Lernziele

Nach der Lektüre dieses Beitrags …

  • sind Sie mit den genetischen und pathophysiologischen Grundlagen sowie dem klinischen Bild des Morbus Wilson vertraut.

  • sind Sie in der Lage, einen Morbus Wilson zu erkennen.

  • verstehen Sie die individuellen differenzialdiagnostischen Schritte.

  • sind Ihnen die Therapieprinzipien und die Differenzialtherapie bekannt.

  • kennen Sie die besondere Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit und Überwachung des Langzeitverlaufs.

Hintergrund

Kupfer ist aufgrund seines Redoxpotenzials ein essenzielles Spurenelement für viele Stoffwechselprozesse [1, 2]. Eine Kupferüberladung ist jedoch toxisch und führt zu Zell- und Organschäden. Leberfunktionsstörungen und neurologische Symptome sind Folge der erblichen Kupferstoffwechselstörung Morbus Wilson. Während die Krankheit früher bzw. unbehandelt zum Tode führte, ist die Prognose des Morbus Wilson inzwischen in den meisten Fällen günstig. Gründe sind das tiefere molekulare Verständnis und die verbesserten klinischen Diagnose- und Therapiemöglichkeiten. Dennoch stellen bestimmte Probleme große Herausforderungen in der täglichen Praxis dar, so etwa

  • die sichere Diagnose in unklaren Konstellationen,

  • ein akutes Leberversagen,

  • schwere neurologische Verläufe,

  • die Therapieadhärenz sowie

  • Schwangerschaft und Stillzeit.

Ätiologie, Epidemiologie, pathologische Grundlagen

Der Morbus Wilson ist eine in der Regel autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, hervorgerufen durch vererbte Mutationen im Gen ATP7B. Über mögliche Neumutationen ist fast nichts bekannt. Die Prävalenz liegt weltweit bei etwa 1:30.000. Daraus ergibt sich eine Genfrequenz in der Normalbevölkerung von ~1:90 [3]. Einige Autoren berichten über ein etwas geringeres Vorkommen der Erkrankung (1:40.000–1:75.000; [4, 5]).

ATP7B findet sich auf dem langen Arm von Chromosom 13 (13q14-q21). Die Genetik des Morbus Wilson ist komplex. Bisher wurden 500–600 verschiedene Mutationen und Varianten in dem relativ großen Gen (cDNA 4400 bp) identifiziert (http://www.wilsondisease.med.ualberta.ca/; [6, 7]), von denen einige bereits funktionell charakterisiert wurden [8, 9, 10]. Die beiden Allele des Merkmalsträgers sind häufig von jeweils unterschiedlichen Mutationen betroffen, beispielsweise M769V in Kombination mit H1069Q, man spricht von einer Compound-Heterozygotie. Es finden sich regionale Unterschiede in der Häufigkeit und dem Auftreten bestimmter Mutationen. In Europa wird am häufigsten die H1069Q-Mutation mit einer Allelfrequenz von etwa 30–70 % beobachtet [6].

Gegenwärtig ist ungeklärt, warum die phänotypische Ausprägung so ausgesprochen heterogen ist – unter anderem in Bezug auf die hepatisch-neurologische Manifestation, Symptombeginn und -schweregrad. Eine überzeugende Genotyp-Phänotyp-Korrelation konnte bisher nicht gezeigt werden und ist Gegenstand der Forschung [1, 6]. Wahrscheinlich spielen eine Reihe weiterer genetischer und epigenetischer Faktoren, die Ernährung und/oder Umwelteinflüsse eine bedeutende Rolle bei der Krankheits- bzw. Symptomausprägung [11].

Das Gen ATP7B codiert für das sogenannte Wilson-Protein, ein 165 kDa großes Transmembranprotein, das – angetrieben durch die Hydrolyse von ATP – Kupfer durch intrazelluläre Membranen transportiert. Zum einen gelangt dabei Kupfer durch Bindung an Apocaeruloplasmin in den Blutstrom, zum anderen wird überschüssiges Kupfer über die Galle ausgeschieden [1, 2].

Diese Prozesse sind beim Morbus Wilson, das heißt bei Mutation in ATP7B, gestört. Pathophysiologisch im Mittelpunkt stehen daher die Kupferakkumulation und -toxizität, da Kupfer ein hohes Redoxpotenzial aufweist und über die Bildung freier Sauerstoffradikale zu DNA-, Membran‑, Mitochondrien- und sonstigen Zellschäden führt [2, 5, 12]. Die direkten Zellschädigungen führen zu Nekrose und Apoptose. Weitere Pathomechanismen wie Entzündung und Reparaturprozesse spielen bei der Gewebeschädigung ebenfalls eine wichtige Rolle. Über unterschiedliche Zeiträume führen diese Prozesse vor allem in der Leber und im Gehirn zu Gewebe- und Organschädigungen und schließlich zu Funktionsstörungen mit entsprechender klinischer Manifestation (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Pathophysiologie des Morbus Wilson. ZNS Zentrales Nervensystem

Klinische Verlaufsformen und Symptomatik

Die Kupferakkumulation bei Morbus Wilson findet vorwiegend in der Leber und den Basalganglien des zentralen Nervensystems statt. Pathologische Veränderungen durch Kupfertoxizität („hepatolentikuläre Degeneration“) und damit die Funktionsstörung dieser lebenswichtigen Organe prägen die Symptomatik ([1, 5, 12, 13]; Tab. 1). Die Symptomausbildung und der Schweregrad weisen allerdings eine ausgeprägte Heterogenität auf. Prinzipiell werden zwei Verlaufsformen sowie eine Mischform des Morbus Wilson unterschieden.

Tab. 1 Symptomatik des Morbus Wilson

Hepatische Verläufe

Das Spektrum der Lebererkrankung reicht vom asymptomatischen Stadium mit erhöhten Transaminasen, einer Fettleber oder einer Hepatomegalie, die sich bereits im frühen Kindesalter entwickeln kann, über eine chronische Hepatitis bis zum akuten Leberversagen, das häufiger bei Frauen vorkommt [7, 12]. Bei akutem bzw. fulminantem Leberversagen (häufig mit Hämolyse) liegt im Unterschied zum Leberversagen anderer Genese häufig bereits eine Leberfibrose oder -zirrhose vor [14]. Am anderen Ende des Spektrums findet sich die manifeste Leberzirrhose mit Komplikationen wie Pfortaderhochdruck und Umgehungskreisläufen, Aszites und Lebersynthesestörungen. Symptome der Leberzirrhose sind nicht selten klinische Erstmanifestationen bei Morbus Wilson (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Klinische Manifestation des Morbus Wilson. a Leberzirrhose mit Leberversagen als Erstmanifestation bei einem jungen Patienten (Hämatoxylin-Eosin-Färbung); b Ultraschallbild einer Steatosis hepatis; c Kayser-Fleischer-Kornealring; d kraniale Magnetresonanztomographie mit mesenzephalen Veränderungen (Pfeil); e Positronenemissionstomographie-Magnetresonanztomographie mit Nachweis hirnmetabolischer Veränderungen (Pfeil) bei neurologischem Verlauf. (Mit freundl. Genehmigung)

Im Allgemeinen wird die hepatische früher als die neurologische Verlaufsform beobachtet, im mittleren Kindesalter oder frühen Erwachsenenalter (meist zwischen dem achten und 18. Lebensjahr). In einzelnen Fällen wurden bereits im sehr frühen Kindesalter hepatische Manifestationen dokumentiert [7]. Die früheste dokumentierte Erstmanifestation fand sich bei einem 9‑monatigen Jungen [15]. Allerdings sind auch sehr späte Erstmanifestationen bekannt [16].

Neurologische Verlaufsform

Die vorwiegend neurologische Verlaufsform des Morbus Wilson manifestiert sich später als die hepatische und tritt häufiger im frühen Erwachsenenalter auf [17]. Auch neurologische Verläufe des Morbus Wilson sind sehr variabel, fast immer finden sich extrapyramidale Symptome. Es werden drei Subtypen unterschieden [18]:

  • Parkinsonoid

  • Pseudosklerotisch

  • Arrhythmisch-hyperkinetisch

Störungen von Motorik und Koordination stehen im Vordergrund. Frühsymptome des neurologischen Verlaufs können sehr unspezifisch und mild sein und werden häufig nicht richtig erkannt. Es werden verschiedene Tremorformen beobachtet: distal betont, Intentionstremor, Rumpf- oder Kopftremor. Ein klassisches Symptom ist das „Flügelschlagen“ der oberen Extremität beim Halteversuch. Rigor, ausgeprägte Dystonien, Dysarthrie, Dysphagie und Schreibstörungen werden häufig beobachtet [13]. Zerebrale Anfälle treten überdurchschnittlich häufig auf [17]. Sensibilitäts- und Reflexstörungen, Muskelschwäche und Intelligenzminderung sind keine typischen Symptome des Morbus Wilson.

Psychiatrische Symptome werden in bis zu einem Drittel der Fälle beschrieben, dazu gehören Konzentrationsstörungen, depressive Symptome, Impulsivität, Stimmungsschwankungen und in seltenen Fällen psychotische Symptome [13].

Mischformen

Wenngleich viele Patienten relativ klar zu unterscheidende hepatische oder neurologische Verläufe aufweisen, werden nicht selten Mischformen mit neurologischer Symptomatik und latenten oder offensichtlichen Leberschäden beobachtet. Die Hintergründe dieser Variabilität sind ungeklärt, über genetische, epigenetische oder Umwelteinflüsse kann derzeit nur spekuliert werden.

Okulare Kupferablagerungen

Ein charakteristisches Zeichen des Morbus Wilson ist der Kayser-Fleischer-Kornealring (Abb. 2), hervorgerufen durch korneale Kupferablagerungen. Er findet sich bei der überwiegenden Mehrheit der neurologischen Verläufe und seltener bei hepatischen Verlaufsformen [7]. Das Auftreten des Kayser-Fleischer-Kornealrings kann fast als pathognomonisch für den Morbus Wilson eingestuft werden. Es finden sich dafür kaum Differenzialdiagnosen; eine Ausnahme sind schwere cholestatische Lebererkrankungen [7]. Er tritt ferner bereits bei 20–30 % der sonst noch präsymptomatischen Patienten mit Morbus Wilson auf [17]. Eine selten auftretende okulare Manifestation des Morbus Wilson ist die sogenannte Sonnenblumenkatarakt, eine Kupferablagerung in der Linse ohne nennenswerte Sehstörungen [17].

Andere Organmanifestationen

Die Kupferstoffwechselstörung kann sich auch auf andere Organsysteme auswirken [1]. Junge Frauen können von Menstruationsstörungen, Infertilität oder Aborten (auch als Folge der Lebererkrankung) betroffen sein. Viele Patienten beklagen skeletale Symptome, wie Osteoarthritis (insbesondere Knie) sowie Osteopenie und Osteoporose. Renale Manifestationen sind tubuläre Funktionsstörungen sowie Hämaturie [5]. In seltenen Fällen wurden kardiale Symptome, wie Kardiomyopathien und Herzrhythmusstörungen, mit dem Morbus Wilson in Verbindung gebracht. Eine häufige Störung des hämatopoetischen Systems ist eine Coombs-negative Hämolyse bzw. Anämie, die oft im Zusammenhang mit akutem Leberversagen beobachtet wird [14]. Leukopenie und Thrombozytopenie sind selten, können allerdings auch therapieassoziiert unter D‑Penicillamin vorkommen. Im Zusammenhang mit dem Morbus Wilson wurden überdies Fälle von Pankreatitis (selten), ein frühes Auftreten von Gallensteinen (häufiger) sowie Bauchschmerzen (unspezifisch) beschrieben [5, 14].

Diagnostik

Anamnese und körperliche Untersuchung

Mit Ausnahme von Geschwisterkindern oder Kindern von Betroffenen bleibt die Familienanamnese dieser autosomal-rezessiven hereditären Erkrankung häufig leer. Bei der Anamneseerhebung muss beachtet werden, dass die Symptome (insbesondere die neurologischen) zunächst sehr unspezifisch sind und sich häufig verzögert manifestieren. Neurologische und psychiatrische Symptome werden in der Praxis häufig verkannt. Dies kann zur Diagnose- und damit Therapieverzögerung um Monate bis Jahre führen [13]. Die Berufsanamnese (Umgang mit Schwermetallen) sowie der Ausschluss von Drogen- oder Alkoholabusus haben differenzialdiagnostische Bedeutung. Die körperliche Untersuchung kann Symptome der fortgeschrittenen Lebererkrankung aufdecken. Eine neurologische Untersuchung sowie eine Spaltlampenuntersuchung des Auges gehören zur Diagnostik [19].

Laboruntersuchungen

Allgemeine Labordiagnostik

Klinisch-chemische Laboruntersuchungen umfassen [19]

  • das Differenzialblutbild,

  • die Untersuchung der Leberfunktions- und Cholestaseparameter,

  • die Blutgerinnung,

  • Elektrolyte,

  • Nierenretentionswerte und

  • den Urinstatus.

Je nach klinischer Situation, beispielsweise bei Leberversagen oder Hämolyse, müssen diese Untersuchungen erweitert bzw. ergänzt werden, unter anderem um Autoantikörper, den Säure-Basen-Status und Hämolyseparameter.

Kupferstoffwechselparameter

Zu den obligaten Untersuchungen gehören das Gesamtkupfer und freie Kupfer im Serum, Serumcaeruloplasmin sowie die Kupferausscheidung im 24 h-Sammelurin (fast immer erhöht). Das Gesamtkupfer im Serum ist in der Regel erniedrigt. Das nicht an Caeruloplasmin gebundene sogenannte freie Kupfer, das auf Basis der Caeruloplasmin- und Gesamtkupferkonzentration im Serum berechnet wird, kann hingegen bei akuten Verläufen oder inadäquater Therapie erhöht sein.

Das Serumcaeruloplasmin ist klassischerweise erniedrigt, aber leider nicht immer ein zuverlässiger Diagnoseparameter. Als Akute-Phase-Protein kann es in einer Reihe von klinischen Situationen normal oder sogar erhöht sein, unter anderem bei Entzündungen, Schwangerschaft oder Kontrazeptivamedikation [2, 7]. Ob erniedrigtes Caeruloplasmin eine pathophysiologische Bedeutung hat, ist zweifelhaft.

Eine elegante diagnostische Untersuchungsmethode des Kupferstoffwechsels mit hoher Treffsicherheit stellt der Radiokupfertest dar, der trotz Leitlinienempfehlung leider gegenwärtig in Deutschland nicht verfügbar ist [14, 19].

Molekulargenetische Untersuchung

Die molekularbiologische Diagnostik tritt zunehmend in den Vordergrund und sollte immer angestrebt werden [7]. Insbesondere das Familienscreening, nach vorheriger genetischer Beratung, zur Identifikation erkrankter, aber noch präsymptomatischer Geschwister eines manifest erkrankten Patienten ist indiziert, da deren Risiko, ebenfalls erkrankt zu sein, 25 % beträgt [19] und eine Therapie bereits im präsymptomatischen Stadium des diagnostizierten Morbus Wilson beginnen sollte [14]. Kinder Betroffener haben ein Risiko von etwa 0,5 %, sodass auch hier die frühe Gendiagnostik angezeigt sein kann [19].

Die Anzahl möglicher Mutationen beträgt über alle 21 Exons verteilt ungefähr 600. Daher ist ein einfacher und zugleich treffsicherer genetischer Screeningtest gegenwärtig nicht verfügbar. Coffey et al. [20] haben allerdings in aktuellen Studien gezeigt, dass bei Sequenzierung aller codierenden Regionen und benachbarten Splice-Orte von ATP7B in 98 % der Fälle mit Morbus-Wilson-Verdacht die genaue Identifikation der ATP7B-Mutation gelang und somit eine exakte genetische Diagnose gestellt werden konnte.

In der Praxis erfolgt die genetische Diagnostik mittels Gensequenzierung. In der Regel wird eine Stufendiagnostik angewendet, die – sofern bekannt – zuerst häufige Mutationen aus der geografischen Region berücksichtigt. Diese Methodik hat inzwischen Eingang in die Routine gefunden und ist flächendeckend verfügbar. Weitere Vereinfachungen und Verbesserungen der genetischen Diagnostik können aufgrund der technologischen Fortschritte erwartet werden. Dennoch sind die gegenwärtig immer noch hohen Kosten zu berücksichtigen.

Sind Mutationen auf beiden Chromosomen nachgewiesen, ist die Diagnose gesichert. Zu beachten ist, dass bei vielen Patienten eine sogenannte Compound-Heterozygotie mit unterschiedlichen Mutationen auf den zwei Allelen vorliegt.

Aufgrund der hohen Zahl beschriebener Mutationen bzw. Polymorphismen in ATP7B ist auch von Sense- oder Silent-Mutationen, die nicht zur klinischen Manifestation führen, auszugehen, was in der Praxis gelegentlich zu Unsicherheit führt. Früher häufige Haplotypanalysen werden gegenwärtig seltener durchgeführt.

Leberbiopsie

Das invasive Verfahren der Leberbiopsie ist etwas in den Hintergrund getreten, bleibt jedoch in unklaren Fällen unverzichtbar. Das histologische Bild ist – wie das klinische Spektrum – sehr facettenreich, aber nicht spezifisch [5, 12]. Histologische Befunde umfassen die Lebersteatose, Inflammation sowie alle Fibrose- und Zirrhosestadien. Typische zelluläre Veränderungen sind nukleäre Glykogenablagerungen, „ballooning“, Mallory-Körper und ultrastrukturelle Mitochondrienveränderungen. Rhodaninfärbungen sind häufig falsch-negativ und werden nicht immer durchgeführt. Obligatorisch ist die Bestimmung der Kupferkonzentration in der Leber bezogen auf die Trockenmasse. Die Kupferakkumulation in der Leber kann heterogen sein, ein sogenannter „sampling error“ mit falsch-niedrigen Kupferkonzentrationen ist daher relevant [14].

Bildgebende Diagnostik

Lebersonographie

Die Lebersonographie hat einen hohen Stellenwert in der Erkennung von Leberschäden bzw. Zeichen der Leberzirrhose. In Bezug auf Leberschäden zeigt sich ein unspezifisches Bild mit Steatose, homogen verdichtetem Reflexmuster, „Pfeffer-und-Salz-Muster“ und/oder echoarmen herdförmigen Veränderungen. Zeichen der Leberzirrhose sind morphologische Veränderungen, Pfortaderhochdruck und Aszites. In Verbindung mit der Elastizitätsmessung, beispielsweise durch eine transiente Elastographie („acoustic radiation force impulse“ [ARFI]) können der Fibrose-oder Zirrhosegrad der Leber abgeschätzt und möglicherweise sogar prognostische Aussagen zur Lebererkrankung getroffen werden [21].

Kraniale Magnetresonanztomographie

Die kraniale Magnetresonanztomographie hat differenzialdiagnostische Bedeutung bezüglich der Beurteilung zerebraler Veränderungen bei neurologischen Verläufen sowie zur Verlaufskontrolle. Fast alle symptomatischen Patienten weisen Veränderungen im Bereich der Basalganglien auf (Abb. 2). Ein relativ typisches Zeichen ist das „giant panda sign“ im Mittelhirn [17].

Neurologische Zusatzuntersuchungen

Bei neurologischen Verläufen sind weitere bildgebende und elektrophysiologische Verfahren etabliert. Diese umfassen die „single-photon emission computed tomography“, Positronenemissionstomographie (Abb. 2c; [18]), transkranielle Sonographie, Elektrophysiologie, Elektroenzephalographie und evozierte Potenziale. Diese speziellen Untersuchungen werden bei bestehender Indikation durchgeführt und eignen sich zur Differenzialdiagnose und Verlaufskontrolle [17].

Differenzialdiagnose und diagnostische Scores

Die Differenzialdiagnose des Morbus Wilson ist häufig außerordentlich komplex. Sie umfasst vor allem akute und chronische Lebererkrankungen:

  • Infektiöse Hepatitis

  • Autoimmunhepatitis

  • Nutritiv-toxische Lebererkrankungen

  • Metabolische Lebererkrankungen

  • Cholestatische Lebererkrankungen

  • Andere hereditäre Lebererkrankungen

Insbesondere die neurologische bzw. psychiatrische Differenzialdiagnose bei Bewegungsstörungen oder psychiatrischen Symptomen ist in der Praxis oft schwierig und erfordert eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit. Zu beachten ist, dass Erkrankungen der Leber oder des Nervensystems (z. B. Depression) keinesfalls immer ihre Ursache in der Kupferstoffwechselstörung haben, was bei der Langzeitbetreuung der Patienten differenzialdiagnostisch bedeutsam ist.

Kein einzelner Befund kann allein zur sicheren Diagnosestellung führen. Die Wilson-Diagnose erfolgt modular mithilfe aller erhobenen Befunde (Abb. 3). Als hilfreich haben sich auch Kombinationen biochemischer Marker zur Orientierung bei Verdacht auf einen akuten hepatischen Morbus Wilson erwiesen, so etwa ein Quotient von alkalischer Phosphatase zu Bilirubin <4 oder ein Quotient von Aspartat-Aminotransferase zu Alanin-Aminotransferase >2,2 [22]. Von einem Expertengremium wurde im Jahr 2001 in Leipzig ein diagnostischer Score entwickelt (Tab. 2), der wegweisende klinische und paraklinische Befunde zusammenfasst und die Diagnostik des Morbus Wilson vereinfacht [23]. Dieser Score ist inzwischen validiert und hat als sogenannter Leipzig-Score Eingang in die aktuellen Leitlinien zur Diagnostik des Morbus Wilson gefunden [7, 19].

Abb. 3
figure 3

Diagnostischer Algorithmus für den Morbus Wilson. Je nach klinischer Situation können alternative diagnostische Wege eingeschlagen werden. Die mit Sternchen gekennzeichneten Parameter sind Bestandteil des Leipzig-Scores [23] zur Vereinfachung und Strukturierung der Diagnostik. cMRT Kraniale Magnetresonanztomographie; CPN Caeruloplasmin; EEG Elektroenzephalographie; KF-Ring Kayser-Fleischer-Kornealring; PET Positronenemissionstomographie; SPECT „single-photon emission computed tomography“

Tab. 2 Diagnostischer Score für den Morbus Wilson. (Nach [23])

Ferner sei auf einen wichtigen prognostischen Score, den sogenannten Nazer-Index, hingewiesen, der in der Bewertung der Transplantationsdringlichkeit bei akutem Leberversagen im Rahmen eines Morbus Wilson von großem Nutzen ist [24, 25].

Therapie

Die Therapie des Morbus Wilson erfolgt nach nationalen und internationalen Leitlinien [7, 14, 19] und schließt medikamentöse und nichtmedikamentöse Maßnahmen ein (Abb. 4). Ihr Erfolg muss stetig überprüft werden, gegebenenfalls muss eine Anpassung erfolgen. Ein Handicap ist das fast vollständige Fehlen von evidenzbasierten Therapiestudien, bedingt durch die Historie der Entwicklung medikamentöser Therapien [26] sowie durch das seltene Auftreten der Erkrankung, das die Durchführung großer randomisierter Studien erschwert.

Abb. 4
figure 4

Therapiestrategien bei Morbus Wilson

Medikamentöse Therapie

Die medikamentöse Therapie erfolgt als Induktionstherapie zur „Entkupferung“ des Organismus, als Erhaltungstherapie oder als „präemptive“ Therapie im präsymptomatischen Stadium [19].

Die Initialtherapie richtet sich nach der klinischen Situation und verlangt die besondere Sorgfalt des Klinikers, um Fehler zu vermeiden, die fatale Auswirkungen haben können. Kupferchelatoren sollten zur Vermeidung einer möglichen klinischen Verschlechterung oder zur Vermeidung toxischer Nebenwirkungen bzw. einer Unverträglichkeit langsam aufdosiert werden. Ein Therapieerfolg zeigt sich am besten an der Normalisierung der Kupferausscheidung im Urin. Zinksalze sind eine Therapiealternative für neurologische Verläufe [7], werden aber zur Initialbehandlung der Lebererkrankung und insbesondere bei akutem Leberversagen als unzureichend betrachtet. Eine Übersicht über medikamentöse Therapiemöglichkeiten findet sich in Tab. 3. An dieser Stelle sei betont, wie wichtig ärztlich-menschliche Zuwendung und Geduld für die häufig jungen Patienten ist – sie sind oft schwer erkrankt und in ihrer Lebensqualität erheblich eingeschränkt, eine Besserung benötigt oft viele Monate bis Jahre. Äußerste Vorsicht ist bei der Initialtherapie der neurologischen Formen geboten, da die Therapie mit Kupferchelatoren zu schweren irreversiblen neurologischen Funktionseinschränkungen führen kann, insbesondere bei zu rascher Aufdosierung [7, 19].

Tab. 3 Übersicht über die medikamentöse Therapie bei Morbus Wilson

Eine Erhaltungstherapie nach erfolgreicher Initialtherapie wird mit Kupferchelatoren in der niedrigsten möglichen Dosierung oder mit Zinksalzen durchgeführt und orientiert sich an folgenden Zielparametern:

  • Stabiler symptomfreier klinischer Zustand

  • Urinkupferausscheidung im Normbereich

  • Unauffällige Leberfunktionsparameter

  • Gegebenenfalls normales freies Kupfer im Serum bei fehlenden Zeichen von Therapienebenwirkungen wie Blutbildveränderungen oder Proteinurie

Die Therapie im präsymptomatischen Stadium erfolgt ebenfalls mit niedrig dosierten Kupferchelatoren oder (insbesondere bei kleinen Kindern) vorzugsweise mit Zinksalzen [14].

Lebertransplantation

Zur Therapie des akuten Leberversagens bei unzureichender medikamentöser Therapie sowie bei schwerer, dekompensierter Zirrhose mit entsprechenden Kriterien ist die orthotope Lebertransplantation mit guter Prognose etabliert [25]. Eine Lebertransplantation zur alleinigen Behandlung schwerwiegender neurologischer Symptome ohne gleichzeitige Leberbeteiligung wird gegenwärtig kontrovers diskutiert und nicht allgemein empfohlen [25].

Ergänzende Therapien und Ernährung

Beim Morbus Wilson wurden verschiedene ergänzende Therapien mit unterschiedlichem Erfolg bzw. mit unterschiedlicher Evidenz angewendet. Etabliert sind die symptomorientierte neurologische Therapie durch den Neurologen mit Substanzen, wie Levodopa, Clonazepam, Tiaprid, Antidepressiva, Antipsychotika und Botulinumtoxin, sowie physiotherapeutische Maßnahmen [19]. Ebenfalls etabliert ist die symptomatische Therapie bei fortgeschrittener dekompensierter Leberzirrhose, die sich an der klinischen Situation orientiert (unter anderem an Aszites, hepatischer Enzephalopathie oder Ösophagusvarizen) und alle evidenzbasierten Maßnahmen umfasst. Antioxidanzien wie Vitamin E wurden zur supportiven Therapie angewendet, eine abschließende Bewertung steht jedoch aus [7].

Wenngleich auf besonders kupferreiche Lebensmittel verzichtet werden sollte [19], ist eine extrem kupferarme Ernährung unter zuverlässiger medikamentöser Therapie entbehrlich. Trinkwasser sollte unter adäquaten behördlichen Kontrollen und Einhaltung entsprechender Richtlinien nur geringe Mengen Kupfer enthalten und stellt im Allgemeinen kein Problem dar. Lebensmittelbehälter und Kochgeschirr aus Kupfer sollten nicht verwendet werden [14].

Besondere klinische Situationen

Die große Variationsbreite und der Langzeitverlauf des Morbus Wilson bedingen eine Reihe von klinischen Situationen, die der besonderen Aufmerksamkeit bedürfen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien einige hervorgehoben:

Akuter Morbus Wilson

Ein akuter Morbus Wilson muss bei akutem Leberversagen und/oder akut auftretenden, sich manchmal foudroyant verschlechternden neurologischen Symptomen in Betracht gezogen werden. Er ist ein medizinischer Notfall und bedarf einer raschen Therapie, am besten in einem spezialisierten Zentrum, gegebenenfalls in einem Lebertransplantationszentrum [25, 27].

Heranwachsende und Jugendliche

Eine besondere Herausforderung kann die Behandlung von Heranwachsenden und Jugendlichen sein. Besondere Aufmerksamkeit sollte der Therapieadhärenz geschenkt werden, da fehlende Therapietreue fatale Auswirkungen auf den Verlauf der Erkrankung haben kann, einschließlich Symptomverschlechterung, Irreversibilität oder Leberversagen mit tödlichem Ausgang. Ein Drug-Monitoring für Chelatoren ist jedoch nicht etabliert, sodass das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis Grundlage einer erfolgreichen Therapie ist.

Schwangerschaft und Stillzeit

Während eine Schwangerschaft bei dekompensierter Leberzirrhose ein hohes Risiko für Mutter und Kind darstellt und unbedingt in Zentren überwacht werden sollte, verläuft die Mehrzahl der Schwangerschaften bei stabil eingestelltem Morbus Wilson günstig. Allerdings darf unter keinen Umständen die medikamentöse Therapie aus Furcht vor möglichen Nebenwirkungen abgesetzt werden [7, 19]. Vor einer geplanten Schwangerschaft sollte der Kupferstoffwechsel der Patientin optimal eingestellt sein, unter anderem sollten die Kupferausscheidung und Leberfunktion normal sein. Das Risiko des Medikamentenübergangs in die Muttermilch während des Stillens und die möglichen nachteiligen Folgen müssen gegen den Nutzen des Stillens für die Ernährung des Säuglings abgewogen werden. Stillen während einer Chelator- bzw. Zinktherapie ist zwar nicht empfohlen, wird allerdings wahrscheinlich häufig praktiziert – und Probleme werden kaum berichtet [7].

Maligne Tumoren

Obwohl maligne Tumoren auf dem Boden einer Leberzirrhose bei Morbus Wilson selten sind [28], wird die regelmäßige Ultraschalluntersuchung von Patienten mit Leberzirrhose empfohlen. Wird ein Lebertumor diagnostiziert oder vermutet, richtet sich das Management nach den gültigen diagnostischen und therapeutischen Prinzipien der jeweiligen Entität.

Langzeitüberwachung

Die sorgfältige Überwachung des Langzeitverlaufs ist bei dieser chronischen Erkrankung dringend erforderlich. Initial sollte die Therapie gegebenenfalls stationär überwacht werden, mit engmaschigen klinischen bzw. laborchemischen Kontrolluntersuchungen (Ansprechen, Symptomverschlechterung, Nebenwirkungen). Im weiteren Verlauf und bei stabiler medikamentöser Einstellung des Patienten können die Intervalle gestreckt werden. Lebenslang obligatorisch bleiben regelmäßige klinische Kontrollen und Untersuchungen des Kupferstoffwechsels und der Leberfunktionsparameter sowie der Ausschluss von Therapienebenwirkungen (Chelatoren) oder Therapieversagen (unter anderem Zinksalze, mangelnde Adhärenz).

Prognose und Ausblick

Bei frühzeitiger Diagnose und Therapie ist die Prognose für die meisten Patienten gut bis ausgezeichnet und unterscheidet sich in Symptomfreiheit und Lebenserwartung oft nicht wesentlich von der Allgemeinbevölkerung [4, 13]. Voraussetzung dafür sind jedoch neben einer raschen Diagnosestellung eine angemessene ärztliche Betreuung und die Therapieadhärenz des Patienten. Akut lebensbedrohlich ist ein fulminantes Leberversagen, wenn die medikamentöse Therapie nicht ausreicht oder kein geeignetes Spenderorgan zur Verfügung steht. In Fällen mit verspäteter Diagnosestellung, inadäquater Therapie oder mangelnder Therapietreue muss mit Komplikationen und irreversiblen neurologischen und hepatischen Symptomen gerechnet werden, die die Lebensqualität und Lebenserwartung beträchtlich einschränken.

Leider gewährleisten die gegenwärtig verfügbaren Medikamente nicht für alle Patienten eine optimale Behandlung. Unzureichende Wirksamkeit, etwa in Form eines fehlendes Ansprechens oder einer Symptomverschlechterung bei neurologischen Verläufen, bzw. nicht tolerierbare Nebenwirkungen erfordern die Entwicklung neuer Medikamente oder therapeutischer Alternativen wie Gentherapie, Hepatozytentransplantation und hepatischer Stammzelltherapie. Erfreulicherweise wurden diesbezüglich verschiedene Initiativen gestartet, um insbesondere Tetrathiomolybdat, ein vielversprechendes Therapeutikum für eine verbesserte Therapie bei kompliziertem neurologischem Verlauf, sowie weitere innovative bzw. alternative Therapien für bestimmte komplizierte klinische Situationen zu etablieren.

Auf die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit wurde bereits hingewiesen. Sie schließt die Allgemeinmedizin, Pädiatrie, Gastroenterologie und Hepatologie, Neurologie, Psychiatrie, Labormedizin, Ophthalmologie, Radiologie, Pathologie, Humangenetik und Transplantationsmedizin ein. Dies trifft auch für die erfolgreiche Therapie und Langzeitbetreuung zu und kann meist die Prognose der sonst schicksalhaft verlaufenden Krankheit verbessern.

Nicht zuletzt ist auch die Einbeziehung von Angehörigen und Freunden in die Betreuung der oft jungen, teils lebensbedrohlich erkrankten oder neuromuskulär schwer eingeschränkten Patienten mit ihren medizinischen, sozialen und beruflichen Problemen essenziell für eine erfolgreiche Krankheitsbewältigung. In Deutschland leistet die Patientenorganisation Verein Morbus Wilson e. V. einen bedeutenden Beitrag zur Verbesserung der Situation von Betroffenen und Familien bei dieser seltenen, aber klinisch bedeutsamen Erkrankung.

Fazit für die Praxis

  • Der Morbus Wilson ist eine Störung des Kupferstoffwechsels und eine wichtige Differenzialdiagnose bei hepatischen und neurologisch-psychiatrischen Symptomen.

  • Eine in der Regel einfach durchzuführende modulare Diagnostik, die klinische, biochemische und genetische Untersuchungen umfasst, ermöglicht eine sichere Diagnose. Unklare Fälle erfordern weitere Spezialuntersuchungen.

  • Zentrale Säule der Therapie sind Kupferchelatoren. In besonderen klinischen Situationen sind weitere Therapiemaßnahmen indiziert (unter anderem Zinksalze, symptomatische neurologische Therapie, Lebertransplantation).

  • Bei frühzeitiger Diagnosestellung und Therapieeinleitung sowie bei Therapieadhärenz und sorgfältiger ärztlicher Begleitung ist die Langzeitprognose meist günstig.