Qualitativ hochwertige, gut dokumentierte menschliche Gewebeproben mit entsprechenden epidemiologischen, klinischen und molekularbiologischen Informationen stellen eine zentrale und wertvolle Ressource für medizinische Forschung, Biotechnologie und Medikamentenentwicklung dar [7, 8]. Sie sind essenziell für die Erforschung seltener monogenetischer, aber auch multifaktorieller Erkrankungen und gestatten einen Einblick in das Zusammenspiel von genetischen und Umweltfaktoren.

Biologischen Proben erweisen sich daher immer mehr als Schlüsselressource für die biomedizinische Forschung und Entwicklung. Obwohl Millionen von Proben in diversen medizinischen Archiven aufbewahrt werden, sind sie für die Forschung oft nur sehr begrenzt nutzbar. Mehrere Institutionen haben daher Biobanken etabliert, die die Nutzung von Gewebeproben für die Forschung erleichtern sollen. Dennoch ist es in vielen Fällen nicht möglich, die notwendige Probenanzahl in optimaler Qualität bereitzustellen, um z. B. bei genomweiten Untersuchungen Ergebnisse mit ausreichender statistischer Signifikanz zu erzielen [1, 11].

Diese Problematik wurde weltweit von mehreren renommierten internationalen Organisationen und Gremien aufgegriffen und erörtert. So betonte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihrem Bericht von 2001, dass biologische Proben einen essenziellen Rohstoff für die Weiterentwicklung von Medizin und Biotechnologie darstellen, und schlug den Aufbau eines globalen Netzwerkes von biologischen Ressourcenzentren vor [15, 16]. Das „National Cancer Institute“ (NCI) in den USA identifizierte als Ergebnis eines aufwendigen Evaluierungsprozesses die begrenzte Verfügbarkeit von qualitativ hochwertigen Tumorproben als das größte Hindernis für die Weiterentwicklung der Krebsforschung [13].

Die „Innovative Medicines Initiative“ (IMI) hat das Ziel, höhere Medikamenteneffizienz und -sicherheit bei weniger Nebenwirkungen zu erreichen, und weist in ihrer „Strategic Research Agenda“ auf die Bedeutung des geregelten Zugangs zu humanen Biobanken hin: Humane biologische Proben würden benötigt, um den Zusammenhang zwischen der molekularen Pathogenese von Erkrankungen und molekularen Angriffspunkten für die Medikamentenintervention besser zu verstehen. Weiterhin seien sie für die Identifikation und Validierung von Biomarkern, die möglichst frühzeitig in der Medikamententwicklung Hinweise auf Nebenwirkungen und Wirkungsbeschränkungen geben können, wichtig [9]. Auch ließen sich durch systematische Analyse von in Biobanken vorhandenen Gewebeproben wichtige Informationen über Patientenkollektive gewinnen, die das Design von klinischen Studien effizienter und erfolgreicher gestalten [12, 19].

Die „European Science Foundation“ (ESF) betonte erst kürzlich die Notwendigkeit der besseren Koordination von Biobanken und Harmonisierung von Standards und Richtlinien, damit das Forschungspotenzial der europäischen Biobanken voll genutzt werden kann und qualitätsgeprüfte Proben und Daten für akademische und kommerzielle Forschung zur Verbesserung der Prävention und Behandlung von häufigen und seltenen Erkrankungen zur Verfügung stehen [5, 17].

Das europäische BBMRI-Projekt

Europa reagiert auf diesen zunehmenden Bedarf an spezifischen biologischen Proben und Daten für Forschung und Entwicklung, indem das „European Strategy Forum on Research Infrastructures“ (ESFRI), das aus Repräsentanten von EU-Mitgliedsländern und der EU-Kommission besteht, in seiner „roadmap“ 2006 (http://www.cordis.europa.eu/esfri/roadmap.htm) die Etablierung einer paneuropäischen Forschungsinfrastruktur für Biobanken und biomolekulare Ressourcen („Biobanking and Biomolecular Resources Research Infrastructure“, BBMRI) vorsieht.

BBMRI umfasst sowohl populationsbasierte als auch krankheitsorientierte Biobankenformate, die alle Arten von humanen biologischen Proben (Gewebe, Blut, Serum, Zellen, DNA usw.) inklusive dazugehörige medizinische Daten sowie Informationen über Lebensstil und Umweltfaktoren beinhalten ([21]; Abb. 1).

Abb. 1
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Zentrale Komponenten von BBMRI

In der ESFRI-Roadmap ist auch ein Konzept für diverse biomolekulare Ressourcen wie Antikörper, Genklonsammlungen, siRNA-Bibliotheken, rekombinante Proteine und Zelllinien enthalten, die zusammen mit spezifischen molekularen „Werkzeugen“ und modernsten Analyseplattformen (z. B. „-omics“ Hochdurchsatzanalyseplattformen) zur Erforschung der Funktion von Genen, Proteinen, Stoffwechselprodukten und deren Wechselwirkungen zur Verfügung gestellt werden sollen.

Kritisch für die biomedizinische Forschung ist der Aufbau harmonisierter Datenbanken, Logistik- und Bioinformatikstrukturen mit einer entsprechenden Langzeitstrategie, um die zunehmenden Datenmengen (Genotyp, Phänotyp Informationen usw.) effizient verwalten und zugänglich machen zu können. Die Aufbereitung und Annotierung medizinischer Daten für wissenschaftliche Fragestellungen erfordert auch eine Weiterentwicklung bestehender Nomenklaturen und Kodierungssysteme, die primär für diagnostische Zwecke kreiert wurden und daher nur teilweise die Bedürfnisse der Forschung berücksichtigen [3, 10, 21]. Ziel ist es, die verschiedenen Datenbanksysteme der einzelnen BBMRI-Partner in eine föderative IT-Plattform zusammenzuführen und somit den Benutzern Zugang zu einer großen Anzahl von Proben und Daten hoher Qualität zu verschaffen. Der Zugriff auf durch Aggregation anonymisierte Daten erfolgt über Datenbankverbindungen zwischen den teilnehmenden Zentren. Dadurch wird eine gemeinsame Projektplanung möglich, ohne dass datenschutzrelevante Details zu individuellen Patienten weitergegeben werden [6].

BBMRI wird in Form einer dezentralisierten Struktur aufgebaut, in der die einzelnen Biobanken und Ressourcenzentren mit den Koordinationszentren verbunden sind, vergleichbar der Anordnung von Speichen um eine Radnabe („distributed hub and spoke structure“; Abb. 2). Die einzelnen „Hubs“ sollen Aktivitäten betreffend Sammlung, Management, Verteilung und Analyse von Proben und Daten für größere Gebiete koordinieren und harmonisieren und zur Implementierung einheitlicher Standards führen. Die biologischen Proben und dazugehörige Informationen bleiben dabei vor Ort bei den Biobanken und biomolekularen Ressource- und Technologiezentren, die Mitglieder von BBMRI sind („Spokes“). Nationale Infrastrukturmitglieder koordinieren wiederum die Zusammenarbeit mit verschiedensten öffentlichen und privaten Partnern (z. B. Krankenhäusern, Universitäten oder Firmen), die biologische Proben, Daten, Technologien und andere Serviceleistungen anbieten. Zudem befassen sie sich mit spezifischen Problemen der einzelnen EU-Mitgliedsländer, wie etwa Gesetzgebung und nationale Finanzierungsprogramme.

Abb. 2
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Funktionelle Organisationsstruktur von BBMRI: verteilte „Hub-and-spoke-Struktur“

Dieser komplexe Aufbau aus Mitgliedern und assoziierten Partnern wird durch flexible Bioinformatikstrukturen in eine gemeinsame virtuelle Forschungsplattform zusammengeführt, die Zugang und Austausch von Daten und Proben innerhalb Europas erleichtert. Die Organisation von BBMRI als „Distributed-hub-and-spoke-Struktur“ bietet ein hohes Maß an Flexibilität, um jederzeit neue Mitglieder aufnehmen zu können und eine rasche Adaptierung an neu aufkommende Bedürfnisse der biomedizinischen Forschung zu ermöglichen.

Die Vorbereitungsphase von BBMRI, angelegt auf 27 Monate, begann im Februar 2008 und wird mit 5 Mio. EUR unter FP7 („Seventh Framework Programme for Research and Technological Development“) von der EU finanziert. Als erste wichtige Maßnahme werden bereits bestehende Ressourcen, auf die BBMRI aufbauen soll, evaluiert und der Bedarf an Komplettierung festgestellt. Die Errichtung eines breit zugänglichen Netzwerks wird durch Integration bereits existierender und neuer Biobanken erfolgen, zudem wird eine koordinierte Entwicklung von Ressourcen und neuen Technologien angestrebt. Weiterhin sind der Aufbau entsprechender Bioinformatik- und Logistikstrukturen sowie automatisierter Lagerungssysteme und die Erstellung eines gesicherten Langzeitfinanzierungsplans vorgesehen. Alle Maßnahmen erfolgen unter Beachtung der sehr unterschiedlichen gesetzlichen, ethischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der einzelnen EU-Staaten. Aktuelle Informationen darüber werden über eigene webbasierte Plattformen ausgetauscht und Leitlinien erstellt [2, 4].

Der Aufbau der BBMRI erfolgt auf Basis der von der OECD erstellten Richtlinie „Best Practice Guidelines for Biological Resource Centres“, die die Förderung und Abstimmung internationaler Kooperationen von Biobanken, die Definition gemeinsamer Mindeststandards für Proben und Datenqualität sowie Sicherung hoher Standards für Biosicherheit und Rückverfolgbarkeit von Ursprung und Verwendung der Proben umfasst [14].

Derzeit nehmen an dieser größten paneuropäischen Forschungsinfrastrukturinitiative bereits 50 Institutionen und mehr als 182 assoziierte Organisationen in 27 Ländern teil. BBMRI wird sich mit laufenden europaweiten und internationalen Initiativen und Programmen abstimmen, wie z. B. jene des „Public Population Projects in Genomics“ (P3G), der „Innovative Medicines Initiative“ (IMI), der „International Society for Biological and Environmental Repositories“ (ISBER), der OECD und der „International Agency for Research on Cancer“ (IARC/WHO), sowie mit Forschungsprojekten, die unter FP5/FP6 und jetzt FP7 finanziert werden. Durch enge Zusammenarbeit und Austausch von Erfahrungen und Konzepten sollen Doppelgleisigkeiten vermieden werden. 2010 soll die Planungsphase abgeschlossen sein und bereits ein Prototyp der Infrastruktur, der Europas am weitesten fortgeschrittene Biobanken umfassen wird, seinen Betrieb aufnehmen.

Diskussion und Schlussfolgerungen

Viele wichtige Fragestellungen der medizinischen Forschung, die im Rahmen einzelner Initiativen nicht beantwortet werden können, werden von BBMRI profitieren bzw. durch BBMRI erst realisierbar. Es ergeben sich zahlreiche neue Möglichkeiten auch für die Pathologie, der eine zentrale Rolle in dieser Infrastruktur, insbesondere beim Aufbau und der Verwaltung von Gewebebanken, zukommt. Eine besondere Herausforderung ist die Standardisierung der Gewebeasservierung für Biobanken, da Einflüsse von Medikamenten, Operationsverfahren und Erfordernisse der pathologischen Diagnostik durch die individuellen Bedürfnisse der Patienten bestimmt sind und daher eine Standardisierung nach dem Prinzip „one size fits all“ nicht umsetzbar ist. Vielmehr sind systematische Studien erforderlich, um zu evaluieren, wie sich die verschiedensten Parameter (z. B. perioperative Medikation, Ischämiezeiten, mechanische Alterationen bei der Probengewinnung, Konservierungsverfahren, Lagerung usw.) auf die Probenqualität auswirken [18, 20]. Anhand derartiger evidenzbasierter Daten kann zukünftig entschieden werden, welche konkrete Probenqualität für welche Fragestellung und Analysetechnologie benötigt wird.

Durch eine gemeinsame gesamteuropäische Forschungsinfrastruktur ergeben sich zahlreiche Vorteile, wie Kostenreduktion als Folge der Nutzung von Synergieeffekten (z. B. gemeinsame Bioinformatikinfrastruktur) und raschere Erreichung von Forschungszielen durch multinationale Zusammenarbeit und Verfügbarkeit etablierter Prozesse. Ein weiterer Aspekt ist, dass die in den EU-Staaten unterschiedlichen ethischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nur durch eine gemeinsame Vorgehensweise auf gesamteuropäischer Ebene zukünftig harmonisiert werden können.

Es ist zu erwarten, dass durch die Forschung an biologischen Proben und die Neustrukturierung von deren Verfügbarkeit wichtige positive Impulse für den gesamten „Public-Health-Bereich“, von der Medikamentenentwicklung bis hin zu neuen Konzepten in der Krankheitsprävention, gesetzt werden. Die Dynamik in der biomedizinischen Forschung wird weiter zunehmen, wodurch sich die Herausforderung bei der Konzeption der Forschungsinfrastruktur ergibt, den Ansprüchen der wissenschaftlichen Fragestellungen und der neuen Technologien der nächsten 10–20 Jahre zu entsprechen.