Zusammenfassung
Hintergrund
Die Epilepsiegenetik hat in den letzten Jahren Fortschritte gemacht, sodass vor allem bei schwereren Epilepsiesyndromen oft die Ätiologie der Erkrankung geklärt werden kann. Dennoch wird ihr Nutzen teilweise infrage gestellt, da viele der molekulargenetischen Befunde nicht zu einer Therapieanpassung und damit zu einer Verbesserung der Prognose führen. Zusätzlich wird die Interpretation der Untersuchungsergebnisse durch den Anteil von Befunden unklarer Signifikanz erschwert.
Ziel der Arbeit
In der vorliegenden Arbeit werden die Argumente für eine breite genetische Diagnostik bei Kindern mit Epilepsien vorgestellt. Verschiedene genetische Erkrankungen werden skizziert, bei denen eine molekulargenetische Diagnose direkte therapeutische Konsequenzen hat. Der indirekte Nutzen einer Diagnosesicherung, ob durch Vermeidung unnötiger Untersuchungen, Abschätzung des Wiederholungsrisikos oder psychische Entlastung der betreuenden Personen, ist ebenfalls zu nennen.
Schlussfolgerung
Trotz noch weniger relevanter therapeutischer Neuerungen überwiegen die Vorteile einer breiten epilepsiegenetischen Diagnostik
Abstract
Background
Recent advances in the field of epilepsy genetics have led to an increased fraction of patients with epilepsies where the etiology of the disease could be identified. Nevertheless, there is some criticism regarding the use of epilepsy genetics because in many cases the identification of a pathogenetic mutation does not lead to an adaptation of therapy or to an improved prognosis. In addition, the interpretation of genetic results might be complicated due to the considerable numbers of variants of unclear significance.
Objective
This publication presents the arguments in favour of a broad use of genetic investigations for children with epilepsies. Several diseases where a genetic diagnosis does in fact have direct therapeutic consequences are mentioned. In addition, the indirect impact of an established etiology, encompassing the avoidance of unnecessary diagnostic measures, possibility of genetic counselling, and the easing of the psychologic burden for the caregivers, should not be underestimated.
Conclusion
The arguments in favour of broad genetic diagnostics prevail notwithstanding the lack of relevant new developments regarding the therapy.
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Die Fortschritte in der Epilepsiegenetik führen zu einer zunehmenden Zahl als pathogen identifizierter Mutationen. Das therapeutische Arsenal hat im Vergleich hierzu stagniert. Häufig hat die Klärung der Ätiologie daher keine therapeutische Relevanz. Der tatsächliche Wert der Epilepsiegenetik scheint dadurch deutlich eingeschränkt zu sein. Dennoch überwiegt auch heute schon der Nutzen einer breiten genetischen Diagnostik.
Die Medizin erlebt einen Boom in der genetischen Diagnostik. Vierzehn Jahre nach Abschluss des Human Genome Projects sind molekulargenetische Untersuchungen Teil des klinischen Alltags. Dies gilt insbesondere für die Pädiatrie, da sich viele monogenetisch vererbte Erkrankungen in der frühen Kindheit manifestieren. Eine familiäre Häufung von Epilepsiesyndromen wurde schon früh erkannt. Infolgedessen begann früh die Suche nach pathogenen Mutationen. Nachdem zunächst die genetischen Ursachen verschiedener syndromaler Erkrankungen entdeckt wurden, konnte 1995, also vor mehr als zwanzig Jahren, erstmals die Ursache einer idiopathischen Epilepsie (CHRNA4) identifiziert werden [31].
Die Anzahl nachgewiesen pathogener Mutationen nimmt seither kontinuierlich zu. Eine Auswahl relevanter Störungen ist in Tab. 1 dargestellt. Allein für die epileptischen Enzephalopathien sind über 30 molekulargenetische Ursachen bekannt [19]. Eine entsprechend sprunghafte Erweiterung der antiepileptischen Therapiemöglichkeiten hat allerdings nicht stattgefunden, auch die Prognosen haben sich bislang nicht relevant verbessert [3]. Trotzdem können relevante Therapieadaptationen bei einigen genetischen Epilepsien angewendet werden. Gerade bei den monogenetischen metabolischen Erkrankungen kann eine frühzeitige Diagnose das neurologische und entwicklungsneurologische Outcome nachhaltig verbessern. Die vorliegende Arbeit befasst sich daher mit dem Nutzen einer breiten genetischen Diagnostik in der pädiatrischen Epileptologie.
Methoden zur Diagnostik genetischer Epilepsien
Die technologischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte betrafen vor allem die Sequenzierung des Genoms, das heißt das Auslesen der Reihenfolge codierender und nichtcodierender Basenpaare in der Erbsubstanz [20]. Man unterscheidet, je nachdem wie viele Gene ausgelesen werden sollen, zwischen
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der Einzelgensequenzierung,
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der Panel-Sequenzierung einer Gruppe von vorher spezifizierten Genen,
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dem sogenannten klinischen Exom, das alle Gene umfasst, bei denen eine klinische Bedeutung bekannt ist,
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dem vollen Exom, also der Sequenzierung der codierenden Bereiche aller Gene, und
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der Sequenzierung des gesamten Genoms, als umfassendste molekulargenetische Methode.
Je mehr Erbmaterial sequenziert wird, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass Sequenzvarianten einer unbekannten klinischen Relevanz festgestellt werden. Die Trioanalyse, das heißt die Untersuchung sowohl des betroffenen Kindes als auch der – im Normalfall gesunden – Eltern, kann helfen, harmlose Sequenzvarianten und pathogene De-novo-Mutationen zu unterscheiden. Für die Abschätzung, ob ein bislang nicht beschriebener Polymorphismus von klinischer Relevanz ist, existieren heuristische bioinformatische Verfahren. Mittlerweile wurden Leitlinien erarbeitet, die zur Einschätzung der Relevanz von Sequenzvarianten verwendet werden können [25].
Umfangreiche Studien mit mehreren Tausend Patienten haben das Ziel, die Anzahl bekannter Mutationen und als harmlos erkannter Varianten zu erhöhen [8]. Insgesamt ist damit zu rechnen, dass die Ausbeute von Sequenzierungsverfahren noch weiter zunimmt.
Neben der Sequenzierung sollten auch traditionelle genetische Verfahren berücksichtigt werden
Es gibt Veränderungen der Erbsubstanz, die eventuell nicht mit einer Sequenzierung erkannt werden können. Hierzu gehören größere Deletionen, Duplikationen, weitere strukturelle und numerische Chromosomenaberrationen und z. B. pathologische Methylierungen. Daher sollten bei entsprechendem klinischem Verdacht auch die traditionellen genetischen Verfahren berücksichtigt werden. Karyogramme (inklusive der Auszählung von mindestens 50 Metaphasen bei Verdacht auf Ringchromosom-20-Syndrom), zielgerichtete Methylierungsanalysen und Array-CGH-Untersuchungen (CGH: „comparative genomic hybridization“) sind daher im Einzelfall indiziert. Die Bedeutung dieser Untersuchungen zeigt sich darin, dass beispielsweise beim Ringchromosom 20 in der klinischen Praxis eine Latenz von bis zu zehn Jahren zwischen Erkrankungsmanifestation und Diagnosestellung liegt und dass das Angelman-Syndrom in etwa 70 % der Fälle durch die abweichende Methylierung einer intakten DNA-Sequenz verursacht wird.
Bei der Auswahl der diagnostischen Methoden muss auch die Kostenübernahme durch die Krankenkassen in die Überlegungen einfließen: In Deutschland werden derzeit Sequenzierungen von bis zu 25 Kilobasen (je nach Länge etwa 3–10 Gene) von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Die Kostenübernahme aller erweiterten Sequenzierungen, und aller Sequenzierungen bei privat versicherten Patienten, muss einzeln beantragt werden. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Situation angesichts der immer günstiger werdenden Diagnostik verbessern wird.
Indikationsstellung, Untersuchung und Weitergabe der Untersuchungsergebnisse sind gesetzlich streng reguliert. In Deutschland werden die Rahmenbedingungen durch das Gendiagnostikgesetz festgelegt.
Therapie bei genetischen Epilepsiesyndromen
In diesem Abschnitt werden monogenetische Epilepsiesyndrome dargestellt, deren Diagnose zu einer unmittelbaren Konsequenz in der Behandlung der betroffenen Patienten führen kann. Das kann zum einen bedeuten, dass für bestimmte Medikamente Fallserien – und selten auch kontrollierte Studien – vorliegen, die eine Wirksamkeit belegen. Andererseits werden bei einigen genetischen Konstellationen bestimmte Interventionen als kontraindiziert eingestuft (einige Antiepileptika, resektive epilepsiechirurgische Verfahren).
SCN1A – Dravet-Syndrom
Das Dravet-Syndrom ist eine schwere epileptische Enzephalopathie, die im frühen Kindesalter [7] beginnt. Der Kernphänotyp des Syndroms zeigt epileptische Anfälle, kognitive Einschränkungen, Verhaltensauffälligkeiten und eine Ataxie. In einem hohen Prozentsatz wird die Krankheit durch eine Mutation im SCN1A-Gen verursacht, was zu einer Haploinsuffizienz der α‑Untereinheit des spannungsgesteuerten Natriumkanals Nav1.1 führt [1]. Dieser Kanal ist insbesondere am Axonhügel von inhibierenden GABAergen Zwischenneuronen exprimiert (Abb. 1).
Die Kenntnis einer vorliegenden Mutation im SCN1A-Gen hat eine Reihe von konkreten klinischen Implikationen:
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Vermeidung von Natriumkanalblockern wie Phenytoin und Oxcarbazepin, da diese zu einer Anfallshäufung führen können [4].
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Vermeidung epilepsiechirurgischer Verfahren: In der Vergangenheit sind meist in Unkenntnis einer vorliegenden SCN1A-Mutation Patienten mit putativen Auffälligkeiten in der Magnetresonanztomographie (MRT) und fokalen Anfallsmustern in der Elektroenzephalographie (EEG) unter kurativer Absicht einem resektiven epilepsiechirurgischen Eingriff unterzogen worden. Das Outcome hinsichtlich der Anfallsreduktion dieser Patientenpopulation war sehr unbefriedigend. Patienten mit einem Dravet-Syndrom und einer nachgewiesenen SCN1A-Mutation sollten daher keinem resektiven epilepsiechirurgischen Eingriff unterzogen werden. (Fallbeispiel 1 in Abb. 2; [29]). Diese Empfehlung gilt prinzipiell auch für andere Kanalopathien, wohingegen Patienten mit genetischer Störung im mTOR-Signalweg durchaus Kandidaten für einen epilepsiechirurgischen Eingriff sein können [9].
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Anfallsfreiheit kann durch eine antiepileptische Therapie bei Patienten mit Dravet-Syndrom selten erreicht werden. Trotzdem stützen Daten unter anderem den Einsatz von Brom und die Kombinationstherapie mit Valproat, Clobazam und Stiripentol [5, 18].
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Aktuelle Studien zeigen ferner eine Wirksamkeit von Fenfluramin und Cannabinoiden bei Patienten mit Dravet-Syndrom [6, 27].
SCN2A
Mutationen im SCN2A-Gen führen häufig zu frühkindlichen epileptischen Enzephalopathien. In einer kürzlich erschienenen Übersicht der bisher größten Kohorte von Patienten mit einer SCN2A-Mutation konnten folgende behandlungsrelevante Aspekte herausgearbeitet werden [37]:
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Patienten mit einer SCN2A-Mutation und Erkrankungsbeginn in den ersten 3 Lebensmonaten sind oft Träger einer Gain-of-function-Mutation. Diese führt zu einer vermehrten Leitfähigkeit des codierten Nav1.2-Kanals. Klinisch wurde bestätigt, dass bei diesen Patienten Natriumkanalblocker oft die einzigen wirksamen Medikamente sind (Fallbeispiel 2 in Abb. 3).
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Patienten mit einer SCN2A-Mutation und Erkrankungsbeginn nach den ersten 3 Lebensmonaten sind oft Träger einer Loss-of-function-Mutation. Diese führt zu einer Haploinsuffizienz des Nav1.2-Kanals und damit netto für das Neuron zu einer verminderten Leitfähigkeit. Klinisch können diese Patienten unter Natriumkanalblocker eine Anfallshäufung zeigen.
SCN8A
Mutationen im SCN8A-Gen, das ebenfalls für einen Natriumkanal codiert, können ein ähnliches Bild einer epileptischen Enzephalopathie mit Bewegungsstörungen und neuropsychologischen Symptomen bedingen. Auch hier scheint die Therapie mit Natriumkanalblockern anderen Therapieformen gegenüber Vorteile zu haben [13].
GRIN2A
GRIN2A codiert für die funktionell relevante GluN2A-Untereinheit des N‑Methyl-D-Aspartat(NMDA)-Rezeptors. Mutationen werden gehäuft bei Patienten mit Landau-Kleffner-Syndrom, „continuous spike waves during slow wave sleep syndrome“, atypischer benigner Partialepilepsie und Rolando-Epilepsie beobachtet [17]. Wirksamkeitsdaten zeigen neben schwierigen Therapieverläufen unter anderem ein Ansprechen auf Valproat, Sultiam, Clobazam oder Steroide [35]. Bei einem Patienten mit einer Gain-of-function-Mutation konnte die Wirksamkeit des Glutamatrezeptorinhibitors Memantin sowohl klinisch als auch in vitro nachgewiesen werden [22].
PRRT2
PRRT2 codiert für ein Protein der postsynaptischen Membran, das in die Fusion des synaptischen Vesikels mit der postsynaptischen Membran und damit in die Neurotransmitterfreisetzung involviert ist [33]. Mutationen im PRRT2-Gen manifestieren sich klinisch vor allem als benigne familiäre, seltener auch als sporadische Epilepsie des Säuglingsalters oder später als paroxysmale kinesiogene Dyskinesie. Beide klinischen Syndrome sprechen sehr gut auf Carbamazepin an [30].
TSC1 und TSC2 – Tuberöse-Sklerose-Komplex
Mutationen im Tumorsuppressorgen TSC1 oder TSC2 führen zu einer Überaktivierung des mTOR-Signalwegs. Im zentralen Nervensystem (ZNS) bilden sich hierdurch subependymale Knötchen, die bei Wachstum als subependymale Riesenzellastrozytome (SEGA) zu einem lebensbedrohlichen Hydrocephalus occlusus führen können. Daneben treten kortikale Dysplasien auf, die Ursache der bei >80 % der Patienten auftretenden Epilepsien sind.
Säuglinge mit Tuberöse-Sklerose-Komplex (TSC) profitieren signifikant, wenn bereits beim Auftreten epileptiformer Aktivität in der EEG eine Therapie mit Vigabatrin begonnen und nicht das Auftreten epileptischer Anfälle abgewartet wird. Die prophylaktisch behandelten Patienten entwickelten in einer Studie seltener eine Epilepsie als diejenigen, bei denen das Auftreten von Anfällen abgewartet wurde (43 % vs. 71 %), und zeigten eine bessere psychomotorische Entwicklung (durchschnittlicher Intelligenzquotient 92 vs. 69; [15]).
In multizentrischen, randomisierten, placebokontrollierten Studien konnte nachgewiesen werden, dass der mTOR-Inhibitor Everolimus zuverlässig zu einer Verkleinerung der SEGA und zu einer nachhaltigen Reduktion der Anfälle bei TSC-assoziierten therapierefraktären Epilepsien führt (Studien EXIST-1 [11] und EXIST-3 [12]). Daher ist er für diese Indikationen bei Kindern zugelassen. Aus epileptologischer Sicht ergeben sich aus dem Nachweis einer TSC1- oder TSC2-Mutation folgende klinische Konsequenzen:
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Erwägung einer Therapie mit Vigabatrin bei Vorliegen von epilepsietypischen Potenzialen im frühen Säuglingsalter, auch wenn noch keine epileptischen Anfälle aufgetreten sind (Notabene: Die Fallzahl der Patienten der vorliegenden Studie, die dieses Vorgehen unterstützt, ist gering, daher existiert noch keine offizielle Empfehlung).
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Mittel der Wahl bei einem West-Syndrom aufgrund einer tuberösen Sklerose ist Vigabatrin [26].
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Bei Patienten mit tuberöser Sklerose und therapierefraktärer Epilepsie sollte neben der Möglichkeit eines resektiven epilepsiechirurgischen Eingriffs eine Therapie mit Everolimus erwogen werden (Fallbeispiel 3 in Abb. 4; [9]).
SLC2A1 – Glukosetransporterdefekt
Mutationen im SLC2A1-Gen führen zu einer Störung des zerebralen Glukosetransporters Typ 1 (GLUT1). Glukose gelangt bei betroffenen Patienten nur unzureichend als Energielieferant in das ZNS. Neben dem klassischen Phänotyp mit Ataxie, mentaler Retardierung und Epilepsie [2] kommen andere klinische Varianten wie frühkindliche Absence-Epilepsien [32] und anstrengungsinduzierte Dystonien mit Nachweis von Akanthozyten im Blutbild [36] vor. Die Diagnose wird vor allem anhand eines erniedrigten Glukosespiegels und eines niedrigen Laktatwerts im Liquor (altersabhängige Werte müssen beachtet werden) sowie anhand eines erniedrigten Quotienten der Liquor/Serum-Glukose (meist <0,4) gestellt [16]. Neben dieser diagnostischen Möglichkeit ist SLC2A1 bei den meisten Gen-Panel-Untersuchungen für epileptische Enzephalopathien integriert. Der Nachweis eines Glukosetransporterdefekts impliziert die Initiierung einer ketogenen Diät [24]. Das Energiedefizit wird durch die gut liquorgängigen Ketone ausgeglichen, die als Hauptenergielieferant des ZNS dienen.
PNPO, ALDH7A1 und FOLR1
Mutationen in diesen Genen führen zu Epilepsien aufgrund eines metabolischen Substratmangels. Der Phänotyp zeigt meist neonatal beginnende epileptische Enzephalopathien. Oft wird die Diagnose anhand einer pathologischen Veränderung entsprechender biogener Amine und Aminosäuren im Liquor gestellt. Allerdings finden sich die oben genannten Gene mittlerweile bei vielen Laboranbietern von Panels für frühkindliche epileptische Enzephalopathien. Die Therapie besteht in der Supplementation entsprechender Substrate [23]:
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ALDH7A1: Pyridoxin
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PNPO-Mangel: Pyridoxalphosphat
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FOLR1: Folinsäure
Weitere metabolische bzw. neurodegenerative epileptische Enzephalopathien
Auch Kreatinmangelsyndrome können sich neben anderen neurologischen Symptomen mit epileptischen Anfällen manifestieren. Entsprechende enzymatische Defekte (Guanidinoacetat-Methyltransferase[GAMT]- und Arginin-Glycin-Amidinotransferase[AGAT]-Mangel) lassen sich durch eine spezialisierte Diät positiv beeinflussen [28]. Kreatinmangelsyndrome können zum einen biochemisch und zum anderen genetisch bestätigt werden und sind je nach Labor Bestandteil von Gen-Panels frühkindlicher Epilepsien.
Für alle genannten metabolischen Erkrankungen bestehen therapeutische Möglichkeiten, die bei frühzeitiger Initiierung die neurologische Prognose nachhaltig verbessern.
In Tab. 2 findet sich eine Auswahl genetischer Defekte mit Manifestation einer Epilepsie. Mögliche therapeutische Konsequenzen sind ebenfalls aufgeführt.
Empfehlungen zur genetischen Diagnostik bei Epilepsien
Von der Arbeitsgemeinschaft Genetik der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) existiert mittlerweile eine übersichtliche Zusammenfassung mit allgemeinen Informationen und Empfehlungen zur genetischen Diagnostik bei Patienten mit Epilepsie [34].
Resümee
Aus neuropädiatrischer Sicht ist die Epilepsiegenetik bereits heute eine wichtige Untersuchungsmethode. Dies wird vor allem deutlich, wenn man das gesamte Spektrum biopsychosozialer Auswirkungen pädiatrischer Epilepsien berücksichtigt. Es ist unwidersprochen, dass mit der momentan zur Verfügung stehenden Therapie eine genetische Diagnose häufig keine therapeutische Konsequenz hat. Aber auch in diesem Fall wünscht eine Mehrzahl der betroffenen Familien eine genetische Klärung der Diagnose [21]. Ohne klare Gegenargumente und bei einer praktisch risikolosen und absehbar immer günstiger werdenden Untersuchung ist dies allein ein wichtiges Argument, in den entsprechenden Fällen eine genetische Diagnostik durchzuführen.
Ein klarer Vorteil für den Patienten selbst ist, dass die Identifikation einer genetischen Ursache die Notwendigkeit anderer Untersuchungen vermindert. Viele der entsprechenden Untersuchungen sind invasiv (Lumbalpunktion) oder im Kindesalter sowie bei Verhaltensauffälligkeiten nur unter Allgemeinanästhesie durchführbar (Magnetresonanztomographie). Das Ziel einer möglichst schonenden Diagnostik kann also mithilfe genetischer Untersuchungen erreicht werden. Epilepsiechirurgische Eingriffe können möglicherweise vermieden werden, da sie bei den meisten genetisch determinierten Erkrankungen in der Regel nicht erfolgreich sind; Ausnahmen sind unter anderem TSC1- und TSC2-assoziierte Epilepsien.
Schlussendlich gibt es mehrere Epilepsiesyndrome, bei denen eine genetische Diagnose Einfluss auf Therapie und Prognose hat. Beispiele hierfür sind
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die SCN1A-determinierten Epilepsien, die gut auf Brom ansprechen und bei denen Natriumkanalblocker kontraindiziert sind,
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Epilepsien mit SCN2A-Mutationen (Gain-of-function-Mutationen), die mit Natriumkanalblockern erfolgreich therapierbar sind,
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der TSC (Therapie mit Vigabatrin und Everolimus) und
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Glukosetransporterdefekte (ketogene Diät).
Hinsichtlich der Wirksamkeit von Antikonvulsiva bei genetischen Epilepsiesyndromen besteht allerdings in gewissem Maße – im Vergleich zur rasanten Erweiterung der genetischen Diagnostik – eine stagnierende Entwicklung: So ist erstaunlich, dass bei einer der paradigmatischen genetisch determinierten epileptischen Enzephalopathien, dem Dravet-Syndrom, mit Brom das älteste Antikonvulsivum überhaupt mit Erfolg eingesetzt wird.
Die Identifikation genetischer Ursachen vermindert die Notwendigkeit anderer Untersuchungen
Obwohl Panel-Untersuchungen unter Abwägung von Kosten und Nutzen momentan sicherlich die geeignetste Methode zur Diagnostik insbesondere frühkindlicher Epilepsien darstellen, sollten bei negativen Ergebnissen und klinisch passender Konstellation auch klassische Methoden Berücksichtigung finden, um Syndrome wie das Ringchromosom-20-Syndrom diagnostizieren zu können.
Insgesamt haben pädiatrische Epileptologen bereits heute eine deutliche Präferenz für genetische Untersuchungen [10]. Es besteht die Hoffnung, in Zukunft mit personalisierten Methoden, wie dem Einsatz von Oligonukleotiden gegen „long non-coding RNAs“ betroffener Gene, tatsächlich kausale Therapieansätze zu erhalten. Gleichzeitig wird die Verfügbarkeit molekulargenetischer Methoden sicher weiter zunehmen. Daher ist mit einer weiteren Zunahme dieser Untersuchungen zu rechnen. Die Patienten und ihre Familien werden hiervon profitieren.
Fazit für die Praxis
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In der Epilepsiegenetik gibt es einen rasanten Wissenszuwachs.
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Diese Entwicklung hat in zunehmendem Maße therapeutische Konsequenzen.
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Besonders zu erwähnen sind Stoffwechselerkrankungen sowie Erkrankungen von Natrium- und Glukosekanälen.
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Auch in Fällen ohne direkte therapeutische Konsequenz profitieren betroffene Kinder und Familien durch Verzicht auf unnötige Eingriffe und durch eine psychische Entlastung nach Diagnosestellung.
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Interessenkonflikt
I. Borggräfe hat Honorarvorträge für die Firmen Desitin und Novartis gehalten und war als Berater („advisory boards“) für Desitin, UCB und Bial tätig. T. Roser hat Honorarvorträge für die Firma Novartis gehalten. M. Tacke hat Honorarvorträge für Desitin gehalten. L. Gerstl hat Honorarvorträge für Desitin gehalten. B.A. Neubauer war als Berater („advisory boards“) für UCB, Eisai und Zogenix tätig. J. Rémi hat Vorträge für UCB, Desitin, Eisai und VANDA gehalten und war als Berater („advisory boards“) für UCB und VANDA tätig.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
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Tacke, M., Neubauer, B.A., Gerstl, L. et al. Epilepsie – neue Diagnostik, alte Medikamente?. Nervenarzt 88, 1385–1394 (2017). https://doi.org/10.1007/s00115-017-0427-7
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00115-017-0427-7