Die traumatische Luxation des Schultergelenkes stellt ein einschneidendes Erlebnis des Betroffenen dar. Neben dem sofortigen Funktionsverlust bedeutet sie auch eine mögliche Einschränkung im weiteren Verlauf. Je nach Verletzungshergang, Alter des Betroffenen, Schwere der geschädigten anatomischen Strukturen, Funktionsanspruch und Compliance des Patienten stehen nach der Reposition verschiedene Therapiemöglichkeiten zur Disposition.

In diesem Weiterbildungsbeitrag sollen nach Abhandlung der anatomischen Grundlagen die typischen Verletzungsmuster und ihre Therapien besprochen werden.

Anatomie

Das Glenohumeralgelenk wird durch dynamische und statische Komponenten stabilisiert, deren Einfluss in Abhängigkeit der Armposition unterschiedlich ausgeprägt ist. Mit zunehmender Abduktion und Außenrotation werden die Bandstrukturen stärker angespannt und stabilisieren das Gelenk.

Dynamische Stabilisatoren

Die Muskeln der Rotatorenmanschette (RM) bewirken durch verschiedene Mechanismen eine Stabilisierung des Glenohumeralgelenkes.

Kompression

Bei Anspannung der RM kommt es zur Kompression des Humeruskopfes gegen das Glenoid. Die Konkavität des Glenoids und der dadurch erreichte Formschluss bedingen eine hohe Stabilität. Solange die Resultierende der Muskelkräfte durch das Zentrum des Glenoids geht, besteht eine stabile Situation. Dieser von Matsen [22] beschriebene Mechanismus wird auch als „cavity compression“ bezeichnet und ist herabgesetzt, wenn die Konkavität der Pfanne zerstört wird oder eine RM-Ruptur vorliegt.

Kapsuläre Vorspannung

Durch die innige Verflechtung der RM-Fasern mit der Gelenkkapsel kommt es bei Anspannung der RM auch zu einer Anspannung der Kapsel.

Muskuläre Balance

Hierunter versteht man, dass die Gelenkpfanne immer so zum Oberarmkopf positioniert werden muss, dass der Netto-Kraftvektor aller Muskeln durch den Mittelpunkt der Gelenkpfanne verläuft. Dies ähnelt einem Seehund, der einen Ball auf seiner Nase balanciert. Daraus folgt, dass die die Pfanne tragende Skapula durch ihre stabilisierende Muskulatur gut geführt werden muss (Mm. serratus anterior, rhomboidei, levator scapulae, trapezius) und es nicht zu einer skapulothorakalen Dissoziation mit Winging der Skapulae kommt.

Aber auch die skapulohumerale und thorakohumerale Muskulatur (Mm. latissimus dorsi, teres major, pectoralis major) erfüllen durch ein balanciertes Zusammenspiel die Aufgabe dynamischer Stabilisatoren des Humeruskopfes im Glenoid. So kann auch ein Hypertonus des M. pectoralis major und ein Hypotonus des M. latissimus dorsi eine Instabilität im Glenohumeralgelenk nach ventral bedingen. Das normale Zusammenspiel der Schultermuskulatur wird als Muskel-Patterning bezeichnet. Bei Änderungen dieses normalen, balancierten Zusammenspiels kommt es zu Imbalancen, die zur Instabilität führen. Die Abnormität des Muskel-Patternings ist in der Regel ein aktiver, jedoch unbewusster Prozess, der nicht mehr der Kontrolle des Patienten unterliegt.

Weitere Voraussetzung für die richtige Skapulaposition ist eine gute Gesamtkörperposition. Das Becken sollte aufgerichtet und die Brustwirbelsäule entkyphosiert sein, damit die Skapulae nicht nach vorne protrahiert stehen.

Statische Stabilisatoren

Knöcherne Konfiguration von Humeruskopf und Glenoid

Die Größendifferenz zwischen Humeruskopf und Glenoid wird in ihrer Bedeutung überschätzt. Dem Humeruskopf mit einem durchschnittlichen Durchmesser von 44 mm steht ein Glenoid mit einer Größe von 35×25 mm gegenüber. Es wurde ein vertikaler und horizontaler glenohumeraler Index beschrieben.

Der mittlere transversale glenohumerale Index (TGHI) beträgt 24/44=0,57. Werten, die diesen unterschreiten, wird eine Disposition zur Entwicklung einer Instabilität zugeschrieben.

Knöcherne Defizite wie nach einer Pfannenrandfraktur (Bankart-Fraktur) führen aufgrund der verkleinerten Auflagefläche (TGHI wird kleiner) zu einer chronischen Instabilität. Ähnlich einem Abschlags-Tee beim Golfen, bei dem eine Ecke fehlt und der Golfball beim Aufteen herunterfällt, kommt es zum Flächen- und Konkavitätsverlust des Glenoids.

Von Bedeutung ist der Retroversionswinkel des Glenoid. Eine über das Mittel von 5–10° hinaus gehende Retroversion stellt eine Disposition zur hinteren Instabilität dar.

Labrum glenoidale, Gelenkkapsel und glenohumerale Bänder

Diese Strukturen stellen die wichtigsten statischen Stabilisatoren dar. Ihre funktionelle Bedeutung wurde von Huber und Putz [14] in einer makro- und mikroskopisch-anatomischen Arbeit beleuchtet. Die Einheit aus Labrum-Ligament-Komplex (LLC) zusammen mit den am Tuberculum supra- und infraglenoidale inserierenden Sehnen des Bizeps- und Trizepsmuskels wird als periartikuläres Fasersystem (PAFS) beschrieben und besitzt die Funktion eines Korbes, der den Humeruskopf aufnimmt.

Insbesondere die glenohumeralen Bänder als Verstärkung der Gelenkkapsel dienen der Stabilität. Das inferiore glenohumerale Ligament (IGHL) besitzt ein besonders stark ausgebildetes anteriores (AB-IGHL) und posteriores Band (PB-IGHL), zwischen denen der Oberarmkopf wie in einer Hängematte aufgenommen und stabilisiert wird. Diese Bänder dienen einmal der inferioren Stabilität, das AB-IGHL zusätzlich der vorderen unteren Stabilität bei Abduktion-Außenrotations- und das PB-IGHL der hinteren unteren Stabilität bei Adduktion-Innenrotations-Bewegungen.

Da die Gelenkkapsel auch mit der Rotatorenmanschette (RM) verbunden ist, können hierüber auch die Kapselanteile dynamisch gespannt werden.

Das superiore glenohumerale Ligament (SGHL) zusammen mit dem korakohumeralen Ligament (CHL) als Teil des Rotatorenintervalls stabilisiert die Schulter in Adduktion gegen eine inferiore Translation und bei Anteversions- oder Abduktionsstellungen gegen eine posteriore Instabilität.

Das mittlere glenohumerale Ligament (MGHL) begrenzt bei mittleren Abduktionstellungen zwischen 60 und 90° die vordere Translation des Oberarmkopfes.

Bei der in diesem Beitrag zu behandelnden traumatischen Schulterluxation stehen die Schädigungen der statischen Stabilisatoren im Vordergrund der Betrachtung, wobei etwaige Nervenschädigungen mit Paresen der stabilisierenden Muskulatur nicht übersehen werden dürfen.

Die muskuläre Dysbalance tritt eher bei den atraumatischen Instabilitäten auf.

Epidemiologie

Die Schulterluxation macht mehr als 1/3 aller Schulterverletzungen aus und besitzt je nach regionalen Differenzen und der Altersverteilung eine Inzidenz von 0,1–1,7%, von denen 95% vordere Luxationen sind.

Einer schwedischen Untersuchung zufolge [13] liegt die Prävalenz bei 2%, davon die Inzidenz für das weibliche Geschlecht bei nur 10%. In Dänemark beträgt die Inzidenz jährlich 17 Fälle bei 100.000 Einwohnern [20]. Der Anteil des männlichen Geschlechts belief sich auf 53%. In einer weiteren schwedischen Studie [25] betrug die Inzidenz für 15- bis 20-Jährige sogar 20 Fälle auf 100.000 Einwohner. Bei älteren Patienten nahm hingegen die Inzidenz bis auf 8,7 Fälle pro 100.000 Einwohner für Patienten bis 60 Jahre ab.

Überträgt man die skandinavischen Zahlen auf die deutsche Population von 80 Mio., so muss mit ca. 13.600 Luxationen im Jahr gerechnet werden.

Die Luxationshäufigkeit von Kindern und Adoleszenten ist nochmals deutlich geringer. In einer italienischen Arbeit [28] über 443 Schulterluxationen waren Kinder unter 14 Jahren zu 0,5%; Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren zu 4% betroffen.

Klassifikation

Heute sind 3 Klassifikationen gebräuchlich.

Die Einteilung von Matsen in 2 große Gruppen ist wie folgt [22]:

TUBS:

  • Traumatisch

  • Unidirektional

  • Bankart-Läsion

  • Surgical repair“

AMBRII:

  • Atraumatisch

  • Multidirektional

  • Bilateral

  • Rehabilitation

  • Inferiorer Kapsel-Shift

  • Intervall-Verschluss

Diese Einteilung umfasst unter TUBS die traumatischen Fälle und unter AMBRII die atraumatischen Fälle. Sie ist sehr grob, kann jedoch als Merkhilfe zur Entscheidungsfindung behilflich sein.

Die Klassifikation nach Gerber [9] eignet sich besser für den klinischen Alltag. Für die vorliegende Arbeit sind jedoch nur die Typen II und III relevant.

Typ I:

chronische verhakte Luxation

Typ II:

unidirektionale Instabilität ohne Hyperlaxität

Typ III:

unidirektionale Instabilität mit Hyperlaxität

Typ IV:

multidirektionale Instabilität ohne Hyperlaxität

Typ V:

multidirektionale Instabilität mit Hyperlaxität

Typ VI:

willkürliche Instabilität

Gerber unterscheidet, ob eine Hyperlaxität vorliegt oder nicht. Dies ist von Bedeutung, da von der Laxität bei einer traumatischen Luxation auch der Schweregrad der intraartikulären Verletzungen abhängt. Während bei Patienten ohne Hyperlaxität eher operationsbedürftige Läsionen bestehen, können Patienten vom Typ III durchaus auch von einer konservativen Therapie profitieren.

Die zurzeit beste Einteilung, die die Symptome und den weiteren Behandlungsablaufablauf bestimmt, ist die von Ian Bailey [3]. Er unterscheidet 3 Gruppen von Patienten mit typischen Charakteristika, wobei die Übergänge fließend sind und für diese Arbeit nur die Polar Group I und einige Patienten der Gruppe II, die denen der Gruppe III nach Gerber entsprechen, interessant sind. Der Vollständigkeit halber sind die übrigen Gruppen mit aufgeführt.

  • Polar Group I:

    • Traumatisch strukturell

    • Signifikantes Trauma

    • Oft Bankart-Läsion

    • Gewöhnlich unilateral

    • Keine muskuläre Dysbalance

  • Polar Group II:

    • Atraumatisch

    • Kein Trauma

    • Struktureller Schaden des Gelenks

    • Kapsuläre Dysfunktion

    • Keine muskuläre Dysbalance

    • Nicht selten bilateral

  • Polar Group III:

    • Habituell-nichtstrukturell

    • Kein Trauma

    • Keine strukturellen Schäden des Gelenks

    • Kapsuläre Dysfunktion

    • Muskuläre Dysplasie

    • Oft bilateral

Unfallmechanismen

Der typische Unfallmechanismus besteht aus einer kombinierten Abduktions-Außenrotations-Bewegung, die von außen dem Patienten zugefügt wird. Beispielhaft sei hier das Greifen und Nach-hinten-Drücken des Wurfarms beim Handball genannt oder das Abfangen des gesamten Körpergewichts am nach oben ausgestreckten Arm.

Von einer traumatischen Luxation sollte man nur bei Vorliegen eines adäquaten Traumas sprechen. Häufig werden auch Bagatelltraumata von den Patienten als Unfall geschildert. Dies geschieht zum einen aus versicherungsrechtlichen Gründen, um Ansprüche beim gesetzlichen oder privaten Unfallversicherer geltend zu machen, und weil bereits inadäquate Traumata bei Vorliegen einer Hyperlaxität genügen, eine Luxation zu bedingen.

Typische Zeichen einer traumatischen Luxation sind:

  • Adäquates Trauma

  • Fremdreposition

  • Hill-Sachs-Defekt

  • Keine Hyperlaxität

Pathoanatomie

Labrum-Ligament-Komplex (LLC)

Der Labrum-Ligament-Komplex kann an 3 Stellen verletzt werden.

  • am glenoidalen Ansatz,

  • im Verlauf der Kapsel bzw. der glenohumeralen Bänder sowie

  • am humeralen Ansatz.

Am glenoidalen Ansatz kann es zum Abriss des Labrums vom Limbus kommen, wobei der Kapsel-Band-Apparat am Labrum verbleibt (typische Bankart-Läsion).

Ferner können der mediale Kapselursprung und das Periost vom Skapulahals reißen, ohne dass dabei das Labrum beschädigt wird (Perthes-Läsion). Die Kapsel kann in ihrem Verlauf reißen oder die humeralen Ansätze können vom Humerus seperiert werden (HAGL-Läsion, humerale Avulsion der glenohumeralen Ligamente).

Neben der Bankart-Läsion tritt nach heutiger Meinung auch eine Dehnung der Kapsel bzw. der glenohumeralen Bänder ein, die zu einer plastischen Deformierung und damit Insuffizienz der Kapsel führen kann.

Wenn nach einer Luxation der spontane Heilungsverlauf dazu führt, dass das Labrum mit dem Kapselursprung nach medial gezogen wird und dort vernarbt, spricht man von einer ALPSA-Läsion („anterior labroligamentous periosteal sleeve avulsion, Neviaser). Diese führt zu einer relativen Verkürzung der anterioren Strukturen und somit zu einer Außenrotationseinschränkung, gleichzeitig jedoch auch zu einem Verlust der Konkavität des Glenoids.

Rotatorenmanschette

Bei Patienten über 40 Jahre kommt es in 30–80% der Fälle zu einer traumatischen Zerreißung der Rotatorenmanschette bei Erstluxation [21]. Der sog. posteriore Mechanismus bedingt durch ein Anschlagen der Rotatorenmanschette am oberen hinteren Pfannenrand eine passive Überdehnung und ein Abscheren der Sehnen. Hierdurch geht der wichtigste dynamische Stabilisator verloren.

Knöcherne Verletzungen

Glenoid

Bei der Luxation kann ein kleines, schmales Kortikalisfragment abgeschert werden (knöcherne Bankart-Läsion), die zu unterscheiden ist von der echten Bankart-Fraktur (Abb. 1), bei der bis zu einem Drittel der Pfanne betroffen sein kann. Durch das Fehlen der knöchernen Auflagefläche wird eine Rezidivinstabilität provoziert. Die Defektgröße, ab der eine knöcherne Rekonstruktion notwendig wird, variiert sehr je nach Autor und Technik der Defektmessung.

Abb. 1
figure 1

Knöcherne Bankart-Fraktur

Itoi et al. [15] zeigten, dass die fehlende Glenoidfläche schwer, die Länge des Defektes jedoch gut zu messen sei. In ihrer Arbeit, in der verschieden große Glenoidfragmente osteotomiert wurden, erfolgte die Bestimmung der Defektlänge prozentual zur gesamten kraniokaudalen Glenoidlänge. Die Autoren konnten aus ihren Versuchen schließen, dass ab einer Defektgröße von 21% der Glenoidlänge eine deutlich vermehrte Translation des Humeruskopfes eintritt.

Ferner kommt es nach Reparatur der Kapsel in der Defektzone am Restglenoid durch ein zu starkes Vorspannen der Kapsel zu einem Verlust der Außenrotation von 25° je 1 cm Defektlänge. Sie folgerten, dass ab einer Defektlänge über 25% der gesamten kraniokaudalen Glenoidlänge eine knöcherne Rekonstruktion zu empfehlen ist.

Humeruskopf

Bei der traumatischen Luxation kommt es zu einer Impression des Humeruskopfes posterokranial (Abb. 2) durch den vorderen unteren Glenoidrand. Radiologisch ist sie am besten in der Stryker-Notch-Aufnahme erkennbar. Dies ist eine modifizierte axiale Aufnahme zur Beurteilung der Impression.

Abb. 2
figure 2

In der Stryker-Aufnahme gut erkennbarer Hill-Sachs-Defekt

Diese Impression wird Hill-Sachs-Läsion genannt und ist biomechanisch erst wirksam bei Impressionen, die mehr als 1/3 der Humeruskopfzirkumferenz betreffen. Die Größe des Defektes hängt auch von der vorliegenden Laxität ab; so zeigen Patienten mit einer generalisierten Hyperlaxität bei der Erstluxation keinen oder nur einen kleinen Hill-Sachs-Defekt.

Liegt der Defekt jedoch weiter zentral oder besteht eine erhebliche Kapselinsuffizienz, kommt es bei Außenrotations-/Abduktionsbewegungen zu einem Einhaken des Defektes an den vorderen Pfannenrand, und hierüber hebelt es den Oberarmkopf aus der Pfanne. Man spricht dann vom „Engaging Hill-Sachs-Defekt“ [5].

Akutbehandlung

Die Diagnose einer vorderen Schulterluxation kann in der Regel bereits durch Inspektion und Palpation leicht gestellt werden. Die von dorsal tastbare leere Gelenkpfanne sowie die veränderte Schulterkontur sind hier richtungsweisend.

Die Röntgendarstellung muss in 2 Ebenen erfolgen.

Eine axiale Aufnahme ist bei akuter Luxation nicht möglich, alternativ kann dann die Velpeau-Aufnahme durchgeführt werden, die eine Aussage über die Pfannenrandstrukturen zulässt. Die transthorakale Aufnahme ist heute obsolet.

Daneben ist eine Überprüfung des Nerven- und Gefäßstatus zwingend notwendig.

Reposition

Am Unfallort sollte dafür gesorgt werden, dass der Arm in einer möglichst schmerzarmen Position gelagert wird. Ein Dreieckstuch oder eine Schlinge können erste Hilfsmittel sein.

Einen Repositionsversuch vor Ort darf nur der geübte Helfer oder Arzt vornehmen. Brüske Manöver sind zur Vermeidung weiterer Verletzungen zu unterlassen.

Bei frischen traumatischen Erstluxationen mit hoher Schmerzhaftigkeit soll die Reposition möglichst schonend und rasch erfolgen. Bei starkem Muskeltonus, Bankart-Fraktur, Tuberculum-majus-Fraktur und/oder großem Hill-Sachs-Defekt wird eine Anästhesie notwendig, zumindest i.v.-Analgesie oder Sedoanalgesie.

Merke: Die Reposition muss langsam und schonend erfolgen. Forcierte und traumatisierende Repositionstechniken führen zu Nervenläsionen.

Technik nach Hippokrates: Aufgrund der schmerzhaften Vorgehensweise wird dieses Verfahren immer seltener verwendet. Man beginnt mit einem langsamen Längszug des leicht abduzierten Arms. Hierbei kann sich der Behandler mit dem Fuß am Brustkorb abstützten, nicht aber in der Axilla — wegen der Gefahr von Plexusschäden. Der Humeruskopf wird mittels Rotationsbewegungen gelöst und dann in Innenrotation reponiert. Alternativ zum Fuß am Brustkorb kann ein Zweithelfer durch das Anlegen eines Gurtes oder Tuches um den Brustkorb den notwendigen Gegenzug ermöglichen.

Technik nach Arlt: Auf einem Stuhl sitzend lässt der Patient den Arm über eine hohe, gepolsterte Armlehne hängen. Unter zunehmendem Zug nach unten und leichten, zunehmenden Rotationsbewegungen erfolgt die Reposition in Innenrotation. Bei Verhakung am unteren Glenoidpol eignet sich dieses Verfahren besonders und ist auch gut ohne einen Zweithelfer möglich.

Technik nach Matsen: Der Unterarm des auf dem Rücken liegenden Patienten wird im Ellenbogengelenk 90° flektiert, um die Muskulatur des Bizeps und des M. brachioradialis zu entlasten. Der Chirurg kann mit Hilfe eines Gurtes, der zwischen ihm und dem Unterarm des Patienten fixiert ist, ermüdungsfrei und ohne brüskes Manövrieren einen gleichmäßigen Zug am Arm ausführen. Der Unterarm wird aus der Innenrotation in eine langsame Außenrotationsposition gedreht, sodass es durch Zug- und Rotationsmanöver zur Reposition kommt. Unter die Axilla und um den Oberkörper des Patienten wird ein zweiter Gurt angelegt, über den der Assistent einen konstanten Gegenzug ausübt.

Weiter Techniken wie die nach Stimson und White/Milch können in entsprechenden Lehrbüchern nachgelesen werden.

Bei geschlossen nicht reponierbarer Luxation muss unmittelbar die offene Reposition in Vollnarkose stattfinden. Liegt eine Luxationsfraktur vor, wird sofort offen reponiert, wenn eine Gefäß- oder Nervenverletzung begleitend vorliegt, andernfalls kann kurzfristig gewartet werden, bis ein erfahrener Operateur zur Verfügung steht.

Nach erfolgter Reposition muss wiederum Nerven- und Pulsstatus überprüft werden, und eine Röntgenkontrolle erfolgt, wie oben beschrieben. Hierbei sind nun knöcherne Verletzungen des Pfannenrandes in der True-a.-p.- und der Velpeau-Aufnahme besser sichtbar.

Die Ruhigstellung erfolgt im Gilchrist-Verband.

Die verhakte, nicht reponierbare Luxation stellt ebenso wie die Schädigung der den Arm versorgenden Gefäße eine Notfallindikation dar.

Weiterbehandlung

Die Weiterbehandlung, ob operativ oder konservativ, hängt von verschiedenen prognostischen Faktoren und den Begleitverletzungen ab.

Diagnostik

Nach der Akutbehandlung und zur Beurteilung weiterer Verletzungen bedarf es der weiterführenden Diagnostik verletzten Strukturen.

Die Röntgenaufnahmen wurden oben besprochen. Eine Sonographie zur Untersuchung der Rotatorenmanschette muss sich anschließen.

Es sollte dann zur Beurteilung der Weichteilverletzungen eine Magnetresonanztomographie mit intraartikulärer Gadolinium-Kontrastmittelgabe durchgeführt werden. Anhand dieser sind die Weichteilschäden an Labrum, Gelenkkapsel und an der Rotatorenmanschette sicher zu beurteilen.

Auf eine zusätzliche Kontrastmittelgabe kann bis zu 2 Wochen nach der traumatischen Luxation verzichtet werden, da durch das intraartikuläre Hämatom ein Kontrasteffekt besteht. Zur Beurteilung der Kapselweite ist aber sonst eine KM-Gabe notwendig. Dies ist unabhängig vom Alter des Patienten. Die KM-Gabe muss unter sterilen Kautelen erfolgen.

Auch bei der Planung eines operativen Eingriffs bei rezidivierender Luxation sind Röntgenaufnahmen und Magnetresonanztomographie unerlässlich. Bei unklarem Befund am vorderen unteren Pfannenrand hat sich bewährt, eine Computertomographie mit dreidimensionaler Rekonstruktion zu veranlassen, um den etwaigen Knochenverlust zu verifizieren.

Prognosefaktoren

Alter

Das Alter spielt eine ganz entscheidende Rolle hinsichtlich des Rezidivrisikos. Je jünger der Patient, desto größer das Rezidivrisiko.

Dies erklärt sich aus der Tatsache, dass beim Neugeborenen zunächst vorwiegend Kollagen Typ III für die Bänder und Sehnen synthetisiert wird. Kollagen Typ III ist sehr elastisch. Mit jedem gelebten Jahrzehnt stellen die kollagenproduzierenden Zellen immer weniger Kollagen Typ III, aber mehr Kollagen Typ I her. Typ-I-Kollagen besitzt Sulfur-Gruppen, die Crosslinks und Brücken zwischen den Kollagenfilamenten bilden. Hierdurch wird das Gewebe wesentlich steifer und fester. Je jünger also der Patient ist, umso mehr Kollagen Typ III besitzt er. Durch die Verformung beim Trauma und die hohe Konzenration an Typ-III-Kollagen sind die Gelenkkapsel und die glenohumeralen Bänder zu locker, um eine adäquate Stabilisierung zu gewährleisten [39].

Diese Beobachtung schlägt sich auch nieder in den Arbeiten von Hovelius [12]. In einer 1987 veröffentlichten Arbeit beziffert er das Rezidivrisiko für unter 22-Jährige auf 55%. Andere Autoren sahen noch höhere Rezidivraten bei unter 20-Jährigen von über 90% [11, 23, 31]. Das Rezidivrisiko nimmt mit zunehmendem Alter ab, sodass Hovelius für die unter 40-Jährigen nur eine Rezidivrate von 12% feststellte.

Nach einer neueren Arbeit desselben Autors [13] betrug die Rate der unter 26 Jahre alten Patienten, die entweder operiert werden mussten oder ein Rezidiv erlitten, 60%.

Sport und Risikosport

Kontaktsportarten, Wurf- und Überkopfsportarten und Roll- und Gleitsportarten (Skifahren, Snowboard, Inlineskaten etc.) erhöhen das Rezidivrisiko. In einer Serie von traumatischen Erstluxationen von Rugbyspielern lag die Rezidivrate ohne Operation bei 94%. Henry [11] beziffert die Rezidivrate im Sport mit 88%, Wheeler [40] gar mit 92%. In einer vergleichenden Studie von Simonet et al. [33] wurde gezeigt, dass Jugendliche mit sportlicher Aktivität eine Rezidivquote von 80% gegenüber 30% bei Jugendlichen ohne sportliche Aktivität aufwiesen.

Dem stehen Arbeiten gegenüber [19, 38], die keinen statistisch signifikanten Unterschied bei der Rezidivrate zwischen sportlich aktiven und inaktiven Patienten fanden.

Immobilisationsdauer

In der Untersuchung von Hovelius [13] konnte keine Beeinflussung der Rezidivrate durch die Dauer der Immobilisation festgestellt werden. Dies wird durch eine schweizerische 5-Jahres-Untersuchung ebenso wie durch eine weitere österreichische Studie aus dem Jahr 2002 unterstützt [19]. Eine sehr lange Ruhigstellung von 6 Wochen soll zwar die Rezidivrate senken [24, 33], aber diese Arbeiten sind schon über 20 Jahre alt und sind auf die heutige Arbeitswelt mit ihrem Anspruch auf schnelle Rehabilitation nicht übertragbar.

Rehabilitation

Die Rehabilitation bringt bei den atraumatischen Luxationsformen in ca. 80% gute Ergebnisse, wohingegen in einer traumatischen Vergleichsgruppe in der Arbeit von Burkhead [6] nur 16% erfolgreich konservativ behandelt werden konnten. Kralinger [19] fand keinen Einfluss der Rehabilitation auf die Rezidivrate.

Begleitverletzungen

Hill-Sachs-Defekt

Die Läsion des posterosuperioren Oberarmkopfes bei der Luxation wird als Hill-Sachs-Defekt bezeichnet und ist pathognomonisch für eine traumatische Schulterluxation. Fehlt diese Läsion, so ist dies ein Zeichen für eine begleitende Kapselhyperlaxität oder für ein nicht adäquates Trauma. Rowe [31] und Hovelius [13] zeigten, dass das Vorliegen dieser Läsion eine erhöhte Rezidivrate bedingt. Auch Burkart und DeBeer [5] sahen in ihr den Grund für Fehlschläge bei der arthroskopischen Stabilisierung (Abb. 5). Biomechanisch wirksam und somit reluxationsrelevant wird die Läsion erst ab einer Größe, die mehr als 1/3 der Humeruskopfzirkumferenz betrifft.

Abb. 5
figure 5

Typischer Hill-Sachs-Defekt in der MR-Tomographie

Liegt durch das Trauma ferner eine sehr starke Insuffizienz des Kapselbandapparates vor, hakt sich die Hill-Sachs-Läsion bei Außenrotation und Abduktion am vorderen Pfannenrand ein und hebelt den Oberarmkopf aus der Gelenkpfanne. Dies wird von Burkhart als „Engaging-Hill-Sachs-Läsion“ beschrieben. Unseres Erachtens ist die typische Hill-Sachs-Läsion, also jene die am posterosuperioren Humeruskopf auftritt, in der Regel bei der Stabilisierung vernachlässigbar. Liegt die Läsion jedoch untypisch, also weiter zentral, bekommt sie eine biomechanische Relevanz, da nun dieses Einhaken und Aushebeln wesentlich früher in der Abduktions-Außenrotations-Bewegung stattfindet.

Knöcherne Bankart-Läsion

Die Fraktur des vorderen unteren Pfannenrandes reicht von der osteochondralen Abscherfraktur bis zur dislozierten Pfannenfraktur. Ihr Vorkommen bei der traumatischen Luxation wird auf 3–10% beziffert [1, 25]. Taylor [37] fand sogar bis zu 22% knöcherne Läsionen des Glenoids bei arthroskopisch operierten Erstluxationen.

Burkhart und DeBeer [5] sehen in der knöchernen Läsion einen Grund für Therapieversager nach arthroskopischer Stabilisierung. In ihrer Arbeit lag die Rezidivrate bei Patienten nach arthroskopischer Stabilisierung, die eine knöcherne Läsion (Hill-Sachs-Läsion und/oder knöcherne Bankart-Läsion) aufwiesen, bei 67%, wohingegen bei Patienten ohne knöcherne Läsion die Reluxationsrate bei 4% lag.

Tuberculum-majus-Fraktur

Der Abriss des Tuberculum majus bei der traumatischen Schulterluxation findet sich eher bei Patienten fortgeschrittenen Alters (Abb. 6). Die Prognose hinsichtlich der Rezidivrate ist sehr gut. Ryf u. Matter [32] konnten bei 114 Patienten mit traumatischer Luxation und nachgewieser Tuberculum-majus-Fraktur nach 5 Jahren eine Reluxationsrate von nur 3% finden. TeSlaa et al. [38] fanden gar keine Reluxation bei Patienten mit Tuberculum-majus-Fraktur.

Abb. 6
figure 6

Tuberculum-majus-Fraktur nach traumatischer Luxation

Rotatorenmanschettenruptur

Rupturen der Rotatorenmanschette nach Luxationen werden ebenfalls eher beim älteren Patienten beobachtet. Das Risiko, bei einer Erstluxation eine RM-Ruptur zu erleiden, steigt mit dem Alter an. Bei Patienten über 50 Jahren werden 63% RM-Läsionen berichtet [29]. Auch Robinson [30] sah RM-Rupturen bei Patienten ab 42 Jahren nach Erstluxationen und zeigte eine dadurch bedingte erhöhte Reluxationsrate.

Die Ruptur der Sehne des M. subscapularis stellt eine absolute Indikation zur operativen Intervention dar, um das Kräftegleichgewicht und die stabilisierende Funktion des Muskels wieder herzustellen.

Nervenschädigung

Läsionen des N. axillaris werden mit einer Häufigkeit von 21% bei der Erstluxation [38] angegeben. Die meisten dieser Läsionen sind jedoch reversibel.

Eine Sonderform der traumatischen Luxation stellt das sog. „terrible triad“ dar. Hierbei handelt es sich um die Kombination einer

  • traumatischen Luxation,

  • großen RM-Ruptur und eines

  • N.-axillaris-Schadens.

Diese Form der Schädigung betrifft auch vorwiegend den älteren Patienten. Simonich u. Wright [34] berichten von 6 Fällen mit einem Durchschnittsalter von 57 Jahren.

Operative vs. konservative Therapie der traumatischen Erstluxation

Alter

Da in einer Vielzahl von Arbeiten das Alter als wichtigster prognostischer Faktor hinsichtlich einer Rezidivluxation erkannt wurde, empfiehlt man heute bei Patienten unter 25 Jahren die Primärversorgung. Insbesondere die randomisierte prospektive Studie von Kirkley et al. [17] zeigt eine deutlich reduzierte Reluxationsrate von primär arthroskopisch versorgten Patienten unter 30 Jahren von 16% gegenüber einer Rate von 47% bei konservativ behandelten Patienten nach 2 Jahren.

In der langfristigen Nachbetrachtung (6,1 Jahre) lagen die Werte auf dem gleichen Niveau [18]. Weitere Arbeiten, die dieses Vorgehen unterstützen, sind in Tabelle 1 aufgelistet.

Tabelle 1 Übersicht der Studien hinsichtlich eines konservativen versus operativen Vorgehens nach traumatischer Erstluxation

Sport

Inwieweit Sport das Rezidivrisiko beeinflusst, bleibt widersprüchlich (s. oben). Betreibt der Patient jedoch eine die Schulter belastende Wurf- oder Racketsportart oder eine Kontaktsportart, so sollte hier die operative Stabilisierung empfohlen werden.

Hill-Sachs-Läsion

Die Hill-Sachs-Läsion an sich beeinflusst das Vorgehen bei der traumatischen Erstluxation nicht. Sie ist erst dann relevant, wenn bei der rezidivierenden posttraumatischen Instabilität ein operatives Vorgehen geplant wird und wenn sie größer als 1/3 der Humeruskopfzirkumferenz umfasst oder zentral liegt. Im ersten Fall werden im angloamerikanischen Raum Defektauffüllungen mit Humeruskopf-Allografts empfohlen, die im deutschen Raum nicht möglich sind. Versetzungen des Tuberculum majus empfehlen sich nicht wegen der veränderten Biomechanik.

Letztlich stellt sich die Indikation zur Rotationsosteotomie. Die zentral gelegenen Defekte können ebenfalls durch die Rotationsosteotomie aus dem Kontakt nach dorsal herausgedreht werden.

Tuberculum-majus-Frakturen

Die Tuberculum-majus-Fraktur, die beim älteren Erstluxierer auftritt, kann gut konservativ behandelt werden, sofern das Fragment nicht disloziert ist. Eine zweiwöchige Immobilisation mit nachfolgender frühfunktioneller Therapie bringt in der Regel nach 3 Monaten ein gutes funktionelles und stabiles Ergebnis.

Erwähnenswert ist die selten zu beobachtende posttraumatische adhäsive Kapsulitis bei diesen Patienten, durch die sich der Behandlungszeitraum dieser relativ einfachen Fraktur doch erheblich hinziehen kann. Bei dislozierter Fraktur ist die primäre Osteosynthese des Tuberculum notwendig.

Knöcherne Bankart-Läsion

Diese Läsionsform stellt eine Operationsindikation dar. Durch den Abbruch des Pfannenrandes geht ein erheblicher Teil der Konkavität der Pfanne verloren. Dies muss wiederhergestellt werden. In jüngster Vergangenheit sind bereits Arbeiten erschienen, die die Refixation in arthroskopischer Technik beschreiben [27]. Es sollte zunächst dem versierten Arthroskopeur vorbehalten bleiben, kleinere knöcherne Bankart-Läsionen arthroskopisch zu refixieren. Die Standardmethode ist die offene Refixation mit Knochenankern oder Schraubenosteosynthese.

Bei der Schraubenosteosynthese ist darauf zu achten, dass die Schrauben sicher unter Pfannen- und Gelenkniveau versenkt werden, um eine „Materialarthrose“ zu verhindern (Abb. 7). Ein zusätzlicher Kapselshift ist in der Regel nicht notwendig.

Abb. 7
figure 7

Zustand nach Osteosynthese einer Bankart-Fraktur von Abb. 1

Rotatorenmanschettenruptur

Die Ruptur der RM nach einer Luxation betrifft vorwiegend den Supraspinatus, aber auch Infraspinatus und gelegentlich der Subskapularis können betroffen sein. Diese Läsionsform trifft Patienten mit zunehmendem Alter häufiger und die Schädigungen der statischen Stabilisatoren (Labrum, Kapsel-Band-Apparat) sind gar nicht oder nur gering ausgeprägt. Durch den Verlust der aktiven Stabilisierung und Zentrierung des Humeruskopfes durch die RM besteht in der RM-Ruptur das morphologische Korrelat für eine Rezidivluxation.

Daneben steht auch der Kraftverlust im Zentrum der Behandlung, weshalb nach traumatischer Erstluxation mit RM-Ruptur die zeitnahe Versorgung und Rekonstruktion der RM anzustreben ist.

„Terrible triad“

Der funktionslimitierende Faktor dieser Kombination ist die Parese des N. axillaris. Da bei Persistenz der Parese der RM die Aufgabe als einzige Motoreinheit der Schulter zukommt, sollte hier die Indikation zur frühzeitigen Rekonstruktion der RM gestellt werden und der weitere Verlauf des Nervenschadens abgewartet werden. In einer Arbeit von Simonich und Wright [34] trat bei 5 von 6 Patienten eine volle Rückbildung der neurogenen Schädigung ein. Die Autoren empfahlen eine sofortige RM-Rekonstruktion und lehnten ein abwartendes Verhalten bis zur Ausheilung der N.-axillaris-Parese ab.

Bei isolierter und irreversibler Schädigung des N. axillaris bedarf es der neurochirurgischen Intervention innerhalb der ersten 6 Monate.

Gefäßschäden

Tritt bei einer Luxation ein Gefäßschaden der A. axillaris oder A. brachialis auf, stellt dies eine Notfallindikation zur sofortigen operativen Therapie dar. Es sollten schnellstmöglich das Gelenk und die Gefäße dargestellt werden und die Blutung gestoppt werden. Ein Gefäßchirurg sollte hinzugezogen werden.

Therapie der chronisch rezidivierenden posttraumatischen Luxation

Kommt es nach konservativer Behandlung zu einem oder mehreren Rezidiven, besteht die klare Indikation zur operativen Stabilisierung. Mit jeder Luxation nimmt der Gelenkschaden zu, und eine irreversible Schädigung des zentralen Stabilisators IGHL tritt ein [10]. Deshalb sollten chronische Instabilitäten mit mehr als 5–10 Luxationen vermieden werden.

Die meisten der Patienten mit posttraumatischer rezidivierender Instabilität werden nach dem 1. oder 2. Rezidiv nach einer operativen Behandlung verlangen, um im Berufsleben oder in ihrer Sport- und Freizeitbeschäftigung nicht eingeschränkt zu sein. Vielen Patienten wird erst nach einem Rezidiv die Notwendigkeit einer operativen Behandlung klar sein.

Die Therapiestrategie richtet sich auch hier nach der zugrunde liegenden Pathologie.

In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle wird eine Rekonstruktion des Labrums und des Kapsel-Band-Apparats zur Stabilisierung ausreichen. Den Begleitschäden ist analog zum oben Genannten Beachtung zu schenken.

Die zunehmende plastische Verformung des IGHL muss im Rahmen eines Kapselshifts versorgt werden. Liegt zusätzlich durch die rezidivierenden Luxationen eine Überweitung der posterioren Kapsel vor, ist eine dorsale Kapselplikatur indiziert.

Bei Patienten mit Labrumläsion und begleitender Kapselüberweitung ist prinzipiell ein arthroskopisches Vorgehen möglich. Hierbei muss neben einem adäqutaen Kapselshift auch eine Labrumaugmentation erreicht werden, um die Konkavität wiederherzustellen.

Besteht bei der diagnostischen Arthroskopie eines chronisch instabilen Patienten der Verdacht, dass das Gewebe nicht geeignet für einen Kapselshift erscheint, sollte auf eine offene Operation gewechselt werden.

Man kann dann die Labrumaugmentation durch einen „Barrel-stitch“ erreichen und zur Verstärkung der Kapsel ein wenig vom Subskapularis auf der Kapsel bei ihrer Präparation belassen. Die Technik der arthroskopischen Stabilisierung wird weiter unten beschrieben. Zur Technik der offenen Technik sei auf entsprechende Lehrbücher verwiesen.

Die Therapiestrategie bei knöchernen Verletzungen (Hill-Sachs-Läsion, knöcherne Bankart-Läsion) kann wie oben besprochen angewandt werden. Als eine Sonderform ist der chronische knöcherne Verbrauch des vorderen unteren Pfannenrandes anzusehen, der durch eine Vielzahl von Luxation verursacht wird. Ist es hier zu einem erheblichen Knochenverlust gekommen (CT oder 3D-CT), reicht eine anatomische Rekonstruktion des Labrum-Ligament-Komplexes nicht aus, und es muss ein Korakoid-Transfer angestrebt werden.

Offenes vs. arthroskopisches Vorgehen

Die Methode der Wahl war lange Zeit die offene Bankart-Operation. Eine Arbeit über die offene Stabilisierung von American-Football-Spielern zeigte keine Reluxation [26]. Eine prospektiv-randomisierte Studie verglich die Rezidivrate nach arthroskopischer und offener Stabilisierung und zeigte einen Trend zu höheren Rezidivraten in der arthroskopischen Gruppe, die mit SureTacs behandelt wurden, wohingegen die offenen Operationen mit Nahtankern versorgt wurden [36].

Auch andere vergleichende Arbeiten zeigen den Trend zu höheren Luxationsraten nach arthroskopischer Behandlung. So kamen die Autoren einer Metaanalyse [8] zu dem Schluss, dass arthroskopische Operationen in transglenoidaler Technik oder mit Tacs höhere Reluxationsraten aufwiesen als offene Verfahren. Die neueren arthroskopischen Verfahren mit Nahtankern fanden keinen Eingang in diese Analyse.

In einer Studie, die nicht in der Metaanalyse erfasst war, wurde eine Rezidivrate von 6,7% in der offenen und 3,4% in der arthroskopischen Gruppe beobachtet, wobei unter Hinzunahme des Apprehension-Zeichens die Rezidivrate mit 10% bzw. 10,2% beziffert wird [16].

Die Empfehlung, nur Patienten mit 5 oder weniger Luxationen arthroskopisch zu behandeln, hat nach wir vor in der Literatur Bestand. Die Tendenz geht aber wieder eher zur arthroskopischen Technik, da aufgrund neuer Instrumente und des besseren Verständnisses der zugrunde liegenden Pathologie eine differenzierte arthroskopische Behandlung möglich ist. Prospektiv-randomisierte Studien mit Patienten mit mehr als 5 Rezidiven einer posttraumatischen Schulterinstabilität liegen jedoch nicht vor. In der oben erwähnten Arbeit von Kim et al. [16], in der ein offenes mit einem arthroskopischen Verfahren mit Nahtankern verglichen wird, konnte gezeigt werden, dass keine signifikanten Unterschiede zwischen diesen Verfahren bestehen. Die Patienten wiesen im Durchschnitt 12 bzw. 10 Rezidive präoperativ auf — jedoch mit einer großen Streubreite von 2–100 Luxationen.

Die Differenzialindikation ist in Tabelle 2 vorgestellt. Ferner sind in den Algorithmen in Abb. 8, 9 die Abläufe bei traumatischer Erstluxation und bei chronischer posttraumatischer Instabilität aufgezeigt.

Tabelle 2 Differenzialindikation zur operativen Therapie der vorderen traumatischen Schulterluxation
Abb. 8
figure 8

Algorithmus zur traumatischen Erstluxation

Abb. 9
figure 9

Algorithmus zur posttraumatischen Instabilität

Fazit

Die traumatische vordere Schulterluxation des jungen Sportlers stellt nach heutiger Meinung die Indikation zur primären arthroskopischen Stabilisierung dar. Bei Patienten über 30 Jahren ist ein konservatives Vorgehen indiziert. Bei Patienten über 40 Jahren muss obligat eine RM-Verletzung ausgeschlossen werden. Diese allgemeinen Regeln gelten selbstverständlich nur nach Ausschluss von Verletzungen des knöchernen Pfannenrandes, der Gefäß- und Nervenversorgung und einer RM-Ruptur.

Fragen zur Zertifizierung

Was ist kein Zeichen einer traumatischen Schulterluxation?

  • Hill-Sachs-Läsion

  • Knöcherne Bankart-Läsion

  • Labrumabriss (Bankart-Läsion)

  • Hyperlaxität

  • Fremdreposition

Was gehört zur standardisierten Untersuchung nach Reposition einer akuten Schulterluxation?

  • Maschinelle Muskelkraftmessung

  • Sofortige Arthro-MRI

  • Erhebung des Gefäß-Nerven-Status

  • Röntgenthoraxaufnahme

  • Extrakranieller Doppler

Mit welcher Röntgenaufnahme kann die Richtung der Luxation zweifelsfrei bestimmt werden?

  • True-a.-p.-Aufnahme

  • y-Aufnahme (Skapula-Tangential-Aufnahme)

  • Transthorakale Aufnahme

  • Stryker-View

  • Rockwood-Aufnahme

Woran muss bei Patienten über 40 Jahren bei einer traumatischen Erstluxation gedacht werden?

  • Bankart-Läsion

  • Kapsellaxität

  • Rotatorenmanschettenruptur

  • AC-Gelenkverletzung

  • Schädigung des N. suprascapularis

Was ist eine operative Notfallindikation nach Schulterluxation?

  • Knöcherne Bankart-Läsion

  • Supraspinatusruptur

  • Subskapularisruptur

  • Gefäßschaden

  • Hill-Sachs-Defekt

Warum ist die Gelenkkapsel von Kindern und Jugendlichen elastischer als die von Erwachsenen?

  • Sie enthält mehr Crosslinks.

  • Sie besteht vor allem aus Kollagen Typ III.

  • Sie besteht vor allem aus Kollagen Typ I.

  • Sie wird nicht durch die RM angespannt.

  • Die glenoidale Anheftung ist fester.

Beim „terrible triad“ sollte

  • die RM-Ruptur schnell versorgt werden.

  • die Erholung des N. axillaris abgewartet werden.

  • der Nerv notfallmäßig vom Neurochirurgen exploriert werden.

  • eine Arthrodese erfolgen.

  • nichts unternommen werden.

Die nichtdislozierte Tuberculum-majus-Fraktur nach Luxation

  • ist sofort offen zu operieren.

  • ist sofort perkutan zu operieren.

  • ist konservativ zu behandeln.

  • ist nicht durch die Luxation bedingt.

  • zieht immer eine adhäsive Kapsulitis nach sich.

Ein Korakoid-Transfer ist indiziert bei

  • chronischem anteroinferioren Glenoidverbrauch von mehr als 25%.

  • RM-Ruptur.

  • HAGL-Läsion.

  • ALSPA-Läsion.

  • kleinem Hill-Sachs-Defekt.

Die arthroskopische Stabilisierung ist nicht indiziert bei(m)

  • symptomatischer Subluxation.

  • jungen Erstluxierer.

  • Bankart-Läsion.

  • chronischer Instabilität mit bis zu 5 Rezidiven.

  • großer knöcherner Bankart-Fraktur.