Regenerative Therapien gewinnen in nahezu allen Fachgebieten der Medizin zunehmend an Bedeutung. Der Teilbereich „tissue engineering“ hat die Bereitstellung kompatibler und funktioneller Zellen und Gewebe zur Rekonstruktion und zum vollständigen Ersatz erkrankter oder funktionsunfähiger Organe zum Ziel. „Tissue engineering“ ist eine etablierte, allerdings noch in weiten Bereichen experimentelle Forschungsrichtung mit dem Potenzial, die chirurgisch-rekonstruktiven Möglichkeiten der Urologie zu erweitern. Diese bestehen aktuell in der direkten Verwendung von körpereigenem Ersatzgewebe wie beispielsweise Magen- oder Darmschleimhautanteilen, Mundschleimhaut und freien bzw. gestielten Hauttransplantaten. Nachteilig hierbei sind jedoch das Auftreten einer Vielzahl von Nebenwirkungen wie metabolische Störungen, Schleimbildung und Urolithiasis sowie das Risiko einer Malignomentstehung und die begrenzte Verfügbarkeit der erforderlichen Gewebe [1, 2]. Im Vergleich hierzu bietet autologes Gewebe, mit den Methoden des „tissue engineering“ expandiert und modifiziert, den großen Vorteil der physiologischen und immunologischen Kompatibilität.

Feinstruktur des Urothels

Das Urothel, das Übergangsepithel der ableitenden Harnwege, weist eine Zonierung in basale, intermediäre und superfizielle Zellen auf (Abb. 1). Basale Zellen stehen in direktem Kontakt mit der Basalmembran. Die daran anschließende Zone der intermediären Zellen weist je nach Kontraktionszustand des Gewebes eine variable Anzahl von Zelllagen auf. Den luminalen Abschluss des humanen Urothels bilden die superfiziellen Zellen. Diese großen, häufig mehrkernigen, terminal differenzierten Schirmzellen (umbrella cells) weisen morphologisch und ultrastrukturell einzigartige Zeichen terminaler Differenzierung auf, die für die Barrierefunktion des Urothels wesentlich sind. Hierzu gehören die parallele Orientierung der Zellen zur Basalmembran, gut entwickelte Verschlusskontakte (tight junctions), dicke Plaques der „asymmetric unit membrane“ in der apikalen Zellmembran und die Ausbildung fusiformer Vesikel [3].

Abb. 1
figure 1

Im Paraffinschnitt: Urothel aus Harnleiter, Färbung nach Papanicolaou (Vergr. 1:40). Das Epithel erscheint 3-lagig, mit großen superfiziellen Zellen über den intermediären und basalen Zelllagen; darunter liegend: zelluläres Stroma

Urothelzellkultur und „tissue engineering“

Die zellbiologischen Erkenntnisse bezüglich des Urotheliums führten zur routinemäßigen Primärkultur humaner urothelialer Zellen aus Biopsiematerial und Blasenspülflüssigkeit [4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11]. Direkt nach Isolierung oder nach erfolgreich etablierter Primärkultur der Zellen bietet sich die Möglichkeit der direkten Applikation in einen Empfängerorganismus. Hierzu werden die isolierten Zellen enzymatisch vereinzelt und in geeigneten Trägermedien, z. B. Zellkulturmedium oder Fibrinkleber, suspendiert [12, 13].

Mit dem langfristigen Ziel der Konstruktion kompletter Ersatzgewebe im Labor werden azelluläre Trägermaterialien (matrices oder scaffolds) mit in vitro expandierten, enzymatisch vereinzelten urothelialen Zellen besiedelt. Bei diesen Trägerstrukturen handelt es sich um natürliche oder synthetische, biodegradierbare Materialien. Gute Ergebnisse in vitro und im Tiermodell zeigten die synthetischen, biodegradierbaren Polymere Polyglycolsäure (PGA), Polylactidcopolyglycolid (PLGA), Polylactid (PLA) und natürliche, biodegradierbare Kollagenmatrices wie z. B. deepithelialisierte Blasensubmukosa oder porcine SIS (small intestine submucosa) [14].

Vorteil der azellulären Matrices ist die gute immunologische Verträglichkeit, von Nachteil sind die im Tiermodell teilweise auftretenden Fibrose- und Entzündungsprozesse [2, 15]. Als weitere Komplikation kann es bei einem zu langsamen Aufbau des Neoepithels zur Schrumpfung der Konstrukte kommen. Hierdurch ist deren einwandfreie Funktion nicht mehr gewährleistet [16]. Klinisch dokumentierte Ergebnisse aus Studien mit humanen Urothelzell-Matrix-Implantaten liegen bislang nicht vor.

In-vitro-Stratifizierung von Urothelzellen

Einfluss von Kalcium

Eine viel versprechende Alternative zur Verwendung urothelialer Zellen in Einzelzellsuspensionen ist der methodische Ansatz, Zellen nach erfolgreicher Primärkultur in vitro zu stratifizieren und dadurch flächige, mehrlagige Urothelstrukturen zu gewinnen. Dies ist beispielsweise durch die Veränderung des Kalziumgehalts im Kulturmedium möglich. Nach Ablösen der mehrlagigen Strukturen von den Kulturgefäßen können diese auf geeignete Matrices übertragen werden.

Der Einfluss der Kalziumkonzentration im Zellkulturmedium auf die epitheliale Stratifizierung wurde erstmals an Kulturen epidermaler Keratinozyten gezeigt [17]. Niedrige Kalziumgehalte (0,05–0,1 mM) in Kulturmedien resultierten in einschichtigen Zellkulturen mit hoher Proliferationsrate ohne Anzeichen einer Stratifizierung. Ultrastrukturell sind Zellen solcher Monolayer u. a. durch das Auftreten großer Interzellularräume und das Fehlen von speziellen zellulären Haftkontakten (Desmosomen) gekennzeichnet. Eine Erhöhung des Kalziumgehalts auf 1,2 mM hatte die rasche Ausbildung von Desmosomen zur Folge und nach 10–15 h ein Absinken der DNA-Syntheserate. Als Ergebnis zeigte sich eine Stratifizierung mit terminaler Differenzierung [17]. Auch bei der Kultivierung urothelialer Zellen bewirkte die Erhöhung des Kalziumgehalts eine Induktion der Stratifizierung (Abb. 2) mit denselben morphologischen, ultrastrukturellen und auch physiologischen Veränderungen [8, 9].

Abb. 2
figure 2

Urothelzellen in serumfreiem Keratinozytenmedium mit niedrigem Kalziumgehalt bilden in kurzer Zeit Monolayer aus, die die typische Morphologie epithelialer Zellen zeigen (a). Wird der Kalziumgehalt im Kulturmedium erhöht, kommt es zu morphologischen Veränderungen der Zellen (b). Nach wenigen Tagen zeigt sich die Stratifizierung der Zellen (c). Dies ist mikroskopisch auch in der nativen Zellkultur deutlich sichtbar (Vergr. 1:10)

Immunhistologisch wurde jedoch in kalziumstratifizierten Konstrukten die luminale „asymmetric unit membrane“ als Zeichen terminaler Differenzierung der superfiziellen Zellen nicht nachgewiesen. Der Nachweis von Zytokeratin 20 (CK20), dem Zytokeratin der superfiziellen Zellen, war negativ [8, 9]. Hingegen zeigten eigene immunzytochemische Untersuchungen an nativen mehrlagigen Zellkulturen eine deutliche Expression dieses Zytokeratinmoleküls (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Immunzytochemische Untersuchung von in vitro stratifiziertem Urothel. Die Zellen wurden zehn Tage nach Induktion der Stratifizierung fixiert, mit monoklonalem Antikörper gegen CK20 markiert und mit DAB detektiert. CK20-positive Zellen zeigen einen braunen Farbniederschlag (Vergr. 1:10)

Einfluss von FGF-7

Die Bedeutung stromal gebildeter Faktoren auf die Stratifizierung und Differenzierung in situ ist in ihrer Komplexität nicht vollständig geklärt [18]. Der Einfluss des Wachstumsfaktors FGF-7 (fibroblast growth factor, syn. keratinocyte growth factor) auf die Ausbildung eines mehrlagigen Urothels wurde von Tash et al. 2001 im Mausmodell gezeigt [19]. FGF-7-Knock-out-Mäuse (FGF-7 −/−) bildeten Urothelien mit deutlich weniger Zelllagen aus als Kontrolltiere des Wildtyps. Ohne den Einfluss von FGF-7 wurden die intermediären Zelllagen in vivo nicht gebildet. In vitro konnte durch Zugabe von FGF-7 zu primären murinen Urothelkulturen die Bildung eines stellenweise mehrlagig stratifizierten Urothels induziert werden. Auch in primären Urothelkulturen von Hunden wurde durch Zusatz von FGF-7 zum Zellkulturmedium eine Stratifizierung erreicht [20].

Kokultivierungskonstrukte

Im Gegensatz zur Induktion der Stratifizierung durch Zugabe einzelner Faktoren werden auch Konstrukte angestrebt, die eine schichtweise Kombination aus den die Blasenwand aufbauenden Zelltypen darstellt. Hierzu wurden von Fossum et al. 2004 humane Urothelzellen, glatte Muskelzellen und Fibroblasten kokultiviert [21]. Die Aussaat erfolgte in mehreren Lagen als Sandwichmodell. Das entstandene mechanisch stabile Gewebekonstrukt wies eine Verbindung der verschiedenen Gewebe ohne eine Durchmischung der beteiligten Zelltypen auf.

Vitalität und Funktionalität der Urothelkonstrukte

Die Bereitstellung mehrlagiger Urothelien erfordert nach erfolgreich etablierter Primärkultur und Induktion der Stratifizierung in vitro die Ablösung der entstandenen Urothelhäutchen von den Kulturgefäßen. Diese Ablösung kann enzymatisch erfolgen [8, 9, 21] oder durch die Verwendung temperatur-sensitiver Kulturgefäße [15].

Die Frage nach der Vitalität der abgelösten Urothelhäutchen wurde in eigenen Untersuchungen über die Anlage von Explantkulturen beantwortet. Hierzu wurden kleine Stücke dieser abgelösten Häutchen am Boden von Zellkulturgefäßen adhäriert und vorsichtig mit Kulturmedium überschichtet. Nach wenigen Tagen wuchsen aus diesen Explantstücken wieder Zellen aus. Die abgelösten Urothelkonstrukte weisen eine gewisse mechanische Stabilität auf, bedürfen aber vorsichtiger Handhabung (Abb. 4, 5).

Abb. 4
figure 4

Explantkultur zum Nachweis der Vitalität eines enzymatisch abgelösten Urothelhäutchens. Aus dem Teilstück eines Häutchens auswachsende Urothelzellen am Tag neun nach Anlage der Explantkultur (Vergr. 1:16)

Abb. 5
figure 5

Makroskopische Ansicht eines enzymatisch abgelösten Urothelhäutchens. Die Induktion der Stratifizierung erfolgte durch Zugabe von 2 mM CaCl2 zum Zellkulturmedium einer konfluenten Urothelzellkultur. Die enzymatische Ablösung des Konstrukts erfolgte nach 16 Tagen

Die herausragende funktionelle Eigenschaft des Urothels, die Aufrechterhaltung einer Permeabilitätsbarriere zwischen Urin und Blut, wurde in physiologischen Experimenten an stratifizierten Urothelkonstrukten und an nativem Urothel von Sugasi et al. [9] untersucht. Es wurde gezeigt, dass die Durchlässigkeit für Protonen signifikant niedriger war als im nativen Gewebe. Die Permeabilitätseigenschaften der Konstrukte für Wasser, Harnstoff und Ammoniak unterschieden sich nicht vom nativen Gewebe.

Erprobung in Tiermodellen

Die mit den Methoden des „tissue engineering“ hergestellten Urothelkonstrukte und natives Urothel sind in ihren morphologischen und physiologischen Eigenschaften vergleichbar. Daher bietet sich die Erprobung im Tiermodell und auch die klinische Anwendung der Konstrukte an. Im Minipig-Tiermodell wurde an Urothelkulturen durch Erhöhung des Kalziumgehalts im Medium stratifiziertes Urothel gewonnen und mit Hilfe eines Polyglactin-Carriers auf autologe deepithelialisierte Kolon- oder Uterussegmente übertragen und zur Blasenaugmentation verwendet. Hierbei zeigten sich bei Verwendung der Trägermatrix aus Uterussegmenten deutliche Vorteile im Vergleich zu Kolonsegmenten: Makroskopisch war bei der Verwendung von Uterussegmenten nach Entnahme der Harnblase keine Schrumpfung des Gewebes festzustellen, sowohl in den nativen als auch in den augmentierten Blasenanteilen. Histologisch war ein stratifiziertes Urothelium nachweisbar. Dieses war allerdings lückenhaft ausgebildet. Bei der Verwendung von Kolonsegmenten trat eine signifikante Schrumpfung des Harnblasengewebes bei unzureichend ausgebildetem Urothelium auf [22].

In einem anderen Tiermodell wurden bei Beagle-Hunden Anteile der Mukosa des Magens entfernt und durch in vitro stratifiziertes Urothel ersetzt. Die Kultivierung der Urothelien erfolgte hier in temperatursensitiven Kulturgefäßen, bei denen eine Absenkung der Temperatur die Ablösung der Zellen zur Folge hatte. Auch hier wurde histologisch ein stratifiziertes Urothelium in vivo nachgewiesen [20]. Die Ergebnisse aus den beiden genannten Tiermodellen zeigen vielversprechend die Verbindung von geeigneten autologen, azellulären Matrices mit den in vitro kultivierten und stratifizierten Urothelkonstrukten zur Blasenaugmentation.

Ausblick

Die aktuell wichtigen Strategien zur Entwicklung von Ersatzgeweben im Bereich der rekonstruktiven Urologie sind einerseits die Bereitstellung reiner, mehrlagiger Urothelkonstrukte und andererseits die Verbindung verschiedener Zelltypen des unteren Harntraktes zu Gewebekonstrukten.

Reine Urothelkonstrukte wurden bereits im Tiermodell in Kombination mit autologen azellulären Matrices erprobt. Die bisherigen Ergebnisse zu optimieren, d. h. die vollständige Funktionalität eines in vitro stratifizierten Urothels in vivo zu erreichen, muss das Ziel weiterer Experimente sein. Hierbei ist das Augenmerk auch auf die qualitative Verbesserung der Urothelkonstrukte hinsichtlich einer terminalen Differenzierung der luminalen Zellen zu richten. Weiterhin muss die physiologische Funktionalität der aus der Kokultivierung verschiedener Zelltypen entstandenen Konstrukte in Tiermodellen geprüft werden.

Hinsichtlich der Verfügbarkeit des erforderlichen Zellmaterials sollte die Isolierung von Urothelzellen aus Blasenspülflüssigkeit als weniger invasive Methode im Gegensatz zur Zellisolierung aus Biopsiematerial im Sinne der Patienten nicht unterschätzt werden. Doch gilt grundsätzlich: Die Voraussetzung für jedes funktionale Urothelkonstrukt ist eine qualitativ optimale Primärkultur, ob aus Biopsiematerial oder aus Blasenspülflüssigkeit etabliert. Alle Versuche aus Zellkulturen mit suboptimaler Morphologie und unzureichendem Proliferationsverhalten eine Stratifizierung zu induzieren sind zum Scheitern verurteilt. Deshalb bleiben auch weiterhin Optimierungen in der Zellkulturtechnik wichtige Aufgaben und Herausforderungen.