Am 23. September 1901 demonstrierte der Dresdner Gastroenterologe und Chirurg Georg Kelling (Abb. 1) auf der 73. Versammlung der deutschen Naturforscher und Ärzte in Hamburg die erste Laparoskopie, die er damals „Coelioskopie“ nannte [5, 6]. Er untersuchte die Bauchhöhle eines Hundes, die er vorher mittels eines von ihm selbst konzipierten Apparates (Abb. 2) mit gefilterter Luft aufgebläht hatte, mit einem Nitze-Zystoskop (Abb. 3).

Abb. 1
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Georg Kelling (1866–1945)

Abb. 2
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Kelling-Apparat zur Luftinsufflation

Abb. 3
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Nitze-Zystoskop 1876

Er erläuterte das Prinzip der „Coelioskopie“ wie folgt [4]: Die Methode beruht darauf, dass die vordere Magenwand außerordentlich nachgiebig ist. Nach Ablassen der Luft aus Magen und Darm und Füllen der Bauchhöhle durch mit Watte gefilterte Luft erhält man einen großen Kuppelraum. Das Einblasen erfolgt durch den Fiedler-Trokar (Abb. 4), der nach Entfernung des Trokarmandrins stumpf in die Bauchhöhle ohne Verletzung der inneren Organe eingebracht werden kann. Dieses Instrument wurde von Alfred Fiedler (Abb. 5) entwickelt, einem Dresdner Internisten und Leibarzt des sächsischen Königshauses. Es diente ursprünglich zur Palpation der inneren Organe. Kelling erkannte jedoch weitere Anwendungsmöglichkeiten und nutzte sie für seine ersten laparoskopischen Eingriffe [4].

Abb. 4
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Fiedler-Trokar mit Mandrin

Abb. 5
figure 5

Alfred Fiedler (1835–1921)

Die Besichtigung des Abdomens erfolgt durch Einbringen eines 2. Trokars, durch welchen man ein feines Nitze-Zystoskop einführt.

Georg Kelling schloss seinen damaligen Vortrag mit den Worten: „Ich schließe meine Herren mit dem Wunsche, dass die endoskopischen Methoden für den Verdauungstrakt mehr Anwendung finden mögen, als bisher geschehen ist, denn sie sind tatsächlich berufen, die Laparotomie in vielen Fällen zu ersetzen zu können.“

Diesen Eingriff kann man als die Geburtsstunde der Laparoskopie bezeichnen.

Georg Kelling wurde am 07.07.1866 in Dresden-Friedrichstadt als ältestes von 7 Kindern des Dresdner Zivil-Ingenieurs Emil Kelling und seiner Frau Margarethe geb. Eckhardt geboren. Er verbrachte seine Kindheit in Dresden und studierte in Leipzig und an der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin. 1890 promovierte er zum Doktor der Medizin beim Leipziger Internisten Prof. Dr. Friedrich Albin Hoffmann (1843–1924) über das Thema „Über die Ermittlung der Magengröße“ [7].

Kelling befasste sich bereits im Rahmen seiner Dissertation mit der Anatomie und Physiologie des Magen-Darm-Traktes [3]. Aufgrund dieser Erfahrungen und seinen wissenschaftlichen Forschungen entwickelte er als erster die von ihm als „Coelioskopie“ bezeichnete Methode. Durch Hospitationen bei den führenden Gastroenterologen und Physiologen seiner Zeit wie u. a. Prof. Dr. Ismar Boas in Berlin-Friedrichstrasse und Prof. Dr. Emil Du Bois-Reymond am Physiologischen Institut der Charité in Berlin entwickelte er sich zu einem Spezialisten für Gastroenterologie.

1896 ließ sich Georg Kelling als praktizierender Arzt in Dresden nieder. Seine Praxis befand sich in der Christianstraße 30, wo er mit seiner Frau Hedwig Händel (1869–1940), die er an seinem 26. Geburtstag in Dresden heiratete, lebte. Aus der Ehe gingen 2 Kinder, Rudolph und Ilse, hervor.

Parallel zu seiner Tätigkeit als praktizierender Arzt befasste er sich am Stadtkrankenhaus Dresden-Friedrichstadt und der Königlich-Tierärztlichen Hochschule zu Dresden mit endoskopischen Fragestellungen.

Seine endoskopischen und chirurgischen Fähigkeiten vervollkommnete er bei Prof. Mikulicz-Radecki an der Königlich Chirugischen Klinik in Breslau. Hier schrieb er auch den 2. Teil seiner Arbeit „Endoskopie für Speiseröhre und Magen“ [7]. Im Rahmen dieses Aufenthalts hatte er, wie er schrieb, die Gelegenheit in die Ösophagogastroskopie sowie in die Magen-Darm-Chirurgie durch die Hand des Meisters eingeführt zu werden. Zum Privatdozenten ernannt wurde er an der Königlichen Tierärztlichen Hochschule zu Dresden, wo er auch lehrte, bis diese 1923 nach Leipzig verlegt wurde [7].

Vielen ist er als Erstbeschreiber der Methode nicht bekannt. Dies liegt auch im Lebensweg Kellings begründet: Zusammen mit seiner 2. Frau Johanna kam er am 14. Februar 1945 bei einem der schweren Luftangriffe auf Dresden ums Leben. Der Nachwelt blieb nur wenig von seinem Lebenswerk erhalten. Mit ihm sind auch seine gesamten persönlichen Unterlagen und Forschungsergebnisse verlorengegangen [6, 7]. Der Umstand, dass bisher nur ein einziges Portraitphoto von ihm bekannt ist, mag dies unterstreichen.

Am 04. Oktober 1910 erschien in der Münchener Medizinischen Wochenschrift von dem Schwedischen Internisten Hans Christian Jacobaeus (1879–1937) aus Stockholm der Aufsatz „Über die Möglichkeit die Zystoskopie bei Untersuchung seröser Höhlungen anzuwenden“ [1]. Er postulierte in seiner Arbeit 3 Hauptkriterien für die Durchführung einer erfolgreichen Spiegelung: das möglichst verletzungsfreie Einführen des Trokars oder einer Punktionsnadel, ein durchsichtiges Medium in der entsprechenden Körperhöhle und ein dünnes Zystoskop.

Er beschrieb seine Erfahrung mit 17 Zystoskopien an Patienten mit Aszites. In der gleichen Zeitschrift nahm Kelling zu der Veröffentlichung von Jacobaeus Stellung. Er schrieb :“Ich freue mich sehr, dass Herr Jacobaeus die Frage der Besichtigung seröser Höhlen wieder aufgenommen hat mit so gutem Erfolg Begreiflicherweise möchte ich aber nicht die mir zukommende Priorität beeinträchtigt wissen“.

Sein Leben lang wurde Kelling die Erstbeschreibung der Methode strittig gemacht mit der Begründung, er hätte das Verfahren lediglich am Hund durchgeführt und es später nur auf 2 Untersuchungen in 9 Jahren am Patienten beschränkt, insofern muss er doch selbst die Methode für nicht so wertvoll eingeschätzt haben wie sie sich tatsächlich zu einem späteren Zeitpunkt erwiesen hat [2].

Gerade vor dem Hintergrund der gewaltigen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte auf dem Gebiet der Laparoskopie erscheinen die Ideen von Georg Kelling visionär. Der Einsatz von Trokar, Gas und Licht wurde von ihm vor über 100 Jahren beschrieben und ist immer noch gültig. Seine Begründungen zum Einsatz der Laparoskopie mit vermindertem Zugangstrauma, schneller Rekonvaleszenz und Senkung der Behandlungskosten sind heutzutage aktueller denn je.

Seine endoskopische Pionierleistung ist bisher nicht angemessen gewürdigt worden. Die heutige Laparoskopie hat die Visionen Kellings, seine wissenschaftliche Arbeit und seine Forderungen in nahezu allen Punkten bestätigt. Daher verdient sein Name einen festen Platz in der Geschichte der Endoskopie.