Zusammenfassung
„Motivational interviewing“ (MI; motivierende Gesprächsführung) hat sich als Ansatz für einen kooperativen Gesprächsstil zur Förderung intrinsischer Veränderungsmotivation durch Erkundung und Auflösen von Ambivalenzen etabliert. Die Veränderung von Suchtverhalten wird nicht mehr durch Ausüben von Druck oder belehrenden/bekehrenden Überzeugungs- bzw. Überredungsversuchen angestrebt, sondern durch die Aktivierung vorhandener, aber „verschütteter“ oder neu gewonnener Eigenmotivation zur Veränderung. MI wird inzwischen auch zur Veränderung des Umganges bei anderen gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen und chronischen Erkrankungen, darunter auch bei Störungen des schizophrenen Formenkreises, eingesetzt. Im Vergleich zur Wirksamkeit von MI im Suchtbereich ist die Datenlage bei schizophrenen Patienten noch unzureichend. Nach den vorliegenden Studien kann MI wichtige Aspekte der krankheitsbedingten Beeinträchtigungen, wie Medikamentenadhärenz, Häufigkeit und Schwere psychotischer Rückfälle, Hospitalisierungsdauer, das Funktionsniveau, die Krankheitseinsicht sowie die kognitive Rehabilitation positiv beeinflussen. Die praktische Umsetzung von MI erfordert eine gute Kenntnis der Methode sowie auch Veränderungen von Behandlungsprinzipien und Arbeitsabläufen.
Abstract
Motivational interviewing (MI) has become established nowadays as an approach for a cooperative style of conversation to promote intrinsic motivation for change by exploring and resolving ambivalences. The change of addictive behavior is no longer sought by exerting pressure or lecturing/converting attempts of convincing or persuasion but by activating existing but “buried” or newly acquired self-motivation to change. The MI is now also used to change the treatment of other health-related behavior and chronic diseases, including schizophrenic disorders. Compared to the efficacy of MI in the addiction area, the data situation in schizophrenic patients is still insufficient. According to the available studies, MI can positively influence important aspects of disease-related impairments, such as medication adherence, the frequency and severity of psychotic relapses, the duration of hospitalization, the level of function, insight into the disease and cognitive rehabilitation. The practical implementation of MI requires a good knowledge of the method as well as changes in treatment principles and work processes.
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Hintergrund
Das Gespräch zwischen Arzt und Patient ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg medizinischer Maßnahmen. Kompetenz in der Arzt-Patienten-Kommunikation hilft, ein stabiles Vertrauensverhältnis zum Patienten herzustellen, empathisch und wertschätzend auf diesen einzugehen und langfristig eine heilungsfördernde Einstellung zu stärken. In den psychiatrischen Fächern wurde insbesondere bei schwer behandelbaren Patienten, z. B. mit einer Schizophrenie, die vorherrschende asymmetrische, paternalistisch geprägte Beziehung zunächst eher zögerlich durch ein mehr partnerschaftlich geprägtes Verhältnis ersetzt. Vor allem eine Patientengruppe, die eher wenig motiviert und krankheitseinsichtig ist, gleichzeitig aber eine langfristige und kontinuierliche Therapie benötigt, stellt eine besondere Herausforderung für den Behandler dar. Eine gute Kommunikationsstrategie ist daher besonders wichtig, um den Patienten für langfristige Therapiewege (inkl. einer langfristigen Medikamenteneinnahme) zu motivieren und die oft konkreten Erwartungen an das Behandlungsergebnis von Patienten und Ärzten zu erreichen.
Dabei spielt die Qualität der Arzt-Patienten-Beziehung neben der Lebensqualität für die Behandlungszufriedenheit der Patienten eine zentrale Rolle [1]. Hier wünschen sich viele Patienten neben guter Erreichbarkeit, Vertrauen, Einfühlsamkeit und „Kümmern“ auch eine gute Kommunikation [2]. Die meisten psychiatrischen Patienten wünschen auch Informationen über ihre Erkrankung und die Beteiligung bei medizinischen Entscheidungen. Lange spielte hier jedoch der Patient bei allen Aspekten eine rein passive Rolle. Maßgeblich war das Arzturteil, der Patient konnte seine Ängste und Erwartungen für die Behandlung nicht adäquat äußern. Neue Wege in der Arzt-Patienten-Kommunikation sind eine logische Konsequenz, aber auch Voraussetzung für die sich in den 1990er-Jahren auch in der Psychiatrie anbahnende Veränderung in der Beziehung zwischen Arzt und Patient.
Diese narrative Übersichtsarbeit gibt einen orientierenden Überblick über die zentralen Komponenten von MI, ihre Wirksamkeit insgesamt und bei Patienten mit Schizophrenie sowie Hinweise für die praktische Anwendung.
Neue Wege in der Kommunikation
Kennzeichnend für den Wandel der Arzt-Patienten-Kommunikation war das Konzept des „shared decision making“ [3, 4]. Durch die gemeinsame Therapieentscheidung soll die aktive Rolle des Patienten an der praktischen Umsetzung als Teil einer therapeutischen Allianz unterstrichen werden. Eine partizipative Entscheidungsfindung und die Einbindung des Patienten fördert das Vertrauen, die Therapiemotivation und die Patientenzufriedenheit [5, 6].
Als systematische, didaktisch-psychotherapeutische Intervention kann die Psychoedukation eingesetzt werden, um das Krankheitsverständnis der Patienten und ihrer Angehörigen zu bessern und den selbstverantwortlichen Umgang mit der Erkrankung zu fördern [7]. Dies beinhaltet auch, die Patienten für eine reflektierte Wahrnehmung wiederauftretender Symptome und Medikamentenwirkungen sowie -nebenwirkungen zu sensibilisieren [7]. Hierbei ist ein patientenzentriertes Vorgehen entscheidend, um Sachinformationen mit den eigenen Erfahrungen der Patienten zu verknüpfen [8].
Eine weitere patientenzentrierte Methode ist die kognitive Verhaltenstherapie (KVT). Diese stellt die persönlichen Probleme und Ziele des Patienten in den Mittelpunkt, entwickelt gemeinsame Therapieziele von Arzt und Patient und kann helfen, diese im Laufe der Therapie zu erreichen [8].
Das vor über 30 Jahren entstandene und kontinuierlich weiterentwickelte „motivational interviewing“ (MI; motivierende Gesprächsführung) bezeichnet einen inzwischen international und über eine Vielzahl medizinischer Indikationen in Wissenschaft und Praxis verbreiteten Ansatz der Gesprächsführung. Die weite Verbreitung dokumentiert den Bedarf einer professionellen und einfühlsamen Gesprächsführung, bei der sich Arzt und Patient auf Augenhöhe begegnen. Beim MI werden im partnerschaftlich-personenzentrierten Dialog die Änderungsmotive und Änderungsbereitschaft des Patienten aktiviert. Durch Bearbeitung und Auflösung von Ambivalenzen trägt MI zur Motivation von Patienten bei, dysfunktionales und gesundheitsbeeinträchtigendes Verhalten zu ändern [9, 10]. Nach der Anwendung im Bereich des problematischen Trinkverhaltens wurde MI in der Folge bei z. B. Drogenmissbrauch und pathologischem Spielen sowie zur Veränderung des Umganges mit anderen gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen und chronischen Erkrankungen, darunter auch bei Störungen des schizophrenen Formenkreises, eingesetzt [11,12,13,14,15,16,17].
Die verschiedenen verhaltenstherapeutischen Konzepte können kombiniert eingesetzt werden. So ist die Psychoedukation oft die Basis weiterer kognitiv-verhaltenstherapeutischer Maßnahmen und MI kann ein Teil der KVT sein. Je nach den Bedürfnissen eines jeden Patienten eingesetzt, können verhaltenstherapeutische Maßnahmen helfen, den Patienten für (psychopharmakologische) Therapien zu motivieren und die Adhärenz sowie den Verlauf der Erkrankung positiv zu beeinflussen [18].
„Motivational interviewing“
Im Jahr 1983 veröffentlichte der US-amerikanische Psychologe William R. Miller die erste Publikation zum Konzept des MI als eine patientenzentrierte, direktive Methode der Gesprächsführung zur Förderung intrinsischer Veränderungsmotivation durch Erforschen und Auflösen von Ambivalenzen [19]. Die erste Anleitung zur praktischen Anwendung des MI – hier bei Patienten mit Suchtproblemen – wurde 1991 von Miller zusammen mit dem walisischen Psychologen Stephen Rollnick verfasst [9]. Seither hat MI eine kaum vorhersehbare Verbreitung gefunden, bleibt aber ein „work in progress“. Das aktuelle MI-Manual unterscheidet zwischen drei verschiedene MI-Definitionen zunehmenden Komplexitätsgrades, die sich an unterschiedliche Adressaten richten (Tab. 1; [20]).
Beim MI werden im Rahmen einer spezifischen Verhaltensanalyse dem Patienten zunächst funktionale und dysfunktionale Verhaltensweisen und deren Konsequenzen bewusst gemacht. Der Therapeut achtet darauf, dass alle Argumente vom Patienten kommen und wartet offen, geduldig und neugierig auf dessen Einfälle und Äußerungen. Diese können sich als Änderungssequenzen („change talk“) und Widerstandssequenzen („resistance talk“) äußern. „Change talk“ zeigt, dass der Patient zuversichtlich ist, die Vorteile einer Änderung sieht und ernsthaft plant, sein Verhalten zu ändern. „Resistance talk“ drückt eine pessimistische Haltung aus, er ist nicht veränderungsbereit. Ziel ist es, den Patienten dazu zu bringen, Widersprüche zwischen seinem momentanen Verhalten (z. B. Substanzmissbrauch, Medikationsnonadhärenz) und wichtigen Zielen (z. B. lang und gesund leben) zu entdecken. Er soll die Widersprüche selbst wahrnehmen und stets das Gefühl haben, sich frei für oder gegen ein Verhalten entscheiden zu können. Mit der Zeit wird er die Widersprüche als unangenehm empfinden und von sich aus motiviert sein, Änderungen herbeizuführen, um sein Verhalten seinen Ideen und Zielen anzupassen. Anschließend wird angestrebt, die Selbstverpflichtung des Patienten, die Änderungen auch umzusetzen, zu erhöhen. Außerdem werden konkrete Wege und Ziele erarbeitet, um die Veränderung zu erreichen und zu stabilisieren [21].
Prinzipien von MI
Die neueste Revision der theoretischen Grundlagen des MI umfasste die beiden bisher definierten Prozessphasen des MI – Aufbau von Motivation (Phase 1, „Warum Veränderung“) und Konsolidierung der Selbstverpflichtung (Phase 2, „Wie Veränderung“). Nach Ansicht von Miller und Rollnick berücksichtigte diese Einteilung zu wenig, dass in der Praxis ein Entscheidungsprozess eher zirkulär abläuft als linear. Außerdem schien sie unvollständig zu sein, wenn etwa Therapeuten das MI gar nicht erst anwenden konnten, weil sich die Patienten im Gespräch unbeteiligt zeigen. Für die aktualisierte Prozesseinteilung haben die Autoren daher diese feste Reihenfolge zugunsten von vier sich überlappenden Prozessen aus der Praxis aufgegeben: Beziehungsaufbau, Fokussierung, Evokation und Planung [20]. Mit dieser Vier-Phasen-Einteilung hat die praktische MI-Durchführung einen klareren „roten Faden“ erhalten:
Beim Beziehungsaufbau („engaging“) wird eine tragfähige therapeutische Beziehung etabliert. Sie ist Voraussetzung für alle folgenden Phasen.
Bei der Fokussierung („focussing“) wird eine spezifische Richtung im Gespräch über Veränderung entwickelt und weiterverfolgt. Das Gespräch folgt einem Themenkatalog, der Themen des Patienten und (möglicherweise) des Arztes enthält, die nicht deckungsgleich sein müssen. Zum Beispiel sucht der Patient den Arzt auf und erwartet nach einem psychotischen Rückfall die Wiederherstellung seiner Alltagsfunktion. Er bringt seine Wünsche vor, z. B. keine Sedierung, keine Gewichtszunahme durch die Medikation oder einfach nur schlafen zu wollen. Gibt es Hinweise auf eine mangelnde Therapieadhärenz, wird der Arzt auch darüber nachdenken, wie man den Patienten davon überzeugen kann, die Medikation regelmäßig einzunehmen oder einer Umstellung auf Medikamente mit geringerer Applikationsfrequenz, z. B. Depotantipsychotika, zuzustimmen.
Die Evokation („evolving“) umfasst das Herausarbeiten der Selbstmotivation zur Veränderung beim Patienten. Sie bildet den Kern der MI. Dies bedeutet, den Patienten davon zu überzeugen, die Argumente für eine Veränderung selbst zu formulieren. Diese Phase dauert häufig länger, da viele Patienten Schwierigkeiten haben, Dinge zu planen.
Die Planung („planning“) umfasst sowohl das Entwickeln einer Selbstverpflichtung zur Veränderung als auch das Formulieren eines konkreten Handlungsplans. Hier sollten die eigenen Lösungen des Patienten herausgearbeitet und seine Entscheidungsautonomie gefördert werden. Während der Reifung des Plans wird der Patient weiterhin zum „change talk“ angeregt und darin bestärkt [9].
Diese Prozesse sind sowohl sequenziell als auch rekursiv. Wie auf einer Treppe kann sich das Gespräch bzw. die Therapie über alle Stufen hin- und zurückbewegen. So kann es situativ durchaus notwendig sein, dass z. B. innerhalb der Behandlungsphase einer Fokussierung wieder eine Phase des Beziehungsaufbaus erfolgt (Abb. 1).
Der „Geist“ des MI
Für die Durchführung von MI ist seitens des Therapeuten eine spezifische Grundhaltung – „MI-spirit“ – erforderlich, mit der er dem Gesprächspartner gegenübertritt. Zur Implementation des MI als Basisintervention in therapeutischen Einrichtungen sind neben MI-Schulungen in der Regel auch Veränderungen von Behandlungsparadigmen und Arbeitsabläufen notwendig [10, 15]:
Kooperation: Im Vordergrund steht ein partnerschaftlicher, gleichberechtigter, nichtbevormundender Austausch zwischen Therapeut und Patient auf gleicher Augenhöhe.
Patientenzentrierung: Wachrufen von Motivation, Sichtweisen, Werten und Zielen des Patienten stehen im Mittelpunkt, keine Belehrungen.
Autonomie: Anerkennung, dass der Patient zur Selbstbestimmung berechtigt und fähig ist („Anwalt in eigener Sache“). Veränderungen werden nicht erzwungen oder befohlen.
Wirksamkeit von MI bei Suchtpatienten
Für den Suchtbereich stellte MI einen Paradigmenwechsel dar. „Randomized controlled trials“ (RCTs) und Multicenterstudien haben die Wirksamkeit von MI vor allem bei Alkohol- bzw. Suchtmittelkonsum, auch speziell bei Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen, gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen sowie Zigarettenkonsum untersucht [15]. Insgesamt bewirkt MI größere Veränderungen als der Verzicht auf eine Intervention oder eine Intervention ohne spezifischen Ansatz. Metaanalysen fanden eine Verbesserung um 10–20 % hinsichtlich verschiedenster Parameter wie beispielsweise Substanzgebrauch oder riskantes Verhalten. Außerdem stärkt MI das Therapieengagement der Patienten [22]. MI ist mindestens so effektiv wie „starke“ andere Interventionen, etwa die KVT, erfordert aber einen geringeren Zeiteinsatz [15].
MI bei schizophrenen Patienten
Ambivalenz ist ein Merkmal zahlreicher psychischer Erkrankungen. Schizophrene Patienten fühlen sich häufig zwischen ihren unterschiedlichen Affekten und Impulsen hin- und hergerissen. Die gleichzeitige Existenz konträrer Gefühle und Gedanken beschreibt Bleuler als ein auslösendes Moment einer Schizophrenie: Das Wollen und das Wollen-Können sind erkrankt. Aufgaben werden nicht erfüllt, weil man ihnen affektiv gleichgültig gegenübersteht, die früher vorhandene Motivation daniederliegt, Zielvorstellungen nicht mehr ins Auge gefasst oder nicht mehr realisiert werden können. Bei der psychotischen Ambivalenz stehen die gegensätzlichen Gefühle und Strebungen weitgehend beziehungslos nebeneinander [23].
Wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit von MI bei Schizophrenie
Nach den Leitlinien verschiedener Fachgesellschaften [24,25,26,27,28] sollten psychosoziale Interventionen zusammen mit Familieninterventionen, anderen Rehamaßnahmen und einer antipsychotischen Pharmakotherapie durchgeführt werden. Sinnvoll ist dabei die Kombination von Elementen der KVT mit einem stufenweisen motivationellen Therapieansatz. Die deutliche Heterogenität der MI-Studien bei schizophrenen Patienten mit Doppeldiagnose, vergleichsweise geringe Patientenzahlen älterer Studien, unterschiedliche Follow-up-Dauer sowie unterschiedliche Formen komorbiden Drogenkonsums – beeinträchtigen jedoch die Evidenz für die Wirksamkeit spezifischer Interventionen bei dieser Patientengruppe [26].
Im Vergleich zur Wirksamkeit von MI im Suchtbereich ist die Datenlage bei Schizophrenie geringer und weniger konsistent. Nach den vorliegenden Studien kann MI wichtige Aspekte der krankheitsbedingten Beeinträchtigungen wie die Medikamentenadhärenz, die Häufigkeit und Schwere psychotischer Exazerbationen, die Hospitalisierungsdauer, das Funktionsniveau, die Krankheitseinsicht sowie die kognitive Rehabilitation positiv beeinflussen.
In einer einfach-blinden kontrollierten Studie wurden 114 Patienten mit Schizophrenie-Spektrum-Störungen mithilfe einer MI-basierten Adhärenztherapie als Add-on zu einer Pharmakotherapie behandelt oder erhielten die übliche Betreuung. Unmittelbar nach der Intervention und 6 Monate danach gemessen führte MI zu einer signifikant besseren Medikationsadhärenz, Reduktion der Symptomschwere in der Positive and Negative Syndrome Scale (PANSS), besserer Krankheitseinsicht, geringeren Hospitalisationsraten und besserem Funktionsstatus (Effektstärke 0,68–0,72; [17]).
In einer randomisierten kontrollierten Proof-of-concept-Studie mit 64 Patienten mit Schizophrenie-Spektrum-Störungen und kognitiven Beeinträchtigungen verbesserte MI (2 Sitzungen) die Adhärenz zur Teilnahme an einem Kognitionstraining und die aufgabenspezifische Motivation im Vergleich zu einer Placeboschulung. Die Autoren erwarten, dass mithilfe zusätzlicher Sitzungen das Ergebnis noch verbessert werden kann [29]. In einer weiteren Proof-of-concept-Studie erhielten 47 Patienten mit einer Schizophrenie oder schizoaffektiven Störung zusätzlich zu ihrer antipsychotischen Medikation eine manualisierte Therapie, die Elemente einer verhaltensaktivierenden Therapie gegen depressive und Angstsymptome sowie Elemente des MI enthielt („motivational and behavioral activation“, MBA-Gruppe) oder eine Regelbehandlung („treatment as usual“, TAU). Im Vergleich zur TAU-Gruppe zeigte die MBA-Gruppe Verbesserungen bei verbalem Lernen und der Gedächtnisfunktion, wobei Unterschiede beim PANSS und der Brief Negative Symptom Scale (BNSS) sowie Partnerschaftsstatus als Kovariate berücksichtigt wurden [30]. Bei MI als Kurzintervention vor der Klinikentlassung stellten sich Patienten mit einer Schizophrenie oder einer Doppeldiagnose signifikant häufiger bei einem Arzt zur ambulanten Weiterbehandlung vor (p < 0,01; [31]).
Eine offene, auswerterverblindete Zwei-Center-Studie mit 327 Patienten mit Schizophrenie-Spektrum-Störungen mit komorbidem Substanzgebrauch verglich den Einsatz von MI in Kombination mit KVT und TAU mit dem reinen Einsatz von TAU. Diese Studie konnte jedoch keine Überlegenheit für MI gegenüber den Vergleichsinterventionen hinsichtlich Rezidive, psychotischer Symptome oder Funktionsniveau finden. Allerdings zeigte sich ein signifikanter Rückgang der Substanzmenge pro Konsumtag in der Interventionsgruppe [32]. Eine weitere pragmatische, randomisierte, kontrollierte Einzelblindstudie derselben Arbeitsgruppe mit 110 Patienten fand keinen Einfluss von MI und KVT auf klinische Parameter oder den Substanzgebrauch im Vergleich zur Kontrollgruppe [33].
Die Ergebnisse einer randomisierten, kontrollierten Studie mit 114 schizophrenen nichtadhärenten Patienten nach Rückfall weisen darauf hin, dass MI bei spezifischen Subgruppen signifikant wirksam sein könnte [16]. Die Teilnehmer erhielten entweder 5 bis 8 Sitzungen MI oder eine reguläre Gesundheitsinformation („health education as usual“; HE). MI zeigte in der Gesamtgruppe im Vergleich zu HE keine signifikanten Unterschiede. Subgruppenanalysen ergaben hingegen eine signifikante Überlegenheit von MI vs. HE bei Rehospitalisierungen weiblicher Patienten (9 % vs. 63 %, p = 0,041), bei Nicht-Cannabis-Konsumenten (20 % vs. 53 %, p = 0,041), jüngeren Patienten (14 % vs. 50 %, p = 0,012) und Patienten mit kürzerer Krankheitsdauer (14 % vs. 42 %, p = 0,040). Dass Jüngere und Patienten mit einer kürzeren Krankheitsdauer von MI profitieren, bestätigen auch Ergebnisse der Studie von Chien et al. [17]. Studien mit langjährig erkrankten Patienten konnten hingegen keine Effekte aufzeigen [34]. Möglicherweise sind bestimmte schizophrene Patientengruppen für einen kombinierten MI-haltigen Therapieansatz aufgrund ihrer spezifischen Lebensbedingungen weniger zugänglich. Eine aktuelle Studie zur Medikamentenadhärenz bei Schizophrenie deutet darauf hin, dass der Erfolg von MI sich durch klar definierte Erfolgsfaktoren erklären lässt: eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung, die Fähigkeit des Therapeuten, die MI-Strategie auf den jeweiligen Prozess zu adaptieren, und ein explizites Gespräch über die Werte oder Ziele des Patienten in Bezug auf die Medikamenteneinhaltung [35].
Die Hauptcharakteristika der verwendeten Studien sind zur besseren Übersicht in Tab. 2 zusammengefasst.
Grenzen des MI
„Motivational interviewing“ sollte nicht bei Patienten angewendet werden, die aufgrund ihres Gesundheitszustandes und ihrer mentalen Fähigkeiten nicht in der Lage sind, komplexe Zusammenhänge kognitiv zu erfassen und zu bewerten. Auch der Einsatz im Gruppensetting hat sich bisher noch nicht bewährt [15, 21].
Ausblick
Der Bedarf an patientengerechten Kommunikationsstrategien bei schizophrenen Patienten ist angesichts hoher Zahlen zur Rückfallhäufigkeit besonders hoch [36]. Die Leitlinien empfehlen bei Rezidiven und partieller oder Nonadhärenz neben psychoedukativen und kognitiv-verhaltenstherapeutischen Maßnahmen auch eine antipsychotische Pharmakotherapie zur Rückfallprophylaxe [26, 27, 37]. Auch im Zeitalter moderner Zweitgenerationsantipsychotika bleibt das Absetzen von Antipsychotika gegen ärztlichen Rat ein zentrales Problem in der Therapie schizophrener Erkrankungen und ist einer der wichtigsten Prädiktoren für einen Rückfall [38]. MI hat in solchen Fällen gute Unterstützungen in der Therapie gezeigt [16].
Neben der klinischen Evidenzlage legen die Entwickler von MI hohen Wert auf die korrekte Anwendung der Methode. Wichtige Fragen – u. a. zu Umfang und Zertifizierung der Ausbildung sowie der Nützlichkeit von Rollenspielen – werden in dem internationalen Motivational Interviewing Network of Trainer (MINT) diskutiert. Die Ergebnisse fließen fortwährend in die Weiterentwicklung von MI ein [20]. Neben dem Standardwerk von Miller und Rollnick steht eine umfangreiche Begleitliteratur zu MI sowie Fortbildungskurse zur Verfügung. Zusammen mit den eigenen Erfahrungen und den Berichten aus dem Kollegenkreis ergibt sich ein breites Spektrum der Anwendung von MI im klinischen Alltag. Eine Metaanalyse kontrollierter klinischer Studien zeigte, dass in praktisch allen Studien der „reine“ Ansatz des MI modifiziert wurde [39]. Die Teilnehmer waren vorwiegend Patienten mit Sucht- (Alkohol, Drogen) oder gesundheitsschädlichem Ernährungsverhalten. Häufig wurde MI mit anderen Behandlungsformen wie der KVT kombiniert. Dieses Muster von Veränderungen, meist zugunsten eines „pragmatischeren“ MI-Designs – „MI-basiert“ – setzt sich auch in Studien mit schizophrenen Patienten fort.
Die Implementierung von MI im Behandlungsalltag bietet Chancen auf einen therapeutischen Mehrgewinn bei einer Gruppe von Patienten, die eine besondere Herausforderung an die Kommunikation stellt. Auch vor dem zeitlichen und budgetären Hintergrund sowie der fachlichen Voraussetzungen sollte MI immer eine Überlegung wert sein [40]. Nach Entaktualisierung der Psychose kann MI auch im vollstationären Setting eine genesungsfördernde Wirkung entfalten. In der Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA) bzw. der Tagesklinik lässt sich dieses – wie auch in allen anderen MI-Settings notwendig – mit einem festen therapeutischen Ansprechpartner jedoch einfacher realisieren. Der Geist und die Techniken des MI lassen sich auch im Praxisalltag gewinnbringend einsetzen, wenn auch nicht alle Interventionen, die in Klinik und PIA angewendet werden, umsetzbar sind. In der ambulanten fachärztlichen Versorgung erfordert MI viel Geduld und Ausdauer, die im Praxisalttag nicht immer gewährleistet werden können. MI muss, um wirksam angewendet werden zu können, mit einem festen Zeitbudget im Behandlungsablauf berücksichtigt werden. Zur interdisziplinären Zusammenarbeit bzw. Einbeziehung von Familienangehörigen kann die Schaffung weiterer Schulungsmöglichkeiten notwendig werden [41].
Die Studien zu MI bei schizophrenen Patienten lassen einige Fragen offen. Daher sind weitere Daten aus randomisierten, kontrollierten Studien sowie aus längerfristigen Katamnesen notwendig [42]. Bei Suchtpatienten gelten z. B. die Förderung von „change talk“ und die verbale Selbstverpflichtung zur Umsetzung dieser Äußerungen („commitment talk“) als wichtige Vorbedingungen einer tatsächlichen Verhaltensänderung [15]. Möglicherweise lassen sich daraus auch „schizophreniegerechte“ Kommunikationsstrategien ableiten. Insbesondere bei Patienten mit Residuum nach Rückfall aufgrund von Medikamentennonadhärenz könnte sich das MI als wertvolle Gesprächsführung mit häufigeren, kurzen Interventionen eignen. So ließen sich möglicherweise die Vor- und Nachteile einer Medikamenteneinnahme sowie deren Konsequenzen und therapiespezifische Alternativen wie z. B. Depotantipsychotika herausarbeiten [37]. Weiterer Abklärung bedürfen die Befunde von Barkhoff et al., nach denen MI vor allem bei jungen Patienten sowie Patienten mit kurzer Erkrankungsdauer wirksam war [16].
Fazit für die Praxis
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Auch wenn die Daten zu MI in Bezug auf seine Wirksamkeit bei Patienten mit Schizophrenie noch keine eindeutige Schlussfolgerung zulassen, zeigen sich doch vielversprechende Ansätze und Möglichkeiten in der Behandlung der Betroffenen.
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Vor allem im Bereich der Medikamentenadhärenz bieten sich neue Wege zur Lösung der Problematik.
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Für die weitere ausführliche Beschäftigung mit der Methodik und der praktischen Umsetzung von MI sollten die einschlägige Fachliteratur sowie Fort- und Weiterbildungsangebote zu Rate gezogen werden.
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Reimer, J., Kuhn, J., Wietfeld, R. et al. „Motivational interviewing“. Nervenarzt 90, 1144–1153 (2019). https://doi.org/10.1007/s00115-019-0702-x
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00115-019-0702-x
Schlüsselwörter
- Motivierende Gesprächsführung
- Schizophrenie
- Arzt-Patienten-Kommunikation
- Kommunikationsstrategie
- Medikamentenadhärenz