarmen fortgesetzt. Der Behandlungsschwerpunkt dieses Griffes liegt in den mittleren BWS-Abschnitten.

Abb. 2
figure 2

Tangentialer Schub nach kranial

Ventralisierender Kreuz-Handgriff

Als gezielte Technik in Bauchlage mit kyphotisch gelagerter BWS wird der ventralisierende Kreuz-Handgriff (Abb. 3) eingesetzt. Die in sog. Tabatiere-Ulna-Kontakt überkreuzten Hände des seitlich am Patienten stehenden Therapeuten liegen durch diese Handstellung mit den Ossa pisiformia zum einen auf dem Querfortsatz des zu therapierenden Wirbels, zum anderen auf dem kontralateralen Querfortsatz des darüber oder darunter liegenden Wirbels.

Abb. 3
figure 3

Der ventralisierende Kreuz-Handgriff

Nach der üblichen Vorgehensweise kommt der Impuls auf die am zu behandelnden Querfortsatz liegende Hand. Das Os pisiforme der Gegenseite bildet den aktiven Gegenhalt in der Stufe der Vorspannung.

Die gezielte Hangtraktion

Die gezielte Hangtraktion (Traktion zur Separation der Zwischenwirbelraumes oder der Wirbelbogengelenke mit rotatorischer Komponente) kann sowohl am stehenden als auch sitzenden Patienten ausgeübt werden (Abb. 4). Der hinter dem Patienten stehende Therapeut umfasst die Unterarme des Patienten, der vorher die Hände im Nacken verschränkt hat. Mit den am Thorax des Patienten anliegenden Oberarmen führt der Therapeut den Thorax des Patienten nach dorsal gegen den M. pectoralis des Behandlers, der von hinten unten über dem zu behandelnden Querfortsatz unter Ausübung von Tiefenkontakt und Vorspannung einmodelliert wird. Der Impuls erfolgt durch Anspannung des M. pectoralis in ventrokranialer Richtung nach vorheriger Probemobilisation. Bei funktionseingeschränkter Schulter können die Hände des Patienten zur jeweils kontralateralen Schulter geführt werden (Pharaonengriff).

Abb. 4
figure 4

Die gezielte Hangtraktion im Stehen

Der Vorteil bei der Arbeit am sitzenden Patienten (der Behandlungsablauf ist derselbe) ist eine geringere Belastung des Therapeuten sowie der Ausgleich von Größenunterschieden zwischen Therapeut und Patient.

Therapeutinnen wählen häufig die Variante, bei der die Anlage des M. pectoralis durch das Knie ersetzt wird. Hierbei ist, bedingt durch die geringe Weichteildeckung des Knies, auf ein nicht traumatisierendes Arbeiten besonders zu achten.

Ventralisierender Schub

In Rückenlage des Patienten wird der ventralisierende Schub am zu behandelnden Segment durch Anlegen der Mittelfingermittelphalanx an den Querfortsatz erreicht. Der Patient verschränkt die Hände im Nacken. Der Therapeut steht auf der gegenüberliegenden Seite des zu therapierenden Querfortsatzes und legt die Mittelfingermittelphalanx auf den zu behandelnden Querfortsatz. Der Daumenballen bietet Gegenhalt am kontralateralen Querfortsatz des nächsthöheren Wirbels. Nach Einstellung des Kyphosescheitels in Höhe des zu therapierenden Segmentes erfolgt ein über den Patientenellbogen nach dorsal gerichteter Impuls auf die Mittelfingermittelphalanx zu (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Der ventralisierende Schub. Handanlage für die Grifftechnik Mittelfingermittelphalanx

Zur Erleichterung der Behandlung wird der Impuls jeweils in der Exspirationsphase ausgeführt.

Manipulation in Flexionsrichtung

Der Patient liegt auf dem Rücken, die Hände seitlich am Hals und die Ellbogen auf dem Brustkorb abgelegt. Der Arzt steht vor dem Patienten und dreht mit seiner kopfseitigen Hand den Patienten auf sich zu (Abb. 6). Die fußseitige Hand wird im sog. „Pistolengriff“ am unteren Segmentpartner angelegt (Abb. 7). Nach Rückrotation unter gehaltener Flexion wird der Rumpf des Patienten langsam von kaudal in Rückenlage an das Segment zurückgerollt. Am Segment erfolgen eine Feineinstellung der Flexionsspannung über mehrere Atemzüge und eine Probemobilisation, um Nozireaktion und Schmerz auszuschließen (Abb. 8). Der Manipulationsimpuls erfolgt – am günstigsten in der Ausatmungsphase – nach dorsal [1, 4, 6, 8].

Abb. 6
figure 6

Kontaktaufnahme zur BWS-Manipulation (Flexion). Zeigefinger in 45°-Winkel zur WS-Achse. Kontakt mit Daumengrundgelenk und PIP 3 an den Querfortsätzen eines Wirbels

Abb. 7
figure 7

„Pistolengriff“. Ansicht von palmar. Kontaktpunkte an der BWS in Ansicht von dorsal. Zeigefinger und WS-Achse bilden einen Winkel von 45°

Abb. 8
figure 8

Einstellung des BWS-Segments an der Barriere durch Schub nach dorsokranial; aufmerksamer Ausschluss von Nozireaktion!

Manipulation in Extensionsrichtung

Die Ausgangsstellung und Kontaktaufnahme erfolgt zunächst wie in der zuvor beschriebenen Technik. Nach Rückrotation und Ablegen des Rumpfes erfolgt jetzt die Voreinstellung in Extensionsspannung. Am Segment erfolgen eine Feineinstellung der Extensionsspannung und eine Probemobilisation, um Nozireaktion und Schmerz auszuschließen (Abb. 9a,b). Der Manipulationsimpuls erfolgt nach dorsal [1, 4, 6, 8].

Abb. 9a, b
figure 9

Einstellung des BWS-Segments an der Extensionsbarriere durch Schub nach dorsal. Nozireaktion?!

Andere Maßnahmen

Auf spezifische Muskeltechniken soll hier nicht näher eingegangen werden. Begleitende Behandlungsmaßnahmen wie Neuraltherapie, paravertebrale Injektionen, Wirbelgelenkinfiltrationen, physiotherapeutische und physikalische Maßnahmen oder Medikation sind in ein der Erkrankung angepasstes Behandlungskonzept zu integrieren.

Fazit für die Praxis

Nicht selten finden wir bei funktionellen Störungen der Brustwirbelsäule Zusammenhänge mit internistischen Erkrankungen wie pulmonalen, kardialen oder Oberbauchproblemen, die sich primär über thorakale Beschwerden manifestieren. So werden häufig ausschließlich einseitige oder mehrere Segmente übergreifende „Blockierungen“ diagnostiziert, die Ausdruck eines mehrsegmentalen reflektorischen Geschehens sind, das über das vegetative Nervensystem vermittelt wird. In diesem Fall und auch bei rezidivierenden Blockierungen ist deshalb neben klinisch stummen Funktionsstörungen, Bewegungs- oder Belastungsstereotypien das Augenmerk auf vertebroviszerale Wechselbeziehungen zu richten. Empirische Segmenttabellen finden sich in einschlägigen Lehrbüchern.