Die sehr unterschiedlichen Anforderungen in Beruf und Freizeit sind von der Wirbelsäule nur im perfekten Zusammenspiel der verschiedenen passiven und aktiven Komponenten zu bewältigen. Einerseits muss die Aufnahme hoher – sowohl statischer als auch dynamischer – axialer Lasten gewährleistet sein, andererseits wird versucht, die Freiheit des Rumpfes und der oberen Extremität für den verfügbaren Bewegungsraum bis zum Letzten zu nutzen. Im Hinblick auf die Mechanismen der Evolution ist die Wirbelsäule deshalb als Verkörperung eines optimierten Kompromisses zwischen statischer Belastbarkeit und kinematischen Möglichkeiten aufzufassen [33]. Dass damit bei Überbetonung einer der beiden gegensätzlichen Anforderungen die spezifische Leistungsfähigkeit rasch an Grenzen stößt, ist nicht verwunderlich. Eine umfassende Kenntnis der anatomischen Komplexität ist dabei als ein Schlüssel für das Verständnis der funktionellen Zusammenhänge anzusehen, was wiederum Voraussetzung für eine exakte Diagnostik und für die Therapie gerade von verletzungsbedingten Störungen einzelner Komponenten ist.

Im Folgenden wird zunächst die Morphologie der einzelnen Strukturelemente dargestellt. Anschließend soll das kinematische Zusammenspiel der Komponenten erörtert werden.

Knöcherne Strukturen

Wirbelkörper

Die Wirbelkörper nehmen von kranial nach kaudal an Volumen zu; dabei verändert sich auch deren Form. Während die Wirbelkörper der Brustwirbelsäule (BWS) eine zylindrische bis leicht dreieckige Form besitzen, so sind sie im Bereich der Lendenwirbelsäule eher nierenförmig [1]. Bedingt durch die Volumenzunahme kommt es entsprechend der Anforderung zur Verbesserung der Tragfähigkeit, da sich die Materialeigenschaften der Spongiosa selbst in den verschiedenen Wirbelsäulenabschnitten nicht verändern [5]. Von besonderer Bedeutung für die Stabilität der Wirbelkörper gegenüber der axialen Druckbelastung ist auch die Anordnung der Trabekel und deren Anzahl im Verhältnis zur kortikalen Dichte ([5, 7]; Abb. 1, 2). So ist die Spongiosaverteilung innerhalb der Wirbelkörper nicht konstant. Die niedrigste Spongiosadichte findet sich in der Mitte des Wirbelkörpers, während nahe der Randplatten eine deutlich höhere Tragfähigkeit zu finden ist. Entsprechend der Belastung ist die Spongiosadichte grundplattennah am höchsten (Abb. 1).

Abb. 1a,b
figure 1

Schräg vertikale Schnitte durch Brust- und Lendenwirbel; Kontaktradiographie von 2 mm dicken Schnitten. Die spitzbogenartige Anordnung der Spongiosa und die Konzentration der Kortikalis auf den Umfang der Pedikel weisen auf eine hohe Biegebeanspruchung hin. a 10. Brustwirbel, b 3. Lendenwirbel

Abb. 2a,b
figure 2

Horizontale Schnitte durch Wirbelkörper; Kontaktradiographie von 2 mm dicken Schnitten. Die senkrechte Einstellung der Spongiosa zum Umfang der Wirbelkörper weist auf eine gleichmäßige Querdehnung im Rahmen einer Druckbeanspruchung des Wirbelkörpers hin. a 10. Brustwirbel, b 3. Lendenwirbel

Die Kortikalis der Wirbelkörper ist rundum nur sehr dünn ausgebildet. Selbst auf Höhe deren Mitte ist sie kaum dicker als das 2- bis 3-fache der Spongiosabälkchen. Es fällt auf, dass die Trabekel in der Transversalebene zur Zirkumferenz hin senkrecht eingestellt sind (Abb. 2). Dies lässt auf eine rundum gleichartige Beanspruchung schließen. Geht man davon aus, dass die Wirbelkörper einer über die angrenzenden Endplatten gleich verteilten Druckbeanspruchung ausgesetzt sind, so ist auch anzunehmen, dass die transversal radiär ausgerichteten Knochenbälkchen Zugbeanspruchungen unterliegen.

Bryce et al. [7] konnten zeigen, dass neben Spongiosadichte und Geometrie auch die kortikale Dicke für die Knochenstabilität entscheidend ist. Durch das Zusammenspiel der spongiösen und kortikalen Strukturen wird – bei geringem Gewicht – eine maximale Druckaufnahmekapazität geschaffen. Veränderungen dieses knöchernen Verhältnisses, wie sie z. B. bei der Osteoporose, bei verschiedenen Stoffwechselkrankheiten oder bei Metastasen vorkommen, können zu einer drastischen Reduktion der Festigkeit der Wirbelkörper und damit zu einem erhöhten Frakturrisiko führen.

Zahlreiche biomechanische Untersuchungen konnten zeigen, dass auch die verschiedenen operativen endoskopischen oder offenen Stabilisierungsmaßnahmen selbst Einfluss auf die knöcherne Beschaffenheit und damit auf die Wiederherstellung der Funktion nehmen können. So kommt es durch posteriore und anteriore Instrumentierung, unabhängig davon, ob sie in offener oder endoskopischer Technik durchgeführt wird, zu einer erhöhten Fusionsrate [8, 9, 15, 27,41]. Harris et al. [16] demonstrierten, dass es bei verschiedenen anterioren Verplattungen von Knochentransplantaten durch das Implantat aber auch zu einer verminderten Kompressionsbelastung des Transplantats kommt. Dies führt schließlich zu einer konsekutiven lokalen durch das Implantat verursachten Osteoporose. Die chirurgische Therapie von Wirbelkörperfrakturen sollte deshalb neben der Wiederherstellung der anatomischen Form auch besonders auf die Wiederherstellung der inneren Struktur achten.

Wirbelbögen

Das Wirbelloch wird nach dorsal von den beiden im Querschnitt ovalen Pedikeln und der sie verbindenden Bogenplatte umschlossen. Die Pedikel (Pediculi arcus vertebrae) stellen die Verbindung zwischen dem Wirbelkörper und der Wirbelbogenplatte dar und variieren in Form und Ausrichtung in den jeweiligen Wirbelsäulenabschnitten (Abb. 3). So nimmt der transversale Pedikelwinkel von der oberen BWS bis hin zum BWK XII kontinuierlich ab, während er im Bereich der Lendenwirbelsäule wieder kontinuierlich ansteigt. In Bezug auf den sagittalen Pedikelwinkel finden sich für die gesamte Lendenwirbelsäule deutlich niedrigere Werte als für die BWS.

Abb. 3a,b
figure 3

Segmentale Unterschiede der Wirbelbogengeometrie (nach Zindrick et al. [42] u. a.). a Pedikelmaße (Querdurchmesser, Pedikelhöhe), b Pedikelwinkel (transversaler Pedikelwinkel, sagittaler Pedikelwinkel)

Ein gerade im Hinblick auf die operative Therapie wichtiger Wert ist die Pedikelhöhe. Im Bereich der oberen und mittleren BWS beträgt sie ca. 10 mm und erreicht ihr Maximum bei BWK XII mit ca. 16 mm. In der Lendenwirbelsäule erreicht sie Werte zwischen 12 und 15 mm. Die Streuung der Werte ist allerdings beträchtlich [1].

Die Dickenverteilung der Kortikalis innerhalb des Pedikels ist nicht konstant, folgt aber einem sehr einheitlichen Muster. Sowohl an den Brust- als auch an den Lendenwirbeln ist sie jeweils im Bereich des kranialen und des kaudalen Umfangs besonders dick und auch medial immer stark ausgebildet (Abb. 1, 4). Nach lateral hin ist der Spongiosaraum jedoch nur durch eine dünne Kortikalislamelle, mitunter sogar nur von Periost bedeckt. Mit zunehmendem Alter und auch bei Osteoporose verstärkt sich ein Trend zur Reduktion der Kortikalis auf den kranialen und den kaudalen Umfang. Diese Verteilung ist in Verbindung mit der Architektur der Spongiosa direkt als Ausdruck der Anpassung an die funktionelle Belastung aufzufassen.

Abb. 4a,b
figure 4

Querschnittsform der Pedikel in Brust- und Lendenwirbelsäule; Kontaktradiographien von 2 mm dicken Schnitten. In beiden Bereichen zeigt sich die Kortikalis kranial, kaudal und medial stark ausgebildet und mineralisiert; lateral ist meist keine durchgehende Kortikalis vorhanden. a 7. Brustwirbel, b 4. Lendenwirbel

Die Pedikel unterliegen allesamt einer enormen Biegebeanspruchung, die sich – wegen der Abstützung über die Bogenplatten – allerdings streng auf die Sagittalebene beschränkt [25]. Dies spiegelt sich neben der Verteilung der Kortikalis in der spitzbogenartigen Orientierung der Trabekel wider (Abb. 1). Die Pedikelschraubenfixierung [3, 29] hat sich an diesen Gegebenheiten auszurichten.

Im Allgemeinen weist die kraniokaudale Achse der Querschnittsfläche der Pedikel etwa die halbe Höhe der Wirbelkörper auf. Der dadurch entstehende Raum für den Durchtritt von Nerven und Gefäßen, die in den Wirbelkanal ein- bzw. aus ihm austreten, wird vorne unten vom äußeren Umfang der Bandscheibe und hinten vom Lig. flavum begrenzt (Abb. 5). In der BWS setzt sich die obere Kontur der Pedikel kontinuierlich in der Deckplatte der Wirbel fort, während sie an den Lendenwirbeln etwas nach kaudal abgesetzt ist (Abb. 1).

Abb. 5a,b
figure 5

Wirbelgelenke und Ligg. flava; Dünnschliffe. a Transversaler Schnitt durch den Wirbelbogen eines 4. Lendenwirbels, b sagittaler Schnitt durch den medialen Anteil eines rechten Wirbelgelenks und das rechte Foramen intervertebrale eines 4. Lendenwirbels. LF Lig. flavum, AZ Wirbelgelenk, AF Anulus fibrosus, NS N. spinalis

Unter den dem Bogen aufsitzenden Fortsätzen soll unter praktischen Gesichtspunkten besonders auf die Gelenkfortsätze eingegangen werden, die sowohl in Bezug auf ihre äußere Ausrichtung als auch ihre innere Struktur in den einzelnen Wirbelsäulenabschnitten sehr variieren. Im Bereich der BWS stellen die Gelenkflächen der Processus articulares Ausschnitte von Kugelsegmenten dar und sind von kranial nach kaudal mit zunehmend ansteigendem Neigungswinkel mehr und mehr in die Frontalebene eingestellt (Abb. 6). Damit sind sie insbesondere in der Lage, nach ventral gerichtete Scherkräfte aufzunehmen. Beugung und Streckung sind in diesem Bereich zwar durch die Verbindungen mit den Rippen deutlich reduziert, Rotation und Lateralflexion sind demgegenüber in erstaunlich hohem Maße möglich.

Abb. 6a,b
figure 6

Ausrichtung der Gelenkfortsätze; Aufsicht von dorsal kranial. Während die Gelenkflächen der Wirbelgelenke der BWS eher Kugelsegmenten entsprechen, so bestehen sie in der LWS aus einem medialen frontal und einem lateralen sagittal eingestellten Anteil. a Brustwirbel, b Lendenwirbel

Die für die Bewahrung der Integrität des Bewegungssegments entscheidende Funktion der Aufnahme von nach ventral gerichteten Scherkräften besitzen die Wirbelgelenke auch in der Lendenwirbelsäule [24, 25, 33]. Ihr vorderer, medialer Anteil ist steil frontal eingestellt und entsprechend seiner hohen Beanspruchung stark mineralisiert [30]. Durch die Abwinkelung der größeren, lateralen Anteile der Gelenkfortsätze nach dorsal (Abb. 6) kommt hier noch die Mitwirkung bei der Einschränkung der Rotation dazu. Dies erfolgt im Zusammenwirken vor allem mit dem vorderen Anteil des Anulus fibrosus.

Verbindungen der Wirbelsäule

Die einzelnen Wirbel stehen durch die Bandscheibe, die verschiedenen Bänder und die Wirbelgelenke miteinander in Verbindung. Junghanns prägte 1930 für die Gesamtheit der verbindenden Strukturen zwischen zwei Wirbeln unter Einschluss der diesen Raum begrenzenden Flächen den Begriff des Bewegungssegments. Bänder und Anulus fibrosus ergänzen sich zum gemeinsam agierenden Bandapparat.

Bandscheiben

Die Bandscheiben übernehmen innerhalb des Bewegungssegments die für eine adäquate Beanspruchung wichtige Aufgabe einer möglichst gleichmäßigen Druckverteilung auf die angrenzenden Endplatten der Wirbelkörper, sind aber auch in die Steuerung der Beweglichkeit mit integriert. Die Bandscheiben sind aber in keiner Weise in der Lage, in größerem Ausmaß axiale Stöße abzufedern oder gar zu dämpfen.

Der Anulus fibrosus umfängt mit seinen 11–13 scherengitterartig zueinander versetzten, aus kollagenen Fasern aufgebauten Lamellen schalenartig den Nucleus pulposus („closed-pack system“ [17, 19]). Hydrostatische Drucksteigerungen, sei es durch äußere Kräfte oder den inneren Quellungsdruck des gallertigen Materials, können so auf die gesamte räumliche Zirkumferenz der Bandscheibe übertragen werden. Der Anulus fibrosus strahlt sowohl in die knöchernen Randleisten als auch in die Außenzonen der die Endplatten der benachbarten Wirbel bedeckenden hyalinen Knorpelplatten ein (Abb. 7). Dabei nimmt der Einstrahlungswinkel von außen nach innen ab.

Abb. 7
figure 7

Übergangszone vom Anulus fibrosus zum Wirbelkörper, polarisationsoptisches Lupenbild. Vergr. 2,5:1. AF Anulus fibrosus, NP Nucleus pulposus, R knöcherne Randleiste, K hyaline Knorpelplatte

Unerwarteterweise ist die knöcherne Randleiste nicht in ihrem gesamten Umfang gleichmäßig ausgebildet. Ihre dorsale Verschmälerung geht parallel mit einer Verringerung der Dicke des Anulus einher und muss als Ausdruck ihrer lokalen funktionellen Anpassung angesehen werden. Offenbar wird im Einklang mit der ständigen (hauptsächlichen) Scherbeanspruchung im Rahmen der Rotation der Lendenwirbelsäule der vordere Anteil des Anulus verdickt, während sich der hintere entsprechend auf einem geringeren Ausprägungsniveau hält [33, 34]. Dies sollte aber nicht als Degeneration missverstanden werden.

Die Verankerung des Anulus fibrosus erfolgt in erster Linie in einer bereits 1974 von Francois [13] nachgewiesenen intermediären kalzifizierten Knorpelzone, über die hinaus nur einzelne Fasern in die knöcherne Randleiste eindringen. Gegen die Mitte der hyalinen Knorpelplatte hin wird die Einstrahlung immer oberflächlicher; insgesamt werden ca. 50% der Knorpelplatte als Einstrahlungsbereich benutzt [43]. Durch dieses einem Druckbehälter ähnlichen Konstruktionsprinzip wird der hydrostatische intradiskale Druck gleichmäßig in das Kollagenfasernetz der Knorpelplatte eingeleitet, wodurch die auf die Bandscheibe wirkende axiale Druckkraft unabhängig von der Winkelstellung der benachbarten Wirbelkörper gleichmäßig auf die beiden hyalinen Knorpelplatten, die knöchernen Randleisten und den Anulus fibrosus weitergegeben wird [32]. Dies steht auch in Einklang mit verschiedenen biomechanischen Untersuchungen [22, 35, 40], wonach die Endplatten unter axialer Belastung besonders störungsanfällig sind. Gerade im Hinblick auf die mancherorts dringende Anweisung an Patienten, an denen Eingriffe am Diskus durchgeführt wurden, Sitzen zu vermeiden und mehrere Wochen lang – abgesehen von Liegezeiten – die anfallenden Tätigkeiten im Wesentlichen im Stehen auszuführen, sei ausdrücklich auf die hervorragende Übersicht von Brinckmann et al. [5] zu diesem Thema verwiesen. In einer sorgfältigen Fehleranalyse der Literatur macht er überzeugend deutlich, dass die Belastung des Diskus im Sitzen ohne Lehne keineswegs höher ist.

Die Position der Bandscheibe in Bezug auf die Hinterkante der Wirbelkörper ist von großem klinischen Interesse, da es bei dorsaler Verschiebung zu einer Verkleinerung des Spinalkanals bzw. zu einer Kompression der Nervenwurzel kommen kann. Dennoch besteht bislang keine Klarheit über den Einfluss der Wirbelsäulenhaltung auf die Position des Nucleus pulposus [2, 10, 11, 28, 39]. Während verschiedene Autoren [35, 36] darstellen, dass es durch eine Extensionsstellung zur anterioren Bandscheibenbewegung (im Verhältnis zur Wirbelkörperhinterkante) kommt, beschreiben Beattie et al. [2], dass dieser Abstand in der Flexionsstellung kleiner ist als in der Extensionsstellung.

Auch in diesem Zusammenhang wird auf die Untersuchungen von Brinckmann et al. [5] verwiesen. Die Autoren verglichen die Bandscheibe mit einem Gummireifen. Bei Kompression wölbt sich naturgemäß – unabhängig vom Grad einer bestehenden Auslenkung – der Außenrand vor und führt zu einer Einengung des Foramen intervertebrale. Die Frage nach der Verschiebung des Nucleus pulposus bei der Sagittalflexion ist daher nur bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Grades einer etwaigen axialen Belastung zu klären. Unseres Erachtens verschiebt sich der Nucleus bei extremer Ventralflexion – etwa im Liegen, ohne zusätzliche axiale Kompression – etwas nach dorsal; der Anulus wird aber durch die Entfernung der Hinterränder der benachbarten Wirbelkörper dennoch abgeflacht. Dies entspricht auch der klinischen Erfahrung mit der Lagerung von Patienten im Stufenbett.

Wie oben festgestellt, spielt der Anulus fibrosus als Partner der Wirbelgelenke insbesondere in der Lendenwirbelsäule eine wichtige Rolle bei der Begrenzung der Rotation. Ebenso ist davon auszugehen, dass die scherengitterartig angeordneten Faserlamellen den Ablauf der Sagittalflexion und der Lateralflexion mitbestimmen. Er ergänzt damit ganz entscheidend den übrigen Bandapparat des Bewegungssegments.

Bänder

Der Bandapparat der Wirbelsäule lässt sich in zwei Gruppen gliedern. Ausschließlich longitudinal sind das unelastische, über die ganze Wirbelsäule vorne hinwegziehende Lig. longitudinale anterius (LLA) und die segmentalen elastischen Ligg. flava (LFf) ausgerichtet. Die übrigen Bänder hingegen, zu denen das Lig. longitudinale posterius (LLP), die Ligg. interspinalia (LIS) und die sog. queren Kapselbänder (LTt) der Lendenwirbelgelenke gehören (Abb. 8), verlaufen segmental schräg zur Längsachse der Wirbelsäule. Das Lig. supraspinale (LSS), welches an den Processus spinosi angeheftet ist, stellt eigentlich nur den mittleren Streifen der Fascia thoracolumbalis (FThL) dar [33, 34].

Abb. 8
figure 8

Bandapparat der Wirbelsäule; Ansicht von schräg dorsal. LLA Lig. longitudinale anterius, LLP Lig. longitudinale posterius, LF Lig. flavum, AZ Articulatio zygapophysialis, Proc. articularis superior, LT Lig. transversum, LIS Lig. interspinale, LSS Lig. supraspinale; FThL Fascia thoracolumbalis

Insbesondere im Bereich der Lendenwirbelsäule agieren die Ligamente aufgrund ihrer Anordnung als eine Art Getriebe, welches die Verschiebung der jeweils benachbarten Wirbel exakt koordiniert. Die entscheidende Leistung dabei ist, dass das Erreichen der jeweiligen Endstellung der Bewegungen – insbesondere unter dynamischen Bedingungen – verzögert und damit die Gefahr einer Gewebeschädigung gering gehalten wird [1]. Der Dämpfungsmechanismus besteht in der langsam zunehmenden Spannung in der Endphase einer bestimmten Bewegung. Es versteht sich allerdings, dass diese für eine gewebeschonende Kinematik der Wirbelsäule auf Dauer absolut maßgebliche Aufgabe nur dann erfüllt werden kann, solange die Bänder insgesamt unter einer ausreichenden Vorspannung stehen. Diese zu gewährleisten, ist eine wichtige Funktion der gesunden Bandscheibe. Ist der Intervertebralraum erniedrigt und die Bandscheibe ohne Turgor, so können bereits geringfügige äußere Kräfte zu ruckartigen Verschiebungen und damit zu hohen lokalen Spannungsspitzen innerhalb des Bewegungssegments führen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Bänder reichlich mit Propriozeptoren besetzt sind [4, 14, 20]. Dies lässt den Schluss zu, dass die Rückenmuskulatur, insbesondere die tiefe autochthone Muskulatur, über den Weg des Rückenmarks direkt von den Bändern aus mit dem Ziel der Führung der Bewegung angesteuert werden kann.

Das Lig. longitudinale anterius (LLA) ist fest mit der vorderen und der lateralen Wirbelkörperfläche verbunden [38]. Es besteht in erster Linie aus Kollagen II und ist damit kaum dehnbar [34]. Seine Oberflächenschicht zieht von Wirbelkörper zu Wirbelkörper, während die tiefere Schicht in den Anulus fibrosus einstrahlt. Nach Hayashi et al. [18] begrenzt die Oberflächenschicht eine Hyperextension, während die tiefe Schicht aufgrund ihres Faserverlaufs in einem Winkel von 80° an der Begrenzung der Rotation beteiligt zu sein scheint [31].

Die Ligg. flava (LFf) bestehen zur Gänze aus elastischem Material und stehen auch bei lockerer aufrechter Haltung oder auch beim Liegen unter einer Vorspannung von etwa 10 N. Sie verbinden die jeweils gegenüberliegenden Kanten angrenzender Wirbelbögen und lassen zwischen sich einen Spalt frei. Sie decken den vorderen Spalt der Wirbelgelenke und kleiden besonders in der Lendenwirbelsäule die Hinterwand der Foramina intervertebralia komplett aus. Schon in jungen Lebensjahren entwickeln sich im Bereich ihrer Anheftungszonen Verkalkungsherde und Knochenspangen, die beträchtlich in die Foramina vorragen können.

Das Lig. longitudinale posterius (LLP) besteht ebenfalls aus zwei Schichten, die – sich jeweils segmental durchflechtend – in den hinteren Umfang des Anulus fibrosus einstrahlen. Unterhalb des 4. LWK verliert sich die oberflächliche Schicht, im Sakralkanal läuft das Band in ein medianes Faserbündel aus. Das LLP begrenzt die Endstellung der Ventralflexion, spannt sich aber unilateral auch bei Lateralflexion zur Gegenseite.

Die Anordnung der Ligg. interspinalia (LIS) verkörpert besonders eindrücklich die Rolle der Bänder bei der Bewegungssteuerung. In der BWS spielt dies angesichts der vielfachen ligamentären Sicherung keine Rolle. Hier sind die LIS unscheinbar dünn und orientieren sich nach dem Verlauf der Processus spinosi. In der Lendenwirbelsäule dagegen bestehen die LIS aus festen kollagenfaserigen Platten, die den Interspinalraum von hinten oben nach vorne unten durchqueren. Damit sind sie in der Lage, sowohl am Begrenzungsprozess der Ventralflexion teilzunehmen als auch eine Verschiebung nach hinten während der Dorsalflexion zu verhindern. Dazu kommt, dass die LIS im Bereich zwischen den Spitzen der Dornfortsätze direkt in die sog. Fascia thoracolumbalis übergehen.

Die sog. Fascia thoracolumbalis (FThL) stellt eine in der unteren Brust- und in der Lendenwirbelsäule sehr feste aponeurotische Platte dar, die von den Dornfortsätzen und den nach hinten ausstrahlenden Anteilen der LIS ausgehend nach lateral zieht, wo sie den Mm. obliquus internus und transversus sowie dem M. latissimus dorsi Ursprungsfläche bietet. Die dicht gepackten Bündel kollagener Fasern sind in zwei Blättern scherengitterartig angeordnet. Daraus ergibt sich, dass diese Aponeurose der Längenzunahme der Rückenkontur bei der Flexion folgt und zugleich ihre Rolle als straffe quere Binde ohne funktionelle Einbuße beibehält. Im Gegenteil, bei zunehmender longitudinaler Dehnung nimmt die Spannung in querer Richtung und damit der Innendruck der osteofibrösen Röhre zu. Wie die Faszie dabei an der Bauchpresse beteiligt ist, ist umstritten. Fest steht jedoch, dass sie zusammen mit den hinteren Anteilen der unteren Brust- und der Lendenwirbelsäule eine osteofibröse Röhre aufbaut, die der in diesem Bereich gelegenen autochthonen Rückenmuskulatur erst zu ihrer vollen und dabei ökonomischen Wirksamkeit verhilft. Die Integrität dieser osteofibrösen Röhre ist Voraussetzung für den aktiven Aufbau eines nachgiebigen Verstrebungssystems, mit dessen Hilfe die Auslenkung der unteren Wirbelsäule auch bei insuffizientem Bandapparat gesteuert werden kann.

Die longitudinale Verbindung der Spitzen der Processus spinosi wird fälschlicherweise häufig als selbstständiges Band angesehen. Beim sog. LSS handelt es sich jedoch ausschließlich um den medianen Anteil der FThL. Auch dieser ist aus quer angeordneten Faserbündeln aufgebaut und ermöglicht damit erst das Spreizen der Dornfortsätze bei der Flexion.

Während die Kapseln der BWS-Gelenke unauffällig sind, besitzen die Lendenwirbelgelenke in den LTt straffe Verstärkungsbänder. Sie sind an den einander gegenüberstehenden Kanten der Processus articulares angeheftet und überbrücken quer den Gelenkspalt [33, 34]. Aufgrund ihres Verlaufs sind sie daher in der Lage, im Ablauf der Rotation eine Verschiebung des jeweiligen unteren Gelenkfortsatzes nach dorsal zu verhindern. Wichtiger scheint ihre Integrität für eine langsame Begrenzung sowohl der Ventral- als auch der Dorsalflexion zu sein. Dies wird durch eine langsam zunehmende Spannung der ursprünglich quer zur Bewegungsebene ausgerichteten und als Folge einer Parallelverschiebung der beiden Kanten der Gelenkfortsätze schräg verzogenen Faserbündel erreicht.

Fazit für die Praxis

Die Brustwirbelsäule ist durch die vielfältigen ligamentären Verbindungen mit den Rippen charakterisiert. Über die dadurch zustande kommenden langen Hebelarme werden Bewegungen gewebeschonend geführt und begrenzt. Die Wirbelgelenke beschränken sich in der BWS auf die Aufnahme nach ventral gerichteter Scherkräfte und spielen keine Rolle bei der Begrenzung der Rotation.

In den lumbalen Bewegungssegmenten agieren Bandscheibe, Bänder und Wirbelgelenke in einer Weise miteinander, die bereits isolierte Ausfälle einzelner Elemente kaum kompensierbar erscheinen lässt. Die Anteile des Bandapparats, zu dem auch der Anulus fibrosus gehört, wirken in der Art eines Getriebes zusammen, dessen Bewegungsebene und -umfang auch durch die Wirbelgelenke bestimmt wird. Der Bandscheibe als druckverteilendes Polster kommt dabei die überaus wichtige Aufgabe zu, eine gewisse Vorspannung zu gewährleisten. Entscheidend für eine effiziente Mitwirkung der Muskulatur i. Allg. und ihrer Schutzfunktion bei insuffizientem und daher instabilem Bewegungssegment ist die Integrität der Fascia thoracolumbalis. Nur innerhalb einer intakten osteofibrösen Röhre kann die autochthone Rückenmuskulatur die Rolle einer präzisen aktiven Führung der Kinematik der Lendenwirbelsäule übernehmen.